Bis 8. September Kaltensundheim - Auf den Spuren der Musikgeschichte - Entdeckungen aus dem Kirchenarchiv - Academia Musicalis ...
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7. bis 8. September Kaltensundheim Auf den Spuren der Musikgeschichte – Entdeckungen aus dem Kirchenarchiv w w w. adjuvantentage.de
Grußwort Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Musikfreundinnen und Musikfreunde, herzlich willkommen zu den Thüringer Ad- lung, Vorträge und vieles mehr zu dem sehr juvantentagen – diesmal in Kaltensundheim hörenswerten musikalischen Schaffen unse- in der Rhön. Bereits zum 12. Mal bieten die rer Vorfahren. Adjuvantentage besondere Musikschätze, die belegen: Anspruchsvolle Musik ist keine eli- Die Thüringer Adjuvantentage sind ein wich- täre Angelegenheit für einige wenige, das tiger Bestandteil unserer regionalen Musik- selbstverständliche Musizieren ist vielmehr tradition, sie sind die musikalische Brücke tief mit der ländlichen und handwerklichen zwischen ländlicher Kultur und Kirchenmu- Tradition Thüringens verbunden. sik, kurzum, sie sind ein Ereignis, das sich zu Recht viele Besucherinnen und Besucher Thüringen und Musik – das gehört seit Jahr- nicht entgehen lassen. hunderten zusammen. Persönlichkeiten wie Max Reger, der große Europäer Franz Liszt Ich danke den Musikerinnen und Musikern, und die Familie Bach haben hier gewirkt – den Chören, der Academia Musicalis Thu- Thüringer Musiktradition hat Weltrang. ringiae e.V., der Stadt Kaltennordheim und Doch auch Weltruhm hat Wurzeln – und der Kirchengemeinde Kaltensundheim. Sie diese finden sich zum Beispiel in der einzig- alle ermöglichen die 12. Thüringer Adjuvan- artig reichen Musikkultur der Thüringer tentage, für die ich sehr gerne die Schirm- Dörfer des 16. bis 18. Jahrhunderts. herrschaft übernommen habe. Den Musik- freundinnen und Musikfreunden wünsche Die Thüringer Adjuvantentage bringen das ich beeindruckende Konzerterlebnisse und vielfältige musikalische Wirken von Bauern eine schöne Zeit in Thüringen. und Handwerkern zum Klingen: Kantaten, Motetten, Passionen und sogar Oratorien Ihr finden sich in den Thüringer Adjuvantenbe- ständen. Die 12. Thüringer Adjuvantentage Bodo Ramelow bergen diesen Schatz, sie bieten Konzerte, Ministerpräsident des Freistaats Thüringen Festgottesdienst, eine informative Ausstel- 1
Grußwort Sehr geehrte Mitwirkende und sehr geehrte Gäste der Thüringer Adjuvantentage 2019! „Freut euch, ihr lieben Christen all, lobsinget Gott mit hellem Schall, ja singt und spielt aus Dankbarkeit dem Herrn im Herzen allezeit.“ Prag 1612 Evangelisches Gesangbuch 60,1 Wie schön, dass wunderbare Musik erklingt Gottesdienst und dem christlichen Begräb- in der Thüringer Provinz! Wie schön, dass nis eng verbunden ist. Und es ist eine Tradi- das kleine Kaltensundheim, am Rande Thü- tion der einfachen Leute aus den Dörfern ringens gelegen, in den Mittelpunkt rückt! und kleinen Städten. Vielfältige, lange ver- Herzlich willkommen zu den Adjuvantenta- gessene Kostbarkeiten an musikalischen gen in unserem ländlichen Kirchenkreis! Werken schlummern in den Archiven. Und es ist ein unschätzbares Verdienst der Aca- Singen leistet mehr als Reden. Es spricht bei- demia Musicalis Thuringiae e.V. und vieler des, Verstand und Gefühl, auf einzigartige Musik freunde, diese Kostbarkeiten ans Weise an und bringt etwas im Menschen Licht und zum Klingen zu bringen. Das For- zum Klingen, was Worte allein nicht vermö- mat der Thüringer Adjuvantentage bietet gen. Nicht zufällig sind christliche Gemein- nun bereits zum 12. Mal den idealen Raum den schon immer ein Hort des Singens und dafür. Musizierens. Die reichen Schätze unserer musikalischen Tradition verbinden uns Deshalb ist es mir eine Freude, dass auch heute mit anderen europäischen und inzwi- unser Kirchenkreis das Projekt unterstützt. schen auch weltweiten Kulturen. Unser Ge- Herzlichen Dank allen, die dieses Ereignis sangbuch lässt davon etwas ahnen, indem es vorbereitet haben! Und herzlichen Dank al- uns anleitet, Gesänge aus Schweden, Un- len Mitwirkenden! garn oder Tansania, aus Brasilien, Polen oder Norwegen anzustimmen. Möge das Singen und Spielen Gott zur Ehre und den Menschen zur Freude geschehen! Die Tradition des zweckgebundenen Musi- zierens in unseren Kirchen ist im Lande Dr. Ulrich Lieberknecht Bachs tief verwurzelt. Es ist eine Tradition, Superintendent die dem Kirchenjahr, dem sonntäglichen 2
Grußwort Sehr geehrte Damen und Herren, werte Freunde der Musik, ich freue mich, Sie in unserer idyllischen ten das Verhältnis Thüringens zu musikali- Rhön, in Kaltensundheim, zu den 12. Thü- schen Größen stark. Durch ihr Wirken ver- ringer Adjuvantentagen herzlich willkom- schafften sie uns das „Silberne Zeitalter“ men heißen zu dürfen. Vermutlich schon im Weimars, in dem sich viele Musiker auf den 16. Jahrhundert spielten und sangen Adju- Weg nach Thüringen machten. Unsere Re- vanten in Kaltensundheim zu Hochzeiten, gion erreichte einen immer höheren Stel- Beerdigungen und sonstigen Festen. Auch lenwert, der z.B. auch durch die Meininger wenn sie keine Berufsmusiker waren, spiel- Hofkapelle talentierte Musiker anzog. ten sie mit Leidenschaft und viel Gefühl – welches ihnen verhalf, auf einem sehr ho- An diesen Tagen verschafft uns Kaltensund- hen Niveau die Menschen zu bewegen. Ne- heim einen Einblick in diese faszinierende ben altbewährten Liedern führten sie auch Zeit. Die Adjuvantentage bieten für Men- die modernsten, international verbreiteten schen jeden Alters etwas an. Neben Aus- Stücke ihrer Zeit auf. Adjuvanten waren stellungen und Vorträgen werden Chöre die überall vertreten, in jeder Gemeinde gab Lieder von damals wieder erklingen lassen, es freiwillige, die aufgrund der Musik und aber auch an die Kleinsten wird vor Ort ge- nicht des Geldes wegen spielten und sangen. dacht. Das Thüringer Bach Collegium wird Für die Menschen war es mehr als eine Auf- die Menschen mit einem Festkonzert mit gabe Adjuvant zu sein, es war eine Ehre die- Pauken und Trompeten beglücken. sen Titel zu tragen – welches sie voller Stolz taten. Ich danke allen musikbegeisterten Men- schen, die uns diese Tage ermöglichen und Die Thüringer Adjuvantentage bilden ei- zu einem unvergesslichen Erlebnis machen. nen wichtigen Bestandteil unserer regiona- Und natürlich geht ein besonderer Dank an len Musiktradition, sie verbinden die dama- die Chöre, die Academia Musicalis Thurin- lige geistliche mit unserer heutigen säkula- giae e.V., die Stadt Kaltennordheim und die ren Zeit. An diesen Tagen wird Geschichte Kirchengemeinde Kaltensundheim für ihr wieder lebendig, die Menschen können er- Engagement, das uns diese Festtage erleben fahren, mit wie viel Freude die Adjuvanten lässt. Ich wünsche allen Musikfreundinnen von damals ihre Leidenschaft lebten. In je- und Musikfreunden eine schöne Zeit in Kal- der Region unseres schönen Thüringens ist tensundheim und einen wundervollen Auf- diese Tradition verankert gewesen und aus enthalt in unserem Landkreis Schmalkal- dieser Grundlage konnten erst die großen den-Meiningen. musikalischen Genies unseres Freistaates empor steigen. Die Familie Bach, um ihren Peggy Greiser bekanntesten Sohn Johann Sebastian, präg- Landrätin 3
