KOHLEAUSSTIEG UND STRUKTURWANDEL - IN SACHSEN-ANHALT Kay Senius Wolfgang Höffken (Hrsg.)
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Kay Senius Wolfgang Höffken (Hrsg.) KOHLEAUSSTIEG UND STRUKTURWANDEL IN SACHSEN-ANHALT Landesbüro Sachsen-Anhalt
Friedrich-Ebert-Stiftung, Landesbüro Sachsen-Anhalt IMPRESSUM © 2020 by Friedrich-Ebert-Stiftung Landesbüro Sachsen-Anhalt Otto-von-Guericke-Str. 65 39104 Magdeburg Lektorat Robert Kreusch, Leipzig Fotos Umschlag: Titelfoto: dpa Picture Alliance; Si-Gal/iStockphoto.com Umschlagillustration S. 2 und 3: drafter123/iStockphoto.com Layout Pellens Kommunikationsdesign GmbH, Bonn Druck Druckerei Brandt GmbH, Bonn ISBN 978-3-96250-771-8 Eine gewerbliche Nutzung der von der FES herausgegebenen Medien ist ohne schriftliche Zustimmung durch die FES nicht gestattet.
KOHLEAUSSTIEG UND STRUKTURWANDEL IN SACHSEN-ANHALT Inhalt Grußwort Sebastian Hartmann 4 Vorwort Kay Senius Alexander Lengstorff Wendelken Wolfgang Höffken 6 Politische Visionen Prof. Dr. Armin Willingmann 10 Christiane Schönefeld und Katrin Labude 15 Dr. Frank Danek 19 Felix Schultz 22 Demokratie, Arbeitsmarkt, Regionalpolitik Thomas Krüger 27 Dr. Per Kropp 31 PD Dr. Mirko Titze 36 Technische Voraussetzungen Achim Zerres 45 Jens Hobohm 52 Prof. Dr.-Ing. Przemyslaw Komarnicki 58 Regionale Auswirkungen Dr. Angelika Klein 63 Andreas Hensel 67 Wirtschaftliche Perspektive Dr. Markus Lorenz 73 Die Autorinnen und Autoren 78
Friedrich-Ebert-Stiftung, Landesbüro Sachsen-Anhalt Grußwort Deutschland. Willy Brandt hat früh erkannt, dass moderne Umweltpolitik und soziale Gerechtigkeit zusammengehören. Das gilt noch immer. Auch deshalb wird die ganze Welt nun auf Deutschland schauen, ob uns die Energiewende gelingt. Denn wir sind das erste Land, das gleichzeitig aus der Atom- und der Kohleenergie aussteigt. Kein leich- ter, sondern ein anspruchsvoller Weg. Wenn der Weg gelingt, wird er weltweit als Vorbild dienen. Daran arbeiten wir in NRW und in Sachsen-Anhalt gemeinsam. Sebastian Hartmann Landesvorsitzender der NRW-SPD | © NRWSPD Ich freue mich daher sehr, dass es der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ (KOM WSB) gelungen ist, einen politischen Kon- Liebe Leserin, lieber Leser, sens über den Ausstieg aus der Kohleverstromung bis spätestens 2038 herzustellen. Umso mehr, weil wir in Nordrhein-Westfalen bezeichnen uns gerne es die SPD war, die darauf gedrängt hatte, eine als Weltmeister des Strukturwandels. Wir wissen, Kommission einzusetzen. Inzwischen hat der Bun- dass man Umbrüche nicht aufhalten kann, son- destag das Kohleausstiegs- und Strukturstärkungs- 4 dern sie gestalten muss. Das war nicht immer so. gesetz auf den Weg gebracht. Als Willy Brandt 1961 in einer Wahlkampfrede for- derte, der Himmel über dem Ruhrgebiet müsse Es ist nicht selbstverständlich, einen Strukturwan- wieder blau werden, wurde er von nicht wenigen del ganz ohne gesellschaftliche Verwerfungen hin- belächelt. Inzwischen ist das Ruhrgebiet Vorbild: zubekommen. Überlagert wird diese Herausforde- Jährlich pilgern selbst chinesische Delegationen rung nun zusätzlich durch die Corona-Pandemie, nach Bochum, Dortmund und Gelsenkirchen, um den fortschreitenden digitalen Wandel und – in zu lernen und zu verstehen, wie wir in NRW die Sachsen-Anhalt – die Erinnerung an die harten Ein- Transformation einer von der Montanindustrie ge- schnitte nach der Wiedervereinigung. prägten Region zu einer modernen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft geschafft haben – und Ich bin überzeugt, dass wir nur dann alle Bürgerin- dennoch weiter mitten im Wandel stehen. nen und Bürger auf diesem Weg mitnehmen kön- nen, wenn wir auch allen eine gute Perspektive Der blaue Himmel über der Ruhr steht aber auch bieten. Es wird deshalb darauf ankommen, indus für den Beginn des umweltpolitischen Denkens in trielle Strukturen nicht einfach abzubauen, son-
KOHLEAUSSTIEG UND STRUKTURWANDEL IN SACHSEN-ANHALT Zeche Zollverein in Essen | © justhavealook/iStockphoto.com dern weiterzuentwickeln sowie gute und tariflich und Zivilgesellschaft – begleitet und Ideen entwi- abgesicherte Arbeitsplätze zu erhalten bezie- ckelt, den Strukturwandel zu einem erfolgreichen hungsweise neue zu schaffen; dass wir solidarisch Wandel für die Menschen zu machen. 5 miteinander sind und die unterschiedlichen Regio- nen und Teile der Gesellschaft zusammenhalten. Unsere beiden Länder verbindet die Chance, un So schaffen wir Sicherheit im Wandel und Akzep- sere Art zu arbeiten und zu wirtschaften neu zu tanz in der Bevölkerung. erfinden, indem wir Klima, Wirtschaft und soziale Standards nicht weiter gegeneinander ausspielen, Dank gilt der Friedrich-Ebert-Stiftung in Sachsen- sondern – ganz im Sinne Willy Brandts – zusam- Anhalt, die den Transformationsprozess gemein- mendenken. sam mit Vertreterinnen und Vertretern aus ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen – Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Lesen! Ein Politik, Wissenschaft, Wirtschaft, Gewerkschaften herzliches Glückauf!
Friedrich-Ebert-Stiftung, Landesbüro Sachsen-Anhalt Vorwort Kay Senius Alexander Lengstorff Wendelken Wolfgang Höffken Bundesagentur für Arbeit | Geschäftsführung Personal Mibrag | Friedrich-Ebert-Stiftung, Landesbüro © Bundesagentur für Arbeit © MIBRAG Sachsen-Anhalt | © raykweber.com Das „Impulspapier Strom 2030“ hatte einen un- Die Energiegewinnung aus dem Rohstoff Kohle scheinbaren Namen, aber es hat im Jahr 2016 hat in Deutschland eine lange Tradition. Im Jahr den Grundstein für einen Transformationsprozess 1885 nahm in der Markgrafenstraße in Berlin das in Deutschland gelegt, der aufgrund seines Um- erste öffentliche Wärmekraftwerk Deutschlands fangs und seiner Reichweite ganze Regionen in seinen Dienst auf. Es bestand aus sechs Dampf- Deutschland tiefgreifend verändern wird. Nach maschinen und versorgte zu Beginn die Reichs- dem fünf Jahre zuvor beschlossenen Ausstieg aus bank und das Schauspielhaus mit elektrischem 6 der Atomenergie folgte damit die politische Ent- Strom. Das erste öffentliche Kraftwerk auf Basis scheidung, in Deutschland ebenfalls die Energie- von Braunkohle folgte 1892 in Frechen bei Köln. gewinnung aus Kohle zu beenden. Grund dafür Der Energiebedarf während der Industrialisierung war und ist vor allem das Anliegen, die Klima- in Deutschland stieg beinahe täglich. Daher wur- schutzziele zu erreichen und den CO2-Ausstoß den auch die Anlagen immer größer – ebenso Deutschlands signifikant zu senken. Hinzu kommen wie der Bedarf an Arbeitskräften, deren Arbeits- weitere Aspekte des Umwelt- und Naturschutzes, bedingungen Ende des 19. Jahrhunderts in den die den Abbau von Braunkohle betreffen. sich bildenden industriellen Zentren katastrophal waren. Insofern steht die Geschichte der Arbei- Noch im Jahr 2015 betrug der Internationalen tervereinigungen, der Gewerkschaften und letzt- Energieagentur IEA zufolge der Anteil der Kohle lich auch die der SPD, die das Ziel hatten, die am weltweiten Strommix etwas mehr als 40 Pro- Bedingungen für die Arbeiterinnen und Arbeiter zent. Auch in Deutschland lag in jenem Jahr der zu verbessern, in engem Zusammenhang mit Anteil des aus Braun- sowie Steinkohle gewonne- dem Rohstoff Kohle und den damit zusammen- nen Stroms auf einem vergleichbaren Niveau. hängenden Industrien.
