Indigene Völker der Arktis - zwischen Klimawandel und Rohstoffboom

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Indigene Völker der Arktis - zwischen Klimawandel und Rohstoffboom
Juni 2020
Indigene Völker der Arktis
zwischen Klimawandel und Rohstoffboom
Indigene Völker der Arktis - zwischen Klimawandel und Rohstoffboom
Indigene Völker der Arktis - zwischen Klimawandel und Rohstoffboom
Inhalt

Zusammenfassung                                                                           5

Forderungen                                                                               7

Grönland – Autonomiestatus schützt nicht vor Zukunftsangst                                9

    Grönlands Wirtschaft im Umbruch                                                      10

    Grönland und China                                                                   11

Schatzkammer Sibirien – nur nicht für die Indigenen                                      13

    Die Taymir-Halbinsel in Nordsibirien wird geplündert – zu Lasten der Indigenen       14

    Steinkohleabbau zerstört Existenzen der Schoren                                      15

    Öl und Gas auf Kosten der Jamal-Nenzen – Deutschland profitiert durch Nord Stream 2   15

    Energiepolitik a la Russia – das schwimmende AKW Akademik Lomonossow                 17

Sápmi: Die Sami zwischen Rentierzucht, Windparks und Bergbau                             19

    Norwegen – Grüne Energie auf Kosten der Sami                                         19

        Kupfermine Repparfjord
        Quarzabbau am Nasafjell
        Die Rechte der Sami in Norwegen

    Schweden – Riesiger Windpark in Markbygden behindert Rentierwanderung                23

        Gewohnheitsrecht der Sami in Schweden

    Finnland – Rechte der Sami                                                           24

        Neue Wege für Exporte und Importe: Die Arktis-Bahn
        Ur-Wald ist für Rentiere unverzichtbar

    Russland – Die Kola-Sami: Diskriminierung fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit    25

        Enteignung von Weideflächen

Wem gehört die Arktis?                                                                   29

    Indigene Völker im Arktischen Rat                                                    31

    Ziele und Leitlinien der deutschen Arktispolitik                                     32

Fußnoten                                                                                 33

Impressum                                                                                39
Indigene Völker der Arktis - zwischen Klimawandel und Rohstoffboom
Friedhof von Kulusuk in Grönland
Foto: Markus Triene/Flickr (CC BY-SA 2.0)
Indigene Völker der Arktis - zwischen Klimawandel und Rohstoffboom
Zusammenfassung

Der Klimawandel in der Arktis ist ein Seismograph        lösung von Dänemark finanzieren. Auch in Skan-
für das Weltklima und begünstigt außerdem den            dinavien nimmt der Druck der Öl- und Gasindu-
dort zurzeit massiv zunehmenden Rohstoffboom.             strie, der Holzwirtschaft und von Bergbauunter-
Beides geht einher mit einem Verteilungskampf            nehmen auf das Land und die Lebensweise der
der Arktisstaaten Russland, USA (Alaska), Kanada,        samischen Rentier-Hirt*innen stetig zu. Die Kon-
Dänemark (Grönland), Norwegen, Schweden und              kurrenz um das Land wird größer. Der Klimawan-
Finnland um die politische, wirtschaftliche und          del verändert die Abfolge von Regen und Schnee,
geostrategische Vorherrschaft. Da es anders als          Tauwetter und Frost, so dass die Rentiere auf ihren
in der Subarktis kein internationales Abkommen           Wanderungen nicht mehr genug Futter finden.
gibt, das Fragen der Umwelt, des Klimaschutzes,          Windparks, Bahntrassen, Straßen und Arbeiter-
der Rohstoffförderung und nicht zuletzt der Rech-         siedlungen zerschneiden die Rentierweiden und
te der indigenen Bevölkerung der Arktisregion re-        tragen soziale Brüche in den hohen Norden Euro-
gelt, herrscht Goldgräberstimmung. Neben den             pas. Diese Veränderungen gehen für viele Indige-
unmittelbar an die Arktis angrenzenden Staaten           ne schneller vonstatten, als sie sich und ihre Le-
ist auch China überall präsent, erkundet mit einer       bensweise anpassen können. Identitätsverlust
kleinen Eisbrecherflotte neue Handelsrouten in            insbesondere unter Jugendlichen ist oft die Folge.
der Nordostpassage und versucht in dieser zu-
                                                         Die Arktis erwärmt sich viel schneller als der rest-
kunftsträchtigen Region Fuß zu fassen.
                                                         liche Erdball. Damit wird sie auch aus geostrategi-
Die indigenen Völker in der Arktis stehen entspre-       scher Sicht immer interessanter für Russland, die
chend vor enormen Herausforderungen. Der Kli-            USA und China, die um die Vorherrschaft in den
mawandel bedeutet für sie einen grundsätzlichen          immer länger eisfrei bleibenden Gewässern des
Wandel ihrer Lebensbedingungen, aber auch ei-            Nordpolarmeeres ringen. Der Versuch von US-
nen Wertewandel. Manche Gemeinschaften wer-              Präsident Donald Trump, Dänemark Grönland ab-
den gespalten zwischen denen, die Traditionen            zukaufen, ist dafür ein zwar skurriles, aber wich-
erhalten wollen, und jenen, die am Wirtschafts-          tiges Symbol. Die EU und mit ihr die Bundesre-
wachstum nach Vorbild der westlichen Welt teil-          publik Deutschland müssen ihre Position zwi-
haben wollen. Grönland ist ein gutes Beispiel.           schen Klimaschutz und Menschenrechten, zwi-
Einerseits beklagen die traditionell auf Grönland        schen Wirtschaftsinteressen und Nachhaltigkeit
lebenden Inuit das nahende Ende von Jagd und             noch definieren und festklopfen. Die Bundesre-
Fischfang auf dem Eis, das immer dünner wird und         gierung hat Beobachterstatus bei den Sitzungen
für immer kürzere Perioden zufriert. Andere Grön-        des Arktisrates und mit den „Leitlinien deutscher
länder*innen dagegen wollen mit den Abbau-               Arktispolitik“ im August 2019 ihre Position für
lizenzen für Rohstoffe und sogar mit dem dank             eine nachhaltige und die Rechte der Indigenen
steigender Temperaturen reichlich vorhandenen            einbeziehende Nutzung der Arktis festgelegt.
Tauwasser Handel treiben und sich damit die Los-

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Indigene Völker der Arktis - zwischen Klimawandel und Rohstoffboom
Ein international gültiges Regelwerk analog zur          Arktischen Rat, der eine wichtige Schlüsselrolle in
Antarktis gibt es für die Arktis nicht. Wegen der        der Abstimmung über die internationalen Inte-
wirtschaftlichen und strategischen Eigeninteres-         ressen einnimmt, können die indigenen Organisa-
sen der Staaten, die es aushandeln müssten, ist es       tionen als Gruppe der permanenten Teilnehmer
kaum vorstellbar. Stattdessen werden Bereiche            zwar mitdiskutieren, mitbestimmen können sie
wie Fischerei, Rohstoffförderung, Umweltschutz,           jedoch nicht.
indigene Rechte und andere in zahlreichen Ein-
                                                         Häufig fehlt es noch am politischen Willen der
zelabkommen geregelt werden müssen.
                                                         Staaten, die Indigenen bei Verhandlungen um die
Indigene Völker könnten die Verlierer dieser ra-         Nutzung ihrer Territorien als Vertragspartner*in-
santen Entwicklung werden. Formal gibt es zwar           nen auf Augenhöhe zu akzeptieren und die damit
eine relativ gute Grundlage für ihre Ansprüche.          zusammenhängenden Entscheidungswege und
Norwegen und Dänemark haben die Konvention               Zeitfristen zu respektieren. Zudem schüren Kli-
169 der Internationalen Arbeitsorganisation der          mawandel und Rohstoffförderung Konflikte und
UN (ILO 169) ratifiziert. Bis auf die Russische           Spaltungen innerhalb indigener Gemeinschaften.
Föderation, die sich 2007 enthalten hat, sind alle       So ist die Gefahr groß, dass die Inuit, Sami und
Arktisanrainer der Allgemeinen Erklärung der UN          indigenen Völker in Sibirien vom rasanten Tempo
zu den Rechten indigener Völker (UNDRIP) beige-          der Erderwärmung und damit einhergehender
treten. Grönland verfügt über einen umfassenden          Erschließung von Rohstoffvorkommen überrollt
Autonomievertrag mit Dänemark. In den skandi-            werden. Dringend müssen daher die Regierungen
navischen Staaten haben die Sami mit den Sami            und Unternehmen indigene Rechte stärker be-
Councils eigene politische Vertretungen, wenn            achten und einen ungezügelten Rohstoffwettlauf
auch nur mit beratendem Charakter. Auch im               in der Arktis verhindern.

