Funde erzählen! Artefakte im Nationalpark Kalkalpen - Symposion in Reichraming
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Funde erzählen! Artefakte im Nationalpark Kalkalpen Symposion in Reichraming Herausgegeben von der Nationalpark O.ö. Kalkalpen Ges.m.b.H. und dem Land Oberösterreich/Direktion Kultur Schriftenreihe des Nationalpark Kalkalpen Band 21
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Funde erzählen! Artefakte im Nationalpark Kalkalpen Symposion in Reichraming Herausgegeben von der Nationalpark O.ö. Kalkalpen Ges.m.b.H. und dem Land Oberösterreich/Direktion Kultur Schriftenreihe des Nationalpark Kalkalpen Band 21
Impressum Herausgeber: Nationalpark O.ö. Kalkalpen Ges.m.b.H. 2019, Nationalpark Allee 1, 4591 Molln, FN158230 t; Land Oberösterreich/Direktion Kultur Redaktion Iris Egelseer Lektorat Iris Egelseer, Angelika Stückler Titelfoto Illustra- tion: J. Wegscheider, Foto: G. Egelseer, Montage: A. Mayr Zitiervorschlag Nationalpark O.ö. Kalkalpen Ges.m.b.H. (2019): Funde erzählen! Artefakte im Nationalpark Kalkalpen – Band 21, Schriftenreihe Nationalpark Kalkalpen; 60 S. Texte Für den Inhalt sind die jeweiligen Autoren verantwortlich Kartografie CARTO.AT Topografische Rohdaten © BEV, KM500R, 19. 7. 2019 Grafik Andreas Mayr Druck Friedrich Druck & Medien GmbH, 1. Auflage 9/2019 ISBN 978-3-9503733-9-4 Bezugsquelle Nationalpark Zentrum Molln, Nationalpark Allee 1, 4591 Molln, Österreich, Telefon +43 (0) 75 84 / 36 51, nationalpark@kalkalpen.at, www.kalkalpen.at Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfälti- gung, Übersetzung, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Soweit im Folgenden personenbezogene Bezeichnungen nur in der männlichen Form angeführt sind, beziehen sie sich auf Frauen oder Männer in gleicher Weise. Bei der Anwendung auf bestimmte Personen wird die jeweils geschlechtsspezifische Form verwendet. gedruckt nach der Richtlinie „Druckerzeugnisse“ des Österreichischen Umweltzeichens, Friedrich Druck & Medien GmbH, UW-Nr. 894 PEFC/06-39-16 4
„ Funde erzählen! Artefakte im Nationalpark Kalkalpen Auf Wanderungen und Bergtouren im Nationalpark Kalkalpen werden immer wieder historische Gegenstände wie Schlachtnägel, Halterungen für Steige und anderes Eisenzeug gefunden. Ge- nerationen von Holzknechten, Flößern, Köhlern, Bergknappen und Sennerinnen haben Spuren hinterlassen. Seit seiner Gründung im Jahre 1997 können wieder natürliche Ereignisse wie Windwürfe be- obachtet werden. Dem interessierten Wanderer fallen große Mengen an Totholz, vereinzelt Kno- “ chenreste oder Abwurfstangen der Rothirsche auf. Hinter jedem Fund verbirgt sich eine Geschichte. Inhalt Vorworte.........................................................................................................................................................................................4 Tagungsprogramm: Symposion „Funde erzählen! – Artefakte im Nationalpark Kalkalpen“...................................6 Ausstellungseröffnung, 30. November 2018.........................................................................................................................8 Tagebuch der Wildnis & Biodiversität...................................................................................................................................10 Epochen der Waldgeschichte...................................................................................................................................................................13 Funde erzählen! Artefakte im Nationalpark Kalkalpen..............................................................................................................19 Verpflichtung und Aufschwung in der Kulturregion Eisenwurzen OÖ ...............................................................................35 Funde (und Entdeckungen) in der Wildnis der Wälder im und um den Nationalpark Kalkalpen...........................38 Nationalpark Ranger – Naturvermittler aus Leidenschaft.........................................................................................................48 Zur Gestaltung der Ausstellung „Funde erzählen! Artefakte im Nationalpark Kalkalpen“........................................56 Zu den Autoren..............................................................................................................................................................................................59 Inhalt 5
Zurück zum Urwald Profunde Kenner und Experten haben zum Thema „Fun- Das Gebiet des heutigen Nationalparks war aber auch über de erzählen“ im Besucherzentrum Ennstal in Reichraming Jahrhunderte Lebensgrundlage vieler Generationen von ein Symposion abgehalten. Es war zugleich die Eröffnung Holzknechten, Flößern, Köhlern, Bergknappen und Senne- der gleichnamigen Ausstellung, die künftig als Wanderaus- rinnen. Die Eisenindustrie rund um den Steirischen Erzberg stellung an anderen Orten über Artefakte im Nationalpark brauchte große Mengen an Holz für die Feuerstellen. Holz- Kalkalpen Gebiet informieren wird. knechte brachten die Stämme zu den Bächen und Flüssen, von dort wurden sie oft unter Lebensgefahr talauswärts Seit dem Ende der forstwirtschaftlichen Nutzung im Jahr getriftet. Im Hintergebirge wurde bis 1964 Bauxit, der wich- 1994 und der Gründung des Nationalpark Kalkalpen im tigste Rohstoff für die Erzeugung von Aluminium, abgebaut. Jahr 1997, können die Auswirkungen natürlicher Ereignisse 1944 errichtete man dafür eine 13,5 Kilometer lange Mate- wie Windwürfe, Lawinenabgänge, Überschwemmungen rialseilbahn. Nach der Schließung der Bergwerke (Bauxit- und Stürme beobachtet werden. Dem interessierten Wan- bergbau 1964), der Waldbahn (1971), dem Rückgang der derer fallen große Mengen an Totholz auf. Holz, wertvoller Almwirtschaft in den 1960er Jahren und der zunehmenden Rohstoff für uns Menschen, aber auch enorm wertvoll für Technisierung in der Forstwirtschaft kehrte Ruhe ein in die die Natur. Im Nationalpark sind natürliche Prozesse ge- Wälder und Wildnis kehrte zurück. Verlassene Siedlungen, schützt, davon profitiert die Tier- und Pflanzenwelt. Bemer- Reste von Triftanlagen, Eisenfundstücke – wer im National- kenswert ist die hohe Anzahl an „Urwaldarten“, die nur in park Kalkalpen aufmerksam durch die Wälder wandert, Wäldern mit ausreichend alten Bäumen und Totholz über- wird bald fündig werden. leben können. Der Nationalpark Kalkalpen im Reichramin- ger Hintergebirge und Sengsengebirge ist die letzte große Die Tagung, Ausstellung und Publikation wurden in Koope- Waldwildnis Österreichs mit einer enormen Artenvielfalt. ration zwischen der Direktion Kultur des Landes Oberöster- Eine Erfolgsgeschichte, die 2017 mit der Auszeichnung der reich und dem Nationalpark Kalkalkpen durchgeführt. Buchenwälder im Nationalpark zum ersten UNESCO-Welt- naturerbe Österreichs gekrönt wurde. DI Volkhard Maier Direktor Nationalpark Kalkalpen 6 Zurück zum Urwald
