Welt - Inseln - Nordkirche weltweit
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Schwerpunkt Inhalt Editorial Versunkene Fantasien Oase im Hafen Mythen von verschollenen Der Seemannsclub Duckdal- 6 20 Liebe Leserin, lieber Leser, Inseln faszinieren Menschen ben im Hamburger Hafen ist seit jeher. Isabel Hess- für viele Seeleute eine wich- wenn es um „Inseln“ geht, kom- Friemann ergründet, warum tige Oase, weiß Seemanns- men die meisten ins Träumen. „Wie das so ist. pastor Matthias Ristau. gern wäre ich jetzt auf einer Insel“, seufzen viele, die sich im Trubel des „Aufeinander Gibt es ein britisches Alltags nach einer ruhigen Oase angewiesen“ Inselgefühl? sehnen. Wie schön wäre es, jetzt 8 22 dort zu sein, denke auch ich, als mir meine Kollegin in Fotos: C. Plautz (1), M. Haasler (1), wikimedia (5), U. Plautz (1), C. Bandowski (1), M. Ristau (1), C. Hunzinger (1), J. Grosse (2), D. Gerstner (1) Annette Gruenagel und Wie wirkt sich die Insellage sinnlichsten Farben ihre Lieblingsinsel vor Sansibar schil- Friederike Heinecke über auf die Mentalität der Briten dert, während es draußen regnet. Inseln sind die Orte, auf Erfahrungen als Pastorinnen aus?, fragt Terence Bloor aus die sich alles projizieren lässt, was man sich wünscht. auf Sylt und Amrum. der Diözese Lichfield. Manchmal auch das, was Angst macht. Nicht umsonst ver- bindet sich mit dem Begriff Insel auch „Isolation“. In jedem Heimat für bedrohte Pflanzen und Tiere Hier ist gut seyn „Wir haben trotzdem Fall gilt: Das geografische Phänomen lässt keinen kalt. So Hoffnung“ scheinen Geschichten, Sagen und Mythen, die sich um Als Pastor von Altenkirchen 10 25 Es gibt etwa 100 000 Inseln auf denen mehr als 500 Inseln ranken, schier unerschöpflich. Natürlich ist das tat- Millionen Menschen leben. „Wie viele Inseln es insge- hat Christian Ohm einen June und Elena Yañez aus sächliche Leben auf einer Insel immer anders als jede Vor- samt auf der Welt gibt, weiß niemand“, sagt Holger besonderen Blick für die den Philippinen schildern, stellung davon. „Wie groß die Lebensqualität auf einer Kreft, Biologe und Professor für Makroökologie. „Wenn Aufgaben der Kirche auf welche Folgen der Klima- Insel ist, hängt vor allem davon ab, wo sie liegt“, meint man auch kleine Felsen dazu rechnet, können es Millio- einer Insel wie Rügen. wandel für die Insel hat. Martin Haasler. Als Referent für Papua-Neuguinea und nen sein.“ Kreft ist Studienleiter eines Wissenschafts- Pazifik ist er oft in der inselreichsten Region der Welt teams der Universität Göttingen, das die bisher umfas- Von Inseln und Plastik im Paradies unterwegs und erfährt, wie sehr die Menschen auf Insel- sendste Datenbank über das Klima und die geografische Fähren Wie groß das Müllproblem staaten wie Kiribati durch die Folgen des Klimawandels Beschaffenheit von Inseln angelegt hat. Demnach machen Meeresinseln nur rund fünf Prozent des Fest- 12 Immer mehr schotten sich ab, leben in Filterblasen oder für Inseln wie Kiribati ist, hat Anne Paulsen erfahren, 27 bedroht sind. Außer den geografisch sichtbaren Inseln gibt es aber andere Formen von Inseln: Sie können mitten in landes auf der Erde aus, sind aber Heimat für eine über- einer betriebsamen Großstadt liegen – zum Beispiel zwi- Echokammern. Warum ist die als Freiwillige dort war. proportional große Zahl von Tier- und Pflanzenarten. schen Kränen im Hamburger Hafen. Dort befindet sich der das so?, fragt Martina Bölck. Sie fordert ein Umdenken. Die Forscher haben Daten zu fast 18 000 marinen Inseln Seemannsclub Duckdalben, heute eine Oase für viele See- einbezogen und dabei auch wichtige Klimawerte zusam- leute. Schließlich gibt es noch die unsichtbaren Inseln: die mengetragen. Rund 65 Prozent aller Inseln liegen in tro- Die Zuhörinsel Licht und Schatten Echokammern oder Filterblasen, in denen immer mehr pischen Breiten. Im Vergleich zum Festland herrsche dort aber ein überwiegend kühl-feuchtes Klima. Man 17 Ein Hamburger hat in einer auf Malta Menschen Bestätigung und Halt suchen, abgeschottet von anderen Überzeugungen und Lebenswirklichkeiten. Doch habe herausgefunden, „dass es überraschend viele Inseln mit gemäßigtem Regenwaldklima gibt, einem der sel- U-Bahn einen Zuhör-Kiosk eröffnet und damit einen Lena Paulsen ist Freiwillige beim Jesuit Refugee Service 28 „der Mensch ist keine Insel“, betont der Theologe Nikolaus Schneider. Zwar brauche er ab und zu mal eine Insel, „aber Nerv getroffen. Ulrike Plautz auf Malta und schildert ihre tensten Ökosysteme der Erde“, so Kreft. Demzufolge er ist ein Teil der Menschheit“ und brauche vor allem Bezie- hat ihn besucht. Erfahrungen. sind etwa zwei Fünftel der vom Aussterben bedrohten hungen zu anderen Menschen, auch über Grenzen hinaus. Arten auf Inseln heimisch. Große Inseln in der Karibik, Südostasien oder im Mittelmeer erwiesen sich als beson- Sitzen, Atmen, Affen „Tschüss Kohle“ Viel Freude beim Lesen wünscht ders artenreich. Für den Forscher sind „Inseln Mikro- bändigen Ihre lautet das Motto der neuen 18 30 kosmen, auf denen wir die Evolution von biologischer Vielfalt sowie ökologische Prozesse besser verstehen Constanze Bandowski Volksinitiative. Als Mitinitia- können“. suchte im Trubel nach einer torin ruft das Zentrum für P.S. Wie immer freuen wir uns über Ihre Anregungen, Kritik und Insel der Stille und buchte Mission und Ökumene zu Ideen. einen Mediationskurs. Unterschriften auf. weltbewegt-Post-Anschrift: Zentrum für Mission und Ökumene – Nordkirche weltweit, Postfach 52 03 54, 22593 Hamburg, Telefon 040 88181-0, Fax -210, E-Mail: info@nordkirche-weltweit.de IMPRESSUM: weltbewegt (breklumer sonntagsblatt fürs Haus) erscheint viermal jährlich. HERAUSGEBER UND V ERLEGER: Zentrum für Mission und Ökumene DRUCK, VERTRIEB UND VERARBEITUNG: Druckzentrum Neumünster, JAHRESBEITRAG: 15,– Euro, SPENDENKONTO: IBAN DE77 520 604 100 000 111 333 – Nordkirche weltweit, Breklum und Hamburg. Das Zentrum für Mission und Ökumene ist ein Werk der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland. EVANGELISCHE BANK, BIC GENODEF1EK1. Mit Namen gekennzeichnete Artikel geben die Meinung des Autors/der Autorin und nicht unbedingt die Ansicht des DIREKTOR: Pastor Dr. Klaus Schäfer (V.i.S.d.P.), REDAKTION: Ulrike Plautz, GESTALTUNG: Christiane Wenn, KONZEPT: Andreas Salomon-Prym, SCHLUSS herausgebenden Werkes wieder. Die Redaktion behält sich vor, Manuskripte redaktionell zu bearbeiten und gegebenenfalls zu kürzen. Gendergerechte Sprache KORREKTUR: Constanze Bandowski, ADRESSE: Agathe-Lasch-Weg 16, 22605 H amburg, Telefon 040 88181-0, Fax: 040 88181-210, w ww.nordkirche-weltweit.de. wenden wir in dieser Publikation an, indem wir u. a. abwechselnd die männliche und weibliche Form benutzen. Gedruckt auf TCF – total chlorfrei gebleichtem Papier. 2 weltbewegt weltbewegt 3