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Indigene Völker der Arktis - zwischen Klimawandel und Rohstoffboom
Forderungen

Die Arktisanrainerstaaten, die EU und die UN           Die deutsche Bundesregierung

  müssen Verhandlungen für internationale Ark-            soll sich mit allen ihr zur Verfügung stehenden
  tis-Verträge initiieren, welche ein Regelwerk           Mitteln für internationale Arktis-Verträge ein-
  schaffen für die Rohstoffindustrie in der Arktis,          setzen, in denen die Rechte der indigenen Völ-
  das die grundlegenden Menschenrechte und                ker der Arktis festgeschrieben werden und ei-
  die Landrechte der indigenen Völker sowie de-           ner umweltgerechten, nachhaltigen Nutzung
  ren Recht auf Selbstbestimmung respektiert.             der Ressourcen der Vorrang vor einer Rohstoff-
                                                          förderung um jeden Preis gegeben wird.
Die Regierungen Schwedens, Finnlands und der
Russischen Föderation                                  Die deutsche Bundesregierung

  sollen die UN-Konvention 169 der Internatio-            soll die UN-Konvention 169 der Internationa-
  nalen Arbeitsorganisation (ILO 169) ratifizie-           len Arbeitsorganisation (ILO 169) ratifizieren, so
  ren und in ihre Gesetzgebung aufnehmen.                 wie es im aktuellen Koalitionsvertrag von 2018
                                                          festgehalten ist, um die politischen Selbstver-
Die Regierungen Schwedens und Finnlands                   tretungsstrukturen wie den Inuit Circumpolar
  sollen das Regelwerk der UN-Deklaration über            Council (Grönland), die Sami-Räte in Skandina-
  die Rechte indigener Völker (UNDRIP) und ins-           vien und indigene Dachorganisationen in der
  besondere das Recht auf freie, vorherige, in-           Russischen Föderation wie Raipon und Abori-
  formierte Zustimmung (Free Prior Informed               gen zu unterstützen.
  Consent/FPIC) respektieren und umsetzen.
                                                       Deutschland soll sich dafür einsetzen,
Die Regierung der Russischen Föderation                   dass die Leitlinien seiner Arktispolitik mit der
  soll der UN-Deklaration über die Rechte indi-           Betonung der Nachhaltigkeit und des Schutzes
  gener Völker (UNDRIP) und der UN-Konvention             der Rechte indigener Völker zum EU-Maßstab
  169 der Internationalen Arbeitsorganisation             werden.
  (ILO 169) beitreten und ihr Regelwerk, insbe-
  sondere das Recht auf freie, vorherige, infor-
  mierte Zustimmung (Free Prior Informed
  Consent/FPIC), in die eigene Gesetzgebung
  aufnehmen.

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Indigene Völker der Arktis - zwischen Klimawandel und Rohstoffboom
Disco Bay in Westgrönland
Foto: twiga 269/Flickr (CC BY 2.0)
Indigene Völker der Arktis - zwischen Klimawandel und Rohstoffboom
Grönland –
Autonomiestatus schützt
nicht vor Zukunftsangst

Grönlands Rohstoffreichtum trägt Fluch und Se-            stände zu. Der Kabeljau aber frisst den Inuit die
gen in sich. Er kann neue Jobs bringen für eine          Shrimps weg, die ihnen bisher den wichtigsten Er-
junge Generation der grönländischen Inuit, die           trag brachten.
nicht mehr von der traditionellen Jagd oder dem
                                                         Die Fischereiwirtschaft hat internationale Dimen-
Fischfang leben kann oder will. Der Tourismus
                                                         sionen. Am 3. Oktober 2018 unterzeichneten Ka-
kann längst nicht alles abfedern. Meist profitieren
                                                         nada, die USA, die Russische Föderation, Norwe-
ohnehin nicht die Inuit selbst, sondern die großen
                                                         gen, Dänemark, Island, die Europäische Union
internationalen Konzerne. Junge Grönländer*in-
                                                         (EU), Korea, Japan und China ein Abkommen, in
nen, die in Kopenhagen oder noch weiter entfernt
                                                         dem sie sich zu einer wissenschaftlichen Zusam-
studieren, verändern damit auch ihre Ansprüche
                                                         menarbeit für eine künftige nachhaltige Fische-
und ihre Lebensweise. Sie könnten in den Projek-
                                                         reiwirtschaft im Nordpolarmeer verpflichten.
ten des Rohstoffbooms eine Zukunft sehen. Diese
bergen aber auch das Risiko von Zerstörung der           Dabei soll getreu der Erklärung der Vereinten
sehr fragilen arktischen Umwelt, des Kontrollver-        Nationen (VN) zu den Rechten indigener Völker
lustes über das eigene Land, der Zerstörung der          (UNDRIP) das Wissen der indigenen und der lo-
Kultur, Identität und wirtschaftlichen Eigenstän-        kalen Bevölkerung ausdrücklich einbezogen sein.
digkeit.                                                 Am Verhandlungstisch saßen die Indigenen aller-
                                                         dings nicht. Dies ist symptomatisch. Die Indige-
Noch immer liegt Grönland zum größten Teil dau-
                                                         nen laufen Gefahr, von der Entwicklung überrollt
erhaft unter Schnee und Eis. Grün ist nur die Süd-
                                                         und von den Entscheidungsträger*innen über-
spitze der Insel. Dort gibt es Schaf- und Rinder-
                                                         gangen zu werden.
zucht, Landwirtschaft und Gemüseanbau. Die
meisten der gut 56.000 Grönländer*innen leben
nach wie vor von der Selbstversorgung durch
Fischfang und Jagd auf dem zugefrorenen Meer
und vom Tourismus. Doch das Eis wird nicht mehr
so dick wie früher und trägt die Jäger*innen nicht
mehr zuverlässig. Auch die kommerzielle Fische-
rei, mit der Grönland 85 Prozent seiner Export-
wirtschaft bestreitet, verändert sich. Das Wasser
wird wärmer. Dadurch nehmen die Kabeljaube-

                                                     9
Kalaallit Nunaat (Land der Kalaallit), wie Grönland in der Landessprache heißt, ist die größ-
      te Insel der Welt mit der zugleich geringsten Bevölkerungsdichte. 17.600 der insgesamt
      56.000 Einwohner*innen leben in der Hauptstadt Nuuk. Politisch ist Grönland Teil Däne-
      marks. Geografisch gehört es zu Nordamerika. Seit 1979 gilt ein umfassender Autonomie-
      status für die Insel. Dieser ermöglichte Grönland 1985 den Austritt aus der EU.

      Fast 90 Prozent der Grönländer*innen sind Angehörige einer der drei Inuit-Gruppen
      Kalaallit (West-Grönland), Tunumiit (Ost-Grönland) und Inughuit beziehungsweise Avaner-
      suarmiut im Norden. Offizielle Landessprache ist Kalaallisut, die Zweitsprache ist Dänisch.
      Die meisten Grönländer*innen sind zweisprachig.

      Die rechtliche Stellung Grönlands ist durch das 2009 verabschiedete Selbstverwaltungs-
      gesetz und durch die Verfassung Dänemarks geregelt. Grönland verwaltet sich weitgehend
      selbst. Nur die Außen- und Verteidigungspolitik obliegt weiterhin Dänemark. Grönland und
      Dänemark traten beide 2007 der UN-Erklärung zu den Rechten indigener Völker UNDRIP bei.
      Dänemark ratifizierte zudem bereits 1996 die Konvention 169 der UN-Arbeitsorganisation
      ILO.

Grönlands Wirtschaft im Umbruch                            aber wegen ihrer schillernden Lichtbrechung
                                                           auch als Schmucksteine verwendet. Beide Pro-
Durch den Klimawandel nimmt das Meereis, das
                                                           jekte bringen Arbeitsplätze und Geld in die Kas-
im Winter als Transportweg unverzichtbar ist, an
                                                           sen der Verwaltung Grönlands, werden aber in
Fläche und Dicke ab. Am 13. Juni 2019 verzeich-
                                                           Grönland und Dänemark kontrovers diskutiert.
nete das European Centre for Mediumrange Wea-
ther Forecasting als bisheriges Extrem eine Tem-           Noch in der Planung ist eine Tagebaumine des
peratur von 22 Grad Celsius über dem Normal-               australischen Unternehmens Greenland Minerals
wert von um die minus 4,7 Grad Celsius in dieser           and Energy/GME für den Abbau Seltener Erden bei
Zeit. Die Höchsttemperatur wurde im Dorf Qaa-              Narsaq in Südgrönland, das Rare Earth Elements
naaq mit 17,3 Grad Celsius gemessen.                      (REE) – Project. Dort fürchtet man jetzt um die
                                                           Zukunft der Agrarbetriebe, weil die Mine mit ih-
Grönland ist reich an Rohstoffen. Vorkommen an
                                                           rem Abraum die Umwelt verseuchen könnte. Dä-
Öl, Kohle, Zink, Gold, Kupfer, Nickel, Platin, Uran
                                                           nemark hegt überdies geopolitische Bedenken,
werden bisher kaum abgebaut. 2018 gab es sechs
                                                           da China mit 12,5 Prozent Anteilseigner an der
Abbaulizenzen, 61 Genehmigungen zur Explora-
                                                           Mine ist. Natürlich gibt es auch Fürstimmen, die
tion (Erforschung) von Rohstoffvorkommen, neun
                                                           vor allem auf Arbeitsplätze hoffen. Beide Seiten
Schürfkonzessionen und 56 weitere kleinere Li-
                                                           beklagen sich über Intransparenz und das Fehlen
zenzen. Eine Mine zum Abbau von Anorthosit und
                                                           verständlicher Informationen.
eine weitere zum Schürfen von Rubinen waren in
Betrieb. Anorthosite sind ein wichtiger Ausgangs-          Interessenvertretung der Inuit auf nationaler wie
stoff für die Herstellung von Steinwolle, werden            internationaler Ebene ist die grönländische Sek-