Grußwort Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebes Publikum, in diesem Jahr finden die 12. Adjuvantenta- geisterte aus der ganzen Rhön eine auch im ge am Fuße der Hohen Rhön statt: in jenem eigenen Adjuvantenarchiv liegende Kantate. Zentrum, das sich angesiedelt hat, bevor Sie wird von den hochkarätigen Künstlern man in die rauhen Regionen der Rhön auf- des Festkonzertes instrumental begleitet. stieg und dem die umliegenden Orte Kal- Auch die wunderbare historische Orgel wird tennordheim und Kaltenwestheim nicht festlich erklingen. minder angehörten. Hier erklang einst eine hochkarätige frische und spritzige, tiefsin- Eine informative Ausstellung, die die Bedeu- nige und emotional tief empfundene, an- tung und Qualität des musikalisch herausra- rührende Musik, die Nöte und Freude, Got- genden Geschehens in Kaltensundheim er- teslob und Preis, Dankbarkeit und Sorgen örtert, sowie Vorträge und Diskussionen zum Ausdruck brachte, musiziert von der nebst vielen „Lustbarlichkeiten“ für Jung und männlichen Bewohnerschaft. Alt ergänzen das zweitägige Festprogramm und entreißen die stupende musikalische In dieser Gegend ist die Adjuvantentradi Tradition dieser Trutzburg am Fuße der tion sehr alt und reichlich überliefert: in In- Rhön aus ihren Grüften der Vergessenheit. ventarbüchern, in der Liedsammlung Can- tionale Sacrum des 17. Jahrhunderts und in Die 12. Thüringer Adjuvantentage können zahlreichen erhaltenen Musikalien, die heu- nur durchgeführt werden dank der großzügi- te im Thüringischen Landesmusikarchiv in gen Unterstützung der Thüringer Staatskanz- Weimar aufbewahrt werden. Insbesondere lei, der Mitteldeutschen Barockmusik, des den großformatigen, nicht an Kantaten u.ä. Kirch- und des Landkreises, der Kommune, orientierten Kompositionen, wie jenen Jo- der Rhön-Rennsteig Sparkasse und vieler wei- seph Haydns, Anton Schweitzers und nicht terer lokaler Förerer, dank der Zusammenar- zuletzt Wolfgang Amadeus Mozarts war beit und unermüdlichen Unterstützung der hier das Musizieren seit der zweiten Hälfte beiden Bürgermeister, mit Hilfe des Engage- des 18. Jahrhunderts besonders zugetan. ments der Kirchengemeinde und der vielen Ehrenamtlichen vor Ort, die immer wieder Aus diesem großartigen Fundus wird durch neue Ideen einbrachten und das Projekt mit das Thüringer Bach Collegium ein pracht- uns und der Jugend gemeinsam konzipierten. volles Festkonzert erklingen. Es setzt jene Öffnung hinaus in die Konzertwelt um und Mögen Sie sich mit Neugierde und Vergnü- in die repräsentative Klangvielfalt der damals gen auf die Entdeckung der großartigen mu- modernsten Sehnsüchte und Ansprüche, die sikalischen Vergangenheit „Vor der Rhön“ zugleich ein Öffnen hin zu einer bürgerli- begeben. chen Musikkultur bedeutete. Prof. Dr. Helen Geyer Im Festgottesdiens präsentiert der lokale Vorsitzende der Chor St. Albanus, verstärkt durch Sangesbe- Academia Musicalis Thuringiae e.V. 4
Inventarauflistung in der Kaltensundheimer Kirchenrechnung (1761/1762) Landeskirchenarchiv Eisenach, KI 115, fol. 3r H An Instrumenten sind bishero angeschafft worden 1. 3 Violini 2. 1 alta Viola 3. ein Violoncello 4. ein Violon 5. ein alter Basson 6 ein paar Clarinetten Auf diesem Blatt der Inventarauflistung sind die Noten und Instrumente verzeichnet. Ihm ist zu entneh- men, dass hier Musik von wichtigen Komponisten des 17. Jahrhunderts aufgeführt wurde, deren Werke auf keiner Thüringer Chorempore fehlen durften: [in dem auf dem Chor befindlichen alten Schrank. in welchem an alten Musikalien anzutreffen] 1 der so genannte große Hammerschmidt 2 Niedens Musicalische Sonntags Andachten } in folio 3 Briegels Evangel. Blumen Garten 4 5 Hammerschmidts Sonntags Musicalien das Gothaische Cantional } in quart 5
Prog r ammüb ersi cht S amst ag, 31.8. 10.30 Uhr | Seven Garden, Kaltensundheim Ausstellungseröffnung mit Empfang Ein Geschenk des Himmels. Die Reformation und ihre Musik in Thüringen – Große Wanderausstellung in 4 Kapiteln an 4 Ausstellungsorten • Einführung: Was sind Adjuvanten? mit Dr. Christoph Meixner • Alle Ausstellungsorte öffnen im Anschluss bis 14.30 Uhr ihre Türen. Die Ausstellungsorte: Kaltensundheim • Seven Garden – Friseur & Kosmetik, Petersgärten 7 (Eingang von Querstraße) Dienstag bis Freitag 8.30–18 Uhr, Samstag 8–13 Uhr • Staatliches Thüringisches Rhön-Gymnasium, Petersgärten 12 Montag bis Freitag 10–15 Uhr und Samstag 7.9. 10–14 Uhr • Verwaltungsgemeinschaft „Hohe Rhön“, Hauptstraße 18 Montag bis Freitag 8.30–12 Uhr, außerdem Mittwoch 13–16 Uhr und Donnerstag 13–18 Uhr Kaltennordheim • Bürgerhaus Kaltennordheim, Wilhelm-Külz-Platz 2, neben dem Rathaus. Bitte melden Sie sich im Rathaus, um Einlass zu erhalten. Montag bis Freitag 8.30–12 Uhr, außerdem Montag und Donnerstag 13.30–15 Uhr sowie Dienstag 13.30–17.30 Uhr S amstag, 7.9. 14 Uhr | Kirchenburg St. Albanus, zwischen Torhaus und Kirche Eröffnung der 12. Thüringer Adjuvantentage 2019 • Enthüllung der Infotafeln „Adjuvanten in Kaltensundheim“ mit dem Kurator Dr. Christoph Meixner (Thüringisches Landesmusikarchiv Weimar) • Brass7 – Blechmusik made in Rhön 14.30 Uhr | Kirchenburg St. Albanus, Kirche Erkundungen vor Ort • Präsentation der „Fundstücke zur Musikgeschichte“ von Menschen vor Ort Ergebnisse des aktuellen Medien-Aufrufs • Kirchen- und Orgelführung mit Achim Fuchs und Jens Rauch • Orgelklang: Choralbearbeitungen aus dem Adjuvantenarchiv mit Jens Rauch 16 Uhr | Wiese zwischen Friedhof und Nahkauf Sommerbühne • St. Albanus Chor, Kirchenchor Stepfershausen, Kammerchor Canticum Novum Dermbach, Projektchor aus Männerchören der Rhön und dem Kirchenchor Kaltensundheim, Marilena Kirchner Tina Gensler – Moderation • Essen, Trinken, Bauernmarkt, Streichelzoo, Hüpfburg 6