Schwerpunkt Wo die Sehnsucht wohnt Ulrike Plautz W as ist eigentlich eine Insel? Die Frage lässt sich mit einem Satz beantworten. Eine Insel ist ein vollständig vom Wasser umgebenes Stück Land, das auch bei Flut über den Was- einer Insel werde dabei trügeri- scherweise gleichgesetzt „mit der Losgelöstheit des dortigen Lebens serspiegel hinausragen muss und nicht als Kontinent gilt. vom irdischen Alltag“ (zeitzeichen, Allerdings erklärt diese Antwort nicht die große Faszination, die 2011). Sie weiß, wovon sie spricht, ist allein das Wort „Insel“ auslöst. Seit Jahrhunderten ranken sich Le- sie doch selbst auf der Insel Rügen genden um das geografische Phänomen. Es gibt unendlich viele aufgewachsen. Inselgeschichten von versunkenen Inseln, von Schatzinseln, von Fan- Diese Sehnsucht steht im starken tasieinseln ... So verwundert es nicht, dass die Mitglieder einer fer- Kontrast zum wirklichen Leben auf nen, idealen Gesellschaft in dem Roman von Thomas Morus auf einer einer Insel. „Doch an so etwas Insel leben, die er Utopia nennt. Banalem wie der Realität hält sich der Inseln sind Sehnsuchtsorte und Gegenstand vielfältiger Projektionen. Mythos Insel (wie alle Mythen) Auch heute ernten Menschen ein Aufseufzen und verträumte Blicke, natürlich nicht auf. Inseln sind Illu- wenn sie erzählen, dass sie auf einer Insel aufgewachsen sind oder auf sionen. Der Traum von der Insel ist ihr arbeiten. Wie schön muss es dort sein! Aber die meisten kennen der Traum von einem Leben, das es eine Insel nur vom Urlaub, einer Zeit, in der sie ohnehin entspannt nicht gibt“, erklärt Rusch. sind und offener als sonst für das, was sie umgibt. Aber auch hier gibt Heute bedient eine ganze Tou- es einen Alltag. Er kann auf der Insel genauso vielseitig aber auch rismusindustrie diesen Traum von genauso langweilig sein, wie auf dem Festland. Oft bedeutet so ein einem Leben, fernab des Alltags, frei Inseldasein ein Leben auf kleinem Raum mit hoher Sozialkontrolle von Hektik, von allen Zwängen und und entsprechendem Anpassungsdruck. Das Leben dort kann hart überhaupt von jeglicher Mühsal des und das Klima rau sein. Eben mal weg ist nicht. irdischen Lebens. Der Inseltraum Und doch geraten Menschen bei dem Wort „Insel“ ins Träumen. nährt die menschliche Sehnsucht, Auf die Frage, was daran am meisten fasziniere kommt oft als dass die eigene Zufriedenheit, das erste Antwort: der feine Sandstrand, die unendliche Weite des eigene Glück, das Handeln doch ab- Meeres, das großartige Schauspiel des Himmels. Allerdings, hängig sein mögen von einem be- Die Insel der Seligen haben das nicht auch Sandstrände auf dem Kontinent zu stimmten Ort. Einem Ort, wo es gibt es sogar auf dem bieten? Das Meer und der Strand allein können also nicht leichter ist, gut zu sein. Wo man sich Mars. Diese topografi- das Entscheidende sein. nur hinbegeben müsste und – klipp- sche Karte zeigt die Die Schriftstellerin Claudia Rusch versucht das klapp – wäre man so, wie man schon vulkanische Provinz Phänomen zu erklären. Es scheint vor allem die immer sein wollte und alles liefe wie Elysium in der östlichen Abgeschiedenheit zu sein, die so anziehend ist. ersehnt. Hemisphäre des „Weil Inseln scheinbar ohne Verbindung Wie leicht wäre das zu erreichen... Planeten. Der rote nach außen auf dem Meer dösen, umge- aber auch wie weit weg wäre das „Hügel“ in der Mitte ben von nichts als Ruhe, bieten sie die dann? Vielleicht sollte man sich da zeigt den größten perfekte Projektionsfläche für lieber kleine Inseln im Alltag suchen Foto: NASA (1) Vulkan Elysium Aussteigerträume“. Die vom und an den Satz von Hegel halten: Mons. Festland losgelöste Lage „Hier ist die Rose, hier tanze.“ 4 4 weltbewegt weltbewegt weltbewegt weltbewegt 5 5
Schwerpunkt Schwerpunkt Versunkene Fantasien Die sagenumwobene chinesische Insel Penglai galt als Paradies, wo auf Bäumen Juwelen wachsen, der Reis nie ausgeht und magische Früchte ewige Mythen von verschollenen Inseln haben die Menschen Jugend gewähren. Penglai auf dem Seidengemälde seit jeher zum Träumen eingeladen. Was fasziniert die von Tomita Keisen aus dem Jahr 1928 . Menschen so sehr daran? land stattgefunden haben soll. Das ist ein Hinweis auf den Isabel Hess-Friemann archetypischen Charakter von Insel als Topos. Ein Ort, an dem sich spirituelle und seelische Transformation ereignen kann Worin besteht die Faszination, die Inseln zur Projekti- D er erste erhabene chinesische Gottkaiser von Qin, Gründer des chinesischen Kaiserreiches, ent- von mehr als 8 000 lebensgroßen Soldaten aus Ton, die in der Stadt Xi‘an seine Grabstätte bewacht, be- Elysion (griechisch) oder Ely- sium (latein) ist ein Synonym für die „Insel der Seligen“. Ein Begriff, der onsfläche von Wünschen und Träumen prädestiniert? Der Psychologe C. G. Jung sieht in der Abgeschieden- heit, in der Inselerfahrung an sich, einen Raum für die sandte vor 2200 Jahren mehrere kannt. noch aus vorgeschichtlicher Zeit Begegnung mit dem Unbewussten. Herausgehoben aus Expeditionen auf die Suche nach der stammt, vermutlich überliefert aus der Normalität des Alltags sieht er in der Insel eine sagenumwobenen Insel Penglai, öst- Mit Atlantis verbindet sich dem 3. vorchristlichen Jahrtausend. Metapher für den Individuationsprozess, für die Suche liches Paradies und Sitz der Unsterb- eine Mischung auf Fernweh Elysion soll sich im äußersten Westen nach sich selbst. Die Isolation konfrontiere den Men- lichen. Die Insel läge im pazifischen und Heimweh des Erdkreises befinden. „Elysische schen mit den Grundlagen seiner Existenz. So wie Hel- Ozean, erzählte man. Alles auf ihr Gefilde“ seien Lieblingen der Götter den in Märchen Gefahren, Abenteuer und Reisen zu sei weiß, nur die Paläste bestünden Das Inselreich Atlantis, das angeb- vorbehalten. Bereits zu Lebzeiten bestehen haben, um den Schatz oder die Königstochter aus Gold und Platin, Juwelen wüch- lich an nur einem Tag im Meer ver- dorthin entrückt würde ihnen zu gewinnen – was psychologisch als heilsame Integra- sen auf den Bäumen. Auf Penglai sunken sein soll, wurde von Platon Unsterblichkeit geschenkt. Auf Ely- tion abgespaltener oder ungelebter Persönlichkeitsan- gäbe es weder Winter noch Schmerz. bereits im 4. Jahrhundert v. Chr. sion herrsche ewiger Frühling, ein teile interpretiert werden kann –, so bietet die Insel eine Der Reis in den Schüsseln und der beschreiben. Für den Philosophen Nektar ähnlicher Quelltrunk spende Umgebung, in der sich eine spirituelle, emotionale und Wein in den Gläsern nähmen nie ab, ein Sinnbild des idealen Staates, das das Vergessen aller irdischen Leiden; seelische Transformation ereignen kann. Etwa in der egal wieviel davon gegessen und ge- er dann auch als Zitat für seine Uto- im Schatten von Weihrauchbäumen Art eines Inkubators. Odysseus konnte trotz aller Won- trunken würde. Magische Früchte pie der Politeia heranzog. Atlantis erfreue sich die Schaar