Natur- und heimatkundliche Spurensuche Natur und Kultur bestimmen in ihren vielfältigen Formen Natur- und Kulturraum stehen. Reste von Triftanlagen, Höl- seit jeher die Region Nationalpark Kalkalpen. „Funde erzäh- zer von Almhütten, Eisenteile von Seilbahnen, Werkzeuge len! Artefakte aus dem Nationalpark Kalkalpen“ war Thema von Holzarbeitern etc. erzählen so viele Geschichten vom eines großen Projektes, das im Rahmen einer Ausstellung Leben in einer Region, die zu den beeindruckendsten in und eines Symposions Einblicke in die lebendige Vielfalt Oberösterreich gehört. des Nationalparks gegeben hat. Die vorliegende Doku- mentation zeichnet das Projekt nach – eine Einladung zum Ich danke vor allem Erich Mayrhofer für seine Arbeit in Nachlesen und Nachschauen. diesem Kontext sowie allen Autorinnen und Autoren und wünsche dieser Publikation viele interessierte Leserinnen Es ist Erich Mayrhofer zu danken, dass er in seiner Funk- und Leser. Für sie alle soll dieses Buch eine Einladung tion als langjähriger Direktor des Nationalparks ein Auge sein, sich auf natur- und heimatkundliche Spurensuche im für besondere Fundstücke hatte, die zwar Einzelstücke sind, Nationalpark Kalkalpen zu begeben . in ihrer Gesamtheit aber für den Nationalpark Kalkalpen als Mag. Thomas Stelzer Landeshauptmann OÖ Natur- und heimatkundliche Spurensuche 7
Quelle: E. Mayrhofer Tagungsprogramm: Symposion „Funde erzählen! – Artefakte im Nationalpark Kalkalpen“ 9:30 Uhr Eintreffen der TeilnehmerInnen 10:00 Uhr Begrüßung DI Volkhard Maier, Nationalpark Direktor Mag. Reinhold Kräter, Landeskulturdirektor 10:15 Uhr Epochen der Waldgeschichte DI Hans Kammleitner, Leiter des ÖBf Nationalparkbetriebes 10:30 Uhr Funde erzählen! Artefakte aus dem Nationalpark Kalkalpen Dr. Erich Mayrhofer, Nationalpark Direktor a. D., Welterbe-Manager 11:15 Uhr Kaffeepause 11:30 Uhr Verpflichtung und Aufschwung an der Eisenstraße. Museen und Schaubetriebe der Nationalpark Region Mag. Dr. Klaus Landa, Verbund Oberösterreichischer Museen und Mag. Oliver Rath, Verein OÖ. Eisenstraße 12:30 Uhr Mittagspause 13:30 Uhr Artefakte der Wildnis em. Univ. Prof. Dr. Roland Girtler, Soziologe und Kulturanthropologe 8 Tagungsprogramm: Symposion „Funde erzählen! – Artefakte im Nationalpark Kalkalpen“
Reste der Betonklause im Bodinggraben | Foto: G. Fürschuß 14:15 Uhr Der Kampf ums Hintergebirge! DI Bernhard Schön, Abteilung Naturschutz, Land Oberösterreich 14:45 Uhr Nationalpark Ranger – Naturvermittler aus Leidenschaft Mag.a Angelika Stückler, Bildungsbeauftragte im Nationalpark Kalkalpen 15:30 Uhr Pause 16:00 Uhr Ausstellung Funde erzählen! – Artefakte im Nationalpark Kalkalpen Grußworte: Nationalpark Direktor DI Volkhard Maier Zur Ausstellung: Dr. Erich Mayrhofer und Mag. Franz Pötscher, Büro für Museumskonzepte, Gutau Eröffnung: LAbg. Bgm. Dr. Christian Dörfel Moderation: Iris Egelseer, BEd, Nationalpark Kalkalpen und Dr. Alexander Jalkotzy, Direktion Kultur, Land Oberösterreich Musikalische Umrahmung Die Ausstellung ist bis Dezember 2019 im Nationalpark Besucherzentrum Ennstal zu besichtigen. Tagungsprogramm: Symposion „Funde erzählen! – Artefakte im Nationalpark Kalkalpen“ 9
Ausstellungseröffnung, 30. November 2018 Nationalpark Besucherzentrum Ennstal, Reichraming | Fotos: F. Kettenhummer, E. Mitterhuber geschichte Artefakte menschlicher Nutzungs Einblicke in das Alm neben Relik ten von Wild tiere n. leben. s Leben der Einblicke in da un d Köhler. Holzknechte V.l.n.r.: Labg. Alo is Baldinger, Mag. Nationalpark Direk Franz Pötscher, Ma tor DI Volkhard Ma g. Angelika Stück Dr. Alexander Jalko ier, Iris Egelseer BE ler, tzy, Dr. Erich Mayrh d, DI Hans Kamm ofer leitner, ionierten Mayrhofer vor der Figurine des pass Prof. Dr. Roland Girtler und Dr. Erich z Ferdinand. Jägers Thronfolger Erzherzog Fran CO Weltnaturerbe für alte Der Nationalpark Kalkalpen ist heute UNES Buchenwäld er und Buche n-Urw älder. 10 Ausstellungseröffnung, 30. November 2018
ordene nsraum für zahlreiche selten gew Der Nationalpark Kalkalpen ist Lebe ohte Tiera rten. V.l.n.r.: Moderator in Iris Egelseer mi oder vom Auss terbe n bedr Sigrid Gruber-Ba t Martina Seiler un rth vom Besucherz d DI entrum Ennstal. Die Vorträge span nen einen Boden r. und Erholungsra von der Nutzung . Alois Baldinge um im Nationalpa sgeschichte bis zu m Natur- s Schlacht nagels an Labg rk Gebiet. Übergabe eine d Girtler und Nationalpark V.l.n.r.: Dr. Erich Mayrhofer mit Prof. Dr. Rolan Dr. Erich Mayrhofer war 20 Jahre lang Nationalpark Direktor. Zahlreiche Ausstel- Direktor DI Volkh ard Maier. lungsstücke stammen aus seiner Privatsammlung. Prof. Dr. Roland Gir tler weiß viele Gesch rinnen, Holzknechte ichten über das Leb und Flößer zu erzäh en der Senne- len. Ausstellungseröffnung, 30. November 2018 11
Tagebuch der Wildnis & Biodiversität 30. Juni: Einstellung der forstwirt- schaftlichen Nutzung im Gebiet. 1994 1996 Entdeckung zweier weltweit unbe- kannter Quellschnecken-Arten 25. Juli: Eröffnung des Nationalpark Erster dokumentierter Luchshinweis Kalkalpen. 1997 1998 Fischotter Nachweis: Totfund am Hengstpaß 30. März: Mit einer Fotofalle gelingt das erste Luchsfoto von Luchsmänn- Höhlenforscher Heli Steinmaßl ent- chen Klaus. 1999 deckt den Eingang in die Klara Rie- Nachweis ungewöhnlich hoher Bio- senhöhle im Sengsengebirge (bisher topausstattung: 103 Biotoptypen 30 Kilometer Länge vermessen) mit dem größten Tropfstein der Nord- Nachweis von acht „Urwaldflächen“ alpen. (37 Hektar) 2000 Entdeckung von ursprünglich heimi- schen Bachforellen-Beständen 2001 Nachweis von 916 Gefäßpflanzen arten laut Naturrauminventur 12./13. August: Jahrhundert- 15. bis 23. August: 14 Hektar gro- Hochwasser; 30 Kilometer Forst- 2002 2003 ßer Waldbrand am Hagler auf der straßen wurden zerstört. Sengsengebirgs-Südseite. Wiederentdeckung des 1970 erst- mals nachgewiesenen Höhlenlauf- 2004 25. Mai: Erste Braunbär Fotos gelin- käfers (Arctaphaenops muellneri) in gen im Sengsengebirge. der Rettenbachhöhle. Der Käfer wird erstmals lebend fotografiert und ge- filmt. 