Indigene Völker der Arktis - zwischen Klimawandel und Rohstoffboom
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Inhalt Zusammenfassung 5 Forderungen 7 Grönland – Autonomiestatus schützt nicht vor Zukunftsangst 9 Grönlands Wirtschaft im Umbruch 10 Grönland und China 11 Schatzkammer Sibirien – nur nicht für die Indigenen 13 Die Taymir-Halbinsel in Nordsibirien wird geplündert – zu Lasten der Indigenen 14 Steinkohleabbau zerstört Existenzen der Schoren 15 Öl und Gas auf Kosten der Jamal-Nenzen – Deutschland profitiert durch Nord Stream 2 15 Energiepolitik a la Russia – das schwimmende AKW Akademik Lomonossow 17 Sápmi: Die Sami zwischen Rentierzucht, Windparks und Bergbau 19 Norwegen – Grüne Energie auf Kosten der Sami 19 Kupfermine Repparfjord Quarzabbau am Nasafjell Die Rechte der Sami in Norwegen Schweden – Riesiger Windpark in Markbygden behindert Rentierwanderung 23 Gewohnheitsrecht der Sami in Schweden Finnland – Rechte der Sami 24 Neue Wege für Exporte und Importe: Die Arktis-Bahn Ur-Wald ist für Rentiere unverzichtbar Russland – Die Kola-Sami: Diskriminierung fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit 25 Enteignung von Weideflächen Wem gehört die Arktis? 29 Indigene Völker im Arktischen Rat 31 Ziele und Leitlinien der deutschen Arktispolitik 32 Fußnoten 33 Impressum 39
Zusammenfassung Der Klimawandel in der Arktis ist ein Seismograph lösung von Dänemark finanzieren. Auch in Skan- für das Weltklima und begünstigt außerdem den dinavien nimmt der Druck der Öl- und Gasindu- dort zurzeit massiv zunehmenden Rohstoffboom. strie, der Holzwirtschaft und von Bergbauunter- Beides geht einher mit einem Verteilungskampf nehmen auf das Land und die Lebensweise der der Arktisstaaten Russland, USA (Alaska), Kanada, samischen Rentier-Hirt*innen stetig zu. Die Kon- Dänemark (Grönland), Norwegen, Schweden und kurrenz um das Land wird größer. Der Klimawan- Finnland um die politische, wirtschaftliche und del verändert die Abfolge von Regen und Schnee, geostrategische Vorherrschaft. Da es anders als Tauwetter und Frost, so dass die Rentiere auf ihren in der Subarktis kein internationales Abkommen Wanderungen nicht mehr genug Futter finden. gibt, das Fragen der Umwelt, des Klimaschutzes, Windparks, Bahntrassen, Straßen und Arbeiter- der Rohstoffförderung und nicht zuletzt der Rech- siedlungen zerschneiden die Rentierweiden und te der indigenen Bevölkerung der Arktisregion re- tragen soziale Brüche in den hohen Norden Euro- gelt, herrscht Goldgräberstimmung. Neben den pas. Diese Veränderungen gehen für viele Indige- unmittelbar an die Arktis angrenzenden Staaten ne schneller vonstatten, als sie sich und ihre Le- ist auch China überall präsent, erkundet mit einer bensweise anpassen können. Identitätsverlust kleinen Eisbrecherflotte neue Handelsrouten in insbesondere unter Jugendlichen ist oft die Folge. der Nordostpassage und versucht in dieser zu- Die Arktis erwärmt sich viel schneller als der rest- kunftsträchtigen Region Fuß zu fassen. liche Erdball. Damit wird sie auch aus geostrategi- Die indigenen Völker in der Arktis stehen entspre- scher Sicht immer interessanter für Russland, die chend vor enormen Herausforderungen. Der Kli- USA und China, die um die Vorherrschaft in den mawandel bedeutet für sie einen grundsätzlichen immer länger eisfrei bleibenden Gewässern des Wandel ihrer Lebensbedingungen, aber auch ei- Nordpolarmeeres ringen. Der Versuch von US- nen Wertewandel. Manche Gemeinschaften wer- Präsident Donald Trump, Dänemark Grönland ab- den gespalten zwischen denen, die Traditionen zukaufen, ist dafür ein zwar skurriles, aber wich- erhalten wollen, und jenen, die am Wirtschafts- tiges Symbol. Die EU und mit ihr die Bundesre- wachstum nach Vorbild der westlichen Welt teil- publik Deutschland müssen ihre Position zwi- haben wollen. Grönland ist ein gutes Beispiel. schen Klimaschutz und Menschenrechten, zwi- Einerseits beklagen die traditionell auf Grönland schen Wirtschaftsinteressen und Nachhaltigkeit lebenden Inuit das nahende Ende von Jagd und noch definieren und festklopfen. Die Bundesre- Fischfang auf dem Eis, das immer dünner wird und gierung hat Beobachterstatus bei den Sitzungen für immer kürzere Perioden zufriert. Andere Grön- des Arktisrates und mit den „Leitlinien deutscher länder*innen dagegen wollen mit den Abbau- Arktispolitik“ im August 2019 ihre Position für lizenzen für Rohstoffe und sogar mit dem dank eine nachhaltige und die Rechte der Indigenen steigender Temperaturen reichlich vorhandenen einbeziehende Nutzung der Arktis festgelegt. Tauwasser Handel treiben und sich damit die Los- 5
Ein international gültiges Regelwerk analog zur Arktischen Rat, der eine wichtige Schlüsselrolle in Antarktis gibt es für die Arktis nicht. Wegen der der Abstimmung über die internationalen Inte- wirtschaftlichen und strategischen Eigeninteres- ressen einnimmt, können die indigenen Organisa- sen der Staaten, die es aushandeln müssten, ist es tionen als Gruppe der permanenten Teilnehmer kaum vorstellbar. Stattdessen werden Bereiche zwar mitdiskutieren, mitbestimmen können sie wie Fischerei, Rohstoffförderung, Umweltschutz, jedoch nicht. indigene Rechte und andere in zahlreichen Ein- Häufig fehlt es noch am politischen Willen der zelabkommen geregelt werden müssen. Staaten, die Indigenen bei Verhandlungen um die Indigene Völker könnten die Verlierer dieser ra- Nutzung ihrer Territorien als Vertragspartner*in- santen Entwicklung werden. Formal gibt es zwar nen auf Augenhöhe zu akzeptieren und die damit eine relativ gute Grundlage für ihre Ansprüche. zusammenhängenden Entscheidungswege und Norwegen und Dänemark haben die Konvention Zeitfristen zu respektieren. Zudem schüren Kli- 169 der Internationalen Arbeitsorganisation der mawandel und Rohstoffförderung Konflikte und UN (ILO 169) ratifiziert. Bis auf die Russische Spaltungen innerhalb indigener Gemeinschaften. Föderation, die sich 2007 enthalten hat, sind alle So ist die Gefahr groß, dass die Inuit, Sami und Arktisanrainer der Allgemeinen Erklärung der UN indigenen Völker in Sibirien vom rasanten Tempo zu den Rechten indigener Völker (UNDRIP) beige- der Erderwärmung und damit einhergehender treten. Grönland verfügt über einen umfassenden Erschließung von Rohstoffvorkommen überrollt Autonomievertrag mit Dänemark. In den skandi- werden. Dringend müssen daher die Regierungen navischen Staaten haben die Sami mit den Sami und Unternehmen indigene Rechte stärker be- Councils eigene politische Vertretungen, wenn achten und einen ungezügelten Rohstoffwettlauf auch nur mit beratendem Charakter. Auch im in der Arktis verhindern. 6
