Gewässerforschung 2018 - Jahresforschungsbericht des IGB - IGB Berlin

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Gewässerforschung 2018 - Jahresforschungsbericht des IGB - IGB Berlin
Leibniz-Institut für
                                                                                 Gewässerökologie
                                                                                 und Binnenfischerei

                              Gewässerforschung 2018
                                                             Jahresforschungsbericht des IGB

Im Zeichen des Klimawandels       Stadt, Land, Gewässer                    Fische im Fokus
Wie Erwärmung und Wetterextreme   Ökosysteme mit Zukunft? Seen, Flüsse     Wie Fische (über)leben und was wir
unsere Gewässer beeinflussen      und Co. im urbanen und ländlichen Raum   von ihrem Verhalten lernen können
Gewässerforschung 2018 - Jahresforschungsbericht des IGB - IGB Berlin
Gewässerforschung 2018 - Jahresforschungsbericht des IGB - IGB Berlin
Angelfischerei

               Aquakultur & Aquaponik

                           Biodiversität

                      Dialog & Transfer

                  Gewässerökosysteme

               Nutzung & Management        Forschen für die Zukunft
                                           unserer Gewässer

                                           Das IGB ist das bundesweit größte und eines der inter­national
             Schadstoffe & Belastungen     führenden Forschungszentren für Binnengewässer. Bei uns
                                           arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ganz
                                           unterschiedlicher Disziplinen unter einem Dach. Gemeinsam
                                           untersuchen sie die grundlegenden Prozesse in Flüssen, Seen
                                           und Feuchtgebieten und entwickeln Lösungsansätze und
                                           Handlungsempfehlungen für ein nachhaltiges Gewässer­
                        Umweltwandel       management.

                                           Auf den folgenden Seiten stellen wir Ihnen ausgewählte
                                           Forschungsergebnisse, Projekte und Veranstaltungen aus
                                           dem Jahr 2018 vor. Sie sind zehn Themenbereichen zuge­
Verhaltensbiologie & Schwarmintelligenz    ordnet, in denen wir alles bündeln, was für Sie rund um
                                           unsere ­Forschungsarbeit interessant sein könnte. Zu den
                                           einzelnen Themen finden Sie auf unserer Website weitere
                                           Informa­tionen, Materialien, Expertinnen und Experten sowie
                                           ­Hintergründe und aktuelle Meldungen.

               Wasser- & Stoffkreisläufe   Wir wünschen viel Freude beim Lesen und Entdecken!
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Inhalt
                                                                                             8
                                                                                         Forschung

                                                                             8   Im Zeichen des Klimawandels
                                                                                 Wie Erwärmung und Wetterextreme
                                                                                 unsere Gewässer beeinflussen
                                                                                 Die globale Erwärmung nimmt zu,
                                                                                 ebenso das Auftreten von Wetterex­
                                                                                 tremen. Der Klimawandel entpuppt
                                                                                 sich schon heute als bedeutender
                                                                                 Stressfaktor für unsere Gewässer.
                                                                                 Seen und Fließgewässer, deren
                                                                                 Sedimente Treibhausgase abgeben,
                                                                                 tragen dabei selbst zur Klimaverän­
                                                                                 derung bei. IGB-Forschende beschäf­
                                                                                 tigen sich in ganz unterschiedlichen
                                                                                 Projekten mit dem Klimawandel: Sie
                       4                                                         sprechen zum Beispiel mit Landwir­
                    Vorwort                                                      ten über Klimaanpassungen, analy­
                                                                                 sieren, wie sich steigende Tempera­
                                                                                 turen auf das Algenwachstum und
     Welchen Beitrag kann das IGB zur Lösung
                                                                                 Fischpopulationen auswirken – und
     gesellschaftlicher Herausforderungen
                                                                                 tragen zum nächsten IPCC-Bericht
     leisten? Mark Gessner, kommissarischer
                                                                                 bei.
     Direktor des IGB, wirft einen Blick auf die
     aktuelle Glaubwürdigkeits­debatte und             „Trockenfallende
     auf neue Errungenschaften am Institut         Gewässer, schwankende
     im Jahr 2018.
                                                    Wasserstände und vor
                                                   allem steigende Wasser­
                                                    temperaturen werden
                                                   vielen Arten in Zukunft
                                                    zu schaffen machen.“
                                                      GREOGOR KALINKAT
                                                         p Seite 14

                     6
                 Nachrichten

          Aus der Welt unserer Forschung

2                                                                                      Jahresforschungsbericht 2018
Gewässerforschung 2018 - Jahresforschungsbericht des IGB - IGB Berlin
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                                                                                                                                                              allem in den Städten ein              Jahresrückblick
                                                                                                                                                               starker Nutzungsdruck
                                                                                                                                                              durch Freizeitakti­vitäten   Hinter uns liegen ereignisreiche zwölf
                                                                                                                                                                                           Monate. Unser Rückblick erzählt von neu­
                                                                                                                                                               auf Gewässer, über den      en Projekten und Initiativen, besonderen
                                                                                                                                                                 wir bisher zu wenig       Momenten und interessanten Begeg­
                                                                                                                                                                       ­wissen.“           nungen.
                                                                                                                                                                    MARKUS VENOHR
                                                                                                                                                                          p Seite 18

                                                                                                             16   Stadt, Land, Gewässer
                                                                                                                  Ökosysteme mit Zukunft? Seen, Flüsse
                                                                                                                  und Co. im urbanen und ländlichen
                                                                                                                  Raum
                                                                                                                  Ohne Gewässer wäre das Leben
                                                                                                                  kaum denkbar, ob in der Stadt oder
                                                                                                                  auf dem Land. Sie sind jedoch in Ge­
                                                                                                                  fahr, zum Beispiel durch Mikroplastik
                                                                                                                  oder Übernutzung – beides Themen,
                                                                                                                  mit denen sich IGB-Forschende
                                                                                                                  intensiv beschäftigen. Außerdem
                                                                                                                  haben sie einen Index entwickelt,
                                                                                                                  mit dem sich der Wert von Fluss­
                                                                                                                  landschaften bemessen lässt, und
                                                                                                                                                                 „Viele Angler fühlen
                                                                                                                  bringen in Erfahrung, wie sauber
                                                                                                                                                                  sich eng mit ,ihren‘
Fotos: Andy Küchenmeister; Angelina Tittmann; Andreas Gericke; Christian Wolter; Marc Kupetz; David Mandos

                                                                                                                  städtische Teiche sind – und wie sie
                                                                                                                  von Bürgerinnen und Bürgern wahr­               Flüssen verbunden.
                                                                                                                  genommen werden.                                                                          42
                                                                                                                                                                Oft sind sie die Ersten,
                                                                                                                                                                                                          Intern
                                                                                                                                                                die es ­bemerken, wenn
                                                                                                                                                               sich die Wasserqualität     44 Arbeiten und Forschen am IGB
                                                                                                                                                              verschlechtert oder wenn     46 Köpfe
                                                                                                                                                               etwas Neues im Wasser       48 Publikationen
                                                                                                                                                               schwimmt, das da nicht      49 Finanzen
                                                                                                                                                                      hingehört.“          50 Organisation
                                                                                                                                                                   SOPHIA KOCHALSKI
                                                                                                                                                                          p Seite 30

                                                                                                             24 Fische im Fokus
                                                                                                                  Wie Fische (über)leben und was wir
                                                                                                                  von ihrem Verhalten lernen können
                                                                                                                  Ob als Lebensmittel, soziales Wesen
                                                                                                                  oder zentraler „Player“ in Gewässer­
                                                                                                                  ökosystemen: Fische spielen in der
                                                                                                                  Forschung des IGB eine wesentliche
                                                                                                                  Rolle. Wir analysieren ihr Verhalten,
                                                                                                                  überlegen gemeinsam mit anderen
                                                                                                                  Interessengruppen, wie sie besser
                                                                                                                  geschützt werden können, und de­
                                                                                                                  cken auf, wieso Klonfische 100.000
                                                                                                                  Jahre überleben können. Fische sind
                                                                                                                  ungemein vielseitig – und ein span­
                                                                                                                  nender Forschungsgegenstand.

