Katholisches Wort in die Zeit - Der Fels
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Erinnerung und Verpflichtung Der „Fels“ ist 50 geworden 163 Prof. Dr. Werner Münch: Wachsende Sehnsucht nach Klarheit in der Kirche 165 Pfarrer Dr. Richard Kocher: Keine Nebenkriegsschauplätze – Gott wieder in den Mittelpunkt stellen 178 Katholisches Wort in die Zeit 51. Jahr Juni 2020 DER FELS 6/2020 161
Liebe Leser, dert? Man könnte die Entwick- lung mit statistischen Zahlen wir erinnern mit dieser Felsaus- dokumentieren, z.B. an Hand der gabe an die Gründung unserer Kirchenaustritte, am Rückgang Zeitschrift vor 50 Jahren. Der der Priester- und Ordensberufe, „Fels“ ist 50 geworden. Was Pa- am verlorenen Bußsakrament, ter Gerhard Hermes SAC und am immer mehr verschwinden- seine Mitstreiter bewogen hat, den religiösen Wissen, etc.. Der derzeitige Zustand der Kirche INHALT diese Zeitschrift zu gründen, kommt im Vorwort, das er der in Deutschland spiegelt sich im ersten Ausgabe vorangestellt „Synodalen Weg“ wider. Auf der hat, zum Ausdruck. Der Grund ersten Sitzung in Frankfurt am Erinnerung und Verpflichtung Der „Fels“ ist 50 geworden .................. 163 war die Entwicklung, die die Kir- Main wurde mit überwältigender che nach dem 2. Vatikanischen Mehrheit beschlossen, selbst die Prof. Dr. Werner Münch: Konzil genommen hat. Das Kon- Lehre der Kirche zur Disposition Wachsende Sehnsucht nach zil selbst war nicht die Ursache zu stellen. Nur fünf der anwesen- Klarheit in der Kirche ........................... 165 davon, sondern die bewusste den Diözesanbischöfe stimmten Fehlinterpretation und ein falsch dagegen. Die Themen des „Syno- Jürgen Liminski: verstandenes Aggiornamento dalen Weges“ sind die bekannten Der Geist von Notre Dame .................. 170 („Verheutigung“). Nebenkriegsschauplätze, wie Zö- War das Konzil notwendig? libat, Frauendiakonat, Sexualmo- Prof. Dr. Hubert Gindert: Joseph Ratzinger hat schon Ende ral der Kirche usw., die den Weg Licht bringen in die Dunkelheiten ........ 174 1958 die Situation der Kirche zu einer an die Welt angepassten Diakon Raymund Fobes: richtig analysiert, als er sagte: Kirche markieren. Es sind nicht Und doch ist Gott gegenwärtig............. 175 „Die Statistik täuscht. Das dem Reformen, die Maß am Wort Jesu Namen nach christliche Europa nehmen: „Kehrt um und glaubt Dr. Eduard Werner: ist seit langem zur Geburtsstätte an das Evangelium!“ In den Bischöfe zur NS-Zeit . .......................... 176 eines neuen Heidentums gewor- Pressemitteilungen von Bischof den, das im Herzen der Kirche Bätzing und des ZdK-Präsiden- Pfarrer Dr. Richard Kocher: selbst unaufhaltsam wächst und ten Sternberg vom 21.4.2020 zur Keine Nebenkriegsschauplätze – sie von innen heraus auszuhöh- zweiten Sitzung des „Synodalen Gott wieder in den Mittelpunkt stellen ... 178 len droht.“ Joseph Ratzinger war Weges“ heißt es u.a.: „Der ‚Syn- nicht nur der Berater des Kölner odale Weg‘ [hat] zu allererst die Dr. Eduard Werner: Erzbischofs auf dem Konzil. Peter Ermöglichung der Verkündigung Reformer und Wegbereiter in der Kirche: Unser lieber Oyaji ................................ 182 Seewald sagt in seiner Biogra- des Evangeliums zum Ziel“ – Bi- phie „dass Ratzingers Anteil am schöfe wie Voderholzer und Wo- Pastoralreferent Alfons Zimmer: Konzil nicht marginal, sondern elki sehen das anders – weiter … Rohe Kartoffel und Buttercremetorte . . 183 riesig ist … an der Seite von Kar- „Die Coronakrise fügt unseren dinal Frings war er im Grunde definierten Themen, die ihre vol- Heinz Froitzheim: der maßgebliche Spin-Doktor des le Bedeutung (!) behalten, eine Ein Koppelschloss als Zeit-Dokument .. 184 Vaticanums“. Christian Schaller neue Dimension hinzu.“ Eine ergänzt … „Deshalb war sein solche Kirche ist weder Orien- Ursula Zöller: Engagement im Vorfeld des Kon- tierung noch Korrektiv für die Der Tote von Stalingrad ...................... 186 zils während der Beratungen in Gesellschaft, die in der „welt- Rom und in der flankierenden weiten Diktatur von scheinbar Prälat Ludwig Gschwind: Treffpunkt Krumbad ............................. 187 Vermittlung und nachfolgenden humanistischen Ideologien intensiven Rezeption eines der be- (steht), denen zu widersprechen, Auf dem Prüfstand ............................... 188 deutendsten innerhalb der theolo- den Ausschluss aus dem gesell- Würdigung ........................................... 191 gischen und kirchlichen Wirklich- schaftlichen Grundkonsens be- keit“ (kath.net. 6.5.2020). Den deutet“ (Benedikt XVI. kath.net. Priestern und Ordensleuten, die 4.5.2020). nach dem Konzil, als sie ihre Er- Eine Gewissenserforschung und Impressum „Der Fels“ Juni 2020 Seite 191 wartungen nicht erfüllt sahen, zu Änderung des Lebensstils ist Redaktionsschluss ist jew. der 5. des Vormonats Tausenden der Kirche den Rücken für uns alle notwendig. Weil wir kehrten, ging es nicht um die Um- nicht wissen, ob das geschieht, Titelbild: Die Linzer Dreifaltigkeitssäule setzung der Konzilsbeschlüsse, ist die Aufgabe, die Pater Her- Von Thomas Ledl - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, sondern um Anpassung an die mes vor 50 Jahren begonnen hat, commons.wikimedia.org/w/index.php?curid= 43218942; Ausschnitt: Von Gerhard Anzinger, Welt. Pater Hermes hat darüber noch nicht vollendet. Wels - Eigenes Werk, Gemeinfrei, commons. nicht gejammert, sondern gehan- wikimedia.org/w/index.php?curid=3728009; delt und im „Fels“ den Auftrag Titelbeschreibung S. 190 Mit den besten Wünschen der Kirche angemahnt. Foto- und Quellennachweise: Seite 189 Was hat sich seit der Gründung aus Kaufering des „Fels“ in der Kirche verän- Ihr Redaktionsteam 162 DER FELS 6/2020
