Inside out - Gutes Leben: Was braucht es dafür? - TH Köln
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Inside out Das Hochschulmagazin der TH Köln Frühling 2016 Sinnsuche Handarbeit Adrenalinkick Glück und Identität Kalter Stahl und Ist virtuelle Höhe zwischen 20 und 30 heiße Eisen vergleichbar mit realer? Gutes Leben: Was braucht es dafür?
Gut gesessen Studentische Ideen zu Möbeln und zur Integration Prof. Dr. Rüdiger Küchler, Vizepräsidentin für Wirtschafts- und Personalverwaltung Foto: Thilo Schmülgen, TH Köln 16/21 Gutes Leben Tobias Ritschel über die Editorial Sinnsuche seiner Generation Liebe Leserin, lieber Leser, 18 meistens stehen die Professorinnen, Professoren und Studierenden im Vordergrund, wenn wir von unseren Lehr- und Forschungsprojek- ten berichten. Dabei sind für deren Gelingen viele unterschiedliche Akteure verantwortlich. Von der großen Idee bis zum kleinen Hilfs- mittel – in einer so großen Wissenschaftseinrichtung wie der TH Köln greifen viele Rädchen ineinander. In den rund 15 verschiedenen tech- nischen und handwerklichen Werkstätten – von traditionellen Ge- werken wie der Tischlerei bis zu modernen Entwicklungen wie dem CAD-Labor – arbeiten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den Fakultä- ten zu. Sie fertigen individuelle Aufbauten, Apparaturen und Zubehör für Versuche, schulen die Studierenden im praktischen Umgang mit Werkzeug und Material und unterstützen sie bei ihren Projekten und Abschlussarbeiten. In dieser Ausgabe von Inside out rücken wir die Werkstätten in den Mittelpunkt. Vier Handwerksmeister präsentieren in einem Bilderrätsel ihre Lieblingswerkzeuge (ab Seite 8). Erraten Sie, welche das sind? 6 Abwärts 26 Übrigens: Unsere Werkstätten und Labore sind auch Ausbildungsbe- Werkstattbesuch Ist virtuelle Höhe triebe. Derzeit bilden wir 25 junge Menschen in Berufen wie Elektro- Handwerksmeister und vergleichbar mit realer? techniker, Tischlerin, Metallbauerin oder Baustoffprüfer aus. ihre Werkzeuge Außerdem stellen wir Ihnen in unserer Frühjahrsausgabe Menschen Königsklasse vor, die sich mit einer der wesentlichen Fragen auseinander setzen: Architekturwettbewerbe Was braucht es zu einem guten Leben? Wie lässt sich Arbeitsalltag und Kreativität in Balance halten? Dr. Frank Berzbach hat dazu bereits mehrere erfolgreiche Bücher veröffentlicht (Seite 4). Und Tobias Rit- schel ist für seine Abschlussarbeit „Auf der Suche nach dem guten Le- 24 und ihre Herausforderungen ben“ den Identifikationsschwierigkeiten seiner Generation nachge- gangen (Seite 19). Leben Lernen und Forschen Wissen Die kritische Auseinandersetzung mit den Problemen anderer kann 4 Die Kunst des kreativen Lebens 16 Schlicht designt und gut gesessen 23 Baut ihnen Heimat 31 Neue Gesichter auch dazu beitragen, dass sich der Blick auf das eigene Leben ver- Buchautor Frank Berzbach und die Studentische Designs auf der Architektur: Ideen zu neuen Neuberufene Professorinnen ändert. Zu den aktuellen Themen, die Studierende an unserer Hoch- pragmatische Philosophie imm Möbelmesse und den Passagen Wohnformen für Geflüchtete und Professoren schule beschäftigen, zählt die Situation von Flüchtlingen. Wie kann Integration gelingen? Das studentische Wohnkonzept Via Liberta gibt 6 Kalter Stahl und heiße Eisen 18 Auf der Suche nach dem guten Leben 24 Sportsgeist gefragt 33 Nachrichtenticker darauf eine Antwort (Seite 21). Der von Studierenden der Sozialen Ortstermin: Die Werkstätten Tobias Ritschel über die Sinnsuche Professor Marian Dutczak über die Heraus- Arbeit entwickelte Ansatz ist bereits auf Interesse städtischer Woh- der Fakultäten seiner Generation forderungen von Architekurwettbewerben 34 Personalia nungsbau- und Wohlfahrtsverbände gestoßen. Unsere Hochschule Professorinnen und Professoren bietet den nötigen (Frei-)Raum, in der Studierende Lösungen für 20 Small-Talk 26 Mehr Komfort in der virtuellen Welt im Ruhestand komplexe Probleme entwickeln können. Schön, dass diese einen ech- ... mit Prof. Dr. Horst Müller-Peters über Höhenangstsimulation im Motion ten Beitrag zur gesellschaftlichen Entwicklung leisten. den alltäglichen Versicherungsbetrug Capturing Studio Viel Spaß beim Lesen wünscht Ihnen 21 Die Integrations-WG 28 Deine Idee – dein Projekt Rüdiger Küchler Soziale Arbeit: Ideen zu neuen Studienstiftung schreibt Wohnformen für Geflüchtete studentischen Wettbewerb aus 30 Ausgezeichnet Inside out_Frühling 2016 Inside out_Frühling 2016
Leben | 5 Ein schöpferisches Leben führen, wer will das denn nicht. Aber da ist diese grässlich schmerzhafte Form, das ist ein ganz wichtiges Stichwort Seite der kreativen Existenz, das meist ins für Kreativität, und wahrscheinlich auch das Leere schnappende Greifen nach der vagen stärkste verbindende Element zwischen Idee, das zähe Ringen um ihre Gestalt und dem Mönch Benedikt und Buddha. „Die zugleich immer dieser Abwehrkampf gegen Wirkung von Form kann man nur erfahren, die banale Außenwelt. „Kreativität aushal- wenn man sich ihr mal unterwirft“, sagt ten“ hieß Frank Berzbachs erstes Buch zu Berzbach. Äußere Ordnung, Stille, kon- diesem Thema. Der Titel klingt genau nach zentrierte Rituale und Übungen, das alles diesem qualvollen Dasein, das ach so viele sind Elemente der Bücher, die der Autor kreative Menschen erdulden mussten und als populär im besten Sinne verstehen will: müssen. „Abgegrenzt von Esoterik, aber auch vom selbstverliebten Wissenschaftsjargon.“ Aber der Titel täuscht. Weit entfernt vom klassischen Künstler-Klischee schildert Die Bücher und die Lesungen haben mit Berzbach recht entspannte, wenn auch den Inhalten der Hauptjobs erstmal wenig formbetonte Wege zum kreativen Leben. zu tun. Und doch: Auf seiner zweiten halben Eine sehr pragmatische Philosophie, die sich Stelle für Psychologie gibt Berzbach regel- vor allem aus dem Zen-Buddhismus speist. mäßig ein Seminar, in dem die Form streng Ihm entnimmt der Autor die Grundhaltung, ist. Keine Tische und Stühle, keine Handys die Konzentration aus der Stille und der Ein- oder dergleichen, eine Gruppe kocht Tee, fachheit bezieht. Dazu kommen Grundsätze auf Pünktlichkeit wird strikt geachtet. Man aus vielerlei Quellen, auch christlichen. „Die sitzt beisammen, blendet Ablenkungen aus mittelalterliche Arbeitslehre der Benedikti- und erlebt, was Konzentration eigentlich ist. ner ist so differenziert, da wird die moderne Es ist kurios: Über den Umweg fernöstlicher Arbeitspsychologie blass!“, sagt Berzbach. Philosophie ersteht altehrwürdige westliche Dieses erste Buch wurde schon in vier Spra- Bildungskultur wieder auf. Berzbach kann chen übersetzt, darunter Koreanisch. sich vorstellen, dass diese Art Seminar in der noch recht neuen Bildungswerkstatt der TH Von der „Kunst, ein kreatives Leben zu füh- Köln machbar wäre. Da führt die kreative ren“ handelte sein zweites Buch. Damit ist Nebenbeschäftigung dann doch wieder er seit drei Jahren „permanent auf Leserei- direkt zum kreativen Hauptberuf. se“. Als hätte der Autor nicht genug zu tun Werner Grosch mit einer halben Stelle an der TH, in der er vor allem Grundlagen der Erziehungswis- frankberzbach.tumblr.com senschaft vermittelt, und einer weiteren Do- zentenstelle an einer privaten Hochschule, wo Psychologie sein Fachgebiet ist. Aber so ist das mit den Kreativen. Anders sein geht nicht, Sosein ist indes manchmal auch hart. Deshalb finden die Bücher eben auch so viel Anklang. Im nächsten, das gerade in der Endbearbeitung ist, soll es vor allem „um Formprozesse“ gehen, erklärt Berzbach. Foto: Bjørn Fehl / bjoernfehl.com Inside out_Frühling 2016