Prog r ammüb ersi cht S onntag, 8.9. 10 Uhr | Kirchenburg St. Albanus, Gemeindesaal im Pfarrhaus Forum Thüringische Musikgeschichte Vorträge und Publikumsgespräch für Kenner und Neugierige Moderation: Prof. Dr. Helen Geyer • Dr. des. Dorlies Zielsdorf: Adjuvantenkultur in Kaltensundheim und Umgebung • Claudia Greifzu: Die alten Rhöner und ihre vielfältigen Verbindungen zu Musik und Tanz • Dr. Johannes-Michael Scholz: Archivarbeit. Von der Schönheit der Ordnung 13.30 Uhr | Kirchenburg St. Albanus, Kirche Festgottesdienst mit einer wiederentdeckten Kantate von Christian Ehregott Weinlig (1743–1813) aus dem Adjuvantenarchiv Kaltensundheim Adjuvantentage-Projektchor Jens Rauch, Sebastian Fuhrmann – Leitung Steffen Köllner – Bariton Thüringer Bach Collegium Gernot Süßmuth – Künstlerische Leitung 14.30 Uhr | Kirchenburg St. Albanus, Wiese um die Kirche Kaffee und Kuchen • Gelegenheit zu Gesprächen und Geselligkeit 16.30 Uhr | Kirchenburg St. Albanus, Kirche Festkonzert Schätze aus dem Adjuvantenarchiv Kaltensundheim Thüringer Bach Collegium Gernot Süßmuth – Solo-Violine und Künstlerische Leitung Friederike Beykirch – Sopran Henriette Gödde – Alt Knaben des Adjuvantenchors Stefan Scherpe – Tenor im Jahr 1828. Federzeichnung Uwe Schenker-Primus – Bass (hinter zerbrochenem Glas) über dem Orgelspieltisch in der Kirche St. Georg in Thamsbrück. Foto: Joachim Stade. 7
Adjuvantenkultur in Kaltensundheim und Umgebung Dorlies Zielsdorf „Man bedenke nur das, wie an allen Örtern Schon im Reformationszeitalter baute die Musica in vollem Schwunge gehet. Ist man für die Organisation einer reichen sonn- doch bald kein Dörflein, bevoraus in Thürin- täglichen Kirchenmusik darauf, dass sich gen, darinnen Musica, beydes, vocalis und Männer freiwillig bereiterklärten, im Chorus instrumentalis, nicht herrlich und zierlich Musicus der örtlichen Schule als Adjuvant – sollte florieren und wohl bestellet sein. Hat also „Helfer“ – mitzuwirken. Da die Refor- man ja kein Orgelwerk, so ist doch die vocalis matoren der Musik sowohl als Mittel der musica zum wenigsten mit ein 5 oder 6 Gei- Verkündigung als auch zur Unterweisung gen ornirt und gezieret, welches man vorzei- der Schülerschaft in Bibelkenntnis und Kate- ten kaum in den Städten hat haben können.“1 chismuslehre einen hohen Stellenwert ein- Mit diesem Zitat eröffnete der Heimat- räumten, nahm der Musikunterricht in den forscher Fritz Rollberg seine Abhandlung protestantischen Schulordnungen breiten über die Geschichte der „Adjuvantenchöre Raum ein.3 Diese Bestimmungen entwickel- in Westthüringen“.2 Sein Interesse galt dem ten sich zu einer wesentlichen Gelingensbe- Verweis Altenburgs auf ein gerade im ländli- dingung für die thüringische Adjuvantenkul- chen Raum offenbar reiches Musikschaffen tur, wurde doch durch die intensive musika- in Thüringen. In der Tat konnte er in der Ge- lische Ausbildung der Jugend sichergestellt, gend um Eisenach zahlreiche Belege einer dass die breite Bevölkerung in einem heute derartigen dörflichen Musikkultur ausma- kaum noch vorstellbaren Maße in der Lage chen. Rollbergs Beitrag zur Adjuvantenge- war, komplexe Figuralmusik auszuführen. In schichte stellt bis heute einen zentralen Aus- Kaltensundheim und Mittelsdorf war ent- gangspunkt der Adjuvantenforschung dar. sprechend der Visitation von 1556 bereits Angesichts der Vielfalt des hier verfügbaren eine Schule eingerichtet. Ob aber tatsächlich Quellenmaterials lässt sich gerade anhand Schule gehalten wurde bleibt fraglich, da die dieser Gegend die Entwicklung der Adjuvan- Gemeinde hierzu ernstlich ermahnt wurde.4 tenkultur in Thüringen nachvollziehen. Die In Eisenach hat sich mit dem Eisenacher Geschichte der Adjuvanten in Kaltensund- Kantorenbuch ein eindrucksvolles Zeugnis heim und Umgebung steht damit stellvertre- der Adjuvantenkultur aus der Mitte des tend für die Adjuvantenkultur auf dem thü- 16. Jahrhunderts erhalten. Das enthaltene ringischen Lande insgesamt. Repertoire wird dort, wo bereits Schulen ein- gerichtet waren, von den gegebenenfalls ent- 1 Michael Altenburg, Erster Theil. Newer lieblicher standenen Chori Musici verwendet worden und zierlicher Intraden. Mit sechs Stimmen. Wel- che zu förderst auff Geigen Lauten Instrumenten und Orgelwerck gerichtet sind darein zugleich eine 3 Dorlies Zielsdorf, Adjuvantenkultur in Thürin- Choralsttimm aus dem Gesangbuch … kann mit gen, Dissertation. Unveröffentlichtes Manuskript gesungen werden, Erffurt 1620. Hochschule für Musik „Franz Liszt“, Weimar 2 Fritz Rollberg, „Adjuvantenchöre in Westthü- 2019, S. 42. ringen“, in: Reinhold Jauernig (Hrsg.), Beiträge 4 Visitation in der Herrschaft Römhild und im Amt zur Thüringischen Kirchengeschichte, Bd. 3, Jena Lichtenberg, 1556; ThHStA Weimar, Ernestini- 1933-35, S. 70–114. sches Gesamtarchiv, Reg. li 29. 8
Ausschnitt aus: Fritz Rollberg, „Adjuvantenchöre in Westthüringen“, in: Reinhold Jauernig (Hrsg.), Beiträge zur Thüringischen Kirchengeschichte, Bd. 3, Jena 1933–35, S. 70–114, hier: S. 88. sein. Es enthält u.a. Werke von Josquin des Um 1600 schließlich hatte sich die Adju- Prez, Heinrich Isaac, Ludwig Senfl und Tho- vantenmusik in Thüringen in Stadt und Land mas Stoltzer. Daneben finden sich auch di- fest etabliert, wie der Thüringer Komponist verse Werke von Antonius Musa und Conrad Friedrich Weißensee in seiner Sammlung Rein, die beide selbst aus Thüringen stamm- „Evangelische Sprüche“ von 1595 bezeugte: ten. Eine Besonderheit des Kantorenbuches „Und gleichwol die Edle Music | zu dieser erlaubt einen Blick auf die Musizierpraxis: Zeit | beydes in Städten und Dörffern | plenis Die Knabenstimmen Discant und Altus sind curibus regiret und in vollem schwange gehet unten auf dem Blatt angeordnet, während die | Alß habe ich […] gegenwärtige Sprüchlein tiefen Stimmen Tenor und Bass oben abge- vor mich genommen | mit 5 Stimmen bildet sind. Der Chorus Musicus gruppierte figuriret“6 sich offenbar so um das Buch, dass die vorne Seine doppelchörig angelegten Komposi- stehenden Knaben entsprechend ihrer Kör- tionen waren bei den Thüringer Adjuvanten pergröße einfach ihre Stimmen mitverfolgen sehr beliebt und wurden bis weit in das konnten.5 5 Franz Körndle, „Das Eisenacher Kantoren- 6 Steffen Voss, Die Musiksammlung des Pfarrar- buch“, in: Konrad Scheurmann und Jördis Frank chivs Udestedt bei Erfurt. Quellenuntersuchungen (Hrsg.), Thüringen: Neu entdeckt. Thüringen – zur Musikkultur Thüringens im 17. und 18. Jahr- Land der Residenzen. 2. Thüringer Landesaus- hundert (= Schriften zur mitteldeutschen Musik- stellung, Mainz am Rhein 2004, S. 215–216. geschichte), Schneverdingen 2006, S. 28. 9