                                                                                                             Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei                                                                    3
Gewässerforschung 2018 - Jahresforschungsbericht des IGB - IGB Berlin
Vo r w o r t d e s D i r e k t o r s a . i . | Mark Gessner

                                                                                                               Foto: David Ausserhofer

           Liebe Leserin, lieber Leser,
            wie kann Wissenschaft langfristig ihre                                         An diesem Beispiel zeigt sich, wie wich­
            Glaubwürdigkeit behaupten, wenn sie                                            tig eine funktionierende Kommunikati­
            von unterschiedlichen Seiten in Zwei­                     „Denn gerade bei     on zwischen Forschung, Politik und Ge­
            fel gezogen wird? Diese Frage hat zum             ­komplexen gesellschaft­     sellschaft ist. Künftig wird sie zweifellos
            Beispiel die Diskussion um Stickoxid-                     lichen Herausfor­    noch wichtiger werden. Denn gerade
            Grenzwerte aufgeworfen, als über                  derungen ist die Wissen­     bei komplexen gesellschaftlichen He­
            einhundert deutsche Lungenärztinnen                                            rausforderungen ist die Wissenschaft
                                                                schaft gefordert, einen
            und -ärzte die Evidenz zahlreicher wis­                                        gefordert, einen fundierten Beitrag zu
            senschaftlicher Studien in Frage stell­
                                                                  fundierten Beitrag zu    Problemlösungen zu leisten. Das neh­
            ten. Inzwischen ist bekannt, dass der                  ­Problemlösungen zu     men wir als Ansporn, unsere Forschung
            ärztlichen Stellungnahme peinliche                      leisten. Das nehmen    kontinuierlich für einen breiteren Aus­
            Rechenfehler zugrunde liegen. Aber                 wir als Ansporn, unsere     tausch zu öffnen. Die positiven Rück­
            auch wenn die Stellungnahme nur von                  Forschung kontinuier­     meldungen der Evaluierung im Juni
            einem Bruchteil der Lungenfachleute                                            2018 zeigen, dass wir hier auf einem
                                                                lich für einen breiteren
            in Deutschland unterzeichnet wurde,                                            guten Weg sind.
            hat die Medienberichterstattung da­
                                                                 ­Austausch zu öffnen.“
            rüber doch das Vertrauen von Politik                                           Möglich wird dieses Engagement aber
            und Gesellschaft in wissenschaftliche                                          erst durch exzellente Wissenschaft, die
            Erkenntnisse empfindlich gestört.                                              sich sowohl der Erarbeitung grundle­

4                                                                                                     Jahresforschungsbericht 2018
Gewässerforschung 2018 - Jahresforschungsbericht des IGB - IGB Berlin
Vo r w o r t d e s D i r e k t o r s a . i .

gender Zusammenhänge widmet als                                              spiriert haben. Namentlich möchte ich
auch aktuellen gesellschaftlichen Her­                                       die Freie Universität Berlin erwähnen, die
ausforderungen stellt. Das ist das Fun­                                      Humboldt-Universität zu Berlin und die
dament für den soliden, sachorientierten                                     Technische Universität Berlin sowie die
gesellschaftlichen Diskurs kontroverser                                      Universität Potsdam, mit denen wir eng
Fragen, der dann als Grundlage für kluge                                     verbunden sind, den Wissenschaftlichen
Entscheidungen dient. Die am IGB geleb­                                      Beirat des Instituts für sein besonderes
te interdisziplinäre Zusammenarbeit er­                                      Engagement während der aktuellen Pha­
möglicht es, unter einem Dach Gewässer,            „Mit der Auswahl der      se der kommissarischen Institutsleitung,
ihre Biodiversität und ihre Funktionen            Themen in diesem Jah­      den Forschungsverbund Berlin wegen
aus sehr unterschiedlichen Blickwinkeln                                      seiner ausgezeichneten administrativen
                                                  resbericht möchten wir
zu betrachten.                                                               Unterstützung, das Gutachtergremium,
                                                nicht nur die Erkenntnisse   das das IGB im Juni 2018 evaluiert hat, die
Drei dieser übergreifenden Themen, die           und Leistungen des IGB      Leibniz­Gemeinschaft und die Behörden
uns 2018 beschäftigt haben, stellen wir            aufzeigen. Der Bericht    und Verbände, mit denen wir in engem
Ihnen in diesem Jahresforschungsbe­              soll darüber hinaus zum     Austausch stehen. Einen großen Dank
richt vor: Lesen Sie ab Seite 8, wie sich        Nachdenken, vertieften      möchte ich der Senatskanzlei Wissen­
der Klimawandel auf unsere Gewässer                                          schaft und Forschung des Landes Berlin
                                                 Recherchieren und Han­
auswirkt und was wir diesen Folgen ent­                                      und dem Bundesministerium für Bildung
gegensetzen können. Ab Seite 16 werfen
                                                  deln anregen. Anschlie­    und Forschung (BMBF) aussprechen, die
wir einen Blick auf die Besonderheiten             ßend miteinander im       durch ihre finanzielle und nichtmateriel­
urbaner Gewässer als Ökosysteme und              Gespräch zu bleiben, ist    le Unterstützung die Arbeit des Instituts
als Ressource für den Menschen. Und ab            uns ebenfalls wichtig.“    ermöglichen. Ohne die Mitarbeitenden,
Seite 24 tauchen wir ein in die Welt der                                     die sich in Forschung, Verwaltung, Tech­
Fische. Unsere Ergebnisse zeigen, wie                                        nik und Labor täglich mit Elan einsetzen,
diese Tiere neue Lebensräume erobern,                                        wären aber die enormen Fortschritte,
wie wir ihre Bestände künftig besser                                         die das Institut auch 2018 wieder in der
nutzen und schützen können und wie sie                                       Forschung, der gesellschaftlichen Vernet­
uns ermöglichen, wissenschaftliche The­                                      zung und den internen Strategieprozes­
sen auf den Prüfstand zu stellen.                                            sen gemacht hat, natürlich undenkbar.
                                                                             Auch für diesen Einsatz einen ganz herz­
Mit der Auswahl der Themen in diesem                                         lichen Dank!
Jahresbericht möchten wir nicht nur
die Erkenntnisse und Leistungen des                                          Ich bin froh und stolz darauf, dass hiermit
IGB aufzeigen. Der Bericht soll darüber                                      die Voraussetzungen gegeben sind, um
hinaus zum Nachdenken, vertieften Re­                                        am IGB weiter wichtige Grundlagen über
cherchieren und Handeln anregen. An­                                         Gewässer und ihre Biodiversität zu erar­
schließend miteinander im Gespräch zu                                        beiten und darauf aufbauend, sachlich
bleiben, ist uns ebenfalls wichtig. Denn                                     fundierte Lösungen für gesellschaftliche
wir sind überzeugt, dass wir den engen                                       Herausforderungen zu entwickeln. Damit
und offenen Austausch mit Politik und                                        leisten wir nicht zuletzt einen sichtbaren
Zivilgesellschaft brauchen, um dem mas­                                      Beitrag, um die Integrität und Glaubwür­
siven Verlust aquatischer Biodiversität,                                     digkeit der Wissenschaft in unruhigen
den Folgen des Klima- und Landnut­                                           Zeiten zu bewahren.
zungswandels für Gewässer und der glo­
bal rasant zunehmenden Urbanisierung
wirksam begegnen zu können.
                                                                             Ihr
Mein Dank gilt an dieser Stelle wieder
den zahlreichen Partnern, die uns im
Jahr 2018 in Forschung, Lehre und beim
Transfer neuer Erkenntnisse in die Ge­
sellschaft begleitet, unterstützt und in­                                    Mark Gessner
                                                                             Direktor a.i.
Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei                                                                              5
Gewässerforschung 2018 - Jahresforschungsbericht des IGB - IGB Berlin
Nachrichten

           Geprüft und zur weiteren
           Förderung empfohlen
           Zwei Tage lang stand das IGB im Juni 2018 un-
           ter b­ esonderer Beobachtung: Neun internationale
           ­Gutachterinnen und Gutachter prüften das Institut und
            seine wissenschaftliche Leistung auf Herz und Nieren.
            Hinzu kamen Vertreterinnen und Vertreter des L­ andes
            Berlin, des BMBF, der Leibniz-Gemeinschaft sowie
            unserer Partneruniversitäten in Berlin und ­Potsdam.
            Beeindruckt war die Kommission von der beachtlichen
            Publikationsleistung und der hervorragenden Infra-
            struktur des IGB. Besonders hervorgehoben wurde auch
            das am Institut entwickelte Science-Society-Interface,
            um Forschungswissen in die Gesellschaft zu tragen. Der
            Senat der Leibniz-Gemeinschaft schloss sich diesem
                                                                                     Foto: Angelina Tittmann
            positiven Urteil an und empfahl Bund und Ländern die
            weitere Förderung des Instituts. Ein großer Dank gilt
            allen Mitarbeitenden für den e­ ngagierten Einsatz!
                                                                                     Algenblüten
                                                                                     verhindern

                                                 Fisch des Jahres                           Unsere Müggelsee-Langzeit-
                                                                                            daten lassen tief blicken: Sie
                                                        Der Atlantische Lachs        zeigen, dass eine Reduzierung von
                                                        ist Fisch des Jahres         Stickstoff in Seen der Schlüssel zur
                                                 2019. Seine besondere Le­           Vermeidung von Algenblüten im
                                                 bensweise zwischen Fluss            Sommer ist. Und dass die Bindung
                                                 und Meer, seine wirtschaft­         von Luftstickstoff durch Blaualgen
                                                 liche Bedeutung für Angelfi­        viel zu gering ist, um als Gegenargu-
                                                 scherei und Aquakultur und          ment für die ökologisch notwendige
                                                 sein Schirmartcharakter für         Verringerung der Stickstoffeinträge
     Foto: Copernicus Sentinel data (2015) ESA   Revitalisierungsmaßnahmen           zu gelten. Die starke Freisetzung
                                                 machen ihn auch für uns zum         von Phosphor aus dem Sediment