6 | Leben Leben | 7 Kalter Stahl und heißes Eisen Für Experimente und Untersuchungen in Forschung und Lehre braucht es oft maßgeschneiderte Anfertigung aus Holz, Kunst- stoff, Metall oder der Elekrtonik. In den Werkstätten unserer Hochschule bieten Handwerks- und Industriemeister, Mitarbei- ter und Auszubildende unterschiedlichste Servieleistungen für Lehrende und Studierende. Neben Hightech-Geräten kommt dabei auch traditionelles Gerät zum Einsatz. Vier Meister stel- len ihre Lieblingswerkzeuge vor. Erraten Sie, welche das sind? Stammt noch aus der Zeit der Kölner Werkschulen, bringt 40 kg auf den Quadratzentimeter, steht 1,20 Meter tief im Sand, und ist beliebt bei Designstudierenden. Fotos: Thilo Schmülgen, TH Köln Inside out_Frühling 2016 Inside out_Frühling 2016
8 | Leben Leben | 9 An einem Schmiedehammer funktionieren alte Rollenmuster und Geschlechterklischees noch gut: „Die Jungs machen immer Messer und Schwerter, die Mädels ausschließlich Schmuck. Ich sollte vielleicht mal die Aufgabenstel- lung ändern, damit es für mich interessanter wird”, sagt Eckhardt Selbach und muss dabei schmunzeln. Seit 30 Jahren ist der Hand- werksmeister Metall schon an der Hochschule – an den Vorlieben der Designstudierenden für Messer und Schmuck hat sich über die Jahre nichts geändert. Ebenso wenig am Interesse für altes Hand- werk in Zeiten von 3D-Druckern. „Die rennen mir bei den Kursen und Projekten die Bude ein. Viele finden es faszinierend, mit einem Werkzeug zu arbeiten wie vor hundert Jahren.” Tief unten im Keller des Ubierrings 40 steht der Schmiedehammer. Ein Relikt noch aus der Zeit der Kölner Werkschulen, als hier Bil- dende Künste gelehrt wurden. Seit Ende der 1950er Jahre steht der eine Tonne schwere Hammer schon an seinem Platz, eingelassen in einen Meter tiefen Sand, um die Erschütterungen abzufedern. Sel- bach ist froh, das unverwüstliche Stück bewahrt zu haben. Auch über eine Esse verfügt die Werkstatt, um die Metalle im Schmiede- feuer zu erhitzen. Wegen der Lautstärke wird der Hammer aber nur zu nachbarschaftsverträglichen Uhrzeiten angeworfen. Mit ihm for- men die KISD-Studierenden alte Metalle neu. Eine ganze Reihe von umdesignten und nicht mehr wiederzuerkennenden Hufeisen hän- gen an der Wand. Außerdem gibt Selbach Schweißkurse in allen möglichen Verfahren. Umformen und Schweißen sind vor allem für die Studierenden interessant, die sich auf Manufacturing Design, Industrie- oder Möbeldesign konzentrieren. „Gerade bei den länge- ren Projekten stellt sich heraus, wer ein Talent für das Kunsthand- werk hat.” mp Es misst 3,90 x 4,00 x 2,70 Meter, braucht Wasser gegen Hitze und Reibung, Eckhardt Selbach am eine Tonne schweren Schmie- und ist ein Allrounder für Kunststoffe, Alu, Baustahl, dehammer. An ihm lernen die Designstudierenden das Umformen von Metall – Plexiglas und Edelstahl. vorzugsweise in Messer und Schmuckstücke Foto: Monika Probst, TH Köln Fotos: Marcello B. Bonon, TH Köln Inside out_Frühling 2016 Inside out_Frühling 2016
10 | Leben Leben | 11 Werkstattleiter Thomas Schwan ist stolz auf seinen Allrounder, das Bearbeitungszentrum Wer zum ersten Mal die Zentralwerkstatt Maschinenbau am Campus Deutz betritt, wird wahrscheinlich über- rascht sein von ihrer Größe und davon, wie vollgestellt sie ist. Hier reiht sich eine Großmaschine an die nächste: Blechbearbeitungs- maschinen, verschiedene Fräs-, Dreh- und Schleifmaschinen, Wal- zen, Sägen und Schweißgeräte. Zu den 15 Großmaschinen kommen noch unzählige kleinere Geräte. Alles ausgerichtet auf den Bedarf der ingenieurwissenschaftlichen Fakultäten. Mit diesem Gerätepark produzieren Thomas Schwan und seine Mitarbeiter Versuchsauf- bauten, Geräte und Komponenten für individuell konzipierte Bau- gruppen. Seien es Modelle für den Windkanal der Fahrzeugtechnik oder Sonderanfertigungen für die Anlagen- und Verfahrenstech- niker. Auch bei Studierenden, die ihre Abschlussarbeit schreiben, ist die Maschinenbauwerkstatt eine feste Anlaufstelle für die Bera- tung und Fertigung. Die meisten Aufträge basieren mittlerweile auf CAD-Modellen. Weil die Anforderungen in Formgestaltung und Ge- nauigkeit im Mikrometerbereich ständig steigen, braucht auch die Werkstatt Geräte mit moderner, computergesteuerter Technik. Thomas Schwan ist seit zwölf Jahren der Werkstattsleiter. Für den Kauf seines liebsten Stücks hat er sich besonders stark gemacht: Das wuchtige Bearbeitungszentrum ist eine Allroundmaschine, die gleich mehrere Arbeitsschritte beherrscht. Bohren, senken, Ge- winde schneiden und 3D-Konturen fräsen – alles aus einer Hand. Er zählt zu den ältesten Werkzeugen der Menschheit, „Und es ist bei bestimmten Fertigungen viel genauer und variabler als zum Beispiel eine konventionelle Fräsmaschine”, sagt Schwan. 115.000 Euro hat das Zentrum vor sechs Jahren gekostet. Doch das der Donnergott Thor nennt seinen Mjölnir, Bessere ist bekanntlich der Feind des Guten: „Statt unserer Drei- Achs-Maschine gibt es mittlerweile Fünf-Achs-Geräte, mit denen wir noch viel mehr Fertigungsvarianten realisieren könnten.” Die er ist Symbol auf Wappen und Flaggen, hat aber auch einen stolzen Preis: knapp 300.000 Euro braucht es, „damit wir auch in Zukunft auf dem neuesten Stand bleiben.” mp und sollte in keinem Haushalt fehlen. Inside out_Frühling 2016 Inside out_Frühling 2016
