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E D I TO R I A L Xhaka ist Schweiz wie Sommer WERNER DE SCHEPPER C O - C H E F R E DA K TO R Ich bin ein Papierlischweizer! In Belgien geboren und in der diese woche. Schweiz, seit ich zwei Monate alt war, also seit 56 Jahren. Trotzdem habe ich erst seit zwölf Jahren den Schweizer Pass. Und deshalb bin ich ein Papierlischweizer, wie mir meine Kollegen – zum Glück meist augenzwinkernd – hin und wie- der zu verstehen geben. Etwa wenn ich an der EM ebenso emotional für Belgien wie für die Schweiz fiebere. Tatsächlich gibts einen Nationalitäten-Reflex: Ich freue mich jedes Mal, wenn ein Schweizer oder eine Schweizerin mit einem Namen, der nicht auf Nikolaus von der Flühe oder Wilhelm Tell zurückgeht, für die Schweiz Grossartiges Arbeiten, wo andere Ferien leistet. Ich freue mich, wenn die gebürtige Italienerin Maria machen: Auf Kreta erklärt Pappa Stadtpräsidentin von St. Gallen wird, wenn eine Hotelplan-Chefin Laura Meyer (l.) SI-Reporterin Seconda wie Petra Volpe mit dem Film «Die göttliche Silvana Degonda, wie Reisen Ordnung» Schweizer Geschichte dokumentiert und der nach dem Lockdown geht. serbischstämmige Nenad Mlinarevic Helvetias Gourmet- päpste delektiert. Und jetzt finde ich es grandios, wie die Nati das Land stolz macht: und zwar als Einheit, als Mannschaft, als Kollektiv. Ob Xhaka, Embolo oder Seferovic, ob Sommer, Fassnacht oder Zuber. Diese bunte Truppe mit Namen aus aller Welt repräsentiert unsere Schweiz. Und es ist genauso dumm, die Papierlischweizer extra hervorzuheben, wenn es läuft, wie es fehl am Platz ist, diese Papierlischweizer vom Rest der Truppe separat abzufertigen, wenns nicht läuft. Unser lang- jähriger Sportchef Iso Niedermann legt in einer fulminanten Tradition: die 1.-August- Analyse dar, wie und warum die Nati mit Captain Granit Wanderung der SI! 2020 zeigte uns Bundesrätin Viola Xhaka das Wunder von Bukarest geschafft hat. Seite 10 Amherd ihr Binntal. Diesmal führt uns Simonetta Som- Ja, beim Fussball bin ich nicht nur Schweiz-Fan. Ganz maruga in die Beatushöhlen. anders ist das mit dem Nationalfeiertag. Der 1. August ist Fotos Nicolas Righetti, Kurt Reichenbach Titel Samy Ebneter für SFV / football.ch; voller Geschichten und Erinnerungen an Feuerwerke, 933 Lampions und schöne Abende in der 1.-August-Disco. Der Nationalfeiertag Belgiens am 21. Juli sagt mir hingegen gar nichts. Wunderschön ist auch die 1.-August-Wanderung, Worte stark ist das Interview mit Martin die wir seit vier Jahren mit unseren Leserinnen und Lesern Vetterli, Präsident der unternehmen. Diesmal mit Bundesrätin Simonetta Somma ETH in Lausanne. Knapp, ruga am Thunersee. Melden Sie sich an! Seite 36 klar und klug erklärt er, wieso die Digitalisierung zur Schweiz passt. Viel gute Schweiz mit der Schweizer Illustrierten! SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 3
I N H A LT 30 «Die Gedanken schweifen lassen – das brauchts ab 56 Das Beste am und zu»: Auf der Vierling-Sein? Rigi lüftet Sänger «Man ist nie Kunz den Kopf allein.» Und und plaudert über das Mühsamste: seinen Alltag «Man ist nie und Sohn Emil. allein.» Jasmin, Nico, Lara und Leila Reichen- bach (v. l.). 24 Mitfiebern, mit leiden! Der Mon- 38 tag am Luzerner Lido Beach ist einmalig – trotz Wetterkapriolen «Tatort», feiert die Schweiz «Zwingli» und den historischen jetzt der Kinofilm Sieg der Nati – «Spagat»: Schau- maskenfrei! spielerin Rachel Braunschweig ist «die Frau für Frauen, die aus dem Leben gegriffen sind». STARTER 50 Sabine Lüthy Die Frau, die Aids be 91 GaultMillau Caminada vegetarisch 3 Editorial von Werner De Schepper kämpft, im persönlichen Interview 92 Wandern So machts Kindern Spass 6 Diese Woche Sina, Corinne Suter & 52 Laura Meyer Kaliméra! Auf Kreta 93 Sandras Kolumne Die Handykrise Selina Gasparin, Carol Fernandez & erzählt die Chefin von Hotelplan 94 Die Insulinfalle Nicht nur Kalorien Nathalie D’Addezio, Mirka Federer, vom Weg aus der Krise entscheiden über dick oder dünn Kubilay Türkyilmaz 56 Reichenbach-Vierlinge Wie schnell 96 Infarkt-Risiko Allzu heftige Ge- 9 0 Jahre Frauenstimmrecht! 5 die Zeit vergeht: Sie sind schon 18! fühle können auch gefährlich sein Fotos Marco Schnyder, Joseph Khakshouri, Kurt Reichenbach, Geri Born Carte blanche für Evelyne Binsack 60 Laureus Stiftung Schweiz Für 98 Auto Elektro-Winzling Microlino Flori und den Frauenfussball 62 Martin Vetterli Der EPFL-Präsident STORYS SONSTIGES fordert «eine Art SBB für die digitale 10 as Wunder von Bukarest D Welt». Das Digi-Tal der Schweiz? 97 Horoskop von Elizabeth Teissier Historischer Sieg über Frankreich 66 chönstes Dorf? 3 von 12 Finalisten S 100 Spiele Rätseln – die Klassiker 16 Granit Xhaka Der Nati-Captain – Sie haben die Qual der Wahl! 104 Community & Impressum und seine sagenhaften Helden 71 estival da Jazz Die Stars sind live F 105 Notabene von Simone Lappert 22 Mario Gavranovic Seine Welt zurück in St. Moritz. Christian Jott 106 S o mache ich das … Nicolas 24 Lido Luzern Grosse Gefühle Jenny präsentiert sein Programm Wiedmer erforscht Ansichtskarten 28 Sarah Akanji Die EM-Kolumne aus den Ferien 30 Kunz Der Mundart-Sänger bietet SERVICE auch «Nahrung für die Psyche» 84 Style weekly Schillerndes von ABO-SERVICE 36 Simonetta Sommaruga Wandern Versace, Beauty mit Monika Rot TEL. 0848 820 920 mit der Bundesrätin? So gehts 86 ravel Eine Adria-Insel zum T Redaktion: Flurstrasse 55, 8048 Zürich, 38 Rachel Braunschweig Privat. Verlieben: Willkommen auf Lošinj! Tel. 058 269 26 26, info@schweizer-illustrierte.ch, Die Schauspielerin startet durch 88 Betty Bossi Leichtes für heisse Tage www.schweizer-illustrierte.ch SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 5
fake oder news. Wel che di e s e r Au ss age n von S how m a s te r T HOMAS GOT T SCHAL K i s t w i r k l i ch wa hr ? 1 «Ich bin Pate SINA eines Nasenbärs» «Darauf habe ich lange gewartet» 2 «Mega schön!» – «Baloise Session uuf m Handy. Klappt vom Uusland här!» – «In den 70ern «Än Gruess va Chiipl» Der Chat beweist: Die Welt schaut zu und ist begeistert. hatte ich zwei Zwei Stunden bevor die Schweizer Fussball-Nati zu ihrem historischen EM-Spiel antritt, sendet Sina starke Schweizer Gefühle in den Äther. Livestreaming- Nasenpiercings» Konzert Baloise Session @home aus dem «Atlantis, Basel»: Die Walliserin erzählt, wie sie den Lockdown erlebt hat – und lässt die Zeit musikalisch aufscheinen. Ihre neuen Songs begeistern das Publikum vor den Screens – und in kleiner Zahl wieder im Klub. «Darauf habe ich lange gewartet», so Sina. Nochmals geniessen 3 auf www.facebook.com/BALOISESESSION. Z V E «Alle sechs Monate lasse ich mir eine Dauer- welle machen» wild wild web. E I N LE BE N W IE ruhe übernommen. schaft für Nasenbär Thommy im Zoo Karls- 2020 hat der 71-Jährige die Ehrenpaten- IM MÄRCHEN Er geht mit Balu dem Bär bädele, mit Schneewittchen tanzen und S A L M A H AY E K schmückt mit Bella den Weih- nachtsbaum. Auf das Leben von «Scheiss Fotos Dominik Plüss, Instagram (3), AFP, HO, Joseph Khakshouri Spanier Samuel ist so manches Kind und mancher Disney-Fan neidisch. Der 30-jährige Primarschullehrer auf diesen integriert Comic-Charaktere in den Alltag und gestaltet so sein eigenes Quatsch. Leben in ein buntes Märchen um. Darin macht gemäss seinen Insta Frauen gram-Fotos selbst das Wäsche aufhängen mit Aladin oder das haben kein Schulbankdrücken mit Mogli und Alice aus dem Wunderland Spass. Haltbarkeits- Nur manchmal – im Fall von Warzen schwein Pumbaa aus «Lion King» datum» zum Beispiel – nerven ihn die Ess gewohnheiten seiner Mitbewohner. Die 54-jährige Schauspielerin @samuelmb1991 wettert darüber, dass Leute Frauen über 40 für unsexy halten.