Erinnerung und Verpflichtung Der „Fels“ ist 50 geworden Am 1. Januar 1970 erschien die erste Ausgabe der katholischen Monatszeitschrift „Der hatte Mut, er ließ sich vom Zeitgeist nicht verbiegen. Seine Wesenseigen- schaften werden mit hohen Geis- darzulegen kaum mehr möglich war, sah er den Zeitpunkt gekommen, ein eigenes Organ zu gründen. Fels“. Die Zeitschrift wurde von Bi- tesgaben und wahrer Frömmigkeit schof Rudolf Graber, Pater Gerhard charakterisiert. Wie alle Reformer in Pater Gerhard Hermes starb am Hermes SAC und einigen Laien ge- der Kirche war er ein großer Mari- 6. Februar 1988. In seinem Testa- gründet. Sie wurde in Verbindung enverehrer. Gerhard Hermes schrieb ment schrieb er: „Es ist mein großer mit der „Bewegung für Papst und sieben Mysterienspiele. Er verfass- Wunsch, dass Herr Froitzheim die Kirche“ von Fritz von Haniel und te Hymnen und Gedichte. Bevor er Zeitschrift als Herausgeber und Re- Pfarrer A. Kranz herausgegeben. den „Fels“ mitbegründete, betreute dakteur weiterführt“. Das geschah bis er von 1951 bis 1969 die Monats- Ende Februar 1997. Danach übergab Pater Hermes war bis 1986 Chef- zeitschrift „Der Rosenkranz“. Als in Heinz Froitzheim die Verantwortung redakteur der Zeitschrift. Nach einem der Kirche „Euphorie und Verwir- der Redaktion dem „Initiativkreis ka- Herzinfarkt an Silvester 1984 trug die rung, Kontestation und Verführung“ tholischer Laien und Priester in der redaktionelle Hauptarbeit sein Mitar- durch Um- und Missinterpretation Diözese Augsburg“. Froitzheim ar- beiter Heinz Froitzheim. des Zweiten Vatikanischen Konzils beitete aber in der Redaktion bis zu „auf den Höhepunkt kamen“ und die seinem Tod am 6. Dezember 2014 Pater Hermes war das dritte von elf Lehre der Kirche, wie sie z.B. in der engagiert mit. Seine fachliche Kom- Kindern, von denen vier den geistli- Enzyklika „Humane Vitae“ enthal- petenz, sein scharfer Verstand und chen Stand wählten. Pater Hermes ten ist, in kirchlichen Publikationen die Fähigkeit, Vorgänge zu analysie- 1970 gründete Pater Gerhard Hermes SAC die Zeitschrift „Der Fels“, die bald zu einem wichtigen Sprachrohr der konservativen deutschsprachigen Katholiken wurde. Heinz Froitz- heim arbeitete gerne aus Überzeugung in der Redaktion mit. Mit ihm und dem Medium „Der Fels“ wollte er Zeugnis für den katholischen Glauben ablegen und vom Glauben her die Ent- wicklungen in der deutschen Gesellschaft beleuchten. Als durch das Kirchenvolksbegehren unverzichtbare Elemente der katholischen Kirche in Frage gestellt wurden – er war inzwi- schen Chefredakteur – fand er im Initiativkreis katholischer Laien und Priester in der Diözese Augsburg den Kreis, der im Glauben und im gesellschaftlichen Engagement der Linie des Fels entsprach und mit dem er kooperieren wollte. Tatsächlich fand hier Froitzheim die volle Aner- kennung und Weiterführung seiner Lebensleistung. Schließlich legte er die Verantwortung für den Fels in die Hände von Prof. Dr. Hubert Gindert, Dr. Eduard Werner und Gerhard Stumpf. Sie konnten auf die Unterstützung von renommierten Persönlichkeiten aus dem Umfeld der Initativkreise und des Forums Deutscher Katholiken zählen. DER FELS 6/2020 163
ren und zu beschreiben, sowie seine – ins Licht oder in die Finsternis … weis wird man sich schenken, einfach menschlichen Qualitäten wurden von Der heutige Mensch flüchtet – vor deswegen, weil er nicht zu erbringen allen Redaktionsmitgliedern hoch ge- der Entscheidung in die Entwick- ist … Unentbehrliches Fundament schätzt. Seit März 1997 führt das neue lung, vor dem Selbst in die Masse, aller kirchlichen Einheit ist die ‚Una Redaktionsteam des „Fels“ die Arbeit vor dem Jetzt in die Zukunft, vor dem fides‘: Die gesicherten Glaubenssätze. im Geist von Pater Gerhard Hermes Hier in den Kosmos. Aber am Felsen: Wer davon abweicht, der spaltet, wer und Heinz Froitzheim weiter. an Christus und seiner Wahrheit kann davon abschneidet (secare), der ist keiner vorbei. Sektierer. Wir jedenfalls stehen zum Im Vorwort zur ersten Ausgabe Entscheidung für Christus ist Ent- Ganzen; dass es unversehrt erhalten des „Fels“ legte Pater Gerhard Her- scheidung für die Kirche, Entschei- bleibe, ist unsere brennende Sorge. mes dar, warum die Gründung der dung für den Felsen, auf dem er sie Wir werden uns Augen und Ohren Zeitschrift notwendig war und was er gegründet. nicht verschließen lassen, auch nicht als seine Aufgabe sah. Wichtige Pas- Wir werden uns nicht scheuen, durch ganze Fuhren von Schlagwör- sagen daraus, werden hier in Erinne- die Grenzen zwischen Wahrheit und tern. Wir werden die Fakten nennen; rung gerufen. Sie sind heute mindes- Irrtum zu markieren, wo immer es wenn nötig auch Namen. tens so aktuell wie damals. möglich ist – mögen auch andere Natürlich wird man uns vorwer- „Im Namen Gottes des Dreieinen ihre Pflicht vergessen. Man wird uns fen, wir brächten Verwirrung in die beginnen wir dieses Werk, das uns lieblos nennen, selbstverständlich. Reihen der Gläubigen. Kann der Vor- aufgetragen ist. Die Gründung die- Man wird uns als ‚Konservative‘ ver- wurf noch ernst gemeint sein? Kann ser Zeitschrift war notwendig. Ihre lachen, natürlich. Aber der Spott fällt die Verwirrung noch schlimmer wer- Ankündigung hat bei Tausenden von auf die Spötter zurück – als Anklage. den, als sie schon ist? Katholiken begeisterte Zustimmung Conservare heißt bewahren; ist nicht, Ein Wort zur Hoffnung auch: Wir ausgelöst. Der ‚Fels‘ weiß sich der was die Schrift hundertmal fordert, sind weder Pessimisten noch Opti- Wahrheit verpflichtet, nicht dem dies: das Wort Gottes unverfälscht misten. Wären wir das eine oder das Trend. zu bewahren und weiterzugeben von andere, so könnten wir die Hände in Es ist Mode geworden, ‚demütig Geschlecht zu Geschlecht? den Schoß legen. Wir sind Realis- einzugestehen‘, dass auch wir die Natürlich sind wir nicht nur kon- ten: Wir wissen um die Verfallenheit Wahrheit nicht besitzen. Seltsame servativ. Niemand verlangt dringender des Menschen, wir glauben aber an Demut, die Gott widerspricht, der nach Erneuerung als wir. Nur sollten die Macht der Gnade. Wir setzen auf uns auf seine Wahrheit verpflich- auch die Monopolisten des Fortschritts nichts anderes als Gott: Wir leben tet. Besitzt die Kirche die Wahrheit allmählich bemerkt haben, welcher aus der Hoffnung. nicht, dann war Christus Betrüger Abgrund klafft zwischen technischem Wir wollen niemand wegschicken, oder Phantast. und geistigem Fortschritt. wir wollen sammeln. Aber sammeln Christus ist das ‚Zeichen des Wi- Man wird uns der Spaltertätigkeit mit Christus, zu seiner Wahrheit und derspruchs‘, der ‚Eckstein‘, an dem und des Sektierertums anklagen – Liebe, denn wer nicht sammelt mit der Strom der Geschichte sich teilt auch darauf sind wir gefasst. Den Be- ihm, der zerstreut.“ q Jeweils die ersten Ausgaben des Fels (1970, 1988 1997) nach Übernahme der Redaktion lassen mit ihren Titelbildern die geistig-geistliche Ausrichtung erkennen. Jesus Christus, der in der Vollmacht Gottes des Vaters lehrt und wirkt, wird durch die Kirche verkündet und von den Getauften im Glauben angenommen. Er hat die Apostel berufen, mit ihnen die Kirche gegründet und die Apostel wie auch die ganze Kirche zur Verkündung ausgesandt. Der Erzengel Michael steht der Kirche zur Seite, wenn sie von den Mächten der Unterwelt, von Satan und den bösen Geistern bedroht wird. 164 DER FELS 6/2020