12 | Leben Leben | 13 „Mein Lieblingswerkzeug ist eigentlich immer das, womit ich gerade arbeite.” Und die Auswahl an Werk- zeugen und Großgeräten, die Tischler Martin Waleczek zur Verfü- gung hat, ist beeindruckend. Zum Beispiel eine Vakuummem- branpresse und ein CNC-Bearbeitungszentrum. „In Sachen Holz ist unsere Werkstatt sehr gut ausgerüstet.” Aber es gibt doch ein Werkzeug, das Martin Waleczek besonders am Herzen liegt: sei- nen Hammer. Dessen Stiel hatte er 1982 selbst angefertigt. Es war das erste Werkstück während sein Ausbildung. Seitdem hat ihn der Hammer immer begleitet und ihm treue Dienste ge- leistet. Bis er ihn im vergangenen Sommer zum Bau des vene- zianischen Holzbootes benutzte, einem studentischen Projekt. Der Stiel ging kaputt. „Ich war etwas überrascht, es hat mir rich- tig wehgetan”. Mittlerweile ist der Hammer wieder repariert. Für Tischler eigentlich ein untypisches Werkzeug, meint Martin Wa- leczek. Mit dem Hammer werden Holzverbindungen hergestellt, aber wer macht das heute schon noch von Hand? Stattdessen wird gedübelt, geschraubt oder verklebt. Im Labor für experimentelles Bauen der Fakultät für Architek- tur unterweist der Tischlermeister nicht nur derzeit drei Auszu- bildende in der Holzverarbeitung, sondern betreut auch die Stu- dierenden. Hier arbeiten sie an ihren Modellen, oft im Maßstab 1:1000, manchmal auch 1:1. Außerdem übernimmt die Werkstatt Auftragsarbeiten an für die eigene und auch für andere Fakultä- ten. „Vom Messestand bis zu einem Schreibtisch – unsere Aufga- ben sind breit gefächert.” mp Seit 34 Jahren unzertrenn- lich: Martin Waleczek und der Hammer Sie steht am Campus Deutz im siebten Stock, wiegt rund 800 kg, macht runde Dinge – und Schillerlöckchen, und ist bis auf den 100stel Millimeter genau. Inside out_Frühling 2016 Inside out_Frühling 2016
14 | Leben Leben | 15 1966 wurden in den Vorgängereinrichtungen der TH Köln am Campus Südstadt die Gebäude noch mit Kohle beheizt. Dazu brauchte es Ar- beiter, die im Keller die Heizungsanlagen in Gang hielten. 14 Jahre alt war Helmut Buslei an seinem ersten Arbeitstag, dem 12. April. Zwar war er in der Werkstatt der Landmaschinen- und Versorgungstechnik der Staatlichen Ingenieurschule Maschinenbau angestellt, wurde aber bei Bedarf auch als Heizer zum Kohle schaufeln eingesetzt. Ungewöhnlich hoch gele- gen ist die Metallwerkstatt von Aaron Finkenthei im Jetzt blickt Helmut Buslei, mittlerweile Facharbeiter in der Werkstatt siebten Stock des Instituts für Landmaschinentechnik, zurück auf ein halbes Jahrhun- dert Hochschulbetrieb. Das ist Rekord. Und es ist viel passiert: die Grün- dung zur Fachhochschule, der Bau des IWZ in Deutz, die Restrukturie- rung der Fachbereiche in Fakultäten, der neue Name TH Köln. Rektoren, Professoren und Studierende, die kamen und gingen. „Helmut Buslei ist unser Fels in der Brandung”, sagt Ferdinand Haerst, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut. Er hat Buslei in 30 Jahren Zusammenarbeit ken- nen und schätzen gelernt. „Unerschütterlich, äußerst sorgfältig und im- mer zuverlässig. Ich habe mich schon öfter gefragt, woher er diese Hal- tung nimmt.” Haerst und seine Kolleginnen und Kollegen wollen sich lieber nicht ausmalen, was nach Helmut Buslei kommt, der jetzt in Rente gehen wird. Anscheinend hat der 65-Jährige seine Kolleginnen und Kollegen Hier dreht sich nicht das Werkzeug, zu sehr verwöhnt. Und für beruhigende Konstanten gesorgt: Zum Bei- sondern das Werkstück. Die Drehbank war Aaron Finkentheis erste Anschaffung, als er vor sechs Jahren die Betreuung der Me- spiel das Putzen der Werkstatt pünktlich jeden Freitagmittag – da gab tallwerkstatt der Fakultät für Informations-, Medien- und Elekt- es bisher keine Ausnahme. In seinem Ruhestand wird sich Helmut Bus- rotechnik übernahm. „Das ist eine der wichtigsten Maschinen in lei weiterhin bei der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung Deutsch- unserer Werkstatt”. Denn so gut wie jedes mechanische Gerät hat runde Elemente. Und die werden meist in einem zerspanenden land in Kirche und Karneval engagieren und viel Zeit in seinem Ferien- Verfahren hergestellt, dem Drehen. Gleich neben der neuen Ma- häuschen im Westerwald verbringen. schine steht die verschlissene Vorgängerin, Jahrgang 1978. Na- türlich ist die neue Präzisionsmaschine mit viel mehr Bedienkom- fort ausgestattet. „Bei den Aufträge, die bei uns eingehen, muss es immer möglichst schnell gehen. Dazu brauchen wir auch mo- derne Geräte.” Für die Fakultät fertigt der Industriemeister Metall unter ande- rem Aufbauten aus Metallen und Kunststoffen, auf denen Prüf- 50 körper platziert werden. Oder Linsen- und Spiegelhalter für die optischen Messungen und Versuche. Außerdem Platinen, mit de- nen Akkuzellen gebaut oder Steuerungen in der Automatisie- rungstechnik realisiert werden können. Neben den Aufträgen für Forschungsprojekte sind viele der Arbeiten Dienstleistungen für die Studierenden. „Oft brauchen sie für ihre Abschlussarbeiten bestimmte Aufbauten, die wir dann nach Maß anfertigen. Das meiste passt dabei oft in einen Schuhkarton”, sagt Finkenthei. Dass die Werkstatt im siebten Stock liegt ist nicht nur ungewöhn- lich, sondern schon auch manchmal hinderlich. Große Gerät- schaften lassen sich nicht immer über die Aufzüge transportie- ren. Und im Sommer steigt das Thermometer schnell auf über 35 Grad. „Dafür haben wir aber eine tolle Aussicht auf das Siebenge- birge. Und die Unterstützung der anderen Werkstätten auf dem Campus. Die gegenseitige Hilfe ist viel wert.” mp Inside out_Frühling 2016 Inside out_Frühling 2016
16 | Lernen und Forschen Lernen und Forschen | 17 Schlicht designt, gut gesessen Während der Messe imm und den Passagen steht Köln eine Woche lang im Zeichen von schönen Möbeln und neuem Design. Zum guten Ton gehören da auch die Beteiligungen der TH Köln. In diesem Jahr präsentierten die Studierenden Entwürfe Foto: Marcello Bonon, TH Köln Faltbare Hocker aus Aludibond zum Platz nehmen und ablegen – und sie setzten sich mit zeigte das Studio gestaltung I CIAD Prototypen in der Ausstellung foldable furniture. Im Wahlmodul Formfin- lokaler Bestandsarchitektur auseinander. dung des Bachelorstudiegangs Architektur beschäftigten sich die Studierenden mit Frage, wie das fräs- und faltbare Leichtbaumaterial Aludibond im Möbeldesign angewendet werden kann. Leitung: Prof. Dr. Nadine Zinser-Junghanns Mitarbeit: Sabina Priese, Martin Waleczek Studierende (v. l.): Carolin Rosenberg, Dominique Wussow, Andreas Smets, Selim Bagci Einfach, elegant, durchdacht und schlicht sind die Möbel und Asseccoires, die Studierende der Köln International School of Design (KISD) zusammen mit Kommilitonen des Royal Melbourne Institute Eine Spannweite von sieben Metern of Technology (RMIT) in Australien entworfen haben. Unter dem Titel Schlicht misst das experimentelles Hebelstabwerk aus 120 Pappröh- haben sie sich mit Funktion, Form und Reduktion von Design auseinander ren, dass Architekturstudierende konstruiert haben. Es ist in gesetzt. Bei gegenseitigen Besuchen entwarfen die Studierenden gemeinsam in der Form des Bahnbogen 04 in Köln-Ehrenfeld nachempfun- Melbourne und bauten später in den Werkstätten der KISD die Prototypen. Nach