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5 2019 7. März 2019 72. Jahrgang KOMMENTAR ZUR DISKUSSION GESTELLT Replik auf den Beitrag von Gernot Sieg und Berthold Deutsche Bahn zwischen U. Wigger im ifo Schnell- dienst 22/2018 Daseinsvorsorge und Holger Mühlenkamp Gewinn: FORSCHUNGSERGEBNISSE Ist ein radikaler Zur Produktionsbehinderung der Unternehmen im Konjunk- turzyklus Umbau nötig? Klaus Abberger und Richard Lutz, Christian Böttger, Alexander Kirchner, Wolfgang Nierhaus Günter Knieps Rezessionsrisiko der deutschen Wirtschaft deutlich erhöht Kai Carstensen, Magnus Reif und Maik Wolters DATEN UND PROGNOSEN ifo Migrationsmonitor: Fakten zur Kriminalität von Geflüchteten Yvonne Giesing, Carla Rhode, Anne Schönauer und Florian Steinruck IM BLICKPUNKT ifo Konjunkturumfragen Februar 2019 Klaus Wohlrabe
ifo Schnelldienst ISSN 0018-974 X (Druckversion) ISSN 2199-4455 (elektronische Version) Herausgeber: ifo Institut, Poschingerstraße 5, 81679 München, Postfach 86 04 60, 81631 München, Telefon (089) 92 24-0, Telefax (089) 98 53 69, E-Mail: ifo@ifo.de. Redaktion: Dr. Marga Jennewein. Redaktionskomitee: Prof. Dr. Dr. h.c. Clemens Fuest, Annette Marquardt, Prof. Dr. Chang Woon Nam. Vertrieb: ifo Institut. Erscheinungsweise: zweimal monatlich. Bezugspreis jährlich: Institutionen EUR 225,– Einzelpersonen EUR 96,– Studenten EUR 48,– Preis des Einzelheftes: EUR 10,– jeweils zuzüglich Versandkosten. Layout: Kochan & Partner GmbH. Satz: ifo Institut. Druck: Majer & Finckh, Stockdorf. Nachdruck und sonstige Verbreitung (auch auszugsweise): nur mit Quellenangabe und gegen Einsendung eines Belegexemplars. im Internet: http://www.cesifo-group.de
SCHNELLDIENST 5/2019 ZUR DISKUSSION GESTELLT Deutsche Bahn zwischen Daseinsvorsorge und Gewinn: Ist ein radikaler Umbau nötig? 3 Die Züge im Fernverkehr kommen zu spät, die Zusammenarbeit zwischen den Einheiten funktioniert nicht, die Gewinnprognosen sind pessimistisch, der Güterverkehr fährt Verluste ein und die Infrastruktur ist unterfinan- ziert: die Deutsche Bahn steht in der Kritik. Wie lassen sich spürbare Verbesserungen für die Kunden erreichen? Sind grundlegende Strukturreformen nötig? Richard Lutz, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn AG, weist darauf hin, dass das »Wachstum auf der Schiene« das System bei Infrastruktur, Fahrzeugen und Personal an die Kapazitätsgrenzen gebracht hat. Aus den Engpässen seien zunehmend Belastungen für die Betriebsqualität und die Kunden entstanden. Die »Agenda für eine bessere Bahn« sei die Antwort der DB auf diese Herausforderung und der Weg, um das Unternehmen nachhaltig erfolgreich aufzustellen. Dieser Weg werde länger dauern als gedacht, und das Unternehmen müsse deutlich mehr investieren als bislang geplant. Im Mittelpunkt steht eine leistungsfähige Infrastruktur, bessere Fahrzeuge und zusätzliches Personal. Damit lege die DB die Basis für die dringlichen Verbesserungen bei Qualität, Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit. Sein Fazit: »Wir brauchen keinen radikalen Umbau, sondern eine gemeinsame Kraftanstrengung für Kapazität, Wachstum, Kunden und Qualität.« Christian Böttger, Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, schlägt vor, das Unternehmen DB AG kurzfristig finanziell zu stabilisieren. Hierfür käme der Verkauf von Arriva, eventuell auch von Schenker, in Frage. Damit könnten die anstehenden Investitionen finanziert und Schulden abgetragen werden. Darüber hinaus sollte die Governance des Unternehmens verbessert werden. Die für das Ziel der Verdoppelung des Verkehrs erforderlichen Infrastrukturinvestitionen könne die DB AG nicht aufbringen, diese Mittel müssten deshalb vom Bund kommen. Insgesamt sei davon auszugehen, dass es viele Jahre dauern werde, die Probleme der Bahn zu lösen. Für Alexander Kirchner, Vorsitzender der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft, sind »verlässlich mehr Geld für die Eisenbahn und ein klarer politischer Auftrag … der Problemlöser Nummer eins«. Seiner Ansicht nach trägt in erster Linie der Eigentümer, und damit der Bund, die Verantwortung dafür, dass das gesamte System Schiene leide. Statt in den Erhalt der Infrastruktur zu investieren, werde schon seit Jahren auf Verschleiß gefahren. Ein radikaler Umbau wäre insofern hinsichtlich der Finanzierung der Schieneninfrastruktur nötig. Günter Knieps, Universität Freiburg, befasst sich mit der Frage, welche Umwälzungen die Fortschritte in den Infor- mations- und Kommunikationstechnologien für die zukünftigen Eisenbahnnetze mit sich bringen und welche Chancen und Herausforderungen damit einhergehen. Der digitale Wandel hin zum Internet der Dinge könne die zukünftige Rolle der Eisenbahnen fundamental verändern: auf den Märkten für Mobilitätsdienstleistungen, im Bereich voll automatisierter Züge, im Bereich der vorausschauenden Wartung der Züge, im Bereich der Zugüber- wachungssysteme und beim Aufbau von digitalen Stellwerken. KOMMENTAR Replik auf den Beitrag von Gernot Sieg und Berthold U. Wigger 17 Holger Mühlenkamp Holger Mühlenkamp, Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer, nimmt Stellung zu einem Bei- trag von Gernot Sieg und Berthold U. Wigger aus dem ifo Schnelldienst 22/2018 zum Thema »Auch in Zukunft Verkehrsinfrastruktur in ÖPP bereitstellen«. In seinem Kommentar stellt Holger Mühlenkamp die Argumente vor; warum er eher geringe Möglichkeiten für wirtschaftliche Öffentlich-private Partnerschaften sieht.
FORSCHUNGSERGEBNISSE Zur Produktionsbehinderung der Unternehmen im Konjunkturzyklus: Eine Compositional-Data-Analyse 21 Klaus Abberger und Wolfgang Nierhaus Einmal pro Quartal befragt das ifo Institut im Rahmen seiner laufenden Konjunkturumfragen die Unternehmen im Verarbeitenden Gewerbe, ob eine Produktionsbehinderung besteht und wenn ja, ob sich die Firmen eher vorge- gebenen Angebots- oder Nachfragebeschränkungen gegenübersehen. Mit Blick auf die Entwicklung im jüngsten Aufschwung zeigen Klaus Abberger, ETH Zürich, und Wolfgang Nierhaus, ifo Institut, dass die Angebotsbehinde- rungen im Verarbeitenden Gewerbe eine sehr starke Rolle spielen, obwohl nach vorläufigen Schätzungen die Produktionslücke historisch gesehen nicht außergewöhnlich groß ist. Rezessionsrisiko der deutschen Wirtschaft deutlich erhöht 28 Kai Carstensen, Magnus Reif und Maik Wolters Ist die konjunkturelle Abkühlung der deutschen Wirtschaft in der zweiten Jahreshälfte 2018 ein Hinweis auf eine kurzfristige konjunkturelle Schwächephase, oder ist eine länger anhaltende Rezession zu erwarten? Kai Carstensen, Universität zu Kiel, Magnus Reif, ifo Institut, und Maik Wolters, Universität Jena, schätzen das aktuelle Rezessionsrisiko mit Hilfe eines dynamischen, nichtlinearen Faktormodells. Ihre Ergebnisse legen nahe, dass die Gefahr einer Rezession zurzeit deutlich erhöht ist und auch in den kommenden Quartalen mit einer konjunkturellen Schwächephase zu rechnen ist. Insbesondere haben die seit einiger Zeit abwärts gerich- teten Befragungsdaten deuten darauf hin. DATEN UND PROGNOSEN ifo Migrationsmonitor: Fakten zur Kriminalität von Geflüchteten 32 Yvonne Giesing, Carla Rhode, Anne Schönauer und Florian Steinruck Wer nur die Anteile der Geflüchteten in der Kriminalstatistik betrachtet, lässt wichtige Faktoren außer Acht: etwa das Anzeigeverhalten gegenüber Geflüchteten oder deren Alters- und Geschlechtsstruktur. Es fehlt außerdem an Medienaufmerksamkeit für die spezifischen, tiefer liegenden Gründe der Kriminalität unter Geflüchteten. Dabei könnte es sich um die Lebensbedingungen in den Unterkünften oder auch die Orientierungs- und Perspektiven losigkeit in Deutschland handeln. Neben Verzerrungs- und möglichen Einflussfaktoren stellt der Artikel präven- tive Maßnahmen vor, um die Gewaltbereitschaft zu reduzieren. IM BLICKPUNKT ifo Konjunkturumfragen Februar 2019 auf einen Blick: Die deutsche Konjunktur bleibt schwach 38 Klaus Wohlrabe Der ifo Geschäftsklimaindex ist im Februar auf den schlechtesten Wert seit Dezember 2014 gefallen. Die Unter- nehmen bewerteten ihre aktuelle Geschäftslage erneut etwas weniger gut. Auch der Pessimismus mit Blick auf die kommenden sechs Monate hat zugenommen. Diese Ergebnisse und andere Indikatoren deuten auf ein Wirt- schaftswachstum im ersten Quartal von 0,2% hin. Die deutsche Konjunktur bleibt schwach. Die deutschen Unter- nehmen werden etwas zurückhaltender bei der Mitarbeitersuche. Das ifo Beschäftigungsbarometer ist im Februar auf 102,9 Punkte gefallen, nach 103,0 Punkten im Januar. Die Stimmung unter den deutschen Exporteuren hat sich dagegen etwas aufgehellt. Die ifo Exporterwartungen der Industrie sind im Februar gestiegen. Die deutsche Industrie behauptet sich in einem schwierigen weltwirtschaftlichen Umfeld. Die Zolldrohungen der US-Regierung haben im Moment keine negativen Auswirkungen auf die Exporterwartungen der Automobilindustrie.