KOHLEAUSSTIEG UND STRUKTURWANDEL IN SACHSEN-ANHALT Die Gewinnung von Strom aus Kohle, Unterneh- der Öffentlichkeit große Anerkennung und Zu- men, die diesen Strom nutzten, oder auch Hand- stimmung. In großen Teilen folgte dann auch werksbetriebe unterschiedlicher Größe, die sich die Bundes- und Landespolitik den Vorschlägen beispielsweise mit der Instandhaltung der Kraft- der Expertinnen und Experten. Bis 2035 soll nun werksanlagen befassten, bildeten die finanzielle in Mitteldeutschland aus der Verstromung von Grundlage vieler Arbeiterfamilien. Dies gilt bis Kohle in Deutschland ausgestiegen werden. Da- heute. Auch wenn aufgrund des technischen für stellt der Bund bis zu 40 Milliarden Euro zur Fortschritts und anderer Veränderungen in der Verfügung, die zur Gestaltung des Strukturwan- Arbeitswelt weniger Menschen am Abbau von dels genutzt werden sollen. Auf das Bundesland Braunkohle und der Energiegewinnung beteiligt Sachsen-Anhalt entfallen davon etwa 4,8 Milliar- sind, prägen Unternehmen wie die Mitteldeutsche den Euro. Braunkohlengesellschaft (MIBRAG) ganze Regionen und individuelle (Familien-)Biografien. Dr. Ringo Wagner vom Landesbüro Sachsen-An- halt der Friedrich-Ebert-Stiftung hat diese Ent- Der beschlossene Kohleausstieg hat also weitrei- wicklung zum Anlass genommen, um einen Ar- chende Folgen. Und wie auch schon in der Ver- beitsprozess zu initiieren, der das Ziel verfolgt, gangenheit ist es eine der zentralen Aufgaben das Thema „Kohleausstieg und Strukturwandel“ sozialdemokratischer Politik, diese Veränderun- öffentlich diskutieren zu können – und zwar so gen zum Wohle der Allgemeinheit zu gestalten. lange, wie es erforderlich ist. Mit der Bundes- Die Entscheidung des Ausstiegs trifft dabei ver- agentur für Arbeit und der Mibrag AG sind früh- schiedene und wirtschaftlich ganz unterschiedlich zeitig strategische Partner gefunden und einge- aufgestellte Regionen. Mit Blick auf Sachsen-An- bunden worden. Gemeinsam haben wir einen halt sind es vor allem von Disparitäten gekenn- Fachdialog konzipiert, mit Experten und Beteilig- zeichnete Gebiete, die diesen Ausstieg strukturell ten aus Politik, Verwaltung, Unternehmen und weniger gut auffangen können. Zivilgesellschaft, der die aktuelle Situation in Sachsen-Anhalt darstellte, Perspektiven aufzeigte Die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und und dabei stets die Möglichkeiten vor Ort im Fo- 7 Beschäftigung“, die wohl eher unter der Kurz- kus hatte. Er fand am 4. März 2020 in Freyburg form „Kohlekommission“ bekannt ist, beschäf- statt – natürlich im mitteldeutschen Braunkohle- tigte sich von Juni 2018 bis zur Vorlage ihres revier. In dieser Runde wurde von den Teilneh- Abschlussberichts im Januar 2019 daher auch in- menden immer wieder hervorgehoben, dass eine tensiv mit den zu erwartenden Folgen des Kohle- Gestaltung des bevorstehenden Wandels die Be- ausstiegs. Dass dabei versucht wurde, möglichst teiligung der Bürgerinnen und Bürger schlicht- alle Facetten zu berücksichtigen, zeigt die Zusam- weg notwendig macht, um Vorschläge zu erar- mensetzung dieses Gremiums: Ministerpräsiden- beiten, die schließlich Akzeptanz sowie Anerken- ten, Landräte, Vertreter und Vertreterinnen von nung erfahren und letztlich auch eine Wirkung kommunalen Verbänden, Bürgerinitiativen, der vor Ort erzielen können. Gerade vor dem histori- Gewerkschaft IGBCE, des Umweltverbands BUND schen Hintergrund des letzten großen Struktur- und von Greenpeace, außerdem Arbeitsmarktfor- wandels in unserer Region, der Wiedervereini- scherinnen und -forscher und viele weitere. Die gung, die kaum mehr als eine Generation zurück- Empfehlungen der Kommission fanden dabei in liegt, wird diese Notwendigkeit umso deutlicher.
Friedrich-Ebert-Stiftung, Landesbüro Sachsen-Anhalt Die Menschen dürfen nicht den Eindruck bekom- Die vorliegende Publikation möchte die Dialog- men, von einer so weitreichenden Entscheidung beiträge ganz unterschiedlicher Professionen do- übermannt zu werden, und am Ende das Gefühl kumentieren, diese der interessierten Öffentlich- haben, aus ihrer Sicht ein weiteres Mal schlechter keit zugänglich machen und Denkanstöße für die dazustehen als vorher. Es gilt zuzuhören, wenn weitere Gestaltung dieses langfristigen Struktur- Betroffene ihre Sorgen und Befürchtungen zum wandelprozesses geben. Dabei soll auch deutlich Ausdruck bringen, die auch immer mit den Ent- werden, dass es neben den Problemen und wicklungen nach 1989/90 in Verbindung stehen. Herausforderungen, die bis 2035 und darüber Die Potenziale und indivi duellen Biografien der hinaus vor uns liegen, zahlreiche – aus den Regio Menschen müssen Beachtung finden und dürfen nen selbst stammende – Ideen gibt, die darauf nicht ungenutzt bleiben. abzielen, den Menschen glaubwürdige und nach- haltige Perspektiven zu geben. 8
KOHLEAUSSTIEG UND STRUKTURWANDEL IN SACHSEN-ANHALT Politische Visionen © picture alliance/dpa | Peter Gercke; PureSolution/Shutterstock.de
Friedrich-Ebert-Stiftung, Landesbüro Sachsen-Anhalt Statement: „Energiewende und Klimaschutz – Ziele, Aufgaben, Perspektiven, Kritik“ auch in Wirtschaft und Gesellschaft. So führt die Beendigung der energetischen Nutzung der Kohle zu erheblichen Einschnitten in bestehende Wert- schöpfungs- und Beschäftigungsstrukturen in den betroffenen Kohlerevieren wie dem Mitteldeut- schen Revier. Insbesondere in Ostdeutschland, wo sich die wirtschaftlichen Verwerfungen nach der Wiedervereinigung fest ins Gedächtnis der Men- schen eingebrannt haben, ist die Verunsicherung hinsichtlich solcher Eingriffe groß. Prof. Dr. Armin Willingmann Neben den mit einem Kohleausstieg verbundenen Landesminister für Wirtschaft, Wissenschaft und strukturpolitischen Herausforderungen bleibt der Digitalisierung in Sachsen-Anhalt | © MW/Harald Krieg Ausstieg aus der energetischen Nutzung der Braunkohle gleichwohl eine große energiepoliti- sche Herausforderung, denn Energie muss auch Mit dem Klimaschutzplan 2050 hat sich Deutsch- zukünftig für Bürger und Bürgerinnen wie für Un- land auf den anspruchsvollen Weg gemacht, bis ternehmen sicher und bezahlbar bleiben. Versor- Mitte des Jahrhunderts eine nahezu vollständige gungssicherheit und Bezahlbarkeit sind essentiell Treibhausgasneutralität von Wirtschaft und Gesell- für die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstand schaft zu erreichen. Wichtiger und im Bundes ortes Deutschland. Auf Sachsen-Anhalt blickend ist 10 klimaschutzgesetz 2019 verankerter Meilenstein dabei insbesondere an die Unternehmen der ener- auf diesem Transformationspfad ist die Verringe- gieintensiven Industrie zu denken, die sich rund um rung der Treibhausgasemissionen um mindestens das Mitteldeutsche Revier angesiedelt haben. 