Ihr seid Helden! 20 SEITEN

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#26, 2. Juli 2021 – CHF 4.90

20 SEITEN

Ihr seid
Helden!
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E D I TO R I A L

                                            Xhaka ist Schweiz
                                            wie Sommer
                                                                                        WERNER DE SCHEPPER
                                                                                             C O - C H E F R E DA K TO R

                                                                           Ich bin ein Papierlischweizer! In Belgien geboren und in der
                                               diese woche.                Schweiz, seit ich zwei Monate alt war, also seit 56 Jahren.
                                                                           Trotzdem habe ich erst seit zwölf Jahren den Schweizer Pass.
                                                                           Und deshalb bin ich ein Papierlischweizer, wie mir meine
                                                                           Kollegen – zum Glück meist augenzwinkernd – hin und wie-
                                                                           der zu verstehen geben. Etwa wenn ich an der EM ebenso
                                                                           emotional für Belgien wie für die Schweiz fiebere.
                                                                                 Tatsächlich gibts einen Nationalitäten-Reflex: Ich freue
                                                                           mich jedes Mal, wenn ein Schweizer oder eine Schweizerin
                                                                           mit einem Namen, der nicht auf Nikolaus von der Flühe oder
                                                                           Wilhelm Tell zurückgeht, für die Schweiz Grossartiges
                                                                           ­
                                              Arbeiten, wo andere Ferien   ­leistet. Ich freue mich, wenn die gebürtige Italienerin ­Maria
                                              machen: Auf Kreta erklärt
                                                                            Pappa Stadtpräsidentin von St. Gallen wird, wenn eine
                                                Hotelplan-Chefin Laura
                                                Meyer (l.) SI-Reporterin    Seconda wie Petra Volpe mit dem Film «Die göttliche
                                                                            ­
                                            ­Silvana Degonda, wie Reisen    ­Ordnung» Schweizer Geschichte dokumentiert und der
                                              nach dem Lockdown geht.        ­serbischstämmige Nenad Mlinarevic Helvetias Gourmet-
                                                                              päpste delektiert.
                                                                                 Und jetzt finde ich es grandios, wie die Nati das Land stolz
                                                                              macht: und zwar als Einheit, als Mannschaft, als Kollektiv.
                                                                              Ob Xhaka, Embolo oder Seferovic, ob Sommer, Fassnacht
                                                                              oder Zuber. Diese bunte Truppe mit Namen aus aller Welt
                                                                              repräsentiert unsere Schweiz. Und es ist genauso dumm,
                                                                              die Papierlischweizer extra hervorzuheben, wenn es läuft,
                                                                              wie es fehl am Platz ist, diese Papierlischweizer vom Rest der
                                                                              Truppe separat abzufertigen, wenns nicht läuft. Unser lang-
                                                                              jähriger Sportchef Iso Niedermann legt in einer fulminanten
                                              Tradition: die 1.-August-
                                                                              Analyse dar, wie und warum die Nati mit Captain Granit
                                              Wanderung der SI! 2020
                                            zeigte uns Bundesrätin Viola      Xhaka das Wunder von Bukarest geschafft hat. Seite 10
                                            Amherd ihr Binntal. Diesmal
                                             führt uns Simonetta Som-      Ja, beim Fussball bin ich nicht nur Schweiz-Fan. Ganz
                                            maruga in die Beatushöhlen.
                                                                           ­anders ist das mit dem Nationalfeiertag. Der 1. August ist
Fotos Nicolas Righetti, Kurt Reichenbach
Titel Samy Ebneter für SFV / football.ch;

                                                                            voller Geschichten und Erinnerungen an Feuerwerke,

                                                   933                      ­Lampions und schöne Abende in der 1.-August-Disco. Der
                                                                             Nationalfeiertag Belgiens am 21. Juli sagt mir hingegen gar
                                                                             nichts. Wunderschön ist auch die 1.-August-Wanderung,
                                                  Worte stark ist das
                                                 Interview mit Martin        die wir seit vier Jahren mit unseren Leserinnen und Lesern
                                               ­Vetterli, Präsident der      unternehmen. Diesmal mit Bundesrätin Simonetta Som­ma­
                                             ETH in Lausanne. Knapp,         ruga am Thunersee. Melden Sie sich an! Seite 36
                                              klar und klug erklärt er,
                                             wieso die Digitalisierung
                                                  zur Schweiz passt.       Viel gute Schweiz mit der Schweizer Illustrierten!

                                                                                                                              SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 3
Ihr seid Helden! 20 SEITEN
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I N H A LT

                                                                       30
                                                                       «Die Gedanken
                                                                       schweifen lassen
                                                                       – das brauchts ab
                                                                                                                                                                                                          56
                                                                                                                                                                                                Das Beste am
                                                                       und zu»: Auf der
                                                                                                                                                                                                Vierling-Sein?
                                                                       Rigi lüftet Sänger
                                                                                                                                                                                                «Man ist nie
                                                                       Kunz den Kopf
                                                                                                                                                                                                allein.» Und
                                                                       und plaudert über
                                                                                                                                                                                                das Mühsamste:
                                                                       seinen Alltag
                                                                                                                                                                                                «Man ist nie
                                                                       und Sohn Emil.
                                                                                                                                                                                                allein.» Jasmin,
                                                                                                                                                                                                Nico, Lara und
                                                                                                                                                                                                Leila Reichen-
                                                                                                                                                                                                bach (v. l.).

                                                                       24
                                                                         Mitfiebern, mit­
                                                                        leiden! Der Mon-

                                                                                                                                                                                                          38
                                                                         tag am Luzerner
                                                                           Lido Beach ist
                                                                          einmalig – trotz
                                                                         Wetterkapriolen                                                                                                                  «Tatort»,
                                                                       feiert die Schweiz                                                                                                           «Zwingli» und
                                                                        den historischen                                                                                                        jetzt der Kinofilm
                                                                           Sieg der Nati –                                                                                                      «Spagat»: Schau-
                                                                              maskenfrei!                                                                                                         spielerin Rachel
                                                                                                                                                                                                    Braunschweig
                                                                                                                                                                                                      ist «die Frau
                                                                                                                                                                                                   für Frauen, die
                                                                                                                                                                                                   aus dem Leben
                                                                                                                                                                                                  gegriffen sind».

                                                                             STARTER                               50	
                                                                                                                      Sabine Lüthy Die Frau, die Aids be­        91    GaultMillau Caminada vegetarisch
                                                                       3     Editorial von Werner De Schepper         kämpft, im persönlichen Interview          92    Wandern So machts Kindern Spass
                                                                       6     Diese Woche Sina, Corinne Suter &    52	
                                                                                                                      Laura Meyer Kaliméra! Auf Kreta            93    Sandras Kolumne Die Handykrise
                                                                              Selina Gasparin, Carol Fernandez &       erzählt die Chefin von Hotelplan
                                                                                                                                                                  94    Die Insulinfalle Nicht nur Kalorien
                                                                              Nathalie D’Addezio, Mirka Federer,       vom Weg aus der Krise
                                                                                                                                                                         entscheiden über dick oder dünn
                                                                              Kubilay Türkyilmaz                   56   Reichenbach-Vierlinge Wie schnell
                                                                                                                                                                  96    Infarkt-Risiko Allzu heftige Ge-
                                                                       9      0 Jahre Frauenstimmrecht!
                                                                             5                                           die Zeit vergeht: Sie sind schon 18!
                                                                                                                                                                         fühle können auch gefährlich sein
Fotos Marco Schnyder, Joseph Khakshouri, Kurt Reichenbach, Geri Born

                                                                             Carte blanche für Evelyne Binsack     60	
                                                                                                                      Laureus Stiftung Schweiz Für
                                                                                                                                                                  98    Auto Elektro-Winzling Microlino
                                                                                                                       Flori und den Frauenfussball
                                                                                                                   62   Martin Vetterli Der EPFL-Präsident
                                                                             STORYS                                                                                     SONSTIGES
                                                                                                                         fordert «eine Art SBB für die digitale
                                                                       10     as Wunder von Bukarest
                                                                             D                                           Welt». Das Digi-Tal der Schweiz?         97    Horoskop von Elizabeth Teissier
                                                                             Historischer Sieg über Frankreich
                                                                                                                   66    chönstes Dorf? 3 von 12 Finalisten
                                                                                                                        S                                         100	
                                                                                                                                                                      Spiele Rätseln – die Klassiker
                                                                       16    Granit Xhaka Der Nati-Captain             – Sie haben die Qual der Wahl!            104 Community & Impressum
                                                                              und seine sagenhaften Helden
                                                                                                                   71    estival da Jazz Die Stars sind live
                                                                                                                        F                                         105 Notabene von Simone Lappert
                                                                       22    Mario Gavranovic Seine Welt               zurück in St. Moritz. Christian Jott
                                                                                                                                                                  106 S
                                                                                                                                                                       o mache ich das … Nicolas
                                                                       24    Lido Luzern Grosse Gefühle                Jenny präsentiert sein Programm
                                                                                                                                                                      Wiedmer erforscht Ansichtskarten
                                                                       28    Sarah Akanji Die EM-Kolumne                                                             aus den Ferien
                                                                       30    Kunz Der Mundart-Sänger bietet            SERVICE
                                                                              auch «Nahrung für die Psyche»        84   Style weekly Schillerndes von
                                                                                                                                                                            ABO-SERVICE
                                                                       36    Simonetta Sommaruga Wandern                Versace, Beauty mit Monika Rot
                                                                                                                                                                          TEL. 0848 820 920
                                                                              mit der Bundesrätin? So gehts        86    ravel Eine Adria-Insel zum
                                                                                                                        T                                               Redaktion: Flurstrasse 55, 8048 Zürich,
                                                                       38    Rachel Braunschweig Privat.               Verlieben: Willkommen auf Lošinj!         Tel. 058 269 26 26, info@schweizer-illustrierte.ch,
                                                                              Die Schauspielerin startet durch     88   Betty Bossi Leichtes für heisse Tage               www.schweizer-illustrierte.ch

                                                                                                                                                                                      SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 5
Ihr seid Helden! 20 SEITEN
fake oder news.