Werner Münch: Wachsende Sehnsucht nach Klarheit in der Kirche 1 Einführung ins Thema beiseite legen, die Tradition unserer Kirche vergessen, die Wahrheit belä- cheln und ignorieren und versuchen, zunehmend Löwenmut verlangt“ (S. 191), wodurch sich natürlich auch die Zahl der Berufungen vermindert. Wenn man seit Jahren häufig Vor- einfach so weiterzumachen wie bisher Wie sieht es also in und mit unse- träge hält und mit vielen Menschen in der Annahme, dass das häufige mit rer Kirche aus? aus verschiedenen Altersgruppen viel Pathos vorgetragene Wort „Kri- und Berufen spricht, dann spürt man seit längerer Zeit bei zahlreichen Teilnehmern eine Unsicherheit in se, Krise“ ausreicht, um seine Sorgen unter Beweis zu stellen,weist auf der anderen Seite Georg Gänswein in 2 Kirche wichtigen Fragen ihres Lebens, die seinem Buch „Vom Nine-Eleven un- 2.1 Statistische Wahrheiten Orientierungslosigkeit, Zweifel und seres Glaubens“ auf die notwendige die Suche nach einem festen Ziel of- Beachtung hin, „wie Priester und der Die Kirche hat an Vertrauen und fenlegen, die es in diesem Ausmaß Priesterstand durch dreiste Todsün- Bedeutung verloren. Seit Jahren wohl selten gegeben hat. Ein inhalt- der unter uns ganz allgemein inzwi- sinkt die Anzahl der Katholiken in licher Schwerpunkt sind Fragen zur schen unter Generalverdacht geraten Deutschland. Im Jahr 2018 hatte sie Position der Kirche und ihrer Hirten sind“ … und „in manchen Teilen der im Vergleich zu 2017 einen Rück- und Priester. Immer häufiger wer- Erde eine heimliche Pogromstim- gang um über 300.000 Mitglieder, den Schweigen, Anbiederungen oder mung wächst, in der das aufrichtige 29% mehr katholisch Getaufte ha- Widersprüche thematisiert. Kardinal Bekenntnis zu unserer Kirche der ben 2018 im Vergleich zum Vorjahr Robert Sarah nennt uns hierzu in Be- Heiligen und Sünder und Verbrecher ihrer Kirche den Rücken gekehrt. zug auf die katholischen Christen ei- nen wichtigen Grund: (zit. u. a. von Guido Horst, „Mit brennender Sor- ge“, in: Vatican magazin, Heft 8 – 9, August/September 2019, S. 8): „Vie- le Christen haben die Orientierung verloren. Täglich erhalte ich von al- len Seiten Hilferufe von Menschen, die nicht mehr wissen, was sie glau- ben sollen. Täglich empfange ich in Rom entmutigte und verletzte Pries- ter. Die Kirche macht die Erfahrung einer dunklen Nacht, sie ist umhüllt und verblendet vom ‚Mysterium ini- quitatis‘, dem Geheimnis der Bosheit … Schon seit langem durchleben wir das Geheimnis des Judas. Was heute ans Tageslicht tritt, hat viele Gründe, die wir mutig und klar auf- zeigen müssen. Die Krise, in der sich der Klerus, die Kirche und die Welt befinden, ist eine zutiefst spirituelle Krise, eine Glaubenskrise. Wir erle- ben das Geheimnis der Bosheit, des Verrats – das Geheimnis des Judas.“ Und so wie es auf der einen Seite sein kann, dass wir dieses Teufels- werk leicht nehmen, uns ängstlich Judas hat Jesus verraten. zurücklehnen, keinen Mut zur Er- Heute gibt es Katholiken, die die Kirche Jesu verraten. neuerung aufbringen, die Hl. Schrift DER FELS 6/2020 165
für absurd: Dass sich der sog. „fort- Wer sich ganz und gar dem schrittliche Gläubige“ von der Kirche Zeitgeist verschreibt, ist ein fernhält, ist bestenfalls eine unbewie- armer Tropf. Die Innovations- sene Behauptung. Tatsächlich leiden sucht der ewigen Avantgarde hat etwas Kastrierendes.“ doch viele (auch) darunter, was sie auch freimütig sagen, dass wesentli- Weisheit Hans Magnus Enzensberger che Dinge aufgegeben worden sind, z. B. dass die Liturgie, sogar im Stärke Hochgebet, individuell von Priestern verändert wird, dass die Feier Gottesfurcht der Eucharistie Etwas Bornierteres als den Zeitgeist gibt es nicht. im Römischen Verstand Wer nur die Gegenwart kennt, Ritus bekämpft muss verblöden.“ wird und dass den Gläubigen Rat Hans Magnus Enzensberger viel „Firlefanz“ am Altar zuge- Frömmigkeit mutet wird. Und warum kommen solche Priester nicht auf die Idee, dass der Gottesdienst- Erkenntnis Besucher in einer Predigt zu Weih- Heil’ger Geist, wir bitten dich, Was ihr den Geist der Zei- gib uns allen gnädiglich ten heißt, Das ist im Grund nachten etwas von der Bedeutung der Menschwerdung Christi und zu Deiner Gaben Siebenzahl. der Herren eigner Geist, In dem die Zeiten sich bespie- Ostern über unsere Erlösung durch Christi Auferstehung hören will und Spende uns der Tugend Lohn, geln.“ lass uns stehn an deinem Thron, Johann Wolfgang von Goethe nichts zum Klimawandel oder über die Politik von Donald Trump? Kann uns erfreun im Himmelssaal. denn selbstkritisches Nachdenken nicht dazu führen, dass der jahrelange Der Durchschnitt der sonntäglichen Anpassungskurs zahlreicher Vertreter Kirche „die intellektuelle, doktrinäre Gottesdienst-Besucher liegt inzwi- der Kirche an die „Moderne“ schuld und moralische Verwirrung ist; es ist schen unter 10% in Deutschland und an ihrem Niedergang ist? Ist nicht der die Feigheit, die Wahrheit über Gott bis auf wenige Diözesen sind Tau- „Zeitgeist“ häufig willentlich an die und den Menschen zu verkünden fen, Erstkommunion und Firmung Stelle des Hl. Geistes getreten? und die moralischen und ethischen zurückgegangen, selbst kirchliche Werte der christlichen Tradition zu Bestattungen. Da kommt unseren verteidigen; es ist der Verlust des Gegnern natürlich sehr entgegen, 2.2 Falsche Antworten Glaubens, der Bedeutungsverlust der dass diejenigen, die heute auf der Ba- Objektivität des Glaubens und damit sis ihres katholischen Glaubens ihre Und genau hier liegt das Problem der Verlust des Sinnes für Gott.“ Der Überzeugungen an der Wahrheit ori- zahlreicher Hirten, Priester und Lai- moderne Mensch irre „wie in der zer- entieren und vertreten, in der öffent- en, deren Vertreter bis in die Spitzen störten Notre-Dame auf einem Trüm- lichen Meinung, aber auch aggressiv „in Reformen schwelgen“ (was sind merfeld herum. Ich bin tief verletzt, von innen heraus, gerne als Funda- eigentlich in der katholischen Kir- wenn ich so viele Hirten sehe, die die mentalisten oder Rechtsradikale be- che „Reformen“?), anstatt ehrlich katholische Lehre verramschen und schimpft werden, die sich daraufhin und gründlich nach den Ursachen Spaltung unter den Gläubigen erzeu- nicht selten aus dem politischen Le- des Glaubensabfalls und der Qua- gen. Bei den Medien auf Kosten der ben zurückziehen. lität der Katechese, Priesterausbil- Wahrheit beliebt werden zu wollen, Nun erwartet man natürlich bei dung oder Neuevangelisierung zu hieße, ‚das Werk des Judas zu tun‘ “. diesem empirisch erschreckenden fragen, zumal diese Fragen ja nicht Kardinal Sarah weist aber auch aus- Befund, dass es ernsthafte Überle- neu sind. Die Katechese hat doch drücklich darauf hin, dass Priester, gungen und seriöse Vorschläge zur meistens spätestens bei der Firmung Bischöfe und Kardinäle ohne Moral Verbesserung dieser Situation gibt. aufgehört. „in keiner Weise das strahlende Zeug- Aber bei der Präsentation der Zahlen nis der mehr als 400.000 Priester auf nannte dies auf einer Pressekonferenz Bei der Vorstellung seines Buches der Welt trüben, die dem Herrn täg- der DBK-Sekretär Hans Langendör- „Herr bleibe bei uns“ von Kardinal lich demütig dienen“. Dem möchte fer lediglich „besorgniserregend“, Sarah in Paris habe ich folgende klu- ich ausdrücklich zustimmen und da- verwies auf ein „wachsendes Miss- ge Darstellung gefunden (zit. nach rauf hinweisen, dass ich mich grund- trauen gegenüber der Kirche“ und Katrin Krisp-Schmidt in: „Die Tages- sätzlich pauschalen Verurteilungen auf den Wunsch der Gläubigen nach post“, 19. 