Forderungen Die Arktisanrainerstaaten, die EU und die UN Die deutsche Bundesregierung müssen Verhandlungen für internationale Ark- soll sich mit allen ihr zur Verfügung stehenden tis-Verträge initiieren, welche ein Regelwerk Mitteln für internationale Arktis-Verträge ein- schaffen für die Rohstoffindustrie in der Arktis, setzen, in denen die Rechte der indigenen Völ- das die grundlegenden Menschenrechte und ker der Arktis festgeschrieben werden und ei- die Landrechte der indigenen Völker sowie de- ner umweltgerechten, nachhaltigen Nutzung ren Recht auf Selbstbestimmung respektiert. der Ressourcen der Vorrang vor einer Rohstoff- förderung um jeden Preis gegeben wird. Die Regierungen Schwedens, Finnlands und der Russischen Föderation Die deutsche Bundesregierung sollen die UN-Konvention 169 der Internatio- soll die UN-Konvention 169 der Internationa- nalen Arbeitsorganisation (ILO 169) ratifizie- len Arbeitsorganisation (ILO 169) ratifizieren, so ren und in ihre Gesetzgebung aufnehmen. wie es im aktuellen Koalitionsvertrag von 2018 festgehalten ist, um die politischen Selbstver- Die Regierungen Schwedens und Finnlands tretungsstrukturen wie den Inuit Circumpolar sollen das Regelwerk der UN-Deklaration über Council (Grönland), die Sami-Räte in Skandina- die Rechte indigener Völker (UNDRIP) und ins- vien und indigene Dachorganisationen in der besondere das Recht auf freie, vorherige, in- Russischen Föderation wie Raipon und Abori- formierte Zustimmung (Free Prior Informed gen zu unterstützen. Consent/FPIC) respektieren und umsetzen. Deutschland soll sich dafür einsetzen, Die Regierung der Russischen Föderation dass die Leitlinien seiner Arktispolitik mit der soll der UN-Deklaration über die Rechte indi- Betonung der Nachhaltigkeit und des Schutzes gener Völker (UNDRIP) und der UN-Konvention der Rechte indigener Völker zum EU-Maßstab 169 der Internationalen Arbeitsorganisation werden. (ILO 169) beitreten und ihr Regelwerk, insbe- sondere das Recht auf freie, vorherige, infor- mierte Zustimmung (Free Prior Informed Consent/FPIC), in die eigene Gesetzgebung aufnehmen. 7
Grönland – Autonomiestatus schützt nicht vor Zukunftsangst Grönlands Rohstoffreichtum trägt Fluch und Se- stände zu. Der Kabeljau aber frisst den Inuit die gen in sich. Er kann neue Jobs bringen für eine Shrimps weg, die ihnen bisher den wichtigsten Er- junge Generation der grönländischen Inuit, die trag brachten. nicht mehr von der traditionellen Jagd oder dem Die Fischereiwirtschaft hat internationale Dimen- Fischfang leben kann oder will. Der Tourismus sionen. Am 3. Oktober 2018 unterzeichneten Ka- kann längst nicht alles abfedern. Meist profitieren nada, die USA, die Russische Föderation, Norwe- ohnehin nicht die Inuit selbst, sondern die großen gen, Dänemark, Island, die Europäische Union internationalen Konzerne. Junge Grönländer*in- (EU), Korea, Japan und China ein Abkommen, in nen, die in Kopenhagen oder noch weiter entfernt dem sie sich zu einer wissenschaftlichen Zusam- studieren, verändern damit auch ihre Ansprüche menarbeit für eine künftige nachhaltige Fische- und ihre Lebensweise. Sie könnten in den Projek- reiwirtschaft im Nordpolarmeer verpflichten. ten des Rohstoffbooms eine Zukunft sehen. Diese bergen aber auch das Risiko von Zerstörung der Dabei soll getreu der Erklärung der Vereinten sehr fragilen arktischen Umwelt, des Kontrollver- Nationen (VN) zu den Rechten indigener Völker lustes über das eigene Land, der Zerstörung der (UNDRIP) das Wissen der indigenen und der lo- Kultur, Identität und wirtschaftlichen Eigenstän- kalen Bevölkerung ausdrücklich einbezogen sein. digkeit. Am Verhandlungstisch saßen die Indigenen aller- dings nicht. Dies ist symptomatisch. Die Indige- Noch immer liegt Grönland zum größten Teil dau- nen laufen Gefahr, von der Entwicklung überrollt erhaft unter Schnee und Eis. Grün ist nur die Süd- und von den Entscheidungsträger*innen über- spitze der Insel. Dort gibt es Schaf- und Rinder- gangen zu werden. zucht, Landwirtschaft und Gemüseanbau. Die meisten der gut 56.000 Grönländer*innen leben nach wie vor von der Selbstversorgung durch Fischfang und Jagd auf dem zugefrorenen Meer und vom Tourismus. Doch das Eis wird nicht mehr so dick wie früher und trägt die Jäger*innen nicht mehr zuverlässig. Auch die kommerzielle Fische- rei, mit der Grönland 85 Prozent seiner Export- wirtschaft bestreitet, verändert sich. Das Wasser wird wärmer. Dadurch nehmen die Kabeljaube- 9
Kalaallit Nunaat (Land der Kalaallit), wie Grönland in der Landessprache heißt, ist die größ- te Insel der Welt mit der zugleich geringsten Bevölkerungsdichte. 17.600 der insgesamt 56.000 Einwohner*innen leben in der Hauptstadt Nuuk. Politisch ist Grönland Teil Däne- marks. Geografisch gehört es zu Nordamerika. Seit 1979 gilt ein umfassender Autonomie- status für die Insel. Dieser ermöglichte Grönland 1985 den Austritt aus der EU. Fast 90 Prozent der Grönländer*innen sind Angehörige einer der drei Inuit-Gruppen Kalaallit (West-Grönland), Tunumiit (Ost-Grönland) und Inughuit beziehungsweise Avaner- suarmiut im Norden. Offizielle Landessprache ist Kalaallisut, die Zweitsprache ist Dänisch. Die meisten Grönländer*innen sind zweisprachig. Die rechtliche Stellung Grönlands ist durch das 2009 verabschiedete Selbstverwaltungs- gesetz und durch die Verfassung Dänemarks geregelt. Grönland verwaltet sich weitgehend selbst. Nur die Außen- und Verteidigungspolitik obliegt weiterhin Dänemark. Grönland und Dänemark traten beide 2007 der UN-Erklärung zu den Rechten indigener Völker UNDRIP bei. Dänemark ratifizierte zudem bereits 1996 die Konvention 169 der UN-Arbeitsorganisation ILO. Grönlands Wirtschaft im Umbruch aber wegen ihrer schillernden Lichtbrechung auch als Schmucksteine verwendet. Beide Pro- Durch den Klimawandel nimmt das Meereis, das jekte bringen Arbeitsplätze und Geld in die Kas- im Winter als Transportweg unverzichtbar ist, an sen der Verwaltung Grönlands, werden aber in Fläche und Dicke ab. Am 13. Juni 2019 verzeich- Grönland und Dänemark kontrovers diskutiert. nete das European Centre for Mediumrange Wea- ther Forecasting als bisheriges Extrem eine Tem- Noch in der Planung ist eine Tagebaumine des peratur von 22 Grad Celsius über dem Normal- australischen Unternehmens Greenland Minerals wert von um die minus 4,7 Grad Celsius in dieser and Energy/GME für den Abbau Seltener Erden bei Zeit. Die Höchsttemperatur wurde im Dorf Qaa- Narsaq in Südgrönland, das Rare Earth Elements naaq mit 17,3 Grad Celsius gemessen. (REE) – Project. Dort fürchtet man jetzt um die Zukunft der Agrarbetriebe, weil die Mine mit ih- Grönland ist reich an Rohstoffen. Vorkommen an rem Abraum die Umwelt verseuchen könnte. Dä- Öl, Kohle, Zink, Gold, Kupfer, Nickel, Platin, Uran nemark hegt überdies geopolitische Bedenken, werden bisher kaum abgebaut. 2018 gab es sechs da China mit 12,5 Prozent Anteilseigner an der Abbaulizenzen, 61 Genehmigungen zur Explora- Mine ist. Natürlich gibt es auch Fürstimmen, die tion (Erforschung) von Rohstoffvorkommen, neun vor allem auf Arbeitsplätze hoffen. Beide Seiten Schürfkonzessionen und 56 weitere kleinere Li- beklagen sich über Intransparenz und das Fehlen zenzen. Eine Mine zum Abbau von Anorthosit und verständlicher Informationen. eine weitere zum Schürfen von Rubinen waren in Betrieb. Anorthosite sind ein wichtiger Ausgangs- Interessenvertretung der Inuit auf nationaler wie stoff für die Herstellung von Steinwolle, werden internationaler Ebene ist die grönländische Sek- 10