                                                                                                                                                       Wel che di e s e r Au ss age n
                                                                                                                                                           von S how m a s te r

                                                                                                                                                      T HOMAS
                                                                                                                                                    GOT T SCHAL K
                                                                                                                                                           i s t w i r k l i ch wa hr ?

                                                                                                                                                                      1
                                                                                                                                                         «Ich bin Pate
                                                                                                     SINA                                              eines Nasenbärs»

                                                                 «Darauf habe ich lange gewartet»                                                                    2
                                                                   «Mega schön!» – «Baloise Session uuf m Handy. Klappt vom Uusland här!» –               «In den 70ern
                                                                  «Än Gruess va Chiipl» Der Chat beweist: Die Welt schaut zu und ist begeistert.          hatte ich zwei
                                                                 Zwei Stunden bevor die Schweizer Fussball-Nati zu ihrem historischen EM-Spiel
                                                                     antritt, sendet Sina starke Schweizer Gefühle in den Äther. Livestreaming-
                                                                                                                                                        ­Nasenpiercings»
                                                                 Konzert Baloise Session @home aus dem «Atlantis, Basel»: Die Walliserin erzählt,
                                                                   wie sie den Lockdown erlebt hat – und lässt die Zeit musikalisch aufscheinen.
                                                                 Ihre neuen Songs begeistern das Publikum vor den Screens – und in kleiner Zahl
                                                                 wieder im Klub. «Darauf habe ich lange gewartet», so Sina. Nochmals geniessen
                                                                                                                                                                      3
                                                                                   auf www.facebook.com/BALOISESESSION. Z V E                              «Alle sechs
                                                                                                                                                        ­Monate lasse ich
                                                                                                                                                         mir eine Dauer-
                                                                                                                                                         welle machen»
                                                                   wild wild web.

                                                                    E I N LE BE N W IE
                                                                                                                                                                ruhe übernommen.
                                                                                                                                                    schaft für Nasenbär Thommy im Zoo Karls-
                                                                                                                                                     2020 hat der 71-Jährige die Ehrenpaten-

                                                                    IM MÄRCHEN
                                                                      Er geht mit Balu dem Bär bädele,
                                                                       mit Schneewittchen tanzen und                                                               S A L M A H AY E K
                                                                        schmückt mit Bella den Weih-
                                                                       nachtsbaum. Auf das Leben von
                                                                                                                                                           «Scheiss
Fotos Dominik Plüss, Instagram (3), AFP, HO, Joseph Khakshouri

                                                                    Spanier Samuel ist so manches Kind
                                                                     und mancher Disney-Fan neidisch.
                                                                      Der 30-jährige Primarschullehrer                                                    auf diesen
                                                                    integriert Comic-Charaktere in den
                                                                    Alltag und gestaltet so sein eigenes                                                   Quatsch.
                                                                      Leben in ein buntes Märchen um.
                                                                     Darin macht gemäss seinen Insta­                                                       Frauen
                                                                       gram-Fotos selbst das Wäsche­
                                                                        aufhängen mit Aladin oder das                                                     haben kein
                                                                      Schulbankdrücken mit Mogli und
                                                                      Alice aus dem Wunderland Spass.                                                    Haltbarkeits-
                                                                    Nur manchmal – im Fall von Warzen­
                                                                      schwein Pumbaa aus «Lion King»                                                       datum»
                                                                      zum Beispiel – nerven ihn die Ess­
                                                                     gewohnheiten seiner Mitbewohner.                                                       Die 54-jährige Schauspielerin
                                                                              @samuelmb1991                                                                  ­wettert darüber, dass Leute
                                                                                                                                                          Frauen über 40 für unsexy halten.
Ihr seid Helden! 20 SEITEN
rose.               S U T E R & G A S PA R I N

                                          Biathlon-Ass
      MA JA
    HOF F M A NN                          trainiert Skistar
 Van Gogh liebte Arles, der
Jahrhundertkünstler verlieh
    dem südfranzösischen
 Städtchen viel Glanz. Nun
 glänzt Frank Gehrys spek­
 takulärer Turm, bestehend
    aus 11 000 Aluminium­
   kästen. Er ist Herzstück
  des elf Hektaren grossen
   Kulturzentrums Luma –
    ­Europas neues Kunst­
  mekka, das letzte Woche
   eröffnet wurde. Mäzenin
 des Giga-­Projekts: Milliar­
 därin Maja Hoffmann. Der
 Königin von Arles gebührt
  die Rose der Woche. Was
die Basler Kunstsammlerin
  und Roche-­Erbin vor Kur­
  zem noch als «Utopie für
  eine Kulturinstitution des
  21. Jahrhunderts» nannte,
 ist Wirklichkeit geworden.

                          kaktus.

               SY LVIA
             T SCH UDIN
         Als Präsidentin der Bürger­
           gemeinde Bubendorf BL
        scheinen Sie ein grosser Fan
         von Modezar Karl Lagerfeld            Selina Gasparin (r.)
        gewesen zu sein – und haben            führt Corinne Suter
        wohl deshalb dem Kosovaren             am vergangenen
         Hamdi Halili den Schweizer            Samstag in der
        Pass verweigert – ohne sach­           Roland Arena in
        liche Begründung. Lagerfeld            Lenz GR in die Kunst
          sagte einst: «Wer Trainer­           des Schiessens ein.
        hosen trägt, hat die Kon­trolle
          über sein Leben verloren.»
          Das Baselbieter Kantons­             Mitten im Sommertraining hat sie plötzlich   sagt Gasparin anlässlich des Events ihres
        gericht verwies Sie nun in die         neue Ziele im Visier: Am vergangenen         gemeinsamen Sponsors in der Biathlon
         Schranken und verdonnerte             Samstag bekommt Skistar Corinne              Arena, welche nun offiziell in Roland
             Sie dazu, Herrn Halili            Suter, 26, in Lenz GR Einblicke in den       Arena umbenannt wurde. Suter, die auch
           nach zehn Jahren Kampf              Bia­thlonsport. Und das von keiner Gerin­    gern Yoga macht oder reitet, liebt es, neue
           einzubürgern. Übrigens:             geren als Biathletin und Olympia-Silber­     Sportarten auszuprobieren. «Das erlebt
        Lagerfeld sagte auch: «Alles,          medaillengewinnerin von 2014, Selina         man nicht alle Tage. Und ich habe nun ein
         was ich sage, ist ein Witz.»          Gasparin, 37. Diese hat nur lobende Worte    Gefühl bekommen, wie schwierig Biathlon
           Unser Kaktus soll sie an­           für die Abfahrtsweltmeisterin übrig:         ist», sagt Suter. Ihre Fans müssen aber
           stacheln, Humor künftig             «Man merkt, dass sich Corinne ex­trem        keine Angst haben. Im Winter bleibt Co­
          nicht zu ernst zu nehmen.            gut fokus­sieren und konzentrieren kann»,    rinne weiterhin ihren Alpinski treu. S V B

                                                                                                             SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 7
Ihr seid Helden! 20 SEITEN
C A R O L F E R N A N D E Z & N AT H A L I E D ’ A D D E Z I O

                                                                                                                    Hier tischen zwei Schwestern auf
                                                                                                     Die eine mischte früher die Berner Lokalpolitik als SVP-Stadträtin auf, die andere steht bis heute am DJ-
                                                                                                  Mischpult und macht dem Partyvolk Tanzbeine. Jetzt spannen Nathalie D’Addezio, 43, und Carol Fernandez, 34,
                                                                                                   zusammen: Sie haben beim Zürcher Hauptbahnhof ihre Paninoteca al Centro eröffnet. «Die Idee dazu reifte
                                                                                                  während der Pandemie. Wir erfüllen uns damit einen Familientraum.» Die Grosseltern führten einst in Spanien
                                                                                                   einen Churros-Laden. Mit an Bord geholt haben die Schwestern noch ihre Eltern. «Mama macht Pasta frisch
                                                                                                                  und von Hand», sagt Fernandez stolz, die auch weiter als DJane arbeitet. R H

                                                                                                       ausgezeichnet.
Fotos David Biedert, Geri Born, Getty Images, Kurt Reichenbach, Instagram, Bruno Voser