ZUR DISKUSSION GESTELLT Deutsche Bahn zwischen Daseins vorsorge und Gewinn: Ist ein radikaler Umbau nötig? Die Deutsche Bahn steht in der Kritik. Auslöser sind unpünktliche Züge im Fernverkehr, mangelnde Zusammenarbeit zwischen den Einheiten, reduzierte Gewinnprognosen, anhal tende Verluste im Güterverkehr und Unterfinanzierung der Infrastruktur. Wie können spürbare Verbesserungen für die Kunden erreicht werden? Sind grundlegende Struktur reformen nötig? Richard Lutz* wird länger dauern als gedacht. Wir werden deutlich mehr investieren als bislang geplant: In Kapazität 25 Jahre nach der Bahn und Verfügbarkeit, Kunden und Qualität sowie Digi- reform und Gründung der talisierung und Innovationen. Neben dem Aufbau von Ressourcen geht es ferner um bessere Prozesse und DB AG besteht ein starker Führung. und nachhaltiger Trend Die Stärkung der Schiene ist gleichzeitig eine Gemeinschaftsaufgabe des gesamten Sektors und zur Schiene – der Politik. Im Koalitionsvertrag sind dazu starke Vor- Richard Lutz Umfassende Investitionen in haben verankert. Diese erörtert der Bund umfassend mit allen Akteuren im Zukunftsbündnis Schiene. Die Infrastruktur, Fahrzeuge und laufenden und künftigen Maßnahmen zur Stärkung Mitarbeiter stehen auf der der Schiene sind zugleich ein zentraler Baustein zur Erreichung der anspruchsvollen Klimaziele im Ver- Agenda kehr. Auch deshalb ist der Investitionshochlauf rich- tig und unverzichtbar. Wir brauchen keinen radikalen Gestartet ist die Deutsche Bahn AG 1994 als Zusam- Umbau, sondern eine gemeinsame Kraftanstrengung menschluss zweier hoch defizitärer Staatsbahnen. für Kapazität, Wachstum, Kunden und Qualität. Sie hat sich in den vergangenen 25 Jahren rasant gewandelt. Die DB bewegt heute Menschen und DIE BAHNREFORM VON 1994 MIT KLAREN ZIELEN Güter in mehr als 130 Ländern und beschäftigt über UND INSTRUMENTEN 310 000 Mitarbeiter. Die Schiene insgesamt erlebt eine Renaissance. Die Basis für die heutige Entwicklung wurde am Die Weichenstellungen der Bahnreform von 1994 1. Januar 1994 mit der Bahnstrukturreform gelegt. waren richtig und zahlen sich aus. Seit 1994 ist die Vor der Bahnreform galt das Schienennetz als Verkehrsleistung auf der Schiene im Personenverkehr marode und unvollständig, auch eine Folge der jahr- und im Güterverkehr signifikant gestiegen. Auch der zehntelangen Teilung der Republik. Züge und Tech- Rückgang des Anteils im Modal Split der Jahrzehnte nik waren weitgehend überaltert. Die Marktanteile vor der Bahnreform konnte gestoppt werden. der Schiene im Personen- und Güterverkehr waren Das Wachstum auf der Schiene führt das System seit mehreren Jahrzehnten zurückgegangen. Bun- jedoch derzeit an Kapazitätsgrenzen, bei Infrastruk- des- und Reichsbahn waren als Behörden organisiert, tur, Fahrzeugen und Personal. Aus den Engpässen ent- unternehmerische Entscheidungen waren daher stark stehen zunehmend Belastungen für die Betriebsquali- eingeschränkt. 1993 fuhren Bundesbahn und Reichs- tät und die Kunden. bahn einen Jahresverlust von rund 8 Mrd. Euro ein. Die »Agenda für eine bessere Bahn« beschreibt Die Verschuldung beider Bahnen insgesamt erreichte den unternehmerischen Weg, die DB fit für Zukunft, 34 Mrd. Euro. Beide Bahnen mussten sich von Jahr zu Wachstum und Beschäftigung zu machen. Dieser Weg Jahr höher verschulden, allein um das Personal und * Dr. Richard Lutz Ist Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn den laufenden Eisenbahnbetrieb zu finanzieren. Die AG. Personalkosten lagen 50% höher als der Umsatz. Die ifo Schnelldienst 5 / 2019 72. Jahrgang 7. März 2019 3
ZUR DISKUSSION GESTELLT Regierungskommission Bahn prognostizierte für ein die Infrastruktur ist in den wettbewerbsrelevanten Szenario ohne Reform massiv steigende Haushalts- Entscheidungen unabhängig (Trassenvergabe und belastungen aus dem Eisenbahnwesen. -preissetzung). Die Bahnreform verfolgte daher vorrangig zwei Der Wettbewerb auf der Schiene ist nach Ziele: a) mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen dem Prinzip des offenen Netzzugangs (Open und b) den Bundeshaushalt nachhaltig zu entlasten. Access) organsiert. Im Schienengüterverkehr (SGV) Zur Erreichung dieser Ziele wurden drei Instrumente und Schienenpersonenfernverkehr (SPFV) haben geschaffen: wir danach einen Wettbewerb auf rein kommer- Erstens: Die DB AG wurde mit der Bahnreform- zieller Basis (»eigenwirtschaftlich«). Im SPNV orga- gesetzgebung als Wirtschaftsunternehmen in privat- nisieren die Aufgabenträger der Länder den Wett- rechtlicher Form gegründet. Auf sie wurden die unter- bewerb in Form europaweiter Ausschreibungen nehmerisch zu betreibenden Bereiche der ehemali- um Verkehrsverträge. Letztere beinhalten auch gen Staatsbahnen, nämlich das Transportgeschäft die sogenannten Bestellerentgelte aus Regionali- im Personen- und Güterverkehr, der Betrieb und die sierungsmitteln. Die öffentliche Kofinanzierung Instandhaltung der Infrastruktur sowie weitere mit bringt die gesellschaftliche Auffassung zum Aus- dem Eisenbahnverkehr verbundene Geschäftstätig- druck, dass zu Erfüllung der Daseinsvorsorge mehr keiten übertragen. SPNV benötigt wird, als sich rein kommerziell erge- Zweitens: Die Verantwortung für Aufgaben der ben würde. Daseinsvorsorge wurde weiter und eindeutig dem Die betreffenden Gesellschaften der DB müs- Staat zugeordnet. Gemäß Artikel 87e des Grund- sen sich im Markt gegen zahlreiche andere Bahnen gesetzes gewährleistet der Bund, dass »dem und die intermodale Konkurrenz behaupten. Der Wohl der Allgemeinheit, insbesondere bei den mit der Bahnreform geschaffene Marktrahmen Verkehrsbedürfnissen, dem Ausbau und Erhalt ist somit ein konsistentes Konstrukt: Alle Eisen- des Schienennetzes der Eisenbahnen des Bun- bahnen werden als Wirtschaftsunternehmen »ge- des sowie bei deren Verkehrsangebot auf die- winnorientiert« geführt und stehen im Wettbe- sem Schienennetz … Rechnung getragen wird.« Der werb untereinander sowie mit anderen Verkehrsträ- Bund kommt dieser Verantwortung nach, in dem er gern. Dies gilt auch für die Gesellschaften unter dem Investitionen in die Bundesschienenwege maßgeb- Dach der DB. Würden diese nach anderen Regeln lich bestimmt und finanziert sowie geeignete ver- geführt, gäbe es keinen fairen Wettbewerb. So muss kehrs- und ordnungspolitische Rahmenbedingun- auch der Bund als Eigentümer der DB bei bestimm- gen setzt. Hoheitliche Aufgaben, wie die Verantwor- ten Maßnahmen in der europäischen Beihilfeprüfung tung für Sicherheit, die Planfeststellung für Aus- und darlegen, dass diese einem »private investor test« Neubau sowie die Fahrzeugzulassung, sind dem standhalten. 