Inside out - Gutes Leben: Was braucht es dafür? - TH Köln

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Inside out - Gutes Leben: Was braucht es dafür? - TH Köln
Inside out
Das Hochschulmagazin der TH Köln                   Frühling 2016

Sinnsuche                     Handarbeit                           Adrenalinkick
Glück und Identität           Kalter Stahl und                     Ist virtuelle Höhe
zwischen 20 und 30            heiße Eisen                          vergleichbar mit realer?

                                                 Gutes Leben: Was
                                                 braucht es dafür?
Inside out - Gutes Leben: Was braucht es dafür? - TH Köln
Gut gesessen
                                                                                                                                                                                                                          Studentische Ideen zu Möbeln
                                                                                                                                                                                                                          und zur Integration
                                      Prof. Dr. Rüdiger Küchler, Vizepräsidentin für
                                      Wirtschafts- und Personalverwaltung
                                      Foto: Thilo Schmülgen, TH Köln                                                                                                                                                     16/21
                                                                                       Gutes Leben
                                                                                       Tobias Ritschel über die

       Editorial                                                                       Sinnsuche seiner Generation

       Liebe Leserin, lieber Leser,                                                    18
       meistens stehen die Professorinnen, Professoren und Studierenden
       im Vordergrund, wenn wir von unseren Lehr- und Forschungsprojek-
       ten berichten. Dabei sind für deren Gelingen viele unterschiedliche
       Akteure verantwortlich. Von der großen Idee bis zum kleinen Hilfs-
       mittel – in einer so großen Wissenschaftseinrichtung wie der TH Köln
       greifen viele Rädchen ineinander. In den rund 15 verschiedenen tech-
       nischen und handwerklichen Werkstätten – von traditionellen Ge-
       werken wie der Tischlerei bis zu modernen Entwicklungen wie dem
       CAD-Labor – arbeiten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den Fakultä-
       ten zu. Sie fertigen individuelle Aufbauten, Apparaturen und Zubehör
       für Versuche, schulen die Studierenden im praktischen Umgang mit
       Werkzeug und Material und unterstützen sie bei ihren Projekten und
       Abschlussarbeiten. In dieser Ausgabe von Inside out rücken wir die
       Werkstätten in den Mittelpunkt. Vier Handwerksmeister präsentieren
       in einem Bilderrätsel ihre Lieblingswerkzeuge (ab Seite 8). Erraten Sie,
       welche das sind?
                                                                                                                              6                                                                                                       Abwärts
                                                                                                                                                                                                                                                 26
       Übrigens: Unsere Werkstätten und Labore sind auch Ausbildungsbe-                                                       Werkstattbesuch                                                                                         Ist virtuelle Höhe
       triebe. Derzeit bilden wir 25 junge Menschen in Berufen wie Elektro-                                                   Handwerksmeister und                                                                                    vergleichbar mit realer?
       techniker, Tischlerin, Metallbauerin oder Baustoffprüfer aus.                                                          ihre Werkzeuge
       Außerdem stellen wir Ihnen in unserer Frühjahrsausgabe Menschen                                                                                                                                            Königsklasse
       vor, die sich mit einer der wesentlichen Fragen auseinander setzen:                                                                                                                                        Architekturwettbewerbe
       Was braucht es zu einem guten Leben? Wie lässt sich Arbeitsalltag
       und Kreativität in Balance halten? Dr. Frank Berzbach hat dazu bereits
       mehrere erfolgreiche Bücher veröffentlicht (Seite 4). Und Tobias Rit-
       schel ist für seine Abschlussarbeit „Auf der Suche nach dem guten Le-
                                                                                                                                                                                                    24            und ihre Herausforderungen

       ben“ den Identifikationsschwierigkeiten seiner Generation nachge-
       gangen (Seite 19).                                                              Leben                                  Lernen und Forschen                                                                              Wissen
       Die kritische Auseinandersetzung mit den Problemen anderer kann                 4   Die Kunst des kreativen Lebens     16 Schlicht designt und gut gesessen             23 Baut ihnen Heimat                            31 Neue Gesichter
       auch dazu beitragen, dass sich der Blick auf das eigene Leben ver-                  Buchautor Frank Berzbach und die       Studentische Designs auf der                    Architektur: Ideen zu neuen                      Neuberufene Professorinnen
       ändert. Zu den aktuellen Themen, die Studierende an unserer Hoch-                   pragmatische Philosophie               imm Möbelmesse und den Passagen                  Wohnformen für Geflüchtete                       und Professoren
       schule beschäftigen, zählt die Situation von Flüchtlingen. Wie kann
       Integration gelingen? Das studentische Wohnkonzept Via Liberta gibt             6   Kalter Stahl und heiße Eisen       18 Auf der Suche nach dem guten Leben            24 Sportsgeist gefragt                          33 Nachrichtenticker
       darauf eine Antwort (Seite 21). Der von Studierenden der Sozialen                   Ortstermin: Die Werkstätten            Tobias Ritschel über die Sinnsuche               Professor Marian Dutczak über die Heraus-
       Arbeit entwickelte Ansatz ist bereits auf Interesse städtischer Woh-                der Fakultäten                         seiner Generation                                forderungen von Architekurwettbewerben      34 Personalia
       nungsbau- und Wohlfahrtsverbände gestoßen. Unsere Hochschule                                                                                                                                                                Professorinnen und Professoren
       bietet den nötigen (Frei-)Raum, in der Studierende Lösungen für                                                        20 Small-Talk                                    26 Mehr Komfort in der virtuellen Welt              im Ruhestand
       komplexe Probleme entwickeln können. Schön, dass diese einen ech-                                                          ... mit Prof. Dr. Horst Müller-Peters über       Höhenangstsimulation im Motion
       ten Beitrag zur gesellschaftlichen Entwicklung leisten.                                                                    den alltäglichen Versicherungsbetrug             Capturing Studio

       Viel Spaß beim Lesen wünscht Ihnen                                                                                     21 Die Integrations-WG                           28 Deine Idee – dein Projekt
       Rüdiger Küchler                                                                                                           Soziale Arbeit: Ideen zu neuen                    Studienstiftung schreibt
                                                                                                                                  Wohnformen für Geflüchtete                        studentischen Wettbewerb aus

                                                                                                                                                                               30 Ausgezeichnet

Inside out_Frühling 2016                                                                                                                                                                                                                                  Inside out_Frühling 2016
Inside out - Gutes Leben: Was braucht es dafür? - TH Köln
Leben |   5

                                    Ein schöpferisches Leben führen,
                                    wer will das denn nicht.

                                                                       Aber da ist diese grässlich schmerzhafte         Form, das ist ein ganz wichtiges Stichwort
                                                                       Seite der kreativen Existenz, das meist ins      für Kreativität, und wahrscheinlich auch das
                                                                       Leere schnappende Greifen nach der vagen         stärkste verbindende Element zwischen
                                                                       Idee, das zähe Ringen um ihre Gestalt und        dem Mönch Benedikt und Buddha. „Die
                                                                       zugleich immer dieser Abwehrkampf gegen          Wirkung von Form kann man nur erfahren,
                                                                       die banale Außenwelt. „Kreativität aushal-       wenn man sich ihr mal unterwirft“, sagt
                                                                       ten“ hieß Frank Berzbachs erstes Buch zu         Berzbach. Äußere Ordnung, Stille, kon-
                                                                       diesem Thema. Der Titel klingt genau nach        zentrierte Rituale und Übungen, das alles
                                                                       diesem qualvollen Dasein, das ach so viele       sind Elemente der Bücher, die der Autor
                                                                       kreative Menschen erdulden mussten und           als populär im besten Sinne verstehen will:
                                                                       müssen.                                          „Abgegrenzt von Esoterik, aber auch vom
                                                                                                                        selbstverliebten Wissenschaftsjargon.“
                                                                       Aber der Titel täuscht. Weit entfernt vom
                                                                       klassischen Künstler-Klischee schildert          Die Bücher und die Lesungen haben mit
                                                                       Berzbach recht entspannte, wenn auch             den Inhalten der Hauptjobs erstmal wenig
                                                                       formbetonte Wege zum kreativen Leben.            zu tun. Und doch: Auf seiner zweiten halben
                                                                       Eine sehr pragmatische Philosophie, die sich     Stelle für Psychologie gibt Berzbach regel-
                                                                       vor allem aus dem Zen-Buddhismus speist.         mäßig ein Seminar, in dem die Form streng
                                                                       Ihm entnimmt der Autor die Grundhaltung,         ist. Keine Tische und Stühle, keine Handys
                                                                       die Konzentration aus der Stille und der Ein-    oder dergleichen, eine Gruppe kocht Tee,
                                                                       fachheit bezieht. Dazu kommen Grundsätze         auf Pünktlichkeit wird strikt geachtet. Man
                                                                       aus vielerlei Quellen, auch christlichen. „Die   sitzt beisammen, blendet Ablenkungen aus
                                                                       mittelalterliche Arbeitslehre der Benedikti-     und erlebt, was Konzentration eigentlich ist.
                                                                       ner ist so differenziert, da wird die moderne     Es ist kurios: Über den Umweg fernöstlicher
                                                                       Arbeitspsychologie blass!“, sagt Berzbach.       Philosophie ersteht altehrwürdige westliche
                                                                       Dieses erste Buch wurde schon in vier Spra-      Bildungskultur wieder auf. Berzbach kann
                                                                       chen übersetzt, darunter Koreanisch.             sich vorstellen, dass diese Art Seminar in der
                                                                                                                        noch recht neuen Bildungswerkstatt der TH
                                                                       Von der „Kunst, ein kreatives Leben zu füh-      Köln machbar wäre. Da führt die kreative
                                                                       ren“ handelte sein zweites Buch. Damit ist       Nebenbeschäftigung dann doch wieder
                                                                       er seit drei Jahren „permanent auf Leserei-      direkt zum kreativen Hauptberuf.
                                                                       se“. Als hätte der Autor nicht genug zu tun      Werner Grosch
                                                                       mit einer halben Stelle an der TH, in der er
                                                                       vor allem Grundlagen der Erziehungswis-          frankberzbach.tumblr.com
                                                                       senschaft vermittelt, und einer weiteren Do-
                                                                       zentenstelle an einer privaten Hochschule,
                                                                       wo Psychologie sein Fachgebiet ist. Aber so
                                                                       ist das mit den Kreativen. Anders sein geht
                                                                       nicht, Sosein ist indes manchmal auch hart.
                                                                       Deshalb finden die Bücher eben auch so viel
                                                                       Anklang. Im nächsten, das gerade in der
                                                                       Endbearbeitung ist, soll es vor allem „um
                                                                       Formprozesse“ gehen, erklärt Berzbach.