                                                                                            P E DR O L EN Z & C O.
                                                                                                  Bärndütsch – wohlklingende Mundart ist
                                                                                               in der Schweiz beliebt. Und Berner Autorin-
                                                                                                   nen und Autoren sind es in der Literatur
                                                                                                  ebenso. Der Kanton Bern hat nun seinen
                                                                                                                                                                                 MIRKA FEDERER
                                                                                                Literaturpreis 2021 an sechs Schriftstelle-
                                                                                                rinnen und Schriftsteller verliehen. Freuen
                                                                                               dürfen sich neben SI-Kolumnist Pedro Lenz                       Schimmernder Auftritt
                                                                                                   («Primitivo») auch Carol Blanc («Wohäre
                                                                                                    überhoupt. Morgengeschichten»), Arno                   Während Roger Federer, 39, im Centre Court in London in die
                                                                                              ­Camenisch («Der Schatten über dem Dorf»),                 Sporthose schlüpft, zaubert Mirka, 43, ein Ass aus dem stilsicheren
                                                                                                    Regina ­Dürig («Federn lassen»), Jessica               Ärmel: An der Fashion Week sitzt sie bei der Präsentation der
                                                                                                 ­Jurassica («Das Ideal des Kaputten») und               Männerkollektion von Dior in der ersten Reihe – und sieht blendend
                                                                                               Lorenz Pauli («Der beste Notfall der Welt»).              aus. In einer Bluse aus schimmerndem Satin, in flüssigem Nougat-
                                                                                                                                                               braun, mit Punkten wie Zuckerstreusel. Wie exquisit! L E I

                                                                                         8 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE
Ihr seid Helden! 20 SEITEN
50 JAHRE FRAUENSTIMMRECHT – 50 FRAUENSTIMMEN

 D I ESE WOC H E: E V E LYN E BIN SACK
Um beruflich die Karriereleiter erklimmen listen umzuformen. Selbstverständlich liess
zu können, mussten Frauen zuerst lernen, ich mich als Leistungssportlerin gerne auf
«ihren Mann» zu stehen. Zum Glück ha- das Kräftemessen mit den Soldaten ein, das
ben sich diese Zeiten geändert.                sie zu Beginn herausforderten. Doch bereits
    Die Vielfalt an möglichen Rollen im nach zwei Tagen war dies gegessen. Keiner
­Leben bereichert mich, und ich fühle mich der Soldaten hatte genügend Ausdauer. Von
 im richtigen Zeitpunkt geboren. Richtig, diesem Moment an liess sich beobachten,
 weil mir einerseits noch die Pionierinnen-­ wie Ausbildung, Leistung, Team und Res-
 Leistung bis in die Höhen des Himalajas pekt zusammenflossen.
 und in die eisigen Kälten der Polar-Regio-       Diese Ausbildungszeit blieb den Teilneh-
 nen möglich war. Anderer-                                     mern präsent. Einer der da-
 seits, weil mir die Gunst der        «Im Begriff              maligen Soldaten, der heute
 rechtzeitigen Geburt das                                      als Unternehmer die Verant-           ZUR PERSON
                                    Bewegung liegt                                                   1967 geboren und
 Recht gab, Berufsbergfüh-                                     wortung eines Konzerns
 rerin zu werden. Erst als ich
                                    so viel Essenz»            trägt, lud mich vor zwei Wo-           in Her­giswil NW
                                                                                                    aufgewach­sen, lebt
 18 war, wurden die Zulas-                                     chen in die Ostschweiz ein,        Evelyne Binsack heute
 sungsbedingungen für angehende Bergfüh- um als Referentin über das Erlangen von                im Berner Oberland. 1991
 rer gesetzlich geändert und auch Frauen zur Willensstärke, die Förderung von Teams               absolvierte sie als eine
 Bergführer-Berufsausbildung zugelassen.       und die erfolgreiche Umsetzung von Zielen       der ersten Frauen Europas
    Immer wieder zaubern mir Erinnerun- zu sprechen. Ein heiteres Wiedersehen nach              die Ausbildung zur diplo­
                                                                                                   mierten Bergführerin.
 gen, die ich als Bergführerin erleben durfte, 30 Jahren, in denen sich für jeden von uns so
                                                                                                   Sie bestieg als erste
 ein Lächeln ins Gesicht. Wie jener Auftrag viel und unterschiedlich bewegt hat.                 Schweizerin den Mount
 im Jahr 1991. Nachdem im Kanton Appen-           Im Begriff Bewegung liegt so viel Essenz.       Everest, bewältigte die
 zell Innerrhoden das Frauenstimmrecht via Denn einen Weg gehen kann nur, wer sich              Eigernordwand, kletterte
 Bundesgerichtsentscheid eingeführt wor- bewegt. Und so sehe ich auch meine Verant-              auf die Gipfel des Hima­
 den war, beauftragte mich die Schweizer wortung als Bergführerin, Referentin und                  laja und der Anden.
                                                                                                   Zudem war Binsack
 Armee für die Führung eines Hochgebirgs- Mentaltrainerin: Immer wieder mutig einen
                                                                                               484 Tage zum Südpol un­
 kurses. Von den 120 Soldaten wurden mir nonkonformen Weg zu gehen, neue Fuss-                   terwegs. Diverse Bücher
 zehn Innerrhödler Alpinisten zugewiesen, stapfen zu hinterlassen, in denen es sich für          und Dok-Filme erzählen
 um sie in zwei Wochen zu Gebirgsspezia- Menschen der Zukunft leichter gehen lässt.               von ihren Abenteuern.

 Ein historisches Länderspiel gegen Frankreich
    hat einst Kubilay Türkyilmaz erlebt – wenn
auch nur historisch für seine Karriere: 1988 de­
 bütiert der heute 54-jährige Tessiner in einem
Match gegen die Franzosen in der Nati. Damals
   verlieren «les Suisses» jedoch 1:2 gegen «les
  Bleus». Dafür bleibt «Kubi» 13 Jahre im natio­
 nalen Dienst und trifft 34-mal für die Schweiz.
 Erst 2001 – damals spielt er bei Brescia Calcio
und lebt mit Katze Woopie im norditalienischen
       Ospitaletto – tritt er aus der Nati zurück.

                                                                                                  SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 9
Ihr seid Helden! 20 SEITEN
DER BANN IST

    Aus Wut wird Mut: Von Öffentlichkeit und Medien stark kritisiert, reagiert die
 Schweizer Nati als verschworene Einheit. Endlich stimmen Anspruch und Wirklichkeit
    überein. Kann kommen, was will, die Mannschaft hat Geschichte geschrieben.

10 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE
F U S S B A L L- E M 2 0 2 1
           Unsere Helden

GEBROCHEN
                   Dramatik bis zum
                   letzten Schuss:
                   Die Nati feiert.
                   Yann Sommer hat
                   den letzten Penalty
                   gehalten und so
                   den Sieg gesichert.

                                            Foto Samy Ebneter für SFV/football.ch

                SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 11
Gehalten! Aber
                                                                        stand Sommers
                                                                        Fuss auf der Linie?
                                                                        Was entscheidet
                                                                        der Schiedsrichter?

                                                                                                    Geschafft! Das
                                                                                                    Team feiert unter
                                                                                                    Captain Xhaka
                                                                                                    das Wunder von
                                                                                                    ­Bukarest.
Fotos Samy Ebneter für SFV/football.ch (3), Toto Marti für Blicksport

                                                                        12 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE
Gewonnen!
                                               ­Zuber stürmt
                                                aufs Spielfeld.
                                                Jetzt gibts kein
                                                Halten mehr.

                               «SOMMER
                               HÄLT,
                               SOMMER
                               HÄLT,
                               SOMMER
                               HÄLT,
                               DIE SCHWEIZ,
                               VIERTEL-
Gelöst! Penalty-­Held Sommer
kann auch in der Garderobe
                               FINALE»
sein Glück kaum fassen.        SASCHA RUEFER
Das private Bild
fürs Fotoalbum.
Im Teamhotel sind
alles Helden –
­keiner darf fehlen!

14 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE
«DIE SCHWEIZ
  IST STOLZ
  AUF EURE
                                                 Foto Samy Ebneter für SFV/football.ch

 LEISTUNG»
VIOLA AMHERD, SPORTMINISTERIN

                     SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 15
F U S S B A L L- E M 2 0 2 1
             Der Leitwolf

XHAKA – EIN CHEF
VON IMPOSANTER
  POSTUR, DER
   SEIN TEAM
 ZUSAMMENHÄLT
TEXT ISO NIEDERMANN

Pässchen nach links. Rückpass zu Som-        Rückwärtsgang oder bestenfalls seit-         diese Mannschaft kaputtzumachen»,
mer. Quer geflankt zu Freuler. Drehung       lich orientiert. Safety first, Tempo raus,   giftelt er an der Euro ins SRF-Mikro-
mit dem Ball um die eigene Achse, vier       Gegner anrennen lassen, mal schauen.         fon, angesprochen auf Coiffure-Gate
Schritte vorwärts, suchender Blick zu        Ein bisschen Buchhalter-Mentalität.          und Tattoo-Affäre. «Wir haben vielen
Seferovic in der Spitze, fünf Schritte zu-   Shaqiri, ja, der hat ständig irgendeine      Leuten das Maul gestopft», bellt er
rück. Doch lieber ein Anspiel retour auf     Lausbubenidee in petto, wie er den Ball      mit trotziger Miene nach dem grössten
Elvedi weit hinter sich.                     schnellstmöglich vors Tor des Gegners        Sieg seiner bisherigen Fussballkarriere.
   So spielt Granit Xhaka, 28, Fussball.     zaubern könnte. Aber Xhaka, der Cap-         Die Schweiz hat Weltmeister Frankreich
Ruhig, körperlich präsent, ballsicher,       tain, hält lieber seine Schäfchen links      besiegt, all die Millionenstars gede­
möglichst immer dort, wo er die Bälle        und rechts und vor und hinter sich zu-       mütigt auf den Heimweg nach Paris ge-
von seinen Mitspielern erhalten und          sammen, bereit einzugreifen, wenn die        schickt. Allez les Bleues – à la maison!
generös weiterverteilen kann. Ein Chef       zu übermütig werden.
von imposanter Postur. Mitten im Zen-            Nur in einer Situation wird der          Phänomenal. Sensationell. Epochal!
trum des Spielfelds, dort, wos zum geg-      ­Basler in Diensten von Arsenal London       Nach 67 Jahren Warten haben die
nerischen Tor eigentlich nicht weiter         so richtig offensiv: dann, wenn kein        Schwei­zer Fussballer ihren «Achtel­
wäre als zum eigenen. Aber wo sich der        Ball in der Nähe ist, dafür aber Mikro-     final-Fluch» besiegt, stehen an der
Spielmacher gefühlt doch ständig im           fone und Kameras. «Man versucht,            EM unter den letzten acht, haben auch