tion des Inuit Circumpolar Council (ICC) (dt. etwa: wollen vorbereitet sein, sollte die Bevölkerung Pol umspannender Rat der Inuit), in dem die Orga- Grönlands sich für die Unabhängigkeit von Däne- nisationen der Inuit aus allen Teilen der Arktis mark entscheiden. Nach unterschiedlichen Schät- zusammengeschlossen sind. Bei seiner Hauptver- zungen sprechen sich mittlerweile bis zu 64 Pro- sammlung 2018 verabschiedete der ICC die zent dafür aus. Utqiaġvik-Deklaration, die sich unter anderem für China betrachtet Grönland als willkommenen Zwi- eine verantwortungsvolle Bergbaupolitik und für schenstopp an seiner „polaren Seidenstraße”. Eine die Nutzung indigenen Wissens bei jeglichem Ab- kleine Eisbrecherflotte soll China den Zugang zum kommen zur Regulierung der Hochseefischerei Nordpolarmeer ermöglichen. Als die grönländi- im Nordpolarmeer ausspricht. Der Verlauf und die sche Regierung Aufträge für insgesamt drei große Nutzung des Meereises und die Nutzung der Po- Flughäfen ausschrieb, bewarb sich China um den larmeerküste sollten aufgezeichnet und kartiert Zuschlag – ohne Erfolg. Vor allem Dänemark und werden. die nicht-indigenen Grönländer*innen hatten Konkrete Vorstellungen davon, wie sie aus dem Bedenken, denn China ist dafür bekannt, sich im Klimawandel Kapital schlagen könnte, hat die Au- Tausch gegen Infrastruktur-Projekte wie Flughä- tonomieregierung Grönlands im Februar 2020 pu- fen, Straßen oder Wasserversorgung Zugang zu blik gemacht. Grönlands Energieminister Jess den Rohstoffvorkommen eines Landes zu ver- Svane von der Siumut-Partei möchte das Schmelz- schaffen. Arbeitsplätze, auf die die grönländi- wasser des abtauenden Eises vermarkten. Neun schen Inuit hoffen, werden dadurch nicht auto- von insgesamt 16 Lizenzen für die Vermarktung matisch geschaffen, denn in der Regel bringt Chi- wurden bereits vergeben. Um die Abhängigkeit na eigene Mitarbeiter zu seinen Projekten mit. vom Fischfang als Wirtschaftszweig zu beenden, Der grönländische Premierminister Kim Kielsen soll eine neue Öl- und Gasstrategie mit Steuer- von der Siumut-Partei unterhält gute Beziehun- nachlässen und neuen Ölfeldern Ölunternehmen gen zu China. Grönlands Unabhängigkeitsbewe- anlocken. „Soweit wir sehen können, wird der glo- gung verspricht sich davon große Fortschritte für bale Öl- und Gasbedarf weiter steigen. Grönland hat die wirtschaftliche Eigenständigkeit. Zurzeit ist das gleiche Recht wie alle anderen Nationen, diese der Haushalt des Autonomiegebietes noch von Einkommensquelle zu nutzen, bis auf der Welt aus- Kopenhagen abhängig. Grönland verhandelt mit reichend erneuerbare Energie gewonnen werden China, aber auch mit anderen außereuropäischen kann“, sagte Svane. Staaten wie Kanada, was von Beobachtern als starkes Zeichen für die Ambitionen der Autono- Grönland und China mieregierung in Richtung Unabhängigkeit gewer- tet wird. Im Oktober 2017 besuchte eine grönlän- Russland, China und die USA wetteifern um den dische Delegation unter Führung von Kielsen Bei- Zugriff auf die grönländischen Rohstoffe. Das In- jing und sprach dort über eine stärkere Zusam- teresse des US-Präsidenten Donald Trump an ei- menarbeit in den Bereichen Fischerei, Bergbau nem Kauf Grönlands ist deutliches Zeichen für und Tourismus. Außerdem wurde eine Eröffnung den Machtanspruch der USA. Im April 2020 wurde wechselseitiger Niederlassungen in Nuuk und Bei- bekannt, dass die USA die Beratertätigkeit von US- jing in die Wege geleitet. Spezialisten für die Bereiche Bildung und Roh- stoffe auf Grönland großzügig mit 12,1 Millionen China hat bereits enorme Summen in den Abbau US-Dollar unterstützen. Außerdem haben sie von Uran und Zink in Kvanefjeld und von Eisenerz 2020 ein Konsulat auf Grönland eröffnet. Die USA in Issua investiert. Der Kauf einer ehemaligen und 11
jetzt verlassenen Einrichtung der US-Marine bei Noch immer verlässt fast jeder dritte Jugendliche Grønnedal und die Beteiligung Chinas am Bau der in Grönland die Schule ohne Abschluss. Kleist er- drei Flughäfen scheiterten dagegen am Einspruch innert daran, dass die Grönländer längst so gut wie Dänemarks. Insgesamt erreichten die Investitio- alle innerstaatlichen Aufgaben hätten überneh- nen Chinas in Grönland Anfang 2019 einen Anteil men können – von der Gerichtsbarkeit, über die von 11,6 Prozent am grönländischen Bruttosozial- Polizei bis zur Fischereiinspektion. Dänemark wol- produkt. le lediglich die Kontrolle über die Außen- und Sicherheitspolitik behalten. „In dem Gesetz zur Kupik Kleist, von 2009 bis 2013 Ministerpräsi- Selbstverwaltung wurde uns von Dänemark zuge- dent Grönlands, sieht diese Entwicklung skep- standen, 32 hoheitliche Aufgaben zu übernehmen. tisch. „Untersuchungen haben ja gezeigt, dass wir Aber wir haben in zehn Jahren gerade einmal eine wirtschaftlich gar nicht auf eigenen Beinen stehen dieser Aufgaben übernommen – die Aufsicht über könnten, wenn die jährlich 500 Millionen Euro aus die Rohstoffe. Viele Leute reden bloß gerne über die Dänemark wegfielen. Die könnten wir vielleicht Unabhängigkeit, aber tun nichts dafür. Sie haben zwar irgendwann mit großen Gewinnen aus dem dafür keinen Plan, zum Beispiel für bessere Bildung. Tourismus und dem Abbau von Bodenschätzen Das wäre für mich eine Grundvoraussetzung für ei- wettmachen. Aber selbst dann müssten wir uns ne erfolgreiche Staatengründung.“ eingestehen, dass das Bildungsniveau auf Grönland für einen solchen Schritt schlicht zu niedrig ist.“ Ist Kreuzfahrttourismus Grönlands Zukunft? Foto: Aline Dassel, Pixabay 2009 12