den. Das Tragwerk funktioniert ohne starre Verbindungen dem vom Pionier der Möbelproduktion Michael Thonet entwickelten Verfahren, der 60 mm Durchmesser tragenden Stäbe. Aufgrund der Für den Einzelhandel in den Ehrenfelder Bahnbögen Holz unter Wasserdampf zu biegen, wurden traditionelle Metall- und Holzver- komplizierten Kräfteflüsse ist es baustatisch sehr anspruchs- in der Bartholomäus-Schink-Straße haben Studierende der Vertiefung arbeitungstechniken angewendet. Kombiniert wurden die alten mit modernen voll. Das Prinzip dieses Tragwerks, das bereits in der Antike Corporate Architecture des Masterstudiengangs Architektur neue Technologien wie Lasercutting, 3D-Printing und CNC-Fräsen – und ausgestellt bekannt war, haben die Studierenden in einem Workshop Konzepte erarbeitet. In einer Ausstellung präsentierten sie neue Einzel- auf der internationalen Möbelmesse imm. mit dem Züricher Architekten Udo Thönnissen und dem handelskonzepte, die den digitalen Wandel und das dadurch bedingten Leitung: Prof. Wolfgang Laubersheimer (KISD), Prof. Malte Wagenfeld (RMIT) neue Einkaufsverhalten berücksichtigen. Eine Analyse der Studierenden Architekturbüro BHSF kennengelernt. Mitarbeit: Mohamed Hassan über den Charakter des Ortes, die städtebaulichen Voraussetzungen und Leitung: Prof. Rüdiger Karzel Studierende: Waldemar Fischer, Markus Hench, Marina Kuck, Johannes König, Carola den Nutzerbedarf hatten ergeben, dass der Ehrenfelder Bahnhof sehr gut Studierende: Waldemar Fischer, Markus Hench, Marina Kuck, Schiffczyk, Annika Schröder und Merve Selvi dafür geeignet ist, den lokalen Einzelhandel zu fördern und einen neuen Johannes König, Carola Schiffczyk, Annika Schröder und Marktplatz mit besonderer Aufenthaltsqualität anzubieten. Merve Selvi Leitung: Prof. Jochen Siegemund Mitarbeit: Katharina Koppe Studierende: Patrick Müller, Benedikt Braun, Jana Mitnik, David Buchter, Elena Ihl, Marion Schultz, Carlotta Rinaldi Foto: Lukas Liese, TH Köln Foto: Patrik Müller, TH Köln Foto: BHSF Inside out_Frühling 2016 Inside out_Frühling 2016
18 | Lernen und Forschen Lernen und Forschen | 19 Auf der Suche nach dem guten Leben Sie gehört zu den Fragen aller Fragen: Was ist ein gutes Leben? Und wie glück- lich und zufrieden sind wir? Tobias Ritschel, Absolvent der Sozialen Arbeit, ist der Sinnsuche einer Generation in seiner Abschlussarbeit nachgegangen. Jede Generation bekommt ihren eigenen Na- Thema bestätigen den Eindruck. „Mit je mehr Die Untersuchungen aus den USA und Deutsch- Medien. Dabei dienen sie jungen Erwachsenen men. Zum Beispiel die Generation X. Erstmals Leuten ich über dieses Thema gesprochen habe, land zeigen ein einheitliches Bild einer in die als einziger echter Rückzugsort. Hier orientie- bekannt geworden ist die in der Soziologie defi- umso mehr habe ich festgestellt, dass viele sehr Krise geratenen Generation in einer individua- ren sie sich über ihre Berufsbilder. Und kriegen nierte Gruppe durch den gleichnamigen Roman unzufrieden mit sich sind und Schwierigkei- lisierten Gesellschaft. Die Übergangsphase der später die vorgelebte Perfektion nicht mit ih- von Douglas Coupland. Als deutsches Pendant ten haben, sich beruflich und privat zu orien- Unsicherheit und Orientierungslosigkeit hat rer unvollkommenen Realität überein. Das So- beschrieb Florian Illies in Generation Golf jene tieren. Sie erleben die Gesellschaft als Markt, in sich mittlerweile über die Postpupertät ausge- cial Web wird als Ort der persönlichen Freiheit Menschen, die zwischen 1970 und den 1980er der man unter der Maxime das ‚Beste aus sich dehnt bis Anfang 30. Ein Alter, in dem man vor wahrgenommen, in dem man seine Persön- Jahren aufwuchsen, zwischen Kaltem Krieg, zu machen‘ unbedingt mithalten muss. Und sie 50 Jahren bereits angekommen war: Man stand lichkeit definieren kann. Allerdings immer un- Popkultur und Hedonismus, auf der Suche nach bewerten sich selbst als Scheiternde.“ mitten im Beruf, hatte eine Familie gegründet ter der Maßgabe der in den Medien vorgeleb- dem persönlichen Glück. Heute ist man ange- und blieb 30 Jahre seiner Festanstellung treu. ten Perfektion. Das heißt, man wägt genau ab, kommen bei der Generation Z, der Kohorte, Den Absolventen des Bachelorstudiengangs So- mit welchen Hobbies und Freunden man sich die zwischen 1995 und 2010 geboren wurde. ziale Arbeit beschäftigte die Problematik schon Heute fehlten im eigenen Umfeld die Vorbil- inszeniert. Die Referenz bildet der eigene Freun- Im Alphabet ist man jetzt am Ende angelangt. während seines Studiums, er zählt sich zu der der, meint Ritschel und spricht dabei von Iden- deskreis, der zur Konkurrenz wird. „Es geht da- Doch der Wunsch, die verschiedenen Altersklas- Gruppe Sinnsuchender dazu. Seine berufliche titätsdiffusion und einer Quarter Life Crisis jun- bei um die glücklich-perfekte Selbstdarstellung, sen in ihrem Lebensgefühl zu charakterisieren Orientierung führte den 31-Jährigen von ei- ger Erwachsener, die sich auf unbestimmte Zeit die mittlerweile überhandgenommen hat. Das und zu normen, ist anscheinend stärker als je- ner kurzen Zeit als – lediglich eingeschriebener verlängert. Viele können oder wollen die Le- wird bereits in der Jugend mit großer Ernsthaf- mals zuvor. – Philosophiestudent über die Sprachwissen- bensmodelle ihrer Eltern nicht mehr überneh- tigkeit betrieben. Auch im direkten Kontakt mit schaften. In der Sozialen Arbeit fand er dann die men. In einem globalisierten Markt hat man ihren Freunden versuchen viele, gut dazuste- Dabei eint doch jede Generation der dem Men- richtige Disziplin. Für seine Thesis „Auf der Su- sich beruflich flexibel und mobil zu zeigen. Des- hen. Dadurch ist man im ständigen Abgleich schen ureigene Wunsch nach einem glücklichen che nach dem ‚guten Leben‘ – die Krise der so- halb würden viele ihre persönliche Freiheit mit den anderen. Und zieht subjektiv immer Leben. Neben der Frage, was ein gutes Leben zialen (Selbst)Integration junger Erwachsener“ nicht wirklich als solche erleben. den Kürzeren.