16 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE
Das sind unsere
                            Helden von Bukarest

                               GR AN I T                          YAN N
                             X HAK A, 28                       SOM M ER , 3 2
                         Auf dem Rasen ist er der          Höhenflug auf allen Ebenen:
                      Anführer, zu Hause der Hahn           Zwischen seinen rettenden
                        im Korb: Granit Xhaka und           Paraden an der EM werden
                         seine Frau Leonita haben           der Rekord-Nati-Torhüter
                       zwei gemeinsame Töchter –            und seine Frau Alina nach
                         Ayana, bald 2 Jahre, und            Mila, bald 2, zum zweiten
                        Laneya, 2½ Monate. In der           Mal Eltern – von Nayla. Vor
                         Heimat seiner Familie, im           Ort wird Familienmensch
                      Kosovo, gaben sich Xhaka und            Sommer, der privat gern
«Wir haben            seine Liebste 2017 im engsten        kocht und ­Gitarre spielt, von
vielen Leuten            Familienkreis das Jawort.           seinen ­Eltern unterstützt.
das Maul gestopft»:
Nati-­Captain
Granit Xhaka
feiert den Sieg
über Frankreich.
Unten:
Über die Schmerz-
grenze hinaus: Der
                             HAR I S                               S TE VEN
«beste Spieler der       SEFER OVI C, 29                         Z U BER , 2 9
Partie» kämpfte bis
zur Erschöpfung.       Woher er kommt, weiss dank           Die Jahre im Ausland, unter

                                                                                            Fotos Marko Djurica/Pool Photo via AP/Keystone, Samy Ebneter für SFV/football.ch, Gaëtan Bally/SFV/Keystone (6)
                          Moderator Sascha Ruefer           anderem in Moskau, haben
                       ­jeder: Der Mann aus Sursee          den linken Flügelflitzer von
                      ist beim Gamen auf der Play-         einem zurückhaltenden, ruhi-
                       station ebenso ehrgeizig wie        gen zu einem extrovertierten,
                      auf dem Rasen. Doch vor den           zugänglichen Mann werden
                      Matches mag es der Ehemann           lassen. Der harte Arbeiter ist
                      von Amina, welche das zweite        mit fünf Geschwistern in einem
                          Kind erwartet, besinnlich:       Bauernhaus im Zürcher Töss-
                        Dann betet er zu seiner ver-      tal aufgewachsen. Privat frisch
                           storbenen Grossmutter.          getrennt von Ehefrau Mirjana.

                            VL ADI M I R                        M AR I O
                          PE TKOVI C, 57                    GAVR AN OVI C , 3 1
                      Der bosnische Kroate kam mit           Der Tessiner erlebt seine
                       24 als Spieler in die Schweiz,      zweite Nati-Karriere, seit er
                      studierte Jus und arbeitete als      nach der WM 2014 bis 2018
                        Sozialarbeiter. Seit sieben        nicht aufgeboten wurde. Vor
                      Jahren ist er Nati-Trainer, mitt-   den Spielen hat der Stürmer
                       lerweile haben sich auch die       ein Ritual: Er betet, dass sich
                      Fans mit dem etwas distanziert         niemand verletzt. Neben
                       wirkenden Coach angefreun-         dem Platz gilt sein Fokus Frau
                       det. Mit seine Frau Ljiljana ist    Anita, deren Name er schon
                        er seit 37 Jahren zusammen;        auf seinen Fussballschuhen
                           sie haben zwei Töchter.         trug, und Tochter Leonie, 2.

                                                               SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 17
«ICH WEISS VOM
                                                                                    WM-TITEL 2009
                                                                                      MIT DER U17,
                                                                                       WIE SICH
                                                                                     TRÄUME VER-
                                                                                      WIRKLICHEN
                                                                                       LASSEN»
                                                                                                   GRANIT XHAKA

                                                                                                            Lieber gross reden
                                                                                                            statt sich klein­
                                                                                                            machen: Granit
                                                                                                            Xhaka ist selbst­
                                                                                                            bewusst, scheut
                                                                                                            keine Kritik.
                                                                                                            Rechts oben:
                                                                                                            Trainer Vladimir
                                                                                                            Petkovic hat X
                                                                                                                         ­ hakas
                                                                                                            Mecha­nismus vor
                                                                                                            Längerem erkannt
                                                                                                            und ihn zum Leitwolf
                                                                                                            gemacht.

keine Angst vor Spanien im Viertel­         und legt den Zeigfinger vor den Mund.       Teamhotel? Typisch verwöhnte Millio­
final. Ein Land explodiert im Freu­         Schnau­ze, ihr Nörgler! Unsere Haar­        narios! Coiffeur im Trainingscamp?
dentaumel, eine Mannschaft deliriert        farbe ist unsere Sache.                     Die habens halt nur auf dem Kopf statt
vor den Fans auf dem Rasen von Bu­                                                      darin. Geschlossene Lippen während
karest im unbändigen Stolz. Und was         Xhakas Geste steht stellvertretend für      der Hymne? Ist doch keine Nati, sind
macht Xhaka? Nach Yann Sommers              diese Schweizer Nationalmannschaft:         doch keine richtigen Schweizer. Das
­finaler Penaltyparade und dem Schluss­     wir gegen alle. Geliebt nur im Erfolgs­     verzeihen wir Petkovics Team nur,
 pfiff rennt Granit schnurstracks vor die   fall, frontal kritisiert nach jedem Faux­   wenn es gewinnt. Dann gibts Auto­
 TV-Kamera am Spielfeldrand, zeigt          pas abseits des Spielfelds. Identifika­     korsos und Verbrüderung in Rot-Weiss
 eine seiner blondierten Haarsträhnen       tion mangelhaft. Im Lamborghini zum         und helle Begeisterung.

18 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE
M AN U EL                               N I CO
                                                      AK AN J I , 25                        ELVEDI , 24
                                                 Der Innenverteidiger ist in               Der Zürcher mit Bündner
                                               Wiesendangen ZH aufgewach-              ­Wurzeln wurde wegen seiner
                                               sen und gilt als ruhig und be-              coolen Art einst Eisvogel
                                                sonnen. Der Abwehrchef, der              ­genannt. Mit einem Markt-
                                                mit zweitem Namen Obafemi                  wert von 35 Millionen ist
                                                («Vom König geliebt») heisst,               der Innenverteidiger der
                                                   ist nicht nur im Fussball          ­wertvollste Schweizer Spieler.
                                                 top, sondern auch im Kopf-               Elvedi hat einen Zwillings­
                                               rechnen. Im Mai 2020 wurden            bruder und ist seit fünf Jahren
                                                 er und Frau Melanie Eltern               mit der Zürcher Studentin
                                                 von Aayden Malik Adebayo.                   ­Alexandra Crum liiert.

      Doch nun, so scheint es, hat die
Schweizer Fussball-Nati des 21. Jahr-
                                                         R EM O                                BR EEL
hunderts mit Granit Xhaka als Wort-                  FR EU L ER , 29                        EM BOLO, 24
führer und erstem Repräsentanten                  Der Zürcher Oberländer,             Der Stürmer eroberte die Fan-
­dieser heterogenen Gruppe endgültig           früher «Mini» genannt, weil er         Herzen schon, da war er noch
 genug davon, nur geduldet zu sein,              mit den zwei Jahre älteren              nicht volljährig: Mit seiner
 wenns rundläuft. Und genau das macht            Jungs spielte, ist heute auf             spitzbübischen, offenen,
                                                  dem Platz Grande Remo.               aber auch bescheidenen Art
 sie stark. Kollektiver Trotz als Antrieb.
                                                   Mit seiner Frau Kristina             punktet der Sonnenschein,
 Innere Verschworenheit als Stärke             lebt der zuverlässige, fleissige          dessen Vater nach wie vor
 ­gegen aussen. Zu sehen wie noch nie             zentrale Mittelfeldspieler            in Kamerun lebt. Mit seiner
  in Bukarest. Trainer Vladimir Petkovic          seit fünf Jahren im italie­             Freundin Naomi hat der
  hat den Mechanismus schon vor Län-            nischen Bergamo, wo er gern            Basler zwei Kinder: Naliya, 3,
  gerem erkannt und Xhaka zum Leit-                  Videogames spielt.                  und Clay Enzo, 18 Monate.
  wolf gemacht. Zu jenem, der hinsteht
  und sagt, was er denkt, den es nicht
  ­anficht, wenn er arrogant gescholten

                                                                                                                        Fotos Puma, Mihai Barbu/Pool/Getty Images, Gaëtan Bally/SFV/Keystone (6)
   wird. Der seine Mannschaft in Schutz
   nimmt und sie zusammenhält. Gegen
   Frankreich ausgeübt in Perfektion.
   In jeder Spielunterbrechung, in jeder
   Trinkpause, vor der Verlängerung, vor
   dem Penaltyschiessen ist er laut,                     K E VI N                             RU BEN
   schwört seine Kollegen ein. Und hat ihr            M BABU, 26                            VAR GAS, 2 2
   volles Gehör. Zieht alle mit.
                                                   Mbabu heisst mit erstem              Die Liebe zum Sport wurde
      Dieser Unwille, sich helvetisch klein­    ­Vornamen eigentlich Melingo,           dem Luzerner in die Wiege
   zumachen, hat Xhaka und Kollegen                auf Social Media nennt er             ­gelegt: Sein Vater aus der
   schon viel Ärger eingebrockt. Xhaka           sich Rasta Rocket. Auf dem           ­Dominikanischen Republik ist
   persönlich kennt das seit Langem.               Platz hyperaktiv, daneben            Golflehrer, seine Schweizer
   Als der Jungspund 2012 mit 20 Jahren           ein Phlegma, so beschreibt           Mutter war früher Trampolin-
                                                    sich der Genfer selbst.            springerin. Bevor er Fussball-
   von Basel zu Mönchengladbach in die
                                                 Der Verteidiger, der mit einer         profi wurde, machte er eine
   grosse Bundesliga geht, macht er sich         Belgierin liiert ist, ist der ein-     Lehre zum Flachmaler. Der
   gleich mal unbeliebt mit der Ansage,        zige Romand, der gegen Frank-          Mittelfeldspieler ist das Küken
   er wisse da wohl als Einziger, wie sich        reich auf dem Platz stand.              der Helden von Bukarest.