der Seligen nen, die ihm die Nymphe Calypso bot, nicht verweilen, besäßen die Kraft, alle Krankheiten war bei Platon nicht nur als Seemacht beim Reiten, Turnen, Würfel- und sondern folgte dem Ruf zu Landsleuten und Heimat. zu heilen und ewige Jugend zu erfolgreich, sondern besaß reiche Lautenspiel. Der Impuls, sich eine Ariadne musste auf Naxos Verlassenheit und Todes- gewähren. Außerdem wüchse dort Bodenschätze wie Gold und Silber. eigene Paradieswelt zu malen, hat sehnsucht durchleiden, um zu wahrer Liebe zu finden. ein Kraut, das Unsterblichkeit verlie- Mildes Klima erlaubte zudem zwei seinen Reiz nie verloren und scheint In welcher Form auch immer Glück gedacht und he. Wer es zu sich nähme, bekäme Ernten pro Jahr. Dem Mythos zufol- besonders heute wieder viele zu empfunden wird: Es scheinen immer Inseln zu sein, die bald Federn, könne fliegen und sich ge hinterließ Poseidon auf dieser faszinieren. So haben sich in den alles haben, um Glück verheißen können. Der Sinologe auf Wolken fortbewegen, wie die Insel seinen Sohn, den Halbgott letzten Jahren mehrere Filme, Musik- Wolfgang Bauer legt in seinem Buch „China und die acht Unsterblichen, die sich dort re- Atlas. Die zunehmende Vermischung alben und Romane mit dem Phäno- Hoffnung auf Glück“ dar, dass die Suche nach Glück fast gelmäßig zu Banketten versammel- der Bevölkerung mit Sterblichen men beschäftigt und sogar eine das gesamte chinesische Denken beherrscht hat. Logische ten. führte jedoch zur Gier nach Macht Region auf dem Mars wurde auf den Widersprüche würden dabei weniger hinterfragt, als es Da Kaiser Qin mehrere Attentate und Reichtum, zur Hybris der Herr- Namen Elysium getauft. im Westen üblich ist. In der Provinz Shandong nennt sich Isabel Hess- überlebt hatte, fürchtete er nun um scher und, als Strafe der Götter, In vielen Kulturen finden sich Be- ein Küstenort Penglai, von dem aus die Expeditionen zu Friemann ist sein Leben. Er war der Ansicht, dass schließlich zum Untergang. In der schreibungen ähnlicher Paradies- der mystischen Insel aufgebrochen sein sollen. Und der Referentin für ihm das Recht auf Unsterblichkeit Renaissance und mit der Entdeckung vorstellungen und Sehnsuchtsorte. Ort Shangri-La, der umsäumt von Wasserfällen wie eine Ostasien und zustünde. Neben aufwändigen See- Amerikas tauchten zahlreiche Theo- So zum Beispiel die Insel Tír na nÓg, Insel versteckt auf einer Hochebene liegt, wurde 2001 Leiterin der Expeditionen beauftragte er zahl- rien zum geografschen Ursprung des als Ort der Anderswelt und ewigen in der chinesischen Provinz Yunnan „gefunden“. Die we- ChinaInfostelle reiche Alchimisten mit der Herstell- versunkenen Reiches auf, die noch Jugend in der irisch-keltischen My- nigsten Reisenden interessieren sich dafür, dass Shangri- Fotos: C. Wenn (1), gemeinfrei (1) im Zentrum für ung eines entsprechenden Elixiers. immer Konjunktur haben. Seitdem thologie. Oder idealtypische Ur- La der Feder des Schriftstellers James Hilton entstammt. Mission und Als Folge unverdrossen hoffnungs- verbindet sich mit dem Namen sprünge wie der untergegangene Die Vermischung von Mythos und Realität jedenfalls hat Ökumene. Die froher Selbstversuche gab es An- Atlantis ein eigenes Forschungsge- Kontinent Kásskara, auf dem der den Tourismus enorm befruchtet. So unterschiedlich die Theologin und zeichen einer zunehmenden Queck- biet, künstlerische Inspirationen in Legende nach die Vorfahren der Mythen und Sagen verschollener Inseln anmuten, so Sinologin lebte silbervergiftung. Heute ist der erste jedem Genre und eine unspezifische Hopi-Indianer ansässig waren, sowie ähnlich sind sie sich darin, Utopien zu veranschaulichen, von 2004 bis große Herrscher Chinas bei uns vor Wehmut, vielleicht eine Mischung die Insel Hawaiki, von der aus die menschlichen Ängsten und Sehnsüchten einen Ort zu 2012 in Peking. allem durch die Terrakotta-Armee aus Fernweh und Heimweh. Besiedlung der Maori nach Neusee- geben, auf innere Reisen und zum Träumen einzuladen. 6 weltbewegt weltbewegt weltbewegt 77
Schwerpunkt „Hier sind wir Dünen oder mein Tisch im Café. Wie schnell so etwas aufeinander gehen kann, weiß ich ja selbst. Der Perspektivwechsel hilft mir allerdings, mein eigenes Urlaubsverhalten zu überprüfen. Aber meist begegne ich Menschen mit angewiesen“ zufriedenen Gesichtern. Es berührt mich jedes Mal in den Gästebüchern der Kirchen zu lesen, wie groß die Dankbarkeit ist. Viele freuen sich über die Zeit, die sie für Vor sieben Jahren kam Annette Gruenagel sich oder die Familie haben, andere über Spaziergänge als Pastorin aus Hamburg nach Sylt. in den Dünen oder ein gutes Essen. Anfangs war der Unterschied groß, heute liebt sie das Inselleben. Gibt es auch negative Seiten des Inselgefühls? Na klar. Nicht umsonst verbindet sich mit dem Begriff „Nun ist das 21. Jahrhundert Insel auch das Wort Isolation. Hier ist man wirklich auf sich gestellt und kann nicht mal eben schnell weg. Allein auch hier angekommen“ bis Hamburg brauche ich vier Stunden Fahrzeit. Man Was ist das Besondere am Inselleben? Gibt es ein muss das Inselklima schon sehr mögen. Im Winter ist es Friederike Heinecke war die erste Pastorin auf Amrum typisches Inselgefühl? hier wesentlich rauher und karger als auf dem Festland. Ja, das gibt es. Als ich in meine neue Pfarrstelle nach Das prägt. Wer das Wetter und diese Abgeschiedenheit Hörnum gekommen bin, schoss mir gleich in den Kopf: nicht verträgt, geht nach drei Jahren. Das ist jetzt deine neue Welt, das sind die Menschen mit denen du in den nächsten Jahren leben wirst. Anders als Ist der Klimawandel eine Thema auf Sylt? auf dem Festland sind die Grenzen nach außen hier viel Der ist ja heute nicht nur für Inselbewohner ein Thema. Neben der Neugier waren es damals unter ande- deutlicher. Der Unterschied zu Hamburg – Ottensen, dem Die Stürme werden häufiger und stärker. Täglich bricht rem auch die drei W‘s, die für Friederike Heinecke Stadtteil, in dem ich vorher gearbeitet hatte, war schon Land weg. An der Hörnumer Odde gibt es schwere den Ausschlag gegeben haben: Wasser, Wind und stark. Hier gibt es weniger Fluktuation. Man sieht sich fast Landverluste. Auch in den Kirchgebäuden haben wir Weite. 