06. 2019): Unter Bezugnah- widersetze und auch in diesem Bei- Veränderungen, z. B. durch Aktio- me auf die Verwüstung der Kathedra- trag jede Ausnahme bei kritischen nen wie „Maria 2.0“. Ich halte diese le Notre-Dame de Paris vertritt Sarah Anmerkungen dankbar mitdenke und Begründung für falsch, ja geradezu die Auffassung, dass das Feuer dieser öfter auch ausdrücklich erwähne. 166 DER FELS 6/2020
2.3 Zölibat 2.4 Frauenordination von Katholikinnen in der Diözese und Maria 2. 0 Münster, die in einer ungewöhnli- Im ersten Brief des Apostels Paulus chen Aktion Frauen in ganz Deutsch- an die Korinther heißt es: „Ich wün- In der Frage „Frauenordination“ land aufgerufen hat, eine Woche lang sche aber, dass ihr ohne Sorge wärt. gibt es eine Jahrhunderte alte Tradi- vom 12.-18. Mai 2019 unter dem Der Unverheiratete ist um die Sache tion und eine klare Position des Va- Motto „Maria 2.0“ in einen Kirchen- des Herrn besorgt, er will dem Herrn tikan mit einem unbestrittenen Grad streik zu treten. Diese Aktion wurde gefallen. Der Verheiratete dagegen der Verbindlichkeit, über den uns bundesweit befolgt und inzwischen ist um die Dinge der Welt besorgt, er Karl-Heinz Menke in seinem Buch in verschiedenen Variationen mehr- will seiner Frau gefallen, und so ist er „Sakramentalität – Wesen und Wun- fach wiederholt. Dabei stehen die geteilt“ (1 Kor 7, 32 – 34). Nach in- de des Katholizismus“, Auskunft Forderungen nach Abschaffung der tensiver Überprüfung der Verpflich- gibt. drei Ereignisse sind zur Klärung „monarchischen Alleinherrschaft der tung der Priester zur Ehelosigkeit ha- dieser Frage wichtig: Männer“, des „Pflichtzölibats“ und ben sich drei Welt-Bischofssynoden l Der 15. 10. 1976: Die römische ihr eigener „Anspruch zu allen Äm- mit dieser Frage befasst und jeweils Glaubenskongregation gibt eine tern in der Kirche“ immer im Vorder- mit großer Mehrheit für die Beibe- Erklärung „Inter insigniores“ grund. Eine der schlimmsten Entglei- haltung der priesterlichen Ehelosig- heraus, in der es heißt, dass sungen fand durch die katholische keit votiert. Außerdem ist der Zölibat „die Kirche sich aus Treue zum Fachschaft der Universität Freiburg kein Problem, sondern eine Aufgabe. Herrn nicht dazu berechtigt hält, statt, in der die Gottesmutter auf Pla- Und woher will denn eigentlich je- die Frauen zur Priesterweihe zu- katen als „Maria Vulva“ an Kirchen- mand wissen, dass ein Priester in der zulassen“. türen angenagelt wurde. Dieses Bild Ehe glücklicher geworden wäre oder l Der 15. 08. 1988: Papst Johannes sollte eine Maria zeigen, die nicht für umgekehrt, dass ein Priester, der am Paul II. bestätigt in seiner Enzy- Demut und Gehorsam steht, weil das Zölibat scheitert, nicht auch in der klika „Mulieres dignitatem“ die nicht mehr in die heutige Zeit passen Ehe gescheitert wäre? Und der be- Erklärung von 1976 und würde, sondern „für feministischen hauptete Zusammenhang zwischen l am 22.05.1994 gibt Papst Jo- Mut und Stärke“ (Badische Zeitung, sexuellem Missbrauch und Zölibat hannes Paul II. noch einmal eine 22. 05. 2019). Der Widerstand der ist bisher lediglich eine unbewiesene Erklärung „De sacerdotali ordi- Diözesanleitung war sehr zurückhal- Behauptung. natione viris tantum reservanda“ tend und der Unmut vieler Katholi- Papst Benedikt XVI. em. merkt zu heraus, in der er die Gläubigen ken nicht gering. diesem Thema im übrigen an, dass ermahnt, die Ablehnung der die Wurzeln der Missbrauchskrise Frauenordination als endgültig spiritueller Art seien. „Im letzten zu betrachten (S. 75). 2.5 Synodaler Weg liegt der Grund in der Abwesenheit Aber trotz der Haltung und dieser Gottes“ (Papst Benedikt XVI., em., Entscheidungen des Vatikans gab es Am 1. Dezember 2019 war der of- Ja, es gibt Sünde in der Kirche, S. in Deutschland Anfang des Jahres fizielle Beginn des Synodalen Weges. 38), sagt er. 2019 eine Bewegung, ausgegangen Die vier Foren, die die Unterlagen für die Synodal-Vollversammlungen vorbereiten und jeweils von einem Bischof und einem Laien geleitet werden, beschäftigen sich mit fol- genden Themen: Dem Untergang des Abend- l Macht und Gewaltenteilung in lands liegt eine kulturelle der Kirche – gemeinsame Teil- Krise und eine Identitätskrise zu- nahme und Teilhabe am Sen- grunde. Der Westen hat verges- dungsauftrag sen, wer er ist, weil er nicht mehr l priesterliche Existenz heute weiß – beziehungsweise nicht l Frauen in Diensten und Ämtern wissen will –, wer ihn so geformt in der Kirche und und begründet hat, wie er war l Leben in gelingenden Beziehun- und wie er ist … Diese Selbst- gen – Liebe leben in Sexualität vergessenheit führt zweifellos und Partnerschaft zu einer Dekadenz, welche neuen, barbarischen Zi- Am 29. Juni 2019 schrieb Papst vilisationen die Türen Franziskus einen Brief „An das pil- öffnet.“ gernde Volk Gottes in Deutschland“, Robert Kardinal Sarah in dem er seine Sorgen vor der „Zer- stückelung“ der Weltkirche zum Ausdruck brachte und vor der Versu- chung warnte, „nur eine Reform von Strukturen, Organisationen und Ver- waltung“ anzustreben. Ebenso warn- te er vor der Verweltlichung und dem DER FELS 6/2020 167