rose. S U T E R & G A S PA R I N Biathlon-Ass MA JA HOF F M A NN trainiert Skistar Van Gogh liebte Arles, der Jahrhundertkünstler verlieh dem südfranzösischen Städtchen viel Glanz. Nun glänzt Frank Gehrys spek takulärer Turm, bestehend aus 11 000 Aluminium kästen. Er ist Herzstück des elf Hektaren grossen Kulturzentrums Luma – Europas neues Kunst mekka, das letzte Woche eröffnet wurde. Mäzenin des Giga-Projekts: Milliar därin Maja Hoffmann. Der Königin von Arles gebührt die Rose der Woche. Was die Basler Kunstsammlerin und Roche-Erbin vor Kur zem noch als «Utopie für eine Kulturinstitution des 21. Jahrhunderts» nannte, ist Wirklichkeit geworden. kaktus. SY LVIA T SCH UDIN Als Präsidentin der Bürger gemeinde Bubendorf BL scheinen Sie ein grosser Fan von Modezar Karl Lagerfeld Selina Gasparin (r.) gewesen zu sein – und haben führt Corinne Suter wohl deshalb dem Kosovaren am vergangenen Hamdi Halili den Schweizer Samstag in der Pass verweigert – ohne sach Roland Arena in liche Begründung. Lagerfeld Lenz GR in die Kunst sagte einst: «Wer Trainer des Schiessens ein. hosen trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.» Das Baselbieter Kantons Mitten im Sommertraining hat sie plötzlich sagt Gasparin anlässlich des Events ihres gericht verwies Sie nun in die neue Ziele im Visier: Am vergangenen gemeinsamen Sponsors in der Biathlon Schranken und verdonnerte Samstag bekommt Skistar Corinne Arena, welche nun offiziell in Roland Sie dazu, Herrn Halili Suter, 26, in Lenz GR Einblicke in den Arena umbenannt wurde. Suter, die auch nach zehn Jahren Kampf Biathlonsport. Und das von keiner Gerin gern Yoga macht oder reitet, liebt es, neue einzubürgern. Übrigens: geren als Biathletin und Olympia-Silber Sportarten auszuprobieren. «Das erlebt Lagerfeld sagte auch: «Alles, medaillengewinnerin von 2014, Selina man nicht alle Tage. Und ich habe nun ein was ich sage, ist ein Witz.» Gasparin, 37. Diese hat nur lobende Worte Gefühl bekommen, wie schwierig Biathlon Unser Kaktus soll sie an für die Abfahrtsweltmeisterin übrig: ist», sagt Suter. Ihre Fans müssen aber stacheln, Humor künftig «Man merkt, dass sich Corinne extrem keine Angst haben. Im Winter bleibt Co nicht zu ernst zu nehmen. gut fokussieren und konzentrieren kann», rinne weiterhin ihren Alpinski treu. S V B SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 7
C A R O L F E R N A N D E Z & N AT H A L I E D ’ A D D E Z I O Hier tischen zwei Schwestern auf Die eine mischte früher die Berner Lokalpolitik als SVP-Stadträtin auf, die andere steht bis heute am DJ- Mischpult und macht dem Partyvolk Tanzbeine. Jetzt spannen Nathalie D’Addezio, 43, und Carol Fernandez, 34, zusammen: Sie haben beim Zürcher Hauptbahnhof ihre Paninoteca al Centro eröffnet. «Die Idee dazu reifte während der Pandemie. Wir erfüllen uns damit einen Familientraum.» Die Grosseltern führten einst in Spanien einen Churros-Laden. Mit an Bord geholt haben die Schwestern noch ihre Eltern. «Mama macht Pasta frisch und von Hand», sagt Fernandez stolz, die auch weiter als DJane arbeitet. R H ausgezeichnet. Fotos David Biedert, Geri Born, Getty Images, Kurt Reichenbach, Instagram, Bruno Voser P E DR O L EN Z & C O. Bärndütsch – wohlklingende Mundart ist in der Schweiz beliebt. Und Berner Autorin- nen und Autoren sind es in der Literatur ebenso. Der Kanton Bern hat nun seinen MIRKA FEDERER Literaturpreis 2021 an sechs Schriftstelle- rinnen und Schriftsteller verliehen. Freuen dürfen sich neben SI-Kolumnist Pedro Lenz Schimmernder Auftritt («Primitivo») auch Carol Blanc («Wohäre überhoupt. Morgengeschichten»), Arno Während Roger Federer, 39, im Centre Court in London in die Camenisch («Der Schatten über dem Dorf»), Sporthose schlüpft, zaubert Mirka, 43, ein Ass aus dem stilsicheren Regina Dürig («Federn lassen»), Jessica Ärmel: An der Fashion Week sitzt sie bei der Präsentation der Jurassica («Das Ideal des Kaputten») und Männerkollektion von Dior in der ersten Reihe – und sieht blendend Lorenz Pauli («Der beste Notfall der Welt»). aus. In einer Bluse aus schimmerndem Satin, in flüssigem Nougat- braun, mit Punkten wie Zuckerstreusel. Wie exquisit! L E I 8 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE
50 JAHRE FRAUENSTIMMRECHT – 50 FRAUENSTIMMEN D I ESE WOC H E: E V E LYN E BIN SACK Um beruflich die Karriereleiter erklimmen listen umzuformen. Selbstverständlich liess zu können, mussten Frauen zuerst lernen, ich mich als Leistungssportlerin gerne auf «ihren Mann» zu stehen. Zum Glück ha- das Kräftemessen mit den Soldaten ein, das ben sich diese Zeiten geändert. sie zu Beginn herausforderten. Doch bereits Die Vielfalt an möglichen Rollen im nach zwei Tagen war dies gegessen. Keiner Leben bereichert mich, und ich fühle mich der Soldaten hatte genügend Ausdauer. Von im richtigen Zeitpunkt geboren. Richtig, diesem Moment an liess sich beobachten, weil mir einerseits noch die Pionierinnen- wie Ausbildung, Leistung, Team und Res- Leistung bis in die Höhen des Himalajas pekt zusammenflossen. und in die eisigen Kälten der Polar-Regio- Diese Ausbildungszeit blieb den Teilneh- nen möglich war. Anderer- mern präsent. Einer der da- seits, weil mir die Gunst der «Im Begriff maligen Soldaten, der heute rechtzeitigen Geburt das als Unternehmer die Verant- ZUR PERSON Bewegung liegt 1967 geboren und Recht gab, Berufsbergfüh- wortung eines Konzerns rerin zu werden. Erst als ich so viel Essenz» trägt, lud mich vor zwei Wo- in Hergiswil NW aufgewachsen, lebt 18 war, wurden die Zulas- chen in die Ostschweiz ein, Evelyne Binsack heute sungsbedingungen für angehende Bergfüh- um als Referentin über das Erlangen von im Berner Oberland. 