72 % der Nationalpark Fläche ist 2005 Waldwildnis – hier finden keine wald- baulichen Maßnahmen mehr statt. Der Totholzanteil im Nationalpark Extrem schneereicher Winter mit stieg seit 1995 um 4,4 Festmeter Jahrhundert-Lawinen, starke Dezi- pro Hektar und liegt nun bei rund mierung der Schalenwild-Bestände 2004/ 21 Festmeter pro Hektar. 2005 19. Jänner: Orkan Kyrill beschert Wieder schneereicher Winter mit dem Nationalpark 36.000 Festmeter Jahrhundert-Lawinen, starke Dezi- Windwürfe, ein großer Teil verbleibt mierung der Schalenwild-Bestände; als Totholz im Wald. 569 cm Schneefall am Hengstpaß 2005/ 13. Juli: 1. Brutnachweis Mauerläufer zwischen Dezember 2005 und 2006 April 2006. 45 % der Nationalpark Fläche sind 2007 Wildruhegebiet – dort fällt das ganze Jahr kein Schuss. Zur Reduktion des motorisierten Ver- kehrs wurden seit 1997 ein Drittel der Forststraßen aufgelassen. 12 Tagebuch der Wildnis & Biodiversität
Die Stürme Paula (28. Jänner) und Emma (1. März) bescheren dem Nationalpark ca. 16.000 Festmeter Extrem schneereicher Winter, Windwürfe. Wieder verbleibt ein gro- 2008/ 320 cm Schneehöhe wird gemessen. ßer Teil des Totholzes im Wald. 2008 2009 Nachweis von über 1.500 Schmetter- lingsarten – nirgendwo in Österreich sind so viele Schmetterlinge bekannt. 24. Februar: Gewaltige Staublawinen mit einer Geschwindigkeit von bis zu 300 km/h donnern von den Nord- flanken des Sengsengebirges gleich 2009 2010 Juni: Erstnachweis Urwaldrelikt Schar- an mehreren Stellen talwärts. lachkäfer (Cucujus cinnaberinus). Nach warmem Sommer befallen Bor- kenkäfer 20.000 Festmeter stehende Fichten im Waldwildnisbereich. Der 9. Mai: Die junge Luchsin „Freia“ aus Totholzanteil steigt bis Jahresende der Schweiz wird in den Nationalpark auf 25,5 Festmeter pro Hektar. Kalkalpen übersiedelt. 21. August: Erstnachweis Mornell 28. Mai: Neuentdeckung für Ober- regenpfeifer (Charadrius morinel- 2011 österreich: Kleinschmetterling Coleo- lus). Der Durchzügler rastet am phora hieronella. Nockplateau. 13. Dezember: Das Luchsmännchen „Juro“ aus der Schweiz wird in den Nationalpark übersiedelt. Mai: Erster Luchsnachwuchs seit 150 Jahren – Luchsin Freia bringt drei Luchsjunge zur Welt. 2012 4. Juli 2012: Im Nockkar auf der 2013 25. März: Freilassung der Luchsin Nordseite des Sengsengebirges bah- „Kora“ im Nationalpark, ebenfalls ein nen sich bei schweren Niederschlä- Wildfang aus der Schweiz. gen Geröllmassen ihren Weg von den oberen Felswänden bis hinab in April: Sicherstellung eines Jung- den Großen Feichtausee. luchs-Fells in der Kühltruhe eines Tierpräparators. I. und H. Wolfs- Juli: Erstentdeckung des seltenen 2015 steiner wurden im folgenden Straf- Grünen Koboldmooses – wichtiges prozess wegen vorsätzlichen Ab- Europaschutzgut. schusses von Luchs B7 und Luchs September: 520 Jahre alte Buche im Juro rechtskräftig verurteilt. Hintergebirge entdeckt. 2016 Nachweis von 26 Urwaldrelikt-Käfer- arten im Nationalpark Kalkalpen. 17. März: Freilassung des Luchspär- 11. Oktober: Luchsin Luzi führt ein chens „Aira“ und „Juri“ im National- park Kalkalpen. 2017 2018 Jungtier. Nachweis von 6 erwach- senen Luchsen im Gebiet (3 Männ- 4 brütende Adlerpaare im National- chen, 3 Weibchen) park nachgewiesen. Die alten Buchenwälder im Natio Februar: 546 Jahre alte Buche im nalpark Kalkalpen werden erstes Sengsengebirge entdeckt – älteste UNESCO-Weltnaturerbe Österreichs. 2019 bekannte Buche im Alpenraum. Der Totholzanteil hat sich seit 1995 von 16 auf 33 Festmeter pro Hektar mehr als verdoppelt. Der Anteil der Buche hat sich um 22 % erhöht, je- ner der Fichte um 10 % verringert. Tagebuch der Wildnis & Biodiversität 13
Foto: M. Graf 14
Epochen der Waldgeschichte Hans Kammleitner Epoche der Urwälder Während der letzten Eiszeit lag die Schneegrenze bei 700 – 800 m Seehöhe, die mittlere Jahrestemperatur um 8 bis 10° C niedriger als heute. Die Mächtigkeit des Eis- panzers war unterschiedlich (bei Innsbruck um 1.700 m). Lediglich der östliche Teil Österreichs war eisfrei. Bei geringen Niederschlägen waren in Mitteleuropa Tundren (Permafrostböden, baumfreie Landschaft mit Flechten, Moosen, Zwergsträuchern) vorherrschend, in Südeuropa kontinentale Steppen (baumlose Graslandschaft mit Gräsern, Flechten, Moosen, Heidekrautgewächsen und Quelle: Österreichischer Forstverein (1994): Österreichs Wald – Vom Urwald zur Waldwirtschaft, 2. völlig überarbeitete und erweiterte Auflage, 544 S. Bauminseln). Die Baumarten überdauerten die Eiszeit in Humusanreicherungen und günstigere klimatische Bedin- Südeuropa als kleine Waldinseln auf günstigen Lokalstand gungen wurde der Pionier Kiefer von der Fichte und Eiche orten (Gebirgsränder und Flusssäume). Nach der Eiszeit verdrängt (ca. 6.000 v. Chr.). Schließlich kamen die konkur- stellte sich in klimatisch günstigen Lagen vor rund 13.000 renzstarken Halbschatt- und Schattbaumarten und bildeten Jahren wieder Wald ein. bis ca. 800 n. Chr. ausgedehnte Fichten-Tannen-Buchen- wälder (Österreichischer Forstverein 1994). Im Gebiet des Nationalpark Kalkalpen besiedelten zuerst Kiefernwälder die kargen Böden (ca. 7.500 v. Chr.). Durch Epochen der Waldgeschichte 15
Baumartenanteile des österreichischen Waldes (in Prozent) Baumarten ca. 1.000 n. Chr. Gegenwart Fichte 36 56 Tanne 26 5 Lärche 2 8 Kiefer 4 16 Buche 20 9 Eiche 8 1 sonstige Laubbäume 4 5 Nadelhölzer 68 85 Mischwald im Nationalpark Kalkalpen | Foto: E.C.O. Institut Laubhölzer 32 15 für Ökologie Epoche der bewirtschafteten Wälder zur Zeit der Holztrift Schon ab 4.000 bis 3.500 v. Chr. kam es in der Umgebung von Holzriesen, Klausen und Rechenanlagen entwickelt, von Siedlungen bereits zu Eingriffen durch den Menschen: um das notwendige Holz in der benötigten Menge bereit- Brennholz zustellen. Geschlägert wurde von unten (Hangfuß) nach Brandrodung zur Gewinnung von Acker- und Weideland oben (Rücken), sowohl das Laubholz als auch das Nadel- eher im Bereich des fruchtbaren Alpenvorlandes holz. Das Hartholz ließ man mehrere Jahre trocknen, damit Laubfütterung des Viehs („Schneiteln“) man es überhaupt triften konnte. Rodungen für Hochalmen (Bergbau) Waldweide Die Holzknechte selbst führten ein karges Leben. Alle hat- ten Schafe oder Ziegen, die sie bei Bauern einstellten. Die 712 wurde