Kunst & Können Vontobel Porträt 2015
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Über Vontobel Wir haben uns zum Ziel gesetzt, die uns anvertrauten Kundenvermögen langfristig zu schützen und zu vermehren. Spezialisiert auf das aktive Vermögensmanagement und massgeschneiderte Anlagelösungen, beraten wir verantwortungsvoll und vorausschau- end. Dabei sind wir der Schweizer Qualität und Leistungsstärke verpflichtet. Unsere Eigentümerfamilie steht mit ihrem Namen seit Generationen dafür ein. Unsere Kernfähigkeiten Vermögen schützen und vermehren: Wir wollen die uns anvertrauten Vermögen lang- fristig schützen und vermehren. Dabei beraten wir unsere Kunden über Generationen verantwortungsvoll und vorausschauend. Aktiv Vermögen managen: Als aktiver Vermögensmanager schaffen wir finanziellen Mehrwert für unsere Kunden. Dafür erarbeiten wir erstklassige Lösungen zur Ertrags- optimierung und Risikosteuerung. Massgeschneiderte Anlagelösungen umsetzen: Wir realisieren für unsere Kunden massgeschneiderte Anlagelösungen. Unser vorausschauendes Research sowie unsere Produkt- und Prozesskompetenz machen uns zum passenden Partner. Unsere Unternehmenswerte Wir denken vorausschauend, handeln verantwortungsvoll und arbeiten erstklassig für unsere Kunden. Vontobel waren per Ende Dezember 2014 Kundenvermögen in Höhe von CHF 190.7 Mrd. anvertraut. Vontobel beschäftigt weltweit rund 1’400 Mitarbeitende an 21 Standorten. Die Namensaktien der Vontobel Holding AG sind an der SIX Swiss Exchange kotiert. Die Familien Vontobel und die gemeinnützige Vontobel-Stiftung besitzen die Aktien- und Stimmenmehrheit.
Vorwort – Vontobel Porträt 2015 3 Kunst bereichert unser Leben Liebe Leserin, lieber Leser Kunst ist ein wichtiger Bestandteil unserer Gesellschaft. Sie bereichert unser Leben, fordert uns heraus und nimmt manchen gesellschaftlichen Wandel vorweg, ja fördert ihn zuweilen. Ein Ausdruck unserer freiheitlichen Gesellschaft ist, dass Kunst kompromisslos sein darf, Bestehendes in Frage stellen und Grenzbereiche ausloten darf und neues Terrain erschliessen kann. Die Freiheit der Kunst muss für eine moderne, offene und innovative Gesellschaft verteidigt werden. Der beste Weg dazu ist das eigene Engagement für die Kunst. Es ist unverzichtbar, dass auch Privatpersonen und Unterneh- men im Rahmen ihrer Möglichkeiten Kunst und Kultur aktiv fördern. Wir sind uns bei Vontobel dieser Verpflichtung seit jeher bewusst. So hat unser Ehren- präsident Dr. Hans Vontobel, der auf den Seiten 26/27 zu Wort kommt, diverse Stiftungen gegründet, um ebendies zu tun. Und so engagieren wir uns zum Beispiel als der Themensponsor des Lucerne Festival im Sommer, das als eines der international renommiertesten Festivals für klassische Musik jedes Jahr Musikbegeisterte aus der ganzen Welt in die Schweiz zieht. Auch das vorliegende Porträt zeugt von unserem Engagement, das wir der Kunst entgegenbringen. Es kommen Persönlichkeiten zu Wort, die sich mit Kunst befassen, seien dies Künstler, Kunstliebhaber oder Kuratoren. Menschen, die in der Kunst, mit der Kunst und von der Kunst leben. Auch stellen wir Ihnen Ex- perten unseres Hauses vor, die sich mit der «Kunst des aktiven Investierens» intensiv beschäftigen. Denn bei Vontobel sind wir davon überzeugt, dass wir dadurch langfristig Mehrwert für unsere Kunden schaffen können. Die «Kunst des aktiven Investierens» setzt nebst Kreativität auch angemessene Frei- räume und Mut voraus. Freiräume in der Gestaltung und den Mut, eine eigene Überzeugung und eine spezifische Meinung zu den Märkten und zu Invest- mentthemen zu haben und dann auch entsprechend zu handeln. Lesen Sie bei uns auch über das Für und Wider einer Investition in Kunst selbst. Ist Kunst als eine selbständige Anlageklasse zu betrachten und eignet sich eine entspre- chende Investition eventuell sogar dazu, das eigene Vermögen zu diversifi- zieren? Interessante Fragen, die wir für Sie in dieser Publikation beantworten. Wir wünschen Ihnen viel Freude bei der Lektüre des Vontobel Porträt 2015. Herbert J. Scheidt, Dr. Zeno Staub, Präsident des Verwaltungsrates Chief Executive Officer
4 Vontobel Porträt 2015 – Inhalt 6 Dr. Zeno Staub Von der Kunst, 40 22 gegen den Strom zu Regula Lüscher schwimmen Am Ende entsteht nicht nur Gebautes, sondern Baukunst Taryn Simon Vier Fragen an die Künstlerin 9 Dr. Christoph Becker 44 «Kunst ist zutiefst 30 human und notwendig» Herbert J. Scheidt Von der Kunst, die Zukunft zu gestalten Philippe Jordan «Ich ermutige die Musiker, sich selber einzubringen»
