KÜNSTLICHE INTELLIGENZ FÜR EIN GUTES LEBEN

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KÜNSTLICHE INTELLIGENZ FÜR EIN GUTES LEBEN
KÜNSTLICHE INTELLIGENZ
    FÜR EIN GUTES LEBEN
    Wrocław Metropolregion 2021

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KÜNSTLICHE INTELLIGENZ FÜR EIN GUTES LEBEN
3–7     Einleitung

    8–12    Implementierungen künstlicher Intelligenz in Wrocław - Fallstudien

    13–21   Medizin

    20–24   Technik und Stadtlogistik

            Verbreitung von Wissen

            Metropolregion Wrocław

    		      Zusammenfassung

2                                         Künstliche Intelligenz für ein gutes Leben
                                          Wrocław Metropolregion 2021
KÜNSTLICHE INTELLIGENZ FÜR EIN GUTES LEBEN
“Wir arbeiten mit den
       Einwohnern, Universitäten, loka-
       len Unternehmen und
       Konzernen zusammen. Wrocław
       (Breslau) ist eine starke Stadt,
       das Herz und die Hauptstadt von
       Niederschlesien.”
                    Jacek Sutryk, Bürgermeister von Wrocław

    Wrocław konzentriert sich auf die Entwick-         mit einhundertzehntausend Studenten, von
    lung der Künstlichen Intelligenz (KI). Wir         denen elftausend Informatik oder verwandte
    verfügen über die erforderlichen Humanres-         Fächer studieren.“
    sourcen, das Know-how, spezialisierte Unter-         Im prestigeträchtigen Ranking der Times
    nehmen und Institutionen. Auch von den             Higher Education (Disziplinen) wurden die
    städtischen Behörden wird die Entwicklung          Informatik und die Mathematik an der Uni-
    und Umsetzung der künstlichen Intelligenz          versität Wrocław unter die vierhundert bes-
    unterstützt.                                       ten Fakultäten der Welt eingestuft, die Fach-
      Wrocław war in den letzten siebzig Jahren        hochschule unter den besten sechshundert.
    ein Zentrum für innovative neue Techno-              „Wir arbeiten mit Bürgern, Universitäten,
    logien. Es ist schwierig, an dieser Stelle alle    lokalen Unternehmen und Körperschaften
    Unternehmen aufzulisten, die ihre Aktivitä-        zusammen. Wrocław ist eine starke Stadt,
    ten oder Entwicklungen auf künstliche Intel-       das Herz und die Hauptstadt von Nieder-
    ligenz stützen.                                    schlesien. Die technologische und industriel-
      „Wrocławs Suche nach technologischen             le Lunge dieses ‘Organismus‘ ist die über eine
    und digitalen Innovationen reicht bis in die       Million Einwohner zählende Metropolregion
    1950er Jahre zurück“, sagt Jacek Sutryk, Bür-      Wrocław (WMA),“ meint Jacek Sutryk. Zu
    germeister von Wrocław. „Hier wurde der            ihr gehören die Städte, Gemeinden und Krei-
    erste polnische Computer Odra entwickelt,          se der ehemaligen Woiwodschaft Wrocław
    hier wurde das Internet in den achtziger Jah-      (insgesamt      vierundvierzig    Gemeinden
    ren zum ersten Mal getestet und hier wurde         und acht Kreise). „Unsere Aktivitäten und
    Nasza-Klasa, unser polnisches soziales Netz-       unsere Entwicklungspotentiale beruhen auf
    werk, geboren. All dies zahlt sich jetzt aus.      der Zusammenarbeit in ganz verschiedenen
    Heute ist Wrocław einer der größten Cluster        Formen und im Rahmen freiwilliger Verein-
    von Start-ups in Polen. Außerdem steht unse-       barungen zwischen den lokalen Regierun-
    re Stadt auf Platz achtundachtzig im weltwei-      gen. Wir konzentrieren uns auf spezifische
    ten Smart-City-Ranking. Wir sind eine Stadt        Herausforderungen mit Weitblick, da so-

3                                                              Künstliche Intelligenz für ein gutes Leben
                                                               Wrocław Metropolregion 2021
KÜNSTLICHE INTELLIGENZ FÜR EIN GUTES LEBEN
„Die letzten Jahre haben
    wohl Wrocław als auch die Metropolregion
    Wrocław mit Partnern aus Deutschland und                         gezeigt, dass wir ein guter
    der Tschechischen Republik zusammenarbei-                        Standort für die Entwick-
    ten.“
      Allein in Wrocław sind sechsunddreißig-                        lung dieser Branche sind.
    tausend Menschen in der IT-Branche tätig.                        Die Unternehmen, die hier
    Dazu gibt es ein klares Bekenntnis des Magis-
    trats und großer Unternehmen aus der Met-
                                                                     ansässig sind, wachsen
    ropolregion Wrocław: „Wir greifen nach der                       sehr stark. Wrocław will
    künstlichen Intelligenz!“ Die Stadt will diese
    Lösungen nicht nur implementieren, son-
                                                                     eine Plattform sein, ein
    dern auch konzipieren. Diese Bemühungen                          Ort der Diskussion, des
    wurden bereits erkannt.
      Am 11. Februar 2021 gab die „Financial
                                                                     Ideenaustauschs und des
    Times” das Global Ranking of Future Cities                       Wachstums.“
    bekannt. „Wrocław belegte den ersten Platz                                                       Jakub Mazur,
                                                                     stellvertretender Bürgermeister von Wrocław
    in der Kategorie der kleinen und mittelgro-
    ßen Städte in Bezug auf die Attraktivität für
    Investitionen“, sagte Jakub Mazur, stellver-
    tretender Präsident von Wrocław, während
    des Seminars mit dem Titel „Künstliche Intel-     zung bei medizinischen Diagnosen, Bots und
    ligenz für die Entwicklung von Städten und        Chatbots in Callcentern. Wir nutzen diese
    Ballungsräumen”.                                  Elemente bereits täglich. Künstliche Intelli-
      Die letzten Jahre haben gezeigt, dass wir ein   genz (KI), Maschinelles Lernen (ML) und die
    guter Standort für Innovationen sind. KI ist      Arbeit mit großen Informationsressourcen –
    einer der Schwerpunkte für die strategische       Big Data – sind überall im Einsatz. Den Plänen
    Entwicklung von Wrocław.                          und Analysen niederschlesischer Unterneh-
      Das betreffende Seminar ist das dritte Tref-    men zufolge wird es im nächsten Jahrzehnt
    fen, das innerhalb eines Jahres unter der         völlig autonome Autos, Produktionsstraßen,
    Schirmherrschaft von Wrocław organisiert          umfassende Gesundheitsdiagnosen zur Un-
    wird. Für die Organisation des Seminars sind      terstützung von Ärzten, die Überwachung
    folgende Institutionen verantwortlich: Das        von Pflanzen und Böden sowie die autono-
    Wrocławer Rathaus in Zusammenarbeit mit           me Gewinnung von Rohstoffen in Kupfer-
    der Agentur für die Entwicklung der Agglo-        minen geben. Die Behörden von Wrocław,
    meration Wrocław (Agencja Rozwoju Aglo-           einheimische Unternehmen, Start-ups, aber
    meracji Wrocławskiej), PwC ist der wissen-        auch Niederlassungen großer internationa-
    schaftliche Partner.                              ler Konzerne setzen auf Lösungen, die auf
      Die Autokorrektur im Textverarbeitungs-         künstlicher Intelligenz basieren. Sie wollen
    programm sagt uns immer wieder, wie wir           die Metropolregion Wrocław zu einem tech-
    ein Wort ändern und wohin wir den Satz ver-       nologischen Zentrum machen. Niederschle-
    schieben sollen. Sie weiß schon, dass das Sy-     sien verfügt über viele Eigenschaften, die es
    nonym des Wortes „Region” für diesen Text         innerhalb weniger Jahre zu einem „europäi-
    höchstwahrscheinlich „Niederschlesien” ist        schen Silicon Valley” machen könnten: ein
    und nicht etwa „Masowien”? Woher weiß sie         großartiger internationaler Standort, perfekt
    das? Sie hat es gelernt.                          ausgebildete junge Arbeitnehmer, niedrige
      Hinzu kommen die Vervollständigung von          Arbeitskosten im Vergleich zu Westeuropa,
    Suchmaschinenanfragen, die profilierten An-       Forschungseinrichtungen und internationale
    zeigen in sozialen Netzwerken, aber auch die      Kontakte.
    Regulierung des Straßenverkehrs, die Her-           „Wenn es in Polen ein Silicon Valley gibt,
    stellung von Medikamenten, die Unterstüt-         dann in Niederschlesien und Wrocław“, be-
                                                      tonen Experten der Stiftung Startup Poland.