                                                      10
tion des Inuit Circumpolar Council (ICC) (dt. etwa:        wollen vorbereitet sein, sollte die Bevölkerung
Pol umspannender Rat der Inuit), in dem die Orga-          Grönlands sich für die Unabhängigkeit von Däne-
nisationen der Inuit aus allen Teilen der Arktis           mark entscheiden. Nach unterschiedlichen Schät-
zusammengeschlossen sind. Bei seiner Hauptver-             zungen sprechen sich mittlerweile bis zu 64 Pro-
sammlung 2018 verabschiedete der ICC die                   zent dafür aus.
Utqiaġvik-Deklaration, die sich unter anderem für
                                                           China betrachtet Grönland als willkommenen Zwi-
eine verantwortungsvolle Bergbaupolitik und für
                                                           schenstopp an seiner „polaren Seidenstraße”. Eine
die Nutzung indigenen Wissens bei jeglichem Ab-
                                                           kleine Eisbrecherflotte soll China den Zugang zum
kommen zur Regulierung der Hochseefischerei
                                                           Nordpolarmeer ermöglichen. Als die grönländi-
im Nordpolarmeer ausspricht. Der Verlauf und die
                                                           sche Regierung Aufträge für insgesamt drei große
Nutzung des Meereises und die Nutzung der Po-
                                                           Flughäfen ausschrieb, bewarb sich China um den
larmeerküste sollten aufgezeichnet und kartiert
                                                           Zuschlag – ohne Erfolg. Vor allem Dänemark und
werden.
                                                           die nicht-indigenen Grönländer*innen hatten
Konkrete Vorstellungen davon, wie sie aus dem              Bedenken, denn China ist dafür bekannt, sich im
Klimawandel Kapital schlagen könnte, hat die Au-           Tausch gegen Infrastruktur-Projekte wie Flughä-
tonomieregierung Grönlands im Februar 2020 pu-             fen, Straßen oder Wasserversorgung Zugang zu
blik gemacht. Grönlands Energieminister Jess               den Rohstoffvorkommen eines Landes zu ver-
Svane von der Siumut-Partei möchte das Schmelz-            schaffen. Arbeitsplätze, auf die die grönländi-
wasser des abtauenden Eises vermarkten. Neun               schen Inuit hoffen, werden dadurch nicht auto-
von insgesamt 16 Lizenzen für die Vermarktung              matisch geschaffen, denn in der Regel bringt Chi-
wurden bereits vergeben. Um die Abhängigkeit               na eigene Mitarbeiter zu seinen Projekten mit.
vom Fischfang als Wirtschaftszweig zu beenden,             Der grönländische Premierminister Kim Kielsen
soll eine neue Öl- und Gasstrategie mit Steuer-            von der Siumut-Partei unterhält gute Beziehun-
nachlässen und neuen Ölfeldern Ölunternehmen               gen zu China. Grönlands Unabhängigkeitsbewe-
anlocken. „Soweit wir sehen können, wird der glo-          gung verspricht sich davon große Fortschritte für
bale Öl- und Gasbedarf weiter steigen. Grönland hat        die wirtschaftliche Eigenständigkeit. Zurzeit ist
das gleiche Recht wie alle anderen Nationen, diese         der Haushalt des Autonomiegebietes noch von
Einkommensquelle zu nutzen, bis auf der Welt aus-          Kopenhagen abhängig. Grönland verhandelt mit
reichend erneuerbare Energie gewonnen werden               China, aber auch mit anderen außereuropäischen
kann“, sagte Svane.                                        Staaten wie Kanada, was von Beobachtern als
                                                           starkes Zeichen für die Ambitionen der Autono-
Grönland und China                                         mieregierung in Richtung Unabhängigkeit gewer-
                                                           tet wird. Im Oktober 2017 besuchte eine grönlän-
Russland, China und die USA wetteifern um den
                                                           dische Delegation unter Führung von Kielsen Bei-
Zugriff auf die grönländischen Rohstoffe. Das In-
                                                           jing und sprach dort über eine stärkere Zusam-
teresse des US-Präsidenten Donald Trump an ei-
                                                           menarbeit in den Bereichen Fischerei, Bergbau
nem Kauf Grönlands ist deutliches Zeichen für
                                                           und Tourismus. Außerdem wurde eine Eröffnung
den Machtanspruch der USA. Im April 2020 wurde
                                                           wechselseitiger Niederlassungen in Nuuk und Bei-
bekannt, dass die USA die Beratertätigkeit von US-
                                                           jing in die Wege geleitet.
Spezialisten für die Bereiche Bildung und Roh-
stoffe auf Grönland großzügig mit 12,1 Millionen            China hat bereits enorme Summen in den Abbau
US-Dollar unterstützen. Außerdem haben sie                 von Uran und Zink in Kvanefjeld und von Eisenerz
2020 ein Konsulat auf Grönland eröffnet. Die USA            in Issua investiert. Der Kauf einer ehemaligen und

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jetzt verlassenen Einrichtung der US-Marine bei            Noch immer verlässt fast jeder dritte Jugendliche
Grønnedal und die Beteiligung Chinas am Bau der            in Grönland die Schule ohne Abschluss. Kleist er-
drei Flughäfen scheiterten dagegen am Einspruch            innert daran, dass die Grönländer längst so gut wie
Dänemarks. Insgesamt erreichten die Investitio-            alle innerstaatlichen Aufgaben hätten überneh-
nen Chinas in Grönland Anfang 2019 einen Anteil            men können – von der Gerichtsbarkeit, über die
von 11,6 Prozent am grönländischen Bruttosozial-           Polizei bis zur Fischereiinspektion. Dänemark wol-
produkt.                                                   le lediglich die Kontrolle über die Außen- und
                                                           Sicherheitspolitik behalten. „In dem Gesetz zur
Kupik Kleist, von 2009 bis 2013 Ministerpräsi-
                                                           Selbstverwaltung wurde uns von Dänemark zuge-
dent Grönlands, sieht diese Entwicklung skep-
                                                           standen, 32 hoheitliche Aufgaben zu übernehmen.
tisch. „Untersuchungen haben ja gezeigt, dass wir
                                                           Aber wir haben in zehn Jahren gerade einmal eine
wirtschaftlich gar nicht auf eigenen Beinen stehen
                                                           dieser Aufgaben übernommen – die Aufsicht über
könnten, wenn die jährlich 500 Millionen Euro aus
                                                           die Rohstoffe. Viele Leute reden bloß gerne über die
Dänemark wegfielen. Die könnten wir vielleicht
                                                           Unabhängigkeit, aber tun nichts dafür. Sie haben
zwar irgendwann mit großen Gewinnen aus dem
                                                           dafür keinen Plan, zum Beispiel für bessere Bildung.
Tourismus und dem Abbau von Bodenschätzen
                                                           Das wäre für mich eine Grundvoraussetzung für ei-
wettmachen. Aber selbst dann müssten wir uns
                                                           ne erfolgreiche Staatengründung.“
eingestehen, dass das Bildungsniveau auf Grönland
für einen solchen Schritt schlicht zu niedrig ist.“

                                                                        Ist Kreuzfahrttourismus Grönlands Zukunft?
                                                                                  Foto: Aline Dassel, Pixabay 2009