Foto: Bjørn Fehl / bjoernfehl.com
                                                                                                                                                   Inside out_Frühling 2016
Inside out - Gutes Leben: Was braucht es dafür? - TH Köln
6 | Leben                                                                                                                                              Leben |   7

              Kalter Stahl und
              heißes Eisen
                           Für Experimente und Untersuchungen in Forschung und Lehre
                           braucht es oft maßgeschneiderte Anfertigung aus Holz, Kunst-
                           stoff, Metall oder der Elekrtonik. In den Werkstätten unserer
                           Hochschule bieten Handwerks- und Industriemeister, Mitarbei-
                           ter und Auszubildende unterschiedlichste Servieleistungen für
                           Lehrende und Studierende. Neben Hightech-Geräten kommt
                           dabei auch traditionelles Gerät zum Einsatz. Vier Meister stel-
                           len ihre Lieblingswerkzeuge vor. Erraten Sie, welche das sind?

                                                                                             Stammt noch aus der Zeit der Kölner Werkschulen,
                                                                                             bringt 40 kg auf den Quadratzentimeter,
                                                                                             steht 1,20 Meter tief im Sand,
                                                                                             und ist beliebt bei Designstudierenden.
                                                                                                                                       Fotos: Thilo Schmülgen, TH Köln
Inside out_Frühling 2016                                                                                                                 Inside out_Frühling 2016
Inside out - Gutes Leben: Was braucht es dafür? - TH Köln
8 | Leben                                                                                                                                                                               Leben |   9

                                    An einem Schmiedehammer
                                        funktionieren alte Rollenmuster und Geschlechterklischees noch
                                        gut: „Die Jungs machen immer Messer und Schwerter, die Mädels
                                        ausschließlich Schmuck. Ich sollte vielleicht mal die Aufgabenstel-
                                        lung ändern, damit es für mich interessanter wird”, sagt Eckhardt
                                        Selbach und muss dabei schmunzeln. Seit 30 Jahren ist der Hand-
                                        werksmeister Metall schon an der Hochschule – an den Vorlieben
                                        der Designstudierenden für Messer und Schmuck hat sich über die
                                        Jahre nichts geändert. Ebenso wenig am Interesse für altes Hand-
                                        werk in Zeiten von 3D-Druckern. „Die rennen mir bei den Kursen
                                        und Projekten die Bude ein. Viele finden es faszinierend, mit einem
                                        Werkzeug zu arbeiten wie vor hundert Jahren.”

                                        Tief unten im Keller des Ubierrings 40 steht der Schmiedehammer.
                                        Ein Relikt noch aus der Zeit der Kölner Werkschulen, als hier Bil-
                                        dende Künste gelehrt wurden. Seit Ende der 1950er Jahre steht der
                                        eine Tonne schwere Hammer schon an seinem Platz, eingelassen in
                                        einen Meter tiefen Sand, um die Erschütterungen abzufedern. Sel-
                                        bach ist froh, das unverwüstliche Stück bewahrt zu haben. Auch
                                        über eine Esse verfügt die Werkstatt, um die Metalle im Schmiede-
                                        feuer zu erhitzen. Wegen der Lautstärke wird der Hammer aber nur
                                        zu nachbarschaftsverträglichen Uhrzeiten angeworfen. Mit ihm for-
                                        men die KISD-Studierenden alte Metalle neu. Eine ganze Reihe von
                                        umdesignten und nicht mehr wiederzuerkennenden Hufeisen hän-
                                        gen an der Wand. Außerdem gibt Selbach Schweißkurse in allen
                                        möglichen Verfahren. Umformen und Schweißen sind vor allem für
                                        die Studierenden interessant, die sich auf Manufacturing Design,
                                        Industrie- oder Möbeldesign konzentrieren. „Gerade bei den länge-
                                        ren Projekten stellt sich heraus, wer ein Talent für das Kunsthand-
                                        werk hat.” mp

                                                                                                              Es misst 3,90 x 4,00 x 2,70 Meter,
                                                                                                              braucht Wasser gegen Hitze und Reibung,
          Eckhardt Selbach am eine
           Tonne schweren Schmie-                                                                             und ist ein Allrounder für Kunststoffe, Alu, Baustahl,
          dehammer. An ihm lernen
            die Designstudierenden
        das Umformen von Metall –
                                                                                                              Plexiglas und Edelstahl.
        vorzugsweise in Messer und
                    Schmuckstücke

                                                                                                                                                 Foto: Monika Probst, TH Köln

Fotos: Marcello B. Bonon, TH Köln
    Inside out_Frühling 2016                                                                                                                                                    Inside out_Frühling 2016
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10 | Leben                                                                                                                                                           Leben |   11

 Werkstattleiter Thomas Schwan
  ist stolz auf seinen Allrounder,
       das Bearbeitungszentrum

                            Wer zum ersten Mal die Zentralwerkstatt
                                     Maschinenbau am Campus Deutz betritt, wird wahrscheinlich über-
                                     rascht sein von ihrer Größe und davon, wie vollgestellt sie ist. Hier
                                     reiht sich eine Großmaschine an die nächste: Blechbearbeitungs-
                                     maschinen, verschiedene Fräs-, Dreh- und Schleifmaschinen, Wal-
                                     zen, Sägen und Schweißgeräte. Zu den 15 Großmaschinen kommen
                                     noch unzählige kleinere Geräte. Alles ausgerichtet auf den Bedarf
                                     der ingenieurwissenschaftlichen Fakultäten. Mit diesem Gerätepark
                                     produzieren Thomas Schwan und seine Mitarbeiter Versuchsauf-
                                     bauten, Geräte und Komponenten für individuell konzipierte Bau-
                                     gruppen. Seien es Modelle für den Windkanal der Fahrzeugtechnik
                                     oder Sonderanfertigungen für die Anlagen- und Verfahrenstech-
                                     niker. Auch bei Studierenden, die ihre Abschlussarbeit schreiben,
                                     ist die Maschinenbauwerkstatt eine feste Anlaufstelle für die Bera-
                                     tung und Fertigung. Die meisten Aufträge basieren mittlerweile auf
                                     CAD-Modellen. Weil die Anforderungen in Formgestaltung und Ge-
                                     nauigkeit im Mikrometerbereich ständig steigen, braucht auch die
                                     Werkstatt Geräte mit moderner, computergesteuerter Technik.