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                                                              Wrocław Metropolregion 2021
KÜNSTLICHE INTELLIGENZ FÜR EIN GUTES LEBEN
Die Organisation hat in ihrem Bericht „The       und zeigt die Errungenschaften von
    Polish Tech Scene 2019. 5 Years“ errechnet,      Wrocław, präsentiert. Den Bürgern von
    dass es in Niederschlesien ein Start-up pro      Wrocław werden aber auch innovative
    viereinhalb Tausend Einwohner gibt. Dies         Ideen aus dem eigenen Land und anderen
    ist die höchste Dichte an jungen Technolo-       Ländern der Welt präsentiert. Zu diesem
    gieunternehmen in Polen, höher als in War-       Zweck wurden seit 2020 jedes Jahr min-
    schau.                                           destens zwei große internationale Semina-
    Schätzungsweise sechsunddreißigtausend           re über künstliche Intelligenz organisiert.
    Menschen arbeiten heute in der IT-Branche        „Wir unterstützen lokale Start-ups, wir
    von Wrocław. Die neue Technologiebranche         ziehen Unternehmen an, die hochspezia-
    ist heute eines der wichtigsten Standbeine       lisierte Lösungen auf der Basis von künst-
    der städtischen Entwicklung.                     licher Intelligenz entwickeln“, sagt Łukasz
    Aber das ist nicht der wichtigste Aspekt.        Medeksza, stellvertretender Direktor im
    Wrocław hat zusammen mit der Metropol-           Amt für Strategie und Stadtentwicklung.
    region Wrocław die Möglichkeit, innovative       „In Wrocław werden wir davon nur profi-
    Lösungen einzuführen, die in den westeuro-       tieren: In Zukunft kann uns die künstliche
    päischen Ländern fehlen. Und warum? Hier         Intelligenz Lösungen liefern, die es uns er-
    einige Beispiele, die dies belegen. Die polni-   möglichen, die Stadt oder die Metropol-
    schen Banken haben die Scheckphase über-         region besser zu verwalten, was ein echter
    sprungen und sofort Debitkartenzahlungen         Gewinn für uns alle ist.“
    eingeführt. Der Telekommunikationssek-           An der Technischen Universität Wrocław
    tor hat die im Westen üblichen Pager über-       studieren derzeit bis zu elftausend Men-
    sprungen und die Abonnenten vom Fest-            schen in Studiengängen, die das Potenzial
    netz auf Mobiltelefone umgestellt. Jetzt will    der künstlichen Intelligenz nutzen. Allein
    Wrocław den polnischen „Rückstand” nut-          die Zahl der Studenten an der Fakultät für
    zen, indem es in Bereiche der künstlichen In-    Elektronik beträgt 5 000. Das ist die größte
    telligenz investiert und die in den westeuro-    Zahl in Polen. Die Studenten werden von
    päischen Ländern üblichen Zwischenstufen         hochqualifiziertem Forschungspersonal
    überspringt.                                     unterrichtet. Professor Tomasz Kajdano-
    Wrocław will mit der Regierung bei der Um-       wicz, Leiter des Lehrstuhls für Computer-
    setzung der „Politik zur Entwicklung der         intelligenz an der Technischen Universi-
    künstlichen Intelligenz in Polen ab 2020”        tät Wrocław, hat anhand von Daten aus
    zusammenarbeiten, die im Dezember 2020           der Scopus-Datenbank errechnet, dass
    vom Ministerrat verabschiedet wurde. Sie         jede fünfte wissenschaftliche Arbeit von
    wird Projekte mit ausländischen Partnern         Wrocławer Informatikern in direktem Zu-
    entwickeln, insbesondere mit Niederschle-        sammenhang mit künstlicher Intelligenz
    siens Nachbarland Sachsen. Diese Absichten       steht. Einhundertsechsunddreißig von
    decken sich mit den Plänen der lokalen Un-
    ternehmen und Universitäten.
    „Unser Ziel ist klar und wir werden es kon-      Schätzungsweise sechsunddreißig-
    sequent verfolgen”, sagt Jakub Mazur, stell-
    vertretender Bürgermeister von Wrocław.          tausend Menschen arbeiten heute in
    „Wrocław hat zusammen mit der Metropol-          der Wrocławer IT-Branche. Die neue
    region das Potenzial, eines der führenden        Technologiebranche ist heute eine
    europäischen Zentren für den Einsatz von
                                                     der wichtigsten Säulen der Stadt-
    Technologien auf der Grundlage von künst-
    licher Intelligenz zu werden. Wir wollen,        entwicklung. In Zukunft könnte uns
    dass die konzeptionelle Arbeit zu künstlicher    künstliche Intelligenz Lösungen für
    Intelligenz hier durchgeführt wird. Und das      eine bessere Verwaltung der Stadt
    sind nicht nur ‘gute Vorsätze‘, wir handeln!“
    In der Tat gibt sich der Magistrat viel Mühe
                                                     oder der Metropolregion bieten.

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                                                          Wrocław Metropolregion 2021
KÜNSTLICHE INTELLIGENZ FÜR EIN GUTES LEBEN
“In der Stadt gibt es zehn große Zentren, die sich mit Grundlagen- und
         angewandter Forschung im Bereich der künstlichen neuronalen Netze
                                       und des maschinellen Lernens befassen.”
                       Łukasz Medeksza, stellvertretender Direktor im Amt für Strategie und Stadtentwicklung

    fünfhundertsechzehn Forschungsprojek-            über künstliche Intelligenz, die in Wrocław
    ten, die durch Zuschüsse des Nationalen          und in anderen polnischen Zentren entstan-
    Wissenschaftszentrums in Wrocław fi-             den sind, unterscheidet sich stark. Zu Guns-
    nanziert werden, haben einen Bezug zur           ten von Wrocław. Die Datenanalyse zeigt,
    künstlichen Intelligenz.                         dass wissenschaftliche Arbeiten über künst-
      „Ich verfolge akademische Veröffent-           liche Intelligenz und maschinelles Lernen, die
    lichungen über künstliche Intelligenz            in Wrocław erstellt wurden, besser sind als
    in Polen. Ausgehend von den Daten der            im Landesdurchschnitt und in renommier-
    letzten zehn Jahre kann ich sagen, dass          teren Publikationen veröffentlicht werden.
    die Technische Universität Wrocław               Daher haben wir als Wissenschaftler einen
    die meisten Veröffentlichungen lan-              Vorteil gegenüber dem übrigen Polen.“
    desweit hervorbringt. Im Jahr 2020 be-             Künstliche Intelligenz ist heute ein Ober-
    warben sich sechzehn Universitäten für           begriff, der sich auf zahlreiche Anwendun-
    die Durchführung von Promotionen im              gen beziehen kann. Tomasz Kajdanowicz
    Bereich der künstlichen Intelligenz im           macht deutlich, dass die wissenschaftlichen
    Rahmen des ministeriellen Programms.             Arbeiten über künstliche Intelligenz und ma-
    Es wurden siebzehn Bewerbungen mit               schinelles Lernen, die in Wrocław verfasst
    neunundsechzig Kandidaten eingereicht.           werden, fast zu gleichen Teilen Ingenieur-
    Sechzehn Projekte wurden positiv be-             wissenschaften, Medizin, Physik und Astro-
    wertet, davon fünf aus Wrocław: vier an          nomie, Materialwissenschaften, Linguistik,
    der Technischen Universität Wrocław              Kommunikationstheorie und einige andere
    und eines an der Wirtschaftsuniversität“,        Bereiche betreffen. Die Beschäftigung mit
    so Tomasz Kajdanowicz. In den letzten            und Anwendung von KI ist also sehr vielfältig.
    Jahren wurden in Wrocław mehrere Fa-             Oft handelt es sich nicht um Grundlagenfor-
    kultäten im Bereich der künstlichen Intel-       schung, sondern um angewandte Forschung,
    ligenz eingerichtet. So gibt es Spezialisten     die später in der Industrie umgesetzt wird,
    für künstliche Intelligenz, die andere aus-      häufig im Großraum Wrocław.
    bilden.                                            „Dies ist ein äußerst wichtiges Merkmal“,
      In der Stadt gibt es zehn große Zentren,       betont der Wissenschaftler. „Aus wissen-
    die sich mit Grundlagen- und angewand-           schaftlicher Sicht kann man entweder künst-
    ter Forschung im Bereich der künstlichen         liche Intelligenz erforschen oder Forschung
    neuronalen Netze und des maschinellen            mit künstlicher Intelligenz betreiben.“ Der
    Lernens beschäftigen. Dies sind in erster        weltweite Trend heutzutage geht dahin, dass
    Linie die Technische Universität Wrocław         90% der Patente Anwendungen der künst-
    und die Universität Wrocław, die Medizi-         lichen Intelligenz betreffen und nur 10 % Er-
    nische Universität und die Universität für       kenntnisse über die künstliche Intelligenz
    Biowissenschaften, ergänzt durch Insti-          selbst sind. Die Entwicklung der künstlichen
    tute der Polnischen Akademie der Wis-            Intelligenz und des maschinellen Lernens ge-
    senschaften, wie: Tieftemperatur- und            schieht sozusagen nebenbei, wenn wir Wege
    Strukturforschung Institut sowie Institut        finden, das zu nutzen, was wir bereits wissen.
    für Immunologie und experimentelle               Die Wissenschaft in Wrocław ist pragmatisch
    Therapie.                                        und vielfältig. Dies bietet Potenzial und lässt
      „Ich habe die Verteilung des soge-             den Schluss zu, dass Wrocław ein großartiger
    nannten Impact-Faktors für Polen und             Ort ist, um Forschung und Anwendungen der
    Wrocław verglichen”, erklärt Tomasz Kaj-         künstlichen Intelligenz und des maschinellen
    danowicz. „Der Impact-Faktor, der Index          Lernens zu entwickeln.
    der Zitierungen von Veröffentlichungen