                                                      12
Schatzkammer Sibirien –
nur nicht für die Indigenen

Sibirien ist eine Schatzkammer, reich gefüllt mit           der Russischen Föderation entsprach. Nach hefti-
Öl, Gas, Kohle, Edelmetallen, Edelsteinen und an-           gen weltweiten Protesten wurde die Organisation
deren Schätzen. Es umfasst den größten Teil des             zwar wiedereröffnet, unabhängig handeln kann
asiatischen Territoriums von Russland sowie den             sie jedoch nicht mehr. An ihrer Spitze steht jetzt
Norden von Kasachstan und ist mit seinen rund               ein Vertreter der Putin-Partei Einiges Russland.
16 Mio. Quadratkilometer Fläche größer als Euro-            Viele russische Indigene haben RAIPON daraufhin
pa. Die indigenen Gemeinschaften dieses größ-               verlassen und das Netzwerk Aborigen Forum
ten Teils der Arktis leben traditionell mehrheitlich        aufgebaut. Es spart nicht mit Kritik an der Kehr-
von der Rentierhaltung, der Jagd und dem Fisch-             seite des Rohstoffbooms und macht engagiert auf
fang. In Russland werden 40 Völker offiziell als              Menschenrechtsverletzungen an indigenen Völ-
indigene Minderheiten des Nordens, Sibiriens                kern in der russischen Arktis aufmerksam.
und des Fernen Ostens anerkannt. Sie konnten
                                                            Indigene werden häufig schikaniert und kriminali-
ihre traditionelle Lebensweise teilweise beibe-
                                                            siert. So steht ihnen zwar per Gesetz das Recht zu,
halten und siedeln in ihren Territorien im Norden
                                                            als Teil ihrer traditionellen Lebensweise unbe-
und in den asiatischen Teilen des Landes. Die Zahl
                                                            grenzt und ohne Genehmigung Fischfang zu be-
ihrer Mitglieder liegt zwischen unter 200 (Oro-
                                                            treiben. In der Realität können sie jedoch sehr oft
tschen) und 34.000 (Nenzen). Zusammen ma-
                                                            nicht frei entscheiden, wann und wo sie welche
chen sie nach Angaben der dänischen NGO IWGIA
                                                            Art von Fisch fangen. Sie bekommen oft Fang-
260.000 Menschen aus.
                                                            plätze zugewiesen, die für eine Selbstversorgung
Die Russische Föderation hat die Konvention 169             vollkommen ungeeignet sind. In einem Fall lag er
der ILO nicht ratifiziert und ist auch der UN-Dekla-         150 Kilometer vom Dorf der Fischer*innen ent-
ration zu den Rechten indigener Völker nicht bei-           fernt. Früher zogen die Indigenen in kleinen mo-
getreten, sondern hat sich in der UN-Vollversamm-           bilen Einheiten durch die Tundra und Taiga Sibi-
lung 2007 der Stimme enthalten. Ratifiziert hat              riens, inzwischen werden sie zunehmend sess-
die Russische Föderation das Rahmenüberein-                 haft gemacht und verlieren zusehends die eigene
kommen zum Schutz nationaler Minderheiten des               Kultur und Lebensweise. Mehr als neunzig Pro-
Europarates. Die rechtliche Stellung der indige-           zent sind heute sesshaft. Die Rentierzüchter*in-
nen Völker in Sibirien ist daher wesentlich schwä-          nen in Sibirien sind schon jetzt Opfer der interna-
cher als die indigener Völker in anderen Teilen der         tionalen Energiepolitik, insbesondere der Koope-
Arktis. Der Dachverband der indigenen Gemein-               ration zwischen Russland und Deutschland bei
schaften RAIPON wurde im November 2012 offi-                  Förderung und Transport von Erdgas (Nord Stream
ziell geschlossen, weil der Aufbau der Organisati-          2). Ihre Institutionen werden vom Staat anders als
on angeblich nicht den gesetzlichen Vorgaben                in Schweden, Norwegen oder Finnland behindert

                                                       13
oder gar verhindert. Wer versucht, die traditionelle        vorkommen in der Arktis investieren.
Lebensweise weiterzuführen, wird eingeschüch-
                                                            Die Taimyr-Halbinsel ist die Heimat von Dolganen,
tert und verfolgt.
                                                            Nenzen, Nganassanen, Ewenken und Enzen. Mitte
                                                            der 1960er Jahre begann die Regierung, das wirt-
Die Taimyr-Halbinsel in Nordsibirien                        schaftliche Potential der russischen Arktis zu ent-
wird geplündert – zu Lasten der Indigenen                   decken. Frühere Weideflächen für Rentiere muss-
                                                            ten Raffinerien, Bergbaubetrieben und Eisen-
Taimyr gilt als das neue Eldorado von Russlands
                                                            bahnstrecken weichen. Nomadisierende Gemein-
„Wildem Norden“. Dort lagern 22 Millionen Ton-
                                                            schaften wurden häufig in die Sesshaftigkeit ge-
nen Kupfer, 12 Millionen Tonnen Nickel, 1,7 Mil-
                                                            zwungen. Die Dolganen mussten ihren Siedlungs-
liarden Tonnen Eisenerz, mehrere Millionen Ton-
                                                            platz Ust-Awam sogar selbst erbauen. Etwa 700
nen Kohle sowie Erdöl und Erdgas. Es gibt auch
                                                            Menschen leben heute dort. Trotz der Sesshaftig-
große Vorkommen an Lithium, das genauso wie
                                                            keit spielt das Rentier immer noch eine wichtige
Nickel für Batterien von Elektroautos wichtig ist.
                                                            Rolle im Leben der kleinen Völker. Das traditionel-
Die deutsche Auto-Zulieferindustrie sichert sich
                                                            le Verwerten der Rentiere ist noch erlaubt. Es bil-
bereits Rohstoffe aus der Arktis. Auch das russi-
                                                            det für die indigenen Völker eine wichtige Nah-
sche Unternehmen Nornickel setzt auf eine stei-
                                                            rungs- und Einnahmequelle. Mit einem staatli-
gende Nachfrage nach „umweltfreundlichen“
                                                            chen Betrieb für die Rentierzucht beschneidet die
Elektroautos in Europa. Es investiert in Taimyr
                                                            Regierung jedoch die wirtschaftliche Autonomie
Milliardenbeträge in die Nickelproduktion. Dabei
                                                            der indigenen Rentierhalter. Sie leiden unter Ver-
wird jedoch giftiger Staub freigesetzt, der die Luft
                                                            boten und Schikanen. Das Recht, freilebende Ren-
belastet, und Transportwege zerstören die Um-
                                                            tiere zu bejagen, wird für die Indigenen einge-
welt. Der Abbau begehrter Ressourcen führt im-
                                                            schränkt, obwohl das russische Verfassungsge-
mer wieder zur Verseuchung von Flüssen auf Tai-
                                                            richt im Mai 2019 zu ihren Gunsten entschieden
myr, da Pipelines oder Abraumbecken für Klär-
                                                            hat. Die Zahl der wilden Rentiere sei dramatisch
schlamm leck schlagen. Ein schwerer Unfall er-
                                                            zurückgegangen, heißt es zur Begründung. Neu
eignete sich am 29. Mai 2020. Aus einem vermut-
                                                            hinzuziehende Arbeitskräfte erhalten jedoch wei-
lich durch auftauenden Permafrostboden be-
                                                            terhin großzügig Jagdlizenzen. Auch der Konzern
schädigten Treibstofftank liefen große Mengen
                                                            Vostok Coal zerstört den Lebensraum der wilden
Diesel aus und verseuchten Flüsse und Seen in
                                                            Rentiere. Er verletzt Lizenzverträge und dringt in
der Umgebung von Norilsk. „In der Region Taimyr,
                                                            geschützte Gebiete vor. Der Bau von zwei Hafen-
nördlich des Unglücksortes, leben Dolganen und
                                                            terminals und einer Bahnstrecke für den Abtrans-
Nenzen“, berichtet Tjan Zaotschnaja, ehrenamt-
                                                            port der Kohle aus den abgelegenen Fördergebie-
liche Sibirien-Expertin der Gesellschaft für be-
                                                            ten hat ebenfalls schlimme Folgen für die emp-
drohte Völker. „Die Jäger, Sammler und Fischer dort
                                                            findliche arktische Umwelt.
sind auf die jetzt verseuchten Flüsse und Seen an-
gewiesen – auf die Fische, Zugvögel, aber auch das          Weil er sein Recht auf Rentierjagd in Anspruch
Trinkwasser für sich und ihre Rentiere. Der Diesel          nimmt, wurde der Dolgane Gennadij Schtschukin
bedroht nicht nur ihre traditionelle Lebensweise,           aus Ust-Awam schikaniert. Drei Jahre lang musste
sondern auch ganz konkret ihr Leben.“  Vor den            er sich immer wieder wegen angeblich illegaler
Küsten wird außerdem nach Erdöl und Erdgas ge-              Jagd vor Gericht verantworten. Sein Anwalt ver-
sucht. Russland will bis zum Jahr 2025 drei Mil-            wies zwar auf das Recht, dass den Indigenen pro
liarden Euro in die Erschließung neuer Rohstoff-             Person jährlich acht Rentiere zustehen und dass

