Katholisches Wort in die Zeit - Der Fels

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Katholisches Wort in die Zeit - Der Fels
Erinnerung und Verpflichtung
                                  Der „Fels“ ist 50 geworden                     163

                                  Prof. Dr. Werner Münch:
                                  Wachsende Sehnsucht nach
                                  Klarheit in der Kirche                         165

                                  Pfarrer Dr. Richard Kocher:
                                  Keine Nebenkriegsschauplätze –
                                  Gott wieder in den Mittelpunkt stellen         178

Katholisches Wort in die Zeit                          51. Jahr Juni 2020

   DER FELS 6/2020                                                         161
Katholisches Wort in die Zeit - Der Fels
Liebe Leser,                         dert? Man könnte die Entwick-
                                                                                                  lung mit statistischen Zahlen
                                                             wir erinnern mit dieser Felsaus-     dokumentieren, z.B. an Hand der
                                                             gabe an die Gründung unserer         Kirchenaustritte, am Rückgang
                                                             Zeitschrift vor 50 Jahren. Der       der Priester- und Ordensberufe,
                                                             „Fels“ ist 50 geworden. Was Pa-      am verlorenen Bußsakrament,
                                                             ter Gerhard Hermes SAC und           am immer mehr verschwinden-
                                                             seine Mitstreiter bewogen hat,       den religiösen Wissen, etc.. Der
                                                                                                  derzeitige Zustand der Kirche
 INHALT                                                      diese Zeitschrift zu gründen,
                                                             kommt im Vorwort, das er der         in Deutschland spiegelt sich im
                                                             ersten Ausgabe vorangestellt         „Synodalen Weg“ wider. Auf der
                                                             hat, zum Ausdruck. Der Grund         ersten Sitzung in Frankfurt am
 Erinnerung und Verpflichtung
 Der „Fels“ ist 50 geworden .................. 163           war die Entwicklung, die die Kir-    Main wurde mit überwältigender
                                                             che nach dem 2. Vatikanischen        Mehrheit beschlossen, selbst die
 Prof. Dr. Werner Münch:                                     Konzil genommen hat. Das Kon-        Lehre der Kirche zur Disposition
 Wachsende Sehnsucht nach                                    zil selbst war nicht die Ursache     zu stellen. Nur fünf der anwesen-
 Klarheit in der Kirche ........................... 165      davon, sondern die bewusste          den Diözesanbischöfe stimmten
                                                             Fehlinterpretation und ein falsch    dagegen. Die Themen des „Syno-
 Jürgen Liminski:                                            verstandenes      Aggiornamento      dalen Weges“ sind die bekannten
 Der Geist von Notre Dame .................. 170             („Verheutigung“).                    Nebenkriegsschauplätze, wie Zö-
                                                             War das Konzil notwendig?            libat, Frauendiakonat, Sexualmo-
 Prof. Dr. Hubert Gindert:                                   Joseph Ratzinger hat schon Ende      ral der Kirche usw., die den Weg
 Licht bringen in die Dunkelheiten ........ 174
                                                             1958 die Situation der Kirche        zu einer an die Welt angepassten
 Diakon Raymund Fobes:                                       richtig analysiert, als er sagte:    Kirche markieren. Es sind nicht
 Und doch ist Gott gegenwärtig............. 175              „Die Statistik täuscht. Das dem      Reformen, die Maß am Wort Jesu
                                                             Namen nach christliche Europa        nehmen: „Kehrt um und glaubt
 Dr. Eduard Werner:                                          ist seit langem zur Geburtsstätte    an das Evangelium!“ In den
 Bischöfe zur NS-Zeit . .......................... 176       eines neuen Heidentums gewor-        Pressemitteilungen von Bischof
                                                             den, das im Herzen der Kirche        Bätzing und des ZdK-Präsiden-
 Pfarrer Dr. Richard Kocher:                                 selbst unaufhaltsam wächst und       ten Sternberg vom 21.4.2020 zur
 Keine Nebenkriegsschauplätze –                              sie von innen heraus auszuhöh-       zweiten Sitzung des „Synodalen
 Gott wieder in den Mittelpunkt stellen ... 178              len droht.“ Joseph Ratzinger war     Weges“ heißt es u.a.: „Der ‚Syn-
                                                             nicht nur der Berater des Kölner     odale Weg‘ [hat] zu allererst die
 Dr. Eduard Werner:
                                                             Erzbischofs auf dem Konzil. Peter    Ermöglichung der Verkündigung
 Reformer und Wegbereiter in der Kirche:
 Unser lieber Oyaji ................................ 182     Seewald sagt in seiner Biogra-       des Evangeliums zum Ziel“ – Bi-
                                                             phie „dass Ratzingers Anteil am      schöfe wie Voderholzer und Wo-
 Pastoralreferent Alfons Zimmer:                             Konzil nicht marginal, sondern       elki sehen das anders – weiter …
 Rohe Kartoffel und Buttercremetorte . . 183                 riesig ist … an der Seite von Kar-   „Die Coronakrise fügt unseren
                                                             dinal Frings war er im Grunde        definierten Themen, die ihre vol-
 Heinz Froitzheim:                                           der maßgebliche Spin-Doktor des      le Bedeutung (!) behalten, eine
 Ein Koppelschloss als Zeit-Dokument .. 184                  Vaticanums“. Christian Schaller      neue Dimension hinzu.“ Eine
                                                             ergänzt … „Deshalb war sein          solche Kirche ist weder Orien-
 Ursula Zöller:                                              Engagement im Vorfeld des Kon-       tierung noch Korrektiv für die
 Der Tote von Stalingrad ...................... 186          zils während der Beratungen in       Gesellschaft, die in der „welt-
                                                             Rom und in der flankierenden         weiten Diktatur von scheinbar
 Prälat Ludwig Gschwind:
 Treffpunkt Krumbad ............................. 187        Vermittlung und nachfolgenden        humanistischen         Ideologien
                                                             intensiven Rezeption eines der be-   (steht), denen zu widersprechen,
 Auf dem Prüfstand ............................... 188       deutendsten innerhalb der theolo-    den Ausschluss aus dem gesell-
 Würdigung ........................................... 191   gischen und kirchlichen Wirklich-    schaftlichen Grundkonsens be-
                                                             keit“ (kath.net. 6.5.2020). Den      deutet“ (Benedikt XVI. kath.net.
                                                             Priestern und Ordensleuten, die      4.5.2020).
                                                             nach dem Konzil, als sie ihre Er-    Eine Gewissenserforschung und
 Impressum „Der Fels“ Juni 2020 Seite 191                    wartungen nicht erfüllt sahen, zu    Änderung des Lebensstils ist
 Redaktionsschluss ist jew. der 5. des Vormonats             Tausenden der Kirche den Rücken      für uns alle notwendig. Weil wir
                                                             kehrten, ging es nicht um die Um-    nicht wissen, ob das geschieht,
 Titelbild: Die Linzer Dreifaltigkeitssäule
                                                             setzung der Konzilsbeschlüsse,       ist die Aufgabe, die Pater Her-
 Von Thomas Ledl - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0,               sondern um Anpassung an die          mes vor 50 Jahren begonnen hat,
 commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=
 43218942; Ausschnitt: Von Gerhard Anzinger,                 Welt. Pater Hermes hat darüber       noch nicht vollendet.
 Wels - Eigenes Werk, Gemeinfrei, commons.                   nicht gejammert, sondern gehan-
 wikimedia.org/w/index.php?curid=3728009;                    delt und im „Fels“ den Auftrag
 Titelbeschreibung S. 190                                                                                Mit den besten Wünschen
                                                             der Kirche angemahnt.
 Foto- und Quellennachweise: Seite 189                       Was hat sich seit der Gründung                         aus Kaufering
                                                             des „Fels“ in der Kirche verän-                  Ihr Redaktionsteam

162                                                                                                           DER FELS 6/2020
Katholisches Wort in die Zeit - Der Fels
Erinnerung und Verpflichtung
                        Der „Fels“ ist 50 geworden