1994 geschaffenen Eisenbahn-Bundesamt (EBA) Über seine Eigentümerrolle stellt der Bund zugeordnet. zugleich sicher, dass die DB aus seiner Sicht rich- Die Verantwortung für den Schienenperso- tige Grundsatzentscheidungen trifft und die Führung nennahverkehr wurde mit dem Regionalisierungs- im Einklang mit seinen Zielen steht. So kann er z.B. gesetz von 1996 den Bundesländern übertragen. erwirken, dass die DB dauerhaft einen starken Fokus Für die Erfüllung der Aufgabe erhalten die Länder auf das Kerngeschäft »Eisenbahn in Deutschland« seitdem einen Anteil aus dem Steueraufkommen des legt und langfristigen Erfolg höher gewichtet als kurz Bundes, die sogenannten Regionalisierungsmittel. fristige Ergebnisse. Mit diesen bestellen die Aufgabenträger der Länder SPNV-Leistungen bei den in diesem Segment tätigen POSITIVE BILANZ NACH 25 JAHREN BAHNREFORM Bahnen. UND DB AG Drittens: Das deutsche Schienennetz ist für den Wettbewerb auf der Schiene geöffnet, in Ergänzung Die Instrumente der Bahnreform haben sich funk zum Wettbewerb zwischen den Verkehrsträgern. tionstüchtig und wirkungsvoll erweisen. Die deutsche Die Öffnung betrifft den Zugang zur Infrastruktur, Bahnreform hat ihre zentralen Ziele erreicht: Sie hat insbesondere zu Fahrweg, Bahnhöfen und Energie. mehr Verkehr auf die Schiene gebracht und die Belas- Die Bundesnetzagentur (bis 2006 das EBA) wacht tung des Bundeshaushalts begrenzt. als sektorspezifische Regulierungsbehörde darüber, Im Einzelnen: Das verkehrspolitische Ziel der dass der Zugang diskriminierungsfrei erfolgt und Bahnreform, mehr Verkehr auf die Schiene zu brin- in der Infrastruktur keine Überrenditen erwirtschaf- gen, wurde erreicht. Die Verkehrsleistung (in Per tet werden. Um den diskriminierungsfreien Zugang sonenkilometern bzw. Tonnenkilometern) auf den für alle Bahnen in Deutschland abzusichern, sind Bundesschienenwegen ist von 1994 bis 2017 um die Infrastruktur- und die Transportbereiche der mehr als 40% im Personenverkehr und um mehr DB ferner entlang der EU-rechtlichen Vorgaben ent- als 80% im Güterverkehr gestiegen (vgl. Abb. 1). flochten. Sie werden in rechnerisch und organi- Die Schiene konnte damit ihre Position in einem satorisch getrennten Gesellschaften geführt, und stark wachsenden Markt behaupten und leicht 4 ifo Schnelldienst 5 / 2019 72. Jahrgang 7. März 2019
ZUR DISKUSSION GESTELLT Abb. 1 AKTUELLE HERAUSFORDE- Verkehrsleistung in Deutschland RUNG: MEHR KAPAZITÄT FÜR Die Bahnreform ermöglichte ein Verkehrswachstum von absolut fast 90 Mrd. Personentonnenkm QUALITÄT UND GESUNDES Schienenpersonenverkehr Schienengüterverkehr WACHSTUM Mrd. Personenkilometer Mrd. Tonnenkilometer 140 Der positive verkehrliche 128,3 129,4 120 116,6 Trend für die Schiene hat 94,2 95,5 jedoch Nebenwirkungen. Das 100 91,7 System stößt in Teilen an Kapa- 80 71,7 70,6 69,6 68,1 zitätsgrenzen, in Bezug auf 65,2 71 Infrastruktur, Fahrzeuge und 60 +83% Personal. Unsere Kennzahlen +47% 40 zu Qualität und Pünktlichkeit zeigen, dass die DB derzeit 20 die Er wartungen vieler Kun- 0 den und die eigenen Ziele oft 1994 1995 1996 2015 2016 2017 1994 1995 1996 2015 2016 2017 nicht angemessen erfüllt. Des- Quelle: Deutsche Bahn AG, Schätzung. © ifo Institut halb liegt der unternehme- rische Fokus zuvorderst auf ausbauen. Im Personenverkehr ist der Marktan- Kunde und Qualität. Nur über hohe Produktqualität teil Schiene seit 1994 von 6,7% auf 8,4% (2017) gestie- und zufriedene Kunden werden die Bahnen dauerhaft gen (bezogen auf die Verkehrsleistung). Im Güter- erfolgreich sein. verkehr stieg der Marktanteil im gleichen Zeitraum Um das Verkehrs aufkommen von heu- von 16,8% auf 18,6%. te und morgen zu bewältigen, brauchen wir mehr Auch das haushaltspolitische Ziel wurde erreicht. Kapazitäten. So hat die Entwicklung des Schienen- Der Steuerzahler wurde durch die Bahnreform deut- netzes mit dem Wachstum nicht ausreichend Schritt lich entlastet. Die Prognosen der Regierungskommis- gehalten: Es wird voll auf den Schienen – an man- sion Bahn, sowohl für das Szenario ohne als auch für chen Stellen zu voll. Engpässe, vor allem in hochbe- das Szenario mit Bahnreform, wurden unterschrit- lasteten Korridoren und Knoten, bremsen das Wachs- ten. Seit 1994 sind die Aufwendungen des Bundes für tum und belasten die Qualität. Von 1994 bis 2017 hat das Eisenbahnwesen inflationsbereinigt um 31% zu- die Betriebsleistung (Trassenkilometer) auf dem rückgegangen. Dennoch wurde wesentlich mehr deutschen Schienennetz signifikant zugenommen investiert als vor der Bahnreform. Es erfolgte eine (+ 23%). Die Nutzungsintensität (Trassenkilometer/ Verlagerung von konsumtiven Ausgaben zu einem Tag je Gleiskilometer) stieg sogar um rund 50% (vgl. höheren Anteil investiver Ausgaben. Abb. 2). Auch bei Fahrzeugen, Werkstätten, Wagen- Die Instrumente waren somit richtig gesetzt material und Personal müssen Kapazitäten aufge- und effektiv. Der Wettbewerb auf der Schiene funk- baut werden, um konsequent Wachstums chancen tioniert und hat maßgeblich dazu beigetragen, erschließen zu können. mehr Verkehr auf die Schiene zu holen. Der Anteil In vielen Teilen des Verkehrsmarkts werden der Wettbe werber an den Trassenkilometern auf aktuell trotz Wachstums geringe Margen verdient, so den Bundesschienenwegen lag 2017 bei rund einem etwa im Straßen- und Schienengüterverkehr. Den- Drittel und steigt von Jahr zu Jahr. Im Schienen- noch sehen Experten insbesondere für klimafreund- güterverkehr erbringen die Wettbewerbsbahnen lichen Verkehr sehr gute Perspektiven. Um diese inzwischen etwa die Hälfte der Verkehrsleistung. auch einzulösen, müssen wir am Markt überzeugen Der Anteil der Wettbewerbsbahnen an den bestell- und benötigen gute Rahmenbedingungen. An beidem ten Zugleistungen im Regionalverkehr liegt bei rund arbeiten wir, unternehmerisch sowie mit Politik und einem Drittel. Branchenpartnern. Die DB ist heute ein leistungsfähiges Unternehmen. Seit 1994 konnte die DB Umsatz und Ergebnis deut- UNSER ANSATZ: AGENDA FÜR EINE BESSERE BAHN lich steigern. Im Personenverkehr setzt die DB neben Schienen- und Busverkehren auf die intelligente Ver- Die »Agenda für eine bessere Bahn« ist die Antwort der netzung der Verkehrsmittel sowie auf Mobilitätslösun- DB auf diese Herausforderung und der Weg, um das gen von Tür zu Tür. Im Güterverkehr ist DB Cargo als Unternehmen zukunftsfähig und nachhaltig erfolg- größte Güterbahn Europas in 17 Ländern aktiv. Neben reich aufzustellen. Der Konzernvorstand der DB hat Personen- und Güterverkehr gehört zum Systemver- die Agenda im November dem Aufsichtsrat vorge- bund Bahn in Deutschland auch eine umfangreiche stellt. Mit erheblichen Investitionen und zusätzlichen Infrastruktur. Die DB betreibt das mit rund 33 000 Kilo- Aufwendungen für eine leistungsfähige und moder- metern längste Schienennetz Europas, das über nere Infrastruktur, mehr und bessere Fahrzeuge sowie 400 Bahnen nutzen. zusätzliches Personal legt die DB die Basis für die ifo Schnelldienst 5 / 2019 72. Jahrgang 7. März 2019 5