Vontobel Porträt 2015 5 6 28 Dr. Zeno Staub Claudio Pedrazzini Von der Kunst, Auge, Handhobel gegen den Strom und viel Zeit zu schwimmen 30 9 Philippe Jordan Dr. Christoph Becker «Ich ermutige die «Kunst ist zutiefst Musiker, sich selber human und notwendig» einzubringen» 12 32 Zahlen und Fakten Prof. Dr. Dirk Boll Kunst & Können Die Ökonomie des guten Geschmacks 14 Christophe Bernard 36 Die Sonderstellung Zahlen und Fakten der USA Kunst & Können 16 38 Guido Hager Axel Schwarzer «Mein erstes Bild Investieren: mehr Kunst wurde am Montag oder Wissenschaft? wieder abgeholt» 39 18 Roger Studer Klaus Thamm Die Kunst der strukturierten «Kunst zu sammeln, Individualität prägt den Sammler» 40 Umschlagbild: Ausschnitt aus dem Werk «Marilyn Diptych» von Andy Warhol. Es zeigt die 1962 verstor- 21 Regula Lüscher bene Schauspielerin Marilyn Georg Schubiger Am Ende entsteht Monroe. Andy Warhol war Kunst als Investition? nicht nur Gebautes, als einer der bekanntesten Oder Investieren sondern Baukunst Vertreter des Kunstgenres als Kunst? Pop-Art schon zu seinen 42 Lebzeiten eine Legende. Der originale Siebdruck aus dem 22 Vontobel in Zahlen Jahr 1962 befindet sich Taryn Simon in der weltberühmten Tate- Modern-Galerie, London. Vier Fragen 44 an die Künstlerin Herbert J. Scheidt Marilyn, 1981 (silkscreen), Warhol Von der Kunst, die Zukunft 26 Andy (1928–1987)/Private Collec- tion/Photo © Bonhams, London/ Bridgeman Images, Berlin zu gestalten © The Andy Warhol Foundation Dr. Hans Vontobel for the Visual Arts, Inc./2015, ProLitteris, Zurich «Quand même»
6 Vontobel Porträt 2015 – Dr. Zeno Staub, Chief Executive Officer Von der Kunst, gegen den Strom zu schwimmen Herr Dr. Staub, worin besteht die Kunst, Für mich ist das Können wichtiger als der abs- Dr. Zeno Staub ist seit einen führenden schweizerischen Vermögens- trakte Begriff Kunst. Wenn man Führung primär 2011 CEO von Vontobel. verwalter zu führen? als Kunst bezeichnet, tönt das für mich ein Zuvor war er bei Vontobel Management ist für mich nicht eine eigentliche bisschen anmassend. CFO, leitete danach das Investment Banking und Kunst, sondern eher etwas wie ein erlernbares Neben handwerklicher Arbeit braucht dann das Asset Manage- Handwerk. Ich halte es mit dem Management- es aber doch auch spezifische menschliche ment. Zeno Staub stu- Lehrer Peter Drucker, der das Management nicht Eigenschaften, um in der Führung zu dierte an der Universität auf Schlagworte wie Charisma oder Vision re- reüssieren? St. Gallen Ökonomie, wo er auch promovierte. duziert haben wollte, sondern die Wichtigkeit Es sind wenige grundsätzliche Fähigkeiten, die der handwerklichen Fähigkeiten betonte. hier entscheidend sind: Man muss authentisch
Vontobel Porträt 2015 7 und berechenbar sein, stets zuverlässig bleiben, ganz deutlich. Auch die besten Talente arbeiten auch in Stresssituationen: Das zeichnet eine bei uns immer in Teams, weil nur so die intel- gute Führung heute aus. Zusätzlich braucht es lektuelle Reibung entsteht, welche die Aus- Leidenschaft für das Thema und das Metier, nahmefähigkeiten des Einzelnen erhalten und mit dem man sich beschäftigt. Die Fähigkeit, stimulieren. Ganz wichtig ist diesen Mitarbei- diese Leidenschaft zu entwickeln und zu ver- tenden auch die Gewissheit, dass sie durch die mitteln, ist auch deshalb so wichtig, weil die Ent- Organisation getragen, unterstützt und geför- scheidungsfindung in den Unternehmen heute dert werden. stark wissensbasiert abläuft und die Strukturen Brauchen «Künstler» besondere Freiräume? flacher sind. Ohne persönliche Leidenschaft Man muss zulassen, dass sie einen eigenen fehlt die Basis für eine dauerhafte Leistung. Stil entwickeln dürfen. Vontobel kann dies- Davon bin ich überzeugt. bezüglich mehr Freiräume bieten, weil wir als Sehen Sie trotzdem eine künstlerische Organisation überschaubarer und agiler sind Komponente in Ihrem Metier? und weil der Hauptaktionär diese Philosophie Lassen Sie uns festhalten, was man landläufig mit grosser Über zeugung unterstützt. Da wir unter einem Künstler versteht. Er ist eine uns nicht an Quartalszyklen ausrichten, können Person, die aus einem genormten Rahmen aus- wir den Ideen und Initiativen der Mitarbeiten- bricht, die Konventionen aufbricht, nach den mehr Zeit geben als grosse Wettbewerber. vorne denkt, Strukturen und Realität dekons- Dort will vielfach niemand die Verant wortung truiert und neu komponiert, die kreativ Neues übernehmen, wenn sich die Erfolge nicht kurz- schafft usw. Dies lässt sich durchaus auf fristig einstellen. unser Metier transformieren: Wer überdurch- schnittlich erfolgreich investieren will, muss zu Erkenntnissen gelangen, die vom breiten Kon- «Ohne persönliche Leiden- sens, von der Konvention abweichen. Dann schaft fehlt die Basis für muss er sich hinstellen und seine Position er- klären, auch wenn das der Mehrheit seiner eine dauerhafte Leistung. Kollegen oder anderen Anspruchsgruppen viel- Davon bin ich überzeugt.» leicht nicht passt. Der Mut, gegen den Strom zu schwimmen, verbindet den aktiven Investor tatsächlich mit dem Künstler. Ähnliches gilt Wie kann eine Bank im heute so stark regu- auch für eine verantwortungsvolle und voraus- lierten Umfeld