Am          1. Januar 1970 erschien
            die erste Ausgabe der
katholischen Monatszeitschrift „Der
                                         hatte Mut, er ließ sich vom Zeitgeist
                                         nicht verbiegen. Seine Wesenseigen-
                                         schaften werden mit hohen Geis-
                                                                                         darzulegen kaum mehr möglich war,
                                                                                         sah er den Zeitpunkt gekommen, ein
                                                                                         eigenes Organ zu gründen.
Fels“. Die Zeitschrift wurde von Bi-     tesgaben und wahrer Frömmigkeit
schof Rudolf Graber, Pater Gerhard       charakterisiert. Wie alle Reformer in              Pater Gerhard Hermes starb am
Hermes SAC und einigen Laien ge-         der Kirche war er ein großer Mari-              6. Februar 1988. In seinem Testa-
gründet. Sie wurde in Verbindung         enverehrer. Gerhard Hermes schrieb              ment schrieb er: „Es ist mein großer
mit der „Bewegung für Papst und          sieben Mysterienspiele. Er verfass-             Wunsch, dass Herr Froitzheim die
Kirche“ von Fritz von Haniel und         te Hymnen und Gedichte. Bevor er                Zeitschrift als Herausgeber und Re-
Pfarrer A. Kranz herausgegeben.          den „Fels“ mitbegründete, betreute              dakteur weiterführt“. Das geschah bis
                                         er von 1951 bis 1969 die Monats-                Ende Februar 1997. Danach übergab
   Pater Hermes war bis 1986 Chef-       zeitschrift „Der Rosenkranz“. Als in            Heinz Froitzheim die Verantwortung
redakteur der Zeitschrift. Nach einem    der Kirche „Euphorie und Verwir-                der Redaktion dem „Initiativkreis ka-
Herzinfarkt an Silvester 1984 trug die   rung, Kontestation und Verführung“              tholischer Laien und Priester in der
redaktionelle Hauptarbeit sein Mitar-    durch Um- und Missinterpretation                Diözese Augsburg“. Froitzheim ar-
beiter Heinz Froitzheim.                 des Zweiten Vatikanischen Konzils               beitete aber in der Redaktion bis zu
                                         „auf den Höhepunkt kamen“ und die               seinem Tod am 6. Dezember 2014
  Pater Hermes war das dritte von elf    Lehre der Kirche, wie sie z.B. in der           engagiert mit. Seine fachliche Kom-
Kindern, von denen vier den geistli-     Enzyklika „Humane Vitae“ enthal-                petenz, sein scharfer Verstand und
chen Stand wählten. Pater Hermes         ten ist, in kirchlichen Publikationen           die Fähigkeit, Vorgänge zu analysie-

                                         1970 gründete Pater Gerhard Hermes SAC die Zeitschrift „Der Fels“, die bald zu einem
                                         wichtigen Sprachrohr der konservativen deutschsprachigen Katholiken wurde. Heinz Froitz-
                                         heim arbeitete gerne aus Überzeugung in der Redaktion mit. Mit ihm und dem Medium „Der
                                         Fels“ wollte er Zeugnis für den katholischen Glauben ablegen und vom Glauben her die Ent-
                                         wicklungen in der deutschen Gesellschaft beleuchten. Als durch das Kirchenvolksbegehren
                                         unverzichtbare Elemente der katholischen Kirche in Frage gestellt wurden – er war inzwi-
                                         schen Chefredakteur – fand er im Initiativkreis katholischer Laien und Priester in der Diözese
                                         Augsburg den Kreis, der im Glauben und im gesellschaftlichen Engagement der Linie des Fels
                                         entsprach und mit dem er kooperieren wollte. Tatsächlich fand hier Froitzheim die volle Aner-
                                         kennung und Weiterführung seiner Lebensleistung. Schließlich legte er die Verantwortung für
                                         den Fels in die Hände von Prof. Dr. Hubert Gindert, Dr. Eduard Werner und Gerhard Stumpf.
                                         Sie konnten auf die Unterstützung von renommierten Persönlichkeiten aus dem Umfeld der
                                         Initativkreise und des Forums Deutscher Katholiken zählen.

DER FELS 6/2020                                                                                                                  163
Katholisches Wort in die Zeit - Der Fels
ren und zu beschreiben, sowie seine           – ins Licht oder in die Finsternis …           weis wird man sich schenken, einfach
menschlichen Qualitäten wurden von            Der heutige Mensch flüchtet – vor              deswegen, weil er nicht zu erbringen
allen Redaktionsmitgliedern hoch ge-          der Entscheidung in die Entwick-               ist … Unentbehrliches Fundament
schätzt. Seit März 1997 führt das neue        lung, vor dem Selbst in die Masse,             aller kirchlichen Einheit ist die ‚Una
Redaktionsteam des „Fels“ die Arbeit          vor dem Jetzt in die Zukunft, vor dem          fides‘: Die gesicherten Glaubenssätze.
im Geist von Pater Gerhard Hermes             Hier in den Kosmos. Aber am Felsen:            Wer davon abweicht, der spaltet, wer
und Heinz Froitzheim weiter.                  an Christus und seiner Wahrheit kann           davon abschneidet (secare), der ist
                                              keiner vorbei.                                 Sektierer. Wir jedenfalls stehen zum
   Im Vorwort zur ersten Ausgabe                 Entscheidung für Christus ist Ent-          Ganzen; dass es unversehrt erhalten
des „Fels“ legte Pater Gerhard Her-           scheidung für die Kirche, Entschei-            bleibe, ist unsere brennende Sorge.
mes dar, warum die Gründung der               dung für den Felsen, auf dem er sie               Wir werden uns Augen und Ohren
Zeitschrift notwendig war und was er          gegründet.                                     nicht verschließen lassen, auch nicht
als seine Aufgabe sah. Wichtige Pas-             Wir werden uns nicht scheuen,               durch ganze Fuhren von Schlagwör-
sagen daraus, werden hier in Erinne-          die Grenzen zwischen Wahrheit und              tern. Wir werden die Fakten nennen;
rung gerufen. Sie sind heute mindes-          Irrtum zu markieren, wo immer es               wenn nötig auch Namen.
tens so aktuell wie damals.                   möglich ist – mögen auch andere                   Natürlich wird man uns vorwer-
   „Im Namen Gottes des Dreieinen             ihre Pflicht vergessen. Man wird uns           fen, wir brächten Verwirrung in die
beginnen wir dieses Werk, das uns             lieblos nennen, selbstverständlich.            Reihen der Gläubigen. Kann der Vor-
aufgetragen ist. Die Gründung die-            Man wird uns als ‚Konservative‘ ver-           wurf noch ernst gemeint sein? Kann
ser Zeitschrift war notwendig. Ihre           lachen, natürlich. Aber der Spott fällt        die Verwirrung noch schlimmer wer-
Ankündigung hat bei Tausenden von             auf die Spötter zurück – als Anklage.          den, als sie schon ist?
Katholiken begeisterte Zustimmung             Conservare heißt bewahren; ist nicht,             Ein Wort zur Hoffnung auch: Wir
ausgelöst. Der ‚Fels‘ weiß sich der           was die Schrift hundertmal fordert,            sind weder Pessimisten noch Opti-
Wahrheit verpflichtet, nicht dem              dies: das Wort Gottes unverfälscht             misten. Wären wir das eine oder das
Trend.                                        zu bewahren und weiterzugeben von              andere, so könnten wir die Hände in
   Es ist Mode geworden, ‚demütig             Geschlecht zu Geschlecht?                      den Schoß legen. Wir sind Realis-
einzugestehen‘, dass auch wir die                Natürlich sind wir nicht nur kon-           ten: Wir wissen um die Verfallenheit
Wahrheit nicht besitzen. Seltsame             servativ. Niemand verlangt dringender          des Menschen, wir glauben aber an
Demut, die Gott widerspricht, der             nach Erneuerung als wir. Nur sollten           die Macht der Gnade. Wir setzen auf
uns auf seine Wahrheit verpflich-             auch die Monopolisten des Fortschritts         nichts anderes als Gott: Wir leben
tet. Besitzt die Kirche die Wahrheit          allmählich bemerkt haben, welcher              aus der Hoffnung.
nicht, dann war Christus Betrüger             Abgrund klafft zwischen technischem               Wir wollen niemand wegschicken,
oder Phantast.                                und geistigem Fortschritt.                     wir wollen sammeln. Aber sammeln
   Christus ist das ‚Zeichen des Wi-             Man wird uns der Spaltertätigkeit           mit Christus, zu seiner Wahrheit und
derspruchs‘, der ‚Eckstein‘, an dem           und des Sektierertums anklagen –               Liebe, denn wer nicht sammelt mit
der Strom der Geschichte sich teilt           auch darauf sind wir gefasst. Den Be-          ihm, der zerstreut.“               q

Jeweils die ersten Ausgaben des Fels (1970, 1988 1997) nach Übernahme der Redaktion lassen mit ihren Titelbildern die geistig-geistliche
Ausrichtung erkennen. Jesus Christus, der in der Vollmacht Gottes des Vaters lehrt und wirkt, wird durch die Kirche verkündet und von den
Getauften im Glauben angenommen. Er hat die Apostel berufen, mit ihnen die Kirche gegründet und die Apostel wie auch die ganze Kirche
zur Verkündung ausgesandt. Der Erzengel Michael steht der Kirche zur Seite, wenn sie von den Mächten der Unterwelt, von Satan und den
bösen Geistern bedroht wird.