2003 war sie nach Amrum gezogen. Sie war täglich. Das heißt: wir leben nicht aneinander vorbei, heute mit viel mehr Feuchtigkeit und Schimmel zu damals die erste Pastorin auf der Nordseeinsel. sondern achten darauf, wo wir etwas gemeinsam machen kämpfen als früher. Dementsprechend „kritisch“ hatte man sie anfangs und uns unterstützen können. Wir sind hier viel stärker „beäugt“. Ob das denn gut gehen könne mit einer aufeinander angewiesen. Das ist ein starkes Gefühl. Mit Können Sie sich zurzeit ein Leben auf dem Festland Frau auf der Kanzel, wo der Vorvorgänger noch allen Vor- und natürlich auch Nachteilen. vorstellen? betont hatte, dass in Amrum keine Frau etwas auf der Nein. Ich mag die Menschen und das Leben hier schon Kanzel zu suchen habe. So habe sie in der ersten Zeit Wie sieht es bei den jungen Menschen aus? sehr. Als Pastorin schätze ich es zum Beispiel sehr, dass auch „viel Energie gebraucht, um richtig Fuß fassen Natürlich zieht es vor allem junge Leute nach der Schule ich Taufen oder Trauungen auch am Meer feiern kann. zu können“. Später sollten dann viele Insulaner erst einmal aufs Festland. Hier kennen sie sich ja alle und Sylt ist für viele ein Ort des Glücks. Der Himmel reicht hier sagen, mit ihr sei das 21. Jahrhundert nun auch in der Kirche wenn man andere Gleichaltrige kennenlernen will, muss bis auf den Boden, da ist nichts, was trennt. Gerade die angekommen. Die Pastorin brachte viele eigene Ideen mit, hat aber man erst einmal woanders hin. Aber ich habe nicht selten Weite am Meer führt zu Verbundenheit. Mit sich selbst, ebenso gerne „die vielen guten Impulse“ von Urlauberinnen und erlebt, dass einige nach einer gewissen Zeit wieder mit Gott, mit den Menschen, die wirklich wichtig sind. Urlaubern aufgenommen und mit ihnen Gottesdienste, Seminare oder zurückkommen. Unter den bloßen Füßen der Sand und über sich das Vorträge veranstaltet. Es ging um Musik, Kunst, Gesellschaft oder Himmelsgewölbe. Alles Überflüssige kann abgelegt auch um Angebote wie Gewaltfreie Kommunikation und Qi Gong. Sylt ist für viele die Insel. Wie wirkt sich der Tourismus werden und was echt ist, tritt hier oft deutlicher hervor Sehr geschätzt hat die Pastorin alte Inseltraditionen, wie etwa das Fotos: A. Gruenagel (1), G. Wieschendahl/gemeinfrei (1), F. Heinecke (1) auf das Leben aus? als im städtischen Kontext. Ritual der Aussegnung von Toten: Wenn ein Mensch gestorben war, Der ist natürlich deutlich spürbar. Jeden Sommer hat man Dieses Gefühl von Glück und Dankbarkeit, hier leben zu wurde er noch ein, zwei Tage aufgebahrt, ausgesegnet und es folgte plötzlich neue Nachbarn. Aber eigentlich ist das ganze können, nutzt sich nicht ab, auch wenn man dauerhaft ein Trauerzug über die Insel. Dann erst kam die Beerdigung. „Der Jahr Saison. Wenn ich im Winter mit anderen beim hier wohnt. Es führt bei vielen Inselbewohnern zu dem langsame Abschied mit der Aussegnung hat viel Heilsames bewirken Strandspaziergang ins Gespräch komme, endet es oft Wunsch, davon etwas zurückgeben zu wollen. Ich erlebe können, vor allem bei tragischen Todesfällen, die es auf der Insel ja mit: „Dann wünsche ich Ihnen noch einen schönen ein weit gespanntes Netz von großem ehrenamtlichen auch gab“, war die Erfahrung der Pastorin. Friederike Heinecke ist Urlaub.“ Für die meisten scheint es unvorstellbar, dass Engagement: ob bei der Feuerwehr, dem Küstenschutz nach elf Jahren auf das Festland gezogen und arbeitet heute in einer Menschen, die am Strand spazieren, hier leben und oder dem Engagement für Geflüchtete. Es gibt auch den Hamburger Gemeinde. Was sie von der Insel mitgenommen hat? „Es arbeiten. Grundsätzlich finde ich, dass die Anwesenheit Blick über den Inselrand hinweg. Viele setzen sich für gab viel Licht und viel Schatten“, sagt die heute 57-Jährige. „Allen glücklicher Menschen in Urlaubsstimmung etwas sehr Kinder aus Tschernobyl oder ein Straßenkinderprojekt in Arten von Stürmen standhalten zu können – vor allem auch denen, die Schönes ist. Viele sind hier offener für ein Gespräch als Brasilien ein. Außerdem fasziniert mich, wie vielfältig die nicht wetterbedingt sind –, das hat mir Stärke und Selbstbewusstsein anderswo. Natürlich gibt es auch die gestressten Ur- Lebensgeschichten hier miteinander verflochten sind. gegeben.“ Dies sei neben den vielen bereichernden Begegnungen lauber, die an der Supermarktkasse so drängeln, weil Davon mehr und mehr zu verstehen, verstärkt das Gefühl, mit Menschen und den großartigen Naturerlebnissen eine Erfahrung, ihnen die kostbare Urlaubszeit wegläuft! Es gibt auch die hier angekommen zu sein. die sie nicht missen möchte. Dauergäste, die im Lauf der Zeit einen Besitzanspruch entwickeln und meinen, das ist jetzt meine Kuhle in den Das Interview führte Ulrike Plautz. Protokoll: Ulrike Plautz 8 weltbewegt weltbewegt 9
Schwerpunkt Hier ist gut seyn Urlauber und Einheimische an. Diese Angebote stehen jeweils unter einem oder mehreren Jahresthemen. Dabei wird auch immer wieder das Verhältnis zwischen Als Pastor auf Rügen hat Christian Ohm eine besondere Perspektive Kirche, Kultur und Gesellschaft neu bestimmt. Die auf das dortige Leben und vor allem auf die Rolle der Kirche Kirchengemeinden auf Rügen sind heute immerhin der größte und (fast) einzige nichtkommerzielle Kultur- träger. Und zusammen mit Usedom und dem Darß gehört Rügen zu den Regionen mit der größten Konzert- D ort arbeiten und leben, wo andere Urlaub machen.“ Diese Worte höre ich als Pfarrer in der Saison oft. Ich lebe und arbeite auf der Halbinsel Wittow, ganz im Nor- Die Kirche ist auf Rügen der größte nichtkom- merzielle Kulturträger und Veranstaltungsdichte in Deutschland. Mit dieser Arbeit knüpfen wir an eine gewachsene kirchliche Tradition aus DDR-Zeiten an, wo Kirchengemeinden den Rügens. Bei dem Satz schwingt etwas Sehnsucht mit, „Wann ist hier gut seyn?“ Sicher auch immer dann, an der Küste auch eine „kulturelle Stellvertreterrolle“ nach diesem schönen Fleckchen Erde mit seinen Küsten, wenn etwas gemeinsam in oder mit den Kirchengemein- übernahmen. Wäldern, Wellen, Wogen, mit dem Wind und der Weite. den auf die Beine gestellt wird. Und das geschieht häu- Mitunter können diese Worte auch etwas Herablassendes fig. Die Kirchengemeinden auf Wittow und Jasmund, Im Urlaub haben Menschen Zeit, um auch oder Erstaunt-Mitleidiges beinhalten denen gegenüber, mit einer Ausdehnung von über 45 km, sind in mehr- andere Religionen kennenzulernen die zwar auf der wunderschönen Insel wohnen dürfen, die facher Hinsicht „Leuchttürme“ oder „Häfen“. Vor allem aber doch so weit weg von den großen Zentren leben. für die Kirchenmitglieder im Inselnorden, wo nur etwa Seit zehn Jahren wird in Altenkirchen der Israel- „Hier ist gut seyn“, hatte im 18. Jahrhundert unser zwölf Prozent der Kirche angehören. So zählt zum sonntag auf besondere Weise gefeiert. Dann predi- Altenkirchener Dichterpfarrer Gotthard Ludwig Kosegar- Gemeindegebiet auch ein Ort, in dem hauptsächlich gen der Landesrabbiner und andere Rabbiner. Der Kap Arkona ten von Rügen in einer seiner berühmten Uferpredigten Offiziere der NVA-Flottille der DDR mit ihren Familien Sonntag wird von anderen interreligiösen Veranstal- geschwärmt. Franz Schubert hatte damals im fernen Wien lebten und der in den letzten 25 Jahren von 4 000 auf tungen eingerahmt. Dabei liegt ein Schwerpunkt auf nach dessen Gedichten seinen ersten Liederzyklus kom- 1 200 Einwohner „geschrumpft“ ist. Bis heute sind sozi- dem christlich-islamischen Dialog. Mitwirkende sind poniert, und Kosegarten konnte nicht aufhören, die ale und kirchliche Verwerfungen stark zu spüren. Den- auch Referenten wie der afghanisch-deutsche Religions- Schönheit Rügens in Gedichten, Uferpredigten und in Prosa noch findet im großen Gemeindegebiet vieles statt – philosoph Milad Karimi oder der islamische Theologie zu besingen. mit großer ehrenamtlicher Unterstützung. Es gibt Kin- Ayatollah Seyyed A. H. Ghaemmaghami. Es gibt Aus- „Hier ist gut seyn.