schäftsordnung wurde als wichtigster te durchgesetzt“ habe. Ob er gar nicht Punkt entschieden, dass es für alle in gemerkt hat, wie beleidigend dies für der Synodal-Vollversammlung ge- die ohnehin unerwünschte Minder- fassten Beschlüsse auch noch eine heit war, die er ja im Umkehrschluss weibliche Mehrheit braucht. Damit als „unvernünftig“ bezeichnet hat? gibt es also für Entscheidungen drei Aber wenn man sich als katholischer notwendige Mehrheiten: Mehrheit Bischof für Frauen- und Gender-Ge- der Vollversammlung, des ZdK und rechtigkeit in unserer Kirche einsetzt, der Frauen. Zur Eröffnung hatte ist das ja auch vielleicht viel interes- Kardinal Marx den Wunsch nach ei- santer, weil man dafür dann von der nem „wertschätzenden Dialog aller Theologischen Fakultät der Luzerner Teilnehmer“ gewünscht, den Kar- Universität eine Ehrendoktorwürde dinal Rainer Maria Woelki nach der verliehen bekommt. Dazu passt auch Versammlung mit der Anmerkung die uns geschenkte Weisheit, dass Je- kommentierte, dass Macht ausge- sus Christus Mensch und nicht Mann übt worden sei, denn nicht alle, geworden sei. Welcher Geschlechter- die es gewünscht hatten, hätten art der beschnittene Jude Jesus dann Rederecht erhalten. In einem aber war, sagt er nicht. Rundfunk-Interview hatte er zusätzlich bemerkt: „Es sind eigentlich alle meine Befürch- tungen eingetreten.“ Er bemän- gelte „theologische Defizite“ vie- 3 Verhalten in Zeiten der Corona-Pandemie ler Teilnehmer, „die hierarchische Man hat insgesamt den Eindruck, Verfasstheit der Kirche sei infrage dass ein Großteil unserer Bischöfe gestellt worden“, und er hätte vom die Zeichen der Zeit, d. h. die tat- Verlauf den Eindruck gehabt, dass sächliche Situation der katholischen eine „Art protestantisches Kirchen- Kirche in Deutschland, immer noch parlament installiert worden sei“ (In- nicht erkannt hat oder nicht erken- terview mit dem Kölner Domradio, nen will. Die zentralen Themen sind 01. 02. 2019). Bischof Hanke und an- nicht Machtfragen, Zölibat, Frau- dere Bischöfe hatten zu Beginn den enordination oder Mega-Pfarreien, Antrag eingebracht, dass Vorschläge sondern Glaubensverlust, Neuevan- aus den Foren, die der Lehre der Kir- gelisierung, Priesterausbildung und che widersprechen, in den Vollver- Katechese. Aber stattdessen gibt es sammlungen nicht diskutiert werden, Uneinigkeit in Gender-Fragen, zur was mit großer Mehrheit ebenso ab- „Ehe für alle“ wird geschwiegen, gelehnt wurde wie der dann von den die Bildung von Diversity-Referaten Bischöfen Hanke, Woelki, Voderhol- in den Diözesen nimmt zu, und die zer, Oster und Ipolt vorgelegte Alter- Gläubigen warten weiterhin vergeb- nativantrag, dass aus den Foren nur lich auf eine deutliche Unterstützung Zeitgeist und verwies stattdessen „einmütig beschlossene Vorlagen in für Fragen des Lebensschutzes sowie auf den Vorrang von Gebet, Buße, die Vollversammlung gelangen soll- der Ehe und Familie. Natürlich gibt Anbetung und den Primat der Evan- ten (mit Zulassung eines Minderhei- es auch hierbei rühmliche Ausnah- gelisierung. Die Themen der vier tenvetos von vier Mitgliedern) und men. Foren wurden aber von den Synoda- Vorlagen nicht erlaubt seien, die der Besonders nachdenklich hat mich len nicht verändert, obwohl Kardinal kirchlichen Lehre widersprechen“. die Stellungnahme der DBK zum Woelki und Bischof Voderholzer als Diesen Antrag lehnten 87% der Dele- 75. Jahrestag des Endes des Zwei- wichtigste Themen für den Synoda- gierten ebenfalls ab. Diese mit großer ten Weltkrieges am 8. Mai 1945 len Weg Evangelisierung, Berufung Mehrheit vertretene Auffassung von („Deutsche Bischöfe im Weltkrieg“) der Laien, Katechese und Berufungs- Bischöfen, Priestern und Laien ist gemacht. Darin erheben sie den Vor- pastoral vorgeschlagen und sich auch eine entscheidende Positionsfestle- wurf an ihre Vorgänger, „den Verbre- gegen die gleichwertige Stellung gung, die den Spaltpilz in sich trägt. chen des NS-Regimes im Zweiten der ZdK-Mitglieder einschließlich Das spielte aber für die Teilnehmer Weltkrieg nicht energisch genug wi- letztem Stimmrecht gewandt hatten. keine Rolle, denn stattdessen be- dersprochen zu haben“. Erst am 19. Außerdem sei z. B. die Frauenordi- tonten mehrere Bischöfe und Laien, August 1943 hätten die damaligen nation lehramtlich längst geklärt und dass „der Geist des Miteinanders po- Bischöfe öffentlich damit kein Thema für den Synodalen sitiv und ermutigend“ war, während l „die Bindung der staatlichen Ord- Weg. Bischof Bode aus Osnabrück sogar nung an Wahrheit und göttliches Die erste Synodal-Vollversamm- zusammenfasste, dass das Treffen Recht lung fand vom 30. Januar bis 1. Fe- eine „großartige Zukunftswerkstatt l den Schutz von Ehe und Familie bruar 2020 in Frankfurt statt. Nach gewesen“ sei und sich bei Abstim- l die Rückbindung des Gehorsams einem langen Kampf um die Ge- mungen „immer die vernünftige Mit- an das Gewissen 168 DER FELS 6/2020
l das bedingungslose Recht auf Le- ben und l den Schutz des Eigentums“ 4 Ausblick eingeklagt (Kath.de, 29. 04. 2020). Für uns bleibt trotz aller Irrungen und Verwirrungen ein versöhnlicher Das sagt die heutige DBK, deren Ausblick: Es gibt so viel Zusiche- langjähriger Vorsitzender das Zei- rungen von Jesus Christus, dass wir chen unseres Glaubens, sein Kreuz, uns nicht enttäuscht zurückziehen auf dem Tempelberg in Jerusalem dürfen, sondern uns mutig bekennen abgenommen hat. Das sagen Bi- müssen. schöfe, die in der Aufarbeitung des Hat Christus nicht gesagt: „Du sexuellen Missbrauchs in der Kirche bist Petrus und auf diesen Felsen jahrelang auf Verzögerung gesetzt werde ich meine Kirche bauen, und haben und das sagen dieselben, die die Pforten der Hölle werden sie keine Stellungnahmen zum „Gender nicht überwältigen“ (Mt 16, Mainstreaming“ oder zur „Ehe für 18)? Und hat er uns nicht auch alle“ abgegeben haben, weil sie dem zugesagt: „Seht, ich bin bei Staat nicht widersprechen wollten? euch alle Tage bis ans Ende Und in der Anfangszeit der Corona- der Welt“ (Mt 28,20)? Pandemie haben einige Bischöfe Weil es heute so viel Got- schon in vorauseilendem Gehorsam tesferne und Gottesfeindschaft ihre Kirchen für öffentliche Gottes- gibt, müssen wir wie Sauerteig dienste vor dem gesetzten Termin sein, eine kleine Pflanze, die der staatlichen Anordnung geschlos- wächst, der „heilige Rest“, wie sen und nachdem diese Gottesdiens- Jesaja sagt (28, 5 – 22). Wir sind eine te generell wieder ab 4. Mai erlaubt „kleine Herde!“ geworden, die oft waren, haben die Bischöfe variabel im Verborgenen wirkt. Im Zentrum reagiert (schon vorher vom 20. 04. steht die Bereitschaft, die Wahrheit über den 04. 05. (in Würzburg ohne nicht zu verleugnen, d.h. entschie- Kommunion) und 10. 