Kollektive Gegenmachtbildung - US-Chinapolitik unter Präsident Biden - Stiftung Wissenschaft ...
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NR. 2 JANUAR 2022 Einleitung Kollektive Gegenmachtbildung – US-Chinapolitik unter Präsident Biden Peter Rudolf Präsident Biden hat die unter seinem Vorgänger eingeleitete Ausrichtung amerika- nischer Weltpolitik auf den Konflikt mit China weitergeführt. Eingebettet ist die »strategische Konkurrenz« mit China in ein Narrativ, dem zufolge sich die Welt in einer fundamentalen Auseinandersetzung zwischen Demokratie und Autokratie befindet. Diese Erzählung beherrschte auch den »Summit for Democracy« im Dezem- ber 2021. Die Ideologisierung der geopolitischen und geoökonomischen Hegemonial- konkurrenz mag nützlich sein, um andere Staaten in die Politik kollektiver Gegen- machtbildung einzubinden, die unter Präsident Biden Gestalt gewonnen hat. Innen- politisch könnte dieses Narrativ jedoch den Republikanern in die Hände spielen. Zwar existiert im Kongress ein breiter überparteilicher Konsens zugunsten einer harten Linie. Allerdings verdeckt dieser die Unterschiede, die in der Frage des Umgangs mit China nach wie vor bestehen. China ist kein Thema, das der Polarisie- rung in den USA völlig entzogen ist. Die Demokraten bleiben der republikanischen Kritik ausgesetzt, in Sachen China »schwach« zu sein. Für Präsident Biden ist es die Auseinander- Demokratie versus Autokratie: setzung zwischen Demokratie und Auto- Präsident Bidens Narrativ kratie, um die es bei der Konkurrenz zwi- schen Amerika und China geht. Aus dieser Die Biden-Administration verwebt zwei Sicht sind die Autokratien global auf dem Dinge miteinander: das Erstarken eines Vormarsch. Man stehe an einem Scheide- Populismus mit antidemokratischen Zügen weg, inmitten einer »fundamentalen De- in zahlreichen Staaten, besonders den USA, batte über die künftige Richtung der Welt«. und die ideologische Konkurrenz mit China. Mit welcher Regierungsform lassen sich Diese Sicht, manchmal bereits als Biden- die Herausforderungen besser meistern? Die Doktrin bezeichnet, ist nicht nur Ausdruck USA und andere Demokratien müssten eines unsicher gewordenen Glaubens an die beweisen, dass das demokratische Modell Kraft der amerikanischen Demokratie. Sie kein »Relikt der Geschichte« ist. bildet eine Art Projektion der eigentlichen, nämlich inneren Gefährdung der amerikani- schen und anderer Demokratien nach außen.
Vielleicht ist das Narrativ von der fun- werden die USA in der Rivalität mit China damentalen Auseinandersetzung zwischen wohl kaum wählerischer sein als einst im Demokratie und Autokratie nur Rhetorik, Kalten Krieg mit der Sowjetunion. um, wie bisweilen vermutet, nach den Der Konflikt mit China um die führende Trump-Jahren die Amerikaner von ihren Rolle in der Welt wird in dieser ideologisch Selbstzweifeln zu therapieren und den aufgeladenen Sicht zu einer Art »mani- amerikanischen Führungsanspruch zu chäischem Kampf zwischen Demokratie untermauern. Denn wieso sollten Staaten und Diktatur«, wie es der Economist auf den die USA im Konflikt mit China unterstüt- Punkt brachte. Die chinesische Führung zen, wenn sie keine militärische Bedrohung mag sich bedroht sehen, doch ist das chine- durch China fürchten müssen und es sie sische Modell wirklich eine Bedrohung für weitgehend kaltlässt, ob die USA ihre hege- den Westen? Und noch weitere kritische moniale Position behalten oder China in Einwände gegen das Narrativ der Biden- die Führungsrolle aufrückt? Die ideologi- Administration sind in der amerikanischen sche Sicht, das Porträt des Konflikts als Debatte zu vernehmen: Eine Sicht, in der eines Wertekonflikts, könnte für manche sich Demokratien und Autokratien in Staaten attraktiv sein, wie mitunter in der einem geradezu welthistorischen Konflikt amerikanischen Debatte argumentiert wird. gegenüberstehen, enge den Spielraum für Vielleicht meint es die Administration