55 Prozent bis zum Jahr 2030 im Vergleich zum Jahr 1990. Für den Teilsektor der Energiewirtschaft Eine gesellschaftlich tragfähige und sozialverträg ergibt sich aus dem Klimaschutzplan für den sel- liche Gestaltung des Ausstiegs aus der Kohlever- ben Vergleichszeitraum die Zielstellung einer Ver- stromung in Deutschland ist mit Blick auf die his ringerung der Emissionen um 61 bis 62 Prozent. torische Dimension und die Folgenkomplexität des Kohleausstiegs ein außerordentlicher politischer Dem schrittweisen Ausstieg aus der Kohleverstro- Kraftakt. Dies haben die vergangenen Monate mung kommt mit Blick auf die Erreichung der eindrucksvoll gezeigt. nationalen Klimaschutzziele eine Schlüsselrolle zu. Der damit einsetzende Transformationsprozess Bereits Ende Januar 2019 hat die von der Bundes- führt allerdings nicht nur zu tiefgreifenden Verän- regierung im Sommer 2018 eingesetzte Kommis derungen in unserem Energiesystem, sondern sion „Wachstum, Strukturwandel und Beschäfti-
KOHLEAUSSTIEG UND STRUKTURWANDEL IN SACHSEN-ANHALT gung“ einen gesamtgesellschaftlich tragfähigen falen, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Diese Ver- Kompromiss zur schrittweisen Reduzierung und handlungen drohten zwischenzeitlich in einen ech- Beendigung der Kohleverstromung vorgelegt. In ten Ost-West-Konflikt zu münden, an dessen Ende ihrem Abschlussbericht empfiehlt die Kommission womöglich der erzielte Kohlekompromiss auf dem das Ende der Kohleverstromung in Deutschland bis Spiel gestanden hätte. So bestanden im Vorfeld spätestens 2038 und zeigt gleichzeitig auf, wie der berechtigte Befürchtungen, dass das Braunkohle- Strukturwandel in den betroffenen Regionen ge- kraftwerk in Schkopau im sachsen-anhaltischen lingen kann. Teil des Mitteldeutschen Reviers bereits im Jahr 2026 als Kompensationsmaßnahme für das neue Auf der Grundlage der Kommissionsempfehlun- Steinkohlekraftwerk Datteln IV im Rheinischen Re- gen hat das Bundeskabinett am 29. Januar 2020 vier stillgelegt werden sollte. das Gesetz zur Reduzierung und zur Beendigung der Kohleverstromung in Deutschland auf den Am 15. Januar 2020 konnte schließlich im Rahmen Weg gebracht. Mit dem sogenannten Kohleaus- eines Spitzentreffens zwischen Vertretern der Bun- stiegsgesetz wird die schrittweise, möglichst ste desregierung und der Braunkohleländer im Bun- tige Reduzierung und schließlich die Beendigung deskanzleramt in Berlin der entscheidende Durch- der nationalen Kohleverstromung bis spätestens bruch erzielt werden, der den verschiedenen In 2038 verbindlich festgelegt. Damit steigt Deutsch- teressen der Regionen in Ost- und Westdeutsch- land in absehbarer Zeit als erstes Land weltweit land gerecht wird und endlich die notwendige nicht nur aus der Kernenergie, sondern auch aus Klarheit und Planungssicherheit für die betroffe- der Kohleenergie aus. Während die Stilllegung der nen Unternehmen und Beschäftigten schafft. Für Steinkohlekraftwerke vornehmlich über Ausschrei- das Braunkohlekraftwerk in Schkopau sieht der bungen erfolgen soll, sieht der Gesetzentwurf für Kompromiss als Laufzeitende den 31. Dezember die Braunkohlekraftwerke einen konkreten zeitli- 2034 vor. Dies ist ein großartiger Verhandlungs chen Abschaltplan sowie etwaige Entschädigungs- erfolg für Sachsen-Anhalt, eröffnet er uns doch ein zahlungen für die Kraftwerksbetreiber vor. Darüber wichtiges Zeitfenster, die Strukturentwicklung in hinaus enthält der Gesetzentwurf wichtige Begleit- der Region voranzutreiben, in deren Mittelpunkt 11 maßnahmen zur Abfederung der sozialen und die nachhaltige Fortentwicklung bestehender energiewirtschaftlichen Folgen des Kohleausstiegs. Strukturen und der Aufbau neuer Strukturen ste- Zu nennen sind hier unter anderem das Anpas- hen muss. Die regionalökonomischen Auswirkun- sungsgeld für ältere Arbeitnehmerinnen und Ar- gen einer frühzeitigeren Abschaltung des Braun- beitnehmer im Kohlesektor sowie Maßnahmen zur kohlekraftwerks in Schkopau wären insbesondere Kompensation eines zu erwartenden kohleaus- mit Blick auf den ökonomischen Kraftwerk-Verbund stiegsinduzierten Strompreisanstiegs. Mit Blick auf mit dem Tagebau Profen in Sachsen-Anhalt verhee- letztgenannte Maßnahmen fehlt es im Gesetzent- rend gewesen. wurf allerdings noch an der notwendigen Verbind- lichkeit der Formulierungen. Der „Einstieg in den Ausstieg“ aus der Kohlever- stromung sowie die strukturpolitische Flankierung Dem Kabinettsbeschluss zum Kohleausstiegs des damit einhergehenden Strukturwandels müs- gesetz vorausgegangen waren mühsame und zähe sen Hand in Hand gehen. Mit dem Sofort-Pro- Verhandlungen zwischen dem Bund und den gramm sowie dem Gesetzentwurf zum Struktur- Braunkohleländern Brandenburg, Nordrhein-West- stärkungsgesetz hat die Bundesregierung die
Friedrich-Ebert-Stiftung, Landesbüro Sachsen-Anhalt Braunkohlekraftwerk in Schkopau, Laufzeitende den 31. Dezember 2034 | © dpa Picture Alliance zentralen Bausteine zur strukturpolitischen Unter- zung der vom Kohleausstieg betroffenen Regionen stützung der vom Kohleausstieg betroffenen Re- in Deutschland geschaffen und auf den Weg ins viere beziehungsweise Bundesländer auf den Weg parlamentarische Verfahren gebracht. Der Gesetz- gebracht und damit die entscheidenden Weichen entwurf sieht im Kern die Gewährung finanzieller für ein Gelingen des Strukturwandels gestellt. Hilfen für Investitionen und weitere Maßnahmen 12 für die Braunkohleländer durch den Bund von bis Mit dem Sofort-Programm stellt der Bund im Rah- zu 40 Milliarden Euro bis zum Jahr 2038 vor. Ziel ist men bestehender Bundesprogramme bis zu 240 Mil- es, den Kohleregionen im Zuge des schrittweisen lionen Euro an zusätzlichen Mitteln für kurzfristig Ausstiegs aus der Kohle neue Chancen für eine umzusetzende Projektvorschläge der Braunkohle- nachhaltige Wirtschaft mit hochwertiger Beschäf- länder zur Verfügung. Davon entfallen allein auf tigung zu eröffnen. Daran werden sich die Maß- Sachsen-Anhalt 28,8 Millionen Euro, mit denen nahmen in den betroffenen Braunkohleregionen erste konkrete Projekte wie das Digitalisierungs- vorrangig messen lassen müssen. zentrum Zeitz in Sachsen-Anhalt umgesetzt wer- den können. Konkret sieht der Gesetzentwurf für ein Struktur- stärkungsgesetz die Gewährung von Finanzhilfen Mit dem von ihr am 28. August 2019 verabschie- von bis zu 14 Milliarden Euro für besonders be- deten Gesetzentwurf für ein Strukturstärkungs deutsame Investitionen in den Braunkohleländern gesetz hat die Bundesregierung den ersehnten vor, wovon 2,8 Millionen Euro auf das Mitteldeut- Rechtsrahmen zur strukturpolitischen Unterstüt- sche Revier und rund 1,7 Milliarden Euro auf Sach-