                                                       14
sie dieses Recht auch auf andere Mitglieder ihrer         schläge zerstörten 2013/2014 alle Häuser in
Gemeinschaft übertragen können. Trotzdem wur-             Kazas, so auch das Haus von Yana und Vladislav
de Schtschukin 2017 zu einer Geldstrafe verur-            Tannagasheva. Die Schoren werteten dies als Teil
teilt, später aber amnestiert. Weil ihm das jedoch        eines Planes der Kohleindustrie, sie zu vertreiben.
nicht ausreichte, wandte er sich an das Verfas-           Denn das Unternehmen kontrollierte mit einem
sungsgericht der Russischen Föderation. Das Ge-           Checkpoint den Zugang zu dem Dorf und hätte
richt urteilte im Mai 2019 zu seinen Gunsten. Das         den Brandanschlag verhindern können. Auf regio-
Recht, bis zu acht Tiere pro Jahr zu erlegen, sei         naler und nationaler Ebene wurde eine Hetzkam-
tatsächlich innerhalb der Gemeinschaft übertrag-          pagne gegen die politisch aktiven Schoren ge-
bar, nur dürfe das Gesamtkontingent aller Ge-             startet, die ihre Proteste dennoch fortsetzten.
meinschaftsmitglieder nicht überschritten wer-            Yana Tannagasheva verlor ihre Arbeit. Polizei, der
den. Das Verfassungsgericht wies die unteren              Geheimdienst FSB und das Kohleunternehmen
Instanzen an, ihre Urteile mit dem des Verfas-            bedrohten sie. Ihr Telefon wurde abgehört, die
sungsgerichts in Übereinstimmung zu bringen.              Familie wurde engmaschig überwacht, sogar die
Gennadij Schtschukin ist rehabilitiert.                   Kinder wurden bedroht. Schließlich wurde die
                                                          Situation zu gefährlich und Familie Tannagasheva
                                                          musste ihre Heimat verlassen.
Steinkohleabbau zerstört Existenzen
der Schoren                                               Kemerowo gehört zum Kuzbass, einem der größ-
                                                          ten Kohlebecken der Welt. Hier gibt es 58 Minen
Etwa 10.000 der insgesamt 13.000 Schoren le-
                                                          und 36 Tagebaue. Der Abbau kann mit minimalem
ben im Bezirk Kemerowo, Republik Chakassien, in
                                                          Aufwand betrieben werden. Rekultivierung nicht
einem der großen Kohlereviere Russlands im Sü-
                                                          mehr benötigter Stätten findet nicht statt. Das
den Westsibiriens. In ihrem Land wird Steinkohle
                                                          Dorf Rassvet in der Region Novokudznetsk musste
für den Export abgebaut. Viele Schoren wurden
                                                          wegen des Unternehmens Coal Energy schon
durch die Kohleförderung aus ihren Dörfern ver-
                                                          dreimal verlegt werden. Seit 2009 wird dort Kohle
trieben, was dazu führte, dass heute rund 74
                                                          im Tagebau gewonnen. Die Sprengungen erschüt-
Prozent von ihnen in Städten leben. Ihre Sprache
                                                          tern die Fundamente der in der Nähe stehenden
wird jedoch vornehmlich in den Dörfern gespro-
                                                          Häuser und zerstören sie. Die Menschen werden
chen, so dass sie heute akut vom Aussterben be-
                                                          von dem unablässig niederrieselnden Kohlestaub
droht ist. Auch das traditionelle Kunsthandwerk
                                                          krank.
der Schoren stirbt nach und nach aus.

Schoren, die sich gegen die Kohleindustrie weh-
                                                          Öl und Gas auf Kosten der Jamal-Nenzen -
ren, werden kriminalisiert und verfolgt. Das
                                                          Deutschland profitiert durch Nord Stream 2
Schicksal von Yana Tannagasheva aus dem Dorf
Kazas in Kemerowo ist dafür ein trauriges Bei-            Das autonome Gebiet der Jamal-Nenzen auf der
spiel: Einige Schoren leben hier noch immer sehr          Halbinsel Jamal ist das Hauptfördergebiet Russ-
traditionell in kleineren Orten oder Dörfern im           lands für Gas. Das Leben der Nenzen, das sie dort
Süden dieser Region von Fischfang und dem Sam-            seit Generationen mit ihren Rentierherden teilen,
meln von Pinienkernen (Cedar nuts). Viele Jahre           ändert sich derzeit dramatisch. Etwa 15.000 Nen-
haben sie sich hartnäckig gegen den Kohleberg-            zen gibt es auf Jamal, 10.000 von ihnen sind Ren-
bau gewehrt, der sich immer weiter in ihre bis            tier-Hirten. Sie leiden immer stärker unter der
dahin unberührte Natur hineinfrisst. Brandan-             steigenden Nachfrage nach Erdöl, Erdgas und

                                                     15
Mineralien. Pipelines durchziehen Weidegebiete              Organisationen die Interessen der indigenen Völker
ihrer Herden und zerstören ihren Lebensraum.                nicht schützen können oder wollen. Es werden im-
Die Errichtung der Infrastruktur für diese Indu-            mer neue Gasfelder erschlossen im Norden und Os-
strie hat auf den Permafrostböden gewaltige                 ten der Halbinsel bis hin zur anderen Seite des Ob-
Schäden hinterlassen. Es wird Jahrzehnte dauern,            Delta. Das Netz der Gas-Pipelines breitet sich über
bis sich die Natur davon erholt, wenn überhaupt.            das ganze Land aus. Und für jede Pipeline und jede
Gas, das an Ölbohrstellen entweicht und nicht ge-           Straße nehmen sie den Rentier-Hirten ein weiteres
nutzt werden soll, wird abgefackelt und ver-                Stück Land. Die Hirten weichen dann auf das rest-
schmutzt die Luft. Waldbrände in der sibirischen            liche Land aus, aber das wird zur Folge haben, dass
Arktis nehmen durch anhaltende Hitze und Tro-               die Herden irgendwann kleiner werden müssen und
ckenheit dramatische Ausmaße an.                           die Rentierhalter in Konkurrenz zueinander um das
                                                            Weideland geraten werden.“ In letzter Konsequenz
Auf Jamal kommt es immer wieder zu Razzien
                                                            könne das sogar bedeuten, dass Teile der Herden
durch den Dienst zum Schutz der Bioressourcen
                                                            geschlachtet werden müssten oder verhungern
(Bioresources Conservation Service) der Regional-
                                                            würden, weil das verbleibende Land sie nicht
regierung. Dabei werden die indigenen Siedlun-
                                                            mehr alle ernähren könne. „Ich glaube, dass in den
gen regelmäßig mit Helikoptern überflogen, um
                                                            nächsten beiden Jahrzehnten sehr viele Rentiere
das Verhalten der Indigenen zu überwachen. Im-
                                                            auf Jamal sterben werden. Immer mehr Indigene
mer wieder kommt es zu willkürlicher Beschlag-
                                                            werden sich in festen Dörfern niederlassen, was für
nahme von Nahrungsmitteln und Jagdwaffen. In
                                                            sie zu sozialem Niedergang, zu Alkoholmissbrauch
einem Fall, den die dänische NGO IWGIA doku-
                                                            und dergleichen führen kann. Sie werden ihre Spra-
mentierte, wurden einem Nenzen alle seine Jagd-
                                                            che und ihre traditionelle Lebensweise verlieren. So
waffen abgenommen, obwohl er eine gültige Li-
                                                            wird, denke ich, die Zukunft sein.“ 
zenz hatte. Auch sein Wintervorrat an gefrorenem
Fisch wurde konfisziert, obgleich er für sich und            Für die Nenzen kommt erschwerend hinzu, dass
seine Familie eine Fangquote erhalten hatte.                die Unternehmen Wanderarbeiter anlocken, die
                                                            sich in der Gegend niederlassen, eine Konkurrenz
Die Nenzen können sich nur schwer gegen die
                                                            werden für die Fischer und auch wildern. Der ab-
Zerstörung ihrer Lebensgrundlage wehren. „Es hat
                                                            tauende Permafrost setzt Milzbranderreger frei,
einige Versuche auf regionaler Ebene gegeben sich
                                                            auch als „sibirische Krankheit“ bekannt, und ge-
zu organisieren“, berichtet Dmitry Berezhkov. Er
                                                            fährdet damit Menschen und Tiere zusätzlich.
war vor dessen vorübergehender Schließung Prä-
sident des heute weitgehend entmündigten indi-              Russland und Deutschland sind in der Öl- und
genen Dachverbandes RAIPON und lebt seit 2017               Gas-Wirtschaft enge Partner. Deutlich wird das
als politischer Flüchtling in Norwegen. „Es gibt            unter anderem an einem aktuellen Großprojekt,
zum Beispiel eine Vereinigung der Rentierhirten.            der Pipeline Nord Stream 2. Sie verläuft von der
Aber die Führung aller Organisationen wird kon-             Jamal-Halbinsel durch die Ostsee bis in die Nähe
trolliert oder steht unter dem Einfluss des Staates          von Greifswald im Nordosten von Mecklenburg-
und der Öl- und Gasunternehmen. Sie organisieren            Vorpommern. Es wird erwartet, dass die Pipeline
sehr gern Festivals, Feiern zu Ehren der Rentier-           Ende 2020 bis Anfang 2021 in Betrieb genom-
Hirten, Sportwettbewerbe oder Veranstaltungen für           men wird. Sie soll jährlich mehr als 55 Milliarden
Kultur und Sprache. Aber wenn es zum Konflikt                Kubikmeter Gas nach Deutschland und in andere
zwischen den Rentier-Hirten und der Gas- und Öl-            europäische Länder befördern.
industrie kommt, zeigt uns die Erfahrung, dass diese