auch Diplomatie ein und sei der Zusammen- ernst mit dem Versuch, den Hegemonial- arbeit bei gemeinsamen Herausforderungen konflikt mit China in erster Linie als ideo- nicht förderlich. Werde die Trennung zwi- logische Einflusskonkurrenz zu führen. schen Demokratien und Autokratien zur Im Kontrast zur Demokratie-Rhetorik neuen Konfliktlinie der Weltpolitik, dann weist nichts darauf hin, dass Präsident bleibe eigentlich kein Platz für Zugeständ- Biden Bündnisse und Partnerschaften auf nisse an eine Macht wie China, die eine demokratische Staaten beschränken will. größere Rolle einfordere, bislang aber »nur Biden neigt einem »pragmatischen Realis- selektiv revisionistisch« sei. Wenn der Kon- mus« zu, wie sich besonders am Rückzug flikt mit China vor allem durch das »ideo- aus Afghanistan beobachten ließ. Mit Blick logische Prisma« wahrgenommen werde, auf China bauen die USA ihre Beziehungen müsse eher politischer Wandel in China das zu den autoritären Staaten Thailand und Ziel sein. Vietnam ebenso aus wie zu Indien und den In der Tat begünstigt die Ideologisierung Philippinen, zwei Staaten, die als »illiberale des Konflikts eine essentialistische Sicht, Demokratien« bezeichnet werden könnten. der zufolge der chinesisch-amerikanische Für militärische Operationen im Südchine- Antagonismus in der Herrschaft der Kom- sischen Meer sind die Philippinen von zen- munistischen Partei Chinas wurzele. So traler Bedeutung. hatte die Trump-Administration gegen Ende Das Dilemma einer Politik, welche die ihrer Amtszeit die Partei mit ihrer »totalitä- weltweite Unterstützung der Demokratie ren Ideologie« zu einer Bedrohung für den zum Ziel erklärt, ist offenkundig: Druck auf amerikanischen »way of life«, ja für »Leben diktatorische Regime oder die Abkehr von und Existenz« der Amerikaner stilisiert und ihnen wäre im Sinne einer konsistenten, scharf zwischen »freiheitsliebender« chine- weniger doppelzüngigen Politik gefordert. sischer Bevölkerung und der Kommunisti- Doch der Preis dafür könnte sein, in der schen Partei unterschieden. Eine solche geopolitischen Auseinandersetzung mit Rhetorik, die einen Regimewechsel als Ziel China Einfluss aufzugeben. Wie Druck auf amerikanischer Politik nahelegt, musste Staaten ausüben, demokratischer zu werden, geradezu die tiefsitzende Angst der chinesi- ohne sie in Chinas Einflusszone zu treiben? schen Führung vor politischer Unruhe Darauf hat amerikanische Außenpolitik und vor Subversion nähren. Ja, sie sollte es keine Antwort. Was die Zusammenarbeit wohl, denn führende Köpfe in der Trump- mit strategisch wichtigen Staaten betrifft, Administration waren offenbar bestrebt, die SWP-Aktuell 2 Januar 2022 2
Politik des politischen und wirtschaftlichen Kern kompetitiv, aber darin mischen sich, Engagements mit China als Fehlschlag zu wie Außenminister Antony Blinken an- diskreditieren, sie daher zu beenden sowie merkte, Elemente der Konkurrenz, der Ko- eine wirtschaftlich-technologische Entkopp- operation und der Gegnerschaft. lung und dauerhafte Konfrontation in Gang China will, so wird es in Washington zu setzen. Aus der Biden-Administration wahrgenommen, stärkste wirtschaftliche sind jedoch bisher keinerlei Äußerungen zu und militärische Macht der Welt werden vernehmen, die in Richtung Regimewechsel und strebt eine weltweite Führungsrolle an. gehen. Im Gegenteil: Sicherheitsberater Damit wird China zu einer Herausforderung Jake Sullivan stellte im November 2021 für die regelbasierte, auf liberalen Werten klar, Ziel sei nicht »irgendeine fundamen- beruhende internationale Ordnung, wie sie tale Transformation Chinas«. sich unter amerikanischer Führung heraus- gebildet hat. Nicht um die Eindämmung Chinas oder einen Regimewechsel geht es Strategische Konkurrenz der Biden-Administration im eigenen Selbst- als Paradigma verständnis, sondern um die Aufrechterhal- tung der gewachsenen internationalen Ord- Vielmehr geht es der