           17
                                                 interessanten Forschungsob­         und von Stickstoff aus dem Wasser
                                                 jekt. Forschende des Projekts       in die Luft ist typisch für Flachseen
                        Leistungen               IMPRESS haben sich auf den          im Sommer, sodass sich viele andere
                                                 Weg zu Bruthäusern in Nor­          ­flache Seen ähnlich
                   erfasst der neue Ri­          wegen, Wales und Deutsch­            verhalten dürften.
                   ver Ecosystem Service         land gemacht. Sie sprachen
           Index, kurz RESI. Das neue            mit Angelvereinen und Frei­
           Werkzeug hilft, Ökosystem­            willigen über ihre Motivation.      Video ansehen
           leistungen von Flüssen und            Im Interview auf p Seite 30         p www.youtube.com/watch?v=oIME72cZy4M
           ihren Auen zu erfassen, zu be­        haben wir Sophia Kochalski
           werten und zu visualisieren.          zu den Ergebnissen befragt.         Shatwell, T., & Köhler, J. (2019).
           Die methodischen Grundla­                                                 ­Decreased nitrogen loading controls
           gen und Berechnungsformeln                                                 summer cyanobacterial blooms w    ­ ithout
           fasst ein Anwendungshand­                                                  promoting nitrogen-fixing taxa: Long-
           buch zusammen, das als kos­                                                term response of a shallow lake. Limno­
           tenfreier Download verfüg­                                                 logy and Oceanography, 64(S1), 166-178.
           bar ist. Mehr erfahren Sie auf                                             doi:10.1002/lno.11002
           p Seite 21.                                     Grafik: Christiane John

6                                                                                                Jahresforschungsbericht 2018
Gewässerforschung 2018 - Jahresforschungsbericht des IGB - IGB Berlin
Nachrichten

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                                            Mit vereinten Kräften

                   Artikel                         Im Rahmen der World Water Week in Stockholm wurde die
                                                   Alliance for Freshwater Life (AFL) Ende August 2018 offiziell
        zu aquatischen Grenz-               vorgestellt. Die AFL ist ein internationales Netzwerk von aktuell 23
        zonen bündelt ein Son-              Partnern, darunter als Gründungsmitglied auch das IGB. „For-
derheft der Fachzeitschrift                 schung, Naturschutz und Politik haben alle ein großes Interesse
Limnologica, das im Frühjahr                daran, die Biodiversität zu schützen. Trotzdem arbeiten wir noch
2018 erschienen ist. Unter                  nicht intensiv genug zusammen. Die AFL ist für alle Teilnehmen-
dem Titel „Aquatic interfaces               den ein Bekenntnis, Expertisen zu bündeln und sich dafür einzuset-
and linkages – an emerging                  zen, dass auch die Öffentlichkeit für das Thema sensibilisiert wird“,
topic of interdisciplinary re­              so beschreibt IGB-Forscher Michael Monaghan den Auftrag des
search” thematisiert das Heft               Netzwerks.
die komplexen Wechselwir­
kungen von geochemischen,                   Mehr erfahren
biologischen und physikali­                 p www.allianceforfreshwaterlife.org
schen Prozessen an diesen
Orten. Grenzzonen zeigen                    Darwall, W. et al. (2018). The Alliance for Freshwater Life: a global call to
eine besonders hohe Aktivität               unite efforts for freshwater biodiversity science and conservation. Aqua­
und beeinflussen so die Stoff-              tic Conservation, 28(4), 1015-1022. doi:10.1002/aqc.2958
und Energieströme innerhalb
der Gewässer sowie mit der
sie umgebenden Landschaft.
Ihre Funktionsweise und
­Leistungen zu verstehen, ist
 nötig, um die Auswirkungen                 Neues Gesicht
 von Managementmaßnah­
 men oder Umweltwandel                                                         „Ein besonderes Anliegen ist mir, die
 besser abschätzen zu können.                                                  Integration von Wissenschaft und
 An dem Sonderheft haben                                                       Wissenschaftsunterstützung weiter
 neun IGB-Autoren aus vier                                                     voranzutreiben, um gemeinsam
 Abteilungen mitgewirkt. Das                                                   möglichst gute Rahmenbedingungen
 IGB hat frühzeitig einen eige­                                                für die Forschung am IGB zu schaf-
 nen Schwerpunkt auf dieses                                                    fen“, sagt Gwendolyn Billig, seit dem
 Thema gelegt, etwa einen                                                      1. Januar 2019 neue Verwaltungs-
 Programmbereich dafür ein­                                                    leiterin am Institut. Und wir sagen:
 gerichtet sowie die beiden                                                    herzlich willkommen im Team!
 Graduiertenschulen AQUA­                   Foto: IGB/David Ausserhofer
 LINK und Urban Water Inter­
 faces initiiert.                           Dr. Gwendolyn Billig, verwaltungsleitung@igb-berlin.de

Hupfer, M. et al. (2018). Aqua­
tic interfaces and linkages: an
emerging topic of interdis­
ciplinary research. Limno­                     GEWÄSSER-NEWS
logica, 68, 1-4. doi:10.1016/j.
limno.2017.12.002                                      Sie möchten über unserer Gewässerforschung auf dem Laufen­
                                                       den bleiben und wissen, welche neuen Aktivitäten es am IGB
                                               gibt? Dann abonnieren Sie doch unseren Newsletter,
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Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei                                                                            7
Gewässerforschung 2018 - Jahresforschungsbericht des IGB - IGB Berlin
Extreme
          Wetterereignisse
       gefährden Ernteerträge
     und Böden. Ebenso nehmen
      die negativen Folgen der                                           Nehmen
      intensiven Landnutzung                                        die Erderwärmung
        auf die Gewässer zu.                                      sowie gleichzeitig die
                                                               Belastung mit Nährstoffen
             p Seite 15                                         zu, emittieren Seen mehr
                                                                 Treibhausgase und be­
                                                               schleunigen so den Klima­
                                                                          wandel.

                                                                       p Seite 11

                                           Gewässer
                                       trocknen auf der
                                     ganzen Welt vermehrt
                                  temporär aus. Unter diesen
                                   schwankenden Lebensbe­
                                    dingungen leiden zahl­
                                 reiche Süßwasserfischarten,
                                    vor allem in der Mittel­
                                          meerregion.

                                         p Seite 14

8                                                                 Jahresforschungsbericht 2018
Im Zeichen
des Klimawandels
Wie Erwärmung und Wetterextreme
unsere Gewässer beeinflussen

Die globale Erwärmung nimmt zu, ebenso das Auftreten von Wetterextremen.
Der Klimawandel entpuppt sich schon heute als bedeutender Stressfaktor für
­unsere Gewässer. Seen und Fließgewässer, deren Sedimente Treibhausgase
 abgeben, tragen dabei selbst zur Klima­veränderung bei. IGB-Forschende
 beschäftigen sich in ganz unterschiedlichen Projekten mit dem Klimawandel:
 Sie sprechen zum Beispiel mit Landwirten über Klima­anpassungen,
 analysieren, wie sich steigende T
                                 ­ emperaturen auf das Algenwachstum
 und Fischpopula­tionen auswirken – und tragen zum nächsten
 IPCC-Bericht bei.

                                                                           Hohe
                                                                 Nährstoffkonzentrationen,
                                                               ­höhere Wassertemperaturen
                                                               und eine längere Schichtung
                                                                  begünstigen, dass Cyano­
                                                                bakterien in Seen gedeihen.
                                                              Die Nutzung als Badegewässer
                                                              ist dann häufig beeinträchtigt.

                                                                        p Seite 12
Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei                                     9
Fo r s c h u n g | Im Zeichen des Klimawandels

                                                                                                                 Seen leiden unter …

                                                                                     Klima
                                       Der Klimawandel macht Seen – ob flach, ob tief, ob groß oder klein – zu schaffen. Das liegt
                                       vor allem an steigenden Temperaturen und extremen Wetterereignissen, aber auch an zu
                                                                        vielen Nährstoffen, die in ihre Wasserkörper gelangen.

                                       Was den Rhythmus von Seen prägt, ist die Phänologie, der Ablauf bestimmter saisonaler Ereignis­
                                        se im Jahresverlauf. Steigen die Temperaturen, frieren sie später und seltener zu, das Eis auf ihrer
                                           Oberfläche schmilzt eher. Mehr Licht und Wärme lassen die Algen im Frühjahr eher wachsen.