1991 rer gesetzlich geändert und auch Frauen zur Willensstärke, die Förderung von Teams absolvierte sie als eine Bergführer-Berufsausbildung zugelassen. und die erfolgreiche Umsetzung von Zielen der ersten Frauen Europas Immer wieder zaubern mir Erinnerun- zu sprechen. Ein heiteres Wiedersehen nach die Ausbildung zur diplo mierten Bergführerin. gen, die ich als Bergführerin erleben durfte, 30 Jahren, in denen sich für jeden von uns so Sie bestieg als erste ein Lächeln ins Gesicht. Wie jener Auftrag viel und unterschiedlich bewegt hat. Schweizerin den Mount im Jahr 1991. Nachdem im Kanton Appen- Im Begriff Bewegung liegt so viel Essenz. Everest, bewältigte die zell Innerrhoden das Frauenstimmrecht via Denn einen Weg gehen kann nur, wer sich Eigernordwand, kletterte Bundesgerichtsentscheid eingeführt wor- bewegt. Und so sehe ich auch meine Verant- auf die Gipfel des Hima den war, beauftragte mich die Schweizer wortung als Bergführerin, Referentin und laja und der Anden. Zudem war Binsack Armee für die Führung eines Hochgebirgs- Mentaltrainerin: Immer wieder mutig einen 484 Tage zum Südpol un kurses. Von den 120 Soldaten wurden mir nonkonformen Weg zu gehen, neue Fuss- terwegs. Diverse Bücher zehn Innerrhödler Alpinisten zugewiesen, stapfen zu hinterlassen, in denen es sich für und Dok-Filme erzählen um sie in zwei Wochen zu Gebirgsspezia- Menschen der Zukunft leichter gehen lässt. von ihren Abenteuern. Ein historisches Länderspiel gegen Frankreich hat einst Kubilay Türkyilmaz erlebt – wenn auch nur historisch für seine Karriere: 1988 de bütiert der heute 54-jährige Tessiner in einem Match gegen die Franzosen in der Nati. Damals verlieren «les Suisses» jedoch 1:2 gegen «les Bleus». Dafür bleibt «Kubi» 13 Jahre im natio nalen Dienst und trifft 34-mal für die Schweiz. Erst 2001 – damals spielt er bei Brescia Calcio und lebt mit Katze Woopie im norditalienischen Ospitaletto – tritt er aus der Nati zurück. SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 9
DER BANN IST Aus Wut wird Mut: Von Öffentlichkeit und Medien stark kritisiert, reagiert die Schweizer Nati als verschworene Einheit. Endlich stimmen Anspruch und Wirklichkeit überein. Kann kommen, was will, die Mannschaft hat Geschichte geschrieben. 10 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE
F U S S B A L L- E M 2 0 2 1 Unsere Helden GEBROCHEN Dramatik bis zum letzten Schuss: Die Nati feiert. Yann Sommer hat den letzten Penalty gehalten und so den Sieg gesichert. Foto Samy Ebneter für SFV/football.ch SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 11
Gehalten! Aber stand Sommers Fuss auf der Linie? Was entscheidet der Schiedsrichter? Geschafft! Das Team feiert unter Captain Xhaka das Wunder von Bukarest. Fotos Samy Ebneter für SFV/football.ch (3), Toto Marti für Blicksport 12 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE
Gewonnen! Zuber stürmt aufs Spielfeld. Jetzt gibts kein Halten mehr. «SOMMER HÄLT, SOMMER HÄLT, SOMMER HÄLT, DIE SCHWEIZ, VIERTEL- Gelöst! Penalty-Held Sommer kann auch in der Garderobe FINALE» sein Glück kaum fassen. SASCHA RUEFER
Das private Bild fürs Fotoalbum. Im Teamhotel sind alles Helden – keiner darf fehlen! 14 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE
«DIE SCHWEIZ IST STOLZ AUF EURE Foto Samy Ebneter für SFV/football.ch LEISTUNG» VIOLA AMHERD, SPORTMINISTERIN SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 15
F U S S B A L L- E M 2 0 2 1 Der Leitwolf XHAKA – EIN CHEF VON IMPOSANTER POSTUR, DER SEIN TEAM ZUSAMMENHÄLT TEXT ISO NIEDERMANN Pässchen nach links. Rückpass zu Som- Rückwärtsgang oder bestenfalls seit- diese Mannschaft kaputtzumachen», mer. Quer geflankt zu Freuler. Drehung lich orientiert. Safety first, Tempo raus, giftelt er an der Euro ins SRF-Mikro- mit dem Ball um die eigene Achse, vier Gegner anrennen lassen, mal schauen. fon, angesprochen auf Coiffure-Gate Schritte vorwärts, suchender Blick zu Ein bisschen Buchhalter-Mentalität. und Tattoo-Affäre. «Wir haben vielen Seferovic in der Spitze, fünf Schritte zu- Shaqiri, ja, der hat ständig irgendeine Leuten das Maul gestopft», bellt er rück. Doch lieber ein Anspiel retour auf Lausbubenidee in petto, wie er den Ball mit trotziger Miene nach dem grössten Elvedi weit hinter sich. schnellstmöglich vors Tor des Gegners Sieg seiner bisherigen Fussballkarriere. So spielt Granit Xhaka, 28, Fussball. zaubern könnte. Aber Xhaka, der Cap- Die Schweiz hat Weltmeister Frankreich Ruhig, körperlich präsent, ballsicher, tain, hält lieber seine Schäfchen links besiegt, all die Millionenstars gede möglichst immer dort, wo er die Bälle und rechts und vor und hinter sich zu- mütigt auf den Heimweg nach Paris ge- von seinen Mitspielern erhalten und sammen, bereit einzugreifen, wenn die schickt. Allez les Bleues – à la maison! generös weiterverteilen kann. Ein Chef zu übermütig werden. von imposanter Postur. Mitten im Zen- Nur in einer Situation wird der Phänomenal. Sensationell. Epochal! trum des Spielfelds, dort, wos zum geg- Basler in Diensten von Arsenal London Nach 67 Jahren Warten haben die nerischen Tor eigentlich nicht weiter so richtig offensiv: dann, wenn kein Schweizer Fussballer ihren «Achtel wäre als zum eigenen. Aber wo sich der Ball in der Nähe ist, dafür aber Mikro- final-Fluch» besiegt, stehen an der Spielmacher gefühlt doch ständig im fone und Kameras. «Man versucht, EM unter den letzten acht, haben auch 16 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE
Das sind unsere Helden von Bukarest GR AN I T YAN N X HAK A, 28 SOM M ER , 3 2 Auf dem Rasen ist er der Höhenflug auf allen Ebenen: Anführer, zu Hause der Hahn Zwischen seinen rettenden im Korb: Granit Xhaka und Paraden an der EM werden seine Frau Leonita haben der Rekord-Nati-Torhüter zwei gemeinsame Töchter – und seine Frau Alina nach Ayana, bald 2 Jahre, und Mila, bald 2, zum zweiten Laneya, 2½ Monate. In der Mal Eltern – von Nayla. Vor Heimat seiner Familie, im Ort wird Familienmensch Kosovo, gaben sich Xhaka und Sommer, der privat gern «Wir haben seine Liebste 2017 im engsten kocht und Gitarre spielt, von vielen Leuten Familienkreis das Jawort. seinen Eltern unterstützt. das Maul gestopft»: Nati-Captain Granit Xhaka feiert den Sieg über Frankreich. Unten: Über die Schmerz- grenze hinaus: Der HAR I S S TE VEN «beste Spieler der SEFER OVI C, 29 Z U BER , 2 9 Partie» kämpfte bis zur Erschöpfung. Woher er kommt, weiss dank Die Jahre im Ausland, unter Fotos Marko Djurica/Pool Photo via AP/Keystone, Samy Ebneter für SFV/football.ch, Gaëtan Bally/SFV/Keystone (6) Moderator Sascha Ruefer anderem in Moskau, haben jeder: Der Mann aus Sursee den linken Flügelflitzer von ist beim Gamen auf der Play- einem zurückhaltenden, ruhi- station ebenso ehrgeizig wie gen zu einem extrovertierten, auf dem Rasen. Doch vor den zugänglichen Mann werden Matches mag es der Ehemann lassen. Der harte Arbeiter ist von Amina, welche das zweite mit fünf Geschwistern in einem Kind erwartet, besinnlich: Bauernhaus im Zürcher Töss- Dann betet er zu seiner ver- tal aufgewachsen. Privat frisch storbenen Grossmutter. getrennt von Ehefrau Mirjana. VL ADI M I R M AR I O PE TKOVI C, 57 GAVR AN OVI C , 3 1 Der bosnische Kroate kam mit Der Tessiner erlebt seine 24 als Spieler in die Schweiz, zweite Nati-Karriere, seit er studierte Jus und arbeitete als nach der WM 2014 bis 2018 Sozialarbeiter. Seit sieben nicht aufgeboten wurde. Vor Jahren ist er Nati-Trainer, mitt- den Spielen hat der Stürmer lerweile haben sich auch die ein Ritual: Er betet, dass sich Fans mit dem etwas distanziert niemand verletzt. Neben wirkenden Coach angefreun- dem Platz gilt sein Fokus Frau det. Mit seine Frau Ljiljana ist Anita, deren Name er schon er seit 37 Jahren zusammen; auf seinen Fussballschuhen sie haben zwei Töchter. trug, und Tochter Leonie, 2. SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 17