noch Freiräume gewähren? schauende Beratung: Man muss mit dem Die regulatorischen Vorgaben sind das eine, Kunden den Anspruch der individuellen Ziel- das andere ist die Führungskultur, die das Aus- setzung so stark und echt kondensieren, mass der Freiräume wesentlich beeinflusst. dass man – abstrahiert gesprochen – mit den Von neuen Mitarbeitenden höre ich oft, dass Mitteln unseres Handwerks und den Realitäten sie noch nie so viel Freiraum gehabt hätten, der Kapitalmärkte ein zielgerechtes Bild dass sie aber auch noch nie so viel Verant wor- «malen» kann. tung hätten übernehmen müssen. Es gibt Was braucht es, um Leute mit diesem keinen Freiraum ohne Verant wortung. Eine Leistungsanspruch anzuziehen? Einsicht, an der man auch gesellschaftlich Etwas vom Wichtigsten ist ein inhaltlich stimu- nicht vorbeikommen wird. lierendes Umfeld, in dem sie sich mit den Wie wichtig sind ökonomische Anreize? Besten ihres Fachs aus tauschen und messen Sie sind nach wie vor ein wichtiges Mittel, können. Dies beobachten wir bei Vontobel um die Anerkennung auszudrücken und den
8 Vontobel Porträt 2015 – Dr. Zeno Staub, Chief Executive Officer Erfolg zu belohnen. Was für den Künstler die Als nun 90-jährige Bank wäre Vontobel Kunstgalerie ist, ist bei uns der Dialog mit legitimiert, sich auch für die Kunst früherer dem Kunden. Stösst das Werk, oder besser ge- Epochen einzusetzen. sagt das Finanzprodukt, auf starkes Interesse, Wir sind uns unserer Historie sehr bewusst. «Der stetige wirkt sich dies unweigerlich auf die Wert- Man muss sich aber vergegenwärtigen, dass sich Blick nach vorne entwicklung aus. die Bank Vontobel in ihrer Geschichte immer Treffen Sie auch unter Ihren Kunden auf nach vorne gewandt hat. Der stetige Blick nach und die hohe «Künstler»? vorne und die hohe Veränderungsbereitschaft Veränderungs- Ja, durchaus. Unsere Kundschaft besteht aus sind sozusagen in den Genen der Bank. bereitschaft einem Bevölkerungssegment, das privilegiert Die Bank Vontobel engagiert sich ist und dem überdurchschnittlich viele Men- als Themensponsor am Lucerne Festival. sind sozusagen schen angehören, die erfolgreich, anspruchsvoll Was steht dahinter? in den Genen und herausfordernd sind. Es sind Menschen, Ich möchte dieses Engagement auf einen Satz der Bank.» Leistungsträger, die selber den Unterschied ma- reduzieren: Schweizer Qualität strahlt in chen und ihn auch in der Vermögensanlage die Welt. Das Festival in Luzern gehört zu den suchen. Mir kommt das Beispiel eines Kunden welt weit führenden Festivals für klassische in den Sinn, der mit hartem Willen und gros- Musik. Hier trifft ein polyglottes Publikum auf sem persönlichen Einsatz zwei Unternehmen zu berühmteste Orchester, Dirigenten und vir- Weltmarktführern aufgebaut hat, obwohl er tuose Solisten. Es findet in der modernen, akus- von Haus aus nach landläufigen Kriterien finan- tisch hervorragenden Atmosphäre des Kultur- ziell ausgesorgt hatte. und Kongresszentrums Luzern von Jean Nouvel Welchen Stellenwert hat die im statt, das mit der angrenzenden historischen klassischen Sinn verstandene Kunst in Altstadt und dem idyllischen See in einem der Bank Vontobel? spannenden Dialog steht. Sie ist ein Positionierungsmerkmal und zugleich Was heisst dies übertragen auf Vontobel? als Medium auch Botschaft. Die Kunst in unse- Internationaler, weltmarktfähiger Leistungsan- rem Haus kommuniziert den Kunden, Besuchern spruch bei bewusster Bewahrung der Swissness. und Mitarbeitenden, dass sie das Ergebnis eines Wir fühlen uns mit dem Lucerne Festival ein bewussten Entscheids ist. Nehmen Sie die Ge- bisschen als Brüder im Geiste verbunden. Beide staltung unserer Räume oder das Design, die Institutionen schaffen es, weltweit talentier- Materialien und die Farbgebung der Innenein- teste Künstler mit der Schweiz in Verbindung richtung. Sie kontrastieren bewusst mit dem zu setzen und ein Produkt von Weltrang an- auf reine Historizität ausgelegten Louis-XV-Stil zubieten. vieler traditioneller Häuser und schaffen eine Kann man da ein bisschen Patriotismus Atmosphäre der Modernität, von Transparenz, heraushören? Vertrauen und Leistungsorientierung. Die Eher ein Bekenntnis zum Standort Schweiz klare Botschaft lautet: Wir sind transparent, als Plattform der Wissensförderung, des Know- wir wissen, worauf es ankommt, und wir how und der Entwicklung erfolgreicher stellen uns dieser Erwartungshaltung. Produkte. Wir verstehen uns genauso als eine Dazu passt Ihr neues Engagement für Exportfirma wie ein Maschinenbau- oder die zeitgenössische Fotografie. Pharmaunternehmen. Wir denken, forschen Ja. Moderne Fotografie passt hervorragend zu und produzieren, um anschliessend die Bera- unserem Selbstverständnis und unseren Zielen. tungsleistungen und das Produkt Vermögens- Sie regt zum Dialog und zur Auseinanderset- anlage in die weite Welt zu exportieren. ■ zung an.