KOHLEAUSSTIEG UND STRUKTURWANDEL IN SACHSEN-ANHALT sen-Anhalt als Teil des Mitteldeutschen Reviers ent- turwandels systematisch ausgebaut werden kann. fallen. Damit können unter anderem Investitionen Sowohl die chemische Industrie als auch die Er in wirtschaftsnahe Infrastruktur, den öffentlichen neuerbare-Energien-Branche, die Bioökonomie, Personennahverkehr, die Breitband- und Mobili- die Medizintechnik und die Automobilindustrie tätsinfrastruktur oder die Forschungs- und Wissen- haben im Großraum Halle-Leipzig in den vergan- schaftsinfrastruktur vorgenommen werden. Mit genen Jahren eine hervorragende Entwicklung weiteren bis zu 26 Milliarden Euro fördert der Bund vollzogen. in eigener Zuständigkeit die betroffenen Regionen direkt. Dabei handelt es sich beispielsweise um die Die jüngsten Ansiedlungserfolge im Süden des Ansiedlung bzw. Stärkung von Forschungseinrich- Landes sind bereits heute ein Beleg für die Attrak- tungen sowie den Ausbau der Infrastruktur wie tivität des Wirtschaftsstandortes Sachsen-Anhalt: Schienen und Straßen. Zudem wird der Bund seine Porsche baut mit der Schuler AG ein neues Karos- Förderprogramme grundsätzlich erweitern und seriewerk für 100 Millionen Euro in Halle. Der US- Maßnahmen zur energiepolitischen Unterstützung Batteriehersteller Farasis Energy investiert mehr als ergreifen. Ferner sollen allein mit der Ansiedlung 600 Millionen Euro in ein Werk in Bitterfeld-Wol- von Bundeseinrichtungen bis zum Jahr 2028 bis zu fen. Und die Progroup baut in Sandersdorf-Brehna 5.000 Arbeitsplätze erhalten oder neu geschaffen für knapp 500 Millionen Euro eine der modernsten werden. Papierfabriken der Welt. Insofern entwickelt sich Sachsen-Anhalt schon heute zu einem Land der Auch wenn der Gesetzentwurf zum Strukturstär- Zukunftstechnologien. kungsgesetz einem gewaltigen finanzpolitischen Kraftakt des Bundes gleicht, so darf dies jedoch Darüber hinaus verfügt Sachsen-Anhalt bereits nicht gänzlich darüber hinwegtäuschen, dass der heute über eine exzellente Wissenschaftsland- Gesetzentwurf in einigen Punkten hinter den Er- schaft. Die sieben Hochschulen und insgesamt 29 wartungen und seinen Möglichkeiten zurückge- forschenden Einrichtungen bergen ein enormes blieben ist. Dies betrifft insbesondere die fehlende Innovationspotenzial, das es im Sinne eines inno- Implementierung von Anreizinstrumenten für pri- vationsgetriebenen Strukturwandels zu nutzen 13 vatwirtschaftliche Investitionen oder den unzu gilt. Bereits heute investieren Unternehmen vor reichenden Innovationsfokus des Gesetzes. Hier allem deshalb in Sachsen-Anhalt, weil sie hier die bedarf es sicherlich Nachbesserungen. benötigten Fachkräfte akquirieren können und ih- nen die Forschungseinrichtungen für Forschungs- Dennoch: Der Gesetzentwurf zum Strukturstär- und Entwicklungskooperationen offenstehen. kungsgesetz eröffnet uns in Verbindung mit dem bestehenden wirtschaftspolitischen Instrumenta Mit den im Rahmen des Strukturstärkungsgesetzes rium die großartige Chance, Sachsen-Anhalt wei- durch den Bund zur Verfügung gestellten Mitteln terhin zu einem Land der Zukunftstechnologien werden wir in den kommenden Jahren vor allem in zu entwickeln. Die Ausgangsbedingungen hierfür Infrastruktur, Forschung und Wissenschaft inves- sind gut. tieren. Im Bereich Infrastruktur geht es nicht allein um Straßen und Schienen. Ganz oben auf der Insbesondere rund um das Mitteldeutsche Revier Agenda steht hierbei auch der Ausbau der digita- ist bereits heute eine Wirtschafts- und Wissen- len Infrastruktur, denn die Versorgung über Glas schaftsstruktur vorhanden, die im Zuge des Struk- faser- und 5G-Mobilfunk-Netze wird im globalen
Friedrich-Ebert-Stiftung, Landesbüro Sachsen-Anhalt Standortwettbewerb weiter stark an Bedeutung erreicht damit schon heute das im Koalitionsver- gewinnen. Dazu müssen allerdings die parlamenta- trag auf Bundesebene ausgege bene Ziel von rischen Verfahren zum Kohleausstiegsgesetz sowie 65 Prozent für das Jahr 2030 und leistet damit zum Strukturstärkungsgesetz, deren In-Kraft-Tre- einen bedeutenden Beitrag zur Energiewende. ten aneinandergekoppelt ist, endlich abgeschlos- sen werden. Ein Abschluss der Verfahren ist für Juli Bereits im Jahr 2019 wurden zwei Reallabor-Pro- dieses Jahres geplant. jektvorhaben aus Sachsen-Anhalt – „Green Hydro- Chem“ sowie der „Energiepark Bad Lauchstädt“ – Um Unternehmensansiedlungen und Erweiterun- im Rahmen des Ideenwettbewerbs „Reallabore der gen zu ermöglichen, müssen die Industrie- und Energiewende“ des Bundesministeriums für Wirt- Gewerbegebiete im Süden des Landes weiter aus- schaft und Energie (BMWi) ausgezeichnet. Diese gebaut werden. Hier bietet sich auch die Ertüch Reallabore sollen zukünftig durch das BMWi ge tigung von Brachflächen an. fördert werden. Der mit EU- und Landesmitteln geförderte Aufbau von zwei Pilotanlagen zur Er- Zudem wird Sachsen-Anhalt in Forschungsvorhaben forschung der industriellen Herstellung von Was- wie die Erzeugung und Nutzung „grünen“ Wasser- serstoff aus erneuerbarem Strom am Standort stoffs investieren mit dem Ziel, die Entwicklung Mit- Leuna schafft die Grundlage für die Erzeugung teldeutschlands als Modellregion für „grünen“ und den Einsatz „grünen“ Wasserstoffs im indus Wasserstoff voranzutreiben. Mit dem bundesweit triellen Maßstab und bereitet den Weg in eine vergleichsweise hohen Ausbaustand der erneuer CO2-arme bzw. CO2-freie Chemieindustrie. Insbe- baren Energien in Sachsen-Anhalt stehen die Chan- sondere die Erzeugung und der Einsatz „grünen“ cen hierfür gut. Bereits im Jahr 2017 lag in Sachsen- Wasserstoffs im industriellen Maßstab bergen ein Anhalt der Anteil der erneuerbaren Energien am erhebliches Wertschöpfungspotenzial, das es zu Bruttostromverbrauch bei gut 68 Prozent. Das Land nutzen gilt. 14