                                                                                          SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 19
Champions League anfühle. Und vier                        Wir gegen alle:
                                                          Captain Granit
Jahre später, nach dem 40 Millionen                       Xhaka geniesst
teuren Wechsel zu Arsenal, legt er                        in der Nati Auto-
sich bald mit den Fans an, weil er sich                   rität, schwört
                                                          sein Team ent-
Kritik an seiner Spielweise nicht ge­                     schlossen ein.
fallen lässt. Er eckt stets aufs Neue an,
wird in den englischen Medien teils
weit ­   unter der Gürtellinie kritisiert.
Aber er hat auch genügend Klasse,
um sich die Gunst der Anhänger und
Kommentatoren immer wieder zu­
rückzuholen.
     In der Nationalmannschaft verleiht
dieses Selbstbewusstsein Xhaka Auto-
rität. Die Gruppe schart sich geschlos-
sen hinter ihren Anführer. Soll doch
über Gräben innerhalb der Mannschaft
spekulieren, wer will. Deren Einheit
definiert sich nicht über Hymnen­
sänger und Hymnenschweiger. Die
stärkste Provokation aber ist, dass
­einige aus dieser Secondo-geprägten
 Schweizer Auswahl, und am unver-
 blümtesten Xhaka, seit Jahren be­haup­
 ten, zu Höherem befähigt zu sein.
 Zu Beginn der EM-Vorbereitung diesen
 Frühsommer sagt Granit zur Schweizer
 Illustrierten: «Ich weiss vom WM-Titel
 2009 mit der U17-Nati, wie sich Träume
 verwirklichen lassen. Weshalb soll-                       «EUROPAMEISTER?
                                                          JA. JETZT. HUNDERT-
 ten wir das nun mit dem National-
 team der Grossen nicht wiederholen
 können?» Und auf die Nachfrage:
 «Das heisst, die Schweiz kann dieses
 Jahr Europameister werden?», blickt
 der zweifache Familienvater schein-
                                                              PROZENTIG!»
 bar emotionslos und sagt: «Ja. Jetzt.                                        GRANIT XHAKA
 Hundertprozentig!»
     Es ist nicht das erste Mal, dass sich
 einige Schweizer Internationale in den
 vergangenen Jahren nicht gerade             Sieg reicht und gegen Italien gar ein      ihn nicht, sondern verleiht ihm Mut,
 grosser Bescheidenheit befleissigen.        blamabel-passiver Auftritt überhöhte       Willen, Energie. Er macht eine über­
 Und jedes Mal gibts hinterher umso          Erwartungen platzen lässt, ist sie wie-    ragende Partie, bestätigt endlich die
 mehr Häme. Das verlorene Penalty-           der da, die öffentliche Schelte. Grosse    Weltklasse, die ihm viele seit Jahren
 schiessen gegen Polen an der Euro           Klappe, kleine Leistung. Selbst Granit     ­attestieren, aber die er kaum je aus-
 2016, das 0:1 im WM-Achtelfinal gegen       Xhaka geisselt Kollegen, ohne Namen         spielt. Xhaka gewinnt praktisch alle
 sehr bescheidene Schweden 2018 – da         zu nennen: «Wer im Spiel den Ball           Zweikämpfe, holt Bälle, schüchtert
 ­klaffen Anspruch von Xhaka & Co. mit       nicht fordert, sollte vielleicht besser     die Franzosen mit seiner Entschlossen-
  der ­Realität weit auseinander. Mutlos     nicht auf dem Platz stehen.»                heit ein. Und er gibt dem Schweizer
  ist es jedes Mal, unerklärlich blutleer.      Doch etwas ist diesmal anders, als es    Spiel endlich auch entscheidende Of­
  Bei allem unbestrittenen Talent der        gegen das scheinbar übermächtige            fen­siv-­Impulse, spielt Bälle nach vorne,
  Einzelnen, bei all der vielen Erfahrung    Frankreich wirklich zählt. Zu sehen am      ­geniale lange Zuspiele, von denen ­eines
  der meisten Spieler aus ausländischen      besten an Granit Xhaka: Dem Captain          zum Ausgleich in letzter Sekunde führt.
  Topligen ist es an dieser Euro zunächst    ist im dauernden Kampf um Aner­              Endlich scheint ihm das gegnerische
  nicht anders: Als es gegen unterlegene     kennung dieses Teams offensichtlich          Tor näher zu sein als das eigene. Und
  Waliser wegen Passivität nicht zum         der Kragen geplatzt. Der Ärger lähmt         Xhaka reisst alle mit. In seinem Sog

20 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE
R I CAR DO                        X HER DAN
                                               R ODRÍGU EZ , 28                    SHAQI R I , 2 9
                                              Der Innenverteidiger gehörte        Müsste er sich als Frucht
                                                 zum Schweizer U17-Welt­      beschreiben, wäre er eine Erd­
                                                  meisterteam von 2009.       beere: klein und süss. Auf dem
                                              ­Geboren wurde er in Zürich      Fussballplatz hingegen ist er:
                                              als Sohn ­eines Spaniers und    schnell und gefährlich. Oder
                                               einer ­Chilenin. Bevor seine       um es mit seinen eigenen
                                              Mutter 2015 an Krebs starb,      Worten zu sagen: «Ich bin ein
                                                  liess er sich «JM» – die      Spieler, der den Unterschied
                                            ­Ini­tialen der Vornamen seiner       ausmachen kann.» Mit 17
                                                ­Eltern José und Marcela –     ­erhielt Shaqiri beim FC Basel
                                               auf seinen Hals tätowieren.       seinen ersten Profivertrag.

                                                    SI LVAN                        CHR I S TI AN
                                                 W I DM ER , 28                  FASSN ACHT, 2 7
                                                 Der Rechtsverteidiger,          Passend zu seinem Nach­
                                              der vor jedem Spiel betet,         namen ist er am 11. 11., am
                                             bezeichnet sich neben dem          ­Fasnachtsanfang, geboren.
                                            Platz als ruhigen Menschen.        Der Stürmer war früher auch
                                             Er geniesst gemütliche Fern­     im Tennis und auf dem Snow­
                                               sehabende, liest Romane           board aktiv, heute spielt er
l­ iefern die Schweizer eine couragierte,      oder spielt gern Gitarre –     gern Golf. Nebenbei lancierte
 spritzige, entschlossene Leistung ab.        wenn er denn noch dazu­          der YB-Spieler die Kleider­
                                            kommt: Mit seiner Frau Céline      marke Cedici – der Name in
 Und nun also der Viertelfinal. Der           hat er die Kinder Alissa, 3,    Anlehnung an seine Lieblings­
 erste in einem grossen Turnier seit          und Zoé Estelle, 6 Monate.         zahl und Trikotnummer 16.
 1954. Als bei jenem irrwitzigen 5:7
 in der WM-Hitzeschlacht von Lau-
 sanne gegen Österreich ein Helden-
 epos geschrieben wurde, hiessen die

                                                                                                                 Fotos Mihai Barbu/Pool/Getty Images, Gaëtan Bally/SFV/Keystone (6)
 Protagonisten Vonlanthen, Hügi oder
 Ballaman. Namen mit -ic am Schluss?
 Fehlanzeige. Kein Captain musste da-
 mals Identifikation stiften. Kein Team
 um öffentliche Anerkennung im eige-                FABI AN                           ADM I R
 nen Land ringen. Vielleicht hat der               SCHÄR , 29                      M EHM EDI , 30
 Sieg d
      ­ ieser Woche über Frankreich ge-
                                             Der Ostschweizer sucht stets          Das zweite Talent des
 rade deshalb die grössere historische        auch neben dem Sport die             zwei­fachen Vaters und
­Dimension.                                 Herausforderung: Ursprünglich     Nati-­Routiniers, der stets mit
    Granit Xhaka ist im Viertelfinal ge-    hat er eine KV-Lehre bei ­einer     dem rechten Fuss den Platz
 gen Spanien gesperrt. Er sagt dazu:         Bank gemacht, 2018 begann           betritt, sind Sprachen. Der
 «So ist es nun halt. Dafür wird man          er ein Wirtschafts­stu­di­um     in Gostivar (heute Nordmaze­-
                                                an der Fernhochschule.          do­nien) geborene, im Tessin
 im Halbfinal wieder den besten Granit
                                             Glück an der EM bringt dem          und danach in Zürich auf­
 sehen!» Es könnte sein, dass ihm sol-      Verteidiger ein Energiestein –      gewachsene Stürmer spricht
 ches ab dieser Woche nicht mehr um         ein Geschenk seiner Freun­din,      Deutsch, A ­ lbanisch, Franzö­
 die Ohren fliegt.                             Jus-Studentin Alexandra.       sisch, Italienisch und Englisch.