Dr. Christoph Becker, Direktor Kunsthaus Zürich – Vontobel Porträt 2015 9 «Kunst ist zutiefst human und notwendig» Herr Dr. Becker, Sie haben einmal gesagt, Welchen Wert hat Kunst? Dr. Christoph Becker Kunst sei meist langweilig. Haben Sie also Kunst ist ein fester Bestandteil der Welt. Sie ist der (*1960) ist seit 2000 Direktor des Kunsthauses einen langweiligen Job? sichtbare Ausdruck dessen, was Menschen Zürich. Er hat Kunstge- Es würde mich wundern, wenn ich das gesagt zu schaffen imstande sind, wenn sie sich befreien schichte und Germanistik hätte – es passt wirklich nicht zu mir. Mein von der Notwendigkeit. Und gerade deshalb in München, Wien und Beruf ist überraschend abwechslungsreich: ist sie zutiefst human und notwendig. Stuttgart studiert und 1987 als Magister Artium Er bringt mich in Kontakt mit vielen Menschen, Es gibt den schönen Begriff «Kunst- abgeschlossen. 1992 die mit Kunst auf unterschiedlichste Weise zu erziehung». Was bedeutet er im Jahr 2015? erlangte er die Promotion tun haben, zuallererst mit unserem Publikum, Er gefällt mir nicht. Kunst ist per se kein Werk- an der Ludwig-Maximilians- den vielen hunderttausend Besucherinnen zeug zur Erziehung, das kommt aus der Epoche Universität München und am Zentralinstitut für und Besuchern, die jedes Jahr ins Kunsthaus der Rechenschieber. Kunst ist allgegenwärtig. Kunstgeschichte. Vor sei- kommen, um zu sehen, was ein grosses und Wir helfen, dass sie Teil der Lebenswirklichkeit nem Wechsel nach Zürich buntgemischtes Kunsthaus-Team geschaffen des Einzelnen wird. war er als Oberkonser- hat. Am Kunsthaus arbeiten ungefähr Kann man mit Kunst die Gesellschaft vator an der Staatsgalerie Stuttgart tätig. 180 Menschen, die sich alle für das Haus positiv verändern? einsetzen, Kuratorinnen und Kuratoren, Hand- Jede künstlerische Äusserung, sei sie nun in werker, die Ausstellungsorganisation, die Form eines Bildes, in der Musik, im Theater Administration, die Aufsichten und viele, viele oder in der Literatur, kann Wirkung entfalten – mehr (manche seit 30 Jahren…), und zu wenn es einen Rezipienten gibt. Das Kunst- diesem Team gehört eben auch die Leitung haus ist ein Ort für die lebendige Begegnung des Hauses – da werden viele Fäden gelegt mit Kunst. Wir arbeiten nicht daran, die Welt und zusammengeführt. zu verbessern, wir öffnen Horizonte, die über
Dr. Christoph Becker, Direktor Kunsthaus Zürich – Vontobel Porträt 2015 11 das Alltägliche hinausreichen. Es freut uns die alleinige Motivation. Auch publikumsträch- übrigens, wie viele Menschen dieses Angebot tige Ausstellungsprojekte müssen einen kultu- annehmen und ihm einen Platz (und Zeit) rellen Auftrag erfüllen, der über den sogenannten geben in ihrem Leben. Sie verlassen das Kunst- Blockbuster hinausgeht, sonst würden wir «Wir öffnen haus erfreut und bereichert – warum sollten unsere Arbeit langweilig finden. Und das Pu- Horizonte, die sie nicht etwas Positives bewirken in der Gesell- blikum vermutlich auch. schaft? Was bedeutet für Sie der Erweiterungsbau, über das All- Kunst wirkt nach Ihrer Auffassung nur, dem die Stadtzürcher Bevölkerung 2012 tägliche hinaus- wenn der Betrachter bereit ist, sich zugestimmt hat? Ist die Erweiterung eher reichen.» auf einen Dialog mit dem Kunstwerk eine künstlerische, eine logistische oder einzulassen. Was meinen Sie damit? eine wirtschaftliche Herausforderung? Kunst ist kein Nahrungsmittel. Natürlich muss Die Kunsthaus-Erweiterung ist essenziell für die ein Betrachter bereit sein für ein kulturelles weitere Entwicklung des Kunsthauses Zürich. Angebot, denn er muss sich in mehrfacher Hin- Sie wird die Anforderungen der Öffentlichkeit sicht in Bewegung setzen und oftmals dazu an eine Kulturinstitution im 21. Jahrhundert einen finanziellen Beitrag leisten. Wir schaffen erfüllen. Das Kunsthaus wächst mit dem klaren einen Ort, an dem die bestmöglichen Voraus- und eleganten Bau von David Chipperfield setzungen für diesen Dialog geschaffen wer- seiner Bedeutung als eines der wichtigsten Mu- den. Daraus entsteht ein Anspruch an uns, den seen in Europa entgegen. Kunst und Publikum wir erfüllen müssen und wollen; das hört sich werden in einen zeitgemässen und vor allem vielleicht etwas anstrengend an, aber für uns ist zukunftsweisenden Dialog gebracht, indem das dieses Modell ein Motor, der uns in kreativer bestehende Kunsthaus mit der Erweiterung Bewegung hält. Zugleich machen wir viele An- zu einem grossen Ganzen verbunden wird. Da gebote an alle Generationen, die einen ein- die Kunsthaus-Erweiterung auch einen Zuwachs fachen (und günstigen) Zugang zur Kunst er- an hochbedeutenden Kunstwerken bringen möglichen. Das Kunsthaus steht allen offen. wird, allen voran die einzigartigen Meisterwerke Welches waren im Rückblick Ihrer 15-jäh- des Impressionismus der Sammlung E. G. Bührle, rigen Direktionstätigkeit die künstlerisch wird Zürich