KOHLEAUSSTIEG UND STRUKTURWANDEL IN SACHSEN-ANHALT Mit Qualifizierung erfolgreich durch den Strukturwandel Christiane Schönefeld Katrin Labude Bundesagentur für Arbeit, Mitglied in der Regionaldirektion Sachsen-Anhalt-Thüringen der Kommission Wachstum, Strukturwandel und Bundesagentur für Arbeit | © RD SAT Beschäftigung | © Frauke Schumann Der Strukturwandel hat viele Facetten und wirkt wicklungen wird von den Energieerzeugern erwar- sich auf Branchen und Regionen unterschiedlich tet, klimafreundlichen Strom zu produzieren. aus. Die Möglichkeiten der Digitalisierung verän- dern die Anforderungen an Qualifikationen und Aus diesem Grund richtete die Bundesregierung 15 Kompetenzen der Beschäftigten beispielsweise in am 6. Juni 2018 die Kommission „Wachstum, der Chemieindustrie und der Logistik. Die künstli- Strukturwandel und Beschäftigung“ ein. Reich- che Intelligenz eröffnet ganz neue Möglichkeiten lich sieben Monate später legte die Expertenkom- der Diagnostik, des Handels oder der Zusammen- mission ihre Vorschläge vor, mit denen der Aus- arbeit zwischen Menschen und Maschinen in Pro- stieg aus der Kohleverstromung in Deutschland duktionsbetrieben. Das Institut für Arbeitsmarkt- bis spätestens 2038 gelingen soll. Die Schaffung und Berufsforschung attestiert bereits heute schon konkreter Perspektiven für neue, zukunftssichere einem Viertel der sozialversicherungspflichtig Be- Arbeitsplätze in den betroffenen Regionen steht schäftigten, dass ihr Beruf in hohem Maße substitu- dabei im Zentrum. Denn dies schaffe die Grund iert werden könnte. Die Automobilindustrie durch- lage für einen breiten gesellschaftlichen Konsens läuft ihre Transformation aufgrund geänderter Kun- beim energie- und klimapolitisch begründeten denerwartungen an eine emissionsarme Mobilität. Strukturwandel. Die Bereitschaft, in diesem Bereich zu investieren, scheint in den letzten Jahren zugenommen zu ha- Mit dem Strukturstärkungs- und dem Kohleaus- ben. Angesichts der prognostizierten Klimaent- stiegsgesetz greift die Bundesregierung diese Vor-
Friedrich-Ebert-Stiftung, Landesbüro Sachsen-Anhalt schläge auf und gestaltet den im Abschlussbe- lichen Maßstäben. Denn mit den Beschäftigten in richt festgelegten inhaltlichen und finanziellen den Tagebauen, Kraftwerken, aber auch bei den Rahmen aus. Der Ausstieg aus der Braunkohle Zulieferbetrieben, die keinen Anspruch auf Anpas förderung und -Verstromung wird mit Vertrags- sungsgeld haben, müssen gemeinsam neue Be- vereinbarungen geregelt. Die Betreiber der Stein- schäftigungsperspektiven erarbeitet werden. Ge- kohlekraftwerke können ihre Meiler im Ausschrei- meinsam mit den betroffenen Unternehmen wol- bungsverfahren zur Stilllegung anmelden. Für die- len wir dazu beitragen, dass der Kohleausstieg sen Ausstieg erhalten die Tagebau- und Kraft- aufgrund von Fachkräfteengpässen nicht früher werksbetreiber Entschädigungszahlungen vom endet, als vom Gesetzgeber festgelegt. Wir sehen Bund. Für die Beschäftigten ab 58 Jahren wird die es auch als unsere Aufgabe an, der Generation Möglichkeit eröffnet, über Anpassungsgeld in nach der aktuellen Betroffenengeneration eine den vorgezogenen Ruhestand zu gehen. Die be- Perspektive zu bieten. Daher unterstützen und troffenen Bundesländer erhalten bis 2038 Finanz- begleiten wir die Unternehmen in den Revieren hilfen zur Bewältigung des Strukturwandels und bei der Suche nach Auszubildenden und während der Sicherung der Beschäftigung im Umfang von der Berufsausbildung. 14 Milliarden Euro. Im Gegenzug müssen sie al- lerdings auch ihren im Grundgesetz vorgeschrie- Dabei kommt uns zugute, dass wir unmittelbar benen Eigenanteil leisten. Die Bundesregierung vor Ort sind. Zur Stärkung unserer Präsenz haben wird darauf achten, dass die Strukturhilfen un- wir in jedem Braunkohlerevier eine Revieragentur mittelbar für das Ziel verwendet werden, neue benannt. Im Rheinland ist dies die Agentur für Ar- Arbeitsplätze und neue Wertschöpfung in den beit Brühl, in Mitteldeutschland die Arbeitsagen- Regionen zu schaffen. tur Weißenfels und in der Lausitz die Cottbuser Arbeitsagentur. Sie sollen unsere Aktivitäten und Um die Umsetzung der Maßnahmen zur Gestal- Unterstützungsleistungen vor Ort koordinieren tung des Strukturwandels in den Braunkohle und den vom Kohleausstieg betroffenen Unter- revieren und den Projektfluss sicherzustellen, bil- nehmen als Ansprechpartner zur Verfügung ste- den die Bundesregierung und die Regierungen hen. Auf Landesebene haben wir in unseren Re 16 der Länder Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, gionaldirektionen ebenfalls Ansprechpartnerin- Sachsen und Sachsen-Anhalt ein gemeinsames nen und Ansprechpartner benannt. In Sachsen- Koordinierungsgremium. Entsprechend den ent- Anhalt ist dies Frau Katrin Labude. wickelten Leitbildern prüft dieses Gremium die Förderziele und Förderbereiche der vorgeschlage- In den oben genannten Gremien sind unsere Mit- nen Maßnahmen. Auch auf Landes- und kommu- arbeiterinnen und Mitarbeiter vertreten; sie sind naler Ebene werden Strukturen aufgebaut, die Teil der Netzwerke, die sich auf Bundes-, Landes- Maßnahmen zur Gestaltung des Strukturwan- und kommunaler Ebene um die Themen Struktur- dels, zur Schaffung neuer Arbeitsplätze und neu- wandel und Kohleausstieg herum gebildet haben. er Wertschöpfung in den Regionen entwickeln, Unsere Abgesandten bringen ihre Arbeitsmarkt- bewerten und dem Koordinierungsgremium von expertise bei der Erarbeitung von Struktur- und Bund und Ländern zur Förderung vorschlagen. Wirtschaftsprogrammen ein und beurteilen die Beschäftigungswirkung von Maßnahmen, die zur Die Bundesagentur für Arbeit begleitet diesen Förderung mittels Strukturhilfen des Bundes vor- Prozess revierübergreifend mit möglichst einheit- geschlagen werden. Zu diesem Zweck haben wir