“ Das kann man besonders am derkreise, ein Kindermusical, die Konfirmandenar- stellungen, islamische Musik und Derwischtänze. Unse- Nordstrand westlich des Kaps erleben. Dort, wo die Steil- beit, Bibelgesprächskreise, ein Handarbeitscafé und re Erfahrung ist, dass sich Menschen vor allem im küste nach oben ragt, wo der schmale Strand mit großen Büchercafé, Seniorenkreise, Gesprächsabende, Kirchen- Urlaub gerne Zeit nehmen, um Anderes und Neues ken- Findlingen und Steinen übersät ist und wo Meer, Weite, Luft kino, Kirch- und Dorffeste, mehrtägige Gemeinde- nenzulernen. Dazug gehören auch andere Religionen. So und Himmel die Landschaft prägen. Dort, am Nordstrand fahrten und natürlich auch einen Chor und Posaunen- ist der „Kirchensommer“ immer eine gute Chance, den kann man dem zweiten und dem anfänglichen dritten chor. Wichtig ist dabei die Zusammenarbeit mit kom- Blick zu erweitern und dabei auch zu erfahren: Hier im Schöpfungstag im Wort- und anderem Sinn wirklich munalen Einrichtungen und Schulen. Zwar begegnet Inselnorden „ist gut seyn“ – auch mit Muslimen und nachgehen. „Hier ist gut seyn.“ Das meinen auch Ein- man uns als Kirche und überhaupt dem christlichen Juden. Dieses Motto hatte sich für unsere Kirchenge- heimische und viele Gäste, wenn sie vom Festland kommend Glauben mit einer freundlichen Gleichgültigkeit, den- meinden und viele Ehrenamtliche aus den Dörfern auch über die „Rügenbrücke“ fahren. Die einen kommen wieder noch möchten etliche Menschen über ihre Grenzen bestätigt, als 150 Syrer und einige Ukrainer zwischen zuhause an. Für die anderen, die Urlauber, fällt ein großes hinausgehen und gern etwas gemeinsam tun. Für Kir- 2015 und 2016 auf Wittow wohnten. Stück Alltag ab. chengemeinden sind sie wichtige Partner und auch Ide- „Hier ist gut seyn“ für Fremde, Gäste und Einhei- „Ist hier gut sein?“ So fragen sich aber nicht nur engeber. Zum Glück sind postsozialistische und andere mische. Wo könnte man auch das Versprechen der Jugendliche im Inselnorden. Viele Menschen sind in den Animositäten mittlerweile nicht nur auf Wittow vom Jahreslosung „Gott will dem Durstigen geben von der letzten Jahrzehnten der Arbeit, des Studiums oder der ständig wehenden Wind fast verweht. Quelle des lebendigen Wassers umsonst“ elementarer Ausbildung wegen von der Insel weg in die großen Zentren „Hier ist gut seyn.“ Im Sommer wird einem der erleben, als auf einer Insel mit ihren Schönheiten gezogen und kehren aufgrund der Arbeitssituation auf der Inselcharakter noch einmal auf andere Weise bewusst, und Problemen? Auf Touristen einge- Insel nicht wieder zurück. Auch auf die Kirche auf Wittow wenn von Mai bis Oktober ein „Meer“ von Urlaubern die stellt: Kirchengemein- wirkt sich dieser „Inselcharakter“ aus. Wenn etwa von den Insel „bestürmt“ und „überschwemmt“. Für unsere Kir- den haben im Sommer ohnehin wenigen Konfirmanden keine oder nur wenige auf chengemeinden entsteht dann eine „zweite“ Gemeinde, viele „inselgemäße“ der Insel bleiben oder kaum junge Familien in den bestehend aus Urlaubern und Urlauberinnen, von denen Angebote, wie den Inselnorden ziehen. Vielleicht bemerkt man deshalb und viele jedes Jahr regelmäßig den Inselnorden und die Biker- und Ufergottes- wegen der „fernen“ Insellage oft einen nüchtern-freund- Kirchen aufsuchen. Dann sind im Sommer die Haupt- dienst (M.), bieten aber Christian Ohm lichen und mitunter auch trotzigen Zusammenhalt. gottesdienste mit 150 bis 200 Besuchern für dörfliche auch interreligiöse ist Pastor in Wenngleich den „Wittowschen“ und den Rügenern ein Verhältnisse übermäßig gut besucht. Es gibt in dieser Zeit Veranstaltungen mit Altenkirchen auf besonderes Selbstbewusstsein nachgesagt wird. Hans Gottesdienste, die wir vielfältig und „inselgemäß“ gestal- Juden und Muslimen Rügen und im Fallada hat diese Mentalitäten in seinem Wittow-Roman ten und als ökumenische Ufergottesdienste, Hafen-, an. So zeigten Fotos: C. Ohm (4) Kirchenkreis „Wir hatten mal ein Kind“ wunderbar geschildert. Ähn- Bodden-, Park- oder Gottesdienste auf dem Schiff feiern. Anhänger der Sufi- Pommern liche Wittower Charaktere trifft man als Pfarrer heute Darüber hinaus zieht der „Kirchen- und Musiksommer tradition in Altenkir- Beauftragter für immer noch, darüber könnten noch andere Geschichten Nordrügen“ mit über 60 Konzerten, Lesungen, Vorträgen, chen ihre Derwisch- Fragen des Islam. erzählt werden. Ausstellungen und Filmabenden seit Jahren zahlreiche tänze (Bild links). 10 weltbewegt weltbewegt 11
Schwerpunkt Schwerpunkt Von Inseln und Fähren Immer mehr Menschen leben auf unsichtbaren Inseln. Man kann sie auch Echokammern, Filterblasen oder Meinungsinseln nennen. Dabei sind wir Beziehungswesen und auf Verbindung angewiesen. Martina Bölck D er Sekt war kalt gestellt, gespannt wartete ich mit mei- nen Freundinnen und Freunden auf studiert. Und nicht nur das, die mei- sten von ihnen gehören – wie ich – zu den ersten in ihrer Familie, die diesen Ansichten bestätigen. Auf diesem insgeheimen Einverständnis basie- ren auch politische Witze und Kaba- Austausch von Argumenten, der bei niemandem zu einer Meinungs- änderung führte, hielten wir inne verdammen diese (die Sätze und die Menschen) auf das Entschiedenste. Ich finde auch, dass es Haltungen Wahl nicht mehr, was sie wirklich denken, sondern äußern ihre Mei- nung in der Abgeschlossenheit der die ersten Hochrechnungen. Es war Schritt tun konnten. Fast alle haben rettsendungen. und bemühten uns um ein unver- und Ansichten gibt, die unerträg- Wahlkabine oder in der Anonymi- Oktober 1982, Landtagswahl in Geistes- oder Sozialwissenschaften Wie unangenehm, wenn plötzlich fänglicheres Thema. Der Abend en- lich sind und über die man sich tät des Internets. Bis sich wieder ge- Bayern, und ich hatte zum ersten studiert und viele von ihnen arbeiten jemand ausschert und uns aus dem dete früher als sonst. empören muss. Dazu gehören etwa nügend Gleichgesinnte zusammen- Mal wählen dürfen. Natürlich hatte heute in Bereichen, die viel Enga- behaglichen Gefühl, unter Gleichge- Auch als im Herbst 2015 die rassistische, sexistische oder antise- finden und ihre eigene Insel grün- ich die Grünen gewählt. Wie alle gement erfordern, aber relativ sinnten zu sein, herausreißt. Ich sogenannte Flüchtlingswelle unsere mitische Äußerungen. Trotzdem den. meine Freunde und Bekannten. schlecht bezahlt sind. Ein paar