164                                                                                                              DER FELS 6/2020
Katholisches Wort in die Zeit - Der Fels
Werner Münch:

                             Wachsende Sehnsucht
                           nach Klarheit in der Kirche

  1   Einführung ins Thema
                                          beiseite legen, die Tradition unserer
                                          Kirche vergessen, die Wahrheit belä-
                                          cheln und ignorieren und versuchen,
                                                                                  zunehmend Löwenmut verlangt“ (S.
                                                                                  191), wodurch sich natürlich auch
                                                                                  die Zahl der Berufungen vermindert.
   Wenn man seit Jahren häufig Vor-       einfach so weiterzumachen wie bisher       Wie sieht es also in und mit unse-
träge hält und mit vielen Menschen        in der Annahme, dass das häufige mit    rer Kirche aus?
aus verschiedenen Altersgruppen           viel Pathos vorgetragene Wort „Kri-
und Berufen spricht, dann spürt man
seit längerer Zeit bei zahlreichen
Teilnehmern eine Unsicherheit in
                                          se, Krise“ ausreicht, um seine Sorgen
                                          unter Beweis zu stellen,weist auf der
                                          anderen Seite Georg Gänswein in
                                                                                    2  Kirche

wichtigen Fragen ihres Lebens, die        seinem Buch „Vom Nine-Eleven un-           2.1 Statistische Wahrheiten
Orientierungslosigkeit, Zweifel und       seres Glaubens“ auf die notwendige
die Suche nach einem festen Ziel of-      Beachtung hin, „wie Priester und der       Die Kirche hat an Vertrauen und
fenlegen, die es in diesem Ausmaß         Priesterstand durch dreiste Todsün-     Bedeutung verloren. Seit Jahren
wohl selten gegeben hat. Ein inhalt-      der unter uns ganz allgemein inzwi-     sinkt die Anzahl der Katholiken in
licher Schwerpunkt sind Fragen zur        schen unter Generalverdacht geraten     Deutschland. Im Jahr 2018 hatte sie
Position der Kirche und ihrer Hirten      sind“ … und „in manchen Teilen der      im Vergleich zu 2017 einen Rück-
und Priester. Immer häufiger wer-         Erde eine heimliche Pogromstim-         gang um über 300.000 Mitglieder,
den Schweigen, Anbiederungen oder         mung wächst, in der das aufrichtige     29% mehr katholisch Getaufte ha-
Widersprüche thematisiert. Kardinal       Bekenntnis zu unserer Kirche der        ben 2018 im Vergleich zum Vorjahr
Robert Sarah nennt uns hierzu in Be-      Heiligen und Sünder und Verbrecher      ihrer Kirche den Rücken gekehrt.
zug auf die katholischen Christen ei-
nen wichtigen Grund: (zit. u. a. von
Guido Horst, „Mit brennender Sor-
ge“, in: Vatican magazin, Heft 8 – 9,
August/September 2019, S. 8): „Vie-
le Christen haben die Orientierung
verloren. Täglich erhalte ich von al-
len Seiten Hilferufe von Menschen,
die nicht mehr wissen, was sie glau-
ben sollen. Täglich empfange ich in
Rom entmutigte und verletzte Pries-
ter. Die Kirche macht die Erfahrung
einer dunklen Nacht, sie ist umhüllt
und verblendet vom ‚Mysterium ini-
quitatis‘, dem Geheimnis der Bosheit
… Schon seit langem durchleben
wir das Geheimnis des Judas. Was
heute ans Tageslicht tritt, hat viele
Gründe, die wir mutig und klar auf-
zeigen müssen. Die Krise, in der sich
der Klerus, die Kirche und die Welt
befinden, ist eine zutiefst spirituelle
Krise, eine Glaubenskrise. Wir erle-
ben das Geheimnis der Bosheit, des
Verrats – das Geheimnis des Judas.“
   Und so wie es auf der einen Seite
sein kann, dass wir dieses Teufels-
werk leicht nehmen, uns ängstlich
                                            Judas hat Jesus verraten.
zurücklehnen, keinen Mut zur Er-
                                            Heute gibt es Katholiken, die die Kirche Jesu verraten.
neuerung aufbringen, die Hl. Schrift
DER FELS 6/2020                                                                                                   165
Katholisches Wort in die Zeit - Der Fels
für absurd: Dass sich der sog. „fort-
     Wer sich ganz und gar dem          schrittliche Gläubige“ von der Kirche
     Zeitgeist verschreibt, ist ein     fernhält, ist bestenfalls eine unbewie-
  armer Tropf. Die Innovations-         sene Behauptung. Tatsächlich leiden
  sucht der ewigen Avantgarde
  hat etwas Kastrierendes.“
                                        doch viele (auch) darunter, was sie
                                        auch freimütig sagen, dass wesentli-
                                                                                                Weisheit
          Hans Magnus Enzensberger     che Dinge aufgegeben worden sind,
                                        z. B. dass die Liturgie, sogar im                       Stärke
                                        Hochgebet, individuell von Priestern
                                                              verändert wird,
                                                              dass die Feier
                                                                                                Gottesfurcht
                                                              der Eucharistie
                            Etwas Bornierteres als
                            den Zeitgeist gibt es nicht.      im Römischen
                                                                                                Verstand
                         Wer nur die Gegenwart kennt,         Ritus bekämpft
                         muss verblöden.“                     wird und dass
                                                              den Gläubigen
                                                                                                Rat
                              Hans Magnus Enzensberger
                                                              viel „Firlefanz“
                                                              am Altar zuge-
                                                                                                Frömmigkeit
                                                              mutet wird. Und
                                        warum kommen solche Priester nicht
                                        auf die Idee, dass der Gottesdienst-
                                                                                                Erkenntnis
                                        Besucher in einer Predigt zu Weih-          Heil’ger Geist, wir bitten dich,
       Was ihr den Geist der Zei-                                                   gib uns allen gnädiglich
       ten heißt, Das ist im Grund      nachten etwas von der Bedeutung
                                        der Menschwerdung Christi und zu            Deiner Gaben Siebenzahl.
   der Herren eigner Geist, In
   dem die Zeiten sich bespie-          Ostern über unsere Erlösung durch
                                        Christi Auferstehung hören will und         Spende uns der Tugend Lohn,
   geln.“                                                                           lass uns stehn an deinem Thron,
        Johann Wolfgang von Goethe     nichts zum Klimawandel oder über
                                        die Politik von Donald Trump? Kann          uns erfreun im Himmelssaal.
                                        denn selbstkritisches Nachdenken
                                        nicht dazu führen, dass der jahrelange
Der Durchschnitt der sonntäglichen Anpassungskurs zahlreicher Vertreter           Kirche „die intellektuelle, doktrinäre
Gottesdienst-Besucher liegt inzwi- der Kirche an die „Moderne“ schuld             und moralische Verwirrung ist; es ist
schen unter 10% in Deutschland und an ihrem Niedergang ist? Ist nicht der         die Feigheit, die Wahrheit über Gott
bis auf wenige Diözesen sind Tau- „Zeitgeist“ häufig willentlich an die           und den Menschen zu verkünden
fen, Erstkommunion und Firmung Stelle des Hl. Geistes getreten?                   und die moralischen und ethischen
zurückgegangen, selbst kirchliche                                                 Werte der christlichen Tradition zu
Bestattungen. Da kommt unseren                                                    verteidigen; es ist der Verlust des
Gegnern natürlich sehr entgegen,             2.2 Falsche Antworten                Glaubens, der Bedeutungsverlust der
dass diejenigen, die heute auf der Ba-                                            Objektivität des Glaubens und damit
sis ihres katholischen Glaubens ihre       Und genau hier liegt das Problem       der Verlust des Sinnes für Gott.“ Der
Überzeugungen an der Wahrheit ori- zahlreicher Hirten, Priester und Lai-          moderne Mensch irre „wie in der zer-
entieren und vertreten, in der öffent- en, deren Vertreter bis in die Spitzen     störten Notre-Dame auf einem Trüm-
lichen Meinung, aber auch aggressiv „in Reformen schwelgen“ (was sind             merfeld herum. Ich bin tief verletzt,
von innen heraus, gerne als Funda- eigentlich in der katholischen Kir-            wenn ich so viele Hirten sehe, die die
mentalisten oder Rechtsradikale be- che „Reformen“?), anstatt ehrlich             katholische Lehre verramschen und
schimpft werden, die sich daraufhin und gründlich nach den Ursachen               Spaltung unter den Gläubigen erzeu-
nicht selten aus dem politischen Le- des Glaubensabfalls und der Qua-             gen. Bei den Medien auf Kosten der
ben zurückziehen.                       lität der Katechese, Priesterausbil-      Wahrheit beliebt werden zu wollen,
   Nun erwartet man natürlich bei dung oder Neuevangelisierung zu                 hieße, ‚das Werk des Judas zu tun‘ “.
diesem empirisch erschreckenden fragen, zumal diese Fragen ja nicht               Kardinal Sarah weist aber auch aus-
Befund, dass es ernsthafte Überle- neu sind. Die Katechese hat doch               drücklich darauf hin, dass Priester,
gungen und seriöse Vorschläge zur meistens spätestens bei der Firmung             Bischöfe und Kardinäle ohne Moral
Verbesserung dieser Situation gibt. aufgehört.                                    „in keiner Weise das strahlende Zeug-
Aber bei der Präsentation der Zahlen                                              nis der mehr als 400.000 Priester auf
nannte dies auf einer Pressekonferenz      Bei der Vorstellung seines Buches      der Welt trüben, die dem Herrn täg-
der DBK-Sekretär Hans Langendör- „Herr bleibe bei uns“ von Kardinal               lich demütig dienen“. Dem möchte
fer lediglich „besorgniserregend“, Sarah in Paris habe ich folgende klu-          ich ausdrücklich zustimmen und da-
verwies auf ein „wachsendes Miss- ge Darstellung gefunden (zit. nach              rauf hinweisen, dass ich mich grund-
trauen gegenüber der Kirche“ und Katrin Krisp-Schmidt in: „Die Tages-             sätzlich pauschalen Verurteilungen
auf den Wunsch der Gläubigen nach post“, 19. 06. 2019): Unter Bezugnah-           widersetze und auch in diesem Bei-
Veränderungen, z. B. durch Aktio- me auf die Verwüstung der Kathedra-             trag jede Ausnahme bei kritischen
nen wie „Maria 2.0“. Ich halte diese le Notre-Dame de Paris vertritt Sarah        Anmerkungen dankbar mitdenke und
Begründung für falsch, ja geradezu die Auffassung, dass das Feuer dieser          öfter auch ausdrücklich erwähne.