                                     Thomas Schwan ist seit zwölf Jahren der Werkstattsleiter. Für den
                                     Kauf seines liebsten Stücks hat er sich besonders stark gemacht:
                                     Das wuchtige Bearbeitungszentrum ist eine Allroundmaschine,
                                     die gleich mehrere Arbeitsschritte beherrscht. Bohren, senken, Ge-
                                     winde schneiden und 3D-Konturen fräsen – alles aus einer Hand.
                                                                                                             Er zählt zu den ältesten Werkzeugen der Menschheit,
                                     „Und es ist bei bestimmten Fertigungen viel genauer und variabler
                                     als zum Beispiel eine konventionelle Fräsmaschine”, sagt Schwan.
                                     115.000 Euro hat das Zentrum vor sechs Jahren gekostet. Doch das
                                                                                                             der Donnergott Thor nennt seinen Mjölnir,
                                     Bessere ist bekanntlich der Feind des Guten: „Statt unserer Drei-
                                     Achs-Maschine gibt es mittlerweile Fünf-Achs-Geräte, mit denen
                                     wir noch viel mehr Fertigungsvarianten realisieren könnten.” Die
                                                                                                             er ist Symbol auf Wappen und Flaggen,
                                     hat aber auch einen stolzen Preis: knapp 300.000 Euro braucht es,
                                     „damit wir auch in Zukunft auf dem neuesten Stand bleiben.” mp          und sollte in keinem Haushalt fehlen.
 Inside out_Frühling 2016                                                                                                                                Inside out_Frühling 2016
Inside out - Gutes Leben: Was braucht es dafür? - TH Köln
12 | Leben                                                                                                                                                           Leben |   13

                            „Mein Lieblingswerkzeug ist eigentlich
                                    immer das, womit ich gerade arbeite.” Und die Auswahl an Werk-
                                    zeugen und Großgeräten, die Tischler Martin Waleczek zur Verfü-
                                    gung hat, ist beeindruckend. Zum Beispiel eine Vakuummem-
                                    branpresse und ein CNC-Bearbeitungszentrum. „In Sachen Holz
                                    ist unsere Werkstatt sehr gut ausgerüstet.” Aber es gibt doch ein
                                    Werkzeug, das Martin Waleczek besonders am Herzen liegt: sei-
                                    nen Hammer. Dessen Stiel hatte er 1982 selbst angefertigt. Es
                                    war das erste Werkstück während sein Ausbildung. Seitdem hat
                                    ihn der Hammer immer begleitet und ihm treue Dienste ge-
                                    leistet. Bis er ihn im vergangenen Sommer zum Bau des vene-
                                    zianischen Holzbootes benutzte, einem studentischen Projekt.
                                    Der Stiel ging kaputt. „Ich war etwas überrascht, es hat mir rich-
                                    tig wehgetan”. Mittlerweile ist der Hammer wieder repariert. Für
                                    Tischler eigentlich ein untypisches Werkzeug, meint Martin Wa-
                                    leczek. Mit dem Hammer werden Holzverbindungen hergestellt,
                                    aber wer macht das heute schon noch von Hand? Stattdessen
                                    wird gedübelt, geschraubt oder verklebt.

                                    Im Labor für experimentelles Bauen der Fakultät für Architek-
                                    tur unterweist der Tischlermeister nicht nur derzeit drei Auszu-
                                    bildende in der Holzverarbeitung, sondern betreut auch die Stu-
                                    dierenden. Hier arbeiten sie an ihren Modellen, oft im Maßstab
                                    1:1000, manchmal auch 1:1. Außerdem übernimmt die Werkstatt
                                    Auftragsarbeiten an für die eigene und auch für andere Fakultä-
                                    ten. „Vom Messestand bis zu einem Schreibtisch – unsere Aufga-
                                    ben sind breit gefächert.” mp

       Seit 34 Jahren unzertrenn-
        lich: Martin Waleczek und
                      der Hammer

                                                                                                         Sie steht am Campus Deutz im siebten Stock,
                                                                                                         wiegt rund 800 kg,
                                                                                                         macht runde Dinge – und Schillerlöckchen,
                                                                                                         und ist bis auf den 100stel Millimeter genau.

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Inside out - Gutes Leben: Was braucht es dafür? - TH Köln
14 | Leben                                                                                                                                                                                       Leben |   15

                                                                                                        1966 wurden in den Vorgängereinrichtungen der TH Köln am Campus
                                                                                                        Südstadt die Gebäude noch mit Kohle beheizt. Dazu brauchte es Ar-
                                                                                                        beiter, die im Keller die Heizungsanlagen in Gang hielten. 14 Jahre alt
                                                                                                        war Helmut Buslei an seinem ersten Arbeitstag, dem 12. April. Zwar
                                                                                                        war er in der Werkstatt der Landmaschinen- und Versorgungstechnik
                                                                                                        der Staatlichen Ingenieurschule Maschinenbau angestellt, wurde aber
                                                                                                        bei Bedarf auch als Heizer zum Kohle schaufeln eingesetzt.
       Ungewöhnlich hoch gele-
      gen ist die Metallwerkstatt
        von Aaron Finkenthei im                                                                         Jetzt blickt Helmut Buslei, mittlerweile Facharbeiter in der Werkstatt
                   siebten Stock                                                                        des Instituts für Landmaschinentechnik, zurück auf ein halbes Jahrhun-
                                                                                                        dert Hochschulbetrieb. Das ist Rekord. Und es ist viel passiert: die Grün-
                                                                                                        dung zur Fachhochschule, der Bau des IWZ in Deutz, die Restrukturie-
                                                                                                        rung der Fachbereiche in Fakultäten, der neue Name TH Köln. Rektoren,
                                                                                                        Professoren und Studierende, die kamen und gingen. „Helmut Buslei ist
                                                                                                        unser Fels in der Brandung”, sagt Ferdinand Haerst, wissenschaftlicher
                                                                                                        Mitarbeiter am Institut. Er hat Buslei in 30 Jahren Zusammenarbeit ken-
                                                                                                        nen und schätzen gelernt. „Unerschütterlich, äußerst sorgfältig und im-
                                                                                                        mer zuverlässig. Ich habe mich schon öfter gefragt, woher er diese Hal-
                                                                                                        tung nimmt.”

                                                                                                        Haerst und seine Kolleginnen und Kollegen wollen sich lieber nicht
                                                                                                        ausmalen, was nach Helmut Buslei kommt, der jetzt in Rente gehen
                                                                                                        wird. Anscheinend hat der 65-Jährige seine Kolleginnen und Kollegen
                            Hier dreht sich nicht das Werkzeug,                                         zu sehr verwöhnt. Und für beruhigende Konstanten gesorgt: Zum Bei-
                                    sondern das Werkstück. Die Drehbank war Aaron Finkentheis
                                    erste Anschaffung, als er vor sechs Jahren die Betreuung der Me-     spiel das Putzen der Werkstatt pünktlich jeden Freitagmittag – da gab
                                    tallwerkstatt der Fakultät für Informations-, Medien- und Elekt-    es bisher keine Ausnahme. In seinem Ruhestand wird sich Helmut Bus-
                                    rotechnik übernahm. „Das ist eine der wichtigsten Maschinen in      lei weiterhin bei der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung Deutsch-
                                    unserer Werkstatt”. Denn so gut wie jedes mechanische Gerät hat
                                    runde Elemente. Und die werden meist in einem zerspanenden          land in Kirche und Karneval engagieren und viel Zeit in seinem Ferien-
                                    Verfahren hergestellt, dem Drehen. Gleich neben der neuen Ma-       häuschen im Westerwald verbringen.
                                    schine steht die verschlissene Vorgängerin, Jahrgang 1978. Na-
                                    türlich ist die neue Präzisionsmaschine mit viel mehr Bedienkom-
                                    fort ausgestattet. „Bei den Aufträge, die bei uns eingehen, muss
                                    es immer möglichst schnell gehen. Dazu brauchen wir auch mo-
                                    derne Geräte.”

                                    Für die Fakultät fertigt der Industriemeister Metall unter ande-
                                    rem Aufbauten aus Metallen und Kunststoffen, auf denen Prüf-

                                                                                                        50
                                    körper platziert werden. Oder Linsen- und Spiegelhalter für die
                                    optischen Messungen und Versuche. Außerdem Platinen, mit de-
                                    nen Akkuzellen gebaut oder Steuerungen in der Automatisie-
                                    rungstechnik realisiert werden können. Neben den Aufträgen für
                                    Forschungsprojekte sind viele der Arbeiten Dienstleistungen für
                                    die Studierenden. „Oft brauchen sie für ihre Abschlussarbeiten
                                    bestimmte Aufbauten, die wir dann nach Maß anfertigen. Das
                                    meiste passt dabei oft in einen Schuhkarton”, sagt Finkenthei.
                                    Dass die Werkstatt im siebten Stock liegt ist nicht nur ungewöhn-
                                    lich, sondern schon auch manchmal hinderlich. Große Gerät-
                                    schaften lassen sich nicht immer über die Aufzüge transportie-
                                    ren. Und im Sommer steigt das Thermometer schnell auf über 35
                                    Grad. „Dafür haben wir aber eine tolle Aussicht auf das Siebenge-
                                    birge. Und die Unterstützung der anderen Werkstätten auf dem
                                    Campus. Die gegenseitige Hilfe ist viel wert.” mp

 Inside out_Frühling 2016                                                                                                                                                            Inside out_Frühling 2016
Inside out - Gutes Leben: Was braucht es dafür? - TH Köln
16 | Lernen und Forschen                                                                                                                                                                                                                                    Lernen und Forschen |    17

                Schlicht designt,
                gut gesessen
                                                    Während der Messe imm und den Passagen steht Köln eine
                                                    Woche lang im Zeichen von schönen Möbeln und neuem Design.
                                                    Zum guten Ton gehören da auch die Beteiligungen der TH Köln.
                                                    In diesem Jahr präsentierten die Studierenden Entwürfe                                                                                                                                           Foto: Marcello Bonon, TH Köln
                                                                                                                     Faltbare Hocker aus Aludibond
                                                    zum Platz nehmen und ablegen – und sie setzten sich mit          zeigte das Studio gestaltung I CIAD Prototypen in der Ausstellung foldable furniture. Im Wahlmodul Formfin-
                                                    lokaler Bestandsarchitektur auseinander.                         dung des Bachelorstudiegangs Architektur beschäftigten sich die Studierenden mit Frage, wie das fräs- und
                                                                                                                     faltbare Leichtbaumaterial Aludibond im Möbeldesign angewendet werden kann.
                                                                                                                     Leitung: Prof. Dr. Nadine Zinser-Junghanns
                                                                                                                     Mitarbeit: Sabina Priese, Martin Waleczek
                                                                                                                     Studierende (v. l.): Carolin Rosenberg, Dominique Wussow, Andreas Smets, Selim Bagci