17. Jahrhundert hinein rezipiert.7 Zum Stan- Während sich aus Aktenfunden implizit dardrepertoire der protestantischen Chöre schließen lässt, dass spätestens ab der Mitte zählte außerdem das Florilegium Portense des 17. Jahrhunderts Adjuvanten in Kalten- von Erhard Bodenschatz, das ab 1603 in sundheim und Umgebung musizierten, sind mehreren Auflagen und Fassungen erschien. aus dem 18. Jahrhundert konkrete Belege Der darin dokumentierte Stil deutscher und überliefert. Ab 1721 sind in den Kirchrech- italienischer Meister war prägend für das ge- nungen von Kaltensundheim Gelder für die samte Jahrhundert.8 Weit verbreitet waren Adjuvanten verzeichnet.11 Einen Hinweis auf insbesondere die Werke der thüringischen das Repertoire dieser Zeit erhält man wiede- Kantoren und Hofkapellmeister Melchior rum aus einer späteren Kirchrechnung Kal- Franck, Heinrich Hartmann, Melchior Vul- tennordheims. 1800 stellte man fest, dass pius und Bartholomäus Helder. Ihre Werke man noch Kantatenjahrgänge von Georg bestimmen den Grundstock des Cantionale Philipp Telemann besäße, von denen man Sacrum, das im benachbarten Sachsen-Go- nicht wisse, „was man mit ihnen anfangen tha ab 1646 als mehrbändiges Sammelwerk soll.“12 Neben den Kantaten des einstigen ei- für den Gebrauch in Schulen und Chori Mu- senachischen Hofkapellmeisters wird man sici auf fürstliche Anordnung in diversen außerdem Kantaten von Liebhold musiziert Auflagen erschien9 und offenbar auch in Kal- haben. Auch ist die Wahrscheinlichkeit hoch, tensundheim gebräuchlich war. In einer Auf- dass die örtlichen Kantoren wie an zahlrei- listung von Werken, die sich in einem „alten chen anderen Orten Thüringens ihren Adju- Schrank“ befänden, wird das Cantionale ne- vanten selbst Werke gewissermaßen „auf den ben Werken von Nicolaus Niedt, Andreas Leib“ komponierten.13 Hammerschmidt und Wolfgang Carl Briegel Die ab den 1760er Jahren regelmäßig an- erwähnt.10 Die Dialogsammlung der beiden gefertigten Visitationsprotokolle erlauben ei- letztgenannten zählen zu den am weitesten nen kleinen Einblick in die Entwicklung der verbreiteten Drucken des ausgehenden Adjuvantenmusik in Kaltensundheim und 17. Jahrhunderts. Umgebung. Abermals wird hieraus die enge Bindung zwischen Schule und Chor deutlich, 7 Zielsdorf, Adjuvantenkultur in Thüringen 2019 indem die Schulmeister befragt wurden, ob (wie Anm. 3), S. 68–69. sie sich um Nachwuchs kümmerten. Gleich- 8 Peter Wollny, Studien zum Stilwandel in der pro- testantischen Figuralmusik des mittleren 17. Jahr- zeitig wurde überprüft, ob man sich an eine hunderts (= Forum Mitteldeutsche Barockmu- sik Band 5), Beeskow 2016, S. 25; Konrad Küster, 11 Konvolut „Heiligen Rechnung zu Kaltensund- Musik im Namen Luthers. Kulturtraditionen seit heim“, 1722–1731 Landeskirchenarchiv Eise der Reformation, Heidelberg 2016, S. 111. nach, Inspektion Kaltennordheim, K. 111. 9 Zielsdorf, Adjuvantenkultur in Thüringen 2019 12 Konvolut „Kaltennordheimer Heilgen- und Kir- (wie Anm. 3), S. 79–81. chenrechnungen“, 1791–1820 Landeskirchen 10 Konvolut „Kirchrechnung der heiligen Aerarii zu ar chiv Eisenach, Inspektion Kaltennordheim, Kaltensundheim“, 1771–1781 Landeskirchen- K 16b. archiv Eisenach, Inspektion Kaltennordheim, 13 Zielsdorf, Adjuvantenkultur in Thüringen 2019 K. 116; Abb. s. S. 5. (wie Anm. 3), S. 99–101. 10
Entwurf zu einer Chor Adjuvanten Ordnung zu Kaltensundheim, Landeskirchenarchiv Eisenach, Be- stand: Inspektion Kaltennordheim, Sig. IKN-K 196, f. 2v, Ausschnitt. Transkription: Elias Wöllner: A. Bei Hochzeiten, zu welchen Eine Adjuvanten Musick bedungen wird, zahlt der Bräutigam an die Bande an welcher die Reihe ist, das Herkömmliche an Gelde, Beyseyns des Schullehrers und Aeltesten der Bande voraus, und bestehet dieses so genannte Dinggeld gewöhnlich in 12 Batzen, davon die Chor Caße die Hälfte und die Aufwartende Bande die andere Hälfte bekömmt. Adjuvantenordnung halte.14 Aus dem Jahr geschichte ist symptomatisch für die über- 1779 ist schließlich an mehreren Orten eine große Zahl der überlieferten Adjuvantenord- Adjuvantenordnung für die Diözese Kalten- nungen: Das Erstellen einer Ordnung war nordheim überliefert. Die in Ostheim vor der dem Chor wegen „Streitigkeiten“ auferlegt Rhön befindliche Abschrift ist von besonde- worden. Präventiv wurden nun alle Aspekte rem Interesse, da hier nach heutigem Kennt- des Adjuvantenlebens geregelt – von der Pro- nisstand erstmalig die Bezeichnung „Adju- benzeit über das Verhalten vor, während und vantenchor“ für den bis dato flächendeckend nach den Gottesdiensten bis hin zur Privile- als „Chorus Musicus“ bezeichneten Klang- gierung des Chores beim Aufspielen zum körper Verwendung findet.15 Tanz. Entsprechend dieser Ordnung war je- Die älteste derzeit bekannte eigene Ord- der Adjuvant zum Erlernen von mindestens nung des Adjuvantenchores Kaltensundheim einem Instrument verpflichtet. Sie mussten datiert auf das Jahr 1815. Ihre Entstehungs- sich jederzeit „wie jedem Christen ziemet“, das heißt vorbildlich benehmen. Die Mit- 14 Acta die Kirchen- und Schul Visitationes in dem gliedschaft brachte aber erhebliche Vorteile fürstl. Amte Kaltennordheim betreff., 1768–1786 mit sich wie Verköstigung und Entlohnung Landeskirchenarchiv Eisenach, Inspektion Kal- bei öffentlichen Veranstaltungen oder die tennordheim, Allg. 207. 15 Akten betr. Adjuv. Chorordnung, 1799–1808 Freistellung von kirchlichen Pflichtämtern.16 Landeskirchenarchiv Eisenach, Inspektion Ost heim, O. 219. 16 Consistorialamts Acta die Confirmation der Chor 11