Biden-Administration nung. Nicht wirtschaftliche Entkopplung darum, wie es in der Interim National Security lautet das erklärte Ziel, sondern wirtschaft- Strategic Guidance vom März 2021 heißt, liche Interaktionen auf Basis von Reziprozi- »sich in der strategischen Konkurrenz mit tät. Diese sollen indes gewisse Schranken China oder jeder anderen Nation durch- haben: zum einen, was kritische Technolo- zusetzen« (»prevail«). War unter Präsident gien und Investitionen angeht, zum ande- Trump meist die Rede von »great power ren, wenn Handel und Investitionen Repres- competition«, so wurde unter Präsident sion und Menschenrechtsverletzungen in Biden »strategic competition« zu einer Art China begünstigen. Mit ihrer Chinapolitik programmatischem Konzept für die China- wollen die USA Bedingungen schaffen, unter politik. Offensichtlich konnte sich die denen die »Koexistenz« mit China amerika- Biden-Administration dem Sog des Topos nische Interessen und Werte begünstigt. »competition« nicht entziehen, auch wenn Eines scheint auch unter Präsident Biden zwei sicherheitspolitische Protagonisten klar: Die USA wollen Führungsmacht blei- im Weißen Haus, der Nationale Sicherheits- ben, doch aus ihrer Sicht droht Chinas Auf- berater Jake Sullivan und der Coordinator stieg ihren Status als alleinige Supermacht for Indo-Pacific Affairs Kurt Campbell, viel- in Frage zu stellen. Ihr relativer Machtver- leicht nicht allzu glücklich darüber sind. lust hat Befürchtungen geweckt, die USA Schließlich hatten sie in einem 2019 erschie- könnten die Kontrolle über Entwicklungen nenen Artikel einiges Kritische zu diesem in der internationalen Politik verlieren. Begriff geschrieben. Laut Sullivan und Deshalb kommt es für die Biden-Admini- Campbell besteht die Gefahr, dass die Kon- stration zuallererst darauf an, dass die USA kurrenz zum Selbstzweck werden könnte. industriell und technologisch fähig werden, Offen bleibe, wo überall diese Konkurrenz »die weltweite Konkurrenz mit China in ausgetragen werden solle und was ihre den kommenden Jahren zu gewinnen«. Mit Ziele seien. Aus ihrer Sicht ist Konkurrenz diesen Worten warb Präsident Biden für eher eine Realität, die gehandhabt werden sein breit angelegtes Investitionsprogramm. müsse – und kein Problem, das gelöst Dass die Biden-Administration die China- werden könne. Nun ist unter Biden »compe- Karte gezogen hat – wenn auch mit be- tition« zum »vorherrschenden Paradigma« schränktem Erfolg bei Republikanern im geworden, wie es Campbell formulierte, Kongress –, zeigt, wie sehr die Heraus- und Ziel sei, daraus eine »stabile, friedliche forderung durch China die amerikanische Konkurrenz« zu machen. Die amerikanisch- Politik prägt. Nicht ohne Grund wird an chinesischen Beziehungen sind zwar im den »Sputnik-Schock« erinnert: In den SWP-Aktuell 2 Januar 2022 3
1950er Jahren hatten die Bedrohung durch Minderheit und für militärische Zwecke die Sowjetunion und die Furcht, techno- eingesetzt würden. logisch gegenüber dem Kontrahenten ins Zudem weitete die Biden-Administration Hintertreffen zu geraten, massive Investi- die Zahl jener chinesischen Firmen aus, in tionen der USA in Infrastruktur, Techno- die Amerikaner wegen deren Verbindung logie und Forschung zur Folge. Es war kein zur Volksbefreiungsarmee nicht mehr in- Zufall, dass Präsident Bidens Gespräch mit vestieren dürfen und aus denen sie ihre Chinas Präsident Xi Jinping unmittelbar Investitionen abziehen müssen. Im Dezem- nach Unterzeichnung des Infrastructure In- ber 2021 setzte das Treasury Department vestment and Jobs Act am 15. November 2021 weitere acht chinesische Betriebe auf die stattfand. Es gibt eine überparteiliche Ent- Non-SDN Chinese Military-Industrial Complex schlossenheit, die Machtposition der USA zu Companies List, auf der bereits 60 Firmen stärken – so lautete die damit ausgesandte standen. In der Biden-Administration wird Botschaft, um der in China verbreiteten nun darüber