erinnere mich an einen Abend mit Insel erreichte, geriet ich des Öfteren habe ich den Eindruck, dass diese Diese Partei – zwei Jahre vorher ge- Ärztinnen sind zwar auch darunter, einer Gruppe von Bekannten, die in Gesprächssituationen, die ich Entrüstungsstürme zu einer Art Die Abschottung hat auch gründet – vertrat alles, was uns gut ein Professor, Künstlerinnen und sich einmal im Monat trifft. Wir unangenehm und anstrengend emp- Routine geworden sind, die automa- strukturelle Ursachen und richtig schien. Doch aus der Architekten, aber kein Banker, keine plauderten angeregt, auch über fand. Ich war für eine Willkommens- tisch abgespult wird, auch da, wo geplanten Wahlparty wurde an die- Verkäuferin, kein Großunternehmer, diverse politische Themen, bis wir kultur, ich hatte Mitleid und wollte mehr Differenzierung angebracht Nicht nur in Deutschland, aber auch sem Abend nichts: Die Grünen keine Politikerin ... Inseln können auf den Klimawandel zu sprechen helfen. Natürlich reagierte ich wü- wäre. Statt einer inhaltlichen Aus- hier, ist die Gesellschaft in den letz- scheiterten an der Fünf-Prozent- größer oder kleiner sein, aber es kamen und einer in der Runde die tend auf ausländerfeindliche Bemer- einandersetzung vergewissert man ten Jahren auseinandergedriftet. Hürde, während die CSU über 58 bleiben Inseln. Ansicht vertrat, dass es schon immer kungen. Aber ich blockte auch Ge- sich in der gemeinsamen Empörung Oder, um im Bild zu bleiben: Fähr- Prozent der Stimmen erhielt. Ent- Klimaveränderungen gegeben habe spräche mit Menschen ab, die der eigenen moralischen Höherwer- verbindungen zwischen einzelnen täuscht und überrascht musste ich Eine Insel ist überschaubar und das ganze Katastrophenszenario eigentlich gar nichts gegen Flücht- tigkeit. Unter Umständen kann eine Inseln wurden nach und nach ein- mir eingestehen, dass mein Umfeld und vertraut eine Erfindung von Konzernen sei, linge hatten, sondern nur Zweifel solche Pseudo-Debattenkultur dazu gestellt. Diese Abschottung hat auch keineswegs die Stimmung der Be- die daran verdienten. Ein Klima- und Bedenken äußerten oder auf führen, dass abweichende Meinun- strukturelle Ursachen: „Deutsch- völkerung widerspiegelte. Wir wa- Das Bild der Insel aber ist ambiva- leugner! Mitten unter uns! Schwei- mögliche Schwierigkeiten hinwiesen. gen nicht mehr öffentlich geäußert land ist im internationalen Vergleich ren offensichtlich nur eine – und lent. Einerseits ragt sie aus den gen. Dann heftige Gegenrede. Er Obwohl ich sie teilweise sogar ver- werden. Die Kommunikationswis- eine wenig mobile und wenig durch- nicht einmal eine große – Insel im gefährlichen, schwankenden Was- nannte Zahlen, die ich weder bestä- stehen konnte, wischte ich ihre senschaftlerin Elisabeth Noelle- lässige Gesellschaft“, heißt es in Meer der widerstreitenden Ansich- sern auf, gibt festen Boden unter tigen noch widerlegen konnte, er Argumente schnell vom Tisch. Ich Neumann hat dieses Phänomen in einer Studie über „Soziale Mobilität ten, Standpunkte und Meinungen. den Füßen und damit Sicherheit. Sie nannte Wissenschaftler, von denen wollte mich nicht damit auseinan- den 70er Jahren als „Schweigespira- in Deutschland“ von 2012. Vor Seitdem sind über 35 Jahre ist überschaubar und vertraut. Das ich noch nie gehört hatte. Ich war dersetzen und ihnen keinen Raum le“ bezeichnet: Menschen behalten allem für die Ärmeren. „Es wird vergangen. Ich wohne nicht mehr in gilt ebenso für soziale Inseln, die in wütend. Leider, so musste ich fest- geben. ihre eigenen Ansichten für sich, zunehmend schwieriger, das untere einem bayerischen Dorf, sondern in der Regel auch Meinungsinseln sind stellen, hatte ich zwar eine feste wenn sie glauben, dass diese der Ende der sozialen Hierarchie zuver- einer großen Stadt, in einem bunten, und damit ein Halt in der heutigen Meinung zu dem Thema (wie zu Entrüstungsstürme sind zu Mehrheitsmeinung widersprechen. lassen.“ Mittlerweile arbeiten 22,5 multikulturellen Stadtviertel. Auch Informationsflut. Die wenigsten vielen anderen), wusste aber nicht einer Art Routine geworden Das betrifft vor allem Themen, die Prozent der Arbeitnehmer im Nied- mein Bekannten- und Freundeskreis Menschen informieren sich – wenn genug darüber. Was in einer gleich- moralisch aufgeladen sind, so dass riglohnsektor. Auch Vermögen ist Foto: iStock International Inc. (1) kam mir immer sehr bunt und viel- sie es nicht beruflich müssen – aus gesinnten Umgebung nicht weiter Der Umgang mit abweichenden eine abweichende Meinung nicht in Deutschland im internationalen fältig vor, Menschen aus verschiede- Medien unterschiedlicher politi- auffällt, in einer kontroversen Dis- Meinungen ist nicht nur privat pro- rational als falsch, sondern mora- Vergleich extrem ungleich verteilt. nen Ländern, jung und alt, mit und scher Couleur. Wir suchen uns sol- kussion aber schwierig wird. Die blematisch. Auch in der „öffentli- lisch als schlecht gilt. Vielleicht lässt Die wohlhabenden zehn Prozent der ohne Kinder ... Bis mein Vater eines che aus, die am ehesten unseren Atmosphäre kühlte merklich ab. Ein chen Meinung“ (einer recht großen sich dadurch erklären, dass sich in Bevölkerung besitzen über 60 Pro- Tages bemerkte: „Die haben ja alle eigenen politischen Ideen und Wer- kleiner Sturm fegte über unsere Insel Meinungsinsel) stürzen sich Medi- den letzten Jahren Wahlprognosen zent des gesamten Vermögens. Seit studiert.“ Ich stutzte und dachte ten entsprechen und uns mit Infor- und spülte irgendwelches Treibgut en gerne auf einzelne Sätze von häufig als ungenau erwiesen. Die Jahren wird kritisiert, dass in nach. Es stimmt. Fast alle haben mationen versorgen, die unsere an den Strand. Nach einem heftigen Politikern oder Prominenten und Leute sagen in Umfragen vor der Deutschland sozialer Aufstieg mehr 12 weltbewegt weltbewegt 13