«ICH WEISS VOM WM-TITEL 2009 MIT DER U17, WIE SICH TRÄUME VER- WIRKLICHEN LASSEN» GRANIT XHAKA Lieber gross reden statt sich klein machen: Granit Xhaka ist selbst bewusst, scheut keine Kritik. Rechts oben: Trainer Vladimir Petkovic hat X hakas Mechanismus vor Längerem erkannt und ihn zum Leitwolf gemacht. keine Angst vor Spanien im Viertel und legt den Zeigfinger vor den Mund. Teamhotel? Typisch verwöhnte Millio final. Ein Land explodiert im Freu Schnauze, ihr Nörgler! Unsere Haar narios! Coiffeur im Trainingscamp? dentaumel, eine Mannschaft deliriert farbe ist unsere Sache. Die habens halt nur auf dem Kopf statt vor den Fans auf dem Rasen von Bu darin. Geschlossene Lippen während karest im unbändigen Stolz. Und was Xhakas Geste steht stellvertretend für der Hymne? Ist doch keine Nati, sind macht Xhaka? Nach Yann Sommers diese Schweizer Nationalmannschaft: doch keine richtigen Schweizer. Das finaler Penaltyparade und dem Schluss wir gegen alle. Geliebt nur im Erfolgs verzeihen wir Petkovics Team nur, pfiff rennt Granit schnurstracks vor die fall, frontal kritisiert nach jedem Faux wenn es gewinnt. Dann gibts Auto TV-Kamera am Spielfeldrand, zeigt pas abseits des Spielfelds. Identifika korsos und Verbrüderung in Rot-Weiss eine seiner blondierten Haarsträhnen tion mangelhaft. Im Lamborghini zum und helle Begeisterung. 18 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE
M AN U EL N I CO AK AN J I , 25 ELVEDI , 24 Der Innenverteidiger ist in Der Zürcher mit Bündner Wiesendangen ZH aufgewach- Wurzeln wurde wegen seiner sen und gilt als ruhig und be- coolen Art einst Eisvogel sonnen. Der Abwehrchef, der genannt. Mit einem Markt- mit zweitem Namen Obafemi wert von 35 Millionen ist («Vom König geliebt») heisst, der Innenverteidiger der ist nicht nur im Fussball wertvollste Schweizer Spieler. top, sondern auch im Kopf- Elvedi hat einen Zwillings rechnen. Im Mai 2020 wurden bruder und ist seit fünf Jahren er und Frau Melanie Eltern mit der Zürcher Studentin von Aayden Malik Adebayo. Alexandra Crum liiert. Doch nun, so scheint es, hat die Schweizer Fussball-Nati des 21. Jahr- R EM O BR EEL hunderts mit Granit Xhaka als Wort- FR EU L ER , 29 EM BOLO, 24 führer und erstem Repräsentanten Der Zürcher Oberländer, Der Stürmer eroberte die Fan- dieser heterogenen Gruppe endgültig früher «Mini» genannt, weil er Herzen schon, da war er noch genug davon, nur geduldet zu sein, mit den zwei Jahre älteren nicht volljährig: Mit seiner wenns rundläuft. Und genau das macht Jungs spielte, ist heute auf spitzbübischen, offenen, dem Platz Grande Remo. aber auch bescheidenen Art sie stark. Kollektiver Trotz als Antrieb. Mit seiner Frau Kristina punktet der Sonnenschein, Innere Verschworenheit als Stärke lebt der zuverlässige, fleissige dessen Vater nach wie vor gegen aussen. Zu sehen wie noch nie zentrale Mittelfeldspieler in Kamerun lebt. Mit seiner in Bukarest. Trainer Vladimir Petkovic seit fünf Jahren im italie Freundin Naomi hat der hat den Mechanismus schon vor Län- nischen Bergamo, wo er gern Basler zwei Kinder: Naliya, 3, gerem erkannt und Xhaka zum Leit- Videogames spielt. und Clay Enzo, 18 Monate. wolf gemacht. Zu jenem, der hinsteht und sagt, was er denkt, den es nicht anficht, wenn er arrogant gescholten Fotos Puma, Mihai Barbu/Pool/Getty Images, Gaëtan Bally/SFV/Keystone (6) wird. Der seine Mannschaft in Schutz nimmt und sie zusammenhält. Gegen Frankreich ausgeübt in Perfektion. In jeder Spielunterbrechung, in jeder Trinkpause, vor der Verlängerung, vor dem Penaltyschiessen ist er laut, K E VI N RU BEN schwört seine Kollegen ein. Und hat ihr M BABU, 26 VAR GAS, 2 2 volles Gehör. Zieht alle mit. Mbabu heisst mit erstem Die Liebe zum Sport wurde Dieser Unwille, sich helvetisch klein Vornamen eigentlich Melingo, dem Luzerner in die Wiege zumachen, hat Xhaka und Kollegen auf Social Media nennt er gelegt: Sein Vater aus der schon viel Ärger eingebrockt. Xhaka sich Rasta Rocket. Auf dem Dominikanischen Republik ist persönlich kennt das seit Langem. Platz hyperaktiv, daneben Golflehrer, seine Schweizer Als der Jungspund 2012 mit 20 Jahren ein Phlegma, so beschreibt Mutter war früher Trampolin- sich der Genfer selbst. springerin. Bevor er Fussball- von Basel zu Mönchengladbach in die Der Verteidiger, der mit einer profi wurde, machte er eine grosse Bundesliga geht, macht er sich Belgierin liiert ist, ist der ein- Lehre zum Flachmaler. Der gleich mal unbeliebt mit der Ansage, zige Romand, der gegen Frank- Mittelfeldspieler ist das Küken er wisse da wohl als Einziger, wie sich reich auf dem Platz stand. der Helden von Bukarest. SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 19
Champions League anfühle. Und vier Wir gegen alle: Captain Granit Jahre später, nach dem 40 Millionen Xhaka geniesst teuren Wechsel zu Arsenal, legt er in der Nati Auto- sich bald mit den Fans an, weil er sich rität, schwört sein Team ent- Kritik an seiner Spielweise nicht ge schlossen ein. fallen lässt. Er eckt stets aufs Neue an, wird in den englischen Medien teils weit unter der Gürtellinie kritisiert. Aber er hat auch genügend Klasse, um sich die Gunst der Anhänger und Kommentatoren immer wieder zu rückzuholen. In der Nationalmannschaft verleiht dieses Selbstbewusstsein Xhaka Auto- rität. Die Gruppe schart sich geschlos- sen hinter ihren Anführer. Soll doch über Gräben innerhalb der Mannschaft spekulieren, wer will. Deren Einheit definiert sich nicht über Hymnen sänger und Hymnenschweiger. Die stärkste Provokation aber ist, dass einige aus dieser Secondo-geprägten Schweizer Auswahl, und am unver- blümtesten Xhaka, seit Jahren behaup ten, zu Höherem befähigt zu