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                                                              Wrocław Metropolregion 2021
KÜNSTLICHE INTELLIGENZ FÜR EIN GUTES LEBEN
IMPLEMENTIERUNGEN KÜNSTLICHER INTELLIGENZ IN
         WROCŁAW - FALLSTUDIEN

    Jeder fünfte IT-Spezialist in Wrocław nutzt
    oder implementiert Lösungen im Zusammen-
    hang mit Algorithmen der künstlichen Intel-
    ligenz oder des maschinellen Lernens. Dank
    ihrer Flexibilität können die lokalen Unterneh-
    men internationale Erfolge vorweisen. Data-
    Walk - ein an der Warschauer Börse notiertes
    Unternehmen mit Sitz in Wrocław - wurde
    vom US-Justizministerium ausgewählt, um
    bei der Bekämpfung von Geldwäsche mitzu-
    wirken. Die Plattform des in Wrocław ansässi-
    gen Unternehmens, das auch für die polnische
    Generalinspektion für Finanzinformationen
    im Finanzministerium arbeitet, bietet Ermitt-
    lern und Analysten ein vollständiges Bild der
    Geldströme in jeder beliebigen Währung, ein-
    schließlich Kryptowährungen.
       „Unsere Plattform importiert problemlos
    Milliarden von Datensätzen aus vielen Quel-
    len und kann in verschiedenen Bereichen
    eingesetzt werden, darunter die Verfolgung
    von Finanztransaktionen, aber auch die Auf-
    deckung von externem und internem Betrug,
    die Bekämpfung von Menschenhandel oder
    die Bewältigung von Pandemien“, erklärt
    Paweł Wieczyński, der Präsident des Unter-
    nehmens, ein Absolvent der Technischen Uni-
    versität Wrocław und der Wirtschaftsuniver-
    sität Wrocław.
       Die DataWalk-Plattform nutzt Elemente der
    künstlichen Intelligenz und des maschinellen
    Lernens, um Daten automatisch zu vervoll-
    ständigen, zu bereinigen, zu überschreiben,
    anzureichern und zu analysieren. Die entwi-
    ckelte Software hat sich bei der Kombination
    verstreuter Daten als besser, schneller und effi-
    zienter erwiesen als bisherige Lösungen ame-
    rikanischer Unternehmen. Die Wrocławer
    haben in den Vereinigten Staaten ein Unter-
    nehmen namens DataWalk Inc. gegründet,
    und zum Team gehören unter anderem Mit-
    arbeiter von Unternehmen wie Oracle, 3PAR
    oder Visual Analytics sowie ehemalige Mit-
    arbeiter von IBM i2, einer der beiden Haupt-
    konkurrenten des polnischen Unternehmens.
    Das Ziel des DataWalk-Boards ist es, das erste
    global anwendbare Produkt im Bereich der
    Unternehmens-IT aus Polen zu entwickeln.

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KÜNSTLICHE INTELLIGENZ FÜR EIN GUTES LEBEN
„Es geht um das intellektuelle
                                                            Artur Wojewoda von Yaskawa erklärt, dass
         Potenzial der Studenten, aber                   sich sein Unternehmen ganz bewusst für
         auch um die Umsetzungsmög-                      Wrocław entschieden habe. Es gehe um das
         lichkeiten. In der Region gibt es               intellektuelle Potenzial der Studenten, aber
                                                         auch um die Umsetzungsmöglichkeiten. In
         viele Fabriken und Niederlassun-                der Region gäbe es viele Fabriken und Nieder-
         gen globaler Unternehmen.“                      lassungen von Weltkonzernen. Auch Unter-
                                                         nehmen wie KGHM seien wichtig.
         Artur Wojewoda von Yaskawa
                                                            „Wo arbeiten die Roboter? In der Regel ar-
                                                         beiten sie dort, wo es gefährlich, schmutzig
                                                         und langweilig ist. Zum einen in großen Berg-
          „Wir sind nicht die größte Stadt in Polen,     bauunternehmen, wo es schmutzig und ge-
        aber das könnte unser Vorteil sein“, sagt To-    fährlich ist, und zum anderen in Produktions-
        masz Kajdanowicz. „Ich habe mit Andrew           unternehmen, wo es monotone Aufgaben
        Ng gesprochen, einem Geschäftsmann und           gibt. Das sind ideale Kunden, die bereit sind,
        Experten aus dem Silicon Valley, der drei Pa-    die Lösungen, die KI bietet, einzusetzen“, er-
        tente im Bereich der künstlichen Intelligenz     klärt Artur Wojewoda von Yaskawa. Es ist
        besitzt. Er ist Mitbegründer von Google Brain,   erwähnenswert, dass Polen ein Land mit gro-
        war Chefwissenschaftler bei Baidu, dem chi-      ßem Entwicklungspotenzial ist. Im Jahr 2019
        nesischen Pendant von Google, und gründe-        standen wir auf dem Weltmarkt an vierzehn-
        te die AI Plattformen-Coursera und DeepLe-       ter Stelle, was den Verkauf von Robotern an-
        arning für massive offene Online-Kurse, die      geht.
        von Universitäten und Forschungsinstituten          Trotz des systematischen Wachstums des
        aus aller Welt angeboten werden. Er sagte, er    Robotermarktes in Polen liegt das Land
        würde gerne eine Tochtergesellschaft eines       immer noch unter dem Weltdurchschnitt
        seiner Unternehmen in Europa gründen, aber       (einhundertdreizehnter Platz in Bezug auf
        er wollte dies nicht in einer Hauptstadt tun,    den Index der Robotisierungsdichte der In-
        weil seiner Meinung nach die großen Unter-       ternational Federation of Robotics). In Japan
        nehmen den Hauptstädten die Fachkräfte           gibt es 360 Industrieroboter pro 10 000 Be-
        entziehen. Ich habe ihn eingeladen, bei uns      schäftigte, in Korea 850, in Deutschland 340
        mitzumachen.“ Er wäre nicht der erste aus-       und in Polen 46.
        ländische Investor. Die Wirtschaft hat bereits      Artur Wojewoda beruhigt: „Die Forschung
        erkannt, dass Wrocław bei der Suche nach         zeigt, dass Roboter den Menschen nicht die
        einem günstigen Standort eine Überlegung         Arbeitsplätze wegnehmen werden. In Län-
        wert ist. Es geht nicht nur um große Montage-    dern, in denen die Zahl der automatisierten
        werke, Fabriken oder Konzerne, die sich in       Maschinen hoch ist, ist die Arbeitslosigkeit
        Wrocław oder der Metropolregion ansiedeln.       gering. Die Unternehmen bilden Arbeiter an
        Es ist symptomatisch, dass die beiden größ-      den Produktionslinien zu Roboterbedienern
        ten konkurrierenden Hersteller von Industrie-    um. Die Zukunft, die uns erwartet, sind so ge-
        robotern, Yaskawa und Fanuc, ihre polnischen     nannte kollaborative Roboter, die Seite an Sei-
        Zentralen in Wrocław angesiedelt haben.          te mit Menschen arbeiten können, aber ohne
                                                         Bezahlung.“
                                                            Lösungen, die die Möglichkeiten der künst-
                                                         lichen Intelligenz direkt nutzen, sollen in den
                                                         kommenden Jahren auch in niederschlesi-
                                                         schen Betrieben umgesetzt werden. Ähnlich
                                                         dynamisch soll sich die Region entwickeln, so
                                                         dass dort in einigen Jahren mit künstlichen
                                                         neuronalen Netzen ausgestattete Maschinen
                                                         in für Menschen besonders gefährlichen Be-
                                                         reichen arbeiten werden.
                                                            Die Unternehmen bilden selbst Arbeiter
                                                         am Fließband zu Roboterbedienern um. Aber
Robotisierte Lackierung in der Firma Yaskawa             auch die Bildungsprofile von Kindern und Ju-
                                                         gendlichen in Wrocław verändern sich. So ist