kulturell geradezu einen Quanten- anspruchsvollsten und die kommerziell sprung machen können. Die Planung der erfolgreichsten Ausstellungen? Kunsthaus-Erweiterung erstreckte sich über zehn Im Grunde ist jede Ausstellung, jedes Projekt Jahre und schliesst einen detaillierten Business- eine Herausforderung, sei es nun gross oder plan ein. Die Finanzierung des Baus (fast die klein, besonders kostspielig oder nicht. Es ist Hälfte aus privaten Mitteln!) und die künftigen das Gesamtbild, das aus vielen Facetten besteht Betriebskosten sind gesichert. Die Volksab- und über einen längeren Zeitraum den guten stimmung in der Stadt Zürich im Jahr 2012 gab lokalen und internationalen Ruf festigt. Wir grünes Licht, das bedeutendste Kulturprojekt sind durchaus stolz darauf, dass die Reputation Zürichs seit 100 Jahren zu realisieren. Ein später des Kunsthauses Zürich sehr gut ist, auch im Rekurs gegen die Baubewilligung durch eine Ausland, und die Institution damit einen wichti- Luzerner Stiftung hat den Baubeginn verzögert. gen Beitrag leistet zur Aussenwirkung der Aber jetzt ist der Weg frei. Im Herbst 2015 Schweiz auf kulturellem Gebiet. Das Kunsthaus kommt es zum Spatenstich. Und mit der Voll- Zürich ist weltweit bekannt für ein anspruchs- endung im Jahr 2020 avanciert das Kunsthaus volles Programm und einen hohen ästhetischen Zürich zum grössten Kunstmuseum der Standard aller Produktionen. Der kommerzielle Schweiz. ■ Erfolg liegt uns am Herzen, aber er ist nicht
12 Vontobel Porträt 2015 – Zahlen und Fakten Die 300-Millionen- Dollar-Frage «Wann heiratest du?» (Nafea Faa Ipoipo) − so nannte Paul Gauguin das Gemälde, das er 1892 auf Tahiti schuf. Rudolf Staechelin, der bisherige Eigentümer, verkaufte es im Februar 2015 an den Emir von Katar. Die 300 Mio. USD sind der höchste Preis, der je für ein Bild bezahlt wurde. Foto: Bridgeman Images, Berlin Mio. USD Das teuerste Zweirad der Welt 101 Mio. USD erzielte Alberto Giacomettis Bronze- skulptur «Chariot» aus dem Jahr 1950 an der letzten Herbstauktion von Sotheby’s in New York. Quelle: www.wsj.com Von Richter bis Rist: René Burri die zehn gefragtesten Der Schweizer René Burri war ein Künstler der Gegenwart künstlerischer Ikonen-Fotograf mit Weltruf († 20. Oktober 2014). Die Anteil- 1 Gerhard Richter Malerei Deutschland nahme in seiner Fotografie wird auch in seinen Porträts von Persönlichkeiten 2 Bruce Nauman Objektkunst, Videokunst USA sichtbar. Sein wohl berühmtestes 3 Rosemarie Trockel Objektkunst, Zeichnungen Deutschland Bild zeigt Che Guevara mit der Zigarre 4 Georg Baselitz Malerei Deutschland im Mund (1963). 5 Cindy Sherman Fotografie USA Foto: © Samuel Rouge 6 Anselm Kiefer Malerei Deutschland 7 Olafur Eliasson Skulptur, Installation Dänemark 8 William Kentridge Zeichnung, Film Südafrika 9 Richard Serra Skulptur USA 10 Pipilotti Rist Videokunst Schweiz Quellen: Kunstkompass 2014/manager magazin Die meisten 36+6+949R Komplikationen Die grössten 49% USA Kunstsammler Der US-Banker Henry Graves bestellte 1925 bei Patek Philippe in Genf eine CH Taschenuhr mit 24 Komplikationen, acht Von den 200 weltweit grössten 6% mehr als diejenige des Autobauers James Ward Packard. Die Uhr wurde Kunstsammlern waren 2013 49% am 11. November 2014 von Sotheby’s in den USA, 9% in Deutschland in Genf zu einem Rekordpreis von und 6% in der Schweiz domiziliert. DE 9% 23.2 Mio. CHF versteigert. Quellen: Arts Economics (2014) mit Daten von ARTnews Foto: Sotheby’s Quelle: www.watchtime.net
Vontobel Porträt 2015 13 Wertsteigerung 1 Mio. USD pro Jahr Mit dem Ferrari 250 GTO, von dem nur 39 Exemplare gebaut wurden, hätte man jedes Jahr mehr als 1 Mio. USD verdienen können, wenn man ihn a) 1963 gekauft hätte und ihn b) wie unlängst der Autosammler Paul Parpadello zum Rekordpreis von 52 Mio. USD verkauft hätte. Foto: DUKAS Pink für Kunst ist Macht: die zehn Akteure, Fortgeschrittene die in der Kunstwelt 46.2 Mio. USD musste der Diamanten- am meisten händler Laurence Graff bieten, um an der Sotheby’s-Versteigerung vom 16. zu sagen November 2010 in Genf den Zuschlag für haben den 24.78 Karat schweren, in intensivem Rosa leuchtenden Diamanten zu halten. Noch nie wurde auf einer Auktion ein höherer Preis für einen Edelstein bezahlt. Foto: Sotheby’s Quelle: www.sothebys.com Û 1 Nicholas Serota Direktor der Tate Gallery * ¬ 2 David Zwirner Etablierter internationaler Galerist mit den bestver- kauften Künstlern im Repertoire und einem beein- 16.3 Mio. USD/g druckenden neuen Ausstellungsgebäude in New York ¬ 3 Iwan Wirth* Zürich, London und New York, Los Angeles, Somerset Der weltweit teuerste blaue Diamant ist ein 9.75-karätiger Edelstein in Birnen- Û 4 Glenn D. Lowry Direktor des Museum of Modern Art (MoMA), New York form. Er wurde im November 2014 durch 5 Marina Abramović Sotheby’s in New York versteigert und Û Performance-Künstlerin, Muse prominenter Persön- fand