                                                                                   SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 21
F U S S B A L L- E M 2 0 2 1
                M E I N E W E LT

MARIO GAVR ANOVIC

Seine Tochter ist
der grösste Fan
Mit seinem Treffer in der 90. Minute sorgt
Mario Gavranovic in letzter Sekunde für den
Ausgleich und damit für die Verlängerung.
So tickt der Nati-Stürmer abseits des Rasens.
T E X T TO N I R A J I C

               ERSTER KLUB
      Gavranovic wächst in
­Lugano auf, wo er im örtli­
 chen Fussballverein seine
 Karriere beginnt. Mit dem
  FC Lugano steigt er Ende
  2006/07 in die Challenge
   League auf. Heute spielt
     er bei Dinamo Zagreb.
                                                      SERIEN-FAN
                                                      Am liebsten schaut
                                                      der Stürmer Dokumen­
                                                      tationen und Serien.
                                                      Vor allem, wenn er mit
                                                      der Nati ­unterwegs ist.
                                                      Besonders gut gefallen
                                                      hat ihm die Fantasy-
                                                      Serie «Game of Thrones».

                                                                          VORBILD
                                                                          Grosse Bewunderung
                                                                          hegt er für die Tennis­
                                                                          stars Djokovic, Nadal
                                                                          und Federer. In der
LIEBENDER VATER                                                           Freizeit wechselt
Am 9. Mai 2019 erblickt Leonie das Licht der Welt.                        Gavranovic gern mal
Seither dreht sich Gavranovics Leben um die Kleine.                       den Rasen gegen
Seine Prinzessin nennt er liebevoll «Cici».                               einen Tenniscourt.
«Ich bin froh,
                                 ihn an meiner
                                 Seite zu haben»

                                                                     Mario und
                                                                     Anita Gavrano-
                                                                     vic, beide 31,
                                                                     sind seit 2012
                                                                     liiert, seit 2017
                                                                     verheiratet.

                                 Anita Gavranovic, wo und mit wem haben Sie
                                 den Match gegen Frankreich mitverfolgt?
                                 Ich habe mit meiner Mutter und einer guten
                                 Freundin von daheim aus mitgefiebert. Leonie
                                 war zwar auch da, aber sie hat tief und fest ge-

«Für Mario ist es                schlafen. Für sie wäre es zu mühsam gewesen,
                                 so lange aufzubleiben.

das Wichtigste,
                                 Wie gross war die Freude, als Mario für den
                                 Ausgleich gesorgt hatte?
                                 Unendlich gross natürlich! Ich konnte leider nicht

der Mannschaft
                                 herumhüpfen und losschreien, sonst hätte ich die
                                 Kleine geweckt. Aber ich bin rausgerannt zu meiner
                                 Mama, die vor Nervosität Luft schnappen musste.

   zu helfen»                    Draussen haben wir uns dann zusammen gefreut.
                                 Was meinen Sie zum Offside-Treffer?
                                 Mein erster Gedanke war einfach: «Verflixt, das
    ANITA GAVRANOVIC             kann doch nicht wahr sein. Schon wieder.» Beim
                                 Spiel gegen Wales war es ja dasselbe.
                                 Wie stolz sind Sie auf Ihren Mann?
                                 Das kann ich kaum in Worte fassen. Für all das,
                                 was er bisher erreicht hat, arbeitete er hart und
                                 opferte viel. Er kämpft immer und verliert dabei
                                 nie die Hoffnung. Das macht mich unglaublich
                                 stolz. Ich bin froh, ihn an meiner Seite zu haben.
                                 Was bedeutet Mario dieser Treffer?
                                 Er ist überglücklich. Jeder einzelne Treffer macht
                                 ihn stolz. Dass er aber letztlich dafür gesorgt hat,
                                 dass die Schweiz nun weiter ist, macht ihn wohl
                                 ein kleines Stück stolzer als sonst. Für ihn ist es
                                 aber das Wichtigste, der Mannschaft zu helfen
                                 und zusammen die Spiele zu meistern.
                                 Haben Sie ein gemeinsames Ritual vor den
                                                                                         Fotos Toto Marti (2), Freshfocus, Getty Images

                                 Spielen?
                                 Ich versuche ihm sehr viel Freiraum zu lassen,
                                 damit er konzentriert und auf sich fokussiert in
                                 ein Spiel gehen kann. Ich wünsche ihm und den
                                 Jungs nur viel Glück. Was wir aber machen, ist,
                                 dass wir uns über einen Videoanruf sehen, das
                                 allerdings primär wegen Leonie.
                                 Bekommt Leonie mit ihren zwei Jahren schon
          «Gavra» in der
          ­kroatischen Haupt-
                                 mit, was der Papa macht?
           stadt Zagreb. Hier    Klar! Egal wie viele Spieler auf dem Platz stehen,
           lebt der Tessiner     sie erkennt ihn sofort und sagt: «Papi, Goal.»
           mit seiner Familie.

                                                           SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 23
F U S S B A L L- E M 2 0 2 1
       D i e S c h w e i z i m Ta u m e l

Achterbahn
der Gefühle
Die Schweizer Nati lässt die Fans am Montag
fiebern, leiden, feiern. Wetterkapriolen und der
verschossene Penalty gehören ebenso zum
Sommermärchen wie der erste Abend ohne Masken.

T E X T TO N I R A J I C
F OTO S J O S E P H K H A KS H O U R I

Über dem Luzerner Lido Beach House
dräuen dichte, dunkelgraue Wolken.
Der Pilatus auf der gegenüberliegenden
Seeseite ist kaum zu erkennen. Viele
kleine Glühbirnen leuchten über dem
Public Viewing am Vierwaldstättersee.
Schweizweit stürmts und hagelts, hier
bleibts vorerst trocken. 350 Fussball-
fans sind bereits eine halbe Stunde vor
Anpfiff auf ihren Plätzen.
    Joel Bazelli trägt das aktuelle Tenue
der Schweizer Nati, um den Hals einen
rot-weissen Schal, über seinen Schultern
die Schweizerfahne. «Ich bin so froh,
dass wir dieses Spektakel wieder in gros-
sen Gruppen mitverfolgen können – als
ob der Bundesrat auf so ein Spiel gewar-
tet hat», scherzt der 29-Jährige.
    Ein lauter Pfiff dröhnt aus den
­Lautsprechern. Der Match beginnt. Die
 Fans klatschen und jubeln. Bazelli
 schreit mit: «Hopp Schwiiz!» Hinter
 dem ­grossen LED-Bildschirm ist das
 leichte Abendrot zu sehen. Dann wirds

24 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE
21.15 Uhr
                                                        Freude zum Start.
                                                        Seferovic schiesst
                                                        das 1:0 fünfzehn
                                                        Minuten nach dem
                                                        Anpfiff.

                                                        22.08 Uhr
                                                        Der Weltmeister
                                                        dreht die Partie
                                                        innert zwei Minu-
                                                        ten. Es steht 1:2.
                                                        Die Schweiz ist
                                                        nun komplett von
                                                        der Rolle.

21.22 Uhr Das Spiel hat Fahrt aufgenommen.
Die Fans sind guter Dinge und positiv gestimmt.

                                                  SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 25
22.26 Uhr
Der Glaube an den
Sieg ist nach dem
dritten Tor der
Franzosen fast
begraben. Die Stim-
mung ist bedrückt.

26 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE
23.31 Uhr Mit dem Penaltyschiessen kommt der                       still, unterbrochen nur durch Schreie,
Regen. Die Spannung ist kaum auszuhalten.                          wenn die Franzosen angreifen. Und
                                                                   wie aus heiterem Himmel passiert das
                                                                   Unerwartete: Haris Seferovic köpfelt in
                                                                   der 15. Minute die Schweiz in Führung.
                                                                   Freudig fallen sich die ersten Fans in
                                                                   die Arme, andere halten sich noch zu-
                                                                   rück. Zu schnell bewegt sich der Ball
                                                                   von links nach rechts.
                                                                       Zur Pause führt die Schweiz 1:0.
                                                                   «Heute gewinnt die Nati!», sagt Alyssa
                                                                   Fluri, 20, aus St. Gallen. Auf den Ti-
                                                                   schen stehen wieder volle Bierbecher.
                                                                   Weiter gehts! Plötzlich Unruhe. Zuber
                                                                   wird gefoult! Penalty! Rodríguez ver-
                                                                   schiesst. Unmut in den Rängen. Statt
                                                                   dem 2:0 landen innert Minuten zwei
                                                                   Bälle der Franzosen im Schweizer Tor.
                                                                   Fassungslosigkeit. Dann wirds wieder
                                                                   ruhig am Luzerner Seebecken. Das
                                                                   ­Flackern des Bildschirms spiegelt sich
                                                                    in den glasigen Augen der Fans. Der
                                                                    Sieg war doch so nahe …
                                                                       Und dann auch noch das 3:1 von
                                                                    Pogba. Joel Bazelli kann nicht fassen,
                                                                    was geschieht. Erste Fans schleichen
                                                                    enttäuscht vom Gelände, Fahnen und
                                                                    Banner zusammengeknüllt.