Schatzkammer Sibirien – nur nicht für die Indigenen Sibirien ist eine Schatzkammer, reich gefüllt mit der Russischen Föderation entsprach. Nach hefti- Öl, Gas, Kohle, Edelmetallen, Edelsteinen und an- gen weltweiten Protesten wurde die Organisation deren Schätzen. Es umfasst den größten Teil des zwar wiedereröffnet, unabhängig handeln kann asiatischen Territoriums von Russland sowie den sie jedoch nicht mehr. An ihrer Spitze steht jetzt Norden von Kasachstan und ist mit seinen rund ein Vertreter der Putin-Partei Einiges Russland. 16 Mio. Quadratkilometer Fläche größer als Euro- Viele russische Indigene haben RAIPON daraufhin pa. Die indigenen Gemeinschaften dieses größ- verlassen und das Netzwerk Aborigen Forum ten Teils der Arktis leben traditionell mehrheitlich aufgebaut. Es spart nicht mit Kritik an der Kehr- von der Rentierhaltung, der Jagd und dem Fisch- seite des Rohstoffbooms und macht engagiert auf fang. In Russland werden 40 Völker offiziell als Menschenrechtsverletzungen an indigenen Völ- indigene Minderheiten des Nordens, Sibiriens kern in der russischen Arktis aufmerksam. und des Fernen Ostens anerkannt. Sie konnten Indigene werden häufig schikaniert und kriminali- ihre traditionelle Lebensweise teilweise beibe- siert. So steht ihnen zwar per Gesetz das Recht zu, halten und siedeln in ihren Territorien im Norden als Teil ihrer traditionellen Lebensweise unbe- und in den asiatischen Teilen des Landes. Die Zahl grenzt und ohne Genehmigung Fischfang zu be- ihrer Mitglieder liegt zwischen unter 200 (Oro- treiben. In der Realität können sie jedoch sehr oft tschen) und 34.000 (Nenzen). Zusammen ma- nicht frei entscheiden, wann und wo sie welche chen sie nach Angaben der dänischen NGO IWGIA Art von Fisch fangen. Sie bekommen oft Fang- 260.000 Menschen aus. plätze zugewiesen, die für eine Selbstversorgung Die Russische Föderation hat die Konvention 169 vollkommen ungeeignet sind. In einem Fall lag er der ILO nicht ratifiziert und ist auch der UN-Dekla- 150 Kilometer vom Dorf der Fischer*innen ent- ration zu den Rechten indigener Völker nicht bei- fernt. Früher zogen die Indigenen in kleinen mo- getreten, sondern hat sich in der UN-Vollversamm- bilen Einheiten durch die Tundra und Taiga Sibi- lung 2007 der Stimme enthalten. Ratifiziert hat riens, inzwischen werden sie zunehmend sess- die Russische Föderation das Rahmenüberein- haft gemacht und verlieren zusehends die eigene kommen zum Schutz nationaler Minderheiten des Kultur und Lebensweise. Mehr als neunzig Pro- Europarates. Die rechtliche Stellung der indige- zent sind heute sesshaft. Die Rentierzüchter*in- nen Völker in Sibirien ist daher wesentlich schwä- nen in Sibirien sind schon jetzt Opfer der interna- cher als die indigener Völker in anderen Teilen der tionalen Energiepolitik, insbesondere der Koope- Arktis. Der Dachverband der indigenen Gemein- ration zwischen Russland und Deutschland bei schaften RAIPON wurde im November 2012 offi- Förderung und Transport von Erdgas (Nord Stream ziell geschlossen, weil der Aufbau der Organisati- 2). Ihre Institutionen werden vom Staat anders als on angeblich nicht den gesetzlichen Vorgaben in Schweden, Norwegen oder Finnland behindert 13
oder gar verhindert. Wer versucht, die traditionelle vorkommen in der Arktis investieren. Lebensweise weiterzuführen, wird eingeschüch- Die Taimyr-Halbinsel ist die Heimat von Dolganen, tert und verfolgt. Nenzen, Nganassanen, Ewenken und Enzen. Mitte der 1960er Jahre begann die Regierung, das wirt- Die Taimyr-Halbinsel in Nordsibirien schaftliche Potential der russischen Arktis zu ent- wird geplündert – zu Lasten der Indigenen decken. Frühere Weideflächen für Rentiere muss- ten Raffinerien, Bergbaubetrieben und Eisen- Taimyr gilt als das neue Eldorado von Russlands bahnstrecken weichen. Nomadisierende Gemein- „Wildem Norden“. Dort lagern 22 Millionen Ton- schaften wurden häufig in die Sesshaftigkeit ge- nen Kupfer, 12 Millionen Tonnen Nickel, 1,7 Mil- zwungen. Die Dolganen mussten ihren Siedlungs- liarden Tonnen Eisenerz, mehrere Millionen Ton- platz Ust-Awam sogar selbst erbauen. Etwa 700 nen Kohle sowie Erdöl und Erdgas. Es gibt auch Menschen leben heute dort. Trotz der Sesshaftig- große Vorkommen an Lithium, das genauso wie keit spielt das Rentier immer noch eine wichtige Nickel für Batterien von Elektroautos wichtig ist. Rolle im Leben der kleinen Völker. Das traditionel- Die deutsche Auto-Zulieferindustrie sichert sich le Verwerten der Rentiere ist noch erlaubt. Es bil- bereits Rohstoffe aus der Arktis. Auch das russi- det für die indigenen Völker eine wichtige Nah- sche Unternehmen Nornickel setzt auf eine stei- rungs- und Einnahmequelle. Mit einem staatli- gende Nachfrage nach „umweltfreundlichen“ chen Betrieb für die Rentierzucht beschneidet die Elektroautos in Europa. Es investiert in Taimyr Regierung jedoch die wirtschaftliche Autonomie Milliardenbeträge in die Nickelproduktion. Dabei der indigenen Rentierhalter. Sie leiden unter Ver- wird jedoch giftiger Staub freigesetzt, der die Luft boten und Schikanen. Das Recht, freilebende Ren- belastet, und Transportwege zerstören die Um- tiere zu bejagen, wird für die Indigenen einge- welt. Der Abbau begehrter Ressourcen führt im- schränkt, obwohl das russische Verfassungsge- mer wieder zur Verseuchung von Flüssen auf Tai- richt im Mai 2019 zu ihren Gunsten entschieden myr, da Pipelines oder Abraumbecken für Klär- hat. Die Zahl der wilden Rentiere sei dramatisch schlamm leck schlagen. Ein schwerer Unfall er- zurückgegangen, heißt es zur Begründung. Neu eignete sich am 29. Mai 2020. Aus einem vermut- hinzuziehende Arbeitskräfte erhalten jedoch wei- lich durch auftauenden Permafrostboden be- terhin großzügig Jagdlizenzen. Auch der Konzern schädigten Treibstofftank liefen große Mengen Vostok Coal zerstört den Lebensraum der wilden Diesel aus und verseuchten Flüsse und Seen in Rentiere. Er verletzt Lizenzverträge und dringt in der Umgebung von Norilsk. „In der Region Taimyr, geschützte Gebiete vor. Der Bau von zwei Hafen- nördlich des Unglücksortes, leben Dolganen und terminals und einer Bahnstrecke für den Abtrans- Nenzen“, berichtet Tjan Zaotschnaja, ehrenamt- port der Kohle aus den abgelegenen Fördergebie- liche Sibirien-Expertin der Gesellschaft für be- ten hat ebenfalls schlimme Folgen für die emp- drohte Völker. „Die Jäger, Sammler und Fischer dort findliche arktische Umwelt. sind auf die jetzt verseuchten Flüsse und Seen an- gewiesen – auf die Fische, Zugvögel, aber auch das Weil er sein Recht auf Rentierjagd in Anspruch Trinkwasser für sich und ihre Rentiere. Der Diesel nimmt, wurde der Dolgane Gennadij Schtschukin bedroht nicht nur ihre traditionelle Lebensweise, aus Ust-Awam schikaniert. Drei Jahre lang musste sondern auch ganz konkret ihr Leben.“ Vor den er sich immer wieder wegen angeblich illegaler Küsten wird außerdem nach Erdöl und Erdgas ge- Jagd vor Gericht verantworten. Sein Anwalt ver- sucht. Russland will bis zum Jahr 2025 drei Mil- wies zwar auf das Recht, dass den Indigenen pro liarden Euro in die Erschließung neuer Rohstoff- Person jährlich acht Rentiere zustehen und dass 14