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Nicht nur die Jamal-Nenzen, die im Fördergebiet           menzentrum von Gazprom auf der Jamal-Halbin-
leben, leiden unter den Folgen der Förderung              sel, soll zudem ein großes petrochemisches Werk
dieses Gases. Auch indigene Völker an der Ostsee,         entstehen. Gazprom will dort Polyethylene und
in der Umgebung der Stadt Sankt Petersburg, sind          Polypropylene (Plastik) produzieren.
von Nord Stream 2 betroffen. Die Route verläuft
                                                          Rosneft plant mit seinem Unternehmen Vostok
durch das Biosphärenreservat Kurgalskij in der
                                                          Oil ebenfalls die Erschließung dreier neuer Öl-
Region St. Petersburg und wird dort viele ge-
                                                          felder im Gebiet des Vankor-Öl- und Gasfeldes.
schützte Tier- und Pflanzenarten in akute Gefahr
                                                          Für den Export ist eine neue Pipeline zur Taymir-
bringen und die Natur nachhaltig schädigen.
                                                          Halbinsel geplant.
Woten, Ischoren und Ingermanlander, die in dieser
Region leben, werfen dem Betreiber Gazprom vor,           Woher soll die Energie für diese und andere in
dass sie nicht angemessen in die Planung der              Sibirien geplante Projekte kommen? Eine Mög-
Pipeline-Route einbezogen wurden. Altkanzler              lichkeit wäre der Ausbau einer Technologie zur
Gerhard Schröder ist Präsident des Nord-Stream-           Energiegewinnung mit schwimmenden Atom-
2-Verwaltungsrates und muss sich Mitverantwor-            kraftwerken (AKW), die Russland gerade erprobt.
tung für diese Menschenrechtsverletzungen vor-            Mit der Akademik Lomonossow ging der Prototyp
werfen lassen.                                            vor der Küste von Pewek im Autonomen Kreis der
                                                          Tschuktschen, der Tschukotka, bereits in Betrieb.
                                                          Gebaut wurde das mit zwei Reaktoren ausgestat-
Energiepolitik a la Russia – das schwimmende
                                                          tete Atom-Schiff zehn Jahre lang in Murmansk. Es
AKW Akademik Lomonossow
                                                          wurde von dort bis nach Pewek geschleppt, wo es
Russland setzt für seine wirtschaftliche Zukunft          im September 2019 festmachte. Die Akademik
stark auf die russische Arktis und die Ausbeutung         Lomonossow soll drei russische Bohrinseln vor
der Öl- und Gasreserven an Land und vor der               Tschukotka und die Stadt Pewek mit Energie ver-
Küste. Zahlreiche neue Projekte sind in Planung.          sorgen. Sie gilt als Prototyp für eine Flotte
Dabei sind neue petrochemische Komplexe und               schwimmender AKWs, mit denen Russland abge-
Pipelines inbegriffen. Am 30. Januar 2020 wurde            legene Gegenden mit Energie versorgen will. Die-
ein neues Arktisgesetz verabschiedet. 210 Milli-          se Kraftwerke sollen aber auch in einer kleineren
arden Euro sollen demnach in ein Investitionspro-         Version auf dem Weltmarkt angeboten werden.
gramm für die Ölförderung in der russischen Ark-          Umweltschützer kritisieren diese Technologie als
tis fließen. Darüber berichtet der Online-Nach-            sehr riskant, da man die Schiffe kaum vor äußeren
richtendienst Barents Observer (4. Februar 2020).         Bedrohungen wie Stürmen oder Terrorakten
Die Erschließung der Seewege im Arktischen Oze-           schützen könne und bezeichneten die Akademik
an habe für Waldimir Putin eine sehr hohe Priori-         Lomonossow bereits als schwimmendes Tscher-
tät. Zuständig für die Planungen sind der Minister        nobyl oder Atom-Titanic. Dagegen sei die Tschu-
für den Fernen Osten und die Arktis, Aleksandr            kotka bestens für Windkraftanlagen geeignet.
Kozlov, und der stellvertretende Premierminister          Diese Kritik lässt Russland nicht gelten. Befürwor-
mit Sonderbereich für den Fernen Osten, Jury              ter der AKWs halten den Kritikern entgegen, dass
Trutnev. Gefördert wird das Arktis-Engagement             die Windenergie „eine teure, umweltschädliche
durch enorme Steuerprivilegien bis hin zum Er-            Dieselunterstützung oder einen teuren Energiespei-
lass der Steuern für die ersten zwölf Jahre nach          cher“ erfordere und daher keineswegs sauber
Beginn eines Projekts. Allein Gazprom plant drei          oder umweltfreundlich sei.
neue Ölförderprojekte. In Bovonenkovo, dem Fir-

                                                     17
Nenzen mit ihren Rentieren
Foto: Grigorii Pisotsckii/Shutterstock.com
Sápmi: Die Sami zwischen
Rentierzucht, Windparks
und Bergbau                                   

Sápmi, wie die nach Schätzungen insgesamt bis               terhalt über kurz oder lang nicht mehr aus der
zu 100.000 Sami selbst ihr traditionelles Territori-        Rentierhaltung bestreiten können und gezwun-
um nennen, umfasst den Norden Skandinaviens                 gen sein werden, ihren Beruf und damit eine Jahr-
und den größten Teil der Kola-Halbinsel. Etwa               hunderte währende Kultur aufzugeben. 
20.000 von ihnen leben in Schweden, betreiben
Rentierhaltung, Landwirtschaft, Jagen, Sammeln
                                                            Norwegen - Grüne Energie auf Kosten der Sami
und Fischen. 50.000 bis 70.000 Sami gibt es in
Norwegen, etwa 8.000 in Finnland und gut 2.000              Norwegens Energiewirtschaft ist zunehmend ge-
in Russland.  In Norwegen, Schweden und Finn-              prägt von Windkraftanlagen, die für Abnehmer
land haben sie jeweils eigene Vertretungen durch            aus dem Ausland produzieren und zum Teil heftig
Sami-Parlamente (SAMEDIGGI), auf der Kola-                  umstritten sind, insbesondere dann, wenn sie in
Halbinsel gibt es eine Vereinigung der Kola-Sami.           Regionen liegen, die von den Sami als Rentierwei-
Im Jahr 2000 gründeten die drei skandinavischen             de genutzt werden. Die Sami haben bereits viel
Sami-Parlamente den übergeordneten Parlamen-                Weideland u.a. durch Projekte der Forst- und
tarischen Rat der Sami (Sami Parliamentary Coun-            Energiewirtschaft verloren. Insgesamt leben etwa
cil). Darüber hinaus vertritt der Samirat (Sami             600 bis 1000-Sami im Süden Norwegens.
Council) als NGO die Interessen samischer NGOs
                                                            Storheia auf der Fosen-Halbinsel im Südwesten
in allen vier Staaten.
                                                            Norwegens ist das wichtigste Winterweidegebiet
Kaum zehn Prozent aller Sami leben heute noch               der samischen Rentierzüchter-Gemeinschaft
ausschließlich von der Rentierwirtschaft, in der            Åerjel Njaarke Sijte. Rund 44 Prozent dieses
die Kultur aller Sami aber nach wie vor stark ver-          Gebiets dienen den Sami als Winterweide für ihre
wurzelt ist. Die wirtschaftliche Erschließung der           Tiere. Doch ausgerechnet hier soll ein großer
Arktis durch Rohstoffförderung, Energiewirt-                 Windpark entstehen. Zwar wurden die Sami zum
schaft und die dazugehörige Infrastruktur behin-            Projekt Storheia konsultiert. Entschieden wurde
dert die Bewegungsfreiheit der Rentierherden                dann aber über ihren Kopf hinweg. Die Windener-
und der Hirten und führt immer öfter auch zum               gieanlage in Storheia soll zu einer der größten
Verlust von Weiden. Im Ernstfall müssen Sami-               Onshore-Anlagen Europas ausgebaut werden.
Hirten Futter für ihre Tiere hinzukaufen oder -             Seit 2016 werden hier von dem Konsortium Fosen
wenn ihnen dafür das Geld fehlt - die Herden ver-           Vind SA 80 Windturbinen, 60 Kilometer Straßen
kleinern. Das führt dazu, dass sie ihren Lebensun-          und eine Hochspannungsleitung errichtet.