                                                                   Doch die Nati gibt nicht auf. Sefero-

                                          «Die Jungs               vic lässt die Fans wieder hoffen. Drei
                                                                   Minuten später der Ausgleich durch Ga­

                                          waren nie
                                                                   vra­novic! Die Fans toben. Tische und
                                                                   Stühle kippen weg. Doch der Treffer

                                          harmonischer
                                                                   zählt nicht, «Gavra» stand im Abseits.
                                                                   Wieder das Bangen. Mit dem Schluss-
                                                                   pfiff gleicht Gavranovic dann doch

                                          auf dem                  noch aus. 3:3! «Das ist eines der besten
                                                                   Nati-Spiele, das ich je gesehen habe.

                                          Spielfeld»               Die Jungs waren nie harmonischer auf
                                                                   dem Spielfeld», schwärmt Bazelli.
                                                                      Es geht in die Verlängerung. Nervös
                                          JOEL BAZELLI, NATI-FAN   zappeln die Füsse unter den Tischen.
                                                                   Konzentriert streichen sich einige
                                                                   Männer durch ihre Bärte, andere kauen
                                                                   Fingernägel. 120 Minuten sind durch.
                                                                   Genau jetzt fallen dicke Tropfen vom
                                                                   Himmel. Vor dem Bildschirm ein Meer
                                                                   aus Regenschirmen.
                                                                      Penaltyschiessen. Eine Frau schlägt
                                                                   die Hände vors Gesicht, schaut nur
                                                                   zwischen den Fingern hindurch. Der
                                          23.38 Uhr                Rest ist helvetische Fussballgeschichte.
                                          Kylian Mbappé            Die Schweiz ist weiter. Es wird getanzt
                                          scheitert an Yann        und gefeiert. Zum Regen mischt sich
                                          Sommer, und
                                          die Schweiz steht        nun auch Bier. Die Fans ziehen weiter
                                          im Viertelfinal.         in die Luzerner Innenstadt.

                                                                                  SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 27
F U S S B A L L- E M 2 0 2 1
            DIE KOLUMNE

In der Höhle des
Löwen – fast wie
beim Penalty-
schiessen. Sarah
Akanji in den
Katakomben des
FC Winterthur.

                   «Sie wuchsen über
                         sich hinaus»
                                        Der Penalty-Krimi war für Sarah Akanji kaum
                                       auszuhalten. Auch weil ihr Bruder zum Schuss
                                      antrat. Sie weiss: Diese Sekunden entscheiden,
                                       ob ein Spieler in den Augen der Öffentlichkeit
                                                  zur Legende oder zum Versager wird.
TEXT SARAH AKANJI

      Diese Leidensminuten ab der 120. Minute. Sie füh­        verflucht. Fussballprofis stehen im Rampenlicht,
      len sich an wie Stunden. Stunden, die gefüllt sind       werden auf Schritt und Tritt überwacht, und auf
      mit allen möglichen Emotionen und mich innerlich         ihnen liegt ein konstanter Leistungsdruck – auf und
      fast zerreissen. In den ersten 90 Minuten erleben wir    neben dem Feld. Ihr privates Leben wird beleuchtet,
      ein aufwühlendes Auf und Ab, haben emotional             kommentiert und zur Schau gestellt, ihre Leistun­
      schon alles durch. Doch es ist nicht vorbei: Es folgt    gen auf dem Platz werden konstant bewertet, kriti­
      das Bibbern in der Nachspielzeit und eine Grenz­         siert und interpretiert. Fussballer wirken in unserer
      erfahrung beim Penaltyschiessen. Die Nerven liegen       Gesellschaft unnahbar, unantastbar, fast unmensch­
      bereits vor dem Elfmeterschiessen komplett blank,        lich und eher wie Halbgötter, die in einer anderen
      und wir wissen: Nun kann alles passieren. Der            Welt leben. Dies führt dazu, dass die Erwartungen
      Moment ist da, der alles entscheidet. Die Spieler        an sie von vielen riesig sind und sie einerseits völlig
      können innerhalb weniger Minuten zu gefeierten           vergöttert, aber andererseits auch sehr schnell ver­
      Helden werden – oder zu grossen Verlierern. Und die      teufelt werden. Fussballer müssen gemäss Gesell­
      ganze Schweiz schaut zu. Diesen gewaltigen Druck         schaft selbstüberzeugt, aber nicht überheblich sein.
      kann Mensch fast nicht in Worte fassen. Die Luft         Ehrgeizig, aber gleichzeitig bescheiden. Konstanz
      scheint von Bukarest bis in die Schweiz plötzlich        zeigen, aber dennoch überraschen. Eigentlich ein
      weniger Sauerstoff zu beinhalten, alles scheint sich     Task der Unmöglichkeit, als Mensch all diese gegen­
      in Zeitlupe zu bewegen, aber auch im Schnelltempo        sätzlichen Erwartungen zu erfüllen.
      zu entwickeln. Die Spannung ist schier unaushalt­
      bar. Ich leide. Mehr noch, als ich realisiere, dass      Als wäre diese Glorifizierung und Erwartungs­
      die Nummer 5 zum Penaltypunkt schreitet. «Wieso          haltung der Öffentlichkeit nicht Druck genug im
      tust du mir das an», schiesst es mir durch den Kopf,     Alltagsleben eines Fussballers, wurde mir bewusst,
      als Manuel seinen Weg zum Strafraum fortsetzt.           wie prekär dieser Abend und dieses Penaltyschies­
      «Ich platze gleich, wie soll ich das überstehen?», als   sen waren. In diesen kurzen Minuten entschied sich,
      er Anlauf nimmt und der Schiedsrichter die Pfeife        wie Medien am nächsten Tag über das Team berich­
      zum Mund führt. Es fühlt sich an, als würde sich         teten, ob Menschen in den sozialen Medien wüteten
      mein kleiner Bruder ganz alleine in eine Schlacht        oder zelebrierten, wie dieses Team in den kommen­
      werfen, dessen Ende völlig unklar ist und bei der ich    den Wochen wertgeschätzt wird – oder eben nicht.
      ihn nicht unterstützen kann. Hin- oder wegschauen?          Bei allen antretenden Penaltyschützen der
      Keine Option scheint mir erträglich. Also starre ich     Schweiz schwirren mir Tausende Gedanken durch
      gebannt und konzentriert atmend, mit angespann­          den Kopf von «Mist, ich habe Angst, du verschiesst»
      ten Muskeln, zusammengekniffenen Lippen und              bis zu «Ihr könnt das, glaubt an euch!». Und ständig
      den Händen vor dem Gesicht auf den Bildschirm und        habe ich im Hinterkopf, wie wichtig und entschei­
      lasse die Sekunden verstreichen. Bis der Ball im         dend dieser Moment nicht nur fürs Weiterkommen
      Netz zappelt, mein Herz wieder zu schlagen beginnt       in die Endrunde, sondern auch für das Image der
      und die angestaute Energie aus mir rausplatzt.           Nati-Spieler ist. In dieser Endphase des Spiels er­
         Wie wir in den letzten Wochen medial erfahren         leben wir nochmals alles, was wir mit der Schweiz
      haben, ist des Fussballers Ruf immer auf Messers         durch die ganze EM durchgemacht und an Qualität
      Schneide. An einem Tag gefeiert, am nächsten Tag         gesehen haben: Gavranovic – überzeugt und kräftig.
                                                               Schär – eiskalt und locker. Akanji – souverän und
                                                               präzise. Vargas – überzeugt und mit etwas Glück.
                                                               Mehmedi – ruhig und abgekartet. Und Sommer – mit
                                                               Mut und grosser Klasse. Am Schluss siegen sie. Sie
                                                               bestanden diesen Test trotz dem immensen Druck.
                                                               Trotz der Anspannung. Trotz dem Risiko, scheitern
                                                               zu können und an diesem einen entscheidenden
                                                               Schuss von der ganzen Schweiz gemessen zu wer­
                                                                                                                                Fotos Fabienne Bühler, Getty Images

                                                               den. Auch ihnen muss klar gewesen sein: Im besten
                                                               Fall wirst du zur Schweizer Legende, im schlechtes­
                                                               ten zum verurteilten Versager. Doch an diesem Mon­
                                                               tagabend wuchsen die Schweizer Nati-Spieler über
                                                               sich hinaus, brillierten in ihrer mentalen Stärke und
                                                               sicherten sich einen Namen in der Schweizer Ge­
Nach dem versenkten Penalty klatscht er erleichtert            schichte. Und schenkten mir den wohl emotionals­
mit den Kollegen ab: Manuel Akanji.
                                                               ten Match meines Lebens.

                                                                                                    SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 29
Bekanntes Gesicht.
  Seit Kunz in der
  TV-Sendung «Sing
  meinen Song» bril-
  lierte, wird er noch
  öfter angesprochen.

30 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE
Der Mann der
steilen Aufstiege
 Vom Vierwaldstättersee auf die Rigi. Innert kürzester
 Zeit ganz hoch hinaufzukommen, damit hat Kunz
 Erfahrung. Der Luzerner hat das auch mit seiner Musik
 geschafft. Beim Wandern lüftet er den Kopf – und
 plaudert über das Leben, den Alltag und Sohn Emil.

 Natur pur.
 Die Umwelt ist Kunz
 wichtig. Er fährt
 Velo und ÖV und
 isst nur einmal
 pro Woche Fleisch.