05. (Hamburg, den für Jesus Christus einzutreten. Hildesheim und Bamberg) bis zu Die bekannte Verheißung aus dem solchen, die „bis auf weiteres keine Matthäus-Evangelium lautet: „Wo öffentlichen Gottesdienste“ erlau- zwei oder drei in meinem Namen ben (Magdeburg und Osnabrück). versammelt sind, da bin ich mitten Vorher haben sie die Gläubigen von unter ihnen“ (Mt 18,20). Also: klei- der Sonntagspflicht entbunden, sogar ne Zellen bilden, die Papst Benedikt von der Teilnahme an „gestreamten XVI. em. „kreative Minderheiten“ Messfeiern“ und haben sich nicht nennt: Familien, Familienkreise, einmal für eine Ausnahme an Os- neue geistliche Gemeinschaften, tern eingesetzt, um das „Triduum Gebetskreise, religiöse Bewegungen sanctum“ feiern zu können, natürlich und Ausbildung von Katecheten. unter Akzeptanz der Auflagen zur ge- Ihre Arbeit hat nicht nur mit Eifer, Begeisterung vieler junger Teilneh- sundheitlichen Sicherheit aller Teil- sondern auch mit Demut zu tun, was mer an Nightfever oder an die Glau- nehmer. Ihr Sicherheitskonzept zur bedeutet, auch sagen zu können: bensfreude von jungen Menschen Beratung mit der Bundesregierung „Herr, da hört meine Kraft auf, den aus vielen Ländern der Erde an den hätten sie schon vor und nicht erst Rest überlasse ich Dir“. Weltjugendtagen. Hier ist die klei- nach Ostern vorlegen müssen. Und das Wirksam-Werden der ne Pflanze, die wächst, der „heilige Wer eine solche passive Haltung „kleinen Herde“ beginnt oft im Ge- Rest“, von dem Jesaja spricht. Und gegenüber dem Staat in Friedenszei- bet. Der Beter ist meistens unsicht- wir wollen intensiv dafür beten und ten in einer Demokratie einnimmt, bar, wie eine Wurzel, die man nicht arbeiten, dass wir diesem „heiligen der wäre gut beraten, wenn er sich in sieht, aber ohne die es keine Blüten Rest“ treu bleiben. Gerade in der seiner Kritik über das Verhalten von gibt, die es dann später zu bewun- jetzigen Corona-Pandemie müssen Menschen in einer Diktatur unter dern gibt. Und aus dem Unsichtba- wir auf den Anruf Gottes hören und Missachtung aller rechtsstaatlichen ren wachsen oft sichtbare Erfolge. bereit sein, einen Weg der Umkehr Prinzipien mit brutaler Folter und Ich denke z.B. an die jährlich stei- einzuschlagen. q Massen-Morden zurückhalten wür- genden Zahlen beim „Marsch für das de. Und gab es nicht auch mutige Bi- Leben“, den gewachsenen Kampf schöfe, z. B. Kardinal Graf von Ga- der Eltern gegen die sog. „sexuel- len, und viele Priester, die sich zum le Vielfalt“ in Kitas und Schulen, Gekürzte Fassung des Referates Kreuz und zu ihrer Kirche bekannt an die steigenden Beratungszahlen für den Kongress 2020 „Freude am haben und für ihr Bekenntnis zum in den Organisationen des Lebens- Glauben“ des Forums Deutscher Ka- Glauben in den Tod gegangen sind? schutzes, die zahlreichen geistlichen tholiken, der aufgrund der Corona Waren diese Opfer nicht Märtyrer? Gemeinschaften, an die spirituelle Verordnungen nicht stattfinden kann. DER FELS 6/2020 169
Jürgen Liminski: Der Geist von Notre Dame Über die geistige Verfassung Europas nach Corona / Ein Essay An Corona scheiden sich die Geister. Oder sollte man besser sagen: Die Virus-Krise macht Der Vorfall drang zum Pariser Erzbischof Michel Aupetit. Der erin- nerte Tage später im Sender „Radio sagt wird, ließ nichts von sich hören. Unter den Katholiken Frankreichs wurde der Vorfall als das registriert, die geschiedenen Geister sichtbar? Notre-Dame“ an das „formelle Ver- was er war: Eine Machtdemonstra- Besonders deutlich wird es in Frank- bot für die Polizei, eine Kirche mit tion der Laizisten. Die Bischofskon- reich. Dort herrschte bis Mitte Mai Waffen zu betreten“. Es gelte, auch ferenz und einige Laienverbände lie- eine strikte Ausgangssperre und während der Corona-Krise einen ßen nicht locker und klagten vor dem selbst Gottesdienste waren verbo- „kühlen Kopf“ zu bewahren und die Staatsrat, eine Institution, die über ten. Während man in den Banlieues Trennung von Kirche und Staat zu die Verfassung wacht. Der Staats- nicht so genau hinschaute, um Eska- respektieren. „Sonst werden wir laut, rat entschied, dass die Maßnahmen lationen mit Islamisten und Jugendli- (...) sehr laut“, so Aupetit. Auf Anfra-gegen Religionsgemeinschaften mit chen zu vermeiden, was „von oben“ ge des „Le Figaro“ stellte die Erzdi- dem Beginn der Lockerungen nicht auch so angeordnet wurde, gab man özese klar, dass private Gottesdienste mehr verhältnismäßig seien und dass sich bei der katholischen Kirche be- erlaubt seien. Sie müssten nicht öf- die Religionsfreiheit nicht in diesem sonders streng. Ende April stürm- fentlich hinter verschlossenen Tü- Maße eingeschränkt werden dürfe. ten bewaffnete Polizisten einen ren gefeiert werden. Die Es war ein Sieg der Gläubigen. Gottesdienst in der Kirche Anwesenheit eini- Aber diese Machtdemonstration Saint-Andre-de-l‘Europe ger Helfer für diezeigte wie bei einem Wetterleuchten im achten Arrondis- Übertragung in in dunkler Nacht auf, wie es um die sement in Paris und Sozialen Me- geistige Polarisierung in Frankreich forderten die Hand- dien sei nicht bestellt ist. Corona machte es mög- voll Gläubigen lich. Beschrieben hat diese Ambiva- auf, die Messfeier lenz freilich schon vor knapp hun- zu beenden. Der dert Jahren – der Laizismus wütete Priester erzählte in Frankreich und in Spani- später dem „Figa- S. S. Michel Aupetit, en – der spanische Kultur- ro“: „Wir waren zu Erzbischof von Paris philosoph Ortega y Gasset. siebt, ein Messdie- In einem Aufsatz über „La ner, ein Sänger, ein profundidad de Francia“ aus Organist, drei Gemein- dem Jahre 1927, der später demitglieder und ich. Die in der Zeitschrift El Espectador er- Laien lasen die Fürbitten und mit einer Versammlung schien (1930) heißt es: „Keine Nati- Lesungen vor.“ Die Messe wurde oder einem Treffen gleichzuset- on ist so katholisch, keine so antikle- wie üblich am Sonntag für die Ge- zen. rikal. An den Kreuzwegen steht ein meinde über die Sozialen Medien Der Vorsitzende der Französischen Kruzifix, Frankreich ist eine katho- übertragen. „Mitten in der Messe Bischofskonferenz, Eric de Moulins- lische Nation. Auf dem Marktplatz drangen drei bewaffnete Polizisten Beaufort, hatte Mitte März angeord- einer Provinzstadt aber, man nehme in die Kirche ein“, so der Geistliche. net, dass während der Corona-Krise beispielsweise Tarbes, stößt man auf Er erinnerte sie an die Gesetzeslage, keine Messen mit „großen Gemein- ein Denkmal. Vom Sockel ragt ein nach der außer der Feuerwehr Amts- den“ gefeiert werden dürften. Die kraftvoller Mann empor, er schwenkt personen erst nach Aufforderung Regeln zur Ausgangssperre in Frank- die bronzenen Arme in rhetorischer durch den Pfarrer eintreten dürften. reich erlauben Gläubigen, sich allein Gebärde: Es ist Danton. Frankreich Die Polizisten forderten den Priester für das Gebet in eine Kirche zu be- ist eine revolutionäre Nation, ist ra- dennoch auf, die Messe zu beenden; geben. Auch Beisetzungen mit bis tionalistisch, antikatholisch. Beide seine Weigerung nahmen sie zu Pro- zu zehn Personen sind erlaubt. Das Beurteilungen treffen zu und sind zu- tokoll und verhängten eine Strafe. Elysee aber schwieg. Auch Innen- gleich unvereinbar.“ Die Beamten verlangten zudem, dass minister Christophe Castaner, dem Ortegas Analyse des Nachbarlan- drei Gemeindemitglieder die Kirche sowieso keine sonderliche Nähe zur des erlebt heute auch eine neue Be- verlassen. Ihre Drohung: „Sonst wer- Kirche oder überhaupt zu Glaubens- stätigung im Streit um Notre Dame, den wir laut.“ fragen außerhalb der Politik nachge- jenem französischen Nationalsymbol 170 DER FELS 6/2020