  8                                                             Künstliche Intelligenz für ein gutes Leben
                                                                Wrocław Metropolregion 2021
KÜNSTLICHE INTELLIGENZ FÜR EIN GUTES LEBEN
beispielsweise die Sekundarschule Lotnicze        der Technischen Universität Wrocław arbei-
      Zakłady Naukowe heute eine Schmiede für           ten eng zusammen. Die Krabbe könnte als
      Bediener solcher Maschinen. Die Zukunft,          Transportsystem in einem Forschungsprojekt
      die uns erwartet, liegt in kollaborativen Robo-   zur Besiedlung des Mars eingesetzt werden.
      tern, die Elemente des maschinellen Lernens       In zwei Gruppen aufgeteilt, entwarfen die
      nutzen.                                           Studenten die Marskolonien „Twardowsky”
        Die Bürger von Wrocław entwerfen und            und „Ideacity”. Bei dem von der NASA ver-
      bauen selbst Roboter. Die sog. Krabbe ist ein-    anstalteten prestigeträchtigen technologi-
      einhalb Meter lang und achtzig Zentimeter         schen und wissenschaftlichen Wettbewerb
      breit, wiegt über hundert Kilogramm und ist       „Mars Colony Prize” belegten die Projekte
      in der Lage, ein ähnliches Gewicht – etwa 100     aus Wrocław den zweiten bzw. fünften Platz.
      kg - eine Treppe oder einen steilen Abhang        Die Aufgabe der Teams bestand darin, eine
      hinaufzutragen. Außerdem bewegt sich              autarke Marskolonie für tausend Menschen
      dieser Roboter auf felsigem oder sandigem         zu entwerfen. Die autarke Stadt produziert
      Untergrund. Er ist ein autonomer Laufro-          selbst Lebensmittel, Baumaterialien sowie
      boter, der von Studenten und Mitarbeitern         Gegenstände und Produkte, die für das täg-
      der Fakultät für Mechanik der Technischen         liche Leben notwendig sind. Die Steuerung
      Universität Wrocław entwickelt wurde. Der         der Produktionsprozesse und das Lebens-
      Roboter ist sehr robust: Selbst die Beschädi-     management in dem geplanten Zentrum
      gung eines seiner acht Beine bringt ihn nicht     auf dem Roten Planeten würden von Algo-
      zum Stillstand, sondern verlangsamt ihn           rithmen der künstlichen Intelligenz überno-
      nur. Er soll hauptsächlich in der Armee ein-      mmen und die Aufgaben von Robotern auf
      gesetzt werden (das Verteidigungsministe-         der Grundlage von Algorithmen des maschi-
      rium finanziert die Forschungsarbeiten). Die      nellen Lernens ausgeführt werden.
      Schöpfer des Roboters wollen ihn aber auch           „Unsere gesamte Datenbank ist an ein
      bei Rettungseinsätzen, im Baugewerbe, in Fa-      autonomes Netzwerk angeschlossen, in dem
      briken und im Transportwesen einsetzen. Die       wir Daten sammeln, um Big-Data-Tools zu
      Krabbe verwendet 3D-Scanner und ein GPS-          nutzen. Das gibt uns die Möglichkeit, schnell
      System, um sich in offenen Räumen zu bewe-        zu reagieren, wenn Probleme auftreten. Au-
      gen, während sie in Innenräumen den Raum          ßerdem können uns die mit Algorithmen ge-
      selbst scannt und optimale Bewegungspfade         sammelten Daten dabei helfen, bestimmte
      wählt.                                            Prozesse zu optimieren, etwa die Lebensmit-
        Studenten aus verschiedenen Fakultäten          telproduktion oder den Rohstoffverbrauch“,
                                                        erklärt Justyna Pelc vom Ideacity-Team. „Wir
                                                        haben die Prozesse des Pflanzens, Gießens,
                                                        Düngens und Erntens automatisiert. Wir ver-
                                                        wenden viele Sensoren und ein komplettes
                                                        Videosystem, um ihren Zustand zu überwa-
                                                        chen. Des Weiteren werden die gesammel-
                                                        ten Daten verarbeitet, um Entscheidungen
                                                        über weitere Maßnahmen zu treffen, die von
                                                        Maschinen und Robotern auf der Basis durch
                                                        geführt werden.“

↑ Bild: Krabbe - autonomer Laufroboter, entwickelt
von Studenten und Mitarbeitern der Fakultät für Ma-
schinenbau.

→So „sieht“ Krabbe die Realität.

9                                                             Künstliche Intelligenz für ein gutes Leben
                                                              Wrocław Metropolregion 2021
Wir haben die Möglichkeit, unser BIP jedes Jahr um 2,65
                       Prozentpunkte zu steigern. Die Arbeitszeit um 49 % zu auto-
                       matisieren und gleichzeitig besser bezahlte Arbeitsplätze zu
                       schaffen. Künstliche Intelligenz wird den Weltmarktwert der
                       polnischen Technologie erhöhen.

        Künstliche Intelligenz wird den Weltmarkt-    sich nicht um staatliche Gelder, sondern su-
     wert der polnischen Technologie erhöhen.         chen sie anderswo.
        Der Krabbe-Transportroboter ist vorerst ein      „Ich betrachte dies nicht als Problem, son-
     Prototyp, EuGenius ist weiter fortgeschrit-      dern als etwas Positives. Es ist eine Chance,
     ten. Er erregte großes Aufsehen als er – ein     unsere Innovationskraft zu steigern. Wrocław
     freundliches Wesen mit Kulleraugen, beacht-      wird mit anderen Städten oder Regionen nicht
     liche 60 kg schwer – die Reisenden am Haupt-     nur in Bezug auf billigere Arbeitskräfte kon-
     bahnhof von Wrocław begrüßte. Er führte          kurrieren, sondern auch in Bezug auf Wissen
     auch Besucher durch Museen in Kattowitz          und moderne Lösungen, die auf die Bedürfnis-
     und Krakau und war Kellner in Oberschlesi-       se des Auftraggebers zugeschnitten sind. Die
     en. Der EuGenius-Roboter wurde als Führer        Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit wird
     für Ausstellungshallen konzipiert. Er wurde      die Lebensqualität unserer Bürger verbes-
     von einem Team von Ingenieuren der Firma         sern. Daran arbeiten wir bereits in gemischten
     General Robotics entwickelt, die im Techno-      Teams, deren Teilnehmer Wrocławer Hoch-
     logiepark Wrocław angesiedelt ist. General       schulen, die IT-Branche und Mitglieder von
     Robotics ist eine Gruppe von Fachleuten aus      Projektteams ausländischer Unternehmen in
     den Bereichen Elektronik, Informatik, Auto-      Wrocław und Niederschlesien sind“, erklärt
     matisierung und Mechanik, die allesamt Ab-       Jakub Mazur, stellvertretender Bürgermeister
     solventen der Wrocławer Universitäten sind       von Wrocław.
     und bereits an vielen Projekten gearbeitet          Mazur rechnet damit, dass in den nächsten
     haben. Sie haben u. a. am autonomen land-        fünf Jahren die von Wissenschaft, Wirtschaft
     wirtschaftlichen Traktor Agribot und dem         und Regierung für künstliche Intelligenz be-
     Mars-Rover mitgewirkt. Im Moment wird die        reitgestellten Mittel exponentiell ansteigen
     Maschine noch von einem Bediener gesteu-         werden.
     ert, aber letztendlich wird EuGenius selbst         „Wir wollen auf diesen Zug springen und zu
     entscheiden, wie er ein Gespräch führen will,    den Führenden in Polen und Mittel- und Ost-
     in dem er auch menschliche Emotionen aus         europa gehören“, beschreibt Mazur die Zu-
     der Mimik oder Gestik liest. Dafür sind jedoch   kunftsstrategie seiner Stadt.
     Entwicklungszuschüsse erforderlich.                 Die Unterstützung der Wrocławer Wissen-
        Wer wird diese und andere Projekte fi-        schaft, der lokalen Wirtschaft und der lokalen
     nanzieren? Eine Analyse der Herkunft der         öffentlichen Dienste bei der Nutzung künst-
     Forschungsgeldern, die für die Forschung         licher Intelligenz wurde während des ersten
     im Bereich der künstlichen Intelligenz an        internationalen Seminars über künstliche
     den Universitäten von Wrocław vergeben           Intelligenz in Wrocław im Februar 2020 von
     werden, ist aufschlussreich: Sogenannte          Robert Kroplewski, Bevollmächtigter des Mi-
     „andere Quellen“ stellen doppelt so viele        nisters für Digitalisierung und Informations-
     Mittel zur Verfügung wie das bereits er-         gesellschaft, angekündigt.
     wähnte Nationale Wissenschaftszentrum,              „Wir sehen eine Chance, in Wrocław ein
     während die vom Nationalen Zentrum für           wichtiges Forschungs- und Anwendung-
     Forschung und Entwicklung finanzierte            szentrum für künstliche Intelligenz zu schaf-
     Forschung zu künstlicher Intelligenz nur 3,5     fen. Es ist eine starke Region, in der sich der
     % aller Projekte in der regionalen Haupt-        neue Technologiesektor erfolgreich entwi-
     stadt ausmacht. Wrocławer Wissenschaft-          ckelt. Wir wollen die Entwicklung bestimmter
     ler und Unternehmen, die Lösungen für            Modelle der künstlichen Intelligenz unterstüt-
     künstliche Intelligenz einführen, bemühen        zen, zum Beispiel maschinelles Lernen, Aug-