sie dieses Recht auch auf andere Mitglieder ihrer schläge zerstörten 2013/2014 alle Häuser in Gemeinschaft übertragen können. Trotzdem wur- Kazas, so auch das Haus von Yana und Vladislav de Schtschukin 2017 zu einer Geldstrafe verur- Tannagasheva. Die Schoren werteten dies als Teil teilt, später aber amnestiert. Weil ihm das jedoch eines Planes der Kohleindustrie, sie zu vertreiben. nicht ausreichte, wandte er sich an das Verfas- Denn das Unternehmen kontrollierte mit einem sungsgericht der Russischen Föderation. Das Ge- Checkpoint den Zugang zu dem Dorf und hätte richt urteilte im Mai 2019 zu seinen Gunsten. Das den Brandanschlag verhindern können. Auf regio- Recht, bis zu acht Tiere pro Jahr zu erlegen, sei naler und nationaler Ebene wurde eine Hetzkam- tatsächlich innerhalb der Gemeinschaft übertrag- pagne gegen die politisch aktiven Schoren ge- bar, nur dürfe das Gesamtkontingent aller Ge- startet, die ihre Proteste dennoch fortsetzten. meinschaftsmitglieder nicht überschritten wer- Yana Tannagasheva verlor ihre Arbeit. Polizei, der den. Das Verfassungsgericht wies die unteren Geheimdienst FSB und das Kohleunternehmen Instanzen an, ihre Urteile mit dem des Verfas- bedrohten sie. Ihr Telefon wurde abgehört, die sungsgerichts in Übereinstimmung zu bringen. Familie wurde engmaschig überwacht, sogar die Gennadij Schtschukin ist rehabilitiert. Kinder wurden bedroht. Schließlich wurde die Situation zu gefährlich und Familie Tannagasheva musste ihre Heimat verlassen. Steinkohleabbau zerstört Existenzen der Schoren Kemerowo gehört zum Kuzbass, einem der größ- ten Kohlebecken der Welt. Hier gibt es 58 Minen Etwa 10.000 der insgesamt 13.000 Schoren le- und 36 Tagebaue. Der Abbau kann mit minimalem ben im Bezirk Kemerowo, Republik Chakassien, in Aufwand betrieben werden. Rekultivierung nicht einem der großen Kohlereviere Russlands im Sü- mehr benötigter Stätten findet nicht statt. Das den Westsibiriens. In ihrem Land wird Steinkohle Dorf Rassvet in der Region Novokudznetsk musste für den Export abgebaut. Viele Schoren wurden wegen des Unternehmens Coal Energy schon durch die Kohleförderung aus ihren Dörfern ver- dreimal verlegt werden. Seit 2009 wird dort Kohle trieben, was dazu führte, dass heute rund 74 im Tagebau gewonnen. Die Sprengungen erschüt- Prozent von ihnen in Städten leben. Ihre Sprache tern die Fundamente der in der Nähe stehenden wird jedoch vornehmlich in den Dörfern gespro- Häuser und zerstören sie. Die Menschen werden chen, so dass sie heute akut vom Aussterben be- von dem unablässig niederrieselnden Kohlestaub droht ist. Auch das traditionelle Kunsthandwerk krank. der Schoren stirbt nach und nach aus. Schoren, die sich gegen die Kohleindustrie weh- Öl und Gas auf Kosten der Jamal-Nenzen - ren, werden kriminalisiert und verfolgt. Das Deutschland profitiert durch Nord Stream 2 Schicksal von Yana Tannagasheva aus dem Dorf Kazas in Kemerowo ist dafür ein trauriges Bei- Das autonome Gebiet der Jamal-Nenzen auf der spiel: Einige Schoren leben hier noch immer sehr Halbinsel Jamal ist das Hauptfördergebiet Russ- traditionell in kleineren Orten oder Dörfern im lands für Gas. Das Leben der Nenzen, das sie dort Süden dieser Region von Fischfang und dem Sam- seit Generationen mit ihren Rentierherden teilen, meln von Pinienkernen (Cedar nuts). Viele Jahre ändert sich derzeit dramatisch. Etwa 15.000 Nen- haben sie sich hartnäckig gegen den Kohleberg- zen gibt es auf Jamal, 10.000 von ihnen sind Ren- bau gewehrt, der sich immer weiter in ihre bis tier-Hirten. Sie leiden immer stärker unter der dahin unberührte Natur hineinfrisst. Brandan- steigenden Nachfrage nach Erdöl, Erdgas und 15
Mineralien. Pipelines durchziehen Weidegebiete Organisationen die Interessen der indigenen Völker ihrer Herden und zerstören ihren Lebensraum. nicht schützen können oder wollen. Es werden im- Die Errichtung der Infrastruktur für diese Indu- mer neue Gasfelder erschlossen im Norden und Os- strie hat auf den Permafrostböden gewaltige ten der Halbinsel bis hin zur anderen Seite des Ob- Schäden hinterlassen. Es wird Jahrzehnte dauern, Delta. Das Netz der Gas-Pipelines breitet sich über bis sich die Natur davon erholt, wenn überhaupt. das ganze Land aus. Und für jede Pipeline und jede Gas, das an Ölbohrstellen entweicht und nicht ge- Straße nehmen sie den Rentier-Hirten ein weiteres nutzt werden soll, wird abgefackelt und ver- Stück Land. Die Hirten weichen dann auf das rest- schmutzt die Luft. Waldbrände in der sibirischen liche Land aus, aber das wird zur Folge haben, dass Arktis nehmen durch anhaltende Hitze und Tro- die Herden irgendwann kleiner werden müssen und ckenheit dramatische Ausmaße an. die Rentierhalter in Konkurrenz zueinander um das Weideland geraten werden.“ In letzter Konsequenz Auf Jamal kommt es immer wieder zu Razzien könne das sogar bedeuten, dass Teile der Herden durch den Dienst zum Schutz der Bioressourcen geschlachtet werden müssten oder verhungern (Bioresources Conservation Service) der Regional- würden, weil das verbleibende Land sie nicht regierung. Dabei werden die indigenen Siedlun- mehr alle ernähren könne. „Ich glaube, dass in den gen regelmäßig mit Helikoptern überflogen, um nächsten beiden Jahrzehnten sehr viele Rentiere das Verhalten der Indigenen zu überwachen. Im- auf Jamal sterben werden. Immer mehr Indigene mer wieder kommt es zu willkürlicher Beschlag- werden sich in festen Dörfern niederlassen, was für nahme von Nahrungsmitteln und Jagdwaffen. In sie zu sozialem Niedergang, zu Alkoholmissbrauch einem Fall, den die dänische NGO IWGIA doku- und dergleichen führen kann. Sie werden ihre Spra- mentierte, wurden einem Nenzen alle seine Jagd- che und ihre traditionelle Lebensweise verlieren. So waffen abgenommen, obwohl er eine gültige Li- wird, denke ich, die Zukunft sein.“ zenz hatte. Auch sein Wintervorrat an gefrorenem Fisch wurde konfisziert, obgleich er für sich und Für die Nenzen kommt erschwerend hinzu, dass seine Familie eine Fangquote erhalten hatte. die Unternehmen Wanderarbeiter anlocken, die sich in der Gegend niederlassen, eine Konkurrenz Die Nenzen können sich nur schwer gegen die werden für die Fischer und auch wildern. Der ab- Zerstörung ihrer Lebensgrundlage wehren. „Es hat tauende Permafrost setzt Milzbranderreger frei, einige Versuche auf regionaler Ebene gegeben sich auch als „sibirische Krankheit“ bekannt, und ge- zu organisieren“, berichtet Dmitry Berezhkov. Er fährdet damit Menschen und Tiere zusätzlich. war vor dessen vorübergehender Schließung Prä- sident des heute weitgehend entmündigten indi- Russland und Deutschland sind in der Öl- und genen Dachverbandes RAIPON und lebt seit 2017 Gas-Wirtschaft enge Partner. Deutlich wird das als politischer Flüchtling in Norwegen. „Es gibt unter anderem an einem aktuellen Großprojekt, zum Beispiel eine Vereinigung der Rentierhirten. der Pipeline Nord Stream 2. Sie verläuft von der Aber die Führung aller Organisationen wird kon- Jamal-Halbinsel durch die Ostsee bis in die Nähe trolliert oder steht unter dem Einfluss des Staates von Greifswald im Nordosten von Mecklenburg- und der Öl- und Gasunternehmen. Sie organisieren Vorpommern. Es wird erwartet, dass die Pipeline sehr gern Festivals, Feiern zu Ehren der Rentier- Ende 2020 bis Anfang 2021 in Betrieb genom- Hirten, Sportwettbewerbe oder Veranstaltungen für men wird. Sie soll jährlich mehr als 55 Milliarden Kultur und Sprache. Aber wenn es zum Konflikt Kubikmeter Gas nach Deutschland und in andere zwischen den Rentier-Hirten und der Gas- und Öl- europäische Länder befördern. industrie kommt, zeigt uns die Erfahrung, dass diese 16