beraten, ob und wie ameri- Wahrnehmung entgegenzuwirken, die USA kanische Investitionen in China stärker seien im unaufhaltsamen Niedergang kontrolliert werden. Erlaubt sind nämlich begriffen. Investitionen in Unternehmen, die sich nicht auf der Liste befinden. Washington befürchtet, dass amerikanisches Kapital Selektive wirtschaftlich- die Entwicklung auch militärisch nutzbarer technologische Distanzierung Technologien unterstützt. Amerikanische Firmen und Universitä- Die eigene wirtschaftlich-technologische ten werden vom National Counterintelligence Basis zu stärken ist das eine, den techno- and Security Center vor den Risiken gewarnt, logischen Fortschritt Chinas zu behindern die aus einer Zusammenarbeit mit chinesi- das andere. So übt die Biden-Administration schen Einrichtungen bei neuen Schlüssel- unverändert Druck auf Huawei und andere technologien wie künstlicher Intelligenz, chinesische Firmen aus und setzte weitere Biotechnologie und Quanten-Computing Unternehmen auf eine Sanktionsliste (Entity erwachsen können. Unter Biden setzt das List). Bis Ende November 2021 hatte Bidens FBI die unter Trump eingeleitete China Handelsministerin Gina Raimondo nicht Initiative fort, mit der chinesische Spionage weniger als 66 chinesische Firmen neu auf- in den USA unterbunden werden soll. In- gelistet – offensichtlich nicht genug für folge dieser Initiative sind aus China stam- Republikaner wie Senator Tom Cotton, der mende Wissenschaftlerinnen und Wissen- Raimondo als »Secretary of the China Lobby« schaftler an amerikanischen Universitäten abstempelte. Ohne Genehmigung, die je- ins Visier des FBI geraten. doch selten erteilt wird, dürfen amerikani- Auch der Kongress treibt die wirtschaft- sche Unternehmen bestimmte Produkte liche Distanzierung der USA von China nicht mehr an chinesische Firmen liefern, voran. So drängen die Republikaner im die auf der Entity List stehen. Die Regelung Repräsentantenhaus auf schärfere Export- gilt auch für ausländische Firmen, wenn kontrollen gegenüber China. Längst ist ihre Produkte in einem bestimmten Umfang die Republikanische Partei nicht mehr der amerikanische Komponenten enthalten. natürliche Ansprechpartner für jene ame- Mitte Dezember 2021 setzte das Handels- rikanischen Firmen, die eine weitere Ver- ministerium 34 in China ansässige Einrich- schlechterung in den amerikanisch-chinesi- tungen auf die Entity List, darunter gut schen Wirtschaftsbeziehungen fürchten. ein Dutzend im Bereich Biotechnologie Die Hoffnungen des US-China Business Council, arbeitender chinesischer Betriebe und Insti- der die Interessen von etwa 250 Unterneh- tute, da deren Forschung und deren Pro- men vertritt, richten sich mittlerweile auf dukte für die Repression der uigurischen eher progressive Abgeordnete und Senato- ren. Daher hat er seine Argumentationslinie SWP-Aktuell 2 Januar 2022 4
angepasst: Zögen sich immer mehr Firmen Bereichen Zugeständnisse zu machen, um aus dem Chinageschäft zurück, verlören die China mehr Kooperation in der Klimapoli- USA auch in der Menschenrechtspolitik an tik abzuringen. Hebelkraft. Eine noch härtere Linie gegen- über China bereite den Boden für eine Kon- frontation, in der die USA über Jahrzehnte Taiwan: Abkehr von der hohe Militärausgaben bestreiten müssten. »strategischen Zweideutigkeit«? Im Kongress spielt über Parteigrenzen hinweg die Menschenrechtssituation in Nicht nur die Respektierung der Menschen- China eine große Rolle. Der Senat verab- rechte in China hat im US-Kongress seit schiedete im Juli 2021 ohne Gegenstimme Jahrzehnten großes Gewicht, sondern auch seine Version des Uyghur Forced Labor Preven- der Umgang mit Taiwan. In der Taiwan- tion Act, das Repräsentantenhaus mit einer Frage setzt die Biden-Administration die Gegenstimme seinen Entwurf im Dezember bereits unter Trump eingeleitete Verdich- 2021. Kurz vor Weihnachten setzte Präsi- tung der Beziehungen zu Taipeh fort. dent Biden