vom Erzabbau in Eisenerz berichtet (nicht ge- Frauen mussten als Gegenleistung dafür arbeiten, die Män- sicherte Nachricht). Holz war der wichtigste Rohstoff zum ner gingen ins Holz. Die Anmarschwege waren lang, das Bergbau für die Eisenverarbeitung und die anschließenden viele Gepäck schwer. Jede Passe (Holzknechtpartie) hatte Gewerbe. Schon im 13. Jahrhundert ging ein Teil des in ihre Spezialisten mit. Sie arbeiteten von Montag bis Sams- Eisenerz erzeugten Eisens nach Steyr. In den zahlreichen tag, von der Früh bis zur Dämmerung. Seitenbächen wurde das Eisen verarbeitet (Nägel, Messer, Sensen, Maultrommeln, Rüstungen, Waffen, etc.) Artefakte (Zeugen aus dieser Zeit): Triftsteige Die Anfänge der Holztrift im Hintergebirge werden im Klausen (Stauwerke in den Bächen) 14./15. Jahrhundert vermutet. Erstmals urkundlich erwähnt Holzfang-Rechen wurde die Große Klause (zentrale und wichtigste Klause) Klaushütten im Jahr 1604 (Waldordnung Rudolf II). Schlachten und Krainerwände (Uferschutzbauten) Riesen (Erdriese, Holzriese, Wasserriese, Bretterriese, Seit der Entdeckung Amerikas (1492), während des Drei- Riesweg) – rutschbahnartige Rinnen zum Holztransport ßigjährigen Krieges (1618 – 1648), den beiden Türkenbe- Fletzhaken und andere Werkzeuge lagerungen (1529, 1683), der Regentschaft von Maria The- Kohlplätze resia (1740 – 1780), der französischen Revolution und der Regentschaft von Kaiser Franz Josef (1848 – 1916) wurde Bereits um 1500 wurde der Wald im Weißenbach (gut Holz mehr oder weniger intensiv auf die gleiche Art und strukturierte Fichten-Tannen-Buchenwälder mit einer Weise aus dem Reichraminger Hintergebirge transportiert. hohen Baumarten- und Sträuchervielfalt sowie einem Die Lieferung des Holzes erfolgte hauptsächlich auf dem hohen Totholzanteil) nahe Reichraming erstmals mittels Wasserweg. Allmählich wurde ein ausgeklügeltes System Kahlschlägen genutzt und die Schlagflächen dem natürli- 16 Epochen der Waldgeschichte
chen Samenanflug überlassen („Der Schlag beschütt sich von Wild und Weidevieh setzte den jungen Bäumchen mit jungem Holz“). Dabei bildeten sich wieder naturnahe stark zu, durch Waldweide wurde die Waldgrenze nach Waldgesellschaften mit standortsgerechten Baumarten aus. unten gedrückt. Auf seichtgründigen Standorten gab es Probleme mit der Wiederbewaldung. 1575 war rund ein Drittel des Groß- Dadurch sind große zusammenhängende Waldflächen mit weißenbachtales abgeholzt. Erst 250 Jahre später erfolgte geringer Bestockung (30 – 40 %) entstanden, die Mehr- die nächste Nutzungswelle in der gleichen Art und Weise schichtigkeit entwickelte sich erst später. Ein hoher Lärchen- – Kahlschlag und Naturverjüngung. 1846 waren im Großen anteil ist typisch für die damalige Kahlschlagwirtschaft und Weißenbachtal 40 % der Wälder bis 30 Jahre alt, 50 % zwi- Waldweide. Der Boden ist karg und durch den hohen Fels- schen 30 und 60 Jahren und nur 10 % der Wälder zwischen anteil ein typischer Gamslebensraum. Durch die Südlage 60 und 90 Jahren alt. Ältere Wälder gab es nicht mehr. sind die Standorte sehr trocken: vom Lackerboden bis zum Mehrere Schlagflächen wurden von den Holzknechten ver- Merkenstein gibt es im Sengsengebirge nur zwei Quellen. botener Weise abgebrannt und als Viehweide genutzt oder Die Wälder dieser Zeiten befinden sich in einer Seehöhe Getreide angepflanzt. Das Holz wurde, wie oben angeführt, von 1.000 – 1.500 m und in den steilen Grabeneinhängen getriftet oder die Buche vor Ort verkohlt und die Holzkohle unterhalb. mit eigenen Fuhrwerken auf Wegen abtransportiert. In tieferen, standörtlich besseren Lagen (Koppen, Spann- Ab etwa 1750 war die Holzknappheit so groß, dass man riegl) wurden die Wälder zuletzt zwischen 1850 und 1890 auch sehr entlegene Wälder nutzen musste. Im Jörglgra- genutzt. Hier ist eine kleinflächigere Vorgangsweise erkenn- ben, 25 Kilometer südlich von Reichraming, wurde ab 1765 bar, möglicherweise mit Wiederaufforstung. erstmals geschlägert. Der Anmarschweg von Reichraming betrug 12 Stunden. 1795 waren 80 % des Jörglgrabens ge- Ursprünglich war das derzeitige Nationalpark Gebiet in nutzt, die Hälfte der Fläche wurde als Blöße bezeichnet. Die landesfürstlichem Besitz. 1666 überließ Kaiser Leopold I Waldungen damals wurden als „starke Tannenwaldungen“ die Herrschaft Steyr dem Grafen Maximillian von Lamberg mit „großen Fichten, Tannen, Buchen, Eichen und anderen (Freiherr von Lamberg, Burggraf zu Steyr, 1636 in den Gra- Gattungen von Holz“ beschrieben. 1846 waren 40 % der fenstand erhoben, Reichshofrat, Ritter des goldenen Vlie- Wälder jünger als 30 Jahre, 40 % waren zwischen 30 und ses). Die Wälder waren „Verlasswälder“. Die Eisenindust- 90 Jahren und rund 20 % älter als 90 Jahre. Weideaktivi- rie durfte sie gegen ein geringes Entgelt nutzen. Erst Graf täten und Getreideanbau nach Brandrodung verzögerten Franz Emerich von Lamberg und Gräfin Anna von Lamberg die natürliche Verjüngung. Folgende Wälder bzw. Waldteile (2. Hälfte des 19. Jahrhunderts) haben rund 20.000 Hektar wurden nur ein einziges Mal genutzt: Bereiche des Feu- im Ennstal an die Innerberger Hauptgewerkschaft verkauft erwaldes, Teile zwischen der Bretterries und dem Kien- und dadurch ihren restlichen Besitz (30.000 Hektar vor- rücken, Teile des Kitzkogels, des Grestenberges und des rangig im Steyrtal) von Holzbezugsrechten der Eisenindus- Boßbrettecks. trie lastenfrei gestellt. Die 20.000 Hektar der Innerberger Hauptgewerkschaft wurden an den Religionsfond verkauft Im Zorngraben wurde noch 1837 ein 200- bis 300-jähriger und ab 1925 von den Österreichischen Bundesforsten Urwald bestehend aus 60 % Buchen und 40 % Fichten be- bewirtschaftet. schrieben. Dieser Urwald wurde bis 1846 geschlägert (Wei- chenberger 1994, 1995, 1996, 1998). Hohe Steuern und die Wirtschaftskrise zwangen schließ- lich Vollrat Reichsgraf von Lamberg seinen restlichen Besitz In den höheren Lagen des Sensengebirges (um die Bären- 1938 an die Reichsforstverwaltung zu verkaufen. 1955 gin- riedlauhütte) wurden die Wälder im Zeitraum von 1780 bis gen die Besitzungen des Grafen Lamberg als ehemaliges 1830 geschlägert und nicht wieder aufgeforstet. Man war- Deutsches Eigentum ebenfalls an die Republik Österreich, tete auf den natürlichen Anflug. Die Holzbringung erfolgte Österreichische Bundesforste, über. mittels Riesen, Schlitten, Ochsen und Pferden. Der Verbiss Epochen der Waldgeschichte 17