                                     Auf steigende Lufttemperaturen und damit erhöhte Wassertemperaturen reagiert der thermische
                                        Zyklus von Seen besonders empfindlich. Dieser Zyklus steuert die saisonale Durchmischung der
                                     Wassersäule: Wie mit einem Motor werden Sauerstoff und Nährstoffe gleichmäßig verteilt. Zuneh­
                                        mende Heißwetterperioden in den Sommermonaten führen dazu, dass Seen auch dann häufiger
                                      eine Schichtung ausprägen, wenn sie flach sind, wie zum Beispiel der Müggelsee in Berlin. Sind sie
                                          sehr tief wie etwa der Bodensee, kühlen sie sich in warmen Wintern nicht mehr stark genug ab
                                       und durchmischen sich in der Folge nicht mehr jährlich bis zum Grund. Durch den Klimawandel
                                                 ändern sich also die Schichtungstypen, meist zum Nachteil der Durchmischung.

                                     Die veränderte thermische Struktur führt voraussichtlich auch dazu, dass die Sauer­
                                     stoffkonzentration in Seen sinken wird. Der Sauerstoffmangel bringt ein weiteres
                                       Problem mit sich: Durch chemische Prozesse werden zuvor in den Sedimenten
                                       gebundene Nährstoffe wie Phosphor freigesetzt. Seen düngen sich quasi un­
                                      freiwillig selbst. Diese Nährstoffe sind nur ein kleiner Teil des Problems: Seen
                                         leiden enorm und schon seit vielen Jahrzehnten unter Nährstoffeinträgen
                                        aus der Landwirtschaft (p Seite 15) und durch Abwassereinleitungen. Beide
                                       sind Hauptverursacher für übermäßiges Algenwachstum. Der Klimawandel
                                       beschert vielen Seen erhöhte Niederschläge, zum Beispiel durch Starkregen­
                                         ereignisse. Diese führen zusätzlich zu steigenden Nährstofffrachten aus der
                                                    Umgebung, vor allem von gelöstem organischem Kohlenstoff.

                                       Apropos Algenwachstum: Neben hohen Nährstoffkonzentratio­
                                      nen begünstigen auch höhere Wassertemperaturen und eine
                                          längere Schichtung, dass insbesondere Cyanobakterien
                                     prächtig in Seen gedeihen. Dadurch können sich auf ihren                                Im IGB-Dossier
                                      Oberflächen im Sommer dichte Blütenteppiche bilden.                            „Seen im Klimawandel:
                                       Als Badegewässer sind sie dann kaum mehr tauglich.                        Diagnosen und Prognosen
                                                                                                                aus der Langzeitforschung“
                                       Seen sind vitale Lebensräume, die für viele Pflanzen                   haben wir zusammengefasst,
                                       und Tiere, für den Menschen und als wichtiger Bau­              welchen Veränderungen Seen bereits
                                     stein im globalen Ökosystem unverzichtbar sind. Wie              unterliegen und welche Szenarien wir
                                      stark und in welchem Tempo der Klimawandel ihnen                  voraussichtlich zu erwarten haben.
                                     weiter zusetzen wird, ist unklar, zumal eine verstärkte                             Es kann kostenlos
                                         Wassernutzung und -verknappung auf der ganzen                           heruntergeladen werden
                                            Welt den Seeökosystemen zusätzlich zu schaffen            p http://bit.ly/Klimawandel-Dossier
                                      macht. Sicher scheint jedoch zu sein: Seen sind mächtig
                                     im Stress, und der wird in den kommenden Jahren voraus­
                                                                         sichtlich weiter zunehmen.

                                                                  Prof. Dr. Rita Adrian, adrian@igb-berlin.de
                                                                         Dr. Tom Shatwell, tom.shatwell@ufz.de

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Im Zeichen des Klimawandels | Fo r s c h u n g

Seen machen …

stress
          Seen sind Treibhausgas-Senken? Ja. Aber: Sie können auch vermehrt Methan und
              ­Kohlendioxid freisetzen und damit zu einer entscheidenden Quelle für Treib-
                 hausgase werden. Je mehr Gase als Emissionen aus Binnengewässern in
                   die Atmosphäre gelangen, desto schneller erwärmt sich die Erde: ein
                     Teufelskreis also, durch den sich der Klima­wandel selbst verstärkt.

                        Zwei Drittel der Erde sind von Wasser bedeckt, und das ist ungemein
                        nützlich: Große Wasser­körper sind nämlich in der Lage, klimawirksame
                        Treibhausgase wie Kohlendioxid (CO2) und ­Methan (CH4) zu binden. Die­
                        sen Job übernehmen vor allem die Ozeane, aber auch Seen haben einen
                        Anteil daran.

                    Denen scheint die Sache aber zu „heiß“ zu werden. Ihre Temperatur hat sich
                  in den Sommern der vergangenen 30 Jahre global im Schnitt um 0,34 Grad
               erhöht (p Seite 12). Und wird es wärmer, neigen sie dazu, Treibhausgase zu emit­
           tieren anstatt zu schlucken: Eine niederländische Labor­studie unter Beteiligung des
    IGB zeigte, dass ein Anstieg von 1°C die Methanfreisetzung von ­Gewässern um sechs bis 20
  Prozent erhöht. Ein Anstieg von 4°C führte im Labor zu 51 Prozent mehr Methanemissionen.

      Wie kommt es dazu? Methan entsteht in Seen normalerweise beim Abbau organischer
       Mate­rialien im Sediment. In kleinen Gasbläschen steigt es dann vom Grund bis an die
        Wasser­oberfläche und gelangt so in die Atmosphäre. Dieser Prozess ist von der Tempera­
        tur und von der Verfügbarkeit organischen Materials abhängig. Stauseen in den Tropen
        emittieren deshalb ­besonders viel Methan. Überflutete Regenwaldgebiete und höhere
        Temperaturen schaffen dort einen optimalen Mix für Zersetzungsprozesse und somit
        auch für die Bildung von Methan. So könnte der weltweite Staudammboom zu einer
       Zunahme der Treibhausgasemissionen führen, wiederum begünstigt durch den Tempera­
      turanstieg.

   Das ist aber nicht alles. Methan wird nicht nur in den Sedimenten, sondern auch in der
­ assersäule gebildet. Cyanobakterien, die Methan produzieren können, spielen dabei eine
W
wichtige Rolle. Diese mögen es wiederum, wenn in Seen viele Nährstoffe verfügbar sind, und sie
mögen ebenfalls hohe Temperaturen: Dann gedeihen sie, die Methanbildung „blüht“.

Zwar kann das in Sedimenten oder im Wasser gebildete Methan direkt im Wasser abgebaut
­werden, nämlich durch Mikroorganismen, die Methan verstoffwechseln. Das gilt aber nur für
 einen Teil des Methans. Auch dieser mikrobielle Prozess ist von der Temperatur abhängig. Die
 Erderwärmung kann also beides forcieren: die Bildung und den Verbrauch von Methan in Seen.

Es ist offensichtlich: Seen spielen eine wichtige Rolle für die Treibhausgaskonzentration in
der Atmosphäre. Dabei hängt es von den Umweltbedingungen ab, ob sie als Senke oder als
­Quelle für Treibhausgase wirken. Nehmen die Erderwärmung sowie gleichzeitig die Belastung
 mit ­Nährstoffen zu, werden Seen mehr Treibhausgase emittieren und so den Klimawandel
 ­beschleunigen.

Dr. Peter Casper, pc@igb-berlin.de
Prof. Dr. Hans-Peter Grossart, hgrossart@igb-berlin.de
PD Dr. Sabine Hilt, hilt@igb-berlin.de
Dr. Gabriel Singer, singer@igb-berlin.de

Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei                                                                           11
Fo r s c h u n g | Fokus Klimawandel

                                                            „Die Aussagen im IPCC-
                                                            Bericht müssen sehr gut
                                                                  abgesichert sein.“

                                       Rita Adrian leitet die Abteilung
                                       Ökosystemforschung am IGB.
                                        Foto: IGB/David Ausserhofer