“ überhaupt ausmacht, sind deshalb die Antwor- ist er in die Hall of Fame der Fakultät für Ange- ten interessant, die Menschen geben, wenn wandte Sozialwissenschaften aufgenommen Das läge zum einen an den Erwartungshaltun- In den Interviews, die Ritschel für seine Thesis sie nach ihrer persönlichen Zufriedenheit ge- worden. gen der Eltern, dass ihre Kinder die eigenen un- herangezogen hat, ist es demnach eigentlich fragt werden. In einer Gesellschaft des materi- erfüllten Wünsche realisieren und es finanziell egal, welchen Lebensentwurf die Freunde ge- ellen Wohlstands und der individuellen Freiheit; Auf der Suche nach der eigenen Identität besser haben sollen. Zum andern bewertet Rit- wählt haben – es ist irgendwie immer der bes- wie zufrieden sind da zum Beispiel Männer und Neben seinen eigenen Beobachtungen in pri- schel das Schulsystem als zu marktkonform. „Ju- sere. „Diejenigen, die ihr Studium schnell und Frauen im Alter zwischen 20 und 30? In der So- vaten und beruflichen Kontexten hat Ritschel gendliche haben viel zu wenig Zeit und Mög- erfolgreich absolviert haben, beneiden jene, die ziologie werden die Y-erinnen und Y-er als op- sich in seiner Arbeit vor allem auf wissenschaft- lichkeiten, sich in Ruhe auszuprobieren. Man sich mehr Zeit gelassen haben, weil sie dadurch timistisch und selbstbewusst charakterisiert. liche Studien und qualitative Interviews ge- macht Potenzialanalysen und Hospitationen, mit sich im Reinen seien“. Neben dieser Selbst- Ihnen sei der materielle Status nicht mehr so stützt. Dabei, so räumt er ein, sei das Thema bis- die Schülerinnen und Schüler sollen möglichst kritik zieht sich ebenfalls durch die Interviews, wichtig, der Job soll Sinn stiften und Spaß ma- her quantitativ noch kaum Gegenstand in der schnell ihren beruflichen Weg finden. Später er- wie sehr die Unzufrieden- und Ichbezogenheit chen. Familie und Freizeit werden der Karriere Forschung. „Leider hätte es den vorgegebenen achten junge Menschen zum Beispiel ein frei- auch die Beziehungsgestaltung prägt. nicht mehr untergeordnet. Rahmen gesprengt, wenn ich eigene Interviews williges Soziales Jahr als Handicap, das sie zeit- geführt hätte. Mehr als drei hätte ich nicht ein- lich gegenüber der Konkurrenz zurückwirft. „Viele haben Schwierigkeiten mit längeren Be- Doch fühlen sich junge Erwachsene tatsächlich binden können – als Aussage viel zu wenig.“ Obwohl eigentlich viele in den Interviews sag- ziehungen, da sie als eine Form der Festlegung glücklich? Tobias Ritschel erlebt das etwas an- ten, dass sie sich gerne für die Gesellschaft en- betrachtet werden, die mehr verunsichert als ders. Nicht nur in seinem persönlichen Umfeld. gagieren würden.“ beruhigt. Sie sind getrieben von der Sorge, dass Auch wissenschaftliche Untersuchungen zum Fluch und Segen: die Medien Die dritte Ursache für die chronische Selbst- Für seine Bachelorthesis ist Tobias Ritschel in optimierung und Unzufriedenheit seien die die Hall of Fame der Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften aufgenommen worden Inside out_Frühling 2016 Inside out_Frühling 2016
20 | Lernen und Forschen Lernen und Forschen | 21 Fortsetzung von Seite 19 sie etwas verpassen, das es einen Partner ge- In seiner Thesis stützt er sich auf Konzepte des Gleichwohl wünscht er sich dazu eine gesell- ben könnte, der noch besser zu ihnen passt. An- Sozialpädagogen Lothar Böhnisch. Im Kern schaftspolitische Diskussionskultur. „Das würde dere sagten, dass sie aufgrund ihrer Uneinigkeit gehe es darum, die eigenen Werte in einer lang- den Betroffenen signalisieren, dass sie nicht al- mit sich selbst nicht in der Lage sind, sich auf fristigen Diagnosephase herauszufinden und leine sind mit ihren Problemen und das sie kei- eine Beziehung einzulassen.“ Viele der Befrag- von den utopischen Wünschen hinzukommen nen individuellen Defekt haben, selbst schuld tene würden die Partnerschaft der Karriere un- zu konkreten, realistischen Zielen. Darüber hi- sind. Letztlich hat die Gesellschaft diese Heraus- terordnen – ganz entgegen der Definition der naus müssten mehr Angebote zum zivilge- forderung zu bewältigen, nicht der Einzelne.“ Generation Y. sellschaftlichen Engagement bestehen. Ge- Und zwar durch alle Altersschichten, denn in nerell würde die Zielgruppe zwischen 20 und der Unzufrieden- und Unsicherheit erkennen Ein ständiges Hadern 30 Jahren bisher mit ihren Problemen kaum sich vielleicht auch einige Mitmenschen über 30 Die Folgen des permanenten Haderns und wahrgenommen. wieder. mp Zweifelns sind in einigen Fällen gravierend: De- pression, Angstzustände, Essstörungen oder Mit dem Begriff des Coachings tut sich Ritschel Abbruch der sozialen Kontakte. Damit einher übrigens schwer, komme er doch aus dem Be- gehen vermehrt psychologische Behandlun- reich der Selbstoptimierung und Leistungsstei- gen. Ein Trend, dem nach Meinung von Tobias gerung für Privilegierte. „Soziale Arbeit soll den Ritschel durch den präventiven Einsatz eines so- Leuten nicht helfen, sich an den Markt anzupas- zialpädagogischen Coachings entgegengewirkt sen. Sie sollte immer eine außenstehende Posi- Der Refugees Welcome Day 2015 war Teil des werden könnte. tion haben und individuelle Hilfe leisten.“ Des- Themenjahrs „Flüchtlingspolitik” der Ange- halb müssten sozialpädagogische Coachings wandten Sozialwissenschaften. Jetzt verlängert niederschwellig und kostenfrei sein. Foto: Heike Fischer, TH Köln die Fakultät das Programm um zwei Semester Small-Talk: Warum uns der kleine Versicherungsbetrug leicht fällt Versicherungsbetrug findet sich in allen Gesellschaftsschichten. Weniger die Persönlich- keitsstruktur als die Gelegenheit macht aus einem ehrlichen Menschen einen Versiche- Die Integrations-WG rungsbetrüger. Für das Buch Versicherungsbetrug verstehen und verhindern hat Prof. Horst Müller-Peters vom Institut für Versicherungswesen gemeinsam mit Prof. Dr. Detlef Fetchen- Warum nicht Studierende und junge Flüchtlinge zusammen wohnen lassen? In hauer von der Universität zu Köln und der Journalistin Vanessa Köneke zahlreiche Versi- ihrem integrativen Wohnkonzept ViaLiberta setzen Studierende der Sozialen cherte befragt. Dabei wurden auch die psychologischen Mechanismen hinter dem Versi- Arbeit auf das Modell studentischer Wohnheime, in denen geflüchtete junge cherungsbetrug untersucht. Männer und Frauen gemeinsam mit Studierenden und Auszubildenden in kleinen WGs Wie viele Versicherte haben schon mal einen und den auch zu beweisen ist ein weiter Weg, leben. Neben günstigem Wohnraum bietet ViaLiberta professionelle soziale Betreuung Betrug begangen? der sich bei einer Schadenssumme von 200 Foto: privat und eine Tutorenschaft: Studierende und Auszubildende unterstützen die Horst Müller-Peters: Unserer Befragung hat Euro einfach nicht lohnt. Zudem werden viele Flüchtlinge bei der sozialen Integration. Die GAG Immobilien AG zeigt bereits Interesse. ergeben, dass ungefähr jeder vierte Versiche- Fälle automatisch vom System bearbeitet, die in der Hausrat- oder Gebäudeversicherung ab- rungsnehmer schon einmal seine Versiche- sieht kein Sachbearbeiter. Wenn ein Mitarbei- gedeckt – eines durch eine glimmende Ziga- rung betrogen hat. Der Schaden beläuft sich ter Verdacht schöpft, dann versucht die Versi- rette hingegen oft nicht. Das Resultat ist aus auf etwa vier Milliarden Euro jährlich oder um- cherung die Auszahlung etwas zu