                                  Einfach, elegant, durchdacht und schlicht
                                  sind die Möbel und Asseccoires, die Studierende der Köln International School
                                  of Design (KISD) zusammen mit Kommilitonen des Royal Melbourne Institute                                                                                                        Eine Spannweite von sieben Metern
                                  of Technology (RMIT) in Australien entworfen haben. Unter dem Titel Schlicht                                                                                                    misst das experimentelles Hebelstabwerk aus 120 Pappröh-
                                  haben sie sich mit Funktion, Form und Reduktion von Design auseinander                                                                                                          ren, dass Architekturstudierende konstruiert haben. Es ist in
                                  gesetzt. Bei gegenseitigen Besuchen entwarfen die Studierenden gemeinsam in                                                                                                     der Form des Bahnbogen 04 in Köln-Ehrenfeld nachempfun-
                                  Melbourne und bauten später in den Werkstätten der KISD die Prototypen. Nach                                                                                                    den. Das Tragwerk funktioniert ohne starre Verbindungen
                                  dem vom Pionier der Möbelproduktion Michael Thonet entwickelten Verfahren,                                                                                                      der 60 mm Durchmesser tragenden Stäbe. Aufgrund der
                                                                                                                     Für den Einzelhandel in den Ehrenfelder Bahnbögen
                                  Holz unter Wasserdampf zu biegen, wurden traditionelle Metall- und Holzver-                                                                                                     komplizierten Kräfteflüsse ist es baustatisch sehr anspruchs-
                                                                                                                     in der Bartholomäus-Schink-Straße haben Studierende der Vertiefung
                                  arbeitungstechniken angewendet. Kombiniert wurden die alten mit modernen                                                                                                        voll. Das Prinzip dieses Tragwerks, das bereits in der Antike
                                                                                                                     Corporate Architecture des Masterstudiengangs Architektur neue
                                  Technologien wie Lasercutting, 3D-Printing und CNC-Fräsen – und ausgestellt                                                                                                     bekannt war, haben die Studierenden in einem Workshop
                                                                                                                     Konzepte erarbeitet. In einer Ausstellung präsentierten sie neue Einzel-
                                  auf der internationalen Möbelmesse imm.                                                                                                                                         mit dem Züricher Architekten Udo Thönnissen und dem
                                                                                                                     handelskonzepte, die den digitalen Wandel und das dadurch bedingten
                                  Leitung: Prof. Wolfgang Laubersheimer (KISD), Prof. Malte Wagenfeld (RMIT)         neue Einkaufsverhalten berücksichtigen. Eine Analyse der Studierenden                        Architekturbüro BHSF kennengelernt.
                                  Mitarbeit: Mohamed Hassan                                                          über den Charakter des Ortes, die städtebaulichen Voraussetzungen und                        Leitung: Prof. Rüdiger Karzel
                                  Studierende: Waldemar Fischer, Markus Hench, Marina Kuck, Johannes König, Carola   den Nutzerbedarf hatten ergeben, dass der Ehrenfelder Bahnhof sehr gut                       Studierende: Waldemar Fischer, Markus Hench, Marina Kuck,
                                  Schiffczyk, Annika Schröder und Merve Selvi                                         dafür geeignet ist, den lokalen Einzelhandel zu fördern und einen neuen                      Johannes König, Carola Schiffczyk, Annika Schröder und
                                                                                                                     Marktplatz mit besonderer Aufenthaltsqualität anzubieten.                                    Merve Selvi
                                                                                                                     Leitung: Prof. Jochen Siegemund
                                                                                                                     Mitarbeit: Katharina Koppe
                                                                                                                     Studierende: Patrick Müller, Benedikt Braun, Jana Mitnik, David Buchter, Elena
                                                                                                                     Ihl, Marion Schultz, Carlotta Rinaldi

     Foto: Lukas Liese, TH Köln                                                                                                                                                    Foto: Patrik Müller, TH Köln

                                                                                                                                                                                                                   Foto: BHSF

 Inside out_Frühling 2016                                                                                                                                                                                                                                      Inside out_Frühling 2016
Inside out - Gutes Leben: Was braucht es dafür? - TH Köln
18 | Lernen und Forschen                                                                                                                                                                                                                                              Lernen und Forschen |    19

                                                                                                                                            Auf der Suche nach
                                                                                                                                            dem guten Leben
                                                                                                                                            Sie gehört zu den Fragen aller Fragen: Was ist ein gutes Leben? Und wie glück-
                                                                                                                                            lich und zufrieden sind wir? Tobias Ritschel, Absolvent der Sozialen Arbeit, ist
                                                                                                                                            der Sinnsuche einer Generation in seiner Abschlussarbeit nachgegangen.