                 Rita Adrian befasst sich mit der Lang-                   haben wir Messreihen, die 40 bis 50 Jahre zurückrei­
                 zeit- und Klimafolgenforschung an Seen.                  chen und es uns erlauben, Trends zu berechnen. So ist
          Der Weltklimarat hat sie als Hauptautorin des                   das Oberflächenwasser von Seen im Sommer seit den
          ­Sechsten IPCC-Sachstandsberichts (AR6) aus-                    1980er-Jahren im globalen Durchschnitt um 0,34 °C
           gewählt, der 2021/22 veröffentlicht werden soll.               pro Dekade wärmer geworden. Darüber hinaus sind
           Bereits am Fünften IPCC-Sachstandsbericht von                  Ökosysteme zunehmend Extremereignissen wie
           2014 hat Rita Adrian als Co-Autorin mitgewirkt.                Hitze oder Stürmen ausgesetzt; letztere gehen oft
                                                                          mit starken Niederschlägen einher. All das beeinflusst
          Frau Adrian, wie sieht Ihr Beitrag für den IPCC konkret         ebenfalls die thermische Struktur und die Nährstoff­
          aus?                                                            dynamik eines Sees (p Seite 10).
          So einen Bericht zu verfassen, ist ein jahrelanger Pro­
          zess, an dem ein großes internationales Autorenteam             Welche Auswirkungen hat der Temperaturanstieg auf
          beteiligt ist. Beim kommenden IPCC-Sachstandsbe­                Seen?
          richt bin ich zusammen mit weiteren Hauptautoren                Die Auswirkungen sind sehr vielfältig, hier nur zwei
          für das Kapitel Terrestrial and freshwater ecosystems           Beispiele: Der Erwärmungstrend hat eine Verlänge­
          and their services verantwortlich. Wir tauschen uns             rung der sommerlichen stabilen thermischen Schich­
          regelmäßig über E-Mail aus und treffen uns im Januar            tung von Seen zur Folge. Fische, die aus dem sauer­
          2019 das erste Mal persönlich. Ich sehe in dieser Arbeit        stofffreien kalten Tiefenwasser nach oben ziehen,
          einen Beitrag an Wissenschaft und Politik, den ich              sind hier hohen Wassertemperaturen und zu geringen
          sehr gerne übernehme.                                           Sauerstoffkonzentrationen ausgesetzt. Dies kann zu
                                                                          Fischsterben führen, wie wir es im letzten Sommer
          Wie gehen Sie und Ihre Mitautoren vor?                          beobachten mussten. Eine weitere Folge betrifft die
          Wir bewerten die Auswirkungen der Klimaverände­                 Eisbildung. Der Müggelsee wird Ende dieses Jahrhun­
          rungen auf Gewässer und die aquatische Biodiversität            derts in sechs von zehn Jahren eisfrei sein, aktuell ist
          auf Basis der bereits vorhandenen begutachteten                 er das nur in zwei von hundert. Das entspricht einer
          wissenschaftlichen Literatur. Die Aussagen, die am              geografischen Verschiebung des Sees um etwa 800
          Ende im IPCC-Bericht stehen, müssen sehr gut wissen­            Kilometer nach Süden, also nach Norditalien.
          schaftlich abgesichert sein. Sie beruhen auf begutach­
          teten, wissenschaftlichen Publikationen.                        Prof. Dr. Rita Adrian, adrian@igb-berlin.de

          Wie machen sich Klimawandel und Erderwärmung bei                Das Gespräch führte Kristina Simons.
          Seen bemerkbar?
          Steigende Lufttemperaturen führen dazu, dass sich               Die Langfassung des Interviews lesen Sie auf unserer
          die Wassertemperaturen erhöhen. Aus unserer Lang­               Website p www.igb-berlin.de/news/igb-leistet-beitrag-
          zeitforschung am Müggelsee und von Seen weltweit                zum-ipcc-bericht

12                                                                                                 Jahresforschungsbericht 2018
Im Zeichen des Klimawandels | Fo r s c h u n g

Urbane Seen
fit für den Klimawandel machen
Der Sommer 2018 war außergewöhnlich heiß und
­trocken. Das wirkte sich auch auf die Berliner Stadt-
 seen aus, die Rekordwerte bei der Wassertemperatur
 erreichten: Im Müggelsee wurden 29,9 und im Tegeler
 See 28,6°C gemessen, die dort jeweils höchsten bisher
 gemessenen Wassertemperaturen; auch andere Seen wie
 der Arendsee, der größte natürliche See Sachsen-Anhalts,
 heizten sich so stark wie nie zuvor auf. Häufiger als sonst
 gab es deutschlandweit zudem Berichte über plötzliches
 Fischsterben und Massenentwicklungen von Cyanobak-
 terien.

Angesichts solcher Entwicklungen fragt sich, wie der Klima­
wandel zukünftig auf unsere Gewässer wirkt und mit welchen An­
passungsstrategien erreicht werden kann, dass Wasser in weiter­
hin guter Qualität zur Verfügung steht. Um diesen Fragen auf den
Grund zu gehen, haben wir einen Blick in die Zukunft des Tegeler
Sees geworfen, der für die Trinkwasserversorgung von Berlin eine
große Bedeutung hat. Wir betrachteten Klimaeffekte und Bewirt­
schaftung bis zum Jahr 2100 mit Hilfe einer Modellierungsstudie.
Die Modellergebnisse zeigen, dass sich in diesem urbanen See die
Wassertemperaturen erhöhen und die Dauer der sommerlichen              Mit Messbojen kann überwacht werden, wie sich Klima­
Schichtung verlängert. Wir koppelten diese Ergebnisse mit einem        veränderungen auf Seen auswirken. Diese Bojen verfügen
Gewässermodell und entwickelten Szenarien, um den Einfluss             jeweils über meteorologische Sensoren, eine oberflächennahe
verschiedener Bewirtschaftungsoptionen zu quantifizieren. Dabei        Multiparametersonde, eine autarke Stromversorgung und
zeigte sich, welche Konzentrationen für Sauerstoff, Phosphat und       Datenfernübertragung. Oben ist eine zusätzliche Messkette
Nitrat im Jahresverlauf zukünftig zu erwarten sind. Mit einer ange­    mit Temperatur- und Sauerstoffloggern abgebildet; unten eine
passten Bewirtschaftung lassen sich diese beeinflussen: Klimabe­       zusätzliche Multiparametersonde, die mehrmals am Tag Daten
dingte Effekte nehmen ab, wenn der Betrieb der Oberflächenwas­         aus unterschiedlichen Tiefen erhebt. | Abbildung: Sylvia Jordan
ser-Aufbereitungsanlage (OWA) des Sees stufenweise erhöht wird.
Insgesamt bestätigt unsere Studie, dass der Klimawandel den Auf­
wand zum Erhalt einer guten Wasserqualität von Seen erhöhen
kann. Grundlage für die Kalibrierung und Validierung numerischer
Modelle sind längere Zeitreihen, die nur für wenige Seen in der er­
forderlichen zeitlichen Auflösung vorliegen. Deshalb unterstützt
das IGB aktuelle Bemühungen der Senatsverwaltung von Berlin
und der Fachbehörden weiterer Bundesländer, ein Klimafolgen-
Monitoring für eine größere Anzahl von Seen einzurichten. Für ein
langfristig ausgelegtes Monitoring sind die Installation einer auto­
nomen Messboje an der tiefsten Stelle eines Sees und eine zeitnahe
Datenfernübertragung die beste Möglichkeit, um lückenlos klima­
bedingte Veränderungen der Temperatur und anderer Parameter
zu erfassen. Die Fernübertragung der Echtzeitmessungen an die
Fachbehörden kann auch als Frühwarnsystem genutzt werden, um
etwa rechtzeitig Maßnahmen gegen Fischsterben einzuleiten.

Dr. Michael Hupfer, hupfer@igb-berlin.de
Dr. Robert Ladwig, ladwig@igb-berlin.de

Ladwig, R. et al. (2018). Climate change demands adaptive
­management of urban lakes: model-based assessment of
 ­management scenarios for Lake Tegel (Berlin, Germany). Water,
  10(2), 1-23. doi:10.3390/w10020186

Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei                                                                               13
Fo r s c h u n g | Im Zeichen des Klimawandels