sein. Zu Beginn der EM-Vorbereitung diesen Frühsommer sagt Granit zur Schweizer Illustrierten: «Ich weiss vom WM-Titel 2009 mit der U17-Nati, wie sich Träume verwirklichen lassen. Weshalb soll- «EUROPAMEISTER? JA. JETZT. HUNDERT- ten wir das nun mit dem National- team der Grossen nicht wiederholen können?» Und auf die Nachfrage: «Das heisst, die Schweiz kann dieses Jahr Europameister werden?», blickt der zweifache Familienvater schein- PROZENTIG!» bar emotionslos und sagt: «Ja. Jetzt. GRANIT XHAKA Hundertprozentig!» Es ist nicht das erste Mal, dass sich einige Schweizer Internationale in den vergangenen Jahren nicht gerade Sieg reicht und gegen Italien gar ein ihn nicht, sondern verleiht ihm Mut, grosser Bescheidenheit befleissigen. blamabel-passiver Auftritt überhöhte Willen, Energie. Er macht eine über Und jedes Mal gibts hinterher umso Erwartungen platzen lässt, ist sie wie- ragende Partie, bestätigt endlich die mehr Häme. Das verlorene Penalty- der da, die öffentliche Schelte. Grosse Weltklasse, die ihm viele seit Jahren schiessen gegen Polen an der Euro Klappe, kleine Leistung. Selbst Granit attestieren, aber die er kaum je aus- 2016, das 0:1 im WM-Achtelfinal gegen Xhaka geisselt Kollegen, ohne Namen spielt. Xhaka gewinnt praktisch alle sehr bescheidene Schweden 2018 – da zu nennen: «Wer im Spiel den Ball Zweikämpfe, holt Bälle, schüchtert klaffen Anspruch von Xhaka & Co. mit nicht fordert, sollte vielleicht besser die Franzosen mit seiner Entschlossen- der Realität weit auseinander. Mutlos nicht auf dem Platz stehen.» heit ein. Und er gibt dem Schweizer ist es jedes Mal, unerklärlich blutleer. Doch etwas ist diesmal anders, als es Spiel endlich auch entscheidende Of Bei allem unbestrittenen Talent der gegen das scheinbar übermächtige fensiv-Impulse, spielt Bälle nach vorne, Einzelnen, bei all der vielen Erfahrung Frankreich wirklich zählt. Zu sehen am geniale lange Zuspiele, von denen eines der meisten Spieler aus ausländischen besten an Granit Xhaka: Dem Captain zum Ausgleich in letzter Sekunde führt. Topligen ist es an dieser Euro zunächst ist im dauernden Kampf um Aner Endlich scheint ihm das gegnerische nicht anders: Als es gegen unterlegene kennung dieses Teams offensichtlich Tor näher zu sein als das eigene. Und Waliser wegen Passivität nicht zum der Kragen geplatzt. Der Ärger lähmt Xhaka reisst alle mit. In seinem Sog 20 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE
R I CAR DO X HER DAN R ODRÍGU EZ , 28 SHAQI R I , 2 9 Der Innenverteidiger gehörte Müsste er sich als Frucht zum Schweizer U17-Welt beschreiben, wäre er eine Erd meisterteam von 2009. beere: klein und süss. Auf dem Geboren wurde er in Zürich Fussballplatz hingegen ist er: als Sohn eines Spaniers und schnell und gefährlich. Oder einer Chilenin. Bevor seine um es mit seinen eigenen Mutter 2015 an Krebs starb, Worten zu sagen: «Ich bin ein liess er sich «JM» – die Spieler, der den Unterschied Initialen der Vornamen seiner ausmachen kann.» Mit 17 Eltern José und Marcela – erhielt Shaqiri beim FC Basel auf seinen Hals tätowieren. seinen ersten Profivertrag. SI LVAN CHR I S TI AN W I DM ER , 28 FASSN ACHT, 2 7 Der Rechtsverteidiger, Passend zu seinem Nach der vor jedem Spiel betet, namen ist er am 11. 11., am bezeichnet sich neben dem Fasnachtsanfang, geboren. Platz als ruhigen Menschen. Der Stürmer war früher auch Er geniesst gemütliche Fern im Tennis und auf dem Snow sehabende, liest Romane board aktiv, heute spielt er l iefern die Schweizer eine couragierte, oder spielt gern Gitarre – gern Golf. Nebenbei lancierte spritzige, entschlossene Leistung ab. wenn er denn noch dazu der YB-Spieler die Kleider kommt: Mit seiner Frau Céline marke Cedici – der Name in Und nun also der Viertelfinal. Der hat er die Kinder Alissa, 3, Anlehnung an seine Lieblings erste in einem grossen Turnier seit und Zoé Estelle, 6 Monate. zahl und Trikotnummer 16. 1954. Als bei jenem irrwitzigen 5:7 in der WM-Hitzeschlacht von Lau- sanne gegen Österreich ein Helden- epos geschrieben wurde, hiessen die Fotos Mihai Barbu/Pool/Getty Images, Gaëtan Bally/SFV/Keystone (6) Protagonisten Vonlanthen, Hügi oder Ballaman. Namen mit -ic am Schluss? Fehlanzeige. Kein Captain musste da- mals Identifikation stiften. Kein Team um öffentliche Anerkennung im eige- FABI AN ADM I R nen Land ringen. Vielleicht hat der SCHÄR , 29 M EHM EDI , 30 Sieg d ieser Woche über Frankreich ge- Der Ostschweizer sucht stets Das zweite Talent des rade deshalb die grössere historische auch neben dem Sport die zweifachen Vaters und Dimension. Herausforderung: Ursprünglich Nati-Routiniers, der stets mit Granit Xhaka ist im Viertelfinal ge- hat er eine KV-Lehre bei einer dem rechten Fuss den Platz gen Spanien gesperrt. Er sagt dazu: Bank gemacht, 2018 begann betritt, sind Sprachen. Der «So ist es nun halt. Dafür wird man er ein Wirtschaftsstudium in Gostivar (heute Nordmaze- an der Fernhochschule. donien) geborene, im Tessin im Halbfinal wieder den besten Granit Glück an der EM bringt dem und danach in Zürich auf sehen!» Es könnte sein, dass ihm sol- Verteidiger ein Energiestein – gewachsene Stürmer spricht ches ab dieser Woche nicht mehr um ein Geschenk seiner Freundin, Deutsch, A lbanisch, Franzö die Ohren fliegt. Jus-Studentin Alexandra. sisch, Italienisch und Englisch. SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 21
F U S S B A L L- E M 2 0 2 1 M E I N E W E LT MARIO GAVR ANOVIC Seine Tochter ist der grösste Fan Mit seinem Treffer in der 90. Minute sorgt Mario Gavranovic in letzter Sekunde für den Ausgleich und damit für die Verlängerung. So tickt der Nati-Stürmer abseits des Rasens. T E X T TO N I R A J I C ERSTER KLUB Gavranovic wächst in Lugano auf, wo er im örtli chen Fussballverein seine Karriere beginnt. Mit dem FC Lugano steigt er Ende 2006/07 in die Challenge League auf. Heute spielt er bei Dinamo Zagreb. SERIEN-FAN Am liebsten schaut der Stürmer Dokumen tationen und Serien. Vor allem, wenn er mit der Nati unterwegs ist. Besonders gut gefallen hat ihm die Fantasy- Serie «Game of Thrones». VORBILD Grosse Bewunderung hegt er für die Tennis stars Djokovic, Nadal und Federer. In der LIEBENDER VATER Freizeit wechselt Am 9. Mai 2019 erblickt Leonie das Licht der Welt. Gavranovic gern mal Seither dreht sich Gavranovics Leben um die Kleine. den Rasen gegen Seine Prinzessin nennt er liebevoll «Cici». einen Tenniscourt.