10                                                           Künstliche Intelligenz für ein gutes Leben
                                                             Wrocław Metropolregion 2021
mented Reality oder digitale Fabriken“, erläu-     Unternehmen einen Teil ihrer Forschungs-
     tert Robert Kroplewski.                            zentren nach Niederschlesien verlegt. Neue
       Ein Jahr später, im Februar 2021, stellte Ro-    Produktionslinien basieren zunehmend auf
     bert Kroplewski die wichtigsten Annahmen           Strukturen, die maschinelle Lernfunktionen
     der Regierungsstrategie für die Entwicklung        und künstliche Intelligenz nutzen. Dr. Lars
     der künstlichen Intelligenz vor:                   Gutheil, Generaldirektor der Deutsch-Polni-
       „Die Politik der künstlichen Intelligenz ist     schen Industrie- und Handelskammer, weist
     beschlossen. Warum setzen wir sie um? Da-          darauf hin, dass die deutsche Regierung bis
     für gibt es mehrere Argumente. Weil wir die        2025 drei Millionen Euro für Investitionen in
     Chance haben, unser BIP jedes Jahr um 2,65         künstliche Intelligenz bereitstellen und eine
     Prozentpunkte zu steigern. Die Arbeitszeit um      europäische Cloud für künstliche Intelligenz
     49 % zu automatisieren und gleichzeitig bes-       aufbauen wolle.
     ser bezahlte Arbeit zu schaffen. Künstliche In-       Die hervorragende geografische Lage Nie-
     telligenz wird es ermöglichen, den Weltmarkt-      derschlesiens an der Grenze zu Sachsen
     wert polnischer Technologien erhöhen.“, so         bringt ebenfalls entscheidende Vorteile mit
     der Regierungsvertreter. „Leider ist das Ver-      sich. Dieses Bundesland versucht, aus dem
     trauen der Polen in künstliche Intelligenz ge-     gegenwärtigen „Rückstand” in Sachen Tech-
     ring. Das bedeutet jedoch nicht, dass sich der     nologisierung eine Stärke zu machen und
     Trend nicht umkehrt. Die lokale Regierung,         gegenüber der Konkurrenz aus Bayern oder
     die sich als erste durch politische Unterstüt-     Baden-Württemberg aufzuholen. Dabei soll
     zung im Bereich der künstlichen Intelligenz        künstliche Intelligenz das Mittel der Wahl da-
     intensiv eingesetzt hat, war die von Wrocław.“     für sein:
       Der Bevollmächtigte des Ministers für Di-           „Sachsen hat ein Netzwerk von Hoch-
     gitalisierung der Informationsgesellschaft         schulen aufgebaut, die Elemente der künst-
     erinnert sich: „Wir haben versprochen, dass        lichen Intelligenz in praktische Lösungen
     Wrocław und andere regionale Zentren Part-         in Wirtschaft und Industrie umsetzen. Jetzt
     ner im Digitalisierungsprozess sein würden.        brauchen wir Partner und internationale Ko-
     Wrocław ist hier ein Vorbild: Es befasst sich      operationen. Wir schauen uns einen Partner
     mit künstlicher Intelligenz nicht allein auf lo-   genauer an: Wrocław“, erklärte Sebastian
     kaler Ebene, sondern auf kommunaler, regio-        Gemkow, Minister für Wissenschaft, Hoch-
     naler und schließlich internationaler Ebene,       schulen und Forschung des Freistaates Sach-
     und das ist für uns wichtig, um das Potenzial      sen.
     Polens weltweit bekannt und gefragt zu ma-            Bei der grenzüberschreitenden Zusammen-
     chen.“                                             arbeit gibt es bereits Erfolge zu verzeichnen.
       Tomasz Jaworski, Direktor für die digitale       In Görlitz wurde 2019 das CASUS, das Center
     Transformation des öffentlichen Sektors bei        for Advanced Systems Understanding, ge-
     Microsoft, betrachtet die Ambitionen von           gründet. Bis Ende 2020 hatte die Einrichtung
     Wrocław aus einer globalen Perspektive. Er         bereits fünfzig Mitarbeiter nicht nur aus Po-
     gibt eine sehr positive Prognose ab, weil das      len und Deutschland. Die wissenschaftliche
     Unternehmen in Wrocław ein Potenzial für           Schirmherrschaft über das Projekt haben
     seine eigene Entwicklung sieht.                    die Helmholtz-Forschungszentren Dresden,
       Clive Humby, der einst die Tesco-Clubkar-        das Max-Planck-Institut für Molekulare Zell-
     te erfand und damit die Kundenbindungs-            biologie und Genetik sowie die Technische
     programme revolutionierte, sagte 2006: „Da-        Universität Dresden und die Universität
     ten sind heute das, was früher das Öl war.         Wrocław übernommen.
     Aber Rohdaten sind wie unraffiniertes Öl: Sie         CASUS geht bei seinen Projekten davon
     haben Potenzial, sind aber nutzlos. Sie müs-       aus, flexibel auf die Bedürfnisse des Marktes
     sen erst noch verarbeitet werden.” Der Vorteil     reagieren zu können. Wie Professor Justin
     von Wrocław ist seine Nähe zu Deutschland          Calabrese von CASUS und dem Labor des
     und die daraus resultierenden deutschen In-        Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf
     vestitionen in der Region, die auf rund sieben     erklärt: „Künstliche Intelligenz, internatio-
     Milliarden Euro geschätzt werden. Viele Jah-       nale Zusammenarbeit von Wissenschaft-
     re lang setzte Deutschland vor allem gering-       lern und auf Bedürfnisse einzugehen ist die
     und mittelqualifizierte Arbeitskräfte ein.         Idee hinter dem Forschungszentrum in der
     Seit 2015 haben jedoch auch immer mehr             Europastadt Görlitz-Zgorzelec.“

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                                                               Wrocław Metropolregion 2021
MEDIZIN