verzögern. Kundensicht das Gleiche, denn es ist ein Loch gerechnet zehn Prozent der Versicherungsbei- Verzichtet der Kunde daraufhin auf die Re- im Teppich. Warum nur einer der beiden Fälle Was ist die Kernidee von ViaLiberta? eines Stadtviertels zu integrieren. Denn unse- entgegensetzen. Wir glauben, dass eine Ge- träge, die am Ende die ehrlichen Kunden drauf- gulierung, wird das nicht weiter verfolgt. Bei abgedeckt ist, kann der Laie nicht verstehen. Nicole Jäger: Viele Geflüchtete leben in Köln rer Meinung nach sind Integrationsprozesse sellschaft entscheiden kann, jetzt Geld zu in- zahlen müssen. Ein Großteil der Fälle sind kleine großen Schäden hingegen ist die Betrugser- Daher macht er falsche Angaben und behaup- isoliert in Gemeinschaftsunterkünften am keine einseitige Anpassungsleistung. So könn- vestieren, um die späteren Folgekosten einer Delikte, nur ungefähr zehn Prozent haben einen kennung recht weit fortgeschritten. tet, es habe gebrannt. Wir empfehlen Versiche- Stadtrand oder in Notunterkünften ohne Privat- ten mehr Toleranz und Akzeptanz in unserer Be- missglückten Integration zu verringern. Die Un- Wert über 500 Euro. rungen, solche Feinheiten aus den Verträgen zu sphäre wie beispielsweise in Turnhallen. Diese völkerung entstehen. terbringung der Menschen in alte Hotels kostet Wie können Versicherungen Betrugsver- nehmen oder notwendige Ausschlüsse leicht Unterkünfte sind defizitär und behindern die die Stadt sehr viel Geld, der Profit liegt bei den Wie gehen die Versicherungsnehmer vor? suche verhindern? nachvollziehbar zu machen. gesellschaftliche Integration. Dabei sind un- Warum sind die Wohnformen nach Ge- Hotelbetreibern. Doch die Unterbringung äh- Horst Müller-Peters: In über der Hälfte der Horst Müller-Peters: Die meisten Men- ter den jungen Geflüchteten viele mit großem schlechtern getrennt? nelt oft dem offenen Vollzug und auch die Ver- Fälle wird der Schaden „umdefiniert“. Der Scha- schen, die einen Versicherungsbetrug bege- Versicherungen sollten also transparente Potenzial und Ressourcen, teilweise auch mit Thorsten Segers: Darüber haben wir viel dis- wahrung in Turnhallen bietet keinerlei Privat- densverlauf wird also etwas anders dargestellt, hen, würden sich selbst als grundehrlich be- Verträge formulieren? höheren Bildungsabschlüssen, die hier nicht kutiert. Wir wollen die Geflüchteten nicht di- sphäre, weil dort der Brandschutz wichtiger ist damit der Schaden abgedeckt ist. Zum Bei- zeichnen. Sie betrügen daher nur so weit, wie Horst Müller-Peters: Ja, denn wenn sie offen anerkannt werden. Wir wollen ein neues, in- rekt überfordern und fanden die Trennung als Duschvorhänge. Das Geld für diese Form der spiel wird behauptet, ein nicht abgeschlossenes es ihr Selbstbild als „ehrlicher Mensch“ zu- und transparent agieren, erhöhen sie die mo- novatives Projekt starten, das sie in ihrem Po- auch wichtig, um einer heterogenen Zielgruppe Unterbringungen könnte die Stadt auch in in- Fahrrad sei abgeschlossen gewesen. In circa 40 lässt. Aus psychologischer Sicht gibt es viele ralische Schwelle, da sie Möglichkeiten zur ex- tenzial unterstützt und eine Generation zu- Schutzräume zu bieten. Männer und Frauen le- tegrative Wohnformen investieren. Ich begleite Prozent der Fälle übertreiben die Geschädigten. Wege, durch kleine Maßnahmen die morali- post-Rechtfertigung verringern. Darunter ver- sammenbringt: Viele sind in der ähnlichen ben auf einem Campus, aber in getrennten ehrenamtlich einen jungen Mann, der geflohen In fünf Prozent der Fälle sind die Schäden erfun- sche Schwelle zur Unehrlichkeit zu erhöhen. steht man Strategien, mit denen Menschen ihr Altersgruppe wie Studierende und Auszubil- Häusern. ist. Er hat kaum Kontakte in die Mehrheitsge- den, in einem Prozent der Schaden selbst her- Zum Beispiel sind Menschen ehrlicher, wenn Verhalten im Nachhinein beschönigen. Zum dende. Wenn sie gemeinsam in einer Wohn- sellschaft. Deshalb war unsere Idee, durch ViaLi- beigeführt. Die Aufklärungsquote in den ersten sie in Briefen mit ihrem Namen angesprochen Beispiel indem sie die Versicherung schlecht re- form mit kleinen Wohngemeinschaften leben, Ihr Konzept sieht außerdem Personalstellen berta auch Kommunikationsräume zu schaffen. beiden Kategorien ist dabei fast marginal. werden. Es hilft auch, wenn die Versicherung den und sagen: „Im Vertrag sind so viele Ein- entstehen daraus Synergieeffekte und für alle vor bei der Haustechnik, der Gebäudesicher- personalisiert auftritt, etwa durch Nennung schränkungen, das konnte ich ja am Anfang gar ein Mehrwert: Auszubildende und Studierende heit und vor allem bei der sozialen Betreu- Bei jährlich vier Milliarden Euro Schaden – eines direkten Ansprechpartners im Unter- nicht überblicken.“ Wenn diese Möglichkeiten können von diesen WGs interkulturell profitie- ung – das schafft Arbeitsplätze, verursacht warum haben die Versicherungsgesellschaf- nehmen. Wichtig ist, dass die Vertragsklau- zur Rechtfertigung wegfallen, werden die Kun- ren. Und indem sie sich gleichzeitig als Tutoren aber auch zusätzliche Kosten. ten nicht mehr Interesse an der Aufdeckung? seln aus Kundensicht nachvollziehbar sind. dinnen und Kunden ehrlicher. engagieren, unterstützen sie geflüchtete junge Thorsten Segers: Wir sehen gegenwärtig die Horst Müller-Peters: Weil das im Einzelfall Ein Klassiker in vielen Verträgen: Ein Loch im Interview: Christian Sander Männer und Frauen, sich im sozialen Umfeld Gefahr, dass sich die Fehler der Vergangen- nicht wirtschaftlich ist. Einen Verdacht zu haben Teppich, das durch einen Brand entsteht, ist www.versicherungsbetrug-verstehen.de heit bei der Integrationspolitik wiederholen könnten. Wir wollen eine konstruktive Lösung Inside out_Frühling 2016 Inside out_Frühling 2016