                                                                              Jede Generation bekommt ihren eigenen Na-          Thema bestätigen den Eindruck. „Mit je mehr          Die Untersuchungen aus den USA und Deutsch-          Medien. Dabei dienen sie jungen Erwachsenen
                                                                              men. Zum Beispiel die Generation X. Erstmals       Leuten ich über dieses Thema gesprochen habe,        land zeigen ein einheitliches Bild einer in die      als einziger echter Rückzugsort. Hier orientie-
                                                                              bekannt geworden ist die in der Soziologie defi-    umso mehr habe ich festgestellt, dass viele sehr     Krise geratenen Generation in einer individua-       ren sie sich über ihre Berufsbilder. Und kriegen
                                                                              nierte Gruppe durch den gleichnamigen Roman        unzufrieden mit sich sind und Schwierigkei-          lisierten Gesellschaft. Die Übergangsphase der       später die vorgelebte Perfektion nicht mit ih-
                                                                              von Douglas Coupland. Als deutsches Pendant        ten haben, sich beruflich und privat zu orien-        Unsicherheit und Orientierungslosigkeit hat          rer unvollkommenen Realität überein. Das So-
                                                                              beschrieb Florian Illies in Generation Golf jene   tieren. Sie erleben die Gesellschaft als Markt, in   sich mittlerweile über die Postpupertät ausge-       cial Web wird als Ort der persönlichen Freiheit
                                                                              Menschen, die zwischen 1970 und den 1980er         der man unter der Maxime das ‚Beste aus sich         dehnt bis Anfang 30. Ein Alter, in dem man vor       wahrgenommen, in dem man seine Persön-
                                                                              Jahren aufwuchsen, zwischen Kaltem Krieg,          zu machen‘ unbedingt mithalten muss. Und sie         50 Jahren bereits angekommen war: Man stand          lichkeit definieren kann. Allerdings immer un-
                                                                              Popkultur und Hedonismus, auf der Suche nach       bewerten sich selbst als Scheiternde.“               mitten im Beruf, hatte eine Familie gegründet        ter der Maßgabe der in den Medien vorgeleb-
                                                                              dem persönlichen Glück. Heute ist man ange-                                                             und blieb 30 Jahre seiner Festanstellung treu.       ten Perfektion. Das heißt, man wägt genau ab,
                                                                              kommen bei der Generation Z, der Kohorte,          Den Absolventen des Bachelorstudiengangs So-                                                              mit welchen Hobbies und Freunden man sich
                                                                              die zwischen 1995 und 2010 geboren wurde.          ziale Arbeit beschäftigte die Problematik schon      Heute fehlten im eigenen Umfeld die Vorbil-          inszeniert. Die Referenz bildet der eigene Freun-
                                                                              Im Alphabet ist man jetzt am Ende angelangt.       während seines Studiums, er zählt sich zu der        der, meint Ritschel und spricht dabei von Iden-      deskreis, der zur Konkurrenz wird. „Es geht da-
                                                                              Doch der Wunsch, die verschiedenen Altersklas-     Gruppe Sinnsuchender dazu. Seine berufliche           titätsdiffusion und einer Quarter Life Crisis jun-    bei um die glücklich-perfekte Selbstdarstellung,
                                                                              sen in ihrem Lebensgefühl zu charakterisieren      Orientierung führte den 31-Jährigen von ei-          ger Erwachsener, die sich auf unbestimmte Zeit       die mittlerweile überhandgenommen hat. Das
                                                                              und zu normen, ist anscheinend stärker als je-     ner kurzen Zeit als – lediglich eingeschriebener     verlängert. Viele können oder wollen die Le-         wird bereits in der Jugend mit großer Ernsthaf-
                                                                              mals zuvor.                                        – Philosophiestudent über die Sprachwissen-          bensmodelle ihrer Eltern nicht mehr überneh-         tigkeit betrieben. Auch im direkten Kontakt mit
                                                                                                                                 schaften. In der Sozialen Arbeit fand er dann die    men. In einem globalisierten Markt hat man           ihren Freunden versuchen viele, gut dazuste-
                                                                              Dabei eint doch jede Generation der dem Men-       richtige Disziplin. Für seine Thesis „Auf der Su-    sich beruflich flexibel und mobil zu zeigen. Des-      hen. Dadurch ist man im ständigen Abgleich
                                                                              schen ureigene Wunsch nach einem glücklichen       che nach dem ‚guten Leben‘ – die Krise der so-       halb würden viele ihre persönliche Freiheit          mit den anderen. Und zieht subjektiv immer
                                                                              Leben. Neben der Frage, was ein gutes Leben        zialen (Selbst)Integration junger Erwachsener“       nicht wirklich als solche erleben.                   den Kürzeren.“
                                                                              überhaupt ausmacht, sind deshalb die Antwor-       ist er in die Hall of Fame der Fakultät für Ange-
                                                                              ten interessant, die Menschen geben, wenn          wandte Sozialwissenschaften aufgenommen              Das läge zum einen an den Erwartungshaltun-          In den Interviews, die Ritschel für seine Thesis
                                                                              sie nach ihrer persönlichen Zufriedenheit ge-      worden.                                              gen der Eltern, dass ihre Kinder die eigenen un-     herangezogen hat, ist es demnach eigentlich
                                                                              fragt werden. In einer Gesellschaft des materi-                                                         erfüllten Wünsche realisieren und es finanziell       egal, welchen Lebensentwurf die Freunde ge-
                                                                              ellen Wohlstands und der individuellen Freiheit;   Auf der Suche nach der eigenen Identität             besser haben sollen. Zum andern bewertet Rit-        wählt haben – es ist irgendwie immer der bes-
                                                                              wie zufrieden sind da zum Beispiel Männer und      Neben seinen eigenen Beobachtungen in pri-           schel das Schulsystem als zu marktkonform. „Ju-      sere. „Diejenigen, die ihr Studium schnell und
                                                                              Frauen im Alter zwischen 20 und 30? In der So-     vaten und beruflichen Kontexten hat Ritschel          gendliche haben viel zu wenig Zeit und Mög-          erfolgreich absolviert haben, beneiden jene, die
                                                                              ziologie werden die Y-erinnen und Y-er als op-     sich in seiner Arbeit vor allem auf wissenschaft-    lichkeiten, sich in Ruhe auszuprobieren. Man         sich mehr Zeit gelassen haben, weil sie dadurch
                                                                              timistisch und selbstbewusst charakterisiert.      liche Studien und qualitative Interviews ge-         macht Potenzialanalysen und Hospitationen,           mit sich im Reinen seien“. Neben dieser Selbst-
                                                                              Ihnen sei der materielle Status nicht mehr so      stützt. Dabei, so räumt er ein, sei das Thema bis-   die Schülerinnen und Schüler sollen möglichst        kritik zieht sich ebenfalls durch die Interviews,
                                                                              wichtig, der Job soll Sinn stiften und Spaß ma-    her quantitativ noch kaum Gegenstand in der          schnell ihren beruflichen Weg finden. Später er-       wie sehr die Unzufrieden- und Ichbezogenheit
                                                                              chen. Familie und Freizeit werden der Karriere     Forschung. „Leider hätte es den vorgegebenen         achten junge Menschen zum Beispiel ein frei-         auch die Beziehungsgestaltung prägt.
                                                                              nicht mehr untergeordnet.                          Rahmen gesprengt, wenn ich eigene Interviews         williges Soziales Jahr als Handicap, das sie zeit-
                                                                                                                                 geführt hätte. Mehr als drei hätte ich nicht ein-    lich gegenüber der Konkurrenz zurückwirft.           „Viele haben Schwierigkeiten mit längeren Be-
                                                                              Doch fühlen sich junge Erwachsene tatsächlich      binden können – als Aussage viel zu wenig.“          Obwohl eigentlich viele in den Interviews sag-       ziehungen, da sie als eine Form der Festlegung
                                                                              glücklich? Tobias Ritschel erlebt das etwas an-                                                         ten, dass sie sich gerne für die Gesellschaft en-    betrachtet werden, die mehr verunsichert als
                                                                              ders. Nicht nur in seinem persönlichen Umfeld.                                                          gagieren würden.“                                    beruhigt. Sie sind getrieben von der Sorge, dass
                                                                              Auch wissenschaftliche Untersuchungen zum
                                                                                                                                                                                      Fluch und Segen: die Medien
                                                                                                                                                                                      Die dritte Ursache für die chronische Selbst-
                            Für seine Bachelorthesis ist Tobias Ritschel in                                                                                                           optimierung und Unzufriedenheit seien die
                            die Hall of Fame der Fakultät für Angewandte
                            Sozialwissenschaften aufgenommen worden

 Inside out_Frühling 2016                                                                                                                                                                                                                                               Inside out_Frühling 2016
20 | Lernen und Forschen                                                                                                                                                                                                                                                                                  Lernen und Forschen |    21

    Fortsetzung von Seite 19

    sie etwas verpassen, das es einen Partner ge-       In seiner Thesis stützt er sich auf Konzepte des     Gleichwohl wünscht er sich dazu eine gesell-
    ben könnte, der noch besser zu ihnen passt. An-     Sozialpädagogen Lothar Böhnisch. Im Kern             schaftspolitische Diskussionskultur. „Das würde
    dere sagten, dass sie aufgrund ihrer Uneinigkeit    gehe es darum, die eigenen Werte in einer lang-      den Betroffenen signalisieren, dass sie nicht al-
    mit sich selbst nicht in der Lage sind, sich auf    fristigen Diagnosephase herauszufinden und            leine sind mit ihren Problemen und das sie kei-
    eine Beziehung einzulassen.“ Viele der Befrag-      von den utopischen Wünschen hinzukommen              nen individuellen Defekt haben, selbst schuld
    tene würden die Partnerschaft der Karriere un-      zu konkreten, realistischen Zielen. Darüber hi-      sind. Letztlich hat die Gesellschaft diese Heraus-
    terordnen – ganz entgegen der Definition der         naus müssten mehr Angebote zum zivilge-              forderung zu bewältigen, nicht der Einzelne.“
    Generation Y.                                       sellschaftlichen Engagement bestehen. Ge-            Und zwar durch alle Altersschichten, denn in
                                                        nerell würde die Zielgruppe zwischen 20 und          der Unzufrieden- und Unsicherheit erkennen
    Ein ständiges Hadern                                30 Jahren bisher mit ihren Problemen kaum            sich vielleicht auch einige Mitmenschen über 30
    Die Folgen des permanenten Haderns und              wahrgenommen.                                        wieder. mp
    Zweifelns sind in einigen Fällen gravierend: De-
    pression, Angstzustände, Essstörungen oder          Mit dem Begriff des Coachings tut sich Ritschel
    Abbruch der sozialen Kontakte. Damit einher         übrigens schwer, komme er doch aus dem Be-
    gehen vermehrt psychologische Behandlun-            reich der Selbstoptimierung und Leistungsstei-
    gen. Ein Trend, dem nach Meinung von Tobias         gerung für Privilegierte. „Soziale Arbeit soll den
    Ritschel durch den präventiven Einsatz eines so-    Leuten nicht helfen, sich an den Markt anzupas-
    zialpädagogischen Coachings entgegengewirkt         sen. Sie sollte immer eine außenstehende Posi-                                                                                                                                                                             Der Refugees Welcome Day 2015 war Teil des
    werden könnte.                                      tion haben und individuelle Hilfe leisten.“ Des-                                                                                                                                                                           Themenjahrs „Flüchtlingspolitik” der Ange-
                                                        halb müssten sozialpädagogische Coachings                                                                                                                                                                                  wandten Sozialwissenschaften. Jetzt verlängert
                                                        niederschwellig und kostenfrei sein.                                                                       Foto: Heike Fischer, TH Köln                                                                                    die Fakultät das Programm um zwei Semester