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Haupteigentümer ist mit 52,1 Prozent Statkraft            ner Norwegens landesweit zusammengeschlos-
(staatlicher norwegischer Energiekonzern). Eben-          sen sind, protestierte schriftlich bei den Stadt-
falls große Anteile hat mit 40 Prozent Nordic Wind        werken München gegen die neuen Windparks.
Power DA, ein Konsortium europäischer Investo-            Norwegen selbst brauche sie nicht, denn das
ren, gegründet von der Credit Suisse Energy Infra-        Land könne seinen Energiebedarf aus Wasser-
structure Partners AG. Im Dezember 2018 forderte          kraft decken. Dagegen würden Windanlagen die
das UN-Committee on the Elimination of Racial Dis-        Natur zerstören, von der der Tourismus lebe, der
crimination (CERD) Norwegen dazu auf, das Pro-            auch bei deutschen Reisenden sehr beliebt sei.
jekt auszusetzen. Es sollte einer Klage nachge-           Eines der vier neuen Windkraftprojekte soll im
gangen werden, dass das Projekt der Rentier-Wei-          Gebiet Stokkfjellet entstehen. Damit droht den
dewirtschaft der Sami schade. Zwar wurde CERD             dort lebenden Sami eine große Katastrophe, denn
daraufhin versichert, dass man auf die Eingabe            die Windanlagen des Stokkfjellet werden die
antworten werde, dass dies aber keine aufschie-           Wanderroute ihrer Rentiere blockieren. Es gebe
bende Wirkung habe, da das Projekt über alle              heftige Proteste der lokalen Bevölkerung gegen
nötigen Genehmigungen verfüge und schon fast              die Windanlagen, da sie zudem die Natur zerstö-
vollendet sei.                                           ren, die Artenvielfalt verkleinern, Adler und ande-
                                                          re Vögel gefährden würden. Darüber informierten
Den Ruf der Windenergie als saubere Energie
                                                          die Trondheimer Grünen am 8. Januar 2019 die
nutzen auch die Stadtwerke München (SWM), die
                                                          Stadtratsfraktion „Die Grünen - Rosa Liste“ in Mün-
in einer Kooperation mit dem kommunalen nor-
                                                          chen.
wegischen Unternehmen Trønderenergie vier
neue Windparks bauen. Sie sollen die Windparks,
die München bereits in Norwegen errichtet hat,            Kupfermine Repparfjord
ergänzen. Denn die Kommune will bis 2025 ihren
                                                          Die norwegische Regierung hat im Februar 2019
gesamten Strombedarf aus grüner Energie de-
                                                          dem Unternehmen Nussir ASA die Genehmigung
cken. Dazu brauchen die Stadtwerke auch Wind-
                                                          erteilt, am Repparfjord Kupfer, Silber, Gold und
energie aus Norwegen. Die vier Kraftwerke sollen
                                                          andere Metalle abzubauen. Zu den Hauptgeldge-
geschätzt 300 Millionen Euro kosten und zusam-
                                                          bern des Projektes gehört nach Recherchen der
men 330 Megawatt Leistung bringen. Die
                                                          Gesellschaft für bedrohte Völker – Schweiz die
deutsch-norwegische Holding gehört zu 70 Pro-
                                                          schweizerische Großbank Credit Suisse als „No-
zent den Stadtwerken München. Deren Invest-
                                                          minee Shareholder“ für unbekannte Kunden. Sie
mentdirektor Christian Vogt wechselte Anfang
                                                          hält mit 20,6 Prozent den zweitgrößten Aktienan-
2019 als Geschäftsführer der Holding nach Nor-
                                                          teil an der Nussir ASA. Im Rahmen der Kampagne
wegen.
                                                          „Toxic Waste in Repparfjord? Credit Suisse: Stop
Der Verein „La Naturen Leve“ (frei übersetzt: Die         banking against the Sami“ fordern die betroffenen
Natur soll leben), in dem gut 3.000 Windparkgeg-          Sami-Gemeinschaften, das Sami-Parlament und

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die Gesellschaft für bedrohte Völker - Schweiz die          Quarzabbau am Nasafjell
Credit Suisse auf, auf ihre Dienstleistung als Nomi-
                                                            Die Rechte der Sami in Norwegen und Schweden
nee Shareholder im Fall Nussir ASA zu verzichten.
                                                            verletzt ein Projekt für den Quarzabbau im Nasa-
Zusätzlich sollen sich alle beteiligten Akteure
                                                            fjell, das von der Grenze durchquert wird. Das
dem „Free, Prior and Informed Consent“ (FPIC)
                                                            Projekt wurde von Norwegen bereits genehmigt
verpflichten, einem völkerrechtlichen Ansatz zur
                                                            und soll von dem norwegischen Unternehmen
Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts in-
                                                            Elkem durchgeführt werden, das seit 2011 teil-
digener Gemeinschaften.
                                                            weise in chinesischem Besitz ist. Elkem will mit
Die Kupfermine liegt im äußersten Norden Nor-               dem geförderten Quarz in eigenen Werken in Nor-
wegens nahe Hammerfest. Profitieren wird vom                 wegen Solarzellen bauen. Die Region ist von gro-
Bergbau die Kommune Kvalsund. Sie erhofft sich               ßer Bedeutung für die norwegischen und schwe-
eine Stärkung des Industriestandorts, neue Ar-              dischen Rentierhalter*innen. Etwa 40.000 Tiere
beitsplätze und die Generierung von Einkommen               ziehen jedes Jahr hier durch. Direkt neben der ge-
und will damit der Abwanderung der Jugend aus               planten Mine befinden sich sowohl der Saltfjellet-
dieser strukturschwachen Region entgegenwir-                Nationalpark als auch das gleichnamige Land-
ken. Umweltzerstörung und ihre Folgen für die               schaftsschutzgebiet. Bisher konnte Elkem noch
samischen Rentierzüchter*innen werden in Kauf               keine Einigung mit den Rentier-Sami erzielen.
genommen. Sami und Umweltaktivist*innen ste-                Diese ist als Teil des Genehmigungsverfahrens
hen dem Gesamtprojekt kritisch gegenüber. Be-               aber notwendig. Im Oktober 2017 stellte das Un-
sonders groß ist die Sorge, weil der Abraum des             ternehmen einen Antrag auf Enteignung der Sami
Kupferabbaus im Repparfjord verklappt werden                beim Ministerium für Handel und Industrie. Die
soll. Die norwegische Regierung versichert zwar,            Quarzminen würden das Weidegebiet der Sami
dass dies keine negativen Auswirkungen haben                durchschneiden und die Rentierhaltung dadurch
werde. Erfahrungen mit einer früheren Off-Shore-             deutlich erschweren. Auch die schwedische Men-
Deponie im Repparfjord zeigten aber, dass die               schenrechtsorganisation Civil Rights Defenders
Lachs- und Kabeljaubestände stark zurückgingen              befürchtet, dass der Bergbau die Menschenrechte
und sich erst nach 13 Jahren erholten. Zudem be-            der Sami verletzen wird. Sie forderte das Ministe-
findet sich die Kupfermine in einem wichtigen                rium eindringlich auf, den Antrag auf Enteignung
Weidegebiet der samischen Rentier-Hirt*innen.               abzulehnen. Die norwegischen und schwedi-
Wenn sie es nicht mehr voll nutzen können, dann             schen Sami verkündeten, dass keine Einigung zu-
können sich die Tiere im Sommer nicht genug Re-             stande kommen würde, wenn es nach ihnen gin-
serven anfressen, um den Winter zu überstehen.              ge, und beriefen sich auf ihr Recht als indigenes
Die Sami müssten dann zusätzlich füttern, was mit           Volk. Ein Ende der Anhörungen war für den 10.
hohen Kosten verbunden ist. In letzter Konse-               Januar 2020 vorgesehen. Ein Urteil war Anfang
quenz müssten Herden verkleinert oder gar ab-               März 2020 noch nicht bekannt.
geschafft werden, die Sami würden ihre Lebens-
grundlage und damit auch ihre kulturelle Eigen-
ständigkeit verlieren.

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Sami in traditioneller Kleidung mit seinem Rentier
     Foto: Paula Funnell/Flickr (CC BY-NC-ND 2.0)
Die Rechte der Sami in Norwegen                            Leistung von etwa vier Gigawatt erbringen.