Süßwasserfische der
Mittelmeerregion in der Klimakrise

             Viele Süßwasserfische Europas sind durch
             den Klimawandel stark bedroht. Gregor
Kalinkat ist Biodiversitätsforscher am IGB und hat mit
einem internationalen Team untersucht, welche Arten
besonders gefährdet sind.
                                                                         Foto: IGB/David Ausserhofer
Herr Kalinkat, was sind die großen Herausforderungen für
Süß­wasserfische im Klimawandel?
Trockenfallende Gewässer, schwankende Wasserstände und vor               Erwärmung begünstigt Wachstum
allem steigende Wassertemperaturen werden vielen Arten in Zu­            von Aufwuchsalgen
kunft zu schaffen machen. Laut Roter Liste der Weltnaturschutzu­
nion (IUCN) ist etwa ein Drittel der Süßwasserfischarten von den
Auswirkungen des Klimawandels betroffen. Damit gehören sie zu                          Die globale Erwärmung hat tiefgreifen-
den am stärksten gefährdeten Arten weltweit. Wir sehen es aktuell                      de Auswirkungen auf das Funktionieren
im hitzegeplagten Australien, wo im Januar 2019 in vielen Flüssen        aquatischer Ökosysteme. Bisher zu wenig verstanden
hunderttausende Fische verendeten.                                       ist der Einfluss auf Primärproduzenten im Zusammen-
                                                                         spiel mit deren Konsumenten. Das gilt insbesondere
Wenn wir nach Europa schauen, welche Länder sind dort                    für Aufwuchsalgen (Periphyton), die alle Oberflächen
besonders betroffen?                                                     unter Wasser bewachsen. Sowohl deren Wachstum als
In unserer Studie haben wir 443 europäische Süßwasserfischarten          auch Fraßverluste, z.B. durch Schnecken, werden von der
untersucht. Die „Top 20“ der bedrohten Arten in Europa kommen            Temperatur beeinflusst. Wir haben mit Sabine Hilt ge-
aus Griechenland, Spanien und Portugal. Fische in extremen Le­           sprochen, wie sich die Erderwärmung künftig auf diese
bensräumen, die durch Hitze und Trockenheit charakterisiert sind,        Prozesse auswirken könnte.
zeigen sich besonders anfällig gegenüber einer weiteren Verschär­
fung der Lebensbedingungen.                                              Frau Hilt, profitieren Algen grundsätzlich von höheren
                                                                         ­Temperaturen oder gibt es auch gegenteilige Effekte?
Welche Vorschläge haben Sie für das Management von Europas                Verschiedene Algenarten haben unterschiedliche Temperaturop­
Süßwasserfischen?                                                         tima, aber grundsätzlich beschleunigen erhöhte Temperaturen
Unsere Ergebnisse und die Erkenntnisse aus anderen Studien sind           meist das Wachstum und erhöhen die Produktion. Das gilt aber
ein eindeutiges Signal dafür, Managementmaßnahmen besonders               nicht nur für die Aufwuchsalgen, sondern auch für deren Konsu­
auf die Mittelmeerregion zu konzentrieren. Die empfindlichsten            menten. Die Frage ist also, wie der Nettoeffekt aussieht.
Arten haben oft eine geringe Körpergröße, gehören zu den selte­
nen Arten mit kleinem Verbreitungsgebiet und haben daher nicht           Wie lautet Ihre Antwort?
unbedingt eine direkte wirtschaftliche Relevanz. Sie spielen mitun­      Wir konnten zeigen, dass sich die Produktion der Aufwuchsalgen
ter aber eine wichtige Rolle in den Nahrungsnetzen und Ökosyste­         im Frühjahr verdoppelt, wenn die Temperatur um 4°C erhöht wird.
men. Ich würde mir wünschen, dass Schutzbestrebungen nicht nur           Ab Juni wurde dieser Effekt jedoch durch den erhöhten Fraßdruck
die Fischerei, sondern den Erhalt der Lebensgemeinschaften und           der Konsumenten vollständig kompensiert. Um das zu untersu­
der komplexen Leistungen für Natur und Mensch im Fokus haben.            chen, hat mein Doktorand Garabet Kazanjian an einem großen
                                                                        Experiment zu den Auswirkungen der Klimaerwärmung am Nie­
Dr. Gregor Kalinkat, kalinkat@igb-berlin.de                              derländischen Institut für Ökologie (NIOO) teilgenommen. Dabei
                                                                         haben wir Flachseen-Ökosysteme in acht großen Tanks im Labor
Jaric, I. et al. (2019). Susceptibility of European freshwater fish to   simuliert, von denen die Hälfte um 4°C im Vergleich zur jeweils ak­
climate change: Species profiling based on life-history and envi­        tuellen Flachseen-Temperatur erwärmt wurde.
ronmental characteristics. Global Change Biology 25(2), 448-458.
doi:10.1111/gcb.14518                                                    Was bedeuten diese Veränderungen für aquatische Ökosysteme?
                                                                         Eine erhöhte Periphyton-Produktion wirkt sich nicht nur auf das
                                                                         Nahrungsangebot, sondern durch verstärkte Beschattung der Un­
                                                                         terwasserpflanzen auch auf die gesamte Struktur des Ökosystems
                                                                         aus. Das kann negative Konsequenzen für dessen Biodiversität,
                                                                         Treibhausgas-Emissionen und Kohlenstoff-Ablagerung haben.
                                                                         
                                                                         PD Dr. Sabine Hilt, hilt@igb-berlin.de

                                                                         Kazanjian, G. et al. (2018). Impacts of warming on top-down and
                                                                         bottom-up controls of periphyton production. Scientific Reports, 8,
Foto: IGB/David Ausserhofer                                              9901. doi:10.1038/s41598-018-26348-x

14                                                                                                          Jahresforschungsbericht 2018
Im Zeichen des Klimawandels | Fo r s c h u n g

Wie die Landwirtschaft
sich besser an den Klimawandel anpassen kann

Die Bodenbedeckung und die zeitgerechte Bearbeitung gewinnen bei zunehmender Trockenheit im Frühjahr und Spätsommer an Bedeutung.
                                                                                                               Foto: Andreas Gericke/IGB

             Ob der Starkregen im Juni 2017 oder der Dürresommer 2018 – bei extremen Wetterereignissen stellt sich
             schnell die Frage nach Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel, auch in der Landwirtschaft.
Denn treten solche Ereignisse vermehrt auf, gefährden sie Ernteerträge und Böden. Ebenso nehmen die negativen
Folgen der intensiven Landnutzung auf die Gewässer zu. Doch im Unterschied zum Klimaschutz gibt es für Klimaan-
passungen bisher kaum Strukturen. Im Projekt BAUM haben Forschende beispielhaft das Regionalklima in Berlin-
Brandenburg untersucht. Sie identifizierten die Folgen sowie mögliche Maßnahmen zur Klimaanpassung für die
Praxis. Ihre wichtigsten ­Ergebnisse haben wir zusammengefasst:

    1 Brandenburger Landwirtinnen und Landwirte neh­
      men die Klimaänderungen wahr und bewerten diese
überwiegend negativ. Jedoch hält nur die Hälfte der Befragten
                                                                     tung durch den (teilweisen) Verzicht auf den Pflug. Das wird
                                                                     in Brandenburg auf über 50 Prozent der Ackerfläche durchge­
                                                                     führt. Jedoch werden dabei mehr Herbizide eingesetzt.

                                                                      7
Klimaanpassungen für wichtig.

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                                                                            Wegen der steigenden Temperaturen und der Ver­
      Stations- und Klimamodelldaten bestätigen die Wahr­                   schiebung von Niederschlägen in den Winter wird es
      nehmung der Landwirtschaftsbetriebe: In den letzten            wichtiger, den Wasserrückhalt in der Fläche zu sichern. Dazu
30 Jahren haben sowohl die Temperaturen und Hitzetage als            gehört auch, Feuchtgebiete besser zu schützen.

                                                                     8
auch die Frühjahrstrockenheit und erosive Starkregen zuge­
nommen.                                                                      Auch die Landesverwaltung ist gefragt: Der bisherige

3
                                                                             mittlere Anstieg erosiver Starkregenereignisse um 50
        Bis Mitte dieses Jahrhunderts ist mit mehr Hitzetagen        Prozent und die im Projekt überarbeiteten Stickstoffbilanzen
        (+ 4 bis 5 Tage) und höheren Mitteltemperaturen              erfordern eine Neuausweisung von Risikogebieten für hohe
(+ 0,7 °C im Sommer und + 1,3 °C im Winter) zu rechnen. Das          Stoffeinträge in Gewässer für die Europäische Wasserrahmen­
Risiko von Bodenerosion nimmt weiter zu, um bis zu 40 Pro­           richtlinie.

                                                                     9
zent. Die Neubildung des Grundwassers steigt im Winter um
10 Prozent und verringert sich tendenziell im Sommer.                        Die Kommunen sollten Kläranlagen ausbauen und

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                                                                             optimieren. So stammt zwar ein Drittel der Nährstoff­
       Die aktuell großen klimatischen Schwankungen ver­             einträge in die Gewässer in Berlin-Brandenburg heute aus
       deutlichen: Die Landwirtschaft muss generell schneller        der Landwirtschaft. Um etwa den guten chemischen Zustand
und flexibler auf Klimaänderungen und Wetteranomalien                der Havel bis 2027 zu erreichen, müssten die Frachten von
reagieren. Dafür müssen auch regionale, datenbasierte Klima­         Stickstoff um ein Drittel und von Phosphor um 16 Prozent
analysen stärker in der Praxis Anwendung finden.                     gesenkt werden. Mit landwirtschaftlichen Maßnahmen allein

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                                                                     ist dieses Ziel nicht zu erreichen.
       Klimaaussagen sind stets unsicher. Landwirtinnen und
       Landwirte können sich durch ein breites Sorten- und
Artenspektrum und den Aufbau der Humusschicht in ihren               Alle Ergebnisse des Projekts können als Broschüre herunter­
Böden besser gegen die Herausforderungen wappnen. Auch               geladen werden. Diese enthält auch Hinweise zu weiterer
die Umstellung auf Ökolandbau kann durch die höhere Boden­           Literatur p http://bit.ly/BAUM-Broschuere
bedeckung und den verringerten Düngereinsatz die Risiken
des Klimawandels abmildern. Bisher werden landesweit
­weniger als 10 Prozent der Äcker ökologisch bewirtschaftet,         Projekt: Klimawandel und Wetteranomalien: Bewertung von
 mit deutlichen regionalen Unterschieden.                            ­Agrar-Umwelt-Maßnahmen (BAUM), Laufzeit 10/15-06/18,

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                                                                      ­Gefördert durch: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz
      Eine wirksame und für viele Betriebe attraktive Maß­             und Nukleare Sicherheit (BMU), Leitung: Dr. Andreas Gericke,
      nahme zum Schutz der Böden und der Verbesserung                  ­gericke@igb-berlin.de, Beteiligung: Abteilung 1, Programm-
des Wasserhaushalts ist die konservierende Bodenbearbei­                bereich 3

Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei                                                                                  15
Die zunehmende
                                      Urbanisierung erfor­
                                    dert neue Konzepte zur
                                  ­Sicherung der Ernährung,
                                    zum Beispiel städtische
                                      Landwirtschaft. Ein
                                    neues P ­ rojekt evaluiert
                                     das ­Potenzial urbaner
                                           ­Aquaponik.