Nicht nur die Jamal-Nenzen, die im Fördergebiet menzentrum von Gazprom auf der Jamal-Halbin- leben, leiden unter den Folgen der Förderung sel, soll zudem ein großes petrochemisches Werk dieses Gases. Auch indigene Völker an der Ostsee, entstehen. Gazprom will dort Polyethylene und in der Umgebung der Stadt Sankt Petersburg, sind Polypropylene (Plastik) produzieren. von Nord Stream 2 betroffen. Die Route verläuft Rosneft plant mit seinem Unternehmen Vostok durch das Biosphärenreservat Kurgalskij in der Oil ebenfalls die Erschließung dreier neuer Öl- Region St. Petersburg und wird dort viele ge- felder im Gebiet des Vankor-Öl- und Gasfeldes. schützte Tier- und Pflanzenarten in akute Gefahr Für den Export ist eine neue Pipeline zur Taymir- bringen und die Natur nachhaltig schädigen. Halbinsel geplant. Woten, Ischoren und Ingermanlander, die in dieser Region leben, werfen dem Betreiber Gazprom vor, Woher soll die Energie für diese und andere in dass sie nicht angemessen in die Planung der Sibirien geplante Projekte kommen? Eine Mög- Pipeline-Route einbezogen wurden. Altkanzler lichkeit wäre der Ausbau einer Technologie zur Gerhard Schröder ist Präsident des Nord-Stream- Energiegewinnung mit schwimmenden Atom- 2-Verwaltungsrates und muss sich Mitverantwor- kraftwerken (AKW), die Russland gerade erprobt. tung für diese Menschenrechtsverletzungen vor- Mit der Akademik Lomonossow ging der Prototyp werfen lassen. vor der Küste von Pewek im Autonomen Kreis der Tschuktschen, der Tschukotka, bereits in Betrieb. Gebaut wurde das mit zwei Reaktoren ausgestat- Energiepolitik a la Russia – das schwimmende tete Atom-Schiff zehn Jahre lang in Murmansk. Es AKW Akademik Lomonossow wurde von dort bis nach Pewek geschleppt, wo es Russland setzt für seine wirtschaftliche Zukunft im September 2019 festmachte. Die Akademik stark auf die russische Arktis und die Ausbeutung Lomonossow soll drei russische Bohrinseln vor der Öl- und Gasreserven an Land und vor der Tschukotka und die Stadt Pewek mit Energie ver- Küste. Zahlreiche neue Projekte sind in Planung. sorgen. Sie gilt als Prototyp für eine Flotte Dabei sind neue petrochemische Komplexe und schwimmender AKWs, mit denen Russland abge- Pipelines inbegriffen. Am 30. Januar 2020 wurde legene Gegenden mit Energie versorgen will. Die- ein neues Arktisgesetz verabschiedet. 210 Milli- se Kraftwerke sollen aber auch in einer kleineren arden Euro sollen demnach in ein Investitionspro- Version auf dem Weltmarkt angeboten werden. gramm für die Ölförderung in der russischen Ark- Umweltschützer kritisieren diese Technologie als tis fließen. Darüber berichtet der Online-Nach- sehr riskant, da man die Schiffe kaum vor äußeren richtendienst Barents Observer (4. Februar 2020). Bedrohungen wie Stürmen oder Terrorakten Die Erschließung der Seewege im Arktischen Oze- schützen könne und bezeichneten die Akademik an habe für Waldimir Putin eine sehr hohe Priori- Lomonossow bereits als schwimmendes Tscher- tät. Zuständig für die Planungen sind der Minister nobyl oder Atom-Titanic. Dagegen sei die Tschu- für den Fernen Osten und die Arktis, Aleksandr kotka bestens für Windkraftanlagen geeignet. Kozlov, und der stellvertretende Premierminister Diese Kritik lässt Russland nicht gelten. Befürwor- mit Sonderbereich für den Fernen Osten, Jury ter der AKWs halten den Kritikern entgegen, dass Trutnev. Gefördert wird das Arktis-Engagement die Windenergie „eine teure, umweltschädliche durch enorme Steuerprivilegien bis hin zum Er- Dieselunterstützung oder einen teuren Energiespei- lass der Steuern für die ersten zwölf Jahre nach cher“ erfordere und daher keineswegs sauber Beginn eines Projekts. Allein Gazprom plant drei oder umweltfreundlich sei. neue Ölförderprojekte. In Bovonenkovo, dem Fir- 17
Nenzen mit ihren Rentieren Foto: Grigorii Pisotsckii/Shutterstock.com
Sápmi: Die Sami zwischen Rentierzucht, Windparks und Bergbau Sápmi, wie die nach Schätzungen insgesamt bis terhalt über kurz oder lang nicht mehr aus der zu 100.000 Sami selbst ihr traditionelles Territori- Rentierhaltung bestreiten können und gezwun- um nennen, umfasst den Norden Skandinaviens gen sein werden, ihren Beruf und damit eine Jahr- und den größten Teil der Kola-Halbinsel. Etwa hunderte währende Kultur aufzugeben. 20.000 von ihnen leben in Schweden, betreiben Rentierhaltung, Landwirtschaft, Jagen, Sammeln Norwegen - Grüne Energie auf Kosten der Sami und Fischen. 50.000 bis 70.000 Sami gibt es in Norwegen, etwa 8.000 in Finnland und gut 2.000 Norwegens Energiewirtschaft ist zunehmend ge- in Russland. In Norwegen, Schweden und Finn- prägt von Windkraftanlagen, die für Abnehmer land haben sie jeweils eigene Vertretungen durch aus dem Ausland produzieren und zum Teil heftig Sami-Parlamente (SAMEDIGGI), auf der Kola- umstritten sind, insbesondere dann, wenn sie in Halbinsel gibt es eine Vereinigung der Kola-Sami. Regionen liegen, die von den Sami als Rentierwei- Im Jahr 2000 gründeten die drei skandinavischen de genutzt werden. Die Sami haben bereits viel Sami-Parlamente den übergeordneten Parlamen- Weideland u.a. durch Projekte der Forst- und tarischen Rat der Sami (Sami Parliamentary Coun- Energiewirtschaft verloren. Insgesamt leben etwa cil). Darüber hinaus vertritt der Samirat (Sami 600 bis 1000-Sami im Süden Norwegens. Council) als NGO die Interessen samischer NGOs Storheia auf der Fosen-Halbinsel im Südwesten in allen vier Staaten. Norwegens ist das wichtigste Winterweidegebiet Kaum zehn Prozent aller Sami leben heute noch der samischen Rentierzüchter-Gemeinschaft ausschließlich von der Rentierwirtschaft, in der Åerjel Njaarke Sijte. Rund 44 Prozent dieses die Kultur aller Sami aber nach wie vor stark ver- Gebiets dienen den Sami als Winterweide für ihre wurzelt ist. Die wirtschaftliche Erschließung der Tiere. Doch ausgerechnet hier soll ein großer Arktis durch Rohstoffförderung, Energiewirt- Windpark entstehen. Zwar wurden die Sami zum schaft und die dazugehörige Infrastruktur behin- Projekt Storheia konsultiert. Entschieden wurde dert die Bewegungsfreiheit der Rentierherden dann aber über ihren Kopf hinweg. Die Windener- und der Hirten und führt immer öfter auch zum gieanlage in Storheia soll zu einer der größten Verlust von Weiden. Im Ernstfall müssen Sami- Onshore-Anlagen Europas ausgebaut werden. Hirten Futter für ihre Tiere hinzukaufen oder - Seit 2016 werden hier von dem Konsortium Fosen wenn ihnen dafür das Geld fehlt - die Herden ver- Vind SA 80 Windturbinen, 60 Kilometer Straßen kleinern. Das führt dazu, dass sie ihren Lebensun- und eine Hochspannungsleitung errichtet. 19