«Ich bin froh, ihn an meiner Seite zu haben» Mario und Anita Gavrano- vic, beide 31, sind seit 2012 liiert, seit 2017 verheiratet. Anita Gavranovic, wo und mit wem haben Sie den Match gegen Frankreich mitverfolgt? Ich habe mit meiner Mutter und einer guten Freundin von daheim aus mitgefiebert. Leonie war zwar auch da, aber sie hat tief und fest ge- «Für Mario ist es schlafen. Für sie wäre es zu mühsam gewesen, so lange aufzubleiben. das Wichtigste, Wie gross war die Freude, als Mario für den Ausgleich gesorgt hatte? Unendlich gross natürlich! Ich konnte leider nicht der Mannschaft herumhüpfen und losschreien, sonst hätte ich die Kleine geweckt. Aber ich bin rausgerannt zu meiner Mama, die vor Nervosität Luft schnappen musste. zu helfen» Draussen haben wir uns dann zusammen gefreut. Was meinen Sie zum Offside-Treffer? Mein erster Gedanke war einfach: «Verflixt, das ANITA GAVRANOVIC kann doch nicht wahr sein. Schon wieder.» Beim Spiel gegen Wales war es ja dasselbe. Wie stolz sind Sie auf Ihren Mann? Das kann ich kaum in Worte fassen. Für all das, was er bisher erreicht hat, arbeitete er hart und opferte viel. Er kämpft immer und verliert dabei nie die Hoffnung. Das macht mich unglaublich stolz. Ich bin froh, ihn an meiner Seite zu haben. Was bedeutet Mario dieser Treffer? Er ist überglücklich. Jeder einzelne Treffer macht ihn stolz. Dass er aber letztlich dafür gesorgt hat, dass die Schweiz nun weiter ist, macht ihn wohl ein kleines Stück stolzer als sonst. Für ihn ist es aber das Wichtigste, der Mannschaft zu helfen und zusammen die Spiele zu meistern. Haben Sie ein gemeinsames Ritual vor den Fotos Toto Marti (2), Freshfocus, Getty Images Spielen? Ich versuche ihm sehr viel Freiraum zu lassen, damit er konzentriert und auf sich fokussiert in ein Spiel gehen kann. Ich wünsche ihm und den Jungs nur viel Glück. Was wir aber machen, ist, dass wir uns über einen Videoanruf sehen, das allerdings primär wegen Leonie. Bekommt Leonie mit ihren zwei Jahren schon «Gavra» in der kroatischen Haupt- mit, was der Papa macht? stadt Zagreb. Hier Klar! Egal wie viele Spieler auf dem Platz stehen, lebt der Tessiner sie erkennt ihn sofort und sagt: «Papi, Goal.» mit seiner Familie. SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 23
F U S S B A L L- E M 2 0 2 1 D i e S c h w e i z i m Ta u m e l Achterbahn der Gefühle Die Schweizer Nati lässt die Fans am Montag fiebern, leiden, feiern. Wetterkapriolen und der verschossene Penalty gehören ebenso zum Sommermärchen wie der erste Abend ohne Masken. T E X T TO N I R A J I C F OTO S J O S E P H K H A KS H O U R I Über dem Luzerner Lido Beach House dräuen dichte, dunkelgraue Wolken. Der Pilatus auf der gegenüberliegenden Seeseite ist kaum zu erkennen. Viele kleine Glühbirnen leuchten über dem Public Viewing am Vierwaldstättersee. Schweizweit stürmts und hagelts, hier bleibts vorerst trocken. 350 Fussball- fans sind bereits eine halbe Stunde vor Anpfiff auf ihren Plätzen. Joel Bazelli trägt das aktuelle Tenue der Schweizer Nati, um den Hals einen rot-weissen Schal, über seinen Schultern die Schweizerfahne. «Ich bin so froh, dass wir dieses Spektakel wieder in gros- sen Gruppen mitverfolgen können – als ob der Bundesrat auf so ein Spiel gewar- tet hat», scherzt der 29-Jährige. Ein lauter Pfiff dröhnt aus den Lautsprechern. Der Match beginnt. Die Fans klatschen und jubeln. Bazelli schreit mit: «Hopp Schwiiz!» Hinter dem grossen LED-Bildschirm ist das leichte Abendrot zu sehen. Dann wirds 24 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE
21.15 Uhr Freude zum Start. Seferovic schiesst das 1:0 fünfzehn Minuten nach dem Anpfiff. 22.08 Uhr Der Weltmeister dreht die Partie innert zwei Minu- ten. Es steht 1:2. Die Schweiz ist nun komplett von der Rolle. 21.22 Uhr Das Spiel hat Fahrt aufgenommen. Die Fans sind guter Dinge und positiv gestimmt. SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 25
22.26 Uhr Der Glaube an den Sieg ist nach dem dritten Tor der Franzosen fast begraben. Die Stim- mung ist bedrückt. 26 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE
23.31 Uhr Mit dem Penaltyschiessen kommt der still, unterbrochen nur durch Schreie, Regen. Die Spannung ist kaum auszuhalten. wenn die Franzosen angreifen. Und wie aus heiterem Himmel passiert das Unerwartete: Haris Seferovic köpfelt in der 15. Minute die Schweiz in Führung. Freudig fallen sich die ersten Fans in die Arme, andere halten sich noch zu- rück. Zu schnell bewegt sich der Ball von links nach rechts. Zur Pause führt die Schweiz 1:0. «Heute gewinnt die Nati!», sagt Alyssa Fluri, 20, aus St. Gallen. Auf den Ti- schen stehen wieder volle Bierbecher. Weiter gehts! Plötzlich Unruhe. Zuber wird gefoult! Penalty! Rodríguez ver- schiesst. Unmut in den Rängen. Statt dem 2:0 landen innert Minuten zwei Bälle der Franzosen im Schweizer Tor. Fassungslosigkeit. Dann wirds wieder ruhig am Luzerner Seebecken. Das Flackern des Bildschirms spiegelt sich in den glasigen Augen der Fans. Der Sieg war doch so nahe … Und dann auch noch das 3:1 von Pogba. Joel Bazelli kann nicht fassen, was geschieht. Erste Fans schleichen enttäuscht vom Gelände, Fahnen und Banner zusammengeknüllt. Doch die Nati gibt nicht auf. Sefero- «Die Jungs vic lässt die Fans wieder hoffen. Drei Minuten später der Ausgleich durch Ga waren nie vranovic! Die Fans toben. Tische und Stühle kippen weg. Doch der Treffer harmonischer zählt nicht, «Gavra» stand im Abseits. Wieder das Bangen. Mit dem Schluss- pfiff gleicht Gavranovic dann doch auf dem noch aus. 3:3! «Das ist eines der besten Nati-Spiele, das ich je gesehen habe. Spielfeld» Die Jungs waren nie harmonischer auf dem Spielfeld», schwärmt Bazelli. Es geht in die Verlängerung. Nervös JOEL BAZELLI, NATI-FAN zappeln die Füsse unter den Tischen. Konzentriert streichen sich einige Männer durch ihre Bärte, andere kauen Fingernägel. 120 Minuten sind durch. Genau jetzt fallen dicke Tropfen vom Himmel. Vor dem Bildschirm ein Meer aus Regenschirmen. Penaltyschiessen. Eine Frau schlägt die Hände vors Gesicht, schaut nur zwischen den Fingern hindurch. Der 23.38 Uhr Rest ist helvetische Fussballgeschichte. Kylian Mbappé Die Schweiz ist weiter. Es wird getanzt scheitert an Yann und gefeiert. Zum Regen mischt sich Sommer, und die Schweiz steht nun auch Bier. Die Fans ziehen weiter im Viertelfinal. in die Luzerner Innenstadt. SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 27
F U S S B A L L- E M 2 0 2 1 DIE KOLUMNE In der Höhle des Löwen – fast wie beim Penalty- schiessen. Sarah Akanji in den Katakomben des FC Winterthur. «Sie wuchsen über sich hinaus» Der Penalty-Krimi war für Sarah Akanji kaum auszuhalten. Auch weil ihr Bruder zum Schuss antrat. Sie weiss: Diese Sekunden entscheiden, ob ein Spieler in den Augen der Öffentlichkeit zur Legende oder zum Versager wird.