22 | Lernen und Forschen Lernen und Forschen | 23 Fortsetzung von Seite 21 Für Azubis und Studierende bietet das Kon- nicht bei der emotionalen Resonanz bleibt. Die zept preiswerten Wohnraum, der, wenn sie GAG ist recht umtriebig und nimmt gerne kre- sich als Tutoren engagieren, noch günstiger ative Ideen auf. Bei Neubauprojekten bietet sie ausfällt. mittlerweile die Möglichkeit, dass sich private Helga Saß: Damit wollen wir Anreize schaffen. Initiativen für alternative Wohnformen bewer- Der Wohnaufenthalt ist aber begrenzt bis zum ben können. Wenn wir da andocken könnten, Ende des Studiums und der Ausbildung. Auch das wäre super. für die Geflüchteten haben wir einen Zeitraum von maximal vier Jahren veranschlagt. Denn es liegt auch in ihrem Interesse, eine eigene Woh- Die Fakultät verlängert ihre Vorlesungsreihe zur Flüchtlingspolitik noch um mindestens Baut ihnen Heimat nung zu finden und sich selbst finanzieren zu ein weiteres Semester. Geschieht das auf In- können. itiative der Studierenden? Nicole Jäger: Die bisherigen Seminare haben Mit ihrer städtebaulich-architektonischen Stu- Thorsten Segers: Wir möchten nicht, dass uns so viel Input und interdisziplinäre Expertise die präsentieren Sophie Diener und Svetlana junge Geflüchtete im Niedriglohnsektor für Ge- vermittelt, das haben wir den Dozentinnen und ringqualifizierte landen. Statt sie in ihrer Moti- Dozenten widergespiegelt. Die Entscheidung Holz einen neuen Typ der Sammelunterkunft vation abzuwürgen sind Deutschkurse und eine der Fakultät, diese Thematik als Schwerpunkt für Geflüchtete. Die Absolventinnen des Mas- berufliche Qualifizierung wichtig. Deshalb sieht zu setzen und sich darüber ein Profil zu geben, terstudiengangs Architektur haben für ihre The- unser Konzept neben den Wohnungen auch Ge- war genau richtig und kommt allgemein bei sis neue Hausformen entwickelt, die sich an be- werbeeinheiten vor, in denen die Geflüchteten uns sehr gut an. In der Sozialen Arbeit haben stehende Strukturen der Stadt angliedern. Dabei sich konstruktiv beschäftigen können. Zum Bei- wir bei der Flüchtlingspolitik zwei Aufträge: uns spielt die Produktivität der Flüchtlinge eine wich- spiel in einem Internetcafé oder einem Selbst- politisch zu engagieren und Stellung zu bezie- versorgungsladen für die Nachbarschaft. Es gibt hen sowie die Integration von Menschen zu er- tige Rolle bei ihrer dauerhaften Integration im viele motivierte ehemalige Ausbilder der IHK. möglichen. Das betrifft mittlerweile viele Fach- Stadtviertel. Die Gesellschaft für Kunst und Ge- Warum gibt man diesen Leuten nicht die Mög- gebiete in der Sozialen Arbeit. Ich arbeite in der staltung e.V. in Bonn hat ihre Arbeit ausgestellt. lichkeit, ihre dreißigjährige Berufserfahrung in Wohnungslosenhilfe, Helga in der Jugendhilfe so ein Projekt einzubringen und junge Leute mit unbegleiteten Minderjährigen. Thorsten ar- beim Aufbau der Geschäfte anzuleiten? Die Be- beitet ehrenamtlich mit Geflüchteten und Ok- Sophie Diener und Svetlana Holz haben ihr städte- baulich-architektonisches Konzept für Geflüchtete schäftigung junger Flüchtlinge ist ein schwie- sana als Kulturvermittlerin in der Flüchtlings- bei der Gesellschaft für Kunst und Gestaltung e.V. riges Thema, bei dem sich die Stadt, die Ver- hilfe. Die Situation geflüchteter Menschen wirkt in Bonn ausgestellt bände und die IHK an einen Tisch setzen und sich auf diese Bereiche aus; sie verändert die Ar- nach kreativen Lösungen suchen müssen. beitsfelder und schafft gleichzeitig ein neues. Deshalb profitieren wir sehr von der Vorlesungs- Sie haben ViaLiberta vor Vertretern von reihe. Außerdem erleben wir gerade, dass Fach- Was war die Ausgangslage für Ihrer Menschen reagierende Gebäude integrations- und eingeschossige Gebäude. Die flexible Ge- Wie ist das Feedback auf Ihre Ausstellung? Wohnungsbaugesellschaften, Wohlfahrts- kräfte der Sozialen Arbeit vermehrt gesucht Masterarbeit? fördernd wirken kann. staltung der Wohnungsgrundrisse wird durch Svetlana Holz: Wir sind sehr glücklich über das verbänden und der Stadt Köln vorgestellt. werden. Es ist wichtig, Projekte anzustoßen, die Svetlana Holz: In unserer gemeinsamen Studi- eine Art Baukastensystem umgesetzt. Auf diese positive Feedback und das starke Interesse an Wie waren die Reaktionen? positive Auswirkungen haben und gute Integra- enzeit haben wir oft über das Ziel unserer Mas- Wie sieht Ihr Konzept aus? Weise können sich die Bewohnerinnen und Be- unserer Ausstellung. In einigen interessanten Helga Saß: Wir waren erst einmal sehr über- tionsbeispiele sind. Trotz der verunsicherten bis terthesis nachgedacht und gesprochen. Für uns Svetlana Holz: Unser Projekt beschreibt ein wohner bei der Planung, Gestaltung und der Gesprächen haben wir viele Rückmeldungen, rascht über das große Interesse – aktiviert von negativen Stimmung gibt es die nämlich durch- war immer klar, dass unsere letzte Studienarbeit übergreifendes Konzept der Flüchtlingsunter- Umsetzung einbringen. Meinungen und Anregungen aus den verschie- Prof. Herbert Schubert kamen sehr viele Besu- aus. Aber über sie wird bisher viel zu wenig in ein Thema behandeln sollte, das einer verstärk- bringung ohne lokale Bindung, das wir am Bei- densten Blickwinkeln bekommen. Darüber sind cher. Mit diesem Zuspruch hätten wir niemals den Medien berichtet. ten sozialen Betrachtung bedarf. Wir wollten spiel von Köln-Ehrenfeld angewendet haben. Es An wie vielen Standorten in Köln könnte wir sehr dankbar und hoffen auf die weitere gerechnet. Die Reaktionen auf unser Konzept Interview: Monika Probst eine Arbeit schaffen, die zum Nachdenken und handelt sich um eine zentrale Unterkunft und man Ihre Idee umsetzen? rege Beteiligung. Viele Besucher würden die waren ebenfalls sehr positiv. Vor allem die Ca- vielleicht auch Umdenken anregt. Die hohen mehrere autonom funktionierende Einzelunter- Svetlana Holz: Grundsätzlich kann das Konzept Umsetzung des Konzeptes begrüßen und ha- ritas und die GAG zeigten sich sehr interessiert. Projektbeteiligte: Caroline Mertens, Helga Saß, Flüchtlingszahlen 2015 in Köln und Deutsch- künften im bestehenden Stadtgefüge. Die zen- überall angewendet werden, wo es bestehende ben uns in unserer Idee bestärkt. Man sieht sehr Die GAG möchte das Konzept eventuell umset- Kersten Waschko, Nicole Jäger, Oksana Ovchyn- land – und natürlich der ganzen Welt – haben trale Unterbringung ist eine Art Erstaufnahme Gesellschaftsstrukturen und Stadtstrukturen deutlich, dass es hier ein hohes Bürgerengage- zen, wir stehen gerade in Kontakt und bereiten nikova, Thorsten Segers uns vor Augen geführt, wie dringlich eine neue im Bezirk und dient gleichzeitig als Anlaufstelle als Integrationsgrundlage gibt. Allerdings ha- ment gibt – eine Voraussetzung für eine even- unser Konzept noch einmal auf. Betrachtungsweise bei der Integration und Un- für die Einzelunterbringungen, die die Geflüch- ben wir in unseren Recherchen festgestellt, dass tuelle Realisierung. terbringung von Geflohenen ist. Nach den ers- teten nach der Erstaufnahme beziehen können. es Stadtteile gibt, die sich mehr oder weniger Wie schätzen Sie Ihre Chancen bei der ten Recherchen war schnell klar, dass hier noch Die Zentrale bietet die Möglichkeit der schnel- gut zur Integration eignen. Einige Viertel haben Gibt es Pläne, Ihr Konzept in die Praxis GAG ein? ein erhöhter Handlungsbedarf besteht. Es exis- len Hilfestellung und dient zur Kompensation selbst starke soziale Defizite, die es zu beheben umzusetzen? Thorsten Segers: Wir würden uns freuen, wenn tieren wenig alternative Konzepte für Wohnbe- der hohen Zahlen an Asylantragsteller. Mit Hilfe gilt. Die