seine Unterschrift unter die zwi- Unter Biden wurden die Restriktionen für schen den beiden Häusern des Kongresses Treffen zwischen amerikanischen und ausgehandelte Endfassung. In Zukunft gilt taiwanesischen Diplomaten gelockert. Diese die »widerlegbare Vermutung« (»rebuttable Beschränkungen hatte es seit dem Abbruch presumption«), dass Produkte aus Xinjiang der diplomatischen Beziehungen zu Taiwan unter Zwangsarbeit hergestellt und daher 1979 gegeben (Trumps Außenminister nicht in die USA eingeführt werden dürfen, Pompeo hatte diese Regelungen im Januar sofern nicht nachgewiesen werden kann, 2021 für null und nichtig erklärt, unter dass die Annahme nicht zutrifft. Vermut- Biden wurde diese Komplettaufhebung rück- lich wird dieses Gesetz die Entscheidungen gängig gemacht). Nicht nur in die diplo- amerikanischer Firmen stark beeinflussen. matischen Beziehungen war Bewegung Die Verlagerung von Lieferketten und Inve- gekommen. Laut Presseberichten im Okto- stitionen in andere Länder dürfte sich be- ber 2021 sind amerikanische Militäraus- schleunigen. Das Gesetz kollidiert mit der bilder seit über einem Jahr in Taiwan tätig. Klimapolitik, sofern es auch die Einfuhr Erstmals seit Aufnahme diplomatischer von Polysilizium aus Xinjiang behindert, Beziehungen mit Peking im Jahre 1978 lud ein Material, das in Solaranlagen genutzt ein neuer US-Präsident den wirtschaftlichen wird. Fünf bis zehn Jahre wird es nach und kulturellen Vertreter Taiwans in Wash- Einschätzung der Administration dauern, ington zur Inauguration ein. bis die Abhängigkeit von Lieferungen aus Wiederholt erweckte Präsident Biden in Xinjiang überwunden ist. Für Republikaner Äußerungen den Eindruck, die USA hätten wie Senator Marco Rubio ist John Kerry, eine Verpflichtung, Taiwan im Falle eines Sondergesandter für Klimapolitik, der militärischen Angriffs zu unterstützen – Verantwortliche, der hier zu blockieren was das Weiße Haus jeweils kurz darauf versuchte. Kerry ist – dies zumindest trifft relativierte: Es gebe keine Abkehr von der zu – jene Stimme in der Administration, bisher geltenden Politik, die als »strategi- die auf direkte Gespräche zwischen dem sche Zweideutigkeit« firmiert. Nachdem die amerikanischen und dem chinesischen USA ihre Beziehungen zur Volksrepublik Präsidenten gedrängt hat, in der Hoffnung, China 1978 normalisiert hatten, kündigten dass sich die Voraussetzungen für eine sie den Verteidigungsvertrag mit Taiwan kooperative Haltung Chinas in der Klima- auf. Gemäß dem Taiwan Relations Act von politik verbessern. Diese Einschätzung wird 1979 lautet die Position der USA, jedweden jedoch im Weißen Haus so nicht geteilt, Versuch, die Zukunft Taiwans anders als auch nicht von Sicherheitsberater Sullivan. mit friedlichen Mitteln zu entscheiden, als Weithin gilt es in der Administration als Bedrohung des Friedens und der Sicherheit unrealistisch und inakzeptabel, in strittigen im westlichen Pazifik anzusehen. Zwar stel- SWP-Aktuell 2 Januar 2022 5
len die USA Antworten auf eine Bedrohung szenario einer möglichen chinesischen Erst- Taiwans in Aussicht, haben sich aber nicht schlagfähigkeit verhindern wollen, dass die auf eine Reaktion verpflichtet. Innenpoli- Rolle amerikanischer Kernwaffen reduziert tisch ist die traditionelle Politik umstritten. und Nuklearwaffenprogramme zusammen- Im Kongress artikuliert sich das Unbehagen gestrichen werden. Das sind nicht nur etwa in dem nicht nur, aber vor allem von Republikaner im Kongress. Auch im Penta- Republikanern initiierten Taiwan Invasion gon scheinen die Beharrungskräfte stark Prevention Act. Dieser gäbe dem Präsidenten zu sein. Von einem »atemberaubenden Aus- eine Art Generalvollmacht zur militärischen bau« der chinesischen Nuklearfähigkeiten Unterstützung Taiwans, um schnelles Han- und einem »strategischen Ausbruch« sprach deln zu ermöglichen. Eine solche Vorab- der Kommandeur des U.S. Strategic Command, ermächtigung des Präsidenten