TEXT SARAH AKANJI Diese Leidensminuten ab der 120. Minute. Sie füh verflucht. Fussballprofis stehen im Rampenlicht, len sich an wie Stunden. Stunden, die gefüllt sind werden auf Schritt und Tritt überwacht, und auf mit allen möglichen Emotionen und mich innerlich ihnen liegt ein konstanter Leistungsdruck – auf und fast zerreissen. In den ersten 90 Minuten erleben wir neben dem Feld. Ihr privates Leben wird beleuchtet, ein aufwühlendes Auf und Ab, haben emotional kommentiert und zur Schau gestellt, ihre Leistun schon alles durch. Doch es ist nicht vorbei: Es folgt gen auf dem Platz werden konstant bewertet, kriti das Bibbern in der Nachspielzeit und eine Grenz siert und interpretiert. Fussballer wirken in unserer erfahrung beim Penaltyschiessen. Die Nerven liegen Gesellschaft unnahbar, unantastbar, fast unmensch bereits vor dem Elfmeterschiessen komplett blank, lich und eher wie Halbgötter, die in einer anderen und wir wissen: Nun kann alles passieren. Der Welt leben. Dies führt dazu, dass die Erwartungen Moment ist da, der alles entscheidet. Die Spieler an sie von vielen riesig sind und sie einerseits völlig können innerhalb weniger Minuten zu gefeierten vergöttert, aber andererseits auch sehr schnell ver Helden werden – oder zu grossen Verlierern. Und die teufelt werden. Fussballer müssen gemäss Gesell ganze Schweiz schaut zu. Diesen gewaltigen Druck schaft selbstüberzeugt, aber nicht überheblich sein. kann Mensch fast nicht in Worte fassen. Die Luft Ehrgeizig, aber gleichzeitig bescheiden. Konstanz scheint von Bukarest bis in die Schweiz plötzlich zeigen, aber dennoch überraschen. Eigentlich ein weniger Sauerstoff zu beinhalten, alles scheint sich Task der Unmöglichkeit, als Mensch all diese gegen in Zeitlupe zu bewegen, aber auch im Schnelltempo sätzlichen Erwartungen zu erfüllen. zu entwickeln. Die Spannung ist schier unaushalt bar. Ich leide. Mehr noch, als ich realisiere, dass Als wäre diese Glorifizierung und Erwartungs die Nummer 5 zum Penaltypunkt schreitet. «Wieso haltung der Öffentlichkeit nicht Druck genug im tust du mir das an», schiesst es mir durch den Kopf, Alltagsleben eines Fussballers, wurde mir bewusst, als Manuel seinen Weg zum Strafraum fortsetzt. wie prekär dieser Abend und dieses Penaltyschies «Ich platze gleich, wie soll ich das überstehen?», als sen waren. In diesen kurzen Minuten entschied sich, er Anlauf nimmt und der Schiedsrichter die Pfeife wie Medien am nächsten Tag über das Team berich zum Mund führt. Es fühlt sich an, als würde sich teten, ob Menschen in den sozialen Medien wüteten mein kleiner Bruder ganz alleine in eine Schlacht oder zelebrierten, wie dieses Team in den kommen werfen, dessen Ende völlig unklar ist und bei der ich den Wochen wertgeschätzt wird – oder eben nicht. ihn nicht unterstützen kann. Hin- oder wegschauen? Bei allen antretenden Penaltyschützen der Keine Option scheint mir erträglich. Also starre ich Schweiz schwirren mir Tausende Gedanken durch gebannt und konzentriert atmend, mit angespann den Kopf von «Mist, ich habe Angst, du verschiesst» ten Muskeln, zusammengekniffenen Lippen und bis zu «Ihr könnt das, glaubt an euch!». Und ständig den Händen vor dem Gesicht auf den Bildschirm und habe ich im Hinterkopf, wie wichtig und entschei lasse die Sekunden verstreichen. Bis der Ball im dend dieser Moment nicht nur fürs Weiterkommen Netz zappelt, mein Herz wieder zu schlagen beginnt in die Endrunde, sondern auch für das Image der und die angestaute Energie aus mir rausplatzt. Nati-Spieler ist. In dieser Endphase des Spiels er Wie wir in den letzten Wochen medial erfahren leben wir nochmals alles, was wir mit der Schweiz haben, ist des Fussballers Ruf immer auf Messers durch die ganze EM durchgemacht und an Qualität Schneide. An einem Tag gefeiert, am nächsten Tag gesehen haben: Gavranovic – überzeugt und kräftig. Schär – eiskalt und locker. Akanji – souverän und präzise. Vargas – überzeugt und mit etwas Glück. Mehmedi – ruhig und abgekartet. Und Sommer – mit Mut und grosser Klasse. Am Schluss siegen sie. Sie bestanden diesen Test trotz dem immensen Druck. Trotz der Anspannung. Trotz dem Risiko, scheitern zu können und an diesem einen entscheidenden Schuss von der ganzen Schweiz gemessen zu wer Fotos Fabienne Bühler, Getty Images den. Auch ihnen muss klar gewesen sein: Im besten Fall wirst du zur Schweizer Legende, im schlechtes ten zum verurteilten Versager. Doch an diesem Mon tagabend wuchsen die Schweizer Nati-Spieler über sich hinaus, brillierten in ihrer mentalen Stärke und sicherten sich einen Namen in der Schweizer Ge Nach dem versenkten Penalty klatscht er erleichtert schichte. Und schenkten mir den wohl emotionals mit den Kollegen ab: Manuel Akanji. ten Match meines Lebens. SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 29
Bekanntes Gesicht. Seit Kunz in der TV-Sendung «Sing meinen Song» bril- lierte, wird er noch öfter angesprochen. 30 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE
Der Mann der steilen Aufstiege Vom Vierwaldstättersee auf die Rigi. Innert kürzester Zeit ganz hoch hinaufzukommen, damit hat Kunz Erfahrung. Der Luzerner hat das auch mit seiner Musik geschafft. Beim Wandern lüftet er den Kopf – und plaudert über das Leben, den Alltag und Sohn Emil. Natur pur. Die Umwelt ist Kunz wichtig. Er fährt Velo und ÖV und isst nur einmal pro Woche Fleisch. SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 31