Unterbringung von Geflüchteten löst in Svetlana Holz: Derzeit gibt es noch keine kon- Teilelemente übernommen werden und wir bauungen für Geflohene. Deshalb wollten wir der Weitervermittlung an die Einzelunterkünfte diesem Fall eher Überforderung aus und drängt kreten Umsetzungspläne. Allerdings können dann die Realisierung begleiten können. Des- ein flexibles und ortsunabhängiges Konzept kann die Zeit in der zentralen Unterkunft für die die Menschen schnell in eine Randgruppe. Es ist wir uns sehr gut vorstellen, eine Art Prototyp zu halb wäre es schön, wenn wir tatsächlich noch entwerfen, das auf die Bedürfnisse, Gewohnhei- Bewohner verkürzt werden. natürlich von Vorteil, das Konzept an einem Ort bauen. Ein geeignetes Grundstück müsste da- eine Einladung von der GAG erhalten und es ten und kulturellen Gegebenheiten der Men- Die konstruktive Grundlage der Gebäude sowie zu realisieren mit gefestigten sozialen Struktu- für noch gefunden werden und natürlich spielt schen eingehen kann. Es soll ihnen ermögli- Art und Maß sind abhängig vom Ort und ad- ren. Auch sollten die Bürgerinnen und Bürger auch die Finanzierung eine große Rolle. chen, sich in eine bestehende Gemeinschaft aptiert individuell dessen Strukturen. Die Mög- eine gewisse Bereitschaft zeigen, Flüchtlingen Interview: Christian Sander zu integrieren und nicht in einer Massenunter- lichkeit der Anwendung bezieht sich auf ver- offen zu begegnen und sich eventuell sogar kunft in vollkommener Abgrenzung zu leben. schiedenste Bauflächen im Stadtgefüge. In engagieren. Wichtig ist außerdem die örtliche Beispielhaft haben wir uns dann mit Köln-Eh- Ehrenfeld haben wir drei verschiede Arten von Lage in der Stadt. Randbezirke mit schlechten renfeld beschäftigt. Es soll zeigen, dass die Un- Flächen kategorisiert: Freiflächen, Baulücken öffentlichen Verkehrsmittelanbindungen brin- terbringung von Geflohenen im Stadtteil durch gen viele Nachteile mit sich. Sie erschweren den eine angemessene Verteilung und auf den Geflüchteten die Möglichkeit, sich überhaupt in einer bestehenden Gesellschaftsstruktur zu integrieren. Inside out_Frühling 2016 Inside out_Frühling 2016
24 | Lernen und Forschen Lernen und Forschen | 25 Architektur ist wie Sport Leidenschaft und gute Nerven brauchen Architekten und Stadtplaner unbedingt. Verlieren können ist ebenfalls eine nützliche Eigenschaft. Jedenfalls dann, wenn man an Wett- bewerben teilnehmen will – so wie Städtebau-Professor Marian Dutczak, der neben seiner Lehrtätigkeit an unserer Hochschule auch noch an einem Architekturbüro beteiligt ist. Ein Architekt hat es gut. Was er sich ausdenkt, Aufräumen mit romantischen Vorstellungen Pragmatismus und Sportsgeist das wird gebaut, ist weithin sichtbar und für die Dutczak mag das so nicht sehen. „Es ist wie im Eine gesunde Dosis Pragmatismus wird den Ewigkeit errichtet. Hübsches Klischee. Das Ge- Sport. Man kann nicht immer gewinnen.“ Er Studierenden also vermittelt. Und immer wie- genteil geht so: Ein Architekt nimmt an einem räumt aber ein, dass man die Leidenschaft und der kreisen die Aufgaben um die Grundfragen: Wettbewerb teil, an noch einem, an noch ei- nicht zuletzt die Nerven dafür haben muss. An Wo baue ich? Für wen baue ich? Wenn die Ant- nem, an noch einem – realisiert wird von den Wettbewerben teilzunehmen sei keine Pflicht, worten darauf klar sind, steigen auch die Chan- ganzen schönen Entwürfen nichts. Die erste Be- aber die Königsdisziplin, in der sich Eigenschaf- cen in Wettbewerben. Und damit die Chancen hauptung ist unwahr, die zweite – natürlich ten wie Begabung, Leidenschaft und Engage- auf dem freien Markt. Das Büro, an dem Dutczak übertrieben. ment manifestieren würden. Wettbewerbe sein beteiligt ist, hat schon kurz nach seiner Grün- auch wichtig für die eigene Positionsbestim- dung 1991 den zweiten Preis beim Wettbewerb Marian Dutczak kennt die Quote der Realisie- mung: Wie gut bin ich, kann ich mit meinen Kol- „Hauptbahnhof Berlin – Spreeufer“ gewonnen. rungen ziemlich genau. Er ist an einem Dort- legen mithalten? Das sei der Durchbruch auch auf internationaler munder Architekturbüro beteiligt, in dem er re- Ebene gewesen, schließlich ging es um einen gelmäßig komplexe Bauten entwirft und zu In seinen Seminaren räumt er mit romantischen der größten und prominentesten städtebauli- Wettbewerben einreicht, und er lehrt seit 15 Vorstellungen auf: „Man sitzt nicht irgendwo chen Wettbewerbe nach der Wiedervereinigung Jahren als Professor für Städtebau an der TH und malt schöne Bilder. Was wir zeichnen, muss in Berlin. Köln. Dutczaks Formel: „Wenn Sie gut sind als auch gebaut werden können!“ Deshalb bekom- Architekt, dann landen Sie in jedem zweiten men die Studierenden auch keine exaltierten Vor allem für die Vielseitigkeit des Architekten- Wettbewerb einen Treffer“, sagt er. Treffer heißt, Entwürfe als Hausaufgaben, sondern sie ent- berufs möchte Dutczak seine Studierenden be- dass man einen Platz auf dem Siegertreppchen werfen Alltägliches. Und deshalb halten Dut- geistern. Denn jedes Gebäude sei ein Unikat, für oder einen Ankauf oder eine Anerkennung er- czak und seine Kollegen ständigen Kontakt zum alle sichtbar könne es generationsübergreifend reicht. All diese Kategorien sind mit Geldprä- Markt, um dessen Bedürfnisse genau zu ken- einen Ort prägen. Deshalb sieht er die Architek- mien verbunden, die fünf- bis sechsstellig sein nen. „Wir wollen schließlich keine Architekten tur auch nicht als Beruf, sondern mehr als eine können, je nach Größe des Projektes. ausbilden, die nach der Probezeit gleich wieder Berufung. „Klingt etwas pathetisch, ist aber so. rausfliegen!“ Wer nur schnell viel Geld verdienen will, sollte Wenn ein Entwurf gebaut wird, gibt es weite- etwas anderes wählen.“ Die schönsten Aspekte res Geld. Wie oft passiert das? „Unter zehn Tref- an seinem Job seien, wenn man durch ein Ge- fern sind zwei bis drei erste Preise, und davon bäude einer Stadt oder einer Straße zusätzliche wird im Schnitt ein Entwurf tatsächlich ver- Qualität geben könne. Und wenn die Nutzer wirklicht.“ Ist für die Studierenden eine hohe sich in dem Gebäude wohl fühlen, unabhängig Frustrationstoleranz vielleicht noch wichtiger davon, ob sie dort wohnen, arbeiten oder ihre als technisches Verständnis oder räumliches Freizeit verbringen. Werner Grosch Vorstellungsvermögen? Wettbewerbe sind für Architekten keine Pflicht. Aber Marian Dutzcak ist Professor für Städtebau und mit eigenen Wettbewerbsbeiträgen aktiv sie sind die Königsdisziplin Foto: Heike Fischer, TH Köln Foto: Thilo Foto: Schmülgen, Costa TH TH Belibasakis, Köln Köln Inside out_Frühling 2016 Inside out_Frühling 2016
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