Schwerpunkt Schwerpunkt Der Mensch ist keine Insel Nikolaus Schneider „No man is an island – Kein Mensch ist eine Insel“, dieses Zitat aus einer Meditation des Dichters und Predigers John Donne wurde in den vergangenen vier Jahrhunderten zu einem geflügelten Wort und hat mit unterschiedlichen Akzentsetzungen auch Eingang in Romane und Filme gefunden. Bei Ernest Hemingway etwa, der seinem Roman „Wem die Stunde schlägt“ das Zitat von John Donne voranstellte. Mit seiner Geschichte eines amerikanischen Kämpfers der Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg wies er auf die grundsätzliche Verantwortung jedes Einzelnen als anderswo vom Einkommen und auf das Meer hinausblickt und sich Der Algorithmus gibt dem Insel- für die weltweite menschliche Gemeinschaft hin. Oder in dem Film „About a boy“, in dem einige sozialen Status der Eltern abhängt. fragt, was es hinter dem Horizont bewohner sozusagen die Illusion, selbstbezogene Menschen zu der Erkenntnis kommen: Sie erleben sich zwar als Inseln, doch wenn Die Reformen der Agenda 2010 noch geben könnte. seine Insel sei die ganze Welt. Pariser sich Menschen zu Inselgruppen zusammentun und ihre Singularität aufgeben, gewinnen sie Kräfte haben die Ungleichheit in der Das Internet schien vielen am An- sieht in diesem personalisierten Web gegen ihre Depressionen, ihren Selbstbetrug und ihre Gefühle von Sinnlosigkeit an zu leben. Gesellschaft eher verstärkt. Durch fang in dieser Hinsicht wie ein großes eine Gefahr für den Diskurs in der Der Theologe Deutschland geht kein Ruck, wie Versprechen. Alle sollten Zugang zu Zivilgesellschaft: „Eine Welt, die aus „Niemand ist eine Insel ganz für sich; jeder Mensch ist ein Stück des Kontinents, ein Teil des Nikolaus Schneider ihn Bundespräsident Roman Her- allem haben, jeder eine Stimme, dem Bekannten konstruiert ist, ist Festlands. Wenn ein Erdklumpen ins Meer gespült wird, wird Europa weniger … Jedes Menschen (70) war von 2003 zog in seiner berühmten Rede 1997 unabhängig von den etablierten eine Welt, in der der es nichts mehr Tod ist mein Verlust, denn ich bin ein Teil der Menschheit …“, so beschrieb John Donne in seiner bis 2013 Präses der gefordert hat, sondern ein Riss. Und Medien. Das Internet als Schiff, das zu lernen gibt, [weil] es eine unsicht- Meditation XVII die grundsätzliche Verbundenheit aller Menschen in und durch „Gottes Hand“. Evangelischen diejenigen, die diesen Riss vielleicht es jeder und jedem ermöglicht, die bare Autopropaganda gibt, die uns Ein schönes Bild, auch für uns Heutige! Es nimmt die Vorstellung des Apostels Paulus von der Kirche im Rheinland überbrücken könnten, die Miss- Welt zu bereisen und den eigenen mit unseren eigenen Ideen indok- Verbundenheit aller getauften Christenmenschen als Glieder eines Leibes auf (1. Korinther 12, und Ratsvorsitzen- stände kritisieren und Menschen Horizont zu erweitern. Doch in den triniert.“ (The Economist, 2011). Er 12ff), erweitert sie aber auf alle Menschen. Weil eben alle Menschen – unabhängig von ihrem der der EKD. eine Stimme geben sollten, die Jour- letzten Jahren wird deutlich, dass fordert deshalb Filter, die ihre Ar- Glauben und ihrer Religion – Gottes geliebte Geschöpfe sind. nalisten und Journalistinnen, sind gerade das Internet die soziale Abkap- beitsweise transparent machen, und oft selbst durch ihren Inselblick ein- selung verstärken kann. 2017 schaffte die dem Nutzer nicht nur präsen- Kein Mensch kann ohne Beziehungsnetze leben. Nachhaltige soziale und emotionale Sicherheiten geschränkt. Zumindest legt das eine es „Echokammer“ auf Platz fünf der tieren, was ihm gefallen könnte, son- gewinnen Menschen nur in und durch Gemeinschaft mit anderen Menschen. Jeder braucht Dissertation von 2012 nahe. Dem- zehn Wörter des Jahres, die jedes Jahr dern auch was wichtig, heraus-for- tragfähige Bindungen an ein Festland, an Menschen, die ihn tragen, und an Gott, der alles Leben nach kommen 68 Prozent der Stu- von der Gesellschaft für deutsche dernd oder unbequem für ihn sein und alle Menschen trägt. Deshalb ist der Mensch keine Insel. dierenden an den renommiertesten Sprache (GfdS) gewählt werden. Das könnte. Journalistenschulen Deutschlands Wort bezeichnet die Verengung der Denn Inseln sind nur dann etwas Aber es gibt Zeiten, da braucht der Mensch eine „Insel“, einen Ort und eine Zeit, für die Rilkes aus einem „hohen“ Herkunftsmili- Weltsicht durch den verstärkten Wunderbares, wenn man sie auch Inselbeschreibung gilt: „Nah ist nur Innres; alles andre fern.“ Auf einer Insel, fern von äußeren eu, die Eltern sind häufig Akademi- virtuellen Umgang mit Gleichge- wieder verlassen kann. So vertraut Ablenkungen und fern von allen Alltagsgeschäften Ruhe zu suchen, Verantwortung für eine Zeit Fotoc: iStock International Inc. (1), M. Bölck (1), C. Wenn (1), epd-Bild (1) ker, ein überdurchschnittlicher An- sinnten in sozialen Netzwerken. Als uns unsere eigene Insel auch sein mag loszulassen,das hat auch etwas mit Gottvertrauen zu tun: mit der Gewissheit nämlich, dass es ein teil der Väter hat promoviert oder Varianten mit ähnlicher Bedeu- und so schön wir sie im Vergleich zu Sorgen gibt, in das unsere Sorge eingebunden ist, und dass Gott uns nicht aufgrund unserer Arbeit, habilitiert. „Wenn man die unteren tung nennt die GfDS auch Filter- anderen vielleicht finden: Wir sind als unserer Erfolge und unserer Leistungen liebt. Milieus nur aus der U-Bahn kennt, blase, Informationsblase, Informa- Menschen und als Gesellschaft darauf woher soll man wissen, was die The- tionskokon oder kommunikative In- angewiesen, Verbindungen zwischen Wie eine Insel brauchen Menschen den Sonntag als eine Auszeit und Atempause von den men dieser Leute sind?“, fragt eine zucht. Der Internetaktivist Eli Pariser den verschiedenen Inseln, auf denen Alltagsgeschäften der übrigen Wochentage. Und ebenso brauchen Menschen die Ferien als eine Journalistin in der taz 2016 kritisch. beschreibt in seinem Buch „The Filter wir leben, herzustellen. Wir müssen Auszeit und Atempause von den übrigen alltäglichen Wochen und Monaten eines Jahres. Wir Martina Bölck Bubble“ von 2011, wie leistungsfähige Brücken, Anlegestellen, Häfen bauen brauchen Orte und Zeiten, an denen wir uns auf uns selbst und unser Inneres konzentrieren, unsere ist freie Autorin Echokammern suggerieren, Algorithmen in Suchmaschinen und und Fährverbindungen einrichten. Gedanken und Gefühle ordnen und unsere Herzen neu von Gottes Wort und Gottes Geist und Dozentin in die Insel sei die ganze Welt sozialen Netzwerken, die genau über Das wird fremde Gäste auf unsere inspirieren und ausrichten lassen. Damit wir unsere Festlandsverbindungen neu justieren und (Der Beitrag Hamburg. Zu Standort, Vorlieben und Abneigungen Inseln bringen und es wird es uns damit wir mit neuen Kräften der Aufforderung des Propheten Jesaja folgen können: „Singet dem ist erschienen ihren Themen- Eine Insel bietet nicht nur Sicher- des Nutzern Bescheid wissen, ihn ermöglichen – und wir sollten das Herrn ein neues Lied, seinen Ruhm an den Enden der Erde, die ihr auf dem Meer fahrt, und was in zeitzeichen schwerpunkten heit, sie ist immer auch Begrenzung. gezielt mit Informationen versorgen, vielleicht öfter nutzen, als wir es tun im Meer ist, ihr Inseln und die darauf wohnen!“ (Jesaja 42,10) 8/2011) gehört die Das macht ihre Ambivalenz aus. die dazu passen („Das könnte ihnen – andere Inseln kennenzulernen, uns Interkulturelle Zum Bild der Insel gehört deshalb auch gefallen“), während andere In- dort umzusehen und mit neuen Er- Kommunikation. auch der Mensch, der am Ufer steht, formationen herausgefiltert werden. fahrungen zurückzukehren. 14 weltbewegt weltbewegt 15