Haupteigentümer ist mit 52,1 Prozent Statkraft ner Norwegens landesweit zusammengeschlos- (staatlicher norwegischer Energiekonzern). Eben- sen sind, protestierte schriftlich bei den Stadt- falls große Anteile hat mit 40 Prozent Nordic Wind werken München gegen die neuen Windparks. Power DA, ein Konsortium europäischer Investo- Norwegen selbst brauche sie nicht, denn das ren, gegründet von der Credit Suisse Energy Infra- Land könne seinen Energiebedarf aus Wasser- structure Partners AG. Im Dezember 2018 forderte kraft decken. Dagegen würden Windanlagen die das UN-Committee on the Elimination of Racial Dis- Natur zerstören, von der der Tourismus lebe, der crimination (CERD) Norwegen dazu auf, das Pro- auch bei deutschen Reisenden sehr beliebt sei. jekt auszusetzen. Es sollte einer Klage nachge- Eines der vier neuen Windkraftprojekte soll im gangen werden, dass das Projekt der Rentier-Wei- Gebiet Stokkfjellet entstehen. Damit droht den dewirtschaft der Sami schade. Zwar wurde CERD dort lebenden Sami eine große Katastrophe, denn daraufhin versichert, dass man auf die Eingabe die Windanlagen des Stokkfjellet werden die antworten werde, dass dies aber keine aufschie- Wanderroute ihrer Rentiere blockieren. Es gebe bende Wirkung habe, da das Projekt über alle heftige Proteste der lokalen Bevölkerung gegen nötigen Genehmigungen verfüge und schon fast die Windanlagen, da sie zudem die Natur zerstö- vollendet sei. ren, die Artenvielfalt verkleinern, Adler und ande- re Vögel gefährden würden. Darüber informierten Den Ruf der Windenergie als saubere Energie die Trondheimer Grünen am 8. Januar 2019 die nutzen auch die Stadtwerke München (SWM), die Stadtratsfraktion „Die Grünen - Rosa Liste“ in Mün- in einer Kooperation mit dem kommunalen nor- chen. wegischen Unternehmen Trønderenergie vier neue Windparks bauen. Sie sollen die Windparks, die München bereits in Norwegen errichtet hat, Kupfermine Repparfjord ergänzen. Denn die Kommune will bis 2025 ihren Die norwegische Regierung hat im Februar 2019 gesamten Strombedarf aus grüner Energie de- dem Unternehmen Nussir ASA die Genehmigung cken. Dazu brauchen die Stadtwerke auch Wind- erteilt, am Repparfjord Kupfer, Silber, Gold und energie aus Norwegen. Die vier Kraftwerke sollen andere Metalle abzubauen. Zu den Hauptgeldge- geschätzt 300 Millionen Euro kosten und zusam- bern des Projektes gehört nach Recherchen der men 330 Megawatt Leistung bringen. Die Gesellschaft für bedrohte Völker – Schweiz die deutsch-norwegische Holding gehört zu 70 Pro- schweizerische Großbank Credit Suisse als „No- zent den Stadtwerken München. Deren Invest- minee Shareholder“ für unbekannte Kunden. Sie mentdirektor Christian Vogt wechselte Anfang hält mit 20,6 Prozent den zweitgrößten Aktienan- 2019 als Geschäftsführer der Holding nach Nor- teil an der Nussir ASA. Im Rahmen der Kampagne wegen. „Toxic Waste in Repparfjord? Credit Suisse: Stop Der Verein „La Naturen Leve“ (frei übersetzt: Die banking against the Sami“ fordern die betroffenen Natur soll leben), in dem gut 3.000 Windparkgeg- Sami-Gemeinschaften, das Sami-Parlament und 20
die Gesellschaft für bedrohte Völker - Schweiz die Quarzabbau am Nasafjell Credit Suisse auf, auf ihre Dienstleistung als Nomi- Die Rechte der Sami in Norwegen und Schweden nee Shareholder im Fall Nussir ASA zu verzichten. verletzt ein Projekt für den Quarzabbau im Nasa- Zusätzlich sollen sich alle beteiligten Akteure fjell, das von der Grenze durchquert wird. Das dem „Free, Prior and Informed Consent“ (FPIC) Projekt wurde von Norwegen bereits genehmigt verpflichten, einem völkerrechtlichen Ansatz zur und soll von dem norwegischen Unternehmen Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts in- Elkem durchgeführt werden, das seit 2011 teil- digener Gemeinschaften. weise in chinesischem Besitz ist. Elkem will mit Die Kupfermine liegt im äußersten Norden Nor- dem geförderten Quarz in eigenen Werken in Nor- wegens nahe Hammerfest. Profitieren wird vom wegen Solarzellen bauen. Die Region ist von gro- Bergbau die Kommune Kvalsund. Sie erhofft sich ßer Bedeutung für die norwegischen und schwe- eine Stärkung des Industriestandorts, neue Ar- dischen Rentierhalter*innen. Etwa 40.000 Tiere beitsplätze und die Generierung von Einkommen ziehen jedes Jahr hier durch. Direkt neben der ge- und will damit der Abwanderung der Jugend aus planten Mine befinden sich sowohl der Saltfjellet- dieser strukturschwachen Region entgegenwir- Nationalpark als auch das gleichnamige Land- ken. Umweltzerstörung und ihre Folgen für die schaftsschutzgebiet. Bisher konnte Elkem noch samischen Rentierzüchter*innen werden in Kauf keine Einigung mit den Rentier-Sami erzielen. genommen. Sami und Umweltaktivist*innen ste- Diese ist als Teil des Genehmigungsverfahrens hen dem Gesamtprojekt kritisch gegenüber. Be- aber notwendig. Im Oktober 2017 stellte das Un- sonders groß ist die Sorge, weil der Abraum des ternehmen einen Antrag auf Enteignung der Sami Kupferabbaus im Repparfjord verklappt werden beim Ministerium für Handel und Industrie. Die soll. Die norwegische Regierung versichert zwar, Quarzminen würden das Weidegebiet der Sami dass dies keine negativen Auswirkungen haben durchschneiden und die Rentierhaltung dadurch werde. Erfahrungen mit einer früheren Off-Shore- deutlich erschweren. Auch die schwedische Men- Deponie im Repparfjord zeigten aber, dass die schenrechtsorganisation Civil Rights Defenders Lachs- und Kabeljaubestände stark zurückgingen befürchtet, dass der Bergbau die Menschenrechte und sich erst nach 13 Jahren erholten. Zudem be- der Sami verletzen wird. Sie forderte das Ministe- findet sich die Kupfermine in einem wichtigen rium eindringlich auf, den Antrag auf Enteignung Weidegebiet der samischen Rentier-Hirt*innen. abzulehnen. Die norwegischen und schwedi- Wenn sie es nicht mehr voll nutzen können, dann schen Sami verkündeten, dass keine Einigung zu- können sich die Tiere im Sommer nicht genug Re- stande kommen würde, wenn es nach ihnen gin- serven anfressen, um den Winter zu überstehen. ge, und beriefen sich auf ihr Recht als indigenes Die Sami müssten dann zusätzlich füttern, was mit Volk. Ein Ende der Anhörungen war für den 10. hohen Kosten verbunden ist. In letzter Konse- Januar 2020 vorgesehen. Ein Urteil war Anfang quenz müssten Herden verkleinert oder gar ab- März 2020 noch nicht bekannt. geschafft werden, die Sami würden ihre Lebens- grundlage und damit auch ihre kulturelle Eigen- ständigkeit verlieren. 21
Sami in traditioneller Kleidung mit seinem Rentier Foto: Paula Funnell/Flickr (CC BY-NC-ND 2.0)