     Die Pandemie 2020 hat gezeigt, wie flexibel          Im Februar 2020 forderte Professor
     Wrocławer Unternehmen und Forschungs-              Tyll Krüger von der Technischen Uni-
     zentren sind. Die rasche Aufnahme von              versität Wrocław seine Kollegen auf,
     Forschungsarbeiten zur Anwendung und               die damals theoretische Frage zu be-
     Nutzung künstlicher Intelligenz bei der Ein-       antworten: „Was wird passieren, wenn
     dämmung des Coronavirus war ein Test für           das ‘chinesische Virus‘ Polen erreicht?”
     die Metropolregion Wrocław. Bereits in den         Den Forschern der Polytechnischen
     ersten Wochen im März 2020 begannen die            Universität schlossen sich schnell So-
     Teams der Technischen Universität Wrocław          ziologen der Universität Wrocław und
     und der Universität Wrocław mit der Erfor-         der Universität Warschau sowie aus-
     schung der Struktur des Coronavirus.               ländische Forscher aus Deutschland
        Zu diesem Zeitpunkt wurde auch das Pro-         und den Philippinen an. Die Idee war,
     jekt „where2test” am CASUS-Zentrum ge-             eine virtuelle Modellgesellschaft zu
     startet. Durch die Nutzung der Rechenleis-         schaffen, um vorherzusagen, wie sich
     tung künstlicher neuronaler Netze und des          das Virus verhalten würde und wel-
     maschinellen Lernens half das System dabei,        che nicht-medizinischen Maßnahmen
     schnell herauszufinden, wo, wer, wie auf CO-       zum Schutz dagegen ergriffen werden
     VID-19 zu testen ist. Die bei CASUS entwickel-
     ten Lösungen sind so universell, dass sie auch
     in der Zukunft angewendet werden können,
     wenn eine weitere Pandemie auftritt (Model-
     lierung von „Was-wäre-wenn”-Szenarien). Die
     CASUS-Forscher kombinieren verschiedene
     Elemente der Statistik und der Medizin. Zum
     Forschungsteam gehören Daatenanalysten,
     Epidemologen und Online-Entwickler. Das ist
     Wissenschaft in ihrer modernsten Form: ein
     internationales Team von Forschern aus ver-
     schiedenen Bereichen, die sich mit dem aktu-
     ellsten Problem der Menschheit befassen. Das
     Ergebnis ihrer Arbeit soll die Antwort auf sehr
     wichtige Fragen jetzt und in der Zukunft sein:
     • Welche Art von Tests sollten verwendet wer-
        den (für aktive Infektionen oder für Antikör-
        per)?
     • Wo sollten Proben entnommen werden?              By using the computa-
     • Wie sollten die Tests aussehen (zunächst kol-    tional power of artificial
        lektiv, dann individuell)?                      neural networks and
        Ein weiteres Beispiel für eine solche Zusam-    machine learning, the
     menarbeit ist die ursprünglich in Wrocław          system helped indicate
     ansässige Forschungsgruppe MOCOS, die
                                                        where, who, and how
     2020 mit dem Lorbeer der „30 kreativen
     Wrocławer” ausgezeichnet wurde. MOCOS
                                                        quickly to test for
     ist ein Akronym für „Modelling Coronavirus         COVID-19.
     Spread” (Modellierung der Ausbreitung von
     Coronaviren oder datengesteuerte Modellie-
     rung der Ausbreitung von Coronaviren).

12                                                             Künstliche Intelligenz für ein gutes Leben
                                                               Wrocław Metropolregion 2021
könnten. Die MOCOS-Modellgesellschaft zeigt, was sich ändert, wenn
     eine Quarantäne verhängt wird, wie sich das Virus in Familien ausbreitet
     und wie es sich im öffentlichen Raum wie z. B. in Schulen und Geschäf-
     ten verbreitet. Es gibt dafür die verschiedensten Szenarien, abhängig da-
     von, ob jemand aktiv ist, einen Job hat oder arbeitslos ist. Es spielt sogar
     eine Rolle, um welche Art von Arbeit es sich handelt.
        „Wir haben viele soziale Faktoren in unser Modell einbezogen. Wir
     haben sogar berücksichtigt, wie die Haushaltsgrößen in Polen verteilt
     sind. Außerdem verbreitet sich das Coronavirus in Wohnungen, in denen
     wir keine Masken tragen, anders als in Geschäften. Das hängt von der
     Jahreszeit und den getroffenen Präventivmaßnahmen ab”, erklärt Mar-                  „Es ist kein Zufall, dass
     cin Bodych von der Abteilung für automatische Steuerung, Mechatro-                   große amerikanische
     nik und Kontrollsysteme an der Fakultät für Elektronik der Technischen               Unternehmen ihren
     Universität Wrocław. „Unser Modell hilft nicht nur bei der Vorhersage,               Hauptsitz in Wrocław
     wie sich die Epidemie in den nächsten Tagen und Wochen entwickeln
                                                                                          haben: HP, Google oder
     wird, sondern ermöglicht es uns auch, die Gründe für eine solche Dyna-
     mik der Virusausbreitung besser zu verstehen und herauszufinden, wie
                                                                                          Amazon. Wir profitieren
     sie verhindert werden kann. Wir besprechen die Ergebnisse mit einem                  von dem wissenschaftli-
     Expertenteam des Gesundheitsministeriums. Darüber hinaus beteiligen                  chen Potenzial Wrocławs,
     wir uns aktiv an Diskussionen von Gruppen, die die Entwicklung von Epi-              von Ihren Studenten und
     demien in Deutschland modellieren. Des Weiteren nutzt eine Gruppe                    Wissenschaftlern. Ihre
     von Wissenschaftlern in Illigan auf den Philippinen unser Modell für die             Beteiligung an der For-
     Risikobewertung vor Ort. Wir haben auch eine Anwendung entwickelt,                   schung zur künstlichen
     mit der sich das Risiko einer Person in Bezug auf einen Krankenhaus-                 Intelligenz ist von zent-
     aufenthalt oder den Todesfall aufgrund von COVID-19 in Abhängigkeit                  raler Bedeutung. Jedes
     von verschiedenen Faktoren wie Geschlecht, Alter und Begleiterkran-                  dieser Unternehmen hat
     kungen abschätzen lässt. Jeder kann dieses Tool über unsere Website
                                                                                          seine Macht und seinen
     nutzen.“
        Wrocławer Wissenschaftler, die sich mit agentenbasierten Modellen
                                                                                          geschäftlichen Erfolg auf
     beschäftigen, suchen nach Antworten auf wichtige Fragen:                             maschinellem Lernen
     • Welches Maß an Kontaktverfolgung ist erforderlich, um die Entwick-                 aufgebaut oder baut sie
        lung einer Epidemie zu verhindern?                                                gerade auf.“
     • Welches Maß an Kontaktbeschränkung verhindert den Zusammen-
        bruch des Gesundheitswesens?                                                      Neil Pickett,
                                                                                          Marketingdirektor
        In der nächsten Phase wird die Anwendung von Methoden der Künst-                  der US-Botschaft in Polen
     lichen Intelligenz die Möglichkeit bieten, das Modell zu verfeinern und
     verschiedene „Was-wäre-wenn”-Optionen zu testen.
     Mit den Worten von Jakub Mazur, stellvertretender Bürgermeister von
     Wrocław:
     „MOCOS ist das, worum es uns geht: eine schnelle, professionelle und
     maßgeschneiderte Antwort auf die Bedürfnisse der Realität. Das ist
     unsere Wrocławer Erfolgsgeschichte.“
        Diese Leistungen wurden auch von anderen wahrgenommen. Craig
     Simmons, Bürgermeister von Oxford, der Partnerstadt von Wrocław,
     lobte die Niederschlesier für ihre Kreativität, Schnelligkeit und Effizienz.
     Diplomaten aus den Vereinigten Staaten betonen, dass es kein Zufall sei,
     dass große amerikanische Unternehmen wie HP, Google oder Amazon
     ihren Sitz in Wrocław hätten.
        „Wir profitieren vom wissenschaftlichen Potenzial Wrocławs, von
     seinen Studenten und Wissenschaftlern. Deren Beteiligung an der For-
     schung im Bereich der Künstlichen Intelligenz ist hier von zentraler Be-
     deutung. Jede dieser Institutionen, hat seinen wirtschaftlichen Erfolg auf
     maschinellem Lernen aufgebaut.“, sagte Neil Pickett, Marketingdirektor
     der US-Botschaft in Polen.
        Nicht nur amerikanische Unternehmen in Wrocław nutzen künst-