ZUR DISKUSSION GESTELLT dringlichen Verbesserungen bei Qualität, Pünktlich- ‒ M o d e r n i s i e r u n g d e r ko m p l e t t e n F e r n - keit und Zuverlässigkeit. Im Einzelnen: verkehrsflotte mit neuen Fahrzeugen. Bis 2023 werden wir 114 neue ICE 4, 29 neue IC 2 und ‒ Zusätzliches Personal und verstärkter Ausbau 17 EC-Nachfolger beschaffen sowie etliche der Qualifizierung. Schon 2018 haben wir mehr Fahrzeuge aus dem Bestand einem Re-Design als 24 000 neue Kolleginnen und Kollegen bei der unterziehen. DB begrüßen dürfen. 2019 planen wir mehr als ‒ Vergrößerung des Angebots auf beliebten Stre- 22 000 Neueinstellungen, vor allem in qualitäts cken im Fernverkehr als Einstieg in den Deutsch- relevanten Funktionen, wie Lokführer, Fahr land-Takt. Schon mit dem aktuellen und kommen- dienstleister und Instandhalter. den Fahrplanwechsel binden wir einzelne Regio- ‒ Verbesserung des Erscheinungsbilds und der nen besser an. Unter anderem von Stuttgart nach Bas isqualität an den Personenbahnhöfen. Nordrhein-Westfalen gibt es einen konsequenten Die Attraktivität wird u.a. gesteigert durch Zweistundentakt. Weitere Verbesserungen wer- Zusatzaufwand für Sauberkeit und Sicher- den folgen. heit, Grundinstandsetzung von Empfangsge- ‒ Steigerung der Pünktlichkeit und Zuverlässig- bäuden, Zusatzmaßnahmen an S-Bahnhöfen keit im Fernverkehr durch zusätzliche Kapazität, und Maßnahmen zur Erhöhung der Aufenthalts- effektives Kapazitätsmanagement und Verbesse- qualität. rungen in den betrieblichen Prozessen. Bereits ‒ Verlässlichere Informationen und höherer Kom- 2019 wollen wir die Pünktlichkeit von 74,9% auf fort. Gestärkt werden die Korrektheit der Kun- 76,5% steigern. Für die Folgejahre haben wir uns deninformationen bei Gleiswechsel und Wa weitere merkliche Steigerungen vorgenommen – genreihung, konsistente Echtzeitinformation in ohne das Verkehrswachstum und Baugeschehen den Anzeigen sowie kartenbasierte Kundenin zu dämpfen. formation an vielen Bahnhöfen. Ferner werden ‒ Verbesserung der Qualität und damit wirtschaft- wir den DB Navigator mit den Verbünden attrak- liche Stabilität bei DB Regio. Hierfür verbessern tiver machen und funktional verbessern. wir das Management bei Inbetriebnahme neuer ‒ Ausbau der Vorreiterrolle im Klimaschutz, durch Fahrzeuge, reduzieren die Störanfälligkeit und Stärkung des Anteils Erneuerbarer Energien im den Zustand der Fahrzeuge, steigern die Ro- Bahnstrom. Schon im letzten Jahr haben wir bustheit des Fahrplanangebots durch neue IT den Anteil von 44% (2017) auf 57% (2018) aus- und legen in den Regionen übergreifende Sonder gebaut. Für die nächsten Jahre planen wir einen programme auf. schrittweisen Anstieg auf 67% (2023) und 80% ‒ Stabilisierung und Ausrichtung auf mehr Verkehr (2030). Der seit 1. Januar 2018 mit 100% Ökostrom bei DB Cargo. Maßnahmen beinhalten u.a. den fahrende Fernverkehr ist Beweis für die Ernst verstärkten Einsatz von Personal in kritischen haftigkeit dieses Vorhabens. Seit diesem Jahr Bereichen, konsequente Investitionen in unsere werden ferner die 15 meist frequentierten Bahn- Wagen- und Lokflotten, die Verfolgung von Ver- höfe in Deutschland mit Ökostrom versorgt. triebspotenzialen in Deutschland sowie Europa und die Digitalisierung Abb. 2 bei Fahrzeugen sowie Nutzungsintensität der Bundesschienenwege Rangieranlagen. Allein Die Nutzungsintensität der Bundesschienenwege in Deutschland hat sich seit der Bahnreform stark 201 9 b e s c ha ff e n w ir erhöht 20 Multisystem-Loks und Betriebsleistung Nutzungsintensität 270 Wagen, weitere Millionen Trkm Trkm/Tag je Gleiskm Wagen werden wir anmie- 1 400 50 ten. Bis Ende 2019 werden 43 48 45 38 000 Wagen und 1 200 1 073 40 2 150 Loks mit Telema- 1 016 1 000 31 tik und Sensoren ausge- 35 875 rüstet sein. 30 800 25 Nach vielen Jahren der »Opti- 600 20 mierung« geht es heute im 400 15 Kern um mehr Kapazitäten 10 und mehr Ressourcen für die 200 Eisenbahn. Unter dem Strich 5 sollen für die genannten The- 0 0 men aus eigenen Mitteln bis 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2023 knapp 5 Mrd. EUR zu- Quelle: Deutsche Bahn AG. © ifo Institut sätzlich aufgebracht werden. 6 ifo Schnelldienst 5 / 2019 72. Jahrgang 7. März 2019
ZUR DISKUSSION GESTELLT Auch zur Straffung der Entscheidungswege und Pro- politischen Rahmen für den intermodalen Wett- zesse innerhalb der DB enthält die Agenda konkrete bewerb, der Kooperation in der Branche sowie der Vorschläge. Die Umsetzung und unternehmerische Evaluierung des Regulierungsrahmens. Finanzierung wird im Frühjahr mit dem Eigentümer 4. Lärmemissionen senken. Aktuell geht es um die und dem Aufsichtsrat vertieft. Halbierung des Schienenlärms bis 2020, das Hin- wirken auf das Verbot lauter Güterwagen auch GEMEINSAMER ANTRITT: ZUKUNFTSBÜNDNIS auf EU-Ebene und die Weiterentwicklung des lär- SCHIENE mabhängigen Trassenpreissystems. Einen weite- ren Schwerpunkt bildet die Förderung von innova- Die Stärkung der Eisenbahn in Deutschland ist – tiven Technologien. Ziel ist eine integrierte Stra- neben den rein unternehmerischen Handlungsfeldern tegie zur Lärmminderung bei Fahrzeugen und – eine Gemeinschaftsaufgabe von Bund, Ländern und Infrastruktur. Branchenpartnern. Viele der bereits genannten Ver- 5. Innovationen fördern. Im Mittelpunkt steht hier besserungen können die Bahnen nur in enger Zusam- die Begleitung eines eigenständigen Forschungs- menarbeit mit den Aufgabenträgern im SPNV realisie- programms für die Schiene. Das BMVI erarbeitet ren. Dies gilt etwa für Fahrpläne, Fahrzeuge, Instand dieses derzeit mit dem EBA und bezieht die Bran- haltung und Personalausstattung im SPNV. Auch in che in die Schwerpunktsetzung ein. den Bereichen Reisendeninformation, WLAN und 6. Fachkräftebedarf des Schienensektors decken. Attraktivität der Bahnhöfe sind die Aufgabenträger Das Image der gesamten Branche, die Attraktivi- entscheidende Treiber. tät und Sicherheit der Arbeitsplätze, die Bezah- Auf Bundesebene ist im aktuellen Koalitions- lung und insgesamt die betrieblichen Rahmenbe vertrag ein umfassendes Maßnahmenbündel für die dingungen entscheiden über den langfristigen Schiene in Deutschland hinterlegt. Bereits in den Erfolg des Sektors im branchenübergreifende letzten Jahren hat der Bund wichtige Weichen für die Wettbewerb um Nachwuchs- und Fachkräfte. Die Schiene gestellt, etwa mit der Erhöhung der Regio- Gruppe erarbeitet daher Vorschläge für gemein- nalisierungsmittel zugunsten der Länder, der Stär- same Initiativen des Sektors und Optionen des kung des Bestandserhalts der Bundesschienenwege Bundes zur Gewinnung von Nachwuchs- und und der Schärfung der Eisenbahnregulierung durch Fachkräften. die Bundesnetzagentur. Mit einem Schienenpakt von Wirtschaft und Politik soll nun die Anzahl der Fahr- Parallel zu diesen Gruppen wird der schon in der letz- gäste verdoppelt