zum Preis von 32.6 Mio. USD einen lichkeiten, erfolgreiche Crowdfunderin für das Marina Abramović Institute neuen Eigentümer. Bei einem Gewicht 6 Hans Ulrich Obrist von knapp 2 Gramm ergibt dies 16.3 Mio. Ü & Julia Peyton-Jones USD pro Gramm. Direktoren der Serpentine Galleries, mit Hans Ulrich Obrist als Initiator unzähliger ausserschulischer Foto: Sotheby’s internationaler Kunstprojekte und -ausstellungen Quelle: www.nzz.ch Û 7 Jeff Koons «Balloon Dog»-Millionär 8 Larry Gagosian Ü Etablierter Galerist mit Galerien an 13 Standorten, der auf Ausstellungen mit Museumsqualität setzt Û 9 Marian Goodman Etablierte Galeristin mit herausragenden Künstler- Ingeniöse Baukunst vor persönlichkeiten im Repertoire und Galerien in New York und Paris über 100 Jahren Û 10 Cindy Sherman Künstlerin und Fotografin, berühmt für ihre Selbst- inszenierungen als Model, damit schafft sie Pioniergeist und Baukunst in den Schweizer Alpen: Der Zürcher ein grosses Spektrum ihrer darstellenden Kunst Industrielle Alfred Guyer-Zeller initiierte den Bau der Zahnrad- bahn auf das Jungfraujoch – eine Pionierleistung zum Beginn *Der Schweizer Iwan Wirth gehört zu den drei der technischen Revolution. Die einzigartige Bahn führt zur mächtigsten Repräsentanten der Kunstwelt. Er ist höchstgelegenen Eisenbahnstation Europas und zählt zu den Kunsthändler und Mitinhaber mehrerer Galerien. bekanntesten Sehenswürdigkeiten der Schweiz. Quellen: 2014 Power 100, ArtReview
14 Vontobel Porträt 2015 – Christophe Bernard, Chefstratege Die Sonderstellung der USA S ieben Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise bleibt das globale Wirtschafts- wachstum fragil und stark von massiven Liquiditätsspritzen der Zentralbanken abhängig. Die öffentliche Verschuldung hat ein Niveau erreicht, auf dem stei- gende Zinsen eine weitere Bedienung der Schulden schnell unmöglich machen würden. Die Notenbanken halten deshalb die Realzinsen mit allen Mitteln äusserst niedrig oder sogar im negativen Bereich, was allerdings für Sparer und Anleger wenig erfreulich ist. Christophe Bernard ist Chefstratege von Vontobel. Als Vorsitzen- «Positivspirale» in den USA der des Anlagekomitees Ein Blick auf die stärksten Volkswirtschaften der Welt offenbart eine Sonderstellung ist er für die Anlagestrate- der USA unter zwei Aspekten. Erstens wurden die Auswirkungen der Finanzkrise reso- gie der Bank verantwort- lut bekämpft: Die Verschuldung der privaten Haushalte ist gesunken, der Eigenheim- lich. Christophe Bernard verfügt über eine Invest- markt erholt sich, die Banken sind gut kapitalisiert, die Beschäftigung wächst, und die menterfahrung von mehr Wirtschaftsleistung liegt über dem Vorkrisenniveau. Zweitens haben die USA dank der als 20 Jahren. weltweit führenden Stellung ihrer Technologieunternehmen und der Energierevolution im Heimmarkt (starker Anstieg der Förderung von Öl und Gas aus Schiefergestein) hinsichtlich der Wettbewerbsfähigkeit weltweit den ersten Rang wiedererlangt und dadurch substanzielle Direktinvestitionen aus dem Ausland angezogen. Diese Ent- wicklung steht in deutlichem Gegensatz zu jener der Eurozone und Japans, wo das Wirtschaftswachstum trotz der immer grosszügigeren Liquiditätsversorgung durch die Europäische Zentralbank und die Bank of Japan bescheiden bleibt. Die zunehmend aggressive Geldpolitik in Europa und Japan führt zu einer strukturellen Aufwertung des US-Dollars und hilft interessanterweise auch, den potenziellen Anstieg der langfristi- gen US-Zinsen einzudämmen. Dies verstärkt die Positivspirale in den USA, wenigstens solange die Inflation nicht wieder aufflammt. Rückläufige Rohstoffpreise dämpfen die Teuerung Von Inflationsgefahren zu sprechen, scheint gegenwärtig allerdings übertrieben – An- leger schenken einer drohenden Teuerung kaum Beachtung, solange disinflationäre Tendenzen weltweit die Oberhand behalten. Dies geht unter anderem aus dem Über- angebot an Arbeitskräften und dem preisdämpfenden Effekt des Internets hervor. Auch hat das steigende Angebot an wichtigen Rohstoffen wie Eisenerz, Kohle, Getreide oder Öl die Preise gedrückt und die Disinflation verstärkt. Überdies will die chinesische Re- gierung durch ein neues Wirtschaftsmodell die Abhängigkeit des Landes von Inves- titionen und Immobilien reduzieren und ein langsameres, weniger rohstoffintensives Wachstum des Bruttoinlandprodukts erzielen. Natürlich hat der deutliche Rückgang der Rohstoffpreise Vor- und Nachteile. Einer- seits profitieren Konsumenten in den klassischen Industrienationen von niedrigen Importpreisen. Andererseits leiden viele rohstoffexportierende Staaten, beispielsweise in Afrika oder in Lateinamerika, unter dieser Entwicklung. Mit Blick auf Investitionen in Aktien, Anleihen und Währungen sollten die mittelfristigen Auswirkungen derart umfassender Verschiebungen des Preisgefüges unbedingt berücksichtigt werden.