       Small-Talk: Warum uns der kleine Versicherungsbetrug leicht fällt
       Versicherungsbetrug findet sich in allen Gesellschaftsschichten. Weniger die Persönlich-
       keitsstruktur als die Gelegenheit macht aus einem ehrlichen Menschen einen Versiche-
                                                                                                                                                                                        Die Integrations-WG
       rungsbetrüger. Für das Buch Versicherungsbetrug verstehen und verhindern hat Prof. Horst
       Müller-Peters vom Institut für Versicherungswesen gemeinsam mit Prof. Dr. Detlef Fetchen-                                                                                                           Warum nicht Studierende und junge Flüchtlinge zusammen wohnen lassen? In
       hauer von der Universität zu Köln und der Journalistin Vanessa Köneke zahlreiche Versi-                                                                                                             ihrem integrativen Wohnkonzept ViaLiberta setzen Studierende der Sozialen
       cherte befragt. Dabei wurden auch die psychologischen Mechanismen hinter dem Versi-                                                                                                                 Arbeit auf das Modell studentischer Wohnheime, in denen geflüchtete junge
       cherungsbetrug untersucht.                                                                                                                                                                          Männer und Frauen gemeinsam mit Studierenden und Auszubildenden in kleinen WGs
    Wie viele Versicherte haben schon mal einen         und den auch zu beweisen ist ein weiter Weg,
                                                                                                                                                                                                           leben. Neben günstigem Wohnraum bietet ViaLiberta professionelle soziale Betreuung
    Betrug begangen?                                    der sich bei einer Schadenssumme von 200                                                    Foto: privat                                           und eine Tutorenschaft: Studierende und Auszubildende unterstützen die
    Horst Müller-Peters: Unserer Befragung hat          Euro einfach nicht lohnt. Zudem werden viele                                                                                                       Flüchtlinge bei der sozialen Integration. Die GAG Immobilien AG zeigt bereits Interesse.
    ergeben, dass ungefähr jeder vierte Versiche-       Fälle automatisch vom System bearbeitet, die         in der Hausrat- oder Gebäudeversicherung ab-
    rungsnehmer schon einmal seine Versiche-            sieht kein Sachbearbeiter. Wenn ein Mitarbei-        gedeckt – eines durch eine glimmende Ziga-
    rung betrogen hat. Der Schaden beläuft sich         ter Verdacht schöpft, dann versucht die Versi-       rette hingegen oft nicht. Das Resultat ist aus
    auf etwa vier Milliarden Euro jährlich oder um-     cherung die Auszahlung etwas zu verzögern.           Kundensicht das Gleiche, denn es ist ein Loch
    gerechnet zehn Prozent der Versicherungsbei-        Verzichtet der Kunde daraufhin auf die Re-           im Teppich. Warum nur einer der beiden Fälle                  Was ist die Kernidee von ViaLiberta?               eines Stadtviertels zu integrieren. Denn unse-   entgegensetzen. Wir glauben, dass eine Ge-
    träge, die am Ende die ehrlichen Kunden drauf-      gulierung, wird das nicht weiter verfolgt. Bei       abgedeckt ist, kann der Laie nicht verstehen.                 Nicole Jäger: Viele Geflüchtete leben in Köln       rer Meinung nach sind Integrationsprozesse       sellschaft entscheiden kann, jetzt Geld zu in-
    zahlen müssen. Ein Großteil der Fälle sind kleine   großen Schäden hingegen ist die Betrugser-           Daher macht er falsche Angaben und behaup-                    isoliert in Gemeinschaftsunterkünften am           keine einseitige Anpassungsleistung. So könn-    vestieren, um die späteren Folgekosten einer
    Delikte, nur ungefähr zehn Prozent haben einen      kennung recht weit fortgeschritten.                  tet, es habe gebrannt. Wir empfehlen Versiche-                Stadtrand oder in Notunterkünften ohne Privat-     ten mehr Toleranz und Akzeptanz in unserer Be-   missglückten Integration zu verringern. Die Un-
    Wert über 500 Euro.                                                                                      rungen, solche Feinheiten aus den Verträgen zu                sphäre wie beispielsweise in Turnhallen. Diese     völkerung entstehen.                             terbringung der Menschen in alte Hotels kostet
                                                        Wie können Versicherungen Betrugsver-                nehmen oder notwendige Ausschlüsse leicht                     Unterkünfte sind defizitär und behindern die                                                         die Stadt sehr viel Geld, der Profit liegt bei den
    Wie gehen die Versicherungsnehmer vor?              suche verhindern?                                    nachvollziehbar zu machen.                                    gesellschaftliche Integration. Dabei sind un-      Warum sind die Wohnformen nach Ge-               Hotelbetreibern. Doch die Unterbringung äh-
    Horst Müller-Peters: In über der Hälfte der         Horst Müller-Peters: Die meisten Men-                                                                              ter den jungen Geflüchteten viele mit großem        schlechtern getrennt?                            nelt oft dem offenen Vollzug und auch die Ver-
    Fälle wird der Schaden „umdefiniert“. Der Scha-      schen, die einen Versicherungsbetrug bege-           Versicherungen sollten also transparente                      Potenzial und Ressourcen, teilweise auch mit       Thorsten Segers: Darüber haben wir viel dis-     wahrung in Turnhallen bietet keinerlei Privat-
    densverlauf wird also etwas anders dargestellt,     hen, würden sich selbst als grundehrlich be-         Verträge formulieren?                                         höheren Bildungsabschlüssen, die hier nicht        kutiert. Wir wollen die Geflüchteten nicht di-    sphäre, weil dort der Brandschutz wichtiger ist
    damit der Schaden abgedeckt ist. Zum Bei-           zeichnen. Sie betrügen daher nur so weit, wie        Horst Müller-Peters: Ja, denn wenn sie offen                   anerkannt werden. Wir wollen ein neues, in-        rekt überfordern und fanden die Trennung         als Duschvorhänge. Das Geld für diese Form der
    spiel wird behauptet, ein nicht abgeschlossenes     es ihr Selbstbild als „ehrlicher Mensch“ zu-         und transparent agieren, erhöhen sie die mo-                  novatives Projekt starten, das sie in ihrem Po-    auch wichtig, um einer heterogenen Zielgruppe    Unterbringungen könnte die Stadt auch in in-
    Fahrrad sei abgeschlossen gewesen. In circa 40      lässt. Aus psychologischer Sicht gibt es viele       ralische Schwelle, da sie Möglichkeiten zur ex-               tenzial unterstützt und eine Generation zu-        Schutzräume zu bieten. Männer und Frauen le-     tegrative Wohnformen investieren. Ich begleite
    Prozent der Fälle übertreiben die Geschädigten.     Wege, durch kleine Maßnahmen die morali-             post-Rechtfertigung verringern. Darunter ver-                 sammenbringt: Viele sind in der ähnlichen          ben auf einem Campus, aber in getrennten         ehrenamtlich einen jungen Mann, der geflohen
    In fünf Prozent der Fälle sind die Schäden erfun-   sche Schwelle zur Unehrlichkeit zu erhöhen.          steht man Strategien, mit denen Menschen ihr                  Altersgruppe wie Studierende und Auszubil-         Häusern.                                         ist. Er hat kaum Kontakte in die Mehrheitsge-
    den, in einem Prozent der Schaden selbst her-       Zum Beispiel sind Menschen ehrlicher, wenn           Verhalten im Nachhinein beschönigen. Zum                      dende. Wenn sie gemeinsam in einer Wohn-                                                            sellschaft. Deshalb war unsere Idee, durch ViaLi-
    beigeführt. Die Aufklärungsquote in den ersten      sie in Briefen mit ihrem Namen angesprochen          Beispiel indem sie die Versicherung schlecht re-              form mit kleinen Wohngemeinschaften leben,         Ihr Konzept sieht außerdem Personalstellen       berta auch Kommunikationsräume zu schaffen.
    beiden Kategorien ist dabei fast marginal.          werden. Es hilft auch, wenn die Versicherung         den und sagen: „Im Vertrag sind so viele Ein-                 entstehen daraus Synergieeffekte und für alle       vor bei der Haustechnik, der Gebäudesicher-
                                                        personalisiert auftritt, etwa durch Nennung          schränkungen, das konnte ich ja am Anfang gar                 ein Mehrwert: Auszubildende und Studierende        heit und vor allem bei der sozialen Betreu-
    Bei jährlich vier Milliarden Euro Schaden –         eines direkten Ansprechpartners im Unter-            nicht überblicken.“ Wenn diese Möglichkeiten                  können von diesen WGs interkulturell profitie-      ung – das schafft Arbeitsplätze, verursacht
    warum haben die Versicherungsgesellschaf-           nehmen. Wichtig ist, dass die Vertragsklau-          zur Rechtfertigung wegfallen, werden die Kun-                 ren. Und indem sie sich gleichzeitig als Tutoren   aber auch zusätzliche Kosten.
    ten nicht mehr Interesse an der Aufdeckung?         seln aus Kundensicht nachvollziehbar sind.           dinnen und Kunden ehrlicher.                                  engagieren, unterstützen sie geflüchtete junge      Thorsten Segers: Wir sehen gegenwärtig die
    Horst Müller-Peters: Weil das im Einzelfall         Ein Klassiker in vielen Verträgen: Ein Loch im       Interview: Christian Sander                                   Männer und Frauen, sich im sozialen Umfeld         Gefahr, dass sich die Fehler der Vergangen-
    nicht wirtschaftlich ist. Einen Verdacht zu haben   Teppich, das durch einen Brand entsteht, ist         www.versicherungsbetrug-verstehen.de                                                                             heit bei der Integrationspolitik wiederholen
                                                                                                                                                                                                                              könnten. Wir wollen eine konstruktive Lösung

 Inside out_Frühling 2016                                                                                                                                                                                                                                                                                   Inside out_Frühling 2016
22 | Lernen und Forschen                                                                                                                                                                                                                                                                            Lernen und Forschen |    23