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Katholisches Wort in die Zeit - Der Fels
2.3 Zölibat                                2.4 Frauenordination                  von Katholikinnen in der Diözese
                                                   und Maria 2. 0                    Münster, die in einer ungewöhnli-
   Im ersten Brief des Apostels Paulus                                               chen Aktion Frauen in ganz Deutsch-
an die Korinther heißt es: „Ich wün-          In der Frage „Frauenordination“        land aufgerufen hat, eine Woche lang
sche aber, dass ihr ohne Sorge wärt.       gibt es eine Jahrhunderte alte Tradi-     vom 12.-18. Mai 2019 unter dem
Der Unverheiratete ist um die Sache        tion und eine klare Position des Va-      Motto „Maria 2.0“ in einen Kirchen-
des Herrn besorgt, er will dem Herrn       tikan mit einem unbestrittenen Grad       streik zu treten. Diese Aktion wurde
gefallen. Der Verheiratete dagegen         der Verbindlichkeit, über den uns         bundesweit befolgt und inzwischen
ist um die Dinge der Welt besorgt, er      Karl-Heinz Menke in seinem Buch           in verschiedenen Variationen mehr-
will seiner Frau gefallen, und so ist er   „Sakramentalität – Wesen und Wun-         fach wiederholt. Dabei stehen die
geteilt“ (1 Kor 7, 32 – 34). Nach in-      de des Katholizismus“, Auskunft           Forderungen nach Abschaffung der
tensiver Überprüfung der Verpflich-        gibt. drei Ereignisse sind zur Klärung    „monarchischen Alleinherrschaft der
tung der Priester zur Ehelosigkeit ha-     dieser Frage wichtig:                     Männer“, des „Pflichtzölibats“ und
ben sich drei Welt-Bischofssynoden           l Der 15. 10. 1976: Die römische        ihr eigener „Anspruch zu allen Äm-
mit dieser Frage befasst und jeweils            Glaubenskongregation gibt eine       tern in der Kirche“ immer im Vorder-
mit großer Mehrheit für die Beibe-              Erklärung „Inter insigniores“        grund. Eine der schlimmsten Entglei-
haltung der priesterlichen Ehelosig-            heraus, in der es heißt, dass        sungen fand durch die katholische
keit votiert. Außerdem ist der Zölibat          „die Kirche sich aus Treue zum       Fachschaft der Universität Freiburg
kein Problem, sondern eine Aufgabe.             Herrn nicht dazu berechtigt hält,    statt, in der die Gottesmutter auf Pla-
Und woher will denn eigentlich je-              die Frauen zur Priesterweihe zu-     katen als „Maria Vulva“ an Kirchen-
mand wissen, dass ein Priester in der           zulassen“.                           türen angenagelt wurde. Dieses Bild
Ehe glücklicher geworden wäre oder           l Der 15. 08. 1988: Papst Johannes      sollte eine Maria zeigen, die nicht für
umgekehrt, dass ein Priester, der am            Paul II. bestätigt in seiner Enzy-   Demut und Gehorsam steht, weil das
Zölibat scheitert, nicht auch in der            klika „Mulieres dignitatem“ die      nicht mehr in die heutige Zeit passen
Ehe gescheitert wäre? Und der be-               Erklärung von 1976 und               würde, sondern „für feministischen
hauptete Zusammenhang zwischen               l am 22.05.1994 gibt Papst Jo-          Mut und Stärke“ (Badische Zeitung,
sexuellem Missbrauch und Zölibat                hannes Paul II. noch einmal eine     22. 05. 2019). Der Widerstand der
ist bisher lediglich eine unbewiesene           Erklärung „De sacerdotali ordi-      Diözesanleitung war sehr zurückhal-
Behauptung.                                     natione viris tantum reservanda“     tend und der Unmut vieler Katholi-
   Papst Benedikt XVI. em. merkt zu             heraus, in der er die Gläubigen      ken nicht gering.
diesem Thema im übrigen an, dass                ermahnt, die Ablehnung der
die Wurzeln der Missbrauchskrise                Frauenordination als endgültig
spiritueller Art seien. „Im letzten             zu betrachten (S. 75).                   2.5 Synodaler Weg
liegt der Grund in der Abwesenheit            Aber trotz der Haltung und dieser
Gottes“ (Papst Benedikt XVI., em.,         Entscheidungen des Vatikans gab es           Am 1. Dezember 2019 war der of-
Ja, es gibt Sünde in der Kirche, S.        in Deutschland Anfang des Jahres          fizielle Beginn des Synodalen Weges.
38), sagt er.                              2019 eine Bewegung, ausgegangen           Die vier Foren, die die Unterlagen
                                                                                     für die Synodal-Vollversammlungen
                                                                                     vorbereiten und jeweils von einem
                                                                                     Bischof und einem Laien geleitet
                                                                                     werden, beschäftigen sich mit fol-
                                                                                     genden Themen:
      Dem Untergang des Abend-                                                         l Macht und Gewaltenteilung in
      lands liegt eine kulturelle                                                         der Kirche – gemeinsame Teil-
  Krise und eine Identitätskrise zu-                                                      nahme und Teilhabe am Sen-
  grunde. Der Westen hat verges-                                                          dungsauftrag
  sen, wer er ist, weil er nicht mehr                                                  l priesterliche Existenz heute
  weiß – beziehungsweise nicht                                                         l Frauen in Diensten und Ämtern
  wissen will –, wer ihn so geformt                                                       in der Kirche und
  und begründet hat, wie er war                                                        l Leben in gelingenden Beziehun-
  und wie er ist … Diese Selbst-                                                          gen – Liebe leben in Sexualität
  vergessenheit führt zweifellos                                                          und Partnerschaft
  zu einer Dekadenz, welche
  neuen, barbarischen Zi-                                                               Am 29. Juni 2019 schrieb Papst
  vilisationen die Türen                                                             Franziskus einen Brief „An das pil-
  öffnet.“                                                                           gernde Volk Gottes in Deutschland“,
  Robert Kardinal Sarah                                                             in dem er seine Sorgen vor der „Zer-
                                                                                     stückelung“ der Weltkirche zum
                                                                                     Ausdruck brachte und vor der Versu-
                                                                                     chung warnte, „nur eine Reform von
                                                                                     Strukturen, Organisationen und Ver-
                                                                                     waltung“ anzustreben. Ebenso warn-
                                                                                     te er vor der Verweltlichung und dem