und deutlich mehr Güter auf die ten Legislaturperiode gestartete Dialog- und Um Schiene geholt werden. setzungsprozess zum Masterplan Schienengüterver- Hierzu hat das Bundesministerium für Verkehr kehr fortgesetzt. Die DB bringt sich in alle Gruppen und digitale Infrastruktur (BMVI) alle Partner an einen intensiv ein. Am Ende des Prozesses soll 2020 ein Mas- Tisch geholt und ein Zukunftsbündnis Schiene ein terplan Schiene verabschiedet werden. Relevante gerichtet. In sechs Arbeitsgruppen werden die zent- Impulse des Koalitionsvertrags – etwa in Bezug auf ralen Themen unter Leitung des BMVI mit allen Bran- den Investitionshochlauf für die Infrastruktur – wer- chenpartnern sondiert und vorangetrieben: den durch den Bund jedoch bereits vorher mit brei- ter Unterstützung der Branche in die Umsetzung 1. Deutschland-Takt einführen. Hier geht es um den gebracht. langfristigen Zielfahrplan als Grundlage einer Unternehmerische Maßnahmen und Ziele, Bran- fahrplanbasierten Infrastrukturentwicklung und chenkonsens sowie politische Vorhaben sind somit für ein größeres sowie stärker vertaktetes Angebot eng verzahnt und auf den Erfolg beim Kunden sowie aller Verkehrsarten. Der Fahrplan und die Umset- die Versorgung von Wirtschaft und Bevölkerung aus- zungsstufen werden mit gutachterlicher Expertise gerichtet. »Radikale Umbauten« würden diesen Pro- und im Dialog erarbeitet. zess und Fokus aufbrechen. Für die Erreichung der 2. Kapazitäten ausbauen. Gegenstände sind die gesellschaftlichen sowie klima- und verkehrspoli- Beschleunigung von Neu- und Ausbaumaßnah- tischen Ziele ist eine enge Zusammenarbeit – unter men zur Engpassauflösung, kleine und mittlere Wahrung der wettbewerbsrechtlichen Maßgaben Maßnahmen für ein robustes Netz, kapazitäts- – unerlässlich. schonendes Bauen und langfristige Kapazitäts- steigerung durch Digitalisierung der Infrastruk- FAZIT: INVESTITIONEN UND ZUSAMMENARBEIT tur (»Digitale Schiene Deutschland«). Letzteres FÜR EINE STARKE ZUKUNFT umfasst den Flächenrollout digitaler Stellwerke und der europäischen Leit- und Sicherungstech- Auf der »Agenda für eine bessere Bahn« der DB stehen nik ETCS. hohe Investitionen in Infrastruktur, Fahrzeuge und 3. Wettbewerbsfähigkeit der Schiene stärken. Die Arbeitgeberattraktivität. Ferner müssen wir in der Gruppe befasst sich – neben den schon genann- Branche – im Unternehmen und übergreifend – noch ten Themen – mit dem steuer- und ordnungs besser zusammenarbeiten. Für beides brauchen wir ifo Schnelldienst 5 / 2019 72. Jahrgang 7. März 2019 7
ZUR DISKUSSION GESTELLT einen klaren und verlässlichen Rahmen. Den haben Christian Böttger* wir heute. Mit einem »radikalen Umbau« würden wir genau das Gegenteil erreichen: Keine Sicherheit für Situation und Perspektiven Investitionen und konfliktreiche Selbstbeschäftigung der DB AG über mehrere Jahre. Unsere Kunden würden massiv darunter leiden. Die Erreichung der verkehrs- und kli- Die Deutsche Bahn ist zuletzt in die öffentliche Kri- mapolitischen Ziele ebenfalls. tik geraten. Im September 2018 hatte Bahnchef Lutz Die Politik hat bereits wichtige Entscheidun- in einem »Brandbrief« an die Mitarbeiter über wirt- gen für ein nachhaltiges Wachstum auf der Schiene schaftliche Probleme berichtet und die mangelnde geschaffen. Im Rahmen des Zukunftsbündnisses Zusammenarbeit zwischen den Einheiten beklagt. Im Schiene arbeiten das BMVI und die Branche mit Nach- Dezember führte die weiter fallende Pünktlichkeit zu druck daran, die Voraussetzungen für einen höheren großer politischer und medialer Aufmerksamkeit. In Marktanteil der Schiene im Verkehrsmarkt weiter zu der Folge wurden neben der Pünktlichkeit auch die verbessern. stetig reduzierten Gewinnprognosen, die anhalten- Die Schiene hat alle Chancen, der Verkehrsträ- den Verluste im Güterverkehr, die Unterfinanzierung ger der Zukunft zu werden: Zuverlässig, komfortabel, der Infrastruktur und Managementprobleme thema- digital und umweltschonend. Auf dem Weg dorthin tisiert. Zugleich hat die Bundesregierung angekün- sind die Rahmenbedingungen für die Schiene so gut digt, den Schienenverkehr bis 2030 verdoppeln zu wie noch nie. Die Nachfrage der Kunden steigt stetig; wollen. die DB und der gesamte Sektor erfahren mehr denn Der Bund hat im Bahnsektor drei unterschied- je Rückenwind aus Politik und Gesellschaft. Nicht liche Rollen: Als Gesetzgeber reguliert er den Sek- zuletzt, weil die Schiene ein Schlüssel für die Klima- tor und entscheidet damit über die Marktordnung. und Verkehrswende ist. Der Sektor hat digitale und Gemäß Art. 87 GG trägt der Bund die Verantwortung innovative Produkte, die einen Umstieg von noch für die Eisenbahninfrastruktur. Hierfür stellt er der mehr Menschen und Gütern auf die Schiene mög- DB Mittel für den Ausbau der Bahninfrastruktur zur lich machen, sowie motiviertes und gut qualifizier- Verfügung, die Rechte und Pflichten werden vertrag- tes Personal. Die Eisenbahn wird Teil dieser positiven lich geregelt. Schließlich ist er Eigentümer des Unter- Zukunft sein und ihren Beitrag zur Mobilität der Men- nehmens DB AG. In jeder der Rollen ergeben sich schen, dem Wachstum der Wirtschaft und der Gesun- Herausforderungen: dung von Klima und Umwelt leisten. Als Gesetzgeber regelt der Bund die Marktord- nung. Die Eckpunkte dieser Ordnung sind seit der Bahnreform von 1994 nicht mehr verändert wor- den. Es besteht ein freier und diskriminierungsfreier Zugang zur Netzinfrastruktur, die Transportgesell- schaften der DB AG müssen sich dem Wettbewerb durch Dritte stellen. Zur Durchführung des Regional- verkehrs stellt der Bund den Ländern Mittel zur Ver fügung, mit denen diese Leistungen ausschreiben und finanzieren können. Im Regionalverkehr haben dritte Betreiber inzwischen einen Marktanteil von ca. 30%, im Güterverkehr beträgt der Anteil der Wettbe- werber fast 50%. Lediglich im Fernverkehr hat sich bislang praktisch kein Wettbewerb entwickelt. Dane- ben ist zu erwähnen, dass eine Fülle von kleineren Änderungen in unterschiedlichen Regelwerken (z.B. Verbraucherschutz, Arbeitssicherheit, technische Aufsicht, Planungsrecht, Sicherheitsrecht) in den letzten Jahren die relative Wettbewerbsposition der Eisenbahn verschlechtert haben. Die Finanzierung der Eisenbahninfrastruk- tur ist im Bundesschienenwegeausbaugesetz gere- gelt. Die Praxis hat sich jedoch in den letzten Jah- ren etwas abweichend entwickelt. In der Bahnreform von 1994 war vorgesehen, dass der Bund ergänzende Mittel für Neubauvorhaben bereitstellt, sofern sich diese betriebswirtschaftlich nicht für die DB AG rech- nen. Ersatzinvestitionen (z.B. Gleiserneuerungen * Prof. Dr. Christian Böttger ist Professor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. 8 ifo Schnelldienst 5 / 2019 72. Jahrgang 7. März 2019