    Fortsetzung von Seite 21

    Für Azubis und Studierende bietet das Kon-          nicht bei der emotionalen Resonanz bleibt. Die
    zept preiswerten Wohnraum, der, wenn sie            GAG ist recht umtriebig und nimmt gerne kre-
    sich als Tutoren engagieren, noch günstiger         ative Ideen auf. Bei Neubauprojekten bietet sie
    ausfällt.                                           mittlerweile die Möglichkeit, dass sich private
    Helga Saß: Damit wollen wir Anreize schaffen.        Initiativen für alternative Wohnformen bewer-
    Der Wohnaufenthalt ist aber begrenzt bis zum        ben können. Wenn wir da andocken könnten,
    Ende des Studiums und der Ausbildung. Auch          das wäre super.
    für die Geflüchteten haben wir einen Zeitraum
    von maximal vier Jahren veranschlagt. Denn es
    liegt auch in ihrem Interesse, eine eigene Woh-
                                                        Die Fakultät verlängert ihre Vorlesungsreihe
                                                        zur Flüchtlingspolitik noch um mindestens
                                                                                                                                                                                                                        Baut ihnen Heimat
    nung zu finden und sich selbst finanzieren zu         ein weiteres Semester. Geschieht das auf In-
    können.                                             itiative der Studierenden?
                                                        Nicole Jäger: Die bisherigen Seminare haben                                                                                                                     Mit ihrer städtebaulich-architektonischen Stu-
    Thorsten Segers: Wir möchten nicht, dass            uns so viel Input und interdisziplinäre Expertise                                                                                                               die präsentieren Sophie Diener und Svetlana
    junge Geflüchtete im Niedriglohnsektor für Ge-       vermittelt, das haben wir den Dozentinnen und
    ringqualifizierte landen. Statt sie in ihrer Moti-   Dozenten widergespiegelt. Die Entscheidung
                                                                                                                                                                                                                        Holz einen neuen Typ der Sammelunterkunft
    vation abzuwürgen sind Deutschkurse und eine        der Fakultät, diese Thematik als Schwerpunkt                                                                                                                    für Geflüchtete. Die Absolventinnen des Mas-
    berufliche Qualifizierung wichtig. Deshalb sieht      zu setzen und sich darüber ein Profil zu geben,                                                                                                                  terstudiengangs Architektur haben für ihre The-
    unser Konzept neben den Wohnungen auch Ge-          war genau richtig und kommt allgemein bei                                                                                                                       sis neue Hausformen entwickelt, die sich an be-
    werbeeinheiten vor, in denen die Geflüchteten        uns sehr gut an. In der Sozialen Arbeit haben                                                                                                                   stehende Strukturen der Stadt angliedern. Dabei
    sich konstruktiv beschäftigen können. Zum Bei-      wir bei der Flüchtlingspolitik zwei Aufträge: uns
                                                                                                                                                                                                                        spielt die Produktivität der Flüchtlinge eine wich-
    spiel in einem Internetcafé oder einem Selbst-      politisch zu engagieren und Stellung zu bezie-
    versorgungsladen für die Nachbarschaft. Es gibt     hen sowie die Integration von Menschen zu er-                                                                                                                   tige Rolle bei ihrer dauerhaften Integration im
    viele motivierte ehemalige Ausbilder der IHK.       möglichen. Das betrifft mittlerweile viele Fach-                                                                                                                 Stadtviertel. Die Gesellschaft für Kunst und Ge-
    Warum gibt man diesen Leuten nicht die Mög-         gebiete in der Sozialen Arbeit. Ich arbeite in der                                                                                                              staltung e.V. in Bonn hat ihre Arbeit ausgestellt.
    lichkeit, ihre dreißigjährige Berufserfahrung in    Wohnungslosenhilfe, Helga in der Jugendhilfe
    so ein Projekt einzubringen und junge Leute         mit unbegleiteten Minderjährigen. Thorsten ar-
    beim Aufbau der Geschäfte anzuleiten? Die Be-       beitet ehrenamtlich mit Geflüchteten und Ok-          Sophie Diener und Svetlana Holz haben ihr städte-
                                                                                                             baulich-architektonisches Konzept für Geflüchtete
    schäftigung junger Flüchtlinge ist ein schwie-      sana als Kulturvermittlerin in der Flüchtlings-
                                                                                                             bei der Gesellschaft für Kunst und Gestaltung e.V.
    riges Thema, bei dem sich die Stadt, die Ver-       hilfe. Die Situation geflüchteter Menschen wirkt      in Bonn ausgestellt
    bände und die IHK an einen Tisch setzen und         sich auf diese Bereiche aus; sie verändert die Ar-
    nach kreativen Lösungen suchen müssen.              beitsfelder und schafft gleichzeitig ein neues.
                                                        Deshalb profitieren wir sehr von der Vorlesungs-
    Sie haben ViaLiberta vor Vertretern von             reihe. Außerdem erleben wir gerade, dass Fach-       Was war die Ausgangslage für Ihrer                   Menschen reagierende Gebäude integrations-          und eingeschossige Gebäude. Die flexible Ge-        Wie ist das Feedback auf Ihre Ausstellung?
    Wohnungsbaugesellschaften, Wohlfahrts-              kräfte der Sozialen Arbeit vermehrt gesucht          Masterarbeit?                                        fördernd wirken kann.                               staltung der Wohnungsgrundrisse wird durch         Svetlana Holz: Wir sind sehr glücklich über das
    verbänden und der Stadt Köln vorgestellt.           werden. Es ist wichtig, Projekte anzustoßen, die     Svetlana Holz: In unserer gemeinsamen Studi-                                                             eine Art Baukastensystem umgesetzt. Auf diese      positive Feedback und das starke Interesse an
    Wie waren die Reaktionen?                           positive Auswirkungen haben und gute Integra-        enzeit haben wir oft über das Ziel unserer Mas-      Wie sieht Ihr Konzept aus?                          Weise können sich die Bewohnerinnen und Be-        unserer Ausstellung. In einigen interessanten
    Helga Saß: Wir waren erst einmal sehr über-         tionsbeispiele sind. Trotz der verunsicherten bis    terthesis nachgedacht und gesprochen. Für uns        Svetlana Holz: Unser Projekt beschreibt ein         wohner bei der Planung, Gestaltung und der         Gesprächen haben wir viele Rückmeldungen,
    rascht über das große Interesse – aktiviert von     negativen Stimmung gibt es die nämlich durch-        war immer klar, dass unsere letzte Studienarbeit     übergreifendes Konzept der Flüchtlingsunter-        Umsetzung einbringen.                              Meinungen und Anregungen aus den verschie-
    Prof. Herbert Schubert kamen sehr viele Besu-       aus. Aber über sie wird bisher viel zu wenig in      ein Thema behandeln sollte, das einer verstärk-      bringung ohne lokale Bindung, das wir am Bei-                                                          densten Blickwinkeln bekommen. Darüber sind
    cher. Mit diesem Zuspruch hätten wir niemals        den Medien berichtet.                                ten sozialen Betrachtung bedarf. Wir wollten         spiel von Köln-Ehrenfeld angewendet haben. Es       An wie vielen Standorten in Köln könnte            wir sehr dankbar und hoffen auf die weitere
    gerechnet. Die Reaktionen auf unser Konzept         Interview: Monika Probst                             eine Arbeit schaffen, die zum Nachdenken und          handelt sich um eine zentrale Unterkunft und        man Ihre Idee umsetzen?                            rege Beteiligung. Viele Besucher würden die
    waren ebenfalls sehr positiv. Vor allem die Ca-                                                          vielleicht auch Umdenken anregt. Die hohen           mehrere autonom funktionierende Einzelunter-        Svetlana Holz: Grundsätzlich kann das Konzept      Umsetzung des Konzeptes begrüßen und ha-
    ritas und die GAG zeigten sich sehr interessiert.   Projektbeteiligte: Caroline Mertens, Helga Saß,      Flüchtlingszahlen 2015 in Köln und Deutsch-          künften im bestehenden Stadtgefüge. Die zen-        überall angewendet werden, wo es bestehende        ben uns in unserer Idee bestärkt. Man sieht sehr
    Die GAG möchte das Konzept eventuell umset-         Kersten Waschko, Nicole Jäger, Oksana Ovchyn-        land – und natürlich der ganzen Welt – haben         trale Unterbringung ist eine Art Erstaufnahme       Gesellschaftsstrukturen und Stadtstrukturen        deutlich, dass es hier ein hohes Bürgerengage-
    zen, wir stehen gerade in Kontakt und bereiten      nikova, Thorsten Segers                              uns vor Augen geführt, wie dringlich eine neue       im Bezirk und dient gleichzeitig als Anlaufstelle   als Integrationsgrundlage gibt. Allerdings ha-     ment gibt – eine Voraussetzung für eine even-
    unser Konzept noch einmal auf.                                                                           Betrachtungsweise bei der Integration und Un-        für die Einzelunterbringungen, die die Geflüch-      ben wir in unseren Recherchen festgestellt, dass   tuelle Realisierung.
                                                                                                             terbringung von Geflohenen ist. Nach den ers-         teten nach der Erstaufnahme beziehen können.        es Stadtteile gibt, die sich mehr oder weniger
    Wie schätzen Sie Ihre Chancen bei der                                                                    ten Recherchen war schnell klar, dass hier noch      Die Zentrale bietet die Möglichkeit der schnel-     gut zur Integration eignen. Einige Viertel haben   Gibt es Pläne, Ihr Konzept in die Praxis
    GAG ein?                                                                                                 ein erhöhter Handlungsbedarf besteht. Es exis-       len Hilfestellung und dient zur Kompensation        selbst starke soziale Defizite, die es zu beheben   umzusetzen?
    Thorsten Segers: Wir würden uns freuen, wenn                                                             tieren wenig alternative Konzepte für Wohnbe-        der hohen Zahlen an Asylantragsteller. Mit Hilfe    gilt. Die Unterbringung von Geflüchteten löst in    Svetlana Holz: Derzeit gibt es noch keine kon-
    Teilelemente übernommen werden und wir                                                                   bauungen für Geflohene. Deshalb wollten wir           der Weitervermittlung an die Einzelunterkünfte      diesem Fall eher Überforderung aus und drängt      kreten Umsetzungspläne. Allerdings können
    dann die Realisierung begleiten können. Des-                                                             ein flexibles und ortsunabhängiges Konzept            kann die Zeit in der zentralen Unterkunft für die   die Menschen schnell in eine Randgruppe. Es ist    wir uns sehr gut vorstellen, eine Art Prototyp zu
    halb wäre es schön, wenn wir tatsächlich noch                                                            entwerfen, das auf die Bedürfnisse, Gewohnhei-       Bewohner verkürzt werden.                           natürlich von Vorteil, das Konzept an einem Ort    bauen. Ein geeignetes Grundstück müsste da-
    eine Einladung von der GAG erhalten und es                                                               ten und kulturellen Gegebenheiten der Men-           Die konstruktive Grundlage der Gebäude sowie        zu realisieren mit gefestigten sozialen Struktu-   für noch gefunden werden und natürlich spielt
                                                                                                             schen eingehen kann. Es soll ihnen ermögli-          Art und Maß sind abhängig vom Ort und ad-           ren. Auch sollten die Bürgerinnen und Bürger       auch die Finanzierung eine große Rolle.
                                                                                                             chen, sich in eine bestehende Gemeinschaft           aptiert individuell dessen Strukturen. Die Mög-     eine gewisse Bereitschaft zeigen, Flüchtlingen     Interview: Christian Sander
                                                                                                             zu integrieren und nicht in einer Massenunter-       lichkeit der Anwendung bezieht sich auf ver-        offen zu begegnen und sich eventuell sogar
                                                                                                             kunft in vollkommener Abgrenzung zu leben.           schiedenste Bauflächen im Stadtgefüge. In            engagieren. Wichtig ist außerdem die örtliche
                                                                                                             Beispielhaft haben wir uns dann mit Köln-Eh-         Ehrenfeld haben wir drei verschiede Arten von       Lage in der Stadt. Randbezirke mit schlechten
                                                                                                             renfeld beschäftigt. Es soll zeigen, dass die Un-    Flächen kategorisiert: Freiflächen, Baulücken        öffentlichen Verkehrsmittelanbindungen brin-
                                                                                                             terbringung von Geflohenen im Stadtteil durch                                                             gen viele Nachteile mit sich. Sie erschweren den
                                                                                                             eine angemessene Verteilung und auf den                                                                  Geflüchteten die Möglichkeit, sich überhaupt
                                                                                                                                                                                                                      in einer bestehenden Gesellschaftsstruktur zu
                                                                                                                                                                                                                      integrieren.