Aus dieser Zeit in etwa stammt auch die die Chöre jener Zeit, zu der die tradierte Musikaliensammlung des Adjuvantenchores symbiotische Verbindung von Schule und Kaltensundheim, die in der ersten Hälfte des Kirche ihr Ende fand.20 Die letzte Nachricht 19. Jahrhunderts zusammengetragen wurde. über die Kaltensundheimer Adjuvanten, die Diese Sammlung stellt einen repräsentativen man in den Akten der ehemaligen Kirchen- Querschnitt durch das thüringische Adju- inspektion nachvollziehen kann, datiert auf vantenrepertoire dieser Zeit dar.17 So sind das Jahr 1869.21 Jene Zeit markiert eine poli- zeittypische Kontrafakturen zu Opernsätzen tische Grundsatzentscheidung, die in ganz Wolfgang Amadeus Mozarts ebenso enthal- Thüringen das Ende besiegeln sollte. Zwi- ten wie Joseph Haydns Schöpfung. Daneben schen 1863 und 1866 wurde in den thüringi- finden sich diverse Kantaten heute eher un- schen Fürstentümern die Gewerbefreiheit bekannter aber zur damaligen Zeit weit ver- eingeführt. Bereits zuvor drohten die Adju- breiteter Komponisten wie Christian Gottlob vantenchöre zwischen dem aufblühenden Bergt, Christian Ehregott Weinlig, Johann Männerchorwesen und dem Zurückdrängen Gottlieb Lägel oder Gottlob Benedict Bierey. instrumental begleiteter Musik cäciliani- Ebenso wie an vielen weiteren Orten Thürin- scher Bestrebungen zerrieben zu werden. gens nahmen außerdem die posthum er- Mit der Gewerbefreiheit verloren die Adju- schienenen Kantaten Johann Rudolf Zum vantenchöre nun auch ihre Privilegien im steegs eine zentrale Stellung ein.18 Bereich der Tanz- und Kirmesmusik.22 Da- Dies kann jedoch nicht darüber hinweg- mit waren die Adjuvantenchöre ihrer letzten täuschen, dass die Thüringer Adjuvantenkul- Daseinsberechtigung als Zubrotgewinn be- tur im 19. Jahrhundert schleichend ihrem raubt und wurden zunehmend von Kirchen- Ende zugeht. Laut Visitation von 1824 konn- gesangsvereinen moderner Prägung ersetzt.23 te man zwar mit der Musik in Kaltensund- heim noch „zufrieden“ sein, ähnliches wurde Kirchen und Schulvisitation betr., 1 824–1826 Lan- aus Kaltennordheim berichtet. Doch auch deskirchenarchiv Eisenach, Inspektion Kalten nordheim – Konsistorialamt Kaltennordheim, kritische Töne nehmen zu. Insbesondere Allg. 221. wurde die Qualität der Nachwuchsarbeit an 20 Zielsdorf, Adjuvantenkultur in Thüringen 2019 vielen Orten bemängelt.19 Dies ist typisch für (wie Anm. 3), S. 48–49. 21 Wiederbesetzung der Pfarrstelle Kaltensundheim durch Collaborator Hermann Keller (1862), u. a. adjuvanten Ordnung in Kaltensundheim betref- zu Pfarrbesoldungsvergleich Heinz Keßlersches fend, 1815 Landeskirchenarchiv Eisenach, In- Gut und seine Lehns- und Erbzinspflichtigen, Re- spektion Kaltennordheim, K 196. paratur des Pfarrhauses, Verpflichtung des Kir- 17 Die Sammlung Kaltensundheim wird heute im chenältesten Caspar Eichhorn (1849), Schulleh- Hochschularchiv | Thüringischen Landesmu- rer als Kirchendiener und entsprechende Vergü- sikarchiv Weimar aufbewahrt und wissen- tung (1883), Adjuvantenchor in Kaltensundheim schaftlich erschlossen. (1869), 1849-1883 Landeskirchenarchiv Eise 18 Zur Bedeutung dieser Kantaten für die Adjuvan- nach, Inspektion Kaltennordheim, K. 187. tenmusik siehe Zielsdorf, Adjuvantenkultur in 22 Zielsdorf, Adjuvantenkultur in Thüringen 2019 Thüringen 2019 (wie Anm. 3), S. 112–114. (wie Anm. 3), S. 133. 19 Acta die in der hiesigen Dioces gehaltenen Special- 23 Ebd., S. 153. 12
Der historische Notenbestand Kaltensundheim Christoph Meixner An vielen Orten Thüringens haben sich bis tet Gelegenheit für eine spannende Reise in heute Notensammlungen erhalten. Es gibt die Kaltensundheimer Musikpflege der Jahr- Bestände, die bis in das 16. Jahrhundert zu- zehnte um 1800. rückreichen; andere überliefern nur die Mu- Meist wurde damals keineswegs nur sik des frühen 18. Jahrhunderts, wieder an- „Alte Musik“ aufgeführt wurde, sondern dere gewähren uns einen tiefen Einblick in „Neue Musik“ von zeitgenössischen Kom- die Kantatenpflege des 19. Jahrhunderts, in ponisten! Besonders beliebt waren dabei der selbst ein Leipziger Thomaskantor kaum Kantaten des Stuttgarter Hofkapellmeisters eine Rolle spielte. Fehlt dieses Notenmateri- und engen Schiller-Freundes Johann Zum- al vor Ort, so lassen sich manchmal aus al- steeg (1760–1802). Selbstverständlich wur- ten Inventaren Rückschlüsse auf das früher den auch groß besetzte Werke der katholi- gepflegte Musikrepertoire ziehen. schen Tradition durch die Kaltensundheimer In Kaltensundheim ist der Kirchrech- Adjuvanten aufgeführt! So erklang Mozarts nung von 1761/62 zu entnehmen, dass auch prächtige Schauspielmusik zu Thamos, König hier Musik von Andreas Hammerschmidt in Ägypten (1774) mit einem späteren deut- (Freiberg/Zittau), Wolfgang Briegel (Gotha/ schen Kantatentext ebenso wie die bekann- Darmstadt) oder Nicolaus Niedt (Sonders- ten Chöre aus Joseph Haydns Oratorium Die hausen) aufgeführt wurde – wichtige Kom- Schöpfung (1798) oder das Te Deum (1800) ponisten des 17. Jahrhunderts, deren Wer- in einer deutschen Textfassung. Als beson- ke auf keiner Thüringer Chorempore fehlen deres Highlight des Kaltensundheimer No- durften (Abb. S. 5)! Es scheint sich dabei tenbestandes darf das umfangreiche Material zumindest um einen Teil jenes Notenmateri- zum Oratorium Die Auferstehung Christi des als zu handeln, das man später (um 1800/01) Gothaer Hofkapellmeisters Anton Schweit- als Makulatur (für die Papiermühle) ver- zer (1735-1787) gelten, dessen Text Herzog kaufte, da es der „Erwähnung nicht [mehr] Ernst Friedrich III. von Sachsen-Hildburg- werth“ sei – der Musikgeschmack hatte sich hausen verfasst hatte. längst geändert und so wurde Neues ange- Nicht minder interessant sind die klei- schafft und zugleich das Alte gewissenhaft nen handschriftlichen Orgelbücher aus dem ,entsorgt‘. 19. Jahrhundert, in denen ein beachtliches Die heute noch existierende Noten Repertoire von Choralbearbeitungen aus sammlung der Kaltensundheimer Adjuvan unterschiedlichen Epochen für den gottes- ten wird seit vielen Jahren unter bestmög dienstlichen Gebrauch zusammengetragen lichen klima- und feuerschutztechnischen worden ist. Gerade darin lässt sich noch jene Bedingungen im Magazin des Hochschul regionale Prägung der Kirchenmusik erken- archivs | Thüringischen Landesmusikar- nen, die mit der Einführung von modernen chivs Weimar treuhänderisch aufbewahrt. Einheitsgesangbüchern heute oft leider ver- Der Bestand ist online durchsuchbar und loren gegangen ist. steht der Forschung zur Verfügung. Er bie- 13