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                                                                 Wrocław Metropolregion 2021
liche Intelligenz; 40% der großen Unternehmen in der Metropolregion
     Wrocław testen solche Lösungen in ihren Produktionsprozessen oder bei
     der Betreuung ihrer Mitarbeiter.
        An den Bedürfnissen der Unternehmen orientieren sich auch die
     Wrocławer Universitäten. So plant die Technische Universität Wrocław
     im Jahr 2021 zwei neue Studiengänge zu eröffnen: „Künstliche Intelli-
     genz” und „Vertrauenswürdige Systeme der künstlichen Intelligenz”.
        Professor Izabela Sitkiewicz vom neu gegründeten Zentrum für Be-
     völkerungsdiagnostik am Łukasiewicz-PORT Institut in Wrocław (Pol-
     nisches Zentrum für Technologieentwicklung) schätzt, dass praktische
     Anwendungen künstlicher neuronaler Netze am häufigsten im Gesund-
     heitswesen, in der Medizin und im Finanzwesen zu finden sind. Drei
     von zehn Systemen, die für den Kunden- oder Patientenservice ein-
     gesetzt werden, nutzen Lösungen, die auf lernenden Systemen basieren.
     In diesem Bereich weicht Wrocław von der Weltspitze nicht ab. Neben
     der Test- und Laborforschung wird das Zentrum für Bevölkerungsdiag-
     nostik Algorithmen der Künstlichen Intelligenz nutzen, um Prognosen
     und Gutachten zu Wohlstandskrankheiten und epidemischen Bedro-
     hungen zu erstellen. Ähnlich wie das MOCOS-Programm wird auch das
     Łukasiewicz-PORT Institut riesige Datenmengen nutzen und entspre-
     chend verarbeiten. Maschinen mit automatischen Lernfähigkeiten wer-
     den Hypothesen formulieren und Wege zur Problemlösung aufzeigen.
     Dank des maschinellen Lernens werden „Was-wäre-wenn”-Vorhersagen
     möglich sein. „Was wäre, wenn es in einem Modellland wie Polen eine
     neue Epidemie gäbe, die...” - ist eine der Fragen, die dem Łukasiewicz-
     PORT Institut heute gestellt werden.
        Wie Izabela Sitkiewicz erklärt, könnten wir heute medizinisch viel wei-
     ter sein, als wir es sind, wenn wir verstreute Datenbanken integriert und
     das Wissen über bestimmte Patienten an einem Ort gesammelt hätten.
        „Stellen Sie sich vor, dass nicht nur der Patient vor uns steht, sondern
     dass wir Zugriff auf die gesamte Dokumentation seines Gesundheitsz-
     ustandes haben. Und das bereits richtig analysiert und mit entsprechen-
     den Behandlungsempfehlungen versehen. Es ist eine Kombination von
     Künstlicher Intelligenz mit Big Data, bei der es um ausgewählte Informa-
     tionen aus vielen Bereichen geht: Krankenakten, Empfehlungen, frühere
     Therapien, Versicherungen sowie Informationen von mobilen Geräten
     wie beispielweise der Smartwatch.“
        Beispielgebend hierfür ist Telemedycyna Polska, ein in Katowice (Kat-
     towitz) ansässiges und in Niederschlesien sehr aktives Unternehmen, das
     die Daten der Smartwatches bereits sammelt, wobei diese ebenso präzise
     sein können wie die Angaben spezieller Krankenhausgeräte.
         „Weltweit gibt es immer mehr Studien, welche die Wirksamkeit der
     beliebten Smartwatches nicht nur bei der Messung der Herzfrequenz
     oder der Blutsättigung belegen, sondern auch bei der Erkennung von
     Vorhofflimmern, Diabetes und sogar ST-Strecken-Hebungen, die bisher
     ausschließlich den EKG-Geräten in Krankenhäusern vorbehalten waren.
     Natürlich werden Smartwatches die vollständige Diagnostik noch lange
     nicht ersetzen, aber diese Studien zeigen, in welchem Umfang wir bereits
     Leistungen eines Smartwatch nutzen können“, meint Mikołaj Basza von
     Telemedycyna Polska.
        Experten des Łukasiewicz-PORT-Instituts und von Telemedycyna Pol-
     ska sagen dasselbe: Es geht nicht nur um eine bessere medizinische Ver-
     sorgung der niederschlesischen Patienten. In naher Zukunft wird das
     Gesundheitswesen auf die Datenfernübertragung zurückgreifen und mit
     Algorithmen der Künstlichen Intelligenz arbeiten müssen, die Daten aus

14                                      Künstliche Intelligenz für ein gutes Leben
                                        Wrocław Metropolregion 2021
Wrocław ist heute ein wichtiges medizinisches Forschungszentrum mit florie-
                           renden wissenschaftlichen Institutionen: Fakultäten für Chemie, Bio-
                           wissenschaften und Biotechnologie an der Universität Wrocław, die Fakul-
                           tät für Chemie an der Technischen Universität Wrocław, die Fakultät für
                           Pharmazie an der Medizinischen Universität und die Zentren der Polnischen
                           Akademie der Wissenschaften, wie das Institut für Immunologie und experi-
                           mentelle Therapie. Alle diese Einrichtungen forschen auf der Basis von selb-
                           stlernenden Algorithmen.

     verschiedenen Quellen analysieren und zusammenfassen. Die Investition
     in diesen Wissenschafts- und Industriezweig wird sich für die Region aus-
     zahlen.
       Dies wird eine bessere medizinische Versorgung für die Einwohner, aber
     auch Arbeitsplätze und Investitionen bringen. Deshalb lohnt es sich, den
     Entwicklungen im Bereich der KI Beachtung zu schenken. Die Daten der
     Weltgesundheitsorganisation weisen auf drei wichtige Herausforderun-
     gen für die Medizin in den nächsten dreißig Jahren hin. Erstens die alter-
     nde Bevölkerung (bis 2050 wird sich die Zahl der über Sechzigjährigen
     verdoppelt haben). Zweitens: Weltweit 1,2 Milliarden mehr Patienten
     in den Notaufnahmen der Krankenhäuser. Diese Plätze sind schon jetzt
     knapp bemessen. Drittens fehlt es derzeit an sieben Millionen Arbeits-
     kräften im Gesundheitswesen. Bis 2030 werden achtzehn Millionen Stel-
     len unbesetzt sein. Wir müssen mit neuen Krankheiten und Pandemien
     rechnen, die im Eiltempo die Erde überziehen werden. Da die Menschen
     immer älter werden, in den Krankenhäusern nicht mehr ausreichen Platz
     vorhanden ist und es an Personal mangelt, wird die Lösung in der Tele-
     medizin liegen. In den Vereinigten Staaten hat sich die Zahl der teleme-
     dizinischen Besuche aufgrund von COVID-19 im Jahr 2020 um das Hun-
     dertfünfundsiebzigfache erhöht.
       Krankenhäuser nutzen bereits medizinische Anwendungen, die in eine
     Architektur der Künstlichen Intelligenz eingebettet sind. Es ist bekannt,
     dass Analysegeräte, die Künstliche Intelligenz nutzen, Fotos und Bilder
     hervorragend lesen und interpretieren können. Anwendungen zur Aus-
     wertung von Röntgenbildern sind ebenso unfehlbar wie gute Radiolo-
     gen. Niemand geht davon aus, dass Maschinen die Ärzte ersetzen wer-
     den. Aber jeder rechnet mit ihrer Unterstützung.
       Das 2012 gegründete Wrocławer Unternehmen MicroscopeIT will
     dieses Potenzial erschließen. Die Idee des Teams, das aus Wissen-
     schaftlern und Ärzten besteht, sind Maschinen, die histopathologische

     „Die COVID-19-Pandemie hat gezeigt, wie groß die Kluft zwischen den Menschen ist, die
     medizinische Versorgung benötigen, und denjenigen, die diese Versorgung leisten kön-
     nen. Angesichts der alternden Bevölkerung und des zunehmenden Mangels an Gesun-
     dheitspersonal wird sich diese Kluft noch vergrößern. Die einzig mögliche Lösung für
     dieses Problem besteht darin, einen möglichst großen Teil der Gesundheitsversorgung
     in das Haus des Patienten zu verlegen und es mit intelligenten Sensoren, kreditkarten-
     großen drahtlosen EKGs oder intelligenten Armbändern zu umgeben. Dann können die
     vom Haus des Patienten gelieferten Daten mit Algorithmen der künstlichen Intelligenz
     analysiert werden, um dem Arzt die wichtigsten Informationen über den Zustand des
     Patienten zu liefern und die Diagnose und Therapie zu unterstützen.“ PODPIS Mikołaj
     Basza, Telemedycyna Polska.