                                          p Seite 23

                Regionen,
            die einen starken
       Rückgang an Fluginsekten
           verzeichnen, leiden
         zusätzlich unter hoher
          Lichtverschmutzung.
                                                          In Städten
              p Seite 20                            ist der Nutzungsdruck
                                                  durch Freizeitaktivitäten
                                                 besonders hoch. Zeitpunkte
                                                 mit hoher Belastung entste­
                                                 hen meist nur an wenigen
                                                 Tagen im Jahr, können die
                                                  Gewässer aber stark und
                                                 dauerhaft beeinträchtigen.

                                                           p Seite 18

16                                                              Jahresforschungsbericht 2018
Stadt, Land, Gewässer
   Ökosysteme mit Zukunft? Seen, Flüsse und Co.
   im urbanen und ländlichen Raum

  Ohne Gewässer wäre das Leben kaum denkbar, ob in der Stadt oder auf
  dem Land. Sie sind jedoch in Gefahr, zum Beispiel durch Mikroplastik
  oder Übernutzung – beides Themen, mit denen sich IGB-Forschende
  intensiv beschäf­tigen. Außerdem haben sie einen I­ ndex entwickelt,
  mit dem sich der Wert von Flusslandschaften bemessen lässt, und
  bringen in Erfahrung, wie sauber s­ tädtische Teiche sind – und wie sie
  von ­Bürgerinnen und Bürgern wahr­genommen ­werden.

                                                                               Ein neuer
                                                                        Index hilft, Leistungen
                                                                        von Flusslandschaften
                                                                          zu erfassen und die
                                                                       Auswirkungen von Bau-
                                                                       und Bewirtschaftungs­
           Viele
                                                                       maßnahmen fachüber­
       anthropogene
                                                                         greifend zu bewerten.
 organische Spurenstoffe
 werden nicht oder kaum
                                                                              p Seite 21
aus dem Abwasser entfernt
    und gelangen so in
     städtische Flüsse.

         p Seite 20

   Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei                                     17
Fo r s c h u n g | Stadt, Land, Gewässer

           „Einzäunen geht nicht“

                                                                                                Diverse Freizeitnutzungen an Gewässern
                                                                                            wurden bisher kaum wissenschaftlich unter­
                                                                                                      sucht. | Foto: Florian Möllers/AVN

                  Gewässer spielen eine zentrale Rolle für die Gestaltung unserer Freizeitaktivitäten. Wie sich diese auf die
                  Ökosysteme von Seen und Flüssen auswirken, wurde im Gewässermanagement bislang kaum und besten-
           falls durch Nutzungseinschränkungen berücksichtigt. Markus Venohr und Christian Wolter wollen das ändern –
           und verraten im Interview auch, was Nutzerinnen und Nutzer bevorzugen und am meisten stört, wenn sie am See
           Erholung suchen.

           Herr Venohr, Herr Wolter, Sie beschäftigen sich in                   Markus Venohr: … und dann gibt es noch die Padd­
           Ihrem aktuellen Projekt AQUATAG mit der Frage, wie                   ler, oder Spazierende, die ihre Hunde ausführen,
           stark Gewässer unter der menschlichen Freizeitnut-                   oder Badende. Sie alle nutzen Seen und Flüsse auf
           zung leiden. Wie kam es dazu?                                        jeweils unterschiedliche Weise. Insgesamt entsteht
           Christian Wolter: Anthropogene Einflüsse auf Ge­                     vor allem in den Städten ein starker Nutzungsdruck
           wässer sind ein wichtiger Teil unserer Forschungs­                   durch Freizeitaktivitäten auf Gewässer, über den
           arbeit. Wir hatten bislang allerdings vor allem die                  wir bisher zu wenig wissen. Welche Bedingungen
           kommerzielle Nutzung im Blick, also beispielsweise                   bestimmen, wie viele Leute zu welchen Zeiten an
           Beeinträchtigungen durch Schifffahrt oder den                        ein Gewässer gehen? Dazu gibt es kaum Daten,
           Eintrag von Nährstoffen aus der Landwirtschaft.                      und die vorhandenen, zum Beispiel ein Jahres­
           Bei der Frage, wie sich Gewässer revitalisieren las­                 durchschnitt von Badegästen, sind nicht geeig­
           sen, geriet die Freizeitnutzung gewissermaßen von                    net, Nutzungspeaks zu lokalisieren. Peaks – also
           selbst in den Blick – schließlich werden Motorboote                  Zeitpunkte mit hoher Belastung – entstehen meist
           auch privat genutzt…                                                 nur an wenigen Tagen im Jahr, beeinträchtigen
                                                                                dann aber die Ökologie unter Umständen stark
                                                                                und dauerhaft.

                                                                                Was zeichnet solche Peaks aus, und warum werden
                                               „Peaks – also Zeitpunkte         sie zur Belastung für die Gewässer?
                                                mit hoher Belastung –           MV: Insbesondere Badegewässer werden an hei­
                                                entstehen meist nur an          ßen, sonnigen Tagen gerne genutzt, an Wochen­
                                               wenigen Tagen im Jahr,           enden und in den Ferien sind die Besucherzahlen
                                                 beeinträchtigen dann           deutlich höher als an Arbeitstagen. Ab welcher
                                                                                Belastung das für die Ökologie der Gewässer prob­
                                               aber die Ökologie unter
                                                                                lematisch ist, wollen wir herausfinden.
                                                 Umständen stark und            CW: Uns interessiert in diesem Zusammenhang
                                                      dauerhaft.“               auch die Frage, welche Rückkopplungen es zwi­
           Foto: Andy Küchenmeister/IGB              MARKUS VENOHR              schen Nutzung und Belastung gibt. Wenn viele

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Stadt, Land, Gewässer | Fo r s c h u n g