ZUR DISKUSSION GESTELLT oder Ersatz von Oberleitungen) sollten von der DB AG vertrag Ziele für die DB AG, die allerdings kaum mit selbst finanziert werden. Hartmut Mehdorn gelang Maßnahmen hinterlegt sind. Insbesondere in der Ära es, den Bund dazu zu bewegen, die Finanzierung des Mehdorn hat die Bahn dieses Vakuum genutzt und überwiegenden Teils der Ersatzinvestitionen zu über- sich selbst das Ziel gesetzt, als ein globaler Logistik- nehmen. Zudem erklärte Mehdorn Investitionen in konzern an die Börse zu gehen. Die Mittel, die bei der Neubauprojekte für grundsätzlich unwirtschaftlich, DB AG frei wurden, weil der Bund die Ersatzinvesti der Bund übernahm die vollständige Finanzierung tionen übernahm, hat der Konzern genutzt, um ein solcher Projekte. internationales Geschäft aufzubauen. Dafür wurden In der 2008 erstmals verabschiedeten »Leis- seit dem Amtsantritt von Mehdorn rund 10 Mrd. Euro Christian Böttger tungs- und Finanzierungsvereinbarung« (LuFV) wur- in internationale Speditionen und für Personenver- den die Mittel die der Bund für Ersatzinvestitionen kehr außerhalb Deutschlands investiert. bereitstellt, auf 2,5 Mrd. Euro festgeschrieben. Diese Allerdings ist der so entstandene Konzern finan- Mittel wurden seitens des Bundes nicht zusätzlich ziell nicht stabil. Die Schulden der DB AG betragen zur Verfügung gestellt, sondern aus dem Budget für inzwischen fast 20 Mrd. Euro. Damit gilt die »Schul- Neubauvorhaben umgeschichtet. Als Ergebnis dieser dentragfähigkeit« als nahezu ausgereizt, der Haus- Verschiebung halbierten sich die Neubaumittel auf haltsausschuss hat – nicht juristisch, aber politisch rund 1,5 Mrd. Euro p.a., sie sind seither auf diesem relevant – die Einhaltung einer Schuldengrenze von niedrigen Niveau verblieben. Die Mittel für Ersatz 20,4 Mrd. Euro angemahnt .1 Seit Jahren erwirtschaf- investitionen hingegen wurden mit der LuFV 2 auf tet die DB AG ein EBIT von 1,5 bis 2 Mrd. Euro, der über 3,5 Mrd. Euro angehoben. von der DB AG seit Jahren in ihren Mittelfristpla Ursprünglich war vorgesehen, mit der LuFV die nungen prognostizierte Anstieg auf rund 4 Mrd. Euro Steuerung der Infrastruktur grundsätzlich zu ver ist nicht eingetroffen.2 Nach Zinsen und Steuern ver- ändern. Normalerweise sind Bundesmittel nach blieb in den letzten fünf Jahren durchschnittlich ein Haushaltsrecht zu bewirtschaften, mit der LuFV Nettogewinn von knapp 0,5 Mrd. Euro. Daraus kann sollte abweichend davon ein Vertrag geschaffen wer- die DB AG die vereinbarten Dividendenzahlungen an den, bei dem nur noch der Output gemessen wird. Die den Bund nicht leisten3, erst recht fehlen Mittel für Bahn wollte sich verpflichten, das Netz in einem de zusätzliche Investitionen. Allein für die neue Fern- finiert guten Zustand zu erhalten, bei Verstößen soll- verkehrsflotte und den DB-Anteil an dem Projekt ten Strafzahlungen fällig werden. Allerdings gelang Stuttgart 21 müssen in den kommenden Jahren rund es der DB AG, die Zielwerte soweit zu verwässern, 10 Mrd. Euro aufgebracht werden, die nicht aus dem dass eine Zielverfehlung praktisch unmöglich wurde. laufenden Geschäft finanziert werden können. Es ist Aufgrund von Protesten von Politik und Rechnungs- nicht erkennbar, wie die Gewinne nachhaltig gestei- hof blieb die haushaltsrechtliche Bewirtschaftung gert werden können. In den letzten Jahren war DB weitgehend erhalten. Regio die wichtigste Gewinnquelle des Konzerns. Die oben erwähnte Reduktion der Neubaumit- Inzwischen vergeben die Länder die Leistungen im tel hat dazu geführt, dass in den letzten Jahrzehn- Wettbewerb. DB Regio verliert einen Teil dieser Ver- ten kaum neue Strecken gebaut wurden. Dies erweist gaben, aber auch im Erfolgsfall schrumpfen die Mar- sich zunehmend als kritisch, da sich die Struktur gen deutlich, deshalb fällt der Gewinn. Die Infrastruk- der Mobilitätsnachfrage in Deutschland verschiebt: turgesellschaften (DB Netz, Bahnhöfe und DB Ener- Als Ergebnis der Land-Stadt-Wanderung und des gie) steuern rund ein Drittel des EBIT bei. Eigentlich zunehmenden Pendlerverkehrs wächst der Perso- war im Rahmen der LuFV2 zwischen Bund und DB AG nenverkehr vor allem in den Ballungsräumen. Im vereinbart, dass sämtliche Gewinne der Infrastruktur Güterverkehr gehen die klassischen Massengutver- an den Bund ausgeschüttet und vom Bund zusätz- kehre zurück, insbesondere im Montansektor. Pro- lich als Investmittel bereitgestellt werden sollten. dukte werden kleiner und leichter, ein großer Teil der Aufgrund der angespannten Lage der DB AG ist diese physischen Produkte wird inzwischen in Asien pro Vereinbarung stillschweigend aufgehoben. Der Fern- duziert und über die Nordseehäfen nach Deutsch- verkehr ist derzeit profitabel, muss aber künftig deut- land gebracht. Der entsprechende Hinterlandverkehr lich mehr Abschreibungen finanzieren. Die bahn verläuft überwiegend über die bereits stark belaste- fernen Auslandssparten Schenker Logistik und Arriva ten Hauptverkehrsachsen. Seit Jahrzehnten ist die 1 Trotzdem wird die DB AG bereits für 2018 deutlich höhere Schul- Kapazität dieser Strecken und Knoten kaum erwei- den ausweisen, da mit der erstmaligen Anwendung des Standards IFRS 16 umfangreiche Leasingverpflichtungen bilanziell zu berück- tert worden. Inzwischen sind die Kapazitätsreserven sichtigen sind. aufgebraucht, die Überlastung beeinträchtigt zuneh- 2 Die DB AG kommuniziert im öffentlichen Raum i.A. einen »be- reinigten EBIT«, der in den letzten Jahren stets deutlich über dem mend die Stabilität des Bahnbetriebes. bilanziell ausgewiesenen EBIT lag. Der Bund hat sich in seiner Rolle als Eigentü- 3 2014 wurde mit dem Bund vereinbart, dass zusätzlich zu der zwischen Bund und DB AG vereinbarten Dividende von 350 Mio. Euro mer nach der Bahnreform kaum um das Unterneh- sämtliche Gewinne der Infrastrukturgesellschaften von ca. 600 Mio. men gekümmert. Seit 1994 hat keine Bundesregie- Euro zusätzlich an den Bund ausgeschüttet und für zusätzliche Infra- strukturinvestitionen verfügbar sein sollten. Aufgrund der schlech- rung und keine Partei explizit Ziele für die Eisenbahn ten Ertragslage hat der Bund seine Dividendenforderung reduziert formuliert, erstmals enthält der aktuelle Koalitions- (2016: 600 Mio. Euro, 2017: 450 Mio. Euro). ifo Schnelldienst 5 / 2019 72. Jahrgang 7. März 2019 9