Epoche der bewirtschafteten Wälder der Neuzeit (Technisierung des Transportwesens) Etwa ab 1880 wurde die Holzkohle durch Braun- und Stein- und Kiefer im überwiegenden Ausmaß die Fichte vertreten, kohle ersetzt (Bau der Eisenbahn). War früher die Qualität bei den Laubhölzern ist die Rotbuche Hauptbaumart – ne- des Holzes nach dem Transport zweitrangig (Holz wurde ben Ahorn und Esche (Flaschberger 2018). verkohlt), so stieg die Nachfrage nach hochwertigen unbe- schädigten Stämmen in den folgenden Jahren. Die Erträge Baumartenverteilung im Nationalpark um 1992 aus den Nutzhölzern betrugen ein Vielfaches des Kohl- und Baumart Anteil (%) Brennholzes. Buche (BU) 31,3 Stürme im Dezember 1916 und im Frühjahr 1917 verur- Esche (ES) 0,3 sachten Windwürfe und Windbrüche, die auf Grund der Ahorn (AH) 0,8 fehlenden Aufschließung und Kapazitäten (Erster Welt- krieg) nicht rechtzeitig aufgearbeitet werden konnten. Es Sonstige Laubhölzer (div. LH) 0,3 entstand verbreitet Borkenkäferbefall. Der überwiegende Summe Laubholz 32,5 Teil betraf die Wälder außerhalb des derzeitigen National- park Gebietes: den Brunnbach, den Sonnberg, den Anlauf, Fichte (FI) 49,2 die Brandnerlucke und den Hirschkogel, später auch die Lärche (LA) 14,5 Kaixen und die Roterd. Betroffen war aber auch das Hinter- gebirge im Jörglgraben: zum Beispiel Waldteile südlich des Kiefer (KI) 2,2 Alpsteins und Trämpls, sowie seine orografisch rechte Seite, Tanne (TA) 1,5 mit insgesamt 193.000 Festmetern (Weichenberger 1998). Summe Nadelholz 67,5 Getrieben von diesen Ereignissen wurde von 1918 bis 1922 mit dem Bau einer Waldeisenbahn (vorerst nur von Reich- Die Waldbewirtschaftung erfolgte auf Basis einer 10-jäh- raming nach Brunnbach) begonnen. 1937 wurde zum rigen Planung. Diese Planung wurde auf der Grundlage letzten Mal getriftet. Nach dem 2. Weltkrieg (1947–1951) von Standort (Boden, Exposition, Geländeverhältnisse, wurde der Bau der Waldeisenbahn bis nach Weißwasser Klima, Vegetation) und dem Zustand der Wälder (Alter, fortgesetzt, das Streckennetz erreichte eine Gesamtlänge Bestockung, Baumarten-Zusammensetzung, Schäden, von ca. 30 Kilometern. Verjüngung, etc.) erstellt. Die Endnutzung wurde in Form von Lichtungen, Femelungen, Räumungen, Absäumungen Artefakte (Zeugen aus dieser Zeit): und Kahlhieben unter Bedachtnahme auf den Folgebe- Lokomotive stand durchgeführt. Gleichzeitig erfolgten Aufforstungen Schienen und Waldpflegemaßnahmen (Kulturschutz, Kulturpflege, Tunnels Durchforstungen, etc.). Die Holzerntemenge betrug im der- Brücken zeitigen Nationalpark Gebiet rund 50.000 Festmeter, davon Leitungen (Telefon) rund 35 % Laubholz. 1971 wurde der Waldbahnbetrieb eingestellt. Die weitere Mit Gründung des Nationalpark Kalkalpen endete die wirt- Aufschließung erfolgte durch ca. 310 Kilometer Forststra- schaftliche Nutzung. Trotz der Jahrhunderte langen intensi- ßen, der Abtransport der Hölzer mittels LKW. Zu dieser Zeit ven Bewirtschaftung sind mehr als zwei Drittel der Wälder setzten sich die Wälder des Hintergebirges aus etwa zwei im Nationalpark Kalkalpen natürlich und naturnah zusam- Dritteln Nadelhölzern und einem Drittel Laubhölzern zu- mengesetzt (Kirchmeir, et al. 2014). sammen. Bei den Nadelhölzern ist neben Tanne, Lärche 18 Epochen der Waldgeschichte
Epoche der Wiedergeburt der Urwälder – Nationalpark Kalkalpen Oberstes Ziel im Nationalpark Kalkalpen ist der Prozess- Der Anteil der Lichtungen hat sich seit den 1990er Jahren schutz. Die Natur soll sich auf überwiegender Fläche ohne von 63 Hektar auf nunmehr 1.188 Hektar vergrößert (Flasch- Eingriffe des Menschen wieder frei entwickeln können. berger 2018). Der Grund liegt darin, dass im Nationalpark Windwürfe sind in unseren Breiten neben dem Borkenkäfer die Flächen nach Störereignissen nicht sofort aufgeforstet die Motoren der natürlichen Dynamik. Durch sie entstehen werden. Die Verjüngung wird nicht so gleichmäßig verteilt Lücken in den Wäldern. Es kommt Licht auf den Boden, wie in den Wirtschaftswäldern Österreichs sein. Die junge junge Bäume können sich ansamen und entwickeln. Die Folge ist ein Mo- Esche Ahorn saik an verschiedenen Baumarten mit 0,52 % 1% Buche Alters- und Höhenunterschieden. Sonstige 37,86 % Laubgehölze 1,13 % Diese Wiedergeburt der Urwälder ist bereits erkennbar. Seit der National- park Gründung hat sich der Anteil der Sonstige Buche um 22 % erhöht und jener der Nadelgehölze 0,34 % Fichte um 10 % verringert. Der Trend Tanne Fichte 0,74 % zum Baumartenwechsel begründet 45,03 % sich mit den Waldumbaumaßnahmen, Kiefer 2,12 % den Stürmen 2007 und 2008 sowie Lärche der Borkenkäfergradation von 2009 11,26 % bis 2011. Bei all diesen dynamischen Prozessen war überwiegend die Fichte betroffen. Gleichzeitig zeigt diese Ent- wicklung eine Angleichung an die na- Grafik der heutigen Baumartenzusammensetzung im Nationalpark Kalkalpen, 2018 türlichen Verhältnisse. Quelle: Bundesforste Nationalpark Betrieb Kalkalpen Sprunghafter Anstieg des Totholzanteiles nach den Stürmen 2007 – 2008 und dem Borkenkäferbefall 2009 – 2011. Epochen der Waldgeschichte 19
Wildnis wird lückig, ungleichaltrig, gemischt und ungleich- Laufe ihrer Entwicklung auf alte Bäume und Totholz an- mäßig hoch sein. Sie wird da und dort auch etwas länger gewiesen. Diesen Artenreichtum belegen die Forschungen brauchen. Es spielt keine Rolle, ob die Stämme starke oder im Nationalpark Kalkalpen: mehr als 1.500 Schmetterlings-, feine Äste haben, welche Baumart sie sind, ob sie gerade, 17 Fledermausarten, überdurchschnittliche Spechte- und ob sie drehwüchsig sind oder einen Zwiesel aufweisen. Schnäppervorkommen. Der Totholzanteil erhöhte sich im Nationalpark Kalkalpen vorrangig durch Stürme und dem Ein wesentliches Merkmal von unberührten Wäldern ist darauffolgenden Borkenkäferbefall von 16 Festmeter pro der Totholzanteil. Im Nationalpark Kalkalpen wird der Na- Hektar Wald im Jahr 1995 auf mittlerweile mindestens 32 tur die Chance gegeben, sich nach mehreren Jahrhunder- Festmeter (Nationalpark O.ö. Kalkalpen Ges.m.b.H. 2018). ten intensiver menschlicher Einflussnahme wieder frei zu entwickeln. Die abgestorbenen Bäume bilden reichhaltige Die umgestürzten Baumriesen sind einerseits Keimbett der Strukturen, welche den Artenreichtum in der Tier- und natürlichen Verjüngung und andererseits durch ihr mikado- Pflanzenwelt enorm fördern. Von rund 13.000 im Wald le- artiges Zusammenbrechen gleichzeitig Schutz vor Hirsch, benden Pflanzen-, Pilz- und Tierarten sind etwa 4.500 im Reh- oder Gamswild. Literatur Flaschberger J. (2018): Waldkartierung Nationalpark Weichenberger (1994): Die Holztrift im Nationalpark Kalk- Kalkalpen, Endbericht, Antrgsnr. 