Zum Festkonzert Schätze aus dem Adjuvantenarchiv Kaltensundheim Helen Geyer, Michael Maul, Elias Wöllner Das Festkonzert steht ganz unter dem Zei- viele schöne, nach dem Telemannischen Ge- chen der großartigen und facettenreichen schmacke eingerichtete Ouvertüren geset- Adjuvantentradition jenes Zentrums der zet“, so heißt es im Nekrolog über Johann Se- Hohen Rhön: Kaltensundheim, gekrönt von bastian, und vier dieser Werke sind in der einer Kirchenburg. Es erklingen vier Werke, Notenbibliothek Johann Sebastian Bachs die aktuell aus dem Kaltensundheimer Ad- überliefert. Zu ihm bestanden enge Verbin- juvantenarchiv „gehoben“ wurden: zwei dungen: Johann Bernhard kopierte Noten Kantaten von Johann Rudolf Zumsteeg, eine Johann Sebastians und war Taufpate dessen Arie von Anton Schweitzer sowie Joseph Sohnes Johann Gottfried Bernhard. Haydns zweites Te Deum, dessen lateini- Die Orchestersuite e-Moll mit ihren scher Text in Kaltensundheim durch eine sechs Tänzen, deren Abschluss nicht eine Übertragung ins Deutsche ersetzt wurde. Gigue, sondern ein doppeltes Menuett bil- Ein Orgel-Introitus zollt der hohen Kunst det, liefert ein beredtes Zeugnis für die Vor- der Improvisation Tribut, die ausschlagge- liebe für das Französische und die damals bend war für die Besetzung von Organisten- engen und selbstverständlichen musikali- stellen. Ferner präsentiert das konzertieren- schen Verbindungen, speziell entlang des de Ensemble Ausschnitte aus seinen eigenen Werratales und des Umkreises und Einflus- Weimarer Archiv-Entdeckungen aus der Fe- ses der Residenzstadt Eisenach, die damals der des Prinzen Johann Ernst von Sachsen über eine der besten Hofkapellen überhaupt Weimar und von Johann Bernhard Bach, ei- verfügte. nem Vertreter der über ganz Thüringen wirkmächtigen großen Musikerfamilie. Anton Schweitzer (1735–1787) ist in vielfa- cher Hinsicht eng mit Thüringen verknüpft, Johann Bernhard Bach (1676–1749) war ein speziell mit dem Weimarer Hof, kam hier Meister seiner Zeit und trat nach Stationen doch sein außergewöhnliches Singspiel Alces- in Erfurt und Magdeburg schließlich die te (1773) als Exemplum einer deutschen Nati- Nachfolge seines Onkels Johann Christoph onal-Oper auf die Bühne. Schweitzer kam mit Bach als Stadtorganist in Eisenach an und der Seylerschen Theater Truppe 1771 nach damit im gewissen Sinne auch die von Tele- Weimar, doch zuvor war er Sängerknabe in mann, der 1712 Eisenach verlassen hatte. Als Hildburghausen. Später wirkte er als Brat- Stadtorganist wirkte er über die Auflösung schist und Cellist in der Kapelle des Herzogs der Eisenacher Hofkapelle 1742 hinaus bis zu Ernst Friedrich Karl von Sachsen-Hildburg- seinem Tode. Mit ihm wird zugleich die Ver- hausen; er vollendete seine Studien in Bay- bindung der Bachs zu Telemann virulent, reuth und während einer zweijährigen Itali- dessen Kantaten sich einst in Kaltensund- enreise. Anschließend wurde Schweitzer, bis heim einer großen Begeisterung erfreut hat- zur Auflösung der Oper in Hildburghausen ten, wie aus den Berichten und Inventarli 1769, herzoglich Hildburghäuser Kapellmeis- sten hervorgeht. „Johann Bernhard Bach hat ter, danach schloss er sich der Seylerschen 14
Theatertruppe an, die nach dem Schloss hung Christi von 1770, mit der Verbindung brand in Weimar 1774 nach Gotha an den zu Ernst Friedrich Karl von Sachsen-Hild- Hof Ernst II. von Gotha wechselte. Dort wur- burghausen. de Schweitzer als Musikdirektor angestellt; Helen Geyer 1778 trat er die Nachfolge Bendas an. Sein Engagement reichte bis nach Mannheim, wo Johann Rudolf Zumsteeg (1760–1802) ist als seine schon 1777 komponierte Oper Rosa- Komponist für die Adjuvanten von großer munde 1780 zur Aufführung kam – Mozart Bedeutung. Nach seinem Tod wurden die war offensichtlich beeindruckt davon. Kantaten des vorwiegend in Stuttgart wir- Zweifelsohne gehörte Anton Schweit- kenden katholischen Komponisten und Cel- zer damals zu den „Großen“ der Zeit: Seine listen vom Leipziger Verlag Breitkopf & Kompositionen haben u.a. Mozart tief beein- Härtel herausgegeben. Der Verlag stillte den druckt. Und es zeugt nicht nur von der en- Bedarf der Aduvantenchöre mit geeigneter gen Vernetzung der Adjuvanten in Kalten- Musik und seine Publikationen waren leicht sundheim mit den Höfen, sondern vor allem verfügbar. auch vom hohen Niveau der musikalischen Die insgesamt 14 geistlichen Kantaten Darbietungen und vom Ehrgeiz, dass sich in Zumsteegs sind bereits 1795 für den Gottes- den Beständen in Kaltensundheim die Par- dienst in der Stuttgarter Schlosskirche ent- titur einer kleinen Oster-Kantate bzw. eines standen. Der Komponist wollte eine zeitge- Oster-Oratoriums befindet: Die Auferste- mäße Kirchenmusik schaffen. Dafür ver- Anton Schweitzer: Ora- torium Die Auferstehung Christi, Titelseite der Partitur (Ausschnitt). HSA | ThLMA Weimar, Bestand Kalten- sundheim, KSH 11. 15
zichtete er in seinen Werken auf harmo- Die andere Kantate Ein Hauch ist unser nisch komplexe Strukturen und griff auf Leben ist ebenfalls dreiteilig (f-Moll, As- eine gut singbare Setzweise zurück. So spie- Dur, f-Moll), wobei im Mittelteil allerdings len die Instrumente häufig „colla parte“, nur der Tenor singt. Der erste und letzte Teil verstärken und stützen also die Singstim- sind Reflexionen der Gläubigen, zunächst men. Trotzdem ist seine Musik effektvoll über die Endlichkeit und Kürze des Lebens, und erinnert an das klassizistische Ideal der dann über das Wunder der Auferstehung „Edlen Einfalt“. der Seele nach dem Tod. In der Arie wird Die Kantate Gott! Urquell der Gnade Gott direkt angesprochen, welcher als Spen- besteht aus drei Teilen, die durch die tonart- der des ewigen, überirdischen Lebens ange- liche Disposition (d-Moll, B-Dur, d-Moll) rufen wird. kontrastieren. Zudem wird der Mittelteil so- listisch gesungen (Sopran, Alt, Tenor). Im Die Werke Joseph Haydns (1732–1809) ge- Text wird Gott direkt angesprochen und hörten wie jene von Zumsteeg zum Kernbe- seine Gnade gepriesen. Kein Mensch ist per- stand des Adjuvantenrepertoires in der er fekt, doch wer seine Schwächen, Fehler und sten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Daran hat- Sünden kennt und bereut, darf auf väterli- che Versöhnung bei Gott hoffen. Johann Rudolf Zumsteeg: Ein Hauch ist unser Leben, Kantate Nr. 5, Sopran 1. Seite (Ausschnitt). HSA | ThLMA Weimar, Bestand Kalten- sundheim, KSH 30. 16