KOHLEAUSSTIEG UND STRUKTURWANDEL IN SACHSEN-ANHALT gemeinsam mit dem Institut für Arbeitsmarkt- rativen Geschäft oftmals auch für alle adminis und Berufsforschung Kriterien entwickelt, um trativen und organisatorischen Aufgaben allein diese Wirkungen ebenenübergreifend nach ein- verantwortlich. Nur selten sind sie auch strate- heitlichen Maßstäben zu bewerten. gisch erfahrene Fachleute in Sachen Personal arbeit. Und so verwundert es nicht, dass Hand- Wir haben diese Strukturen aufgebaut mit Blick lungs- und damit verbundene Beratungsbedarfe auf die hohen, aber auch berechtigten Erwartun- bezüglich der Personalbedarfssicherung mitunter gen von Politik und Gesellschaft in Sachsen-An- nicht erkannt oder wegen anderer – vermeintlich halt, dass Mitteldeutschland auch nach dem Koh- dringenderer Probleme – immer wieder in den Hin- leausstieg weiterhin über gute Arbeitsplätze und tergrund gerückt werden. Die Arbeitsmarktbera- eine hohe Wertschöpfung verfüge. Gleichwohl tung unserer Arbeitgeber-Services unterstützt Un- haben wir aber auch die anderen Herausforde- ternehmen u. a. dabei, sich mit den Folgen des rungen, vor denen wir in Sachsen-Anhalt stehen, Strukturwandels und den daraus resultierenden im Blick. betrieblichen Auswirkungen zu beschäftigen. Das Ziel der Arbeitsmarktberatung ist klar: die Iden Neben der Bergbauindustrie durchlaufen auch die tifizierung betrieblicher Handlungsfelder und das chemische, die lebensmittelverarbeitende und die Aufzeigen möglicher Lösungsansätze zur De- Automobil-Zulieferindustrie Transformationspro- ckung des Personalbedarfs in den Unternehmen. zesse, die aktuell etwas weniger mediale Beach- tung finden. Diese Prozesse bieten neben den Ri- Zahlreiche Erwerbstätige werden sich infolge der siken auch Chancen: So können sich durch die Transformationsprozesse auf eine oder teilweise Digitalisierung neue Jobperspektiven eröffnen. auch mehrere berufliche Neu- oder Umorientie- Unternehmen bauen ihre Produktion, ihre Logis- rungen einstellen müssen. Das fällt nicht immer tik und ihr Dienstleistungsangebot teilweise kom- leicht. Doch auch in diesen Situationen möchte plett um, um im globalen Wettbewerb mithalten die Bundesagentur für Arbeit unterstützen. Mit zu können. Um diese neuen Strukturen zu gestal- dem Angebot der Berufsberatung im Erwerbs ten, gilt es, die Veränderung von Arbeit und Qua- leben verfolgen wir einen präventiven Ansatz, in- 17 lifikationen in den Blick zu nehmen. Als Bundes- dem wir Menschen helfen, sich in einem Arbeits- agentur für Arbeit können wir nicht sagen, wo markt zurechtzufinden, der sich immer schneller es hingeht. Die betroffenen Menschen und Un- wandelt. Berufliche Neu- bzw. Umorientierung ternehmen gestalten ihre Transformation. Wir sowie die Entwicklungen auf dem aktuellen und möchten sie aber dabei im Rahmen unserer Mög- zukünftigen Arbeitsmarkt stehen dabei im Mittel- lichkeiten unterstützen. punkt. Viele Unternehmen kennen die Bundesagentur Das zum 1. Januar 2019 in Kraft getretene Quali- für Arbeit vor allem als klassische Personalvermitt- fizierungschancengesetz kam dabei genau zur lerin oder im Zusammenhang mit der Gewährung richtigen Zeit. Der Gesetzgeber unterstreicht von Förderleistungen. Dass die Bundesagentur für nochmals die Beratungsaufgabe der Arbeitsagen- Arbeit auch arbeitgeberorientierte Beratung an- turen: Nicht nur die beschäftigten und die er- bietet, ist vielen Unternehmen nicht bekannt. Ge- werbslosen Menschen haben Anspruch auf Wei- rade in kleinen Unternehmen ist der Betriebsin terbildungsberatung, sondern auch die Unter- haber oder die Betriebsinhaberin neben dem ope- nehmen auf Qualifizierungsberatung.
Friedrich-Ebert-Stiftung, Landesbüro Sachsen-Anhalt Beschäftigte, deren berufliche Tätigkeit durch stellen entstehen. Bereits heute haben wir einen Technologien ersetzt werden kann oder die in Fachkräfteengpass unterschiedlichen Ausmaßes, sonstiger Weise vom Strukturwandel betroffen je nach Branche und Region, so zum Beispiel in sind oder die eine berufliche Weiterbildung in der Gesundheits- und Altenpflege, im Berufs- einem Engpassberuf anstreben, können unab- kraftverkehr, im Sanitär-, Heizungs- und Klimage- hängig von Ausbildung, Lebensalter und Größe werbe oder in der Softwareentwicklung und des Beschäftigungsbetriebs finanziell unterstützt IT-Beratung. Auf absehbare Zeit werden wir daher werden. Die Bundesagentur für Arbeit übernimmt zum einen alle inländischen Potenziale nutzen müs- in diesen Fällen nicht nur die Weiterbildungskos- sen – hier denken wir beispielsweise an Gering ten für den einzelnen Beschäftigten (Arbeitneh- qualifizierte, Langzeitarbeitslose und Menschen mit merförderung), sondern erstattet dem Arbeitge- Migrationshintergrund – und zum anderen ver- ber auch das Arbeitsentgelt für die weiterbil- stärkt auf die Zuwanderung von Fachkräften an- dungsbedingten Ausfallzeiten. gewiesen sein. Dies wird nur durch gemeinsames, vernetztes Handeln mit den Partnerinnen und Mit Blick auf die besonderen Problemlagen von Partnern am Arbeitsmarkt möglich sein. Geringqualifizierten ist die auf anerkannte Be- rufsabschlüsse ausgerichtete Weiterbildung von Wie weitreichend, aber auch ungewiss die Aus- herausgehobener Wichtigkeit. Der Strukturwan- wirkungen des Strukturwandels sein können, ist del erhöht den Veränderungsdruck aber auch bei noch nicht greifbar. So werden sich Anforderun- Fachkräften Für Arbeitslose und Beschäftigte ge- gen und Erkenntnisse laufend weiter verändern winnt das Stichwort Anpassungsqualifizierung an bzw. konkretisieren. Diese Entwicklungen sind Bedeutung: Um mit dem technischen Wandel von einem hohen Maß an Unstetigkeit gekenn- Schritt zu halten, gilt es, bereits vorhandene Qua- zeichnet, was verstärkte Unsicherheit zur Folge lifikationen rechtzeitig durch Fortbildungen zu haben kann. erneuern bzw. zu aktualisieren. Auch wir als Bundesagentur für Arbeit und kon- Deshalb ermutigen wir alle Unternehmen – vor kret vor Ort werden uns daran messen lassen müs- 18 allem die kleinen und mittleren Unternehmen, die sen, ob es uns gelingt, unsere Angebote in den mit höheren Fördersätzen unterstützt werden –, Bereichen Beratung, Qualifizierung und Vermitt- davon Gebrauch zu machen. Wir empfehlen Un- lung von Fachkräften vorausschauend und nach- ternehmen, die Arbeitsagenturen frühzeitig in haltig an die veränderten Erfordernisse des Ar- ihre Planung einzubinden. Sie können präventiv beitsmarktes anzupassen. bei der Qualifizierung von Beschäftigten ansetzen und damit vorausschauend Fachkräfteengpässen Ein wichtiger Baustein ist dabei der permanente entgegenwirken. Die berufliche Weiterbildungs- Austausch zwischen Praxis, Wissenschaft und den förderung ist mehr denn je von existenzieller Be- Akteuren am Arbeitsmarkt, verbunden mit der deutung für die Unternehmen in unserer Region. Frage, was wir in unseren unterschiedlichen Rol- Die demografische Entwicklung lässt für Sachsen- len tun können, um die Wirtschaft bei Transfor- Anhalt einen Rückgang des Erwerbspersonenpo- mationsprozessen gemeinsam wirksam zu unter- tenzials erwarten. Trotz der eventuellen Substitu- stützen. Es gilt, den Blick nach vorn zu richten tion beruflicher Tätigkeiten werden neue Arbeits- und den Strukturwandel aktiv mitzugestalten.