TEXT SANDRA CASALINI F OTO S M A RC O S C H N Y D E R Freitagmorgen, Schiffstation Weggis LU. Marco Kunz, 35, schnürt seine Wander schuhe, schultert den Rucksack. Es geht los. Statt wie andere frühmorgens einer Strasse entlangzujoggen, wandert der Mundartmusiker vom Vierwald stättersee aus nach Rigi Kaltbad. Na türlich ist er auch gern mit anderen unterwegs, mit der Familie oder mit Freunden, «aber wenn man allein los zieht, ist es etwas anderes. Man lässt die Gedanken schweifen, beschäftigt sich mit anderen Dingen, auch mit sich selbst. Das brauchts ab und zu.» Die Betreuung von Söhnchen Emil teilen Vom malerischen Ort aus geht es sich Kunz und seine Frau hälftig. «Je nachdem ist es schon streng», sagt er. bergauf, zuerst durch Weiler – wo auch mal ein Schwatz an einem Gartenzaun drinliegt –, dann über Wiesen und Wanderwege. Die Aussicht über Tal, «Kinder brau- chen viel Zeit See und Berge wird immer spektaku lärer. Bei jedem kurzen Halt lässt Kunz und viel Energie. den Blick schweifen und strahlt. «So schön. Und so nah.» Erst gerade ist er mit seiner kleinen Familie – Frau Jenny und Söhnchen Beides hat man Emil, 1, – nach drei Jahren in Zürich an den Stadtrand von Luzern gezogen. Zurück nach Hause. Die Gegend hier nur begrenzt» kennt Kunz wie seine Hosentasche – was nicht bedeutet, dass er sich nicht auch mal verlaufen kann, wenn er zu fest seinen Gedanken nachhängt. Von Marcos besonderer Liebe zur Rigi zeugt die Tatsache, dass Jenny und er hier im September 2018 auf einer Wande rung mit 140 Leuten ihre Hochzeit feierten. «Das war mehr oder weniger ein spontaner Einfall. Wir wussten immer, dass eine klassische Trauung für uns nicht infrage kommt. Das hat total zu uns gepasst.» Ansonsten kann sich der Musiker aber durchaus mit klassischen Werten anfreunden. Ehe, ein gemeinsamer Familienname – Kunz – und das Familienleben sind wichtig für ihn. «Ich finde es schön, dies einem Kind bieten zu können. Meine beiden Schwestern und ich sind In den Startlöchern. auch so aufgewachsen.» Kunz schlüpft gern Zeit für eine Pause und einen Snack. frühmorgens in die Wanderschuhe, Kunz packt ein Brötli, Käse, einen noch bevor das Apfel und Rüebli aus. Letztere tunkt er erste Bähnli fährt. in Senf. «Dann ists fast wie Cervelat», 32 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE
Durchschnaufen. Bald gibts wieder «Kunzerte», die ersten im Juli. Alle Daten auf www.kunzmusik.ch. meint er lachend. Er esse schon Fleisch, managerin bei der Migros –, beide aber nur einmal pro Woche. Gekauft möchten aber auch möglichst viel wird es bei einem befreundeten Bau- Zeit mit ihrem Sohn verbringen. Dabei ern. Nachhaltigkeit und Ernährung attestiert Kunz sich selbst, der stren- sind grosse Themen im Hause Kunz. gere Elternteil zu sein. «Wer einmal Sohn Emil wird bislang zuckerfrei nachgibt, hat verloren.» Das Papisein ernährt. Daran halten sich auch die gebe allem mehr Sinn. «Meinen Sohn Grosseltern, wenn sie den Kleinen aufwachsen zu sehen, ihn zu begleiten, hüten. «Wir machen das jetzt einfach, ist unglaublich schön.» Und unglaub- solange es geht», sagt Marco Kunz. lich streng. Der Mundartstar sieht die «Natürlich wird er irgendwann auch Vaterschaft nicht nur durch die rosa- mal ein Stück Kuchen oder ein Glace rote Brille. «Kinder brauchen viel Zeit Strammer Schritt. bekommen.» und viel Energie. Beides hat man nur «Aber für die Bühne begrenzt.» Trotzdem wäre ein zweites reicht meine Fitness Die Betreuung haben sich Jenny und Kind irgendwann schön. «Aber eins noch nicht ganz», meint der Musiker Marco fifty-fifty aufgeteilt. «Das war nach dem anderen.» selbstkritisch. von Anfang an klar», sagt er. Beide Es ist Zeit aufzubrechen. Kunz packt lieben ihren Job – Jenny ist Projekt seine Sachen in den Rucksack, macht SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 33
Weitsicht: Im Pande- mie-Jahr hat Kunz seinen Beruf hinter- fragt. Jetzt ist er wieder überzeugt vom Musiker-Dasein. Burgerstein FlexVital: „Ein Geschenk für jedes NEU Gelenk.“ Gelenkformel mit Eierschalenmembran, Vitamin-E sowie Mangan, das zur Erhaltung normaler Bindegewebsbildung und Knochen beiträgt. Die Alpwirtschaft lässt Kunz heute aus- Tut gut. Burgerstein Vitamine sen vor. Sonst trinkt er auch gern mal gemütlich ein Bier. 34 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE
sich auf den Weg zur Luftseilbahn, begleitet von neugierigen Blicken und aufgeregtem Getuschel. Ihn anzuspre chen, traut sich heute niemand. Seit er Teil des TV-Knüllers «Sing meinen Song – Das Schweizer Tauschkonzert» war, geschieht dies wesentlich öfter. Obwohl er auch vorher musikalisch schon super erfolgreich war – vier sei ner fünf Alben toppten die Schweizer Hitparade. «Aber das Fernsehen sorgt nochmals für einen neuen Bekannt heitsgrad bei einem P ublikum, das ich zuvor nicht erreicht habe.» Dabei hat er anfangs mit seiner Zu- Im September 2018 feierten Jenny sage für die Show gezögert. Der Grund: und Kunz bei einer Rigi-Wanderung Gedreht wurde auf der spanischen In ihre Hochzeit mit 140 Leuten. sel Gran Canaria, und Kunz hat sich selbst aus umwelttechnischen Gründen «Wir Künstler ein Flugverbot auferlegt. Die Chance war dann aber doch zu verlockend, bieten nicht nur um sie nicht zu packen. «Ich konnte nicht nur meinen Fans ganz a ndere Unterhaltung, Seiten von mir zeigen, sondern auch neue Anhänger für meine Musik ge winnen.» Kein Wunder also, dass sein sondern Nahrung aktuelles Album «Mai» direkt an die Spitze der Charts wanderte. «Das freut für die Psyche» mich und zeigt, wie sehr die Leute das schätzen, was wir Musiker tun.» Ein Zeichen, dass Künstler systemrelevant seien: «Wir bieten nicht nur Unter haltung, sondern auch Hoffnung und Nahrung für die Psyche.» Kunz kann es kaum erwarten, wie Für einen kleinen Schwatz unterwegs der auf der Bühne zu stehen. «Dafür ist Kunz zu haben. macht man doch Musik.» Im stillen Für Selfies posiert Kämmerlein allein Songs komponieren er im privaten Um- feld eher ungern. und diese dann vor einem digitalen Publikum am Computer aufzuführen, sei gar nicht sein Ding. Ausserdem wolle er endlich wieder Geld verdienen und nicht vom Staat finanziert werden. Auch wenn er keine Existenzängste hatte, hinterfragte der gelernte Baupo lier im vergangenen Jahr «das Konzept meines Berufes schon immer wieder. Ich fragte mich, ob es mehr Sinn macht, zurück auf den Bau zu gehen.» Inzwi schen ist er aber sicher, dass es richtig war, alles auf die Mundart-Folk-Karte gesetzt zu haben. Schliesslich «esch d Musig e den Ohre e läbeslangi Liebes gschicht», wie Kunz im Song «Musig» singt. Und diese muss endlich auch wieder live erzählt werden. SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 35
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