und Mutterkirche, die im April 2019 ein Freimaurer und Laizist, eher den Abstandsgebote – verlangsamen den lichterloh brannte, die ganze Welt in historisch-musealen Gedanken zu- Prozess merklich. Es ist zweifelhaft, einen Schock versetzte und nun re- neigt als den spirituellen. Zwar hat ob diese Phase wie vorgesehen bis pariert werden soll. Die einen wollen er die Hilfe des Staates für die Res- Ende des Jahres abgeschlossen wer- aus der verletzten Seele der katholi- tauration von Notre Dame zugesagt. den kann. Erst dann aber lässt sich schen Nation ein Museum machen, Aber für ihn haben die Kathedralen mit Gewissheit sagen, ob die Statik die anderen aus dem Kulturdenkmal und Kruzifixe eigentlich nur symbo- des Gesamtgebäudes intakt geblieben des vergangenen Jahrtausends ein lischen Wert. Er hält an seinem Ziel ist und ob man wie vorgesehen an die wiederbelebtes, schlagendes Herz fest, in fünf Jahren, also bis zu den nächste Phase herangehen kann. „Die des Glaubens. Beides ist Frankreich. Olympischen Spielen 2024, die Ar- Zeit ist der Baumeister, das Volk der Und auch, dass dieser Streit in den beiten beenden zu wollen. Das ist ein Maurer“, schrieb der französische Feuilletons französischer Medien kühnes Versprechen, an das niemand Dichterfürst Victor Hugo einst über mit bekenntnisfroher Leidenschaft wirklich glaubt. Zum einen ist nicht die Kathedrale, der er mit seinem und kartesianischer Ratio geführt sicher, ob er dann noch an der Spit- Glöckner von Notre Dame selbst ein wird. Der Rektor der Kathedrale, ze Frankreichs steht, die nächsten ewiges literarisches Denkmal setzte. Mgr. Patrick Chauvet, früher Gene- Präsidentschaftswahlen sind im Mai Der Streit um die Zukunft des Jahr- ralvikar der Erzdiözese, schreibt im 2022. Zum anderen sind die Arbei- tausendwerks ist noch lange nicht Wochenmagazin Valeurs Actuelles: ten durch die Corona-Krise deutlich beendet. Er zeigt aber an, dass sich „Die Wirtschaft ist an die Stelle der ins Stocken geraten. Sie werden jetzt an ihm eine säkuläre Diskussion für Menschenwürde getreten. Wir brau- wieder aufgenommen. Aber die Be- ganz Europa entzündet hat, geradezu chen eine Umkehr. Es ist notwendig, schränkungen gerade bei der jetzi- sichtbar an dem Kran, dem größten den Menschen wieder in die Mitte, gen Bauphase – Demontierung des Europas, der über der dachlosen Be- ins Herz der göttlichen Schöpfung zu Gerüstes unter Einhaltung der neuen hausung des Glaubens schwebt. Der setzen.“ Dafür stehe dieses Bauwerk und seine Restaurierung. Die mit der Reparatur befassten Baumeister und Architekten sehen das anders. Sie wollen, wie der Ar- Derzeit in Deutschland geltende Konkordate chitekt Jean-Marie Duthilleul, in der Kathedrale einen Ort schaffen, an Bayerisches Konkordat vom 29. März 1924 dem sich das Volk versammelt, um Preußenkonkordat vom 14. Juni 1929 sich selbst und seine Gemeinschaft Badisches Konkordat vom 12. Oktober 1932 zu feiern. Notre Dame de Paris spre- che zur Welt als Zeichen für den Reichskonkordat vom 20. Juli 1933 „Moment, als zwischen dem 12. und Vertrag des Landes Hessen mit den katholischen Bistümern in 13. Jahrhundert die Christen die Be- Hessen vom 9. März 1963 ziehung des Menschen zu Gott neu durchdachten“. Diese Symbolkraft Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Lande solle nicht nur in der Restauration, Niedersachsen vom 26. Februar 1965 sondern auch in einer Neuordnung Ergänzungsvertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land des gesamten Ambientes – Platz, Nordrhein-Westfalen vom 26. März 1984 Garten, Stadtviertel – künstlerisch (Besonderheit s. Artikel X zur möglichen Öffnungsklausel) und architektonisch Ausdruck finden. An solch einem Ort hätten natür- Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat lich auch Touristen den Platz eines Sachsen vom 2. Juli 1996 Augenblicks. Sie stehen bei dem His- Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat toriker und Experten für abendländi- Thüringen vom 11. Juni 1997 sche Symbolik Michel Pastoureau im Mittelpunkt. Er schlägt als „Lö- Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land sung des geringsten Übels“ vor, die Mecklenburg-Vorpommern vom 15. September 1997 Kathedrale zu entsakralisieren und Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land Sachsen- in ein Museum zu verwandeln. Das Anhalt vom 15. Januar 1998 würde den Gegensatz zwischen foto- grafierenden Touristen und betenden Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land Gläubigen beenden, jenes unwürdige Brandenburg vom 12. November 2003 Schauspiel, das vor dem Brand Alltag Vertrag zwischen der Freien Hansestadt Bremen und dem war in der Kathedrale. Und es würde Heiligen Stuhl vom 21. November 2003 dem Jahrtausendbauwerk angesichts rückläufiger Gläubigenzahlen einen Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und der Freien und dauerhaften Platz in der Geschichte Hansestadt Hamburg vom 29. November 2005 Frankreichs sichern. Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land Man kann davon ausgehen, dass Schleswig-Holstein vom 12. Januar 2009 Staatspräsident Emmanuel Macron, DER FELS 6/2020 171