15                                                             Künstliche Intelligenz für ein gutes Leben
                                                               Wrocław Metropolregion 2021
Veränderungen auf mikroskopischen Bildern von Geweben effektiv
                            erkennen. Präparate, die traditionell auf einem Objektträger präpa-
                            riert und von einem Arzt unter dem Mikroskop begutachtet werden,
                            werden gescannt und in ein digitales Bild umgewandelt. Das Bild wird
                            durch maschinelles Lernen von einer künstlichen Intelligenz voranalys-
                            iert. Damit die Maschine in der Lage ist, Veränderungen zu erkennen,
                            muss sie diese „lernen”. Diese Phase ist derzeit im Aufbau. Microsco-
                            peIT führt das Projekt ExaMode mit Hilfe von Fördermitteln aus dem
                            Rahmenprogramm Horizon 2020 durch. Im Zuge dessen wird Virtum
                            HP entwickelt - ein Werkzeug zur Erkennung histopathologischer Ver-
                            änderungen.
                              „Es wurden bereits die ersten Algorithmen entwickelt, die krebsarti-
                            ge Bereiche typisieren, zunächst für Darmkrebs, später auch für Lun-
                            genkrebs, Gebärmutterhalskrebs und sogar Zöliakie“, sagt Dr. Edyta
                            Petters, PhD, Direktor für Geschäftsentwicklung bei MicroscopeIT.
                            Für manche Krankheiten wird nur wenig an Algorithmen zur Unter-
                            stützung von Histopathologen gearbeitet, wie es bei Prostatakrebs
                            und Brustkrebs der Fall ist, und die Nachfrage ist ebenfalls hoch. HPs
                            Virtum mit Algorithmen wird in Krankenhäusern in Catania und Nij-
                            megen getestet.
                              Mit Catania arbeitet MicroscopeIT schon seit Langem zusammen. Das
                            sizilianische Histopathologielabor wurde vor einigen Jahren vollständig
                            digitalisiert - als eines der ersten weltweit. Dank der Virtum-Plattform
                            in Wrocław konnten die Ärzte in der schwierigsten Zeit der COVID-
                            19-Pandemie von zu Hause aus arbeiten, die Objektträger ansehen und
                            Anmerkungen machen, als wären sie im Labor.
                              Schätzungen zufolge sind derzeit weltweit 4 Billionen Gigabit an diag-
                            nostischen und biomedizinischen Daten im Gesundheitswesen gespei-
                            chert. Zum Vergleich: Ein Röntgenbild entspricht etwa 1 Gigabit. Die Da-
                            tenmenge wächst exponentiell und verdoppelt sich alle zwei Jahre. Den
                            Ärzten fehlt die Zeit, die Daten zuverlässig zu analysieren. Sie sind nicht
                            in der Lage, die gesamte Gesundheitsgeschichte eines Patienten zu über-
                            prüfen. Selbstlernende Apps könnten hier die Arbeit des Arztes überneh-
                            men und ihm das Ergebnis der Analyse präsentieren. Apps überwachen
Drei von zehn Systemen,     auch den Zustand des Patienten in Echtzeit. Sie bewerten, wie sich sein
die im Kunden- oder Pa-     Zustand verändert. So kann sich das Krankenhauspersonal auf diejenigen
tientenservice eingesetzt   konzentrieren, deren Leistung sich verschlechtert, um den Rest kümmert
werden, nutzen Lösungen,    sich die künstliche Intelligenz.
die auf lernenden Syste-      Diese intelligenten analytischen Überwachungsfunktionen können
men basieren. In diesem     auch in Privathaushalten erfolgreich eingesetzt werden. Dr. Jerzy Sas von
Bereich liegt Wrocław       der Abteilung für künstliche Intelligenz an der Technischen Universität
nicht weit hinter den       Wrocław entwickelt ein System aus Kameras und Mikrofonen, das in den
                            Wohnungen älterer Menschen installiert werden soll. Das Programm soll
Weltmeistern zurück.
                            das typische Verhalten seines Benutzers erlernen und bei gefährlichen
                            Anomalien Hilfe rufen.
                              Einige polnische Unternehmen arbeiten bereits auf diese Weise. Di-
                            abdis kümmert sich per Ferndiagnostik um dreitausend Polen, weitere
                            Fünfzigtausend nutzen die Anwendung zur Überwachung des Blutzu-
                            ckerspiegels und zur Analyse der Daten aus dem Blutzuckermessgerät.
                            Dabei bewältigen die Algorithmen der künstlichen Intelligenz die Analyse
                            der Daten von Patienten, die über ganz Polen verstreut sind, perfekt.
                              „Es sei daran erinnert, dass Diabetes eine Zivilisationskrankheit ist. Heu-
                            te sind 9% der Bevölkerung in Polen davon betroffen, das sind mehr als
                            2,8 Millionen Menschen“, rechnet Rafał Miozga von Diabdis vor. „Die Da-
                            ten von den Blutzuckermessgeräten der Patienten werden an eine virtu-

   16                                                           Künstliche Intelligenz für ein gutes Leben
                                                                Wrocław Metropolregion 2021
elle Cloud gesendet und dort von Algorithmen analysiert. Wenn ein Pro-
     blem festgestellt wird, kontaktiert das System den Patienten und schaltet
     einen Diabetesberater ein. Falls erforderlich, kann der Spezialist ein Ge-
     spräch mit dem Arzt empfehlen, der auch ein E-Rezept ausstellen kann.“
       Schließlich konsultieren drei von vier Polen ohnehin regelmäßig den
     Google-Doktor. Die Suchmaschine stellt in der Regel aufgrund der
     Symptome eine Diagnose, die von Rhinitis über Sinusitis bis hin zum
     Hirntumor reichen kann. Das Ergebnis ist ein verängstigter Patient, der
     noch frustrierter ist, weil er keinen Facharzt aufsuchen kann, obwohl
     vielleicht jeder Augenblick zählt. Das 2012 gegründete Wrocławer Un-
     ternehmen Infermedica will diese Situation mit Hilfe künstlicher Intel-
     ligenz ändern. Heute beschäftigt es über hundertzwanzig Mitarbeiter
     und hat Niederlassungen in den Vereinigten Staaten und Deutschland.
       Die Lösungen des Unternehmens, darunter die Symptom-Checker,
     haben bereits mehr als sieben Millionen Menschen auf der ganzen
     Welt geholfen.
       „Der Nutzer gibt die Symptome ein und die App stellt Fragen, um sie
     genauer abzuklären. Es handelt sich nicht um einen einfachen Entschei-
     dungsbaum, sondern um ein komplexes System, das auf Algorithmen
     der künstlichen Intelligenz basiert und von einem Team aus Ärzten und
     Datenanalysespezialisten entwickelt wurde. Unsere Anwendung lernt
     ständig dazu. Vierzigtausend Stunden Arbeit von Ärzten, um eine Grafik
     zu erstellen, die einzelne Symptome, Risikofaktoren und Krankheitsenti-
     täten miteinander verbindet, liegen hinter uns. Am Ende des Gesprächs
     erhält der Patient eine von mehreren Empfehlungen, wie z. B. Zuhause zu
     bleiben, einen Arzt (mit einer bestimmten Spezialisierung) aufzusuchen
     oder sich in die Notaufnahme eines Krankenhauses zu begeben. Unse-
     re Erfahrung zeigt, dass bei 30% dieser Fälle kein sofortiger Kontakt mit
     einem Arzt erforderlich ist und die schnelle Diagnose die Arbeitsbelas-
     tung des Gesundheitspersonals erheblich reduzieren kann.“, erläutert der
     Leiter des Unternehmens Piotr Orzechowski.
       Infermedica kann harte und messbare Daten vorweisen: Heute haben
     seine Algorithmen eine 93%ige prädiagnostische Wirksamkeit und seine
     medizinische Wissensbasis enthält über siebenhundert Krankheitsentitä-
     ten und eintausenddreihundert Symptome. In Bezug auf die Zukunft sei-
     nes Unternehmens und der medizinischen Entwicklung hat Piotr Orze-
     chowski keine Zweifel: „Künstliche Intelligenz wird die Ärzte nicht erset-
     zen, aber ein Arzt, der künstliche Intelligenz einsetzt, wird einen Arzt er-
     setzen, der dies nicht tut“.
       Infermedica bietet seine Lösungen hauptsächlich im B2B-Modell (Lö-
     sungen für Unternehmen) an. Seine Technologie wird von großen Un-
     ternehmen wie der Allianz, Microsoft oder PZU Zdrowie genutzt. Das in
     Wrocław ansässige Unternehmen bietet Anwendungen wie Symptom-
     Checker an - eine Lösung, die maschinelles Lernen und Algorithmen der
     künstlichen Intelligenz nutzt, um Krankenhäuser, Kliniken, Versicherer,
     medizinische und telemedizinische Unternehmen dabei zu unterstüt-
     zen, ein automatisches medizinisches Vorgespräch mit einem Patienten
     zu führen und die am besten geeigneten medizinischen Leistungen zu
     empfehlen. Das Unternehmen hat außerdem die Call Center Triage ent-
     wickelt - eine Software, die Call Center-Mitarbeiter bei der Weiterleitung
     des Patientenverkehrs auf der Grundlage von Beschwerden, Schmerz-
     zuständen und lebensbedrohlichen Zuständen unterstützt. Zudem er-
     möglicht die Medical API eine Integration mit Chatbots, die Patienten-
     anfragen annehmen, oder mit Systemen für elektronische Krankenakten,
     welche die künstliche Intelligenz mit zuvor in den Krankenakten erfass-

17                                                              Künstliche Intelligenz für ein gutes Leben
                                                                Wrocław Metropolregion 2021
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