Vontobel Porträt 2015 15 Setzt sich die Aktienhausse fort? Wird der «Bullenmarkt» weiter anhalten? Die Antwort ist Ja, solange die Unterneh- mensgewinne steigen und die Politik der expansiven Geldpolitik unvermindert anhält. Allerdings hängt der langfristige Verlauf der Unternehmensgewinne von Produktivi- tätsfortschritten ab, für die wiederum die Höhe der Investitionen ausschlaggebend ist. Seit dem Ausbruch der Finanzkrise wurde das Wachstum der Gewinne je Aktie, ins- besondere in den USA, stärker durch Effizienzverbesserungen und Aktienrückkäufe als durch Investitionen in die Produktion getrieben. In Anbetracht der Tatsache, dass sich die US-Unternehmensgewinne auf einem rekordhohen Niveau im Verhältnis zum amerikanischen BIP befinden, steigt das Risiko, dass das Gewinnwachstum stagniert, noch bevor die nächste Rezession einsetzt. Reformstau in der Eurozone «Bei der Wettbe- Generell leiden die Eurozone, Japan und sogar China unter einer Nachfrageflaute, werbsfähigkeit die durch widrige demografische Faktoren und/oder die Drosselung der Regierungs- ausgaben aufgrund der rekordhohen Verschuldung bedingt ist. Wie sollen die Ent- haben die USA scheidungsträger mit dieser Herausforderung umgehen? Eine Restrukturierung der eine Spitzenstel- Schulden, mit der Anleger auf einen Teil ihrer ursprünglichen Investition verzichten, lung erreicht ist politisch (noch) nicht durchzusetzen. Auch eine grosszügige Fiskalpolitik – also bei- und substanzielle spielsweise eine Erhöhung der Staatsausgaben – kommt nicht mehr in Frage, weil das Schuldenniveau nicht mehr tragbar wäre. In einer solchen Situation hilft die Flucht Direktinvesti- in eine extrem lockere Geldpolitik, etwas Zeit zu gewinnen. Eine solche Strategie tionen aus dem des «Augen zu und durch» wird letztlich aber zu grösseren Verwerfungen an den Ausland ange- Finanzmärkten führen. Die Nachfrage lässt sich ohne eine zusätzliche Verschuldung nur erhöhen, wenn zogen.» das Trendwachstum durch Strukturreformen gesteigert wird. Länder wie Spanien, Irland und Portugal, die im Grunde genommen gar keine andere Wahl hatten, als die bittere Restrukturierungspille zu schlucken, haben gezeigt, dass dies machbar ist. Gleichzeitig gibt es jedoch in Ländern wie Japan oder Italien (ganz zu schweigen von Frankreich) heftige Widerstände gegen grundlegende Reformen. Schliesslich würden drastische Massnahmen das seit dem Zweiten Weltkrieg bestehende Wirtschafts- und Wohlfahrtsmodell vollkommen durcheinanderbringen. Alles in allem ist es aus unserer Sicht nur eine Frage der Zeit, bis die Politik die Märkte wieder stärker beschäftigt – die momentane Entwicklung dürfte auf Dauer nicht tragbar sein. Was bedeutet dies alles für die Anleger? Ein Tipp, den wir Ihnen als Investor mit auf den Weg geben können, heisst: Geniessen Sie die Fahrt, aber bleiben Sie mit einem Fuss auf dem Bremspedal. ■ Dieser Beitrag spiegelt den Informationsstand vom Februar 2015 wider.
16 Vontobel Porträt 2015 – Guido Hager, Landschaftsarchitekt und Kunstsammler Guido Hager vor einem Bild von Herbert Brandl aus der Serie «Panoramen». «Mein erstes Bild wurde am Montag wieder abgeholt» Herr Hager, warum sammeln Sie Kunst? Womit und wie haben Sie angefangen? «Die Malerei Ich wollte eigentlich nie Kunst sammeln. Ich Es war ein Zufall. Vor etwa 20 Jahren fuhren bin leidenschaftlich gerne in Museen und Aus- wir zum Auktionshaus Zofingen in der Absicht, geht mir unter stellungen gegangen und habe mich stets für für unser Jugendstilhaus nach Möbeln zu die Haut.» jene Werke am meisten interessiert, die un- suchen. Dort stiessen wir auf zwei ovale Bilder. erreichbar waren. Die Leidenschaft hat – über- Sie waren etwa 1.6 Meter hoch, also relativ haupt nicht vorhersehbar – mit dem ersten üppig, und stammten aus einem italienischen Werk begonnen. Palazzo. Sie zeigten zwei keifende Putti, die
Vontobel Porträt 2015 17 uns extrem gut gefielen. Wir fanden, eher spasses- Raum neu zeichnet. Obwohl ich die Themen halber, dass das doch mal ein Anfang wäre. Natur oder Landschaft in der Kunst nie haben Sie waren allerdings relativ teuer, und wir sahen wollte, weil sie mich täglich beschäftigen, von einem Kauf ab, auch weil wir zur Eröffnung begannen mich ausgerechnet diese Themen der Ausstellung in der Galerie Mark Müller besonders stark zu faszinieren. eingeladen waren. In der Verlängerung des Wie entscheidend ist der Aspekt Eingangs hing ein Bild von Harry Jo Weilenmann, «Kunst als Anlage» für Sie? Guido Hager (*1958) das mich nach diesen zwei Putti sehr faszi- Das ist eine Horrorfrage! Sobald ein Künstler ist zusammen mit Patrick nierte, nämlich eine relativ abstrakte, irgendwie höher bewertet wird, kann ich ihn mir nicht Altermatt und Pascal klimtsche Blumenwiese, 2 × 2 Meter. Der Preis mehr leisten, die Versicherungsprämien steigen, Posset Eigentümer der auf Landschaftsarchitek- war gleich hoch wie jener der Putti. Aber es war die Angst bei Leihgaben geht ins Unermessli- tur spezialisierten Hager kein Scherz, sondern Malerei. che. Kommt das Werk auch wieder im gleichen Partner AG mit Büros in Also bat ich Mark Müller, mir das Bild übers Zustand zurück? So gesehen sind steigende Zürich und Berlin. Er hat Wochenende auszuleihen. Danach wollte ich es Preise für mich nicht positiv. Natürlich sind nach einer Gärtner- und Floristenlehre Landschafts- nicht mehr zurückgeben, was aber nicht möglich