Erzbischof von Paris, Michel Aupetit, Glauben versus Skeptizismus, das zent, deren Glauben durch die Krise formuliert es in seinem Feuilleton- ist eine europäische, ja abendländi- vertieft wurde. Beitrag für „La Croix“ so: „Vor allen sche Diskussion. Die Krise bringt Und Deutschland? Hier lagen An- Dingen ist die Kathedrale ein Haus sie erneut zutage. Sie hat nicht nur fang Mai noch keine zuverlässigen des Gebetes für alle Völker, und der in Frankreich zu einem bewussteren Zahlen vor. Allerdings gab es auch Bischof, der hier seinen Sitz hat, Glauben geführt, auch in dem am unter den Christen in Deutschland muss ein Diener der Einheit der Men- stärksten von dem Virus getroffenen unterschiedliche Meinungen, wie es schen aller Rassen, Sprachen, und Land, den Vereinigten Staaten von sich denn mit dem Grundrecht auf Nationen sein.“ Das sei eine Einheit Amerika, hat die Krise dazu geführt, Religionsfreiheit und Religionsaus- des Geistes, nicht der „Touristenmas- dass die gläubigen Menschen wieder übung verhalte. Dabei traten auch se“, die der Unterhaltungsindustrie mehr beten und Halt im Glauben su- erstaunlich staatsgläubige Ansichten und dem Reich des Konsums diene. chen. Eine Studie des Umfrage-For- zutage. Kanzleramt und auch die Hier knüpft er vielleicht unbewusst schungsinstituts PEW-Research be- meisten Länderchefs meinten, diese an die Gedankenkette Ortegas an, ziffert den Zuwachs auf 35 Prozent. Frage müsse von Berlin entschie- die der Spanier in seinem „Aufstand So viele Christen geben an, dass den werden. Es war der nordrhein- der Massen“ schon entfaltete und in die Krise ihren Glauben intensiviert westfälische Regierungschef Armin dem eingangs zitierten Essay in den habe. Besonders stark ist der Effekt Laschet, der seine Amtskollegen und Satz bündelte: „Der Katholizismus in bei Afro-Amerikanern mit 56 Pro- die Kanzlerin darauf hinwies, dass Frankreich war und ist eine großarti- zent. Aufgeschlüsselt nach Konfes- die Konkordate mit den Ländern und ge Kraft, doch nicht minder kraftvoll sionen ergibt sich: Bei Protestanten nicht mit dem Bund abgeschlossen ist sein scharfer Skeptizismus.“ sind es 38, bei Katholiken 27 Pro- worden seien (siehe Kasten) und dass NRW deshalb im März nur mit der Bitte an die Kirchen herange- treten sei, eine Selbstverpflichtung vorzunehmen und die Vorschriften aus der Runde der Ministerpräsiden- ten mit der Kanzlerin als dringende Empfehlungen zu betrachten. Was die Kirchen auch taten. Und was ihnen die Möglichkeit eröff- nete, auch selbständig den Zeitpunkt für Gottesdiens- te zu bestimmen. So gab es ab dem 1. Mai bereits öffentlich zugängliche Heilige Messen. Erstaunlich ist aller- dings, wie klaglos und nahezu unterwürfig die meisten Diözesen sich dem Diktat in den übrigen Ländern beugten. Außer in Köln wurde nur in Regensburg noch Kritik laut. Besonders befremdlich ist das von manchen Bischöfen bis weit in den Mai hinein ausgesprochene Verbot, öffentlich Messen zu lesen. So als ob die Gesundheit, nicht der Glaube und die Beziehung zu Gott das höchste Gut für den Menschen wäre und das Motto der Kirche in Deutschland lau- te: Gesund sterben um wohlbehalten Wohnung zu nehmen im Paradies. Es blieb dem Protestanten und Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble vorbehalten, darauf hinzu- weisen, dass noch nicht einmal das Grundgesetz das gesunde Leben als absoluten Wert sehe. Absolut sei nur die Würde. Dafür wurde er von laizis- tischen Blättern wie der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung auch gescholten, der Ton war geradezu 172 DER FELS 6/2020
empört. Die Würde allerdings ist für Lebensrettung für alte Co- Christen nur deshalb absolut, weil sie rona-Patienten hingewiesen in Gott gründet, denn der Würde des und seine Parteifreunde ihn Menschen kommt nur als Ebenbild deswegen als lebens- und Gottes dieser Absolutheitsanspruch menschenfeindlich bezeichnet. zu. Das gleiche Argument wurde Glaubensfragen sind Lebens- übrigens in der Abtreibungsdebatte fragen. Die Corona-Krise macht es von Schäuble verworfen. Aber der erneut deutlich. Man kann aber da- Zusammenhang ist evident und seine von ausgehen, dass Lebensrecht und zur Pilgerschaft des Lebens aufruft. Verneinung erstaunlich. Robin Ale- Lebensschutz nicht für alle gleicher- Sie muss der Ort sein, zu dem der xander schreibt dazu in der WELT: maßen gilt. Die grüne Klientel ist Mensch kommt vor das Angesicht „Gerade wer die Meinung teilt, dass eben gleicher als andere – solange des Herrn – um dort zu trinken am Leben ein absoluter Wert ist, staunt man lebt. Wirkliche Gleichheit gibt Wasser des Lebens.“ in diesen Tagen. Er hat plötzlich es nur vor Gott. Menschenwürde ist Die Restauration von Notre Dame überall Mitstreiter! Neulich, als das weder von der Wirtschaft noch von hat symbolischen Wert für den Wie- Bundesverfassungsgericht das Ver- der Politik zu ersetzen, weder vom deraufbau Europas nach Corona. bot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe Kapitalismus noch vom Liberalismus Nicht nur, weil das neue Europa kippte, hatte man gar nichts von ih- oder Kommunismus. In diesem Sinn sich zwischen China und den USA, nen gehört. Auch fanden es viele im steht die Diskussion um Notre Dame zwischen Diktatur und freier Welt Bundestag richtig, dass ein Bluttest nicht nur für eine Jahrhundertdiskus- wird entscheiden müssen, was die von den Krankenkassen bezahlt wird, sion, sondern für einen, wenn man so Bundeskanzlerin in ihrer Schwär- mit dem Kinder mit Trisomie 21 vor will, ewigen Streit unter den Men- merei für das Modell der modernen der Geburt aufgespürt werden. Eine schen und im Menschen selbst. Sie asiatischen Diktatur nicht will, wozu Mehrheit möchte sogar das Werbe- weist den Weg. Der Erzbischof von Deutschland aber von Frankreich und verbot für Abtreibungen kippen. Paris formuliert es, fast hymnisch, den anderen gedrängt werden wird. Christliche Aktivisten, die jährlich so: „Der Glaube wird nur bewahrt, Nein, Europa wird auch die Weichen 100.000 Schwangerschaftsabbrüche indem man ihn sucht und vertieft, der geistigen Verfassung neu justie- für eine Tragödie halten, trauen sich der Unglaube dagegen muss sich der ren müssen. Wird Europa seine Seele nur einmal im Jahr zur Demo ins Re- Anfrage nach Sinn, der tiefsten Sehn- bewahren, den Glauben an Christus gierungsviertel und werden dabei von sucht des Menschen, stellen. Wie und neu entdecken und bezeugen? Oder Gegendemonstranten verhöhnt und wofür also muss die Kathedrale für wird es zu einem Museum und die bespuckt. In diesem Jahr sollten sie das 21. Jahrhundert beschaffen sein? Menschen zu katholischen Trocken- vielleicht T-Shirts tragen: „Ich war So wie immer, für das Ziel von im- früchten, saftlos und schwer ver- schon für Lebensschutz, als es noch mer: Für das Lob Gottes und das Heil daubar? An diese Wegscheide nach nicht cool war.“ Alexander hatte die der Menschen. Sie muss dieser, ihrer Corona denken in Berlin und Brüssel Kritik aus den Reihen der Grünen Bestimmung treu bleiben, sonst ver- vermutlich nur wenig Politiker. Aber an der Äußerung des Tübinger OB liert sie ihre Seele. Sie muss die ge- ohne einen neuen Geist, ohne den Boris Palmer, ebenfalls ein Grüner, heimnisvolle Behausung der Präsenz Geist von Notre Dame, wird das An- aufgegriffen. Palmer hatte auf die Gottes auf Erden bleiben, die jeden gesicht der Erde nicht erneuert. q DER FELS 6/2020 173
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