7.1.1b-l8-03/15, 238 S. alpen, Teil 1: Bestandsaufnahme, 309 S. Kirchmeir, H. & Jungmeier M. (2014): Hemerobieaus- Weichenberger (1995): Die Holztrift im Nationalpark Kalk- wertung von Waldflächen der Naturwaldinventur im Na- alpen, Teil 2: Geschichtliche Aufarbeitung, 312 S. tionalpark Kalkalpen 2014, Bearbeitung: E.C.O. Institut für Ökologie, Klagenfurt, 12 S. Weichenberger J. (1996): Waldgeschichte des Weißen- bachtales bei Reichraming, 66 S. Nationalpark O.ö. Kalkalpen Ges.m.b.H. (2018): 20 Jah- re! Nationalpark Kalkalpen – Band 20, Schriftenreihe Na- Weichenberger J. (1998): Waldgeschichte des Jörglgra- tionalpark Kalkalpen; 104 S. bens im Reichraminger Hintergebirge, 44 S. Österreichischer Forstverein (1994): Österreichs Wald – Vom Urwald zur Waldwirtschaft, 2. völlig überarbeitete und erweiterte Auflage, 544 S. 20 Epochen der Waldgeschichte
Funde erzählen! Artefakte im Nationalpark Kalkalpen Erich Mayrhofer Nutzung und Rückkehr der Wildnis Generationen an Holzknechten, Köhlern, Förstern, Jägern, Bergknappen, Sennerinnen und Bauern haben Spuren hinterlassen. Unzugängliche Schluchten, steile Einhänge, Felsklippen und Felswände hielten aber die Menschen vom Gebiet fern. So konnte sich in hintersten Winkeln und ent- legensten Gräben jenes Mosaik an wilden Wäldern halten, das für die Entwicklung des heutigen Nationalparks Voraus- setzung war. Aufmerksame Wanderer können im Reichraminger Hinter- gebirge und Sengsengebirge historische Funde entdecken und den Wandel der Landschaft zu einer Nationalpark Wildnis erleben. Historische Gegenstände wie Schlachtnägel, Halterungen für Steige und anderes Eisenzeug geben in der Ausstellung „Artefakte – Funde erzählen“ Zeugnis einer bewegten Ge- Rückkehr der Wildnis: aufgelassene Forststraße aus den 1960er Jahren. schichte. Seit der Gründung des Nationalpark Kalkalpen im Foto: E. Mayrhofer Jahre 1997 können wieder natürliche Ereignisse wie Wind- würfe beobachtet werden und dem interessierten Wande- UNESCO-Weltnaturerbe Gebiete eingetragen. Schon wäh- rer fallen große Mengen an Totholz, vereinzelt Knochen- rend der Einreichphase konnten Fragen über 260 Hektar reste von Tieren oder Abwurfstangen der Rothirsche auf. Buchen-Urwälder, eine 527 Jahre alte Buche und die Ver- Hinter jedem Fund verbirgt sich eine Geschichte. änderungen in der ursprünglichen Baumarten-Zusammen- setzung beantwortet werden. Dafür mussten Nachweise Nach mehreren Jahren wissenschaftlicher Untersuchungen und Funde analysiert sowie die Nutzungsgeschichte des über die alten Buchenwälder und Buchen-Urwälder, wurde Reichraminger Hintergebirges und Sengsengebirges doku- der Nationalpark Kalkalpen am 7. Juni 2017 in die Liste der mentiert werden. Artefakte und Nutzungsgeschichte Eisen und Holz dezentralisiert und auf benachbarte Täler und Gräben der Region verlagert, da sich in der Nähe des Erzbergs Holz- 900 Jahre Eisengewinnung mangel einstellte. Die Spezialisierung der Eisenverarbei- Erste schriftliche Nachrichten vom Erzabbau am steirischen tung setzte ein und die Vielzahl an Hämmern, Gewerken Erzberg stammen aus dem 12. Jahrhundert. 1287 erhielt und Kleineisenindustrien in den Tälern beschäftigten und Steyr kaiserliche Vorrechte und entwickelte sich so zum ernährten tausende Menschen. Beispielsweise gab es Zentrum des Eisenhandels und der Kultur. Im Verlauf des schon 1424 in Unterlaussa vier große Hämmer, einen Zain- 14. Jahrhunderts wurde die Weiterverarbeitung des Eisens hammer und 1658 standen zwei Wälsch- und drei kleine Funde erzählen! Artefakte im Nationalpark Kalkalpen 21
Große Klause im Reichraminger Hintergebirge 1925 | Quelle: E. Klausriegler Eisenhämmer im Betrieb (Rohleder 1898). Im Jahre 1779 zes auf dem Wasserweg äußerst wichtig, weil so auch ent- haben sich von 154 Nagelschmieden in Oberösterreich 138 legene Wälder geschlägert und das begehrte Holz mittels mit rund 1.150 Beschäftigten allein in Losenstein konzent- Trift über größere Strecken transportiert werden konnte riert (Sandgruber: Land der Hämmer; 1998, S. 97). (Weichenberger 1995, S. 12). 1587 benötigte ein Sensen- werk im Jahr etwa 370 Kubikmeter Holzkohle, wofür eine Da der Bedarf an Holzkohle enorm stieg, setzten umfang- Waldfläche von circa 800 Hektar erforderlich war. reiche Schlägerungsarbeiten in den Wäldern ein. In den sogenannten Verlasswäldern wurde das Holz vom Burggra- Zu Beginn des 16. Jahrhunderts zwang der Holzmangel die fen den Eisenverarbeitungsbetrieben zugewiesen. 1655 er- Planung eines Schiff- und Rossweges von Steyr aufwärts. laubte zum Beispiel Johann Maximilian Graf von Lamberg, Der Tiroler Werkmeister Hans Gasteiger führte dazu die Burggraf zu Steyr, der Innerberger Hauptgewerkschaft zur Schiffbarmachung der Enns bei Kleinreifling so geschickt durch, dass bereits 1565 der Schiffsverkehr zwischen Steyr und dem Kasten bei Weyer aufgenommen werden konnte. In jeder Ladstatt befanden sich eigene Fertiger, welche die Verladung des Eisens besorgten. Das Ladstattbuch zu Weiß- enbach weist für die Zeit von 1. Mai 1568 bis 30. April 1570 aus, dass von Weißenbach 599 Flöße und 78 Schiffe mit insgesamt 35.956 Zentner Eisen nach Steyr zur Abfuhr ge- langten. Der Schifffahrtsbetrieb änderte sich im Laufe drei- er Jahrhunderte nur wenig. Zur Deckung des Holzbedarfs existierten im Hinter- und Sengsengebirge über 100 Kohl- plätze, rund 50 Klausen und 16 Holzfangrechen. Forstämter waren die Verwaltungsstellen des Waldes. Die Holzknechtpasse St. Pankraz 1925 | Quelle: E. Mayrhofer Abgaben an die Herrschaft Steyr bestanden vielfach in Holz. Bei der Waldnutzung Losensteins scheinen bereits im Bearbeitung der Hammerwerke in Unterlaussa die Wald- Jahre 1313 zwei Flöße auf, die nach Steyr geliefert werden nutzung des Holzgrabens gegen Entschädigung. Aufgrund mussten. An den Ladstätten, den Kohl- und Lagerplätzen des enormen Holzkohlebedarfs war die Bringung des Hol- sowie Holzrechen wurden penible Aufzeichnungen über 22 Funde erzählen! Artefakte im Nationalpark Kalkalpen
Waldbahn, Roll- und Seilbahnen: Erschließung des Hintergebirges ab 1912 | Quelle: E. Mayrhofer Funde erzählen! Artefakte im Nationalpark Kalkalpen 23