Auktionserfolge von Künstlern im Moment sehr architektur am Inter- war. Es wurde am Montag wieder abgeholt. schön, die Auktionsgeschichte zeigt indessen, kantonalen Technikum Das war mein erstes Bild. Von da an war der dass Künstler durch Faktoren, die sie oder der Rapperswil studiert und Virus gesetzt, erst noch zögerlich und dann Sammler nicht beeinflussen können, sehr 1984 eine selbständige Tätigkeit aufgenommen. immer stärker. schnell an Wert verlieren. Das Ganze ist ein Guido Hager ist seit 1997 Worauf liegt der Schwerpunkt Ihrer Vabanquespiel. Für mich ist das Wichtigste: Ich Konsulent der EKD (Eid- Sammlung? habe Freude an der Kunst. Ich hänge sie gerne genössische Kommission Einerseits auf der zeitgenössischen Malerei mit an die Wand, oder ich lagere sie erst einmal für Denkmalpflege) und seit 2010 Mitglied Werken von Künstlern meiner Generation, einige Jahre, wenn die Wände voll sind. Ob der der Akademie der Künste was inzwischen sehr weit zu fassen ist. Mich in- Wert dann noch okay ist, ist für mich weniger Berlin. Er wird regelmäs- teressierte vor 20 Jahren, wie ein Künstler ein wichtig. sig in nationale und inter- Gemälde malt in einer Zeit, in der die Malerei Wenn Sie sich ein Werk wünschen könnten, nationale Jurys berufen, hält Vorträge und out war und sich alle auf Videokunst, Foto- unabhängig von Preis und momentanen publiziert. grafie oder Installation konzentrierten. Diese Besitzverhältnissen, welches wäre das? Foto links: Helenio Barbetta Frage beschäftigte mich, zumal ich mit den Es wäre nicht ein bestimmtes Werk, sondern Foto oben: Markus Bertschi anderen Medien nicht viel anfangen kann. Die die Möglichkeit zur Auseinandersetzung Malerei geht mir hingegen unter die Haut. mit Künstlern der «früheren» Malerei, beispiels- Mich faszinieren Lichtstimmungen und die Wir- weise mit William Turner. So was hätte mich kungen von Grössenverhältnissen. Das zweite unheimlich fasziniert. Oder eine kleine Skizze Sammlungsgebiet sind Zeichnungen und von Francis Bacon, um von ihr zu erfahren, Aquarelle. Die ältesten Papierarbeiten sind aus was ihn umgetrieben hat – das wäre fantastisch. dem 16./17. Jahrhundert, nämlich von Anni- Aber auch kleine Werke, die ich habe, die bale Carracci. Sie erstrecken sich bis hin in die weder hochpreisig noch bekannt sind, erfreuen Gegenwart und sind thematisch sehr breit mich. Ich mag es, mit meinen Werken zu gestreut. Anfänglich interessierte mich besonders leben, und werde sie auch in Zukunft schätzen. ■ der Körper. Von der Körperhaftigkeit fand ich jedoch schnell den Zugang zur abstrakten Skulptur. Am Anfang waren das Skulpturen, dann entdeckte ich neue Ansätze wie zum Bei- spiel die zwei farbigen Striche des Amerikaners Fred Sandback, der mit zwei Bindfäden den
18 Vontobel Porträt 2015 – Klaus Thamm, Unternehmer und Kunstsammler «Kunst zu sammeln, prägt den Sammler» Herr Thamm, warum sammeln Sie Kunst? dem Jahr 1927. Zu ihrer Rechten steht eine Klaus Thamm (*1941) Meine Mutter war eine leidenschaftliche Por- Hofdame: Sie erinnert an den Picasso der spä- hat sich bereits während zellansammlerin. Nachdem im Krieg alles zerstört ten 1930er Jahre. Die Figur über der sitzenden seines Jurastudiums mit wurde, musste sie die Sammlung wieder neu Frau zeigt die «Demoiselles d’Avignon». 23 Jahren selbständig aufbauen. Das habe ich als Kind miterlebt. Vor dieser Figurengruppe liegt ein Stier wie gemacht. Er ist Gründer der deutschen Thamm Es hat mich geprägt, wie mit überschaubaren bei Picassos epochalem Werk «Guernica». An- Gruppe, die schwerge- Mitteln und ständiger Beschaffung von In- statt Velázquez vor der Leinwand nimmt Picasso wichtig in den Bereichen formationen eine Sammlung neu entstehen diese Position ein. Hammer und Sichel auf Immobilienanlagen, Im- konnte. Dieses Umfeld hat mich inspiriert. So seiner Brust signalisieren Picassos politische Ge- mobiliendienstleistungen und Vermögensverwal- begann ich zu malen. Es war ein grossartiges sinnung. Das erzählerische Gewicht in diesem tung tätig ist. In den Erlebnis zu spüren, wie man Erlebnisse und Werk – wunderbar! 1990er Jahren wurde die Empfindungen durch die Malerei ausdrücken Worauf liegt der Schwerpunkt Ihrer Gruppe um Senioren- kann. Trotz lobenden Anerkennungen wurde Sammlung? heime erweitert. Klaus Thamm wohnt seit 1978 mir klar, dass meine Fähigkeiten limitiert Der Schwerpunkt der Sammlung liegt auf der in der Schweiz und seit waren. Aber mein Interesse an der Malerei war englischen und der amerikanischen Pop-Art 1986 in Küsnacht, wo geweckt. Ich wollte sehen, wie andere das sowie dem deutschen Kapitalistischen Realis- auch seine Kunstsamm- viel besser machten. So entstand der Wunsch, mus, dessen Künstler aber auch von der Pop- lung domiziliert ist. © Damien Hirst and Science Ltd. Bilder, die mich besonders berührten, nach Art beeinflusst sind. Die Künstler in der Samm- All rights reserved/2015, Hause zu holen und mit ihnen zu leben. lung sind Richard Hamilton, David Hockney, ProLitteris, Zurich (Bilder im Hintergrund: Womit und wie haben Sie angefangen? Allan Jones, Sigmar Polke, Gerhard Richter, Damien Hirst, UNIQUE PRINT from SANCTUM, a unique Picasso war der Künstler, der mich besonders Andy Warhol, Robert Rauschenberg und Roy photogravure etching, pub. 2011, beeindruckte. Als ich dann entdeckte, dass Lichtenstein. und Psalm – Print – Verba mea auribus edition 19/25, pub. 2009) zum 