DER FELS 6/2020                                                                                                        167
Katholisches Wort in die Zeit - Der Fels
schäftsordnung wurde als wichtigster     te durchgesetzt“ habe. Ob er gar nicht
                                        Punkt entschieden, dass es für alle in   gemerkt hat, wie beleidigend dies für
                                        der Synodal-Vollversammlung ge-          die ohnehin unerwünschte Minder-
                                        fassten Beschlüsse auch noch eine        heit war, die er ja im Umkehrschluss
                                        weibliche Mehrheit braucht. Damit        als „unvernünftig“ bezeichnet hat?
                                        gibt es also für Entscheidungen drei     Aber wenn man sich als katholischer
                                        notwendige Mehrheiten: Mehrheit          Bischof für Frauen- und Gender-Ge-
                                        der Vollversammlung, des ZdK und         rechtigkeit in unserer Kirche einsetzt,
                                        der Frauen. Zur Eröffnung hatte          ist das ja auch vielleicht viel interes-
                                        Kardinal Marx den Wunsch nach ei-        santer, weil man dafür dann von der
                                        nem „wertschätzenden Dialog aller        Theologischen Fakultät der Luzerner
                                        Teilnehmer“ gewünscht, den Kar-          Universität eine Ehrendoktorwürde
                                        dinal Rainer Maria Woelki nach der       verliehen bekommt. Dazu passt auch
                                         Versammlung mit der Anmerkung           die uns geschenkte Weisheit, dass Je-
                                            kommentierte, dass Macht ausge-      sus Christus Mensch und nicht Mann
                                             übt worden sei, denn nicht alle,    geworden sei. Welcher Geschlechter-
                                              die es gewünscht hatten, hätten    art der beschnittene Jude Jesus dann
                                              Rederecht erhalten. In einem       aber war, sagt er nicht.
                                              Rundfunk-Interview hatte er
                                              zusätzlich bemerkt: „Es sind
                                              eigentlich alle meine Befürch-
                                             tungen eingetreten.“ Er bemän-
                                            gelte „theologische Defizite“ vie-
                                                                                   3    Verhalten in Zeiten
                                                                                        der Corona-Pandemie

                                          ler Teilnehmer, „die hierarchische        Man hat insgesamt den Eindruck,
                                        Verfasstheit der Kirche sei infrage      dass ein Großteil unserer Bischöfe
                                        gestellt worden“, und er hätte vom       die Zeichen der Zeit, d. h. die tat-
                                        Verlauf den Eindruck gehabt, dass        sächliche Situation der katholischen
                                        eine „Art protestantisches Kirchen-      Kirche in Deutschland, immer noch
                                        parlament installiert worden sei“ (In-   nicht erkannt hat oder nicht erken-
                                        terview mit dem Kölner Domradio,         nen will. Die zentralen Themen sind
                                        01. 02. 2019). Bischof Hanke und an-     nicht Machtfragen, Zölibat, Frau-
                                        dere Bischöfe hatten zu Beginn den       enordination oder Mega-Pfarreien,
                                        Antrag eingebracht, dass Vorschläge      sondern Glaubensverlust, Neuevan-
                                        aus den Foren, die der Lehre der Kir-    gelisierung, Priesterausbildung und
                                        che widersprechen, in den Vollver-       Katechese. Aber stattdessen gibt es
                                        sammlungen nicht diskutiert werden,      Uneinigkeit in Gender-Fragen, zur
                                        was mit großer Mehrheit ebenso ab-       „Ehe für alle“ wird geschwiegen,
                                        gelehnt wurde wie der dann von den       die Bildung von Diversity-Referaten
                                        Bischöfen Hanke, Woelki, Voderhol-       in den Diözesen nimmt zu, und die
                                        zer, Oster und Ipolt vorgelegte Alter-   Gläubigen warten weiterhin vergeb-
                                        nativantrag, dass aus den Foren nur      lich auf eine deutliche Unterstützung
Zeitgeist und verwies stattdessen       „einmütig beschlossene Vorlagen in       für Fragen des Lebensschutzes sowie
auf den Vorrang von Gebet, Buße,        die Vollversammlung gelangen soll-       der Ehe und Familie. Natürlich gibt
Anbetung und den Primat der Evan-       ten (mit Zulassung eines Minderhei-      es auch hierbei rühmliche Ausnah-
gelisierung. Die Themen der vier        tenvetos von vier Mitgliedern) und       men.
Foren wurden aber von den Synoda-       Vorlagen nicht erlaubt seien, die der       Besonders nachdenklich hat mich
len nicht verändert, obwohl Kardinal    kirchlichen Lehre widersprechen“.        die Stellungnahme der DBK zum
Woelki und Bischof Voderholzer als      Diesen Antrag lehnten 87% der Dele-      75. Jahrestag des Endes des Zwei-
wichtigste Themen für den Synoda-       gierten ebenfalls ab. Diese mit großer   ten Weltkrieges am 8. Mai 1945
len Weg Evangelisierung, Berufung       Mehrheit vertretene Auffassung von       („Deutsche Bischöfe im Weltkrieg“)
der Laien, Katechese und Berufungs-     Bischöfen, Priestern und Laien ist       gemacht. Darin erheben sie den Vor-
pastoral vorgeschlagen und sich auch    eine entscheidende Positionsfestle-      wurf an ihre Vorgänger, „den Verbre-
gegen die gleichwertige Stellung        gung, die den Spaltpilz in sich trägt.   chen des NS-Regimes im Zweiten
der ZdK-Mitglieder einschließlich       Das spielte aber für die Teilnehmer      Weltkrieg nicht energisch genug wi-
letztem Stimmrecht gewandt hatten.      keine Rolle, denn stattdessen be-        dersprochen zu haben“. Erst am 19.
Außerdem sei z. B. die Frauenordi-      tonten mehrere Bischöfe und Laien,       August 1943 hätten die damaligen
nation lehramtlich längst geklärt und   dass „der Geist des Miteinanders po-     Bischöfe öffentlich
damit kein Thema für den Synodalen      sitiv und ermutigend“ war, während         l „die Bindung der staatlichen Ord-

Weg.                                    Bischof Bode aus Osnabrück sogar              nung an Wahrheit und göttliches
   Die erste Synodal-Vollversamm-       zusammenfasste, dass das Treffen              Recht
lung fand vom 30. Januar bis 1. Fe-     eine „großartige Zukunftswerkstatt         l den Schutz von Ehe und Familie

bruar 2020 in Frankfurt statt. Nach     gewesen“ sei und sich bei Abstim-          l die Rückbindung des Gehorsams

einem langen Kampf um die Ge-           mungen „immer die vernünftige Mit-            an das Gewissen

168                                                                                                DER FELS 6/2020
Katholisches Wort in die Zeit - Der Fels
l  das bedingungslose Recht auf Le-
     ben und
  l den Schutz des Eigentums“
                                          4    Ausblick