ZUR DISKUSSION GESTELLT erwirtschaften die Hälfte Abb. 1 des Konzernumsatzes und Kapitalverzinsung (ROCE) DB-Sparten ein Viertel des Gewinnes, sie ROCE Fernverkehr ROCE Regio ROCE Arriva (adj.) sind aber, anders als behaup- ROCE Cargo ROCE Schenker (adj.) ROCE Infrastruktur % tet, keineswegs die »Geld- 40 maschinen« des Konzerns.4 Gewinnsprünge sind nicht zu 30 erwarten. DB Cargo ist seit Jahren in den roten Zahlen, 20 die Sanierungsmaßnahmen 10 greifen bislang nicht. In der aktuellen Krise rich- 0 tet sich der Blick auf Struktu- ren und Management der DB -10 AG. So be mängelt Bahnchef Lutz die fehlende Zusam- -20 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 18 HJ1 menarbeit der Konzernge- Quelle: DB AG – Konzernjahresabschluss, untersch. Jahrgänge. © ifo Institut sellschaften, Staatssekretär Ferlemann beklagt, die Wei- sungen der Vorstände würden auf den nachfolgenden zu konzentrieren. Der Verkauf ist jedoch politisch Ebenen nicht umgesetzt. Ein langjähriger Aufsichts- umstritten, als Alternativen werden eine erhöhte rat bezeichnet die Bahn als »Katastrophenveran- Schuldenaufnahme oder eine deutliche Kapital staltung«. Es ist befremdlich, dass die Führungsebe- erhöhung diskutiert. nen bemüht sind, die Schuld an den Problemen auf Kurzfristige Potenziale bestehen bei der Verbes- die nachfolgenden Managementebenen zu schieben. serung der Managementprozesse. Die Linienfunk Konflikte zwischen Bereichen und Funktionen sind in tionen sollten gestärkt werden, klare Verantwort- allen großen Unternehmen üblich. Es ist eine der zen- lichkeiten festgelegt werden und die Koordinations- tralen Aufgaben eines Vorstandes, Regeln zur Kon- mechanismen zwischen den Funktionen vereinfacht fliktbehandlung zu entwickeln und die Lösung eska- werden. lierender Probleme selbst zu moderieren. Darüber hinaus sollte die Governance des Unter- Die fehlende Ausrichtung des Konzerns spiegelt nehmens verbessert werden. Die Politik sollte klare sich in der Besetzung des Aufsichtsrats wider, bei Ziele für das Unternehmen DB AG formulieren und der keine klare Linie erkennbar wird. Aktuell sind die auch das Management entsprechend incentivieren. letzten Wirtschaftsvertreter der Mehdorn-Ära, die zur In diesem Zusammenhang ist die Frage zu stellen, Unterstützung der Börsengangpläne berufen wor- ob die Rechtsform der AG für den Konzern richtig ist. den waren, durch Politiker ersetzt. Dem Vernehmen Die häufigen Interventionen der Politik in das Unter nach entscheiden dabei die Fraktionsvorsitzenden nehmen hinein sind angesichts der verkehrspoliti- über die Besetzung. Im Ergebnis hat die DB AG heute schen Bedeutung kaum vermeidbar. Allerdings wer- einen Aufsichtsrat, der sich weitgehend weder durch den damit die Autonomie und Verantwortlichkeit des besondere Branchenkenntnis noch durch Erfahrung Aufsichtsrates permanent unterlaufen. in der Führung von Großunternehmen auszeichnet. Die für das Ziel der Verdoppelung des Verkehrs Entsprechend gelingt es dem Aufsichtsrat auch nicht, erforderlichen Infrastrukturinvestitionen kann die den Vorstand des Konzerns und der großen Toch DB AG nicht aufbringen, diese Mittel können nur terfirmen stabil und kompetent zu besetzen, allein vom Bund kommen. Die Projekte des vordringlichen bei DB Cargo wurden in den vergangenen vier Jahren Bedarfes im BVWP und das angekündigte Digita elf Vorstände ausgetauscht. lisierungsprogramm erfordern bis 2030 Investitionen von ca. 80 Mrd. Euro. Auf Basis der heutigen Haus- PERSPEKTIVEN haltslinie sind davon nur ca. 20 Mrd. Euro finanziert. Ohne eine deutlich verbesserte Finanzierung wird der Das Unternehmen DB AG muss kurzfristig finanziell Schienenverkehr nicht erheblich wachsen können. stabilisiert werden. In Frage kommt hierbei der Ver- In diesem Zusammenhang muss der Bund auch kauf von Arriva, eventuell auch von Schenker. Damit das Thema der Planungskapazitäten der Bahn ange- könnten die anstehenden Investitionen im Konzern hen. Derzeit könnte die Bahn zusätzliche Mittel kaum finanziert werden und Schulden abgetragen werden. ausgeben, da sich die Kapazität an den geringen Es würde auch dem Vorstand ermöglichen, sich auf Bedarf der vergangenen Jahre angepasst hat. Einer- seine Kernaufgaben bei der Sanierung der Eisenbahn seits sollte der Bund kritisch prüfen, ob die perma- nente Verschärfung der Regelwerke für Planungs- 4 Schenker hat in den Jahren 2013–2017 insgesamt knapp 200 Mio. Euro Gewinn an den Konzern ausgeschüttet, Arriva hat noch nie Ge- prozesse zielführend ist oder ob eine Vereinfachung winne an den Konzern ausgeschüttet. durchsetzbar ist. Zum anderen muss dringend ein 10 ifo Schnelldienst 5 / 2019 72. Jahrgang 7. März 2019
ZUR DISKUSSION GESTELLT Programm zur Ausbildung oder Umschulung von Pla- Alexander Kirchner* nungsingenieuren aufgelegt werden. Die aktuellen Qualitätsprobleme im Fernver- Verlässlich mehr Geld für die kehr sind nur ein Symptom einer tieferen Krise des Eisenbahn und ein klarer Konzerns. Im Bereich der Pünktlichkeit besteht nur begrenztes Potenzial für kurzfristige Verbesserun- politischer Auftrag sind der gen. Die Korrektur der Fehlentwicklungen der letz- Problemlöser Nummer eins ten zwei Jahrzehnte in den Bereichen Finanzierung und Governance wird viele Jahre in Anspruch neh- Auf die einfache Frage, ob ein radikaler Umbau nötig men – allerdings sollten die Weichenstellungen bald ist, um die Krise der Deutschen Bahn zu bewältigen, erfolgen. gibt es keine einfache Antwort. Zum einen wäre es Die Eisenbahn ist ein unverzichtbarer Baustein falsch, das Thema allein auf die DB AG zu fokussieren. für die Zielerreichung bei der Senkung der CO2-Emis- Der Verkehrsträger Schiene muss insgesamt betrach- sionen. Die Politik steht derzeit am Scheideweg: Sie tet werden. Zum anderen hängt die Frage, ob der muss entscheiden, ob sie die Umsetzung der hehren Schwerpunkt des unternehmerischen Handelns mehr verkehrspolitischen Zielsetzungen mit entschlos auf der Daseinsvorsorge oder dem Erwirtschaften von Alexander Kirchner senen Strukturmaßnahmen und zusätzlichen Mitteln Gewinnen liegen soll, maßgeblich von den Rahmenbe- vorantreibt oder ob sie sich wie in den vergangenen dingungen und Vorleistungen ab, die der Eigentümer Jahrzehnten darauf beschränkt, die Verkehrspolitik setzt. aus den Medien herauszuhalten und die Autofahrer So lange die politisch Verantwortlichen keine nicht zu verärgern. belastbare Entscheidung treffen, ob das Unterneh- men Deutsche Bahn eher dem einen oder eher dem anderen verpflichtet sein soll, lösen auch Struktur- veränderungen die augenblicklichen Probleme nicht wirklich. Dass die DB AG heute so schlecht dasteht – mehr noch, dass das gesamte System Schiene leidet – hat in erster Linie der Eigentümer und damit der Bund zu verantworten. Statt in den Erhalt der Infrastruktur zu investieren, wird schon seit Jahren auf Verschleiß gefahren. Züge fahren auf Gleisen, die 175 Jahre alt sind, Brücken, die noch aus der Kaiserzeit stammen, müssten dringend saniert werden – die im Bundes- haushalt bewilligten Ausgaben reichen aber schon lange nicht einmal dafür aus, das Netz und die Bahn- höfe in Ordnung zu halten. 25 Jahre nach der Bahnreform ist zumindest klar, dass die damalige Annahme, eine Öffnung des Eisen- bahnmarktes für den Wettbewerb und eine Gewinn orientierung für das bundeseigene Unternehmen würde ausreichen um die Eisenbahn in Deutschland langfristig positiv zu entwickeln, schiefgegangen ist. Unter anderem auch deshalb, weil ein intramo daler Wettbewerb nicht funktioniert, wenn die Wett- bewerbsbedingungen im intermodalem Wettbewerb staatlich ungleich geregelt sind. Die Wettbewerbs- verzerrungen in der Regulatorik der Abgaben und Steuer regelung zwischen den Verkehrsträ- ger, geben einer auf Daseinsfürsorge orientierten Unternehmensstruktur, die dann auch noch Gewinn abführen soll, keine Chance. Auf rund 57 Mrd. Euro beläuft sich der Investi tionsrückstau derzeit; Geld, das in den vergangenen Jahren hätte ausgegeben werden müssen, nur um die Infrastruktur und Bahnhöfe in Stand zu halten. Diese Überalterung führt zu ständig steigenden Kosten für die laufende Instandhaltung. Lagen diese zu Beginn * Alexander Kirchner ist Vorsitzender der Eisenbahn- und Verkehrs- gewerkschaft (EVG). ifo Schnelldienst 5 / 2019 72. Jahrgang 7. März 2019 11