te ebenfalls der Leipziger Verlag Breitkopf & Armonico (1711 in Amsterdamm veröffent- Härtel seinen Anteil. licht) für Orgel oder Cembalo zu arrangieren Haydn schrieb zwei Te Deum-Komposi- – in Weimar brach eine regelrechte Vivaldi- tionen, wobei er das spätere keiner geringe- mania aus, infolge der Bach und Walther ren als Kaiserin Marie Therese widmete. zahlreiche Instrumentalkonzerte einrichte- Auch in diesem Werk liegt eine dreiteilige ten und sich so die Prinzipien des modernen Anlage zugrunde (Allegro, Adagio, Alleg- italienischen Concertos aneigneten. ro), wobei Anfang und Schluss in C-Dur, Nach seiner Rückkehr intensivierte Prinz der Mittelteil in c-Moll steht. Das Werk Johann Ernst seinen Kompositionsunterricht kommt ganz ohne Solopartien aus. Bei den und komponierte nun selbst Konzerte im Vi- Adjuvanten wurde das lateinische Stück in valdi-Stil: der epochemachenden Concerto- einer deutschen Nachdichtung gesungen, Form aus Ritornellen und Soloepisoden, to- die voller sprachlicher Bildhaftigkeit ist. nalen Zentren und endlosen Sequenzketten. Elias Wöllner Trotz „schmertzhaffter Kranckheit“ habe er „19 Instrumental-Stücke in der Zeit von 3/4 Komponierende und musizierende Regenten Jahren […] verfertiget.“ (Joh. Walther). Ge- gab es zu allen Zeiten, Prinz Johann Ernst IV. org Philipp Telemann gab sechs jener unter von Sachsen Weimar (1696–1715) war also Walthers Augen komponierten Violinkon- kein Einzelfall. Er betrieb mit seinem älteren zerte drei Jahre später (posthum) in einem Halbbruder und Mitregenten Ernst August prächtigen Druck heraus. mit Enthusiasmus Musikpflege. Regelmäßig Die Stücke erweisen sich als oft originel- erschien der Hoforganist Johann Sebastian le, teils mit überraschenden und unterhaltsa- Bach, um die Tasteninstrumente zu warten men Wendungen aufwartende Schöpfungen und selbst in die Tasten zu greifen. Sein Vet- eines Autors, der in sehr kurzer Zeit beacht- ter Johann Gottfried Walter erhielt aus der liche Fähigkeiten in der Komposition ent Privatschatulle der beiden Herzöge immer wickelt haben muss und dabei zu durchaus wieder größere Summen für den Unterricht kreativen Varianten im Umgang mit der des jungen Johann Ernst „auf dem Clavicym- italienischen Konzertform gelangte. Vor al- bel“. Violine unterrichtete der Primarius der lem aber liefern die Stücke – wie kaum ande- Hofkapelle Gregor Christoph Eylenstein. re Werke – originäre Einblicke in das schil- 1712 brach Johann Ernst zu seiner Kava- lernd virtuose Konzertrepertoire der Weima- lierstour nach Holland und Belgien auf. Auf rer Hofkapelle zur Zeit Johann Sebastian der Agenda des Prinzen stand, bei den No- Bachs, das gleichermaßen von italienischen tenhändlern in Brüssel und Amsterdam und französischen Einflüssen geprägt war. möglichst viele neue Musikalien für die Wei- Michael Maul* marer Hofkapelle zu erwerben. Just zu dieser * Der Text wurde extrahiert aus dem Booklet der Zeit begann Bach Violinkonzerte aus Anto- CD: Concerti. Prinz Johann Ernst von Sach- nio Vivaldis berühmter Sammlung L’Estro sen Weimar, Thüringer Bach Collegium, audite 2019. 17
Das Festkonzert Schätze aus dem Adjuvantenarchiv Kaltensundheim Orgel-Improvisation Thema: Cantionale Sacrum Gotha 1646–48 Johann Bernhard Bach Orchestersuite Nr. 3 e-Moll (1700–1743) Ouvertüre – Air – Les plaisiers: Vitement – Air – Rigaudon – Courante – Gavotte e Rondeau – Pause – Johann Rudolf Zumsteeg Gott! Urquell der Gnade* (1760–1802) Kantate Nr. 2 Prinz Johann Ernst Concerto Nr. 4 d-Moll für Violine und Orchester von Sachsen Weimar Adagio-Presto – Allegro-Adagio – Vivace (1696–1715) Anton Schweitzer „Mein Heiland, du machst mir den Tod zum sanften Schlummer“ (1735–1787) Arie für Sopran und Streicher aus dem Oratorium Die Auferstehung Christi* Johann Rudolf Zumsteeg Ein Hauch ist unser Leben* (1760–1802) Kantate Nr. 5 Joseph Haydn Te Deum für die Kaiserin Marie Therese Hob. XXIIIc:2 (1732–1809) mit deutschem Text der Abschrift aus Kaltensundheim „Soli Deo Gloria“: Widmung am Ende zahlreicher Notenhandschriften. HSA | ThLMA Weimar, Bestand Großfahner/Eschenbergen, GF 395/Wi03. * Wiederentdeckung aus dem Notenarchiv Kaltensundheim 18
Festkonzert: Die Ausführenden Gesangssolisten Alexandre Castro-Balbi – Violoncello Friederike Beykirch – Sopran Christian Bergmann – Kontrabass Henriette Gödde – Alt Christian Stötzner – Orgel Stefan Scherpe – Tenor Roberto de Franceschi – Flöte, Oboe Uwe Schenker-Primus – Bass Simon Böckenhoff, Martin Jelev – Oboe Elisabeth Kaufhold – Fagott Thüringer Bach Collegium Rupprecht Drees, Sebastian Kuhn – Trompete Gernot Süßmuth – Solo-Violine und Jens Pribbernow, Valentin Eschmann – Horn Künstlerische Leitung Babette Haag – Pauke Felicitas Wehmschulte, Seth Taylor – Violine Jürgen Karwath, Raphael Hevicke – Viola Joseph Haydn: Te Deum für die Kaiserin Marie Therese, Hob. XXIIIc:2. Handschriftliche Partitur mit lateinischem und deutschem Text: in der Altstimme z.B. „[ae-]ternum. In te Domine speravi: non con- fundar in aeternum,“ bzw. „ewig, nicht verloren sind wir ewig, ewig ist der Christen Leben!“. Sängerstim- men (Ausschnitt S. 37). HSA | ThLMA Weimar, Bestand Kaltensundheim, KSH 066. 19
Festkonzert: Die Gesangstexte Johann Rudolf Zumsteeg Bürge sein! Göttlich Rechtes zu gestalten, mensch- Gott! Urquell der Gnade lich in dem Höchsten walten. Dauern in den Schwung der Zeit, dies sei unser Trefflichkeit. Gott, Urquell der Gnade, Du liebst uns wie Kinder. Mag dann sich’s Leben neigen, getrost ergeben stei- Du warnest den Sünder auf trüglichem Pfade. gen hinab wir in die Gruft, und heiter wird erste- O Langmuth, o Gnade. hen, was erst schien zu vergehen, wenn Er, der Ewi- [Soli:] Wer Dein Gebot nicht hielt, doch endlich ge, uns ruft. Reue fühlt und heiligt Dir sein Leben. Ja, dem er- bangenden Gnade Verlangenden willst Du verge- ben. Ob seiner Wiederkehr jauchzt Deiner Engel Joseph Haydn Heer und Frieden lächelst du ein versöhnter Vater Te Deum für die Kaiserin Marie Therese dem ernsten Büßer zu. Wer ist gerecht vor Dir? Wer? Wer? Ach alle fehl- Sieh die Völker auf den Knieen, ten wir, Allrichtender! Allrichtender verzeihe, Du Gott wie stumm sie in Andacht glühen. kennest meine Reue. Vollkommenster, erneue Dein Seinem Herrn zur Ehre Ebenbild in mir. kränzt der Erdkreis weithin Tempel und Altäre. Hört sie, hört der Engelchor, höret beben ihre Hymnen im Äthermeer, Anton Schweitzer wenn die Harfen verhallen. / „Mein Heiland, du machst mir den Tod zum Hört sie rufen des Himmels ewge Gewalten, sanften Schlummer“ aus Die Auferstehung Christi fernhin durchs kristallne Meer. Heilig, heilig, heilig bist du, der Herr der Ewigkeit. Mein Heiland, du machst mir den Tod zum sanften Welten, die jauchzen und schweigen, Schlummer, der mich von Schmerz und Noth und sind Gott, deiner Herrlichkeit, Zeugen. Kummer zum bessern Leben bringt, das du mir Dich singt der Chor zugedacht. Ich will, sobald du winkst, getrost die der geweihten Glaubensboten, / Welt verlassen, sollt ich auch heute noch erblassen, Dich der Prophet, der dein Feuer denn der stirbt nicht zu früh, den Sterben glück- zum Himmel trug, der Märtyrer lich macht. dich, die dir Bluheten die Todten strahlender Siegeszug, Längs des Staubes Gefilden Johann Rudolf Zumsteeg sammeln sich im Kreise die Gläubigen, Ein Hauch ist unser Leben blicken empor zum dunklen Throne, und es strömt auf sie ein Glanz Ein Hauch ist unser Leben, ein schnell Vorüber- von dem einzigen Sohne. schweben im Strom der raschen Zeit. Eh seinen Sanft wehet der Geist herab, Sinn wir fassen, so müssen wir’s verlassen. Dahin ist herab sie zu heiligen. seine Herrlichkeit. Christ du König der Ehren, du von dem Vater, [Arie:] eh die Sonne war, gezeugt, Dir gehöret unser Leben, ew’ger Vater, Dir allein. der empor zu richten die Welt Dass wir nicht vorüber schweben, lass uns dieses der Sündenlast gebeugt, Erwähnung des Begriffs „Choradjuvanten“ in der Kaltensundheimer Kirchenrechnung (1771/72). Landes kirchenarchiv Eisenach, K 116. 20