die angelieferten Produkte geführt. Im Wald trieben sich Verladeeinrichtungen, Kreuzungen und Umschlagplätze allerlei Leute herum, stellte der Chronist Pfarrer Aschauer bis zum Jahr 1964. Allein die 15,9 Kilometer lange Wald- aus Losenstein fest. 1754 werden Pechhacker aufgezählt, bahnstrecke ins Hintergebirge hatte 19 Tunnels mit einer Waldgeherinnen und Waldgeher, 1820 ein Waldbereiter, Gesamtlänge von 1.922 m, 41 Brücken und 8 geschweißte um 1850 sind Pechler und Pechölbrenner gemeinsam mit Blechträgerbrücken mit einer Länge zwischen 16 und 27 m. den Köhlern und Holzknechten im Wald unterwegs. Wei- Der letzte Zug fuhr am 2. Juni 1971 von der Großen Klause ßes und schwarzes Wacholderöl wurde hergestellt, Öl aus nach Reichraming. Der Bahnkörper wurde dann für die Er- Haselholz und Tannenzapfen. Die Bauern erhielten von der weiterung des Forststraßennetzes verwendet. Herrschaft Steyr ein gewisses Maß Kohlholz zugewiesen, das sie dann den Schmieden lieferten, wofür sie Kohlezins bezahlen mussten. Um 1850 war das Kohlen noch überall üblich, mit dem Rückgang der Schmieden hörte es später fast ganz auf. 500 Jahre Holztrift – Arbeit über Generationen Im Hinter- und Sengsengebirge war die Holztrift über 500 Jahre lang üblich. Heute sind noch über 42 Klausen, 16 Holzfangrechen, kühne Triftsteige und über 100 Kohl- plätze nachweisbar (Weichenberger 1994). 1470 wurden erste Schlägerungen am Schneeberg in Reichraming durch- geführt und zwischen 1765 und 1805 wurde der große Urwald im Jörglgraben abgestockt. Um 1826 standen über 240 Almgebäude, Mannschaftsquartiere, Jagdhütten und Forsthäuser auf dem heutigen Nationalpark Gebiet. Bis Einstige Waldbahn im Reichraminger Hintergebirge | Foto: Bundesforste Ende des 19. Jahrhunderts waren ca. 170 Personen auf Nationalpark Betrieb Kalkalpen den Almen als Sennerinnen, Viehhüter oder Boten be- schäftigt. 1970 hatte die Forstverwaltung Reichraming noch Bergbau 460 Holzknechte, Förster und Jäger im Personalstand. Waldeisen wurden jene, meist minderwertigen Schürfe nach Eisen genannt, die im Hinter- und Sengsengebirge, Waldbahn ins Hintergebirge 1916 – 1971 zum Beispiel in Ternberg, Molln oder Unterlaussa situiert Im Einzugsbereich des Reichramingbaches wurde das Holz waren und mit nicht so hohen Steuern wie das Eisen vom bereits im 14. Jahrhundert bis ins Ortsgebiet von Reichra- Erzberg belegt waren. Die Funde im Bereich dieser Abbau- ming getriftet und beim „Schallauer Rechen“ angeländet. gebiete sind zahlreich. Der hohe Holzbedarf der eisenverarbeitenden Industrie und später der Bauwirtschaft und Möbelindustrie intensi- Um das Bergwerksdorf Weißwasser wurde zuerst nach Ga- vierte die Suche nach neuen Transportmöglichkeiten. 1912 gat, dann nach Bohnerzen und schließlich ab dem 19. Jahr- wurde im Weißenbach eine einfache Rollbahn zum Holz- hundert nach Kohle und Bauxit geschürft. 1945 und 1947 transport gebaut. Die Hauptstrecke der Waldbahn entstand waren beim Bauxitabbau am Blahberg und bei Weißwas- 1916, nachdem 70.000 Festmeter Fichten vom Wind ge- ser bis zu 1.000 Personen im Einsatz. Daher finden sich worfen wurden. Wegen des Arbeitskräftemangels im Ersten noch heute überall Reste alter Bergbaueinrichtungen wie Weltkrieg blieb das meiste Holz liegen und führte 1922 zu Seilbahnen, Stollen, Schürfe und Steige. In Weißwasser be- einer Borkenkäferkatastrophe, durch die in der Folge über fanden sich einst 54 Gebäude, von der Hydraulikstation eine Million Festmeter Holz vernichtet wurden. Zwischen über zwei Geschäfte, eine Schule, Seilbahnanlagen, Mann- 1919 und 1923 sind von der Schallau in Reichraming bis schaftsquartiere und Büros bis hin zu einem Wirtshaus. Brunnbach 22 Kilometer Schienen verlegt worden. Es folg- Nichts von dem ist übriggeblieben, außer dem vom Blah- ten 1922 die Verbindungsstrecke von der Schallau zum berg nach Unterlaussa verlegten Knappenhaus als heutiges ÖBB Bahnhof Reichraming, in den Jahren 1947/48 die Stre- Museum und Erinnerungsstätte. cke Mayralm – Weißwasser sowie die Errichtung einzelner 24 Funde erzählen! Artefakte im Nationalpark Kalkalpen
Luftseilbahnen der Firma Bleichert & Co Leipzig 1918 – 1926 Nach Kriegsende im Herbst 1918 wurde mit der Aufarbeitung des Borkenkäferholzes im Hin- tergebirge begonnen. Die Angaben über die Menge des Schadholzes schwanken zwischen einer Million und zwei Millionen Festmeter. Um weitere Gefahren durch die Ausbreitung des Borkenkäfers zu verhindern, übernahm der Holzgroßhändler Josef Bachbauer aus Weyer, der durchschnittlich 600 Arbeiter beschäftigte, Köhler vor Meiler | Quelle: Nationalpark Kalkalpen Archiv den Abtransport des Holzes. Dazu wurde am 19. Juni 1923 eine Seilbahn der Firma Bleichert Steinkohleabbau 1875 – 1944 & Co. aus Leipzig in Betrieb genommen. Die Bereits 1830 und zwischen 1875 und 1881 war die Lager- Länge der Bahn betrug knapp 9 Kilometer und führte von stätte für Steinkohle am Sandl im Hintergebirge durch eine der Beladestation in Weißwasser zur Entladestation in den Abbautätigkeit bekannt. 1918 hat die Firma Reithoffer‘s Hammergraben. Zum Zu- und Abtransport des Holzes wur- Söhne, Gummi- und Kabelfabrik in Garsten, zur Deckung den Zubringereinrichtungen wie eine Seil- und Rollbahn ihres eigenen Kohlebedarfs für den Betrieb einer Dampf sowie eine Waldbahn errichtet. In Kleinreifling wurden durchschnittlich täglich 10 – 12 Wag- gons Blochholz auf die Gleise der Österreichischen Bun- desbahnen verladen. Die Seilbahn wurde am 15. Juli 1926, nachdem sie ungefähr 200.000 Festmeter Holz befördert hatte, eingestellt und demontiert (Mitteilungen Ingenieur Hans Harrer; Klaus-Dieter Richter in: Weißwasser: Werden und Vergehen einer Siedlung im Reichraminger Hinterge- birge, Eigenverlag 2015). Die gleiche Firma Bleichert & Co Patent aus Leipzig-Gohlis baut 1926 eine Seilbahn zum Holztransport vom Ebenforst ins Tal nahe dem Wasserboden. Zur selben Zeit baute die Firma Bleichert weitere Bahnen: Reste der Talstation der Luftseilbahn auf den Ebenforst. | Foto: E. Mayrhofer 1926: Kreuzeckbahn, Garmisch-Partenkirchen 1926: Raxseilbahn, Hirschwang, Nieder- kesselanlage die Schürfrechte erworben. österreich (erste österreichische Der Kohleabbau startete 1921 und Seilbahn) die Stollen wurden durch Mate- 1926: Tiroler Zugspitzbahn rialseilbahnen mit 3,6 Kilometer (form. Österreichische Zug- Länge vom Sandl ins Dörfl spitzbahn), Ehrwald, Tirol, und 6,0 Kilometer weiter nach Österreich fer rho Di Weißenbach Bahnhof mit In- F ir m 1927: Pfänderbahn, Bregenz, e ay aB E. M dustriegleisanschluss erschlossen. l e ic h to : Österreich ert | Fo 1925 wurde der Abbau von Steinkohle a us Le i p z i g a h n e n. 1927: Ebensee – Feuerkogel im b a u t e m e hr er e S eil b eingestellt und 1934 bis 1944 inklusive Seil- Höllengebirge, Oberösterreich bahnen von Waagner und Biro an die Wiener Trakota- 1927: Engelberg – Trübsee, Schweiz gen Handelsgesellschaft verpachtet. 1927: Schmittenhöhe, Zell am See, Österreich Funde erzählen! Artefakte im Nationalpark Kalkalpen 25