ZUR DISKUSSION GESTELLT der Bahnreform noch bei unter 1 Mrd. Euro im Jahr, kehrsmarkt und Steigerungen bei den Trassenprei- betragen sie heute schon rund 2 Mrd. Euro. Zudem sen angenommen, die nicht realisiert werden konn- haben die damit verbundenen Bautätigkeiten, ins- ten. Gleichzeitig hat der Bund Dividendenzahlungen besondere die ungeplanten Sofortmaßnahmen, die verlangt, obwohl die Mittel für die Entwicklung der immer öfter notwendig werden, zunehmend nega Schiene erforderlich gewesen wären. tiven Einfluss auf Pünktlichkeit und Qualität. Der derzeitige Finanzierungsmodus ist nicht ver- Um die dringend notwendige Trendwende zu lässlich genug, um den Eisenbahn-Infrastruktur erreichen und die im Koalitionsvertrag vereinbarte unternehmen (EIU) und der Bauwirtschaft den Auf- Verkehrsverlagerung auf die Schiene möglich zu bau der notwendigen (Bau-)Kapazitäten zu ermögli- machen, müssten im Bundeshaushalt jährlich durch- chen. Genau das ist aber erforderlich, wenn sich der schnittlich 10 Mrd. Euro als zusätzlicher Finanzie- Personenverkehr auf der Schiene bis 2030 verdoppeln rungsbedarf vorgesehen werden. Auf den nächsten und der Schienengüterverkehr im gleichen Zeitraum Haushaltsentwurf des Finanzministers kann man deutlich ansteigen soll. Deshalb gilt es, die »Finanzie- insofern gespannt sein. rungslücke Schiene« endlich zu schließen. Was aber macht die Politik? Redet die Deutsche Neben dem Substanzerhalt und der Moderni Bahn schlecht und stellt Forderungen, die im vor sierung des vorhandenen Netzes müssen die begon- gegebenen Zeitrahmen nicht umsetzbar sind. Und nenen Neubau-, Ausbau- und Elektrifizierungs das offensichtlich nur, um von eigenen Versäumnissen projekte sowie die 29 Projekte des Vordringlichen abzulenken. Viel wichtiger wäre es, dass die Bundes- Bedarfs im Bundesverkehrswegeplan zügig verwirk- regierung endlich deutlich macht, welche Leistungen licht werden. Daneben ist eine Reihe von Zusatzmaß- sie – aus ökologischer und verkehrspolitscher Sicht nahmen und Sonderprogrammen notwendig, um die – nicht nur von der DB AG allein, sondern vom Sys- Wettbewerbsfähigkeit des Verkehrsträgers Schiene tem Schiene insgesamt erwartet – und was sie dafür zu stärken. Und das ist aus klima-, verkehrs-, wirt- in den nächsten Jahren verlässlich zu zahlen bereit schafts- und sozialpolitischen Gründen dringend ist. Es reicht nicht aus, im Koalitionsvertrag eine Ver erforderlich. doppelung der Passagierzahlen und der Fracht auf der Bleibt die Frage: ist darüber hinaus ein radika- Schiene festzuschreiben, die dafür notwendigen Mit- ler Umbau der DB AG nötig? Für uns als EVG ist klar: tel dann aber nicht bereitzustellen. In ihrer heutigen Form ist die Deutsche Bahn nicht Ein radikaler Umbau wäre insofern hinsichtlich überlebensfähig. Die Strukturen müssen flacher und der Finanzierung der Schieneninfrastruktur nötig. Da schlanker werden, die Zentralisierung muss auf- steht als nächstes die Leistungs- und Finanzierungs- hören. Es gibt zu viele Hierarchien und einen viel zu vereinbarung (LuFV II) auf der Agenda. Mit der der- großen Wasserkopf. Ein nicht zu unterschätzendes zeitigen LuFV II (2015 bis 2019) sollte eigentlich der Problem ist auch das weit verbreitete Spartendenken. »Turnaround« geschafft und für die nächsten Jahr- Jeder sieht nur seinen eigenen Bereich. Immer wie- zehnte eine wieder leistungsfähige Infrastruktur rea- der wird deshalb mehr gegeneinander als miteinan- lisiert werden. Dieses Ziel wurde jedoch verfehlt. der gearbeitet. Schwierig ist zudem, dass im Konzern Gleichwohl hat sich die LuFV II im Grundsatz vorstand niemand direkte operative Verantwortung aber bewährt. Dieses Instrument muss jedoch weiter für sein Geschäftsfeld hat und somit so gut wie gar entwickelt werden. Denn bisher ist es weder gelun- nicht gestalten kann. gen, den Investitionsrückstand aufzuholen, noch Was wir brauchen, ist eine offene und ehrliche sind die notwendigen Ersatz- und Modernisierungs- Bilanz über das, was in den zurückliegenden 25 Jah- investitionen auskömmlich, also unter Einbeziehung ren, seit der Bahnreform, alles falsch gelaufen ist. von Baupreissteigerungen, finanziert. Dies ist bei den Dabei müssen alle bereit sein, Fehler einzugestehen. augenblicklichen Verhandlungen zur LuFV III (2020 bis Nur dann ist die Wende zum Besseren zu schaffen. 2024) zu berücksichtigen. Insofern ist es an der Zeit, Mobilität neu zu den- Zudem müssen Sonderprogramme des Bundes ken – und die Frage zu stellen, welche Eisenbahn wir für die Infrastruktur unabhängig von der LuFV finan- für die Zukunft eigentlich wollen? Wir brauchen Visi- ziert werden. Dabei geht es um die Erweiterung der onen. Pläne für eine Eisenbahn, die uns die Mobili- Kapazitäten sowie um die strukturelle Weiterentwick- tät der Zukunft sichert. Das Potenzial dazu ist vor- lung des Netzes, nicht um Ersatz und Modernisierung. handen. Deshalb müssen wir das Unmögliche denken Darüber hinaus müssen die Finanzierungskreis- und unsere Verkehrspolitik nicht an unseren heutigen läufe transparent dargestellt werden: Im Rahmen der Maßstäben ausrichten, sondern vornehmlich für die LuFV II erhalten die Infrastrukturunternehmen der DB nächste Generation gestalten. Bei der genießt das AG Zahlungen aus dem Bundeshaushalt. Diese wer- Auto nicht mehr oberste Priorität. den zu einem erheblichen Teil durch Dividenden der Wir brauchen einen öffentlichen Nahverkehr, der DB AG (Bereiche Verkehr und Infrastruktur) gegen- Lust macht, ihn zu nutzen. Wir brauchen den politi- finanziert. Der Nettobeitrag des Bundes fällt damit schen Willen, in jedem neuen größeren Wohngebiet deutlich geringer aus, als er im Haushaltsplan ausge- für einen S-Bahn-Anschluss zu sorgen und in jedem wiesen ist. Zudem wurden Einnahmen aus dem Ver- Gewerbegebiet für einen Gleisanschluss der Güter- 12 ifo Schnelldienst 5 / 2019 72. Jahrgang 7. März 2019
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