KOHLEAUSSTIEG UND STRUKTURWANDEL IN SACHSEN-ANHALT Wichtige Maßnahmen und Pläne der Landesregierung Sachsen-Anhalt Dr. Frank Danek auftragt hat. Einschließlich der Eigenanteile ste- Referatsleiter im sachsen-anhaltischen hen dem Zuwendungsempfänger 8 Millionen Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft Euro zur Verfügung – das Projekt läuft bis zum und Digitalisierung 31. März 2022. Inhaltlicher Schwerpunkt des Pro- jekts ist die Durchführung von Untersuchungen zur strategischen Ausrichtung des Strukturwan- Seit dem Beschluss zur Einsetzung der Kommis dels im Revier. Dazu müssen die in den Regionen sion „Wachstum, Strukturwandel und Beschäfti- doch sehr heterogenen Ausgangslagen analysiert gung“ bereitet die Landesregierung die Grund und Anknüpfungspunkte für Strukturentwicklun lagen für den absehbaren Strukturwandel im gen gefunden werden. Mitteldeutschen Revier vor. Es werden aber auch Projekte begleitet, die unabhängig vom politischen Wichtige Einzelmaßnahmen in diesem Gesamt- Beschluss zum Ausstieg aus der Kohleverstro- projekt sind: mung, und zwar bereits deutlich früher initiiert wurden und sich heute nahtlos in die Struktur • eine „Technologiefeldanalyse“ für das Mit- entwicklungsprozesse einfügen. teldeutsche Revier, die bereits im Mai 2020 vorliegen soll und die vor allem die gegebenen Die drei Bundesländer, die entsprechend der an wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Tech erkannten regionalen Abgrenzung des Mittel- nologiekompetenzen im Revier und deren Ent- deutschen Reviers betroffen sind (das Land Sachsen- wicklungsmöglichkeiten für den Strukturwandel 19 Anhalt und die Freistaaten Sachsen und Thürin- beinhalten wird – eingeschlossen sind Maßnah- gen), haben bereits im Dezember 2018 über die men zur erforderlichen Fachkräfteentwicklung; sogenannte Experimentierklausel in der Gemein- schaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirt • eine „Potenzialstudie zu Industrie- und schaftsstruktur“ eine Zuwendung zu dem Modell- Gewerbeflächen“, die Ende des Jahres 2020 projekt „Innovationsregion Mitteldeutschland“ fertiggestellt sein soll und die die Verfüg- und bewilligt. Zuwendungsempfänger ist der Burgen- Nutzbarkeit von Flächen erheben und die Mög- landkreis, der federführend für die anderen Land- lichkeiten für Betriebserweiterungen und Un- kreise und kreisfreien Städte1 die Metropolregion ternehmensansiedlungen untersuchen soll – Mitteldeutschland Management GmbH nach einer eine entscheidende Voraussetzung für wirt- Ausschreibung mit der Projektdurchführung be- schaftliche Prosperität; 1 Die Landkreise Mansfeld-Südharz, Saalekreis, Anhalt-Bitterfeld, Nordsachsen, Landkreis Leipzig sowie die Städte Halle an der Saale und Leipzig.
Friedrich-Ebert-Stiftung, Landesbüro Sachsen-Anhalt • diese und andere Untersuchungen (zum Bei- die die Vertretung von Landesinteressen gegen- spiel zur Nutzung von Bergbaufolgelandschaf- über dem Bund und die Kommunikation mit den ten, zu einzelnen Infrastrukturvorhaben, zur regionalen Akteuren und Akteurinnen bündelt. Tourismusentwicklung, zur Digitalisierung und Eine weitere wichtige Aufgabe dieser Stabsstelle zur Industriekultur) werden letztlich in eine ist die Zusammenarbeit mit den Staatskanzleien „Sozioökonomische Perspektive 2040“ der anderen Bundesländer in Sachen Struktur- münden, die eine Art Strategie und Leitbild wandel. Sie leitet auch eine landesinterne inter für das Mitteldeutsche Revier werden könnte. ministerielle Arbeitsgruppe zum Strukturwandel, in der neben den Ressorts der Landesregierung Die betroffenen Bundesländer müssen Strategien auch Vertreter der regionalen Gebietskörperschaf- erarbeiten und vorlegen, um in den Genuss der ten, die Industrie- und Handelskammer Halle-Des- vom Bund zugesagten Finanzhilfen in Höhe von sau, die Kommunalen Spitzenverbände und die bis zu 14 Milliarden Euro zu kommen (auf Sach- Metropolregion Mitteldeutschland Management sen-Anhalt entfallen davon bis 2040 1,68 Milliar- GmbH vertreten sind. Im Mittelpunkt der Beratun- den Euro). Auch unter Berücksichtigung von Pro- gen stehen der Informationsaustausch zum Bei- jekten im Landesinteresse ist der „Bottom-up- spiel zum Stand der Gesetzgebungsverfahren, Ansatz“ für die Regionalentwicklung von ent- aber auch die Abstimmung eines gemeinsamen scheidender Bedeutung. Vorgehens bei großen, übergreifenden Projekten. Noch vor Inkrafttreten der entscheidenden Bun- In der Investitions- und Marketinggesellschaft desrechtlichen Regelungen für die Beendigung mbH Sachsen-Anhalt (IMG) wurde zum 1. Januar der Kohleverstromung (Kohleausstiegsgesetz) 2020 eine Neueinstellung vorgenommen, die sich und zur Finanzierung von Maßnahmen im Rah- vorrangig mit Fragen der Strukturentwicklung im men der Strukturentwicklung in den betroffenen sachsen-anhaltischen Teil des Mitteldeutschen Regionen (Strukturstärkungsgesetz) hat die Lan- Reviers befasst. Der Fokus liegt auf der Beratung desregierung Sachsen-Anhalt in Anbetracht der hinsichtlich der regionalen Wirtschaftsförderung umfangreichen Aufgabenstellung Strukturen ein- bei anstehenden Investitionen und Neuansiedlun- 20 gerichtet. Im wirtschaftspolitischen Grundsatzrefe- gen. Angestrebt ist, dass auch Vor-Ort-Beratungs- rat des Ministeriums für Wirtschaft, Wissenschaft termine möglich sind. Ausdruck für die enge Zu- und Digitalisierung ist seit anderthalb Jahren eine sammenarbeit der IMG mit den Gebietskörper- Projektgruppe „Strukturwandel im Braunkohlere- schaften sollen Kooperationsvereinbarungen sein. vier“ tätig, die vor allem Koordinierungsaufgaben Am 7. Februar 2020 wurde eine solche Koopera innerhalb des Ministeriums und die Zusammen tionsvereinbarung mit dem Burgenlandkreis unter- arbeit mit anderen Ressorts und regionalen Ak- zeichnet, die anderen Regionen werden folgen. teuren für das Ministerium steuert. Daneben ist die Vertretung von wirtschafts- und wissenschafts Neben diesen institutionalisierten Strukturen auf politischen Interessen von großer Bedeutung: zum Ebene der Landesregierung finden auch zwischen Beispiel bei der Erarbeitung von Strategien und den Ministerien Gespräche darüber statt, mit wel- Förderrichtlinien sowie bei Projektbewertungen. chen langfristigen Strukturen der Strukturwandel im Mitteldeutschen Revier nicht nur begleitet, In der Staatskanzlei wurde vor rund einem Jahr sondern letztlich umgesetzt werden soll. Ent- eine Stabsstelle „Strukturwandel“ eingerichtet, scheidungen wurden noch nicht getroffen, wer-