liefe indes Admiral Charles Richard. Wenn dies so dem Anliegen jener Senatoren und Abge- weitergehe, laufe es auf Chinas Erstschlag- ordneten zuwider, welche die Kriegsvoll- fähigkeit hinaus, meinte Luftwaffenmini- machten des Präsidenten eher beschneiden ster Frank Kendall. als ausweiten wollen. Im jüngsten Bericht des Pentagon vom November 2021 über die militärische Ent- wicklung in China heißt es, bis 2027 könne Neu im Blick: Peking 700 einsatzfähige Nukleargefechts- Nukleare Abschreckung und köpfe besitzen, bis 2030 sogar 1.000. Laut Instabilitätsrisiken dem Bericht sei möglicherweise eine nukle- are Triade Chinas (gemeint sind land-, luft- Der ungelöste Souveränitätskonflikt um Tai- und seegestützte Waffen) »im Entstehen wan birgt das Risiko eines unter Umständen begriffen«. Zudem gebe es Indizien dafür, nuklear geführten Krieges zwischen USA dass China die Einsatzfähigkeit seiner und China. Entsprechend aufmerksam wird Nuklearwaffen durch die Hinwendung zu in den USA daher die chinesische Rüstungs- einem »launch-on-warning posture« erhöhe. politik verfolgt. Beträchtlichen Wirbel löste Darunter wird die Fähigkeit verstanden, Mitte Oktober 2021 ein auf anonymen im Falle eines gegnerischen Erstschlages die Quellen beruhender Pressebericht aus. Dort eigenen Raketen zu starten, sobald Früh- hieß es, China habe wenige Monate zuvor warnsysteme einen solchen Angriff melden. erfolgreich eine nuklearfähige, die Erde um- China scheint seine Zweitschlagfähigkeit rundende und dann wieder in die Erdatmo- sichern zu wollen. Das nukleare Moderni- sphäre eintretende Hyperschallrakete ge- sierungsprogramm der USA und ihre Pro- testet. Der Bericht kam vermutlich nicht jekte zur Raketenabwehr haben auf chinesi- zufällig zu einer Zeit, in der die Überprü- scher Seite offenbar Zweifel hervorgerufen, fung der amerikanischen Nukleardoktrin, ob die Zweitschlagfähigkeit nach einem die sogenannte Nuclear Posture Review, in die amerikanischen (Nuklear-) Angriff noch ge- Endphase ging. Offenbar schneller als auf geben wäre. Zudem argwöhnt Peking, in amerikanischer Seite erwartet hat China einer militärischen Auseinandersetzung um Fortschritte bei Überschallraketen erzielt – Taiwan könnten die USA Kernwaffen im Kontrast zu den USA: Hier schlugen im geringerer Sprengkraft gegen chinesische Laufe des Jahres 2021 Tests mit Überschall- Kriegsschiffe einsetzen, die sich auf dem gleitern fehl. Der chinesische Test (der, wie Weg nach Taiwan befinden. Auf amerikani- das Pentagon im Dezember 2021 bestätigte, scher Seite wiederum nährt die Aussicht im Juli stattgefunden hatte), aber auch auf ein größeres chinesisches Nuklearwaf- vorangegangene Berichte über einen massi- fenarsenal die Befürchtung, im Falle eines ven Ausbau der Zahl chinesischer Raketen- nuklearen Patts könne China risikobereiter silos verfehlten ihre Wirkung auf die ame- werden. Beunruhigt ist die amerikanische rikanische Nukleardebatte nicht. Auftrieb Seite vor allem durch das folgende Szenario erhielten jene, die mit dem Bedrohungs- eines Angriffs der Volksrepublik China auf SWP-Aktuell 2 Januar 2022 6
Taiwan: Peking hat die Fähigkeit erworben, stützung nukleargetriebene U-Boote in in einem schnellen, konventionell geführ- Australien gebaut werden sollen – ein kom- ten Krieg vollendete Tatsachen zu schaffen, plexes Unterfangen, das in seinen Einzel- und setzt darauf, die USA aufgrund wechsel- heiten noch ausgearbeitet werden muss. seitiger Verwundbarkeit von einem mög- Die Abkehr Australiens von dieselgetriebe- lichen Ersteinsatz nuklearer Waffen abzu- nen Booten hat strategische Bedeutung, schrecken. denn U-Boote mit Nuklearantrieb erhöhen In Präsident Bidens Umfeld blickt man Reichweite und Offensivfähigkeiten der mit Sorge auf eine mögliche künftige Rüs- australischen Marine. tungskonkurrenz zwischen China und den Aufgabe des ebenfalls neu geschaffenen USA im Bereich von Überschall-, Cyber- und US-EU Trade