Lebensweise, Sprache und Kultur der 50.000 bis             Das Baugebiet nahe Piteå ist Weideland der Sami.
70.000 Sami sind in der norwegischen Verfassung            Hier treiben sie jedes Jahr ihre Herden entlang zu
und durch mehrere internationale Abkommen                  den Sommerweiden im Gebirge und zurück zu
und Konventionen geschützt. Gestützt auf das               einer Halbinsel in der Nähe der Ortschaft. Diese
Sami-Gesetz von 1987 wurde 1989 ein „Same-                 Wanderungen werden durch die Windanlagen zu
ting“ (Sami-Parlament) gegründet, die parlamen-            einem Hindernislauf für die Tiere werden. Das
tarische Vertretung der Sami, welche die in der            Weideland wird an Fläche schrumpfen, die Ren-
Verfassung verbriefte Stellung der Sami, ihre Kul-         tierhaltung wird immer schwieriger werden. In
tur und ihre Sprache bewahren und vertreten soll.          dieser Gegend soll der Windpark Ersträsk mit ei-
Norwegen hat die Europäische Menschenrechts-               ner Gesamtleistung von 230 Megawatt (MW) und
konvention (EMRK) ratifiziert. Art. 92 des Grunn-           der Windpark Markbygden mit einer Gesamtlei-
loven (norwegische Verfassung) garantiert den              stung von 844,2 MW entstehen. Einen Teil der
Schutz der Menschenrechte. Auch das Internatio-            nötigen 800 Millionen Euro erhielt Svevind von
nale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form              der Europäischen Investment Bank und von deut-
von Rassendiskriminierung (CERD) und die UNO-              schen Banken, so der NordLB, KfW, IPEX-Bank und
Pakte sind in Norwegen anerkannt. Außerdem hat             HSH Nordbank. Das gesamte Projekt wird sieben
Norwegen als einziges Land in Skandinavien die             Milliarden Euro kosten. Schon jetzt fürchten viele
ILO-Konvention 169 der UN zu den Rechten indi-             Sami, ihre Rentiere nicht retten zu können und
gener Völker ratifiziert. In Norwegen ist die Ren-          diesen Erwerbszweig aufgeben zu müssen. Trotz-
tierzucht den Sami vorbehalten. Die Landrechte             dem genehmigt Stockholm immer mehr Indu-
der Sami sind durch Art. 14 und Art. 15 der ILO-           strieprojekte auf Rentierweiden. Die Rentierzucht
Konvention 169 und Art. 5 lit. d Ziff. 5 in Verbin-         ist zentraler Bestandteil der samischen Kultur. Nur
dung mit Art. 2 Abs. 1 des Internationalen Überein-        Sami haben in Schweden das Recht, Rentiere zu
kommens zur Beseitigung jeder Form von Rassen-             halten. Doch die Zahl der Sami, die diesem Wirt-
diskriminierung geschützt. Laut diesen Artikeln            schaftszweig nachgehen, geht zurück. Immer we-
sind die Besitzrechte indigener Völker auf ihr             niger können davon leben.
Land zu respektieren und sie müssen bei Ent-
scheidungen über die Verwaltung des Landes
                                                           Gewohnheitsrecht der Sami in Schweden
und seiner Ressourcen einbezogen werden.
                                                           Seit 1993 gibt es in Schweden das Sami-Parla-
                                                           ment (Sameting), das rein beratenden Charakter
Schweden - Riesiger Windpark in Markbygden
                                                           hat. Schweden hat die UN-Konvention 169 der In-
behindert Rentierwanderung
                                                           ternationalen Arbeitsorganisation (ILO 169) nicht
In Markbygden, einem Gebiet nordwestlich von               ratifiziert und ist nicht verpflichtet, die etwa
Piteå, baut das deutsch-schwedische Unterneh-              20.000 Sami bei der Entscheidung über Projekte,
men Svevind gemeinsam mit dem deutschen                    die ihre Lebensbedingungen beeinflussen, einzu-
Windkraftanlagen-Hersteller Enercon einen der              beziehen. Über die Bedingungen für die Rentier-
größten Windparks der Welt. 1101 Anlagen sollen            haltung und um die Vergabe von Lizenzen für
hier in drei Bauphasen bis 2020 gebaut werden.             Jagd und Fischfang gibt es immer wieder Konflik-
Bis zu sieben Milliarden Euro sollen in das Projekt        te. Am 23. Januar 2020 konnten die Sami aus der
investiert werden. Der gesamte Komplex soll eine           Gemeinde Girjas einen ersten Erfolg erringen, der

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in Schweden eine große Kontroverse auslöste. Sie           alle weitreichenden und wichtigen Maßnahmen
gewannen einen knapp zehn Jahre andauernden                auszuhandeln, die sie direkt oder indirekt betref-
Gerichtsprozess, dessen Urteil das samische Ge-            fen. Das schließt Maßnahmen zur Verwaltung, Nut-
wohnheitsrecht über staatliches Recht setzte. Die          zung, Verpachtung und Zuordnung von Staatsland
Sami der klagenden Gemeinde können die Jagd-               und Schutzgebieten ein.
und Fischereilizenzen jetzt selbst ausstellen und
                                                           Eine besondere Stellung haben die Skolt-Sami,
damit der Überfischung und Überjagung durch
                                                           die innerhalb des indigenen Gebietes von Inari
Nicht-Sami wirksam begegnen. Dieser Entscheid
                                                           leben. Der Skolt-Act erkennt ihren Dorfrat als Ver-
löste eine beispiellose Hasskampagne gegen die
                                                           tretungsorgan an und sieht vor, dass er in allen sie
Sami von Girjas aus. In anonymen Botschaften
                                                           betreffenden Angelegenheiten konsultiert wer-
wurden sie wüst beschimpft. „Straßenschilder in
                                                           den soll.
Samisch wurden heimlich abmontiert. Kinder der
Sami berichteten zu Hause, andere Kinder hätten            Das Sami-Parlament hat den finnischen Staat
ihnen in der Schule zugerufen, nun würden ihre             wiederholt dafür kritisiert, dass er den Sami keine
Rentiere abgeschossen. Vergangene Woche war es             Besitzrechte über Land und Ressourcen gewährt,
dann soweit. Die ersten Kadaver von Rentieren wur-         sondern beides für sich in Anspruch nimmt, ob-
den gefunden, zum Teil in Mülltüten gestopft und           wohl die Landfrage offiziell noch nicht geklärt ist.
gut sichtbar entlang der Europastrasse 10 nördlich         In staatlichen Studien zu Nutzungsrechten und
des Ortes Gälivare liegen gelassen. Offenbar waren          Verwaltung im traditionellen Samigebiet wurde
die Tiere einen grausamen Tod gestorben.“                 die Landbesitzfrage ausgeklammert. Der staatli-
                                                           chen Forstwirtschaft werden der Naturschutz und
                                                           die Rechtsansprüche der Sami untergeordnet.
Finnland - Rechte der Sami
                                                           Zwar existiert ein Gesetz, das die Vereinbarkeit
Finnland ist den meisten UN-Menschenrechts-                von Rentierzucht und Holzwirtschaft regeln soll.
mechanismen beigetreten, hat aber die Konventi-            Es besagt, dass das Weideland der Rentiere durch
on 169 der ILO bislang nicht ratifiziert. Die Ver-          den Einschlag nicht nachhaltig geschädigt werden
fassung von 1999 erkennt den Status der etwa               darf. Streitfragen werden vor Gericht jedoch meist
8.000 Sami als indigenes Volk an und spricht               zugunsten des Staates entschieden. Anders als in
ihnen das Recht auf kulturelle Autonomie sowie             Norwegen und Schweden, wo die Rentierhaltung
sprachliche und kulturelle Selbstbestimmung in-            ein Privileg der Sami ist, ist sie in Finnland allen
nerhalb ihrer Region zu, die aus den Bezirken              Bürger*innen erlaubt.
Enontekiö, Inari und Utsjoki sowie dem Gebiet der
Rentierbesitzer-Vereinigung Lapplands in Sodan-
                                                           Neue Wege für Exporte und Importe:
kylä gebildet wird. Der Sami Parliament Act eta-
                                                           Die Arktis-Bahn
bliert das finnische Sami-Parlament mit dem Man-
dat, die Sprache und Kultur der Sami und alle An-          Rohstoffförderung, Forstwirtschaft und Infra-
gelegenheiten im Zusammenhang damit zu                     strukturprojekte greifen zunehmend in das Leben
schützen. Das Parlament hat 20 Mitglieder und              der Sami und Skolt-Sami ein. Das finnische Minis-
wird alle vier Jahre gewählt. Es hat ausschließlich        terium für Verkehr und Kommunikation plant seit
beratende Funktion, wird vom finnischen Parla-              Ende 2017 eine arktische Bahnverbindung zwi-
ment zwar angehört, ist aber dort nicht selbst mit         schen Rovaniemi in Finnland und Kirkenes in Nor-
Abgeordneten vertreten. Staatliche Behörden                wegen, die dem Warentransport und dem Touris-
sind dazu angehalten, mit dem Sami-Parlament               mus dienen soll. Die Route soll dann durch den

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