                                       „Denkbar wäre auch,       – da können wir wunderbar vergleichen. Außer­
                                                                 dem untersuchen wir die im Berliner Stadtgebiet
                                        Gewässer, die bereits
                                                                 gelegenen Kaulsdorfer Seen, die im Sommer stark
                                      attraktiv für Besucher     frequentiert werden, aber auch Seen in Branden­
                                    sind, als „Opfergewässer“    burg, in denen vielleicht ein paar Dorfkinder baden.
                                      zu definieren und dort
                                      eine tolle Infrastruktur   Ziel der Untersuchungen soll ja sein, Maßnahmen
                                    zu installieren – von der    zum Gewässerschutz anzupassen. Haben Sie ein
                                                                 Beispiel für solche Anpassungen?
                                    Zufahrt über Parkplätze
                                                                 MV: Wichtig ist uns, Nutzerzufriedenheit und
Foto: Andy Küchenmeister/IGB        bis zu Toiletten. Dadurch    ökologische Effekte gemeinsam einzubeziehen. Für
                                     lässt sich der Nutzungs­    einige Gewässer gibt es zum Beispiel eine maximal
                                       druck lenken, andere      erlaubte Zahl von Paddelbooten. Die Festlegungen
                                      Gewässer in der Umge­      sind allerdings bisher nicht wissenschaftlich be­
Menschen den Badesee besu­             bung werden weniger       gründet und bei den Nutzenden umstritten. Wenn
chen und das Ökosystem leidet,                                   wir jedoch zeigen können, dass die ökologische
                                          stark besucht.“
wirkt sich dies wiederum auch                                    Belastung ab einer bestimmten Anzahl tatsächlich
                                         CHRISTIAN WOLTER
auf die Nutzung aus? Befragun­                                   kritisch wird, kann dadurch die Akzeptanz solcher
gen zeigten uns, dass moderat                                    Begrenzungen steigen.
geschädigte Ökosysteme – etwa                                    CW: Denkbar wäre auch, Gewässer, die bereits
ein „aufgeräumter“ Strand mit wenig Bewuchs und                  attraktiv für Besucher sind, als „Opfergewässer“
ohne Wasserpflanzen im Ufersaum – bevorzugt                      zu definieren und dort eine tolle Infrastruktur zu
werden, dort ist die Nutzerzufriedenheit größer als              installieren – von der Zufahrt über Parkplätze bis
an sehr naturnahen Wasserstellen.                                zu Toiletten. Dadurch lässt sich der Nutzungsdruck
                                                                 lenken, andere Gewässer in der Umgebung werden
Worauf legen Badegäste besonderen Wert?                          weniger stark besucht. Ein vollständiger Schutz
MV: Wer schwimmen will, dem ist klares Wasser                    ist kaum realisierbar – einzäunen geht schließlich
besonders wichtig; auch Müll wurde häufig als                    nicht. Aber unser Ziel sollte es schon sein, dass
Störfaktor genannt. Interessanterweise sind aber                 natürliche Gewässerlandschaften sich nicht weiter
auch andere Nutzerinnen und Nutzer uner­                         zurückentwickeln, sondern sich erholen können.
wünscht. Wenn es sehr voll an einer Badestelle ist,
kann das schwerer wiegen als Müll oder andere                    In einer Stadt wie Berlin ist das sicher nur einge-
Störfaktoren. Je nach Nutzertyp sind die Präfe­                  schränkt möglich, was kann man dort tun?
renzen allerdings unterschiedlich, zum Beispiel                  MV: In Berlin sind große Anteile der Gewässerufer
kann eine gute Wasserqualität für Angler eine                    verbaut und weder begeh- noch erlebbar. Diese
völlig andere Bedeutung haben; die mögen lieber                  moderat zu erschließen, bietet Potenziale sowohl
trüberes, also nährstoffreiches Wasser, in dem                   für das bessere Erleben urbaner Gewässer als auch
Fische gut gedeihen. Wer ein Boot fährt, mag es                  für den Arten- und Biotopschutz.
wiederum, wenn wenige Wasserpflanzen wachsen.
Die ökologische Belastung für Gewässer beginnt                   Das Gespräch führte Wiebke Peters.
jedoch bereits, bevor Freizeitnutzende Veränderun­
gen wahrnehmen. Um solche Schwellenwerte geht                    Dr. Markus Venohr, venohr@igb-berlin.de
es uns.                                                          Dr. Christian Wolter, wolter@igb-berlin.de

Ab welchem Nutzungsdruck kommt es zu einer dau-                  Projekt: AQUATAG, Laufzeit: 03/17-12/17 und 03/19-
erhaften Beeinträchtigung von Ökosystemen?                       02/22, Gefördert durch: BMBF, Leitung: Dr. Markus
CW: Für die kommerzielle Schifffahrt in Bundes­                  Venohr, venohr@igb-berlin.de, Beteiligung: Abtei­
wasserstraßen haben wir einen solchen Wert                       lungen 1 und 4, Programmbereich 3
bereits bestimmen können. Wenn mehr als sechs
bis acht Schiffe pro Tag passieren, werden im                    Venohr, M. et al. (2018). The underestimated
Uferbereich lebende Jungfische beeinträchtigt. Wir               dynamics and impacts of water-based recreational
wollen weitere Belastungsschwellen identifizieren                activities on freshwater ecosystems. Environmental
und untersuchen dafür sowohl weniger als auch                    Reviews, 26(2), 199-213. doi:10.1139/er-2017-0024
intensiver genutzte Gewässer, auch um unterschei­
den zu können, welche Effekte aus der Freizeitnut­
zung resultieren und welche nicht. Zum Beispiel
gibt es in der Spreewaldregion unterschiedlich
genutzte Wasserläufe: Von komplett geschützten
Gräben über wenig befahrene Nebenarme bis zu
den Hauptrouten, die intensiv genutzt werden

Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei                                                                   19
Fo r s c h u n g | Stadt, Land, Gewässer

           Potenziell selbstreinigend:
           städtische Gewässer                                  Lichtverschmutzung
                   Viele anthropogene organische
                   Spurenstoffe, etwa aus Arzneimit­
                                                                schadet Insekten
           teln, werden in Kläranlagen nicht oder
           kaum aus dem Abwasser entfernt und
           gelangen so in städtische Flüsse. Deshalb
           finden sich dort oft hohe Konzentratio­
           nen solcher Stoffe – so auch in der Erpe,
           einem kleinen Fluss bei Berlin. Forschen­
           de des IGB haben dort untersucht, ob
           urbane Fließgewässer über ein „Selbst­
           reinigungspotenzial“ für Spurenstoffe
           verfügen, d.h. ob deren Konzen­trationen          Versuchsfeld im Naturpark Westhavelland | Foto: Maja Grubisic
           im Gewässer durch gewässerinterne
           Abbauprozesse reduziert werden. Die
           Forschenden konnten zeigen, dass da­                        Heimische Insektengemeinschaften sind
           bei das Flussbett eine wichtige Rolle                       stark durch Klimawandel, Pestizide und
           spielt: Ein Teil des Wassers dringt in das        Landnutzungswandel gefährdet. Forschende des IGB
           Sedimentbett (hyporheische Zone) ein,             haben festgestellt, dass Regionen, die einen starken
           fließt darin weiter und kehrt erst dann           Rückgang an Fluginsekten verzeichnen, zusätzlich
           wieder in den Fluss zurück. Entlang die­          unter hoher Lichtverschmutzung leiden.
           ser Fließpfade nimmt die Konzentration
           einiger anthropogener Spurenstoffe ab,            Das Team um Maja Grubisic und Franz Hölker hat
           etwa des Antiepileptikums Gabapentin.             Untersuchungsgebiete aus einer Langzeitstudie von
           Untersuchungen längerer Flussabschnit­            2017 analysiert und konnte zeigen, dass diese Gebiete
           te haben gezeigt, dass ein intensiver hy­         eine überdurchschnittlich hohe Lichtverschmutzung
           porheischer Austausch die Spurenstoff­            aufweisen. Anschließend haben die Forschenden
           konzentrationen deutlich verringern               Einzelstudien zu den Auswirkungen künstlichen
           kann. Begünstigt wird dieser Austausch            Lichts in der Nacht auf Insekten ausgewertet und
           auch durch naturnahe oder revitalisierte          festgestellt, dass vieles für einen ernstzunehmenden
           Flussläufe.                                       Zusammenhang zwischen Lichtverschmutzung und
                                                            Insektensterben spricht. Zum Beispiel werden Flugin-
           PD Dr. Jörg Lewandowski, lewe@igb-berlin.de       sekten von künstlichen Lichtquellen an- und gleich-
                                                             zeitig aus anderen Ökosystemen abgezogen. Die Tiere
           p www.uwi.tu-berlin.de                            sterben wegen Erschöpfung oder als leichte Beute.
           p www.bayceer.uni-bayreuth.de/hypotrain           Zusätzlich bremsen Lichtbarrieren ihre Ausbreitung.
                                                             Der dadurch fehlende genetische Austausch könnte
           Schaper, J. L. et al. (2018). The fate of polar   die Widerstandsfähigkeit von Insektenpopulationen
           trace organic compounds in the hypor­             gegen andere schädliche Umwelteinflüsse mindern.
           heic zone. Water Research, 140, 158-166.
           doi:10.1016/j.watres.2018.04.040                  Die Ergebnisse der Übersichtsstudie zeigen, dass
           Schaper, J. L. et al. (2018). Hyporheic ex­       künstliches Licht in der Nacht weit verbreitet ist und
           change controls fate of trace organic com­        vor allem in landwirtschaftlichen Gebieten komplexe
           pounds in an urban stream. Environmental          Auswirkungen mit unbekannten Konsequenzen für
           Science and Technology, 52(21), 12285-12294.      die Biodiversität haben kann. Lichtverschmutzung
           doi:10.1021/acs.est.8b03117                       sollte deswegen in zukünftigen Studien generell als
           Posselt, M. et al. (2018). Determination of       potenzieller Stressfaktor berücksichtigt werden.
           polar organic micropollutants in sur­
           face and pore water by high-resolution            Mehr erfahren
           sampling-direct injection-ultra high per­         p www.igb-berlin.de/news/insektensterben-durch-lichtverschmutzung
           formance liquid chromatography-tandem
           mass spectrometry. Environmental Science:         Dr. Franz Hölker, hoelker@igb-berlin.de
           Process & Impacts, 20(12), 1716-1727.             Dr. Maja Grubisic, grubisic@igb-berlin.de
           doi:10.1039/C8EM00390D

                                                             Grubisic, M. et al. (2018). Insect declines and agroecosystems: does
                                                             light pollution matter? Annals of Applied Biology, 173(2), 180-189.
                                                             doi:10.1111/aab.12440

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