and Technology Council soll es Weltraumwaffen. Mittlerweile haben Wash- sein, die jeweiligen Ansätze zu Technologie, ington und Peking informelle Gespräche Wirtschaft und Handel zu koordinieren über nukleare Stabilität vereinbart. Zunächst und die transatlantischen Wirtschaftsbezie- soll es darum gehen, unbeabsichtigte mili- hungen auf der Grundlage demokratischer tärische Konflikte zu vermeiden, zumal es Werte zu vertiefen. Konkret geht es in erster keine festen Kommunikationskanäle zwi- Linie darum, Exportkontrollen und Investi- schen dem amerikanischen und dem chine- tionsscreening untereinander abzustimmen sischen Militär gibt. Danach soll über die sowie Lieferketten zu sichern, vor allem bei Nuklearstrategien beider Länder ebenso ge- Halbleitern. Im Rahmen des »Summit for redet werden wie über Instabilitätsrisiken, Democracy« kündigte die Biden-Administra- die aus Cyber- und Anti-Satelliten-Angriffen tion zusammen mit Australien, Dänemark entstehen können. Schließlich – und da und Norwegen die Export Controls and Human rechnet man in Washington in Jahren von Rights Initiative an. Kanada, Frankreich, die heute an – könnten Rüstungskontroll- Niederlande und Großbritannien erklärten gespräche auf die Tagesordnung kommen. ihre Unterstützung für das Vorhaben, die Exportkontrollpolitik für Schlüsseltechno- logien zu koordinieren und einen frei- Modulare Gegenmachtbildung willigen Verhaltenskodex zu entwickeln. Wenn über Ausfuhrgenehmigungen für Auf internationaler Ebene betreibt die Technologien entschieden wird, die auto- Biden-Administration eine Politik modula- ritäre Staaten zur Überwachung und Unter- rer Gegenmachtbildung. Ein »Gitterwerk drückung ihrer Bürger nutzen können, von Bündnissen und Partnerschaften« soll sollen Menschenrechtskriterien angewandt entstehen, alte Bündnisse werden »über- werden. Man hofft, weitere Staaten in diese holt«, neue Komponenten hinzugefügt. So Initiative einzubinden. Mit Japan und Süd- aktivierte die Biden-Administration den korea haben die USA, wie es heißt, »bilate- Quadrilateral Security Dialogue (Quad) zwi- rale kooperative Partnerschaften bei kriti- schen USA, Indien, Japan und Australien. schen und neu entstehenden Technologien« Das Gipfeltreffen in Washington im Sep- gestartet. tember 2021 sandte ein klares Signal dieser vier Staaten, chinesischen Einflussgewin- nen in Asien entgegenzutreten. Was am Perspektiven Ende aus der geplanten Kooperation bei Impfstoffen, Infrastruktur und Technologie Die Biden-Administration steht vor der tatsächlich wird, bleibt indes abzuwarten. Herausforderung, die geopolitische und Neu geschaffen wurde AUKUS, eine Sicher- geoökonomische Konkurrenz mit China heitspartnerschaft zwischen Australien, und die Kooperation in globalen Fragen wie Großbritannien und den USA. Ihr wichtig- Klimapolitik und Nichtverbreitung in Ein- stes Element ist die Vereinbarung, dass klang zu bringen. Zugleich muss Washing- mit amerikanischer und britischer Unter- ton Regeln für die sich verschärfende mili- SWP-Aktuell 2 Januar 2022 7
tärische Gegnerschaft entwickeln. »Guard- Trotz unterschiedlicher Präferenzen hat rails« – also Leitplanken, Absturzsicherun- sich in der amerikanischen Chinapolitik gen – lautet der Begriff, den Präsident eine »Koalition für Konfrontation« etabliert. Biden und Mitglieder seiner Administration Weithin herrscht Einigkeit, dass die Politik dafür gern verwenden. des Engagements gescheitert sei. Daher be- Dies ist ohnehin keine leichte Aufgabe. stehen keine Anreize für ein Verhalten, das Noch schwieriger wird sie dadurch, dass es als nachgiebig gegenüber China interpretiert vor dem Hintergrund der chinakritischen werden könnte. Dieses politische Kalkül Grundstimmung politisch nicht opportun dürfte auch eine Rolle bei der Entscheidung ist, irgendeinen Schritt zu tun, den die der Biden-Administration gespielt haben, © Stiftung Wissenschaft einer konfrontativen Eindämmungspolitik