eingeklagt (Kath.de, 29. 04. 2020).        Für uns bleibt trotz aller Irrungen
                                        und Verwirrungen ein versöhnlicher
   Das sagt die heutige DBK, deren      Ausblick: Es gibt so viel Zusiche-
langjähriger Vorsitzender das Zei-      rungen von Jesus Christus, dass wir
chen unseres Glaubens, sein Kreuz,      uns nicht enttäuscht zurückziehen
auf dem Tempelberg in Jerusalem         dürfen, sondern uns mutig bekennen
abgenommen hat. Das sagen Bi-           müssen.
schöfe, die in der Aufarbeitung des        Hat Christus nicht gesagt: „Du
sexuellen Missbrauchs in der Kirche     bist Petrus und auf diesen Felsen
jahrelang auf Verzögerung gesetzt       werde ich meine Kirche bauen, und
haben und das sagen dieselben, die      die Pforten der Hölle werden sie
keine Stellungnahmen zum „Gender        nicht überwältigen“ (Mt 16,
Mainstreaming“ oder zur „Ehe für        18)? Und hat er uns nicht auch
alle“ abgegeben haben, weil sie dem     zugesagt: „Seht, ich bin bei
Staat nicht widersprechen wollten?      euch alle Tage bis ans Ende
Und in der Anfangszeit der Corona-      der Welt“ (Mt 28,20)?
Pandemie haben einige Bischöfe             Weil es heute so viel Got-
schon in vorauseilendem Gehorsam        tesferne und Gottesfeindschaft
ihre Kirchen für öffentliche Gottes-    gibt, müssen wir wie Sauerteig
dienste vor dem gesetzten Termin        sein, eine kleine Pflanze, die
der staatlichen Anordnung geschlos-     wächst, der „heilige Rest“, wie
sen und nachdem diese Gottesdiens-      Jesaja sagt (28, 5 – 22). Wir sind eine
te generell wieder ab 4. Mai erlaubt    „kleine Herde!“ geworden, die oft
waren, haben die Bischöfe variabel      im Verborgenen wirkt. Im Zentrum
reagiert (schon vorher vom 20. 04.      steht die Bereitschaft, die Wahrheit
über den 04. 05. (in Würzburg ohne      nicht zu verleugnen, d.h. entschie-
Kommunion) und 10. 05. (Hamburg,        den für Jesus Christus einzutreten.
Hildesheim und Bamberg) bis zu          Die bekannte Verheißung aus dem
solchen, die „bis auf weiteres keine    Matthäus-Evangelium lautet: „Wo
öffentlichen Gottesdienste“ erlau-      zwei oder drei in meinem Namen
ben (Magdeburg und Osnabrück).          versammelt sind, da bin ich mitten
Vorher haben sie die Gläubigen von      unter ihnen“ (Mt 18,20). Also: klei-
der Sonntagspflicht entbunden, sogar    ne Zellen bilden, die Papst Benedikt
von der Teilnahme an „gestreamten       XVI. em. „kreative Minderheiten“
Messfeiern“ und haben sich nicht        nennt: Familien, Familienkreise,
einmal für eine Ausnahme an Os-         neue geistliche Gemeinschaften,
tern eingesetzt, um das „Triduum        Gebetskreise, religiöse Bewegungen
sanctum“ feiern zu können, natürlich    und Ausbildung von Katecheten.
unter Akzeptanz der Auflagen zur ge-    Ihre Arbeit hat nicht nur mit Eifer,      Begeisterung vieler junger Teilneh-
sundheitlichen Sicherheit aller Teil-   sondern auch mit Demut zu tun, was        mer an Nightfever oder an die Glau-
nehmer. Ihr Sicherheitskonzept zur      bedeutet, auch sagen zu können:           bensfreude von jungen Menschen
Beratung mit der Bundesregierung        „Herr, da hört meine Kraft auf, den       aus vielen Ländern der Erde an den
hätten sie schon vor und nicht erst     Rest überlasse ich Dir“.                  Weltjugendtagen. Hier ist die klei-
nach Ostern vorlegen müssen.               Und das Wirksam-Werden der             ne Pflanze, die wächst, der „heilige
   Wer eine solche passive Haltung      „kleinen Herde“ beginnt oft im Ge-        Rest“, von dem Jesaja spricht. Und
gegenüber dem Staat in Friedenszei-     bet. Der Beter ist meistens unsicht-      wir wollen intensiv dafür beten und
ten in einer Demokratie einnimmt,       bar, wie eine Wurzel, die man nicht       arbeiten, dass wir diesem „heiligen
der wäre gut beraten, wenn er sich in   sieht, aber ohne die es keine Blüten      Rest“ treu bleiben. Gerade in der
seiner Kritik über das Verhalten von    gibt, die es dann später zu bewun-        jetzigen Corona-Pandemie müssen
Menschen in einer Diktatur unter        dern gibt. Und aus dem Unsichtba-         wir auf den Anruf Gottes hören und
Missachtung aller rechtsstaatlichen     ren wachsen oft sichtbare Erfolge.        bereit sein, einen Weg der Umkehr
Prinzipien mit brutaler Folter und      Ich denke z.B. an die jährlich stei-      einzuschlagen.                   q
Massen-Morden zurückhalten wür-         genden Zahlen beim „Marsch für das
de. Und gab es nicht auch mutige Bi-    Leben“, den gewachsenen Kampf
schöfe, z. B. Kardinal Graf von Ga-     der Eltern gegen die sog. „sexuel-
len, und viele Priester, die sich zum   le Vielfalt“ in Kitas und Schulen,        Gekürzte Fassung des Referates
Kreuz und zu ihrer Kirche bekannt       an die steigenden Beratungszahlen         für den Kongress 2020 „Freude am
haben und für ihr Bekenntnis zum        in den Organisationen des Lebens-         Glauben“ des Forums Deutscher Ka-
Glauben in den Tod gegangen sind?       schutzes, die zahlreichen geistlichen     tholiken, der aufgrund der Corona
Waren diese Opfer nicht Märtyrer?       Gemeinschaften, an die spirituelle        Verordnungen nicht stattfinden kann.
DER FELS 6/2020                                                                                                  169
Katholisches Wort in die Zeit - Der Fels
Jürgen Liminski:

          Der Geist von Notre Dame
          Über die geistige Verfassung Europas nach Corona / Ein Essay

An        Corona scheiden sich die
          Geister. Oder sollte man
besser sagen: Die Virus-Krise macht
                                             Der Vorfall drang zum Pariser
                                         Erzbischof Michel Aupetit. Der erin-
                                         nerte Tage später im Sender „Radio
                                                                                 sagt wird, ließ nichts von sich hören.
                                                                                 Unter den Katholiken Frankreichs
                                                                                 wurde der Vorfall als das registriert,
die geschiedenen Geister sichtbar?       Notre-Dame“ an das „formelle Ver-       was er war: Eine Machtdemonstra-
Besonders deutlich wird es in Frank-     bot für die Polizei, eine Kirche mit    tion der Laizisten. Die Bischofskon-
reich. Dort herrschte bis Mitte Mai      Waffen zu betreten“. Es gelte, auch     ferenz und einige Laienverbände lie-
eine strikte Ausgangssperre und          während der Corona-Krise einen          ßen nicht locker und klagten vor dem
selbst Gottesdienste waren verbo-        „kühlen Kopf“ zu bewahren und die       Staatsrat, eine Institution, die über
ten. Während man in den Banlieues        Trennung von Kirche und Staat zu        die Verfassung wacht. Der Staats-
nicht so genau hinschaute, um Eska-      respektieren. „Sonst werden wir laut,   rat entschied, dass die Maßnahmen
lationen mit Islamisten und Jugendli-    (...) sehr laut“, so Aupetit. Auf Anfra-gegen Religionsgemeinschaften mit
chen zu vermeiden, was „von oben“        ge des „Le Figaro“ stellte die Erzdi-   dem Beginn der Lockerungen nicht
auch so angeordnet wurde, gab man        özese klar, dass private Gottesdienste  mehr verhältnismäßig seien und dass
sich bei der katholischen Kirche be-     erlaubt seien. Sie müssten nicht öf-    die Religionsfreiheit nicht in diesem
sonders streng. Ende April stürm-        fentlich hinter verschlossenen Tü-      Maße eingeschränkt werden dürfe.
ten bewaffnete Polizisten einen                        ren gefeiert werden. Die  Es war ein Sieg der Gläubigen.
Gottesdienst in der Kirche                                  Anwesenheit eini-       Aber diese Machtdemonstration
Saint-Andre-de-l‘Europe                                        ger Helfer für diezeigte wie bei einem Wetterleuchten
im achten Arrondis-                                              Übertragung in  in dunkler Nacht auf, wie es um die
sement in Paris und                                                Sozialen Me-  geistige Polarisierung in Frankreich
forderten die Hand-                                                 dien sei nicht
                                                                                 bestellt ist. Corona machte es mög-
voll     Gläubigen                                                               lich. Beschrieben hat diese Ambiva-
auf, die Messfeier                                                               lenz freilich schon vor knapp hun-
zu beenden. Der                                                                  dert Jahren – der Laizismus wütete
Priester erzählte                                                                        in Frankreich und in Spani-
später dem „Figa-                                                S. S. Michel Aupetit, en – der spanische Kultur-
ro“: „Wir waren zu                                               Erzbischof von Paris philosoph Ortega y Gasset.
siebt, ein Messdie-                                                                      In einem Aufsatz über „La
ner, ein Sänger, ein                                                                     profundidad de Francia“ aus
Organist, drei Gemein-                                                                   dem Jahre 1927, der später
demitglieder und ich. Die                                                        in der Zeitschrift El Espectador er-
Laien lasen die Fürbitten und                        mit einer Versammlung schien (1930) heißt es: „Keine Nati-
Lesungen vor.“ Die Messe wurde               oder einem Treffen gleichzuset- on ist so katholisch, keine so antikle-
wie üblich am Sonntag für die Ge-        zen.                                    rikal. An den Kreuzwegen steht ein
meinde über die Sozialen Medien             Der Vorsitzende der Französischen Kruzifix, Frankreich ist eine katho-
übertragen. „Mitten in der Messe         Bischofskonferenz, Eric de Moulins- lische Nation. Auf dem Marktplatz
drangen drei bewaffnete Polizisten       Beaufort, hatte Mitte März angeord- einer Provinzstadt aber, man nehme
in die Kirche ein“, so der Geistliche.   net, dass während der Corona-Krise beispielsweise Tarbes, stößt man auf
Er erinnerte sie an die Gesetzeslage,    keine Messen mit „großen Gemein- ein Denkmal. Vom Sockel ragt ein
nach der außer der Feuerwehr Amts-       den“ gefeiert werden dürften. Die kraftvoller Mann empor, er schwenkt
personen erst nach Aufforderung          Regeln zur Ausgangssperre in Frank- die bronzenen Arme in rhetorischer
durch den Pfarrer eintreten dürften.     reich erlauben Gläubigen, sich allein Gebärde: Es ist Danton. Frankreich
Die Polizisten forderten den Priester    für das Gebet in eine Kirche zu be- ist eine revolutionäre Nation, ist ra-
dennoch auf, die Messe zu beenden;       geben. Auch Beisetzungen mit bis tionalistisch, antikatholisch. Beide
seine Weigerung nahmen sie zu Pro-       zu zehn Personen sind erlaubt. Das Beurteilungen treffen zu und sind zu-
tokoll und verhängten eine Strafe.       Elysee aber schwieg. Auch Innen- gleich unvereinbar.“
Die Beamten verlangten zudem, dass       minister Christophe Castaner, dem          Ortegas Analyse des Nachbarlan-
drei Gemeindemitglieder die Kirche       sowieso keine sonderliche Nähe zur des erlebt heute auch eine neue Be-
verlassen. Ihre Drohung: „Sonst wer-     Kirche oder überhaupt zu Glaubens- stätigung im Streit um Notre Dame,
den wir laut.“                           fragen außerhalb der Politik nachge- jenem französischen Nationalsymbol