Die Rechte der Sami in Norwegen Leistung von etwa vier Gigawatt erbringen. Lebensweise, Sprache und Kultur der 50.000 bis Das Baugebiet nahe Piteå ist Weideland der Sami. 70.000 Sami sind in der norwegischen Verfassung Hier treiben sie jedes Jahr ihre Herden entlang zu und durch mehrere internationale Abkommen den Sommerweiden im Gebirge und zurück zu und Konventionen geschützt. Gestützt auf das einer Halbinsel in der Nähe der Ortschaft. Diese Sami-Gesetz von 1987 wurde 1989 ein „Same- Wanderungen werden durch die Windanlagen zu ting“ (Sami-Parlament) gegründet, die parlamen- einem Hindernislauf für die Tiere werden. Das tarische Vertretung der Sami, welche die in der Weideland wird an Fläche schrumpfen, die Ren- Verfassung verbriefte Stellung der Sami, ihre Kul- tierhaltung wird immer schwieriger werden. In tur und ihre Sprache bewahren und vertreten soll. dieser Gegend soll der Windpark Ersträsk mit ei- Norwegen hat die Europäische Menschenrechts- ner Gesamtleistung von 230 Megawatt (MW) und konvention (EMRK) ratifiziert. Art. 92 des Grunn- der Windpark Markbygden mit einer Gesamtlei- loven (norwegische Verfassung) garantiert den stung von 844,2 MW entstehen. Einen Teil der Schutz der Menschenrechte. Auch das Internatio- nötigen 800 Millionen Euro erhielt Svevind von nale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form der Europäischen Investment Bank und von deut- von Rassendiskriminierung (CERD) und die UNO- schen Banken, so der NordLB, KfW, IPEX-Bank und Pakte sind in Norwegen anerkannt. Außerdem hat HSH Nordbank. Das gesamte Projekt wird sieben Norwegen als einziges Land in Skandinavien die Milliarden Euro kosten. Schon jetzt fürchten viele ILO-Konvention 169 der UN zu den Rechten indi- Sami, ihre Rentiere nicht retten zu können und gener Völker ratifiziert. In Norwegen ist die Ren- diesen Erwerbszweig aufgeben zu müssen. Trotz- tierzucht den Sami vorbehalten. Die Landrechte dem genehmigt Stockholm immer mehr Indu- der Sami sind durch Art. 14 und Art. 15 der ILO- strieprojekte auf Rentierweiden. Die Rentierzucht Konvention 169 und Art. 5 lit. d Ziff. 5 in Verbin- ist zentraler Bestandteil der samischen Kultur. Nur dung mit Art. 2 Abs. 1 des Internationalen Überein- Sami haben in Schweden das Recht, Rentiere zu kommens zur Beseitigung jeder Form von Rassen- halten. Doch die Zahl der Sami, die diesem Wirt- diskriminierung geschützt. Laut diesen Artikeln schaftszweig nachgehen, geht zurück. Immer we- sind die Besitzrechte indigener Völker auf ihr niger können davon leben. Land zu respektieren und sie müssen bei Ent- scheidungen über die Verwaltung des Landes Gewohnheitsrecht der Sami in Schweden und seiner Ressourcen einbezogen werden. Seit 1993 gibt es in Schweden das Sami-Parla- ment (Sameting), das rein beratenden Charakter Schweden - Riesiger Windpark in Markbygden hat. Schweden hat die UN-Konvention 169 der In- behindert Rentierwanderung ternationalen Arbeitsorganisation (ILO 169) nicht In Markbygden, einem Gebiet nordwestlich von ratifiziert und ist nicht verpflichtet, die etwa Piteå, baut das deutsch-schwedische Unterneh- 20.000 Sami bei der Entscheidung über Projekte, men Svevind gemeinsam mit dem deutschen die ihre Lebensbedingungen beeinflussen, einzu- Windkraftanlagen-Hersteller Enercon einen der beziehen. Über die Bedingungen für die Rentier- größten Windparks der Welt. 1101 Anlagen sollen haltung und um die Vergabe von Lizenzen für hier in drei Bauphasen bis 2020 gebaut werden. Jagd und Fischfang gibt es immer wieder Konflik- Bis zu sieben Milliarden Euro sollen in das Projekt te. Am 23. Januar 2020 konnten die Sami aus der investiert werden. Der gesamte Komplex soll eine Gemeinde Girjas einen ersten Erfolg erringen, der 23
in Schweden eine große Kontroverse auslöste. Sie alle weitreichenden und wichtigen Maßnahmen gewannen einen knapp zehn Jahre andauernden auszuhandeln, die sie direkt oder indirekt betref- Gerichtsprozess, dessen Urteil das samische Ge- fen. Das schließt Maßnahmen zur Verwaltung, Nut- wohnheitsrecht über staatliches Recht setzte. Die zung, Verpachtung und Zuordnung von Staatsland Sami der klagenden Gemeinde können die Jagd- und Schutzgebieten ein. und Fischereilizenzen jetzt selbst ausstellen und Eine besondere Stellung haben die Skolt-Sami, damit der Überfischung und Überjagung durch die innerhalb des indigenen Gebietes von Inari Nicht-Sami wirksam begegnen. Dieser Entscheid leben. Der Skolt-Act erkennt ihren Dorfrat als Ver- löste eine beispiellose Hasskampagne gegen die tretungsorgan an und sieht vor, dass er in allen sie Sami von Girjas aus. In anonymen Botschaften betreffenden Angelegenheiten konsultiert wer- wurden sie wüst beschimpft. „Straßenschilder in den soll. Samisch wurden heimlich abmontiert. Kinder der Sami berichteten zu Hause, andere Kinder hätten Das Sami-Parlament hat den finnischen Staat ihnen in der Schule zugerufen, nun würden ihre wiederholt dafür kritisiert, dass er den Sami keine Rentiere abgeschossen. Vergangene Woche war es Besitzrechte über Land und Ressourcen gewährt, dann soweit. Die ersten Kadaver von Rentieren wur- sondern beides für sich in Anspruch nimmt, ob- den gefunden, zum Teil in Mülltüten gestopft und wohl die Landfrage offiziell noch nicht geklärt ist. gut sichtbar entlang der Europastrasse 10 nördlich In staatlichen Studien zu Nutzungsrechten und des Ortes Gälivare liegen gelassen. Offenbar waren Verwaltung im traditionellen Samigebiet wurde die Tiere einen grausamen Tod gestorben.“ die Landbesitzfrage ausgeklammert. Der staatli- chen Forstwirtschaft werden der Naturschutz und die Rechtsansprüche der Sami untergeordnet. Finnland - Rechte der Sami Zwar existiert ein Gesetz, das die Vereinbarkeit Finnland ist den meisten UN-Menschenrechts- von Rentierzucht und Holzwirtschaft regeln soll. mechanismen beigetreten, hat aber die Konventi- Es besagt, dass das Weideland der Rentiere durch on 169 der ILO bislang nicht ratifiziert. Die Ver- den Einschlag nicht nachhaltig geschädigt werden fassung von 1999 erkennt den Status der etwa darf. Streitfragen werden vor Gericht jedoch meist 8.000 Sami als indigenes Volk an und spricht zugunsten des Staates entschieden. Anders als in ihnen das Recht auf kulturelle Autonomie sowie Norwegen und Schweden, wo die Rentierhaltung sprachliche und kulturelle Selbstbestimmung in- ein Privileg der Sami ist, ist sie in Finnland allen nerhalb ihrer Region zu, die aus den Bezirken Bürger*innen erlaubt. Enontekiö, Inari und Utsjoki sowie dem Gebiet der Rentierbesitzer-Vereinigung Lapplands in Sodan- Neue Wege für Exporte und Importe: kylä gebildet wird. Der Sami Parliament Act eta- Die Arktis-Bahn bliert das finnische Sami-Parlament mit dem Man- dat, die Sprache und Kultur der Sami und alle An- Rohstoffförderung, Forstwirtschaft und Infra- gelegenheiten im Zusammenhang damit zu strukturprojekte greifen zunehmend in das Leben schützen. Das Parlament hat 20 Mitglieder und der Sami und Skolt-Sami ein. Das finnische Minis- wird alle vier Jahre gewählt. Es hat ausschließlich terium für Verkehr und Kommunikation plant seit beratende Funktion, wird vom finnischen Parla- Ende 2017 eine arktische Bahnverbindung zwi- ment zwar angehört, ist aber dort nicht selbst mit schen Rovaniemi in Finnland und Kirkenes in Nor- Abgeordneten vertreten. Staatliche Behörden wegen, die dem Warentransport und dem Touris- sind dazu angehalten, mit dem Sami-Parlament mus dienen soll. Die Route soll dann durch den 24
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