erschienst vom Weib, Lass in den ewigen Hain uns ein, die sterbliches Kind gesäugt. lass uns dein Erb am Quell der Lieb’ uns laben, Du zwangst den Tod, beherrsch dein Volk, dass es zu dir sich hebe jetzt ist mein Kommen leicht, und von Aeon bis zu Aeon wachsend lebe. hast sie entriegelt, sie alle, Mit jedes Morgens Röthe / Mit jedes Abends Sternen alle die Pforten zu ewigen Sphären. glüht dein Preis in unserm Lied Bist hoch thronend eingezogen und weit nennt im Nachhall die Unendlichkeit in deines Vaters Herrlichkeit. deinen Namen den Fernen. Kehrst einst, glauben wir, Halt werth, o Herr der Macht, endend Welt und Zeit. uns deiner Wacht des Herzens zu behüten. In seinen Tiefen das Böse brüten. (Adagio.) Ach, erbarm dich der, Allmächtiger, Herr darum flehen wir. die am Abgrund schweben, Hilf, ach hilf deinen Kindern, dass wir nicht schwinden, welche du gesammelt dir. schwinden in Träume, Blutige Nächte, Jahre der Schmach, den Zeiten ein Spott. angstvoll lebend, hier Gräbern nah, Ach, stille unser Streben, ein Gott bei Sündern. gib dem Hoffen Ruh, o Gott. Nicht verloren sind wir, (Allegro moderato.) nicht dem Abgrund hingegeben, Wo unter Palmen deine Heiligen ewig ist der Gott der Christen, leuchtende Hüllen haben. ewig ist der Christenleben. Das Thüringer Bach Collegium in der Oberkirche zu Arnstadt. Foto: Matthias Eckert. 21
Der Festgottesdienst Im Rahmen des Festgottesdienstes wird sundheim aufzuführen und damit gleichzei eine u.a. aus Kaltensundheim überlieferte tig auf die umfangreiche Notensammlung Kantate des in Thüringen eher weniger be- des Pfarrarchivs aufmerksam zu machen. kannten Komponisten Christian Ehregott Im Rahmen der diesjährigen Adjuvanten- Weinlig (1743–1813) vorgestellt. Der zum tage ergab sich die Möglichkeit zur Auffüh- Adjuvantentage-Projektchor erweiterte lo- rung. kale St. Albanus Chor wird dabei vom Thü- ringer Bach Kollegium begleitet. Die Kirchenlieder zu diesem Gottesdienst [Jens Rauch berichtet:] Nach Anfrage werden an der Orgel mit vierstimmig ausge- durch Claudia Mahler [heute: Zimmer- setzten Bearbeitungen begleitet, die extra aus mann] 2017, zu dieser Zeit Kirchenmusik- den beiden Orgelbüchlein des Kaltensund- studentin aus Dresden, wurde ich auf die heimer Adjuvantenarchivs ausgesucht wur- Kantate Dir Gott gebühret Lob und Dank den. Diese Choralbearbeitungen stammen von Weinlig aufmerksam. Diese Kantate bil- aus dem 19. Jahrhundert, die Choräle selbst dete die Grundlage ihrer Diplomarbeit und sind geläufige Lieder der regionalen Gesang- wurde von ihr nach Abschluss des Studiums bücher aus der Feder berühmter Komponis- im sächsischen Frankenberg aufgeführt. ten bis zurück in die Zeit um 1500. Für mich stellte sich die Frage, ob es möglich wäre, diese Kantate hier in Kalten Kurze Choralfassung zu Christus der ist mein Leben mit „prächtigem, freudigen Ausdruck“ des Mühlhäuser Conrectors Johann Georg Beutler, 1799. HSA | ThLMA Weimar, Bestand Kaltensundheim, KSH 70, fol. 27r. 22
Die Kantate Dir, Gott, gebühret Lob und Dank von Christian Ehregott Weinlig Claudia Zimmermann* Dir, Gott, gebühret Lob und Dank ist mit gro- Die Kantate Dir, Gott, gebühret Lob und ßer Wahrscheinlichkeit ein Werk von Chri- Dank besteht aus zwei Teilen. Der Eingangs- stian Ehregott Weinlig, eventuell aber auch teil ist ein vierstimmiger Chor, der sich wie- ein frühes Werk seines Neffen Christian derum in einen Andante- und einen Alle Theodor. gro-Teil gliedert. Es schließt sich ein länge- Christian Ehregott Weinlig (1743–1813) res Bariton-Solo an, bestehend aus Rezitativ war zunächst Organist der Reformierten Kir- und einer Arie im Allegro. Zum Schluss wird che in Leipzig, später in Thorn/Torun (Po- der zweite Teil des Eingangschors wiederholt. len), anschließend Frauenkirchenorganist in Die Bariton-Arie ist faszinierend virtuos, hat Dresden und schließlich ab 1785 Kreuzkan- einen großen Tonumfang und ist fast schon tor und dort sehr beliebt. Johann Christi- „unsanglich“ aufgrund schwieriger Melodie an Hasche (Historiker, Theologe und Autor) wendungen und mangelnder Atempausen. schrieb zu einer aufgeführten Passion: „Die Der zugrunde liegende Text der Kantate […] in der Frauenkirche aufgeführte Passion: ist frei gedichtet (Texter unbekannt) und ent- der Christ am Grabe Jesu, war ein wahres Mei- spricht wegen ihres Inhalts biblischen Lob- sterstück, und die gegen Deutschland sonst Psalmen. Die Platzierung im liturgischen so ungerechten Italiäner mußten selbst be- Jahr eignet sich entsprechend des Recitativ- kennen, sie hätten einen deutschen Text nicht Textes für einen Jahresabschlussgottesdienst so vieler schönen Musik fähig geglaubt.“1 oder zum Erntedankfest: „Auch dieses Jahr hat seine Güte uns gesegnet“. 1. Eingangschor 2. Rezitativ Dir, Gott, gebühret Lob und Dank, Auch dieses Jahr hat seine Güte uns gesegnet. Anbetung, Preis und Ehre! Ja, Alles kommt von ihm, was Gutes uns begegnet. Kommt, werdet Gottes Lobgesang, Oh lobet ihn, oh danket ihm, ihr all seine Heere! denn er ist weiß und gut. Der Herr ist Gott und keiner mehr. Frohlockt ihm, alle Frommen. 3. Arie Wer ist ihm gleich? Wer ist wie er? Wer? Auf, mein Geist, dem Herrn zu singen, So herrlich, so vollkommen? der uns alles Gute gibt! Der Herr ist groß, sein Nam' ist groß, Ihm will ich ein Danklied bringen, er ist unendlich, er hilft jedem, der ihn liebt. grenzenlos in seinem ganzen Wesen. Unsers Gottes Macht und Güte währet bis in Ewigkeit und sein väterlich Gemüth ist zu helfen stets bereit. * Der Text wurde extrahiert aus der Diplomarbeit 4. Chor der Autorin: Claudia Zimmermann, Weinlig – Der Herr ist Gott und keiner mehr. „Dir, Gott, gebühret Lob und Dank“, Hochschu- [...] le für Kirchenmusik Dresden, 2016 (unveröff.). er ist unendlich, 1 H. John, Der Dresdner Kreuzchor und seine Kan grenzenlos in seinem ganzen Wesen. toren, Berlin 1982, S. 77. 23
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