170                                                                                               DER FELS 6/2020
und Mutterkirche, die im April 2019     ein Freimaurer und Laizist, eher den    Abstandsgebote – verlangsamen den
lichterloh brannte, die ganze Welt in   historisch-musealen Gedanken zu-        Prozess merklich. Es ist zweifelhaft,
einen Schock versetzte und nun re-      neigt als den spirituellen. Zwar hat    ob diese Phase wie vorgesehen bis
pariert werden soll. Die einen wollen   er die Hilfe des Staates für die Res-   Ende des Jahres abgeschlossen wer-
aus der verletzten Seele der katholi-   tauration von Notre Dame zugesagt.      den kann. Erst dann aber lässt sich
schen Nation ein Museum machen,         Aber für ihn haben die Kathedralen      mit Gewissheit sagen, ob die Statik
die anderen aus dem Kulturdenkmal       und Kruzifixe eigentlich nur symbo-     des Gesamtgebäudes intakt geblieben
des vergangenen Jahrtausends ein        lischen Wert. Er hält an seinem Ziel    ist und ob man wie vorgesehen an die
wiederbelebtes, schlagendes Herz        fest, in fünf Jahren, also bis zu den   nächste Phase herangehen kann. „Die
des Glaubens. Beides ist Frankreich.    Olympischen Spielen 2024, die Ar-       Zeit ist der Baumeister, das Volk der
Und auch, dass dieser Streit in den     beiten beenden zu wollen. Das ist ein   Maurer“, schrieb der französische
Feuilletons französischer Medien        kühnes Versprechen, an das niemand      Dichterfürst Victor Hugo einst über
mit bekenntnisfroher Leidenschaft       wirklich glaubt. Zum einen ist nicht    die Kathedrale, der er mit seinem
und kartesianischer Ratio geführt       sicher, ob er dann noch an der Spit-    Glöckner von Notre Dame selbst ein
wird. Der Rektor der Kathedrale,        ze Frankreichs steht, die nächsten      ewiges literarisches Denkmal setzte.
Mgr. Patrick Chauvet, früher Gene-      Präsidentschaftswahlen sind im Mai         Der Streit um die Zukunft des Jahr-
ralvikar der Erzdiözese, schreibt im    2022. Zum anderen sind die Arbei-       tausendwerks ist noch lange nicht
Wochenmagazin Valeurs Actuelles:        ten durch die Corona-Krise deutlich     beendet. Er zeigt aber an, dass sich
„Die Wirtschaft ist an die Stelle der   ins Stocken geraten. Sie werden jetzt   an ihm eine säkuläre Diskussion für
Menschenwürde getreten. Wir brau-       wieder aufgenommen. Aber die Be-        ganz Europa entzündet hat, geradezu
chen eine Umkehr. Es ist notwendig,     schränkungen gerade bei der jetzi-      sichtbar an dem Kran, dem größten
den Menschen wieder in die Mitte,       gen Bauphase – Demontierung des         Europas, der über der dachlosen Be-
ins Herz der göttlichen Schöpfung zu    Gerüstes unter Einhaltung der neuen     hausung des Glaubens schwebt. Der
setzen.“ Dafür stehe dieses Bauwerk
und seine Restaurierung.
   Die mit der Reparatur befassten
Baumeister und Architekten sehen
das anders. Sie wollen, wie der Ar-       Derzeit in Deutschland geltende Konkordate
chitekt Jean-Marie Duthilleul, in der
Kathedrale einen Ort schaffen, an         ˜       Bayerisches Konkordat vom 29. März 1924
dem sich das Volk versammelt, um          ˜       Preußenkonkordat vom 14. Juni 1929
sich selbst und seine Gemeinschaft
                                          ˜       Badisches Konkordat vom 12. Oktober 1932
zu feiern. Notre Dame de Paris spre-
che zur Welt als Zeichen für den          ˜       Reichskonkordat vom 20. Juli 1933
„Moment, als zwischen dem 12. und
                                          ˜  Vertrag des Landes Hessen mit den katholischen Bistümern in
13. Jahrhundert die Christen die Be-
                                          		 Hessen vom 9. März 1963
ziehung des Menschen zu Gott neu
durchdachten“. Diese Symbolkraft          ˜  Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Lande
solle nicht nur in der Restauration,      		 Niedersachsen vom 26. Februar 1965
sondern auch in einer Neuordnung          ˜       Ergänzungsvertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land
des gesamten Ambientes – Platz,                   Nordrhein-Westfalen vom 26. März 1984
Garten, Stadtviertel – künstlerisch               (Besonderheit s. Artikel X zur möglichen Öffnungsklausel)
und architektonisch Ausdruck finden.
   An solch einem Ort hätten natür-       ˜  Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat
lich auch Touristen den Platz eines       		 Sachsen vom 2. Juli 1996
Augenblicks. Sie stehen bei dem His-      ˜  Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat
toriker und Experten für abendländi-      		 Thüringen vom 11. Juni 1997
sche Symbolik Michel Pastoureau
im Mittelpunkt. Er schlägt als „Lö-       ˜  Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land
sung des geringsten Übels“ vor, die       		 Mecklenburg-Vorpommern vom 15. September 1997
Kathedrale zu entsakralisieren und        ˜       Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land Sachsen-
in ein Museum zu verwandeln. Das                  Anhalt vom 15. Januar 1998
würde den Gegensatz zwischen foto-
grafierenden Touristen und betenden       ˜  Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land
Gläubigen beenden, jenes unwürdige        		 Brandenburg vom 12. November 2003
Schauspiel, das vor dem Brand Alltag      ˜  Vertrag zwischen der Freien Hansestadt Bremen und dem
war in der Kathedrale. Und es würde       		 Heiligen Stuhl vom 21. November 2003
dem Jahrtausendbauwerk angesichts
rückläufiger Gläubigenzahlen einen        ˜  Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und der Freien und
dauerhaften Platz in der Geschichte       		 Hansestadt Hamburg vom 29. November 2005
Frankreichs sichern.                      ˜  Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land
   Man kann davon ausgehen, dass          		 Schleswig-Holstein vom 12. Januar 2009
Staatspräsident Emmanuel Macron,