Schwerpunkt D u musst Dir eine Karte fürs Tropenaquarium kaufen“, rate ich der Frau meines philippinischen Kollegen auf der Weihnachtsfeier. Draussen ist es dunkel. Und zugig. Und kalt. „So habe ich es gemacht, als ich neu in Hamburg war – eine wasserfeste Fahrradhose und eine Dauerkarte für Hagenbeck. Dort drinnen herrschen immer fünfundzwanzig Grad.“ D as Symbol mit den Ohren ist sofort zu sehen. Wenn man die Treppe hinunter in den U-Bahnhof kommen und von sich erzählen, egal ob es ihnen gut oder schlecht gehe. „Das mediale Menschenbild suggeriert Tropische Magie in Hagenbeck „Emilienstraße“ steigt, hängt es gleich vorne am Kiosk. Hier zwi- doch, dass Menschen nur etwas über sich erzählen können, wenn es ihnen Die Zuhör- Am Anfang war er, der Anfang. Der, ohne Ende. schen den Gleisen steht der gläserne gut geht. Aber so ist das Leben doch Am Anfang war die Stille, wüst und leer. Des Hörens bedürfend. Des Füllens bedürfend. Dann kamen das Rauschen des Windes, das Raum, der Menschen dazu einlädt, ihre Geschichten zu erzählen. Dank nicht.“ Er ärgert sich über dieses Idealbild, dass bewirkt, dass sich viele insel zwischen Keckern der Vögel, das Donnern des Wasserfalls. Das Fauchen der Christoph Busch gibt es diese Zuhö- scheuen, „auch über die Schattenseiten Schaben und das Knattern der Klapperschlange. Am Anfang war der Atem. Moder und Regenfeuchte, Ammoniak rinsel seit Anfang Januar. Dem 71- Jährigen kam die Idee bereits im letz- des Lebens zu sprechen“. Hier können sie so ein, wie sie sind. „Den meisten den Zügen und Algen. Der Atem, der aus dem Vollen schöpfte, Universen und ten Jahr, als er in der U-Bahnstation geht es doch um die Suche nach Anfangs des Jahres hat ein Staaten gebar: Wüstenbiotop und Flusslandschaft, Korallenriff und den Aushang entdeckte, dass der Glück“, ist eine der Erfahrungen aus Hamburger in einer U-Bahn- Termitenbau. Kiosk zu vermieten sei. Ein gläserner den letzten Wochen. „Wenn die Men- Am Anfang war die Wärme, schützend und brütend. Raum, offen für alles. Das war die schen kommen, die unglücklich sind, station einen „Zuhör-Kiosk“ Am Anfang waren die Wunder. Vom Zellhaufen zum Guppy, von der Gelegenheit. Warum sollte er nicht wollen sie ja wieder glücklich werden. eröffnet – und damit einen Amöbe zum Klippschliefer oder Elefanten über Generationen und einmal mit etwas anderem gefüllt Gemeinsam versuchen wir dann einen Nerv getroffen. Äonen. werden als mit Zeitschriften und Zipfel zu finden.“ Am Anfang waren die Farben. Giftgrün oder Gelbpink, Kar- Getränken? Warum ihn nicht einmal Zu Christoph Busch kommen Alte mesin, Petrol auf Terracotta: Baumpython und Diadem- mit Geschichten füllen? Mit Ge- und Junge, Frauen und Männer und Ulrike Plautz Tropen Zwergbarsch, Erdbeerfröschchen und Gartenboa. schichten von Menschen, die hier im Kiosk erzählt werden würden? Chri- erzählen ihre – meist sehr berührenden – langen oder kurzen Geschichten. Die in der Stadt Am Anfang war die Stille, die gehört werden wollte. stoph Busch setzte die Idee in die Tat meisten sind dankbar. Es habe ihnen um. Er malte große Ohren und gut getan, aus dem Leben zu erzählen Am Anfang war das Wort, und mit dem Wort kamen schrieb daneben: „Ich höre Ihnen zu. und dass da einer ist, der zuhört. jetzt ist das Notizbuch von Christoph die Namen, und mit den Namen kam die Liebe: Jetzt gleich oder ein anderes Mal“ Letztens sei eine Frau gekommen und Busch voll. Er hat offensichtlich einen Auf der Suche nach einer Traumkaiserfisch und Paradieswitwe, Blattschnei- und setzte sich in den Kiosk zum hätte gefragt, ob sie auch glückliche Nerv getroffen. Irgendwann wird er wärmenden Insel im winter- derameise und Brillenblattnasenfledermaus. Mit Zuhören. Von Montag bis Freitag von Geschichten erzählen könne, sie habe ein Buch über seine Erfahrungen kalten Hamburg hat Katrin den Namen kam das Aneignen, nicht dein und mein, 9.30 bis 14.30 Uhr ist er da. so ein schönes Leben gehabt. „Viele schreiben. Aber noch sitzt er im Kiosk Fiedler das Tropenaquarium sondern das Learning by Heart; das Einverleiben: Die Menschen kamen. Einige guck- sind so voller Geschichten, da ist es und nimmt sich Zeit, den Menschen Krabbe und Banane, Pangasius und Brotfruchtbaum. ten im Vorbeigehen einmal rein, doch einmal toll, wenn sich einer zuzuhören. Deshalb werden die Men- im Hamburger Tierpark Mit den Namen kamen die Liebe, und die Einsicht, andere kamen gezielt, einige mehr- endlich die Zeit nimmt, um sie zu schen weiterhin kommen, in die Glas- besucht. Dort machte sie und das Überleben: Rotknie-Vogelspinne und mals. An manchen Tagen waren es so hören“, sagt einer der Passanten. Schon insel zwischen den Gleisen. besondere Erfahrungen …. Schokoladendoktorfisch, Pfeilgiftfrosch und Fransen- viele, dass sie Schlange stehen mussten. schildkröte. „Aus Selbstschutz“, wie er sagt, hat sich Am Anfang war die Stille, die gehört werden wollte. Christoph Busch inzwischen eine Uhr Das lautlose Gleiten des Blaupunktrochens, Schatten gekauft. Nach einer Stunde frage er die seiner selbst. Erzählenden im Kiosk freundlich, Gott suchen. Und finden. Das sei der jesuitische Weg, sagt der ob sie nicht ein andermal wieder- Prediger im Sonntagsgottesdienst. Er habe lange gebraucht, um es zu kommen wollten.“ Christoph Busch ist erkennen, dann habe es ihn neulich, in einer klösterlichen Liturgie, erfasst: kein Therapeut und auch kein „Prie- Es sei ein Dreischritt, unvollständig ohne einen letzten, dritten. ster, der die Beichte abnimmt“ und will Am Anfang war das Staunen. Über die himmelblaue Mundhöhle der Grünen auch nicht so verstanden werden. „Ich Mamba, das allwissende Auge des Chamäleons, über den Phosphorglanz der höre als Christoph Busch zu“, sagt er. Anakonda, das Pixelmuster des Grünen Hundskopfschlingers. Über Der Autor hat Hör- und Drehbücher Schleuderzungen und Riechzungen, Farbkommunikation und Infrarotjagd. geschrieben und war zweimal für den Fotos: iStock International Inc. (1), U. Plautz (1) Über die Kinderstuben der Fledermäuse und die Brutbeutel der Seepferdchen- Deutschen Fernsehpreis nominiert. Männchen. Über Nilkrokodile, deren Geschlecht durch die Bruttemperatur Was ihn treibt ist seine Neugier auf bedingt wird, und Ohrenquallen, die ihre Seinsart ändern, immer und immer andere Menschen und die Geschich- Katrin Fiedler wieder: Ei und Larve und Knospe und Meduse. Und Ei. Über das Schlammgrau te(n) derer, die kommen. Auch weil er ist Referentin des Schlammspringers, das Laubbraun der Königskobra: So und nicht sich „gern in andere hineinversetzt“. Er für Lateinameri- anders. fühle sich an diesem Ort selbst wie auf ka im Zentrum einer Insel. „Die Züge sind die Flüsse Christoph für Mission und Ein Dreischritt, sagt der Prediger, so einfach und so notwendig. und ich sitze hier auf der Insel und Busch Ökumene. Gott suchen. Und finden. Und anbeten. werfe die Angel aus“, sagt Christoph in seiner Busch. Zu ihm können die Menschen ZuhörInsel 16 weltbewegt weltbewegt 17
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