KOHLEAUSSTIEG UND STRUKTURWANDEL IN SACHSEN-ANHALT den aber voraussichtlich mit Inkrafttreten des Die hier vorgestellten Maßnahmen und Pläne der bundesgesetzlichen Rahmens vorliegen. Prämis- Landesregierung (natürlich vordergründig aus sen für solche Strukturen müssen vor allem fol- dem Blickwinkel des Ministeriums für Wirtschaft, gende sein: Wissenschaft und Digitalisierung) stellen nur eine Auswahl der vielfältigen Aktivitäten dar. Entschei- • Größe und Umfang (Personal) müssen der Re- dend ist, die Basis für die Strukturentwicklung im viergröße und den umzusetzenden Finanzmit- Mitteldeutschen Revier so anzulegen, dass neue teln (Prinzipien der Wirtschaftlichkeit und Strukturelemente langfristig Bestand haben. Aller Sparsamkeit) angemessen sein. dings kann niemand alle Unwägbarkeiten der • Aufgaben müssen klar definiert sein (Abgren- kommenden 20 Jahre voraussehen, sodass perma- zungen und Zusammenarbeit). nent Nachjustierungen und Anpassungen vorge- • Die Regionen müssen in die Entscheidungsfin- nommen werden müssen. Wir warten aber nicht dung einbezogen, die Landesinteressen ge- auf den gesetzlichen Rahmen, um Strukturent- wahrt werden. scheidungen zu treffen – wichtige Unternehmens • Bereits bestehende Strukturen und Gremien in ansiedlungen sind bereits geschehen und wichti- den Regionen sollen genutzt werden. ge Forschungsschwerpunkte in der Region sind • Die Kompetenzverteilung zwischen den Struk- bereits festgelegt. tureinheiten berücksichtigt die Ressortzustän- digkeiten innerhalb der Landesregierung. 21
Friedrich-Ebert-Stiftung, Landesbüro Sachsen-Anhalt Unser Revier! Unsere Zukunft! Reduzierung um 40 Prozent gegenüber 1990 zu kompensieren. Dazu soll zum einen ein Plan zur „schrittweisen Reduzierung und Beendigung der Kohleverstromung, einschließlich eines Abschluss- datums“, entwickelt werden und zum anderen sind Investitionen in den vom Strukturwandel be- troffenen Regionen und Branchen vorgesehen. Die Pläne verfolgen hunderttausende Mitarbeiter in der Energiewirtschaft und der energieinten siven Industrie mit großer Sorge. Der Pfad für ein Felix Schultz Auslaufen der Kohleverstromung ist heute bereits IGBCE | © Jens Schulze vorgezeichnet – durch in den kommenden Jahr- zehnten auslaufende Genehmigungen und da- durch, dass derzeit keine neuen Kraftwerke ge- Im Mitteldeutschen Revier ist die Braunkohle ein baut werden. Die Klimaschutzziele 2030 und zentraler Wirtschaftsfaktor. An ihr allein hängen 2050 lassen sich deshalb auch ohne ein symbo- in der Region mehr als 7.000 Arbeitsplätze. Bei lisch gesetztes Ausstiegsdatum für die Kohlever- einer Stilllegung des Bergbaus wären im direkten stromung erreichen. Ein verfrühtes, von Symbol- Umfeld u.a. betroffen die MIBRAG GmbH (Mit politik getriebenes „Abschalten“ würde dagegen teldeutsche Braunkohlengesellschaft mbH), die schmerzhafte Folgen für die gesamte heimische 22 MUEG (Mitteldeutsche Umwelt- und Energiever- Industrie haben: Kahlschlag in den Regionen, sorgung GmbH), die LMBV (Lausitzer und Mittel- steigende Energiepreise und Job-Abbau. Nieman- deutsche Bergbau- und Verwaltungsgesellschaft) dem ist geholfen, wenn wir uns mit der Energie- und die GALA-MIBRAG Service GmbH. Der Teilbe- wende übernehmen. trag der Wertschöpfung aus Braunkohle, der heute in die drei Braunkohlereviere fließt, ist deutlich Die Braunkohle ist vor allem deshalb Deutsch- größer als die Summe der Fördermittel, die in lands günstigster Energieträger, weil sie direkt am ganz Deutschland für Strukturpolitik zur Verfü- Ort des Abbaus verstromt wird. Die „lineare Lo- gung stehen. gik“ eines schrittweisen Herunterfahrens funktio- niert hier deshalb nicht. „Abschalten“ würde den Die Bundesregierung will in der Kommission Strukturbruch und damit Kahlschlag bedeuten! „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ Maßnahmen vereinbaren, um das für 2030 ge- Diesen geradezu fahrlässigen Umgang mit unse- setzte Ziel der CO2-Reduktion zu erreichen und rer Heimatregion lassen wir, die Menschen im gleichzeitig die für 2020 geplante, aber verfehlte Mitteldeutschen Revier, uns nicht länger gefallen!
KOHLEAUSSTIEG UND STRUKTURWANDEL IN SACHSEN-ANHALT Wir fordern belastbare und nachhaltige Zukunfts- dern geben, damit auch in Zukunft industrielle konzepte für das Mitteldeutsche Revier. Wir brau- Wertschöpfungsketten und gute Arbeit in ver- chen keinen überhasteten, unkontrollierten Aus- gleichbarem Umfang wie heute existieren wer- stieg aus der Kohle. Wir brauchen einen Einstieg den. Das gilt selbstverständlich nicht nur für in einen Strukturwandel, der gute Industriearbeit unsere Region, sondern auch für die anderen sichert. Wir brauchen eine Energiewende, die deutschen Kohleregionen. sozial gerecht, wirtschaftlich vernünftig und öko- logisch verantwortungsvoll gestaltet wird. Strom, In diesem Sinne erwarten wir, dass die Bundesre- Wärme und Mobilität müssen bezahlbar sein. gierung und die Landesregierungen jetzt das Ge- spräch mit den betroffenen Kommunen und den Wir brauchen ein weltweit verbindliches Klimaab- Beschäftigten im Mitteldeutschen Revier suchen, kommen als wichtigste Voraussetzung für einen um die konkreten Forderungen der vor Ort Be- wirksamen Klimaschutz. Nur so lässt sich ein fai- troffenen an die eingesetzte Kommission „Wachs- rer Ausgleich zwischen Industrie-, Schwellen- und tum, Strukturwandel und Beschäftigung“ weiter- Entwicklungsländern sicherstellen. Wir brauchen zugeben. eine Ausrichtung der Energie- und Klimapolitik an der Förderung und Umsetzung von Innovationen. Wir brauchen eine langfristige Strukturpolitik, die Unsere Forderungen für eine gute dem Revier zu neuer Wirtschaftskraft in vergleich- Zukunft unserer Heimatregion: barer Größenordnung verhilft. Wir, die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner Wir wissen, dass die Braunkohleverstromung eine dieses Appells, haben die folgenden Forderungen Auslaufphase durchläuft. Aber wir wollen nicht, als eine Art Positionsbestimmung der Betroffenen dass die soziale und wirtschaftliche Zukunft unse- im Mitteldeutschen Revier formuliert. Wir erhe- rer Region auf dem Altar energiepolitischer Glau- ben hier weder den Anspruch auf Vollständigkeit bensfragen geopfert wird! noch auf die allein seligmachende Wahrheit. Wir halten es aber für dringend geboten, dass die 23 Die Zukunft unseres Reviers gehört uns! politisch Verantwortlichen unserer Region diese Punkte aufgreifen, damit endlich das Revier selbst Wir sprechen uns dafür aus, dass nun endlich seine Zukunft mitgestalten kann! Bund, Länder, Kommunen und auch die verant- wortlichen Bergbau-Unternehmen ihre Kräfte 1. Die Zukunft des Reviers ist der Maßstab bündeln, indem sie gemeinsam und aufeinander abgestimmt in einen klugen, nachhaltigen Struk- In ihrem Einsetzungsbeschluss für die Kommis turwandel investieren, der in unserer Heimatregi- sion „Wachstum, Strukturwandel und Beschäf on neue, zukunftsträchtige industrielle Arbeits- tigung“ legt die Bundesregierung fest, dass die plätze schafft. Kommission zuerst ihre Empfehlungen zur sozia- len und strukturpolitischen Entwicklung der Für uns gilt: Jetzt muss es ein konsistentes regio- Braunkohleregionen sowie ihrer finanziellen Ab nales Strukturentwicklungskonzept für das Mit- sicherung vorlegen soll. Wir begrüßen diese Prio- teldeutsche Revier und die dazu erforderlichen ritätensetzung! langfristigen Förderkulissen von Bund und Län-
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