Materialseilbahn Weißwas- ser – Weißenbach/Enns von 1943 – 1964 Einst stand im Bergbaugebiet Weißwas- ser/Unterlaussa im Reichraminger Hin- tergebirge die längste Materialseilbahn Europas. Insgesamt 89 Stützen umfasste dieses montanhistorisch bemerkenswerte Bauwerk. Das geförderte Material (Bauxit zur Aluminiumerzeugung) wurde zur Ver- ladestation zum Bahnhof Weißenbach an der Enns gebracht und legte dabei eine Großer Kohlebedarf für Dampfkessel der Firma Reithoffer in Garsten 1904 | Quelle: E. Mayrhofer Entfernung von über 13 Kilometer zurück (mit den Nebenbahnen betrug die Ge- 1928: Predigtstuhlbahn, Bad Reichenhall samtlänge sogar über 18 Kilometer). 1928: Krossobanen, Rjukan, Norwegen 1928: Patscherkofelbahn, Innsbruck, Österreich Im März 1943 genehmigt und im August 1944 in Betrieb genommen, wurden der Seilbahn für damalige Zeiten sehr 1962 wurde die Firma Bleichert zur PHB Pohlig-Heckel-Blei- strenge Naturschutzauflagen auferlegt. So musste die Sohle chert Vereinigte Maschinenfabriken AG, Köln, zusammen- des Durchhiebes mit den üblichen Waldkräutern und Stau- geführt und von der Friedrich Krupp AG übernommen. den wiederbepflanzt werden. Insbesondere Haselbüsche, Krupp integrierte die PWH Anlagen und Systeme GmbH Wollschneeball, Heckenkirsche und Wacholder wurden zur Begrünung verwendet. Die beim Seilbahnbau freigelegten Felsen mussten ebenfalls laut Bescheid der Berghaupt- mannschaft Salzburg durch Aufschütten von Waldstreu wie- derbegrünt werden. Auszug aus oben genanntem Bescheid: “Schutthalden dürfen auf keinen Fall bleiben. Es ist dafür zu sorgen, dass diese Steinhäufen, die durchaus kein Schmuck der Landschaft sind, so rasch wie möglich entweder dem Straßenbau zur Verfügung gestellt werden oder als Bau- bruchsteine den Ortsgemeinden.” Lob gab es in besagtem Bescheid für den Durchführungsstadel an der Hengststraße (Straßenquerung). Diese Querung war aus Holz gefertigt und mit Holzschindeln gedeckt. Der Bescheid dazu: “… fügt sich recht gut ins Landschaftsbild ein. Unbedingt erforder- lich ist aber ein Ausgleich der Überhöhe des Bauwerkes, die durch die Pflanzung von mindestens vier starken Birnbäu- men umsäumt von einigen Hollerbüschen herzustellen ist.” Soviel zum Thema Umweltschutz im Jahre 1944! Reste der Luftseilbahn im Hammergraben | Foto: E. Mayrhofer Gebaut wurde die Seilbahn von der Leipziger Firma Blei- in seine Krupp Industrietechnik GmbH, die dann als Krupp chert-Transportanlagen GmbH nach dem sogenannten Fördertechnik GmbH auftrat. Der Seilbahnbereich wur- “Zenith-System”, benannt nach der Kupplungsart der de jedoch aufgegeben, technische Seilbahnzeichnungen Seilbahnhunte (Zenithkupplung). Die Seilbahnanlage war wurden an Doppelmayr veräußert. Damit endeten auch in drei Sektionen gegliedert. Sektion 1 umfasste die Stre- in Westdeutschland die noch verbliebenen Reste der Seil- cke “Zentralstation Weißwasser (Z-Station) – Antriebstation bahntradition der Firma Adolf Bleichert & Co. Unterlaussa (A-Station). Die Sektion 2 verlief zwischen der A-Station und der Entladestation Weißenbach (E-Station). 26 Funde erzählen! Artefakte im Nationalpark Kalkalpen
Zubringerbahn Weißwasser für Seilbahn Kleinreifling | Quelle: E. Mayrhofer Die Sektion 3 erschloss die Strecke Weißwasser (Z-Sta- tion) – Winkelstation (W-Station) beim Abbaugebiet Prä- fing – Kopfstation (K-Station) – Abbaugebiet Gräser. Die Förderleistung war wegen der Holzstützen mit 20 Ton- nen pro Stunde sehr begrenzt (1,2 m/s Seilgeschwindig- keit, 850 kg/Hunt, 150 Meter Wagenabstand, das sind alle Seilbahnstütze der Materialseilbahn Unterlaussa | Quelle: E. Mayrhofer 125 Sekunden ein Wagen). In der Regel war die Seilbahn pro Woche drei Tage in Betrieb. An zwei Tagen wurden die Seil gleichmäßig belastet wurde. Weiter Richtung E-Station anfallenden Reparaturen an Seil, Stützen, Antriebseinheiten passierte die wertvolle Fracht die Antriebsstation in Unter usw. getätigt. Schadhafte Seilteile wurden neu eingespließt, laussa, querte die Hengststraße und erreichte am Hocheck morsche Teile bei den Stützen ersetzt. Diese Arbeiten erle- eine Winkelstation. Gleichzeitig war dies der höchste Punkt digten stets zwei bis drei Arbeiter der Werkstätte Weißwas- auf der Fahrt Richtung Entladestation. ser (Richter 2015 S. 677 ff). Entladestation Weißenbach Kopfstation Blahberg (K-Station) Beim Bahnhof Weißenbach befanden sich die Entlade- Hier wurden die gewonnenen Bauxite in drei Sorten ein- bunker der Seilbahn. Sechs betonierte Speicher fassten je geteilt und so verladen. 250 Tonnen Bauxit. Die Entleerung erfolgte durch Kippen der Hunte in die dafür vorgesehenen Bunker. Von hier wur- Winkelstation Prefing Nord (W-Station) den Eisenbahnwaggons befüllt und der Rohstoff nahm sei- In der Nähe des Präfing Stollens machte die vom Blah- nen vorbestimmten Weg zur Weiterverarbeitung. berg kommende Seilbahn eine Richtungsänderung von ca. 60 Grad. Auch hier in der sogenannten Winkelstation wur- Seilbahnstützen de nach Sortierkriterien Rohstoff verladen. Von hier liefen Insgesamt waren 89 Stützen nötig, um das Seil vom Abbau- die Hunte weiter talwärts zur Z-Station Weißwasser. gebiet bis zum Verladebahnhof Weißenbach zu spannen. 87 davon waren aus Holz und standen auf Betonfunda- Zentralstation Weißwasser (Z-Station) menten. Wegen der großen Spannweite beim Übergang Hier wurden die ankommenden Seilbahnhunte automa- vom Schwarzeck auf das Hocheck wurden die Stützen 71 tisch vom Zugseil ausgeklinkt und auf den langen Seil- und 72 aus Stahl ausgeführt. Die Spannweite zwischen die- bahn-Abschnitt Richtung Entladestelle Weißenbach ge- sen Stützen betrug unglaubliche 1.040 Meter. schickt. Ein Arbeiter kuppelte die Hunte händisch ein, dabei musste er auf regelmäßige Abstände achten, damit das Funde erzählen! Artefakte im Nationalpark Kalkalpen 27
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