DER FELS 6/2020                                                                                                  171
Erzbischof von Paris, Michel Aupetit,      Glauben versus Skeptizismus, das    zent, deren Glauben durch die Krise
formuliert es in seinem Feuilleton-     ist eine europäische, ja abendländi-   vertieft wurde.
Beitrag für „La Croix“ so: „Vor allen   sche Diskussion. Die Krise bringt         Und Deutschland? Hier lagen An-
Dingen ist die Kathedrale ein Haus      sie erneut zutage. Sie hat nicht nur   fang Mai noch keine zuverlässigen
des Gebetes für alle Völker, und der    in Frankreich zu einem bewussteren     Zahlen vor. Allerdings gab es auch
Bischof, der hier seinen Sitz hat,      Glauben geführt, auch in dem am        unter den Christen in Deutschland
muss ein Diener der Einheit der Men-    stärksten von dem Virus getroffenen    unterschiedliche Meinungen, wie es
schen aller Rassen, Sprachen, und       Land, den Vereinigten Staaten von      sich denn mit dem Grundrecht auf
Nationen sein.“ Das sei eine Einheit    Amerika, hat die Krise dazu geführt,   Religionsfreiheit und Religionsaus-
des Geistes, nicht der „Touristenmas-   dass die gläubigen Menschen wieder     übung verhalte. Dabei traten auch
se“, die der Unterhaltungsindustrie     mehr beten und Halt im Glauben su-     erstaunlich staatsgläubige Ansichten
und dem Reich des Konsums diene.        chen. Eine Studie des Umfrage-For-     zutage. Kanzleramt und auch die
Hier knüpft er vielleicht unbewusst     schungsinstituts PEW-Research be-      meisten Länderchefs meinten, diese
an die Gedankenkette Ortegas an,        ziffert den Zuwachs auf 35 Prozent.    Frage müsse von Berlin entschie-
die der Spanier in seinem „Aufstand     So viele Christen geben an, dass       den werden. Es war der nordrhein-
der Massen“ schon entfaltete und in     die Krise ihren Glauben intensiviert   westfälische Regierungschef Armin
dem eingangs zitierten Essay in den     habe. Besonders stark ist der Effekt   Laschet, der seine Amtskollegen und
Satz bündelte: „Der Katholizismus in    bei Afro-Amerikanern mit 56 Pro-       die Kanzlerin darauf hinwies, dass
Frankreich war und ist eine großarti-   zent. Aufgeschlüsselt nach Konfes-     die Konkordate mit den Ländern und
ge Kraft, doch nicht minder kraftvoll   sionen ergibt sich: Bei Protestanten   nicht mit dem Bund abgeschlossen
ist sein scharfer Skeptizismus.“        sind es 38, bei Katholiken 27 Pro-     worden seien (siehe Kasten) und
                                                                               dass NRW deshalb im März nur mit
                                                                               der Bitte an die Kirchen herange-
                                                                               treten sei, eine Selbstverpflichtung
                                                                               vorzunehmen und die Vorschriften
                                                                               aus der Runde der Ministerpräsiden-
                                                                               ten mit der Kanzlerin als dringende
                                                                               Empfehlungen zu betrachten. Was
                                                                                    die Kirchen auch taten. Und was
                                                                                       ihnen die Möglichkeit eröff-
                                                                                         nete, auch selbständig den
                                                                                          Zeitpunkt für Gottesdiens-
                                                                                           te zu bestimmen. So gab
                                                                                            es ab dem 1. Mai bereits
                                                                                            öffentlich zugängliche
                                                                                            Heilige Messen.
                                                                                               Erstaunlich ist aller-
                                                                                            dings, wie klaglos und
                                                                                           nahezu unterwürfig die
                                                                                          meisten Diözesen sich dem
                                                                                        Diktat in den übrigen Ländern
                                                                                     beugten. Außer in Köln wurde
                                                                                  nur in Regensburg noch Kritik laut.
                                                                               Besonders befremdlich ist das von
                                                                               manchen Bischöfen bis weit in den
                                                                               Mai hinein ausgesprochene Verbot,
                                                                               öffentlich Messen zu lesen. So als ob
                                                                               die Gesundheit, nicht der Glaube und
                                                                               die Beziehung zu Gott das höchste
                                                                               Gut für den Menschen wäre und das
                                                                               Motto der Kirche in Deutschland lau-
                                                                               te: Gesund sterben um wohlbehalten
                                                                               Wohnung zu nehmen im Paradies.
                                                                                  Es blieb dem Protestanten und
                                                                               Bundestagspräsidenten        Wolfgang
                                                                               Schäuble vorbehalten, darauf hinzu-
                                                                               weisen, dass noch nicht einmal das
                                                                               Grundgesetz das gesunde Leben als
                                                                               absoluten Wert sehe. Absolut sei nur
                                                                               die Würde. Dafür wurde er von laizis-
                                                                               tischen Blättern wie der Frankfurter
                                                                               Allgemeinen Sonntagszeitung auch
                                                                               gescholten, der Ton war geradezu

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empört. Die Würde allerdings ist für     Lebensrettung für alte Co-
Christen nur deshalb absolut, weil sie   rona-Patienten hingewiesen
in Gott gründet, denn der Würde des      und seine Parteifreunde ihn
Menschen kommt nur als Ebenbild          deswegen als lebens- und
Gottes dieser Absolutheitsanspruch       menschenfeindlich bezeichnet.
zu. Das gleiche Argument wurde              Glaubensfragen sind Lebens-
übrigens in der Abtreibungsdebatte       fragen. Die Corona-Krise macht es
von Schäuble verworfen. Aber der         erneut deutlich. Man kann aber da-
Zusammenhang ist evident und seine       von ausgehen, dass Lebensrecht und       zur Pilgerschaft des Lebens aufruft.
Verneinung erstaunlich. Robin Ale-       Lebensschutz nicht für alle gleicher-    Sie muss der Ort sein, zu dem der
xander schreibt dazu in der WELT:        maßen gilt. Die grüne Klientel ist       Mensch kommt vor das Angesicht
„Gerade wer die Meinung teilt, dass      eben gleicher als andere – solange       des Herrn – um dort zu trinken am
Leben ein absoluter Wert ist, staunt     man lebt. Wirkliche Gleichheit gibt      Wasser des Lebens.“
in diesen Tagen. Er hat plötzlich        es nur vor Gott. Menschenwürde ist          Die Restauration von Notre Dame
überall Mitstreiter! Neulich, als das    weder von der Wirtschaft noch von        hat symbolischen Wert für den Wie-
Bundesverfassungsgericht das Ver-        der Politik zu ersetzen, weder vom       deraufbau Europas nach Corona.
bot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe     Kapitalismus noch vom Liberalismus       Nicht nur, weil das neue Europa
kippte, hatte man gar nichts von ih-     oder Kommunismus. In diesem Sinn         sich zwischen China und den USA,
nen gehört. Auch fanden es viele im      steht die Diskussion um Notre Dame       zwischen Diktatur und freier Welt
Bundestag richtig, dass ein Bluttest     nicht nur für eine Jahrhundertdiskus-    wird entscheiden müssen, was die
von den Krankenkassen bezahlt wird,      sion, sondern für einen, wenn man so     Bundeskanzlerin in ihrer Schwär-
mit dem Kinder mit Trisomie 21 vor       will, ewigen Streit unter den Men-       merei für das Modell der modernen
der Geburt aufgespürt werden. Eine       schen und im Menschen selbst. Sie        asiatischen Diktatur nicht will, wozu
Mehrheit möchte sogar das Werbe-         weist den Weg. Der Erzbischof von        Deutschland aber von Frankreich und
verbot für Abtreibungen kippen.          Paris formuliert es, fast hymnisch,      den anderen gedrängt werden wird.
Christliche Aktivisten, die jährlich     so: „Der Glaube wird nur bewahrt,        Nein, Europa wird auch die Weichen
100.000 Schwangerschaftsabbrüche         indem man ihn sucht und vertieft,        der geistigen Verfassung neu justie-
für eine Tragödie halten, trauen sich    der Unglaube dagegen muss sich der       ren müssen. Wird Europa seine Seele
nur einmal im Jahr zur Demo ins Re-      Anfrage nach Sinn, der tiefsten Sehn-    bewahren, den Glauben an Christus
gierungsviertel und werden dabei von     sucht des Menschen, stellen. Wie und     neu entdecken und bezeugen? Oder
Gegendemonstranten verhöhnt und          wofür also muss die Kathedrale für       wird es zu einem Museum und die
bespuckt. In diesem Jahr sollten sie     das 21. Jahrhundert beschaffen sein?     Menschen zu katholischen Trocken-
vielleicht T-Shirts tragen: „Ich war     So wie immer, für das Ziel von im-       früchten, saftlos und schwer ver-
schon für Lebensschutz, als es noch      mer: Für das Lob Gottes und das Heil     daubar? An diese Wegscheide nach
nicht cool war.“ Alexander hatte die     der Menschen. Sie muss dieser, ihrer     Corona denken in Berlin und Brüssel
Kritik aus den Reihen der Grünen         Bestimmung treu bleiben, sonst ver-      vermutlich nur wenig Politiker. Aber
an der Äußerung des Tübinger OB          liert sie ihre Seele. Sie muss die ge-   ohne einen neuen Geist, ohne den
Boris Palmer, ebenfalls ein Grüner,      heimnisvolle Behausung der Präsenz       Geist von Notre Dame, wird das An-
aufgegriffen. Palmer hatte auf die       Gottes auf Erden bleiben, die jeden      gesicht der Erde nicht erneuert. q

DER FELS 6/2020                                                                                                   173
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