 Inside out_Frühling 2016                                                                                                                                                                                                                                                                              Inside out_Frühling 2016
24 | Lernen und Forschen                                                                                                                                                               Lernen und Forschen |     25

                       Architektur ist wie Sport
                                            Leidenschaft und gute Nerven brauchen Architekten und
                                            Stadtplaner unbedingt. Verlieren können ist ebenfalls eine
                                            nützliche Eigenschaft. Jedenfalls dann, wenn man an Wett-
                                            bewerben teilnehmen will – so wie Städtebau-Professor
                                            Marian Dutczak, der neben seiner Lehrtätigkeit an unserer
                                            Hochschule auch noch an einem Architekturbüro beteiligt ist.

          Ein Architekt hat es gut. Was er sich ausdenkt,     Aufräumen mit romantischen Vorstellungen            Pragmatismus und Sportsgeist
          das wird gebaut, ist weithin sichtbar und für die   Dutczak mag das so nicht sehen. „Es ist wie im      Eine gesunde Dosis Pragmatismus wird den
          Ewigkeit errichtet. Hübsches Klischee. Das Ge-      Sport. Man kann nicht immer gewinnen.“ Er           Studierenden also vermittelt. Und immer wie-
          genteil geht so: Ein Architekt nimmt an einem       räumt aber ein, dass man die Leidenschaft und       der kreisen die Aufgaben um die Grundfragen:
          Wettbewerb teil, an noch einem, an noch ei-         nicht zuletzt die Nerven dafür haben muss. An       Wo baue ich? Für wen baue ich? Wenn die Ant-
          nem, an noch einem – realisiert wird von den        Wettbewerben teilzunehmen sei keine Pflicht,         worten darauf klar sind, steigen auch die Chan-
          ganzen schönen Entwürfen nichts. Die erste Be-      aber die Königsdisziplin, in der sich Eigenschaf-   cen in Wettbewerben. Und damit die Chancen
          hauptung ist unwahr, die zweite – natürlich         ten wie Begabung, Leidenschaft und Engage-          auf dem freien Markt. Das Büro, an dem Dutczak
          übertrieben.                                        ment manifestieren würden. Wettbewerbe sein         beteiligt ist, hat schon kurz nach seiner Grün-
                                                              auch wichtig für die eigene Positionsbestim-        dung 1991 den zweiten Preis beim Wettbewerb
          Marian Dutczak kennt die Quote der Realisie-        mung: Wie gut bin ich, kann ich mit meinen Kol-     „Hauptbahnhof Berlin – Spreeufer“ gewonnen.
          rungen ziemlich genau. Er ist an einem Dort-        legen mithalten?                                    Das sei der Durchbruch auch auf internationaler
          munder Architekturbüro beteiligt, in dem er re-                                                         Ebene gewesen, schließlich ging es um einen
          gelmäßig komplexe Bauten entwirft und zu            In seinen Seminaren räumt er mit romantischen       der größten und prominentesten städtebauli-
          Wettbewerben einreicht, und er lehrt seit 15        Vorstellungen auf: „Man sitzt nicht irgendwo        chen Wettbewerbe nach der Wiedervereinigung
          Jahren als Professor für Städtebau an der TH        und malt schöne Bilder. Was wir zeichnen, muss      in Berlin.
          Köln. Dutczaks Formel: „Wenn Sie gut sind als       auch gebaut werden können!“ Deshalb bekom-
          Architekt, dann landen Sie in jedem zweiten         men die Studierenden auch keine exaltierten         Vor allem für die Vielseitigkeit des Architekten-
          Wettbewerb einen Treffer“, sagt er. Treffer heißt,    Entwürfe als Hausaufgaben, sondern sie ent-         berufs möchte Dutczak seine Studierenden be-
          dass man einen Platz auf dem Siegertreppchen        werfen Alltägliches. Und deshalb halten Dut-        geistern. Denn jedes Gebäude sei ein Unikat, für
          oder einen Ankauf oder eine Anerkennung er-         czak und seine Kollegen ständigen Kontakt zum       alle sichtbar könne es generationsübergreifend
          reicht. All diese Kategorien sind mit Geldprä-      Markt, um dessen Bedürfnisse genau zu ken-          einen Ort prägen. Deshalb sieht er die Architek-
          mien verbunden, die fünf- bis sechsstellig sein     nen. „Wir wollen schließlich keine Architekten      tur auch nicht als Beruf, sondern mehr als eine
          können, je nach Größe des Projektes.                ausbilden, die nach der Probezeit gleich wieder     Berufung. „Klingt etwas pathetisch, ist aber so.
                                                              rausfliegen!“                                        Wer nur schnell viel Geld verdienen will, sollte
          Wenn ein Entwurf gebaut wird, gibt es weite-                                                            etwas anderes wählen.“ Die schönsten Aspekte
          res Geld. Wie oft passiert das? „Unter zehn Tref-                                                       an seinem Job seien, wenn man durch ein Ge-
          fern sind zwei bis drei erste Preise, und davon                                                         bäude einer Stadt oder einer Straße zusätzliche
          wird im Schnitt ein Entwurf tatsächlich ver-                                                            Qualität geben könne. Und wenn die Nutzer
          wirklicht.“ Ist für die Studierenden eine hohe                                                          sich in dem Gebäude wohl fühlen, unabhängig
          Frustrationstoleranz vielleicht noch wichtiger                                                          davon, ob sie dort wohnen, arbeiten oder ihre
          als technisches Verständnis oder räumliches                                                             Freizeit verbringen. Werner Grosch
          Vorstellungsvermögen?

                                                                                               Wettbewerbe sind für
                                                                                      Architekten keine Pflicht. Aber                                                  Marian Dutzcak ist Professor für Städtebau
                                                                                                                                                                      und mit eigenen Wettbewerbsbeiträgen aktiv
                                                                                         sie sind die Königsdisziplin

Foto: Heike Fischer, TH Köln                                                                                                                                                                 Foto: Thilo
                                                                                                                                                                                                Foto:    Schmülgen,
                                                                                                                                                                                                      Costa         TH TH
                                                                                                                                                                                                            Belibasakis, Köln
                                                                                                                                                                                                                            Köln
      Inside out_Frühling 2016                                                                                                                                                                Inside out_Frühling 2016
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