an den Zollsanktionen gegenüber China und Politik, 2022 zuneigenden Republikaner im Kongress als festzuhalten. Noch im Präsidentschafts- Alle Rechte vorbehalten »Schwäche« gegenüber China auslegen wahlkampf 2020 hatte Biden sie wegen der würden. Chinakritisch ist die Grundstim- Kosten für amerikanische Verbraucher und Das Aktuell gibt die Auf- mung in der amerikanischen Öffentlichkeit Firmen scharf kritisiert. Vermutlich wäre fassung des Autors wieder. schon seit längerem, hat sich mittlerweile eine »Beschwichtigungspolitik« von chine- In der Online-Version dieser aber noch weiter verhärtet. Neun von zehn sischer Seite notwendig, um die verhärteten Publikation sind Verweise Amerikanern sehen nach einer Umfrage Positionen im amerikanischen Diskurs auf SWP-Schriften und vom Februar 2021 China als Konkurrenten aufzuweichen. Solange Pekings Politik aber wichtige Quellen anklickbar. oder Gegner an. Und laut einer Umfrage amerikanische Bedrohungswahrnehmun- SWP-Aktuells werden intern von Oktober/November 2021 glaubt gut die gen nährt, dürfte sich am Kurs der ameri- einem Begutachtungsverfah- Hälfte der Amerikaner, dass China die größ- kanischen Chinapolitik wenig ändern. ren, einem Faktencheck und te Bedrohung für die USA darstellt. Doch Sie wird dann wohl weiter in die Richtung einem Lektorat unterzogen. hinter diesen Zahlen verbergen sich Unter- einer strategischen und institutionellen Weitere Informationen schiede zwischen Republikanern und Restrukturierung der amerikanischen zur Qualitätssicherung der Demokraten, wie eine Umfrage vom Juli Außen- und Sicherheitspolitik auf den Welt- SWP finden Sie auf der SWP- Website unter https://www. 2021 zeigt: Republikaner tendieren eher konflikt mit China steuern. Für das ameri- swp-berlin.org/ueber-uns/ dazu, China als Gegner zu sehen, dessen kanische Militär ist China zur erstrangigen qualitaetssicherung/ globaler Einfluss beschränkt werden müsse. Bedrohung geworden, auf die militärische Mit großer Mehrheit befürworten sie Zölle Fähigkeiten ausgerichtet werden. Die CIA SWP auf chinesische Importe, auch wenn ameri- reorganisiert ihre Tätigkeit mit Blick auf Stiftung Wissenschaft und Politik kanischen Verbrauchern damit höhere China, indem sie ihre Ressourcen in einem Deutsches Institut für Kosten aufgebürdet werden. China Mission Center bündelt. Der Kongress Internationale Politik und Die Resonanz des Themas China nutzen verlangt im jüngsten Autorisierungsgesetz Sicherheit beide Parteien. Allem Anschein nach wird für die Verteidigungsausgaben, dass die es in den Zwischenwahlen zum Kongress Administration eine »grand strategy with Ludwigkirchplatz 3–4 im November 2022 breiten Raum einneh- respect to China« vorlegt. 10719 Berlin Telefon +49 30 880 07-0 men. Die Republikaner werden die Demo- Sollte 2025 Donald Trump oder ein ande- Fax +49 30 880 07-100 kraten aller Voraussicht nach als »schwach« rer Republikaner ins Weiße Haus einziehen, www.swp-berlin.org gegenüber China brandmarken, als nicht könnte Bidens Chinapolitik, das heißt seine swp@swp-berlin.org bereit, der von ihm ausgehenden geopoliti- multilateral angelegte Politik der Gegen- schen und wirtschaftlichen Bedrohung ent- machtbildung, ein Intermezzo bleiben. Sie ISSN (Print) 1611-6364 ISSN (Online) 2747-5018 schieden zu begegnen. Die Demokraten könnte von einer Politik konfrontativer doi: 10.18449/2022A02 wollen die ablehnende Haltung vieler Repu- Eindämmung abgelöst werden, die mit der blikaner im Senat zum U.S. Innovation and Erwartung verbunden ist, Chinas Macht Competition Act, mit dem die USA technolo- werde erodieren und die kommunistische gisch fit für die Konkurrenz mit China ge- Herrschaft implodieren. macht werden sollten, als Ausdruck der Schwäche gegenüber Peking anprangern. Dr. Peter Rudolf ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe Amerika. SWP-Aktuell 2 Januar 2022 8
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