                                                         SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 31
TEXT SANDRA CASALINI
F OTO S M A RC O S C H N Y D E R

Freitagmorgen, Schiffstation Weggis LU.
Marco Kunz, 35, schnürt seine Wander­
schuhe, schultert den Rucksack. Es
geht los. Statt wie andere frühmorgens
einer Strasse entlangzujoggen, wandert
der Mundartmusiker vom Vierwald­
stättersee aus nach Rigi Kaltbad. Na­
türlich ist er auch gern mit anderen
­unterwegs, mit der Familie oder mit
 Freunden, «aber wenn man allein los­
 zieht, ist es etwas anderes. Man lässt
 die Gedanken schwei­fen, beschäftigt
 sich mit anderen Dingen, auch mit sich
 selbst. Das brauchts ab und zu.»                      Die Betreuung von Söhnchen Emil teilen
    Vom malerischen Ort aus geht es                        sich Kunz und seine Frau hälftig.
                                                      «Je nachdem ist es schon streng», sagt er.
 berg­auf, zuerst durch Weiler – wo auch
 mal ein Schwatz an einem Gartenzaun
 drinliegt –, dann über Wiesen und
 Wanderwege. Die Aussicht über Tal,                   «Kinder brau-
                                                      chen viel Zeit
 See und Berge wird immer spektaku­
 lärer. Bei jedem kurzen Halt lässt Kunz

                                                     und viel Energie.
 den Blick schweifen und strahlt. «So
 schön. Und so nah.»

Erst gerade ist er mit seiner kleinen
Familie – Frau Jenny und Söhnchen                    Beides hat man
Emil, 1, – nach drei Jahren in Zürich
an den Stadtrand von Luzern gezogen.
Zurück nach Hause. Die Gegend hier
                                                      nur begrenzt»
kennt Kunz wie seine Hosentasche –
was nicht bedeutet, dass er sich nicht
auch mal verlaufen kann, wenn er zu
fest seinen Gedanken nachhängt. Von
Marcos besonderer Liebe zur Rigi zeugt
die Tatsache, dass Jenny und er hier
im September 2018 auf einer Wande­
rung mit 140 Leuten ihre Hochzeit
­feierten. «Das war mehr oder weniger
 ein spontaner Einfall. Wir wussten
 ­immer, dass eine klassische Trauung
  für uns nicht infrage kommt. Das hat
  total zu uns gepasst.» Ansonsten kann
  sich der Musiker aber durchaus mit
  klas­sischen Werten anfreunden. Ehe,
  ein gemeinsamer Familienname –
  Kunz – und das Familienleben sind
  wichtig für ihn. «Ich finde es schön,
  dies einem Kind bieten zu können.
  Meine beiden Schwestern und ich sind       In den Startlöchern.
  auch so aufgewachsen.»                     Kunz schlüpft gern
      Zeit für eine Pause und einen Snack.   frühmorgens in
                                             die Wanderschuhe,
  Kunz packt ein Brötli, Käse, einen         noch bevor das
  ­Apfel und Rüebli aus. Letztere tunkt er   erste Bähnli fährt.
   in Senf. «Dann ists fast wie Cervelat»,

32 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE
Durchschnaufen.
                                                                                       Bald gibts wieder
                                                                                       «Kunzerte»,
                                                                                       die ­ersten im Juli.
                                                                                       Alle Daten auf
                                                                                       www.kunzmusik.ch.

                       meint er lachend. Er esse schon Fleisch,   managerin bei der Migros –, beide
                       aber nur einmal pro Woche. Gekauft         möchten aber auch möglichst viel
                       wird es bei einem befreundeten Bau-        Zeit mit ihrem Sohn verbringen. Dabei
                       ern. Nachhaltigkeit und Ernährung          ­attestiert Kunz sich selbst, der stren-
                       sind grosse Themen im Hause Kunz.           gere Elternteil zu sein. «Wer einmal
                       Sohn Emil wird bislang zuckerfrei           nachgibt, hat verloren.» Das Papisein
                       ­ernährt. Daran halten sich auch die        gebe allem mehr Sinn. «Meinen Sohn
                        Grosseltern, wenn sie den Kleinen          aufwachsen zu sehen, ihn zu begleiten,
                        ­hüten. «Wir machen das jetzt einfach,     ist unglaublich schön.» Und unglaub-
                         solange es geht», sagt Marco Kunz.        lich streng. Der Mundartstar sieht die
                         «Natürlich wird er irgendwann auch        Vaterschaft nicht nur durch die rosa-
                         mal ein Stück Kuchen oder ein Glace       rote Brille. «Kinder brauchen viel Zeit
Strammer Schritt.        bekommen.»                                und viel Energie. Beides hat man nur
«Aber für die Bühne                                                begrenzt.» Trotzdem wäre ein zweites
reicht meine Fitness   Die Betreuung haben sich Jenny und          Kind irgendwann schön. «Aber eins
noch nicht ganz»,
meint der Musiker      Marco fifty-fifty aufgeteilt. «Das war      nach dem anderen.»
selbstkritisch.        von Anfang an klar», sagt er. Beide            Es ist Zeit aufzubrechen. Kunz packt
                       ­lieben ihren Job – Jenny ist Projekt­      seine Sachen in den Rucksack, macht

                                                                                 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 33
Weitsicht: Im Pande-
mie-Jahr hat Kunz
seinen Beruf hinter-
fragt. Jetzt ist er
wieder überzeugt
vom Musiker-Dasein.

                              Burgerstein FlexVital:

                                              „Ein
                                              Geschenk
                                              für jedes
      NEU                                     Gelenk.“

              Gelenkformel mit Eierschalenmembran, Vitamin-E sowie Mangan, das
               zur Erhaltung normaler Bindegewebsbildung und Knochen beiträgt.
                                                                                 Die Alpwirtschaft
                                                                                 lässt Kunz heute aus-
                 Tut gut.                Burgerstein Vitamine                    sen vor. Sonst trinkt
                                                                                 er auch gern mal
                                                                                 gemütlich ein Bier.

34 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE
sich auf den Weg zur Luftseilbahn,
                                                ­begleitet von neugierigen Blicken und
                                                 aufgeregtem Getuschel. Ihn an­zu­spre­
                                                 chen, traut sich heute niemand. Seit er
                                                 Teil des TV-Knüllers «Sing ­   meinen
                                                 Song – Das Schweizer Tauschkonzert»
                                                 war, geschieht dies wesentlich ­öfter.
                                                 Obwohl er auch vorher ­musi­kalisch
                                                 schon super erfolgreich war – vier sei­
                                                 ner fünf Alben toppten die Schweizer
                                                 Hitparade. «Aber das Fernsehen sorgt
                                                 nochmals für einen neuen Bekannt­
                                                 heitsgrad bei einem P­ ublikum, das ich
                                                 zuvor nicht erreicht habe.»

                                                Dabei hat er anfangs mit seiner Zu-
  Im September 2018 feierten Jenny              sage für die Show gezögert. Der Grund:
 und Kunz bei einer Rigi-Wanderung              Gedreht wurde auf der spanischen In­
    ihre Hochzeit mit 140 Leuten.
                                                sel Gran Canaria, und Kunz hat sich
                                                selbst aus umwelttechnischen Gründen

  «Wir Künstler                                 ein Flugverbot auferlegt. Die Chance
                                                war dann aber doch zu ver­lockend,

bieten nicht nur
                                                um sie nicht zu packen. «Ich konnte
                                                nicht nur meinen Fans ganz a        ­ ndere

  Unterhaltung,
                                                ­Seiten von mir zeigen, sondern auch
                                                 neue ­Anhänger für meine Musik ge­
                                                 winnen.» Kein Wunder also, dass sein

sondern Nahrung                                  aktuelles Album «Mai» direkt an die
                                                 Spitze der Charts wanderte. «Das freut

 für die Psyche»                                 mich und zeigt, wie sehr die Leute das
                                                 schätzen, was wir Musiker tun.» Ein
                                                 Zeichen, dass Künstler system­relevant
                                                 seien: «Wir bieten nicht nur Unter­
                                                 haltung, sondern auch Hoffnung und
                                                 Nahrung für die Psyche.»
                                                     Kunz kann es kaum erwarten, wie­
                          Für einen kleinen
                          Schwatz unterwegs      der auf der Bühne zu stehen. «Dafür
                          ist Kunz zu haben.     macht man doch Musik.» Im stillen
                          Für Selfies posiert    Kämmerlein allein Songs komponieren
                          er im privaten Um-
                          feld eher ungern.      und diese dann vor einem digitalen
                                                 ­Publikum am Computer aufzuführen,
                                                  sei gar nicht sein Ding. Ausserdem
                                                  wolle er endlich wieder Geld verdienen
                                                  und nicht vom Staat finanziert werden.
                                                  Auch wenn er keine Existenzängste
                                                  hat­te, hinterfragte der gelernte Bau­po­
                                                  lier im vergangenen Jahr «das Konzept
                                                  meines Berufes schon immer wieder.
                                                  Ich fragte mich, ob es mehr Sinn macht,
                                                  zurück auf den Bau zu gehen.» Inzwi­
                                                  schen ist er aber sicher, dass es richtig
                                                  war, alles auf die Mundart-Folk-­Karte
                                                  gesetzt zu haben. Schliesslich «esch
                                                  d Musig e den Ohre e läbeslangi Liebes­
                                                  gschicht», wie Kunz im Song «Musig»
                                                  singt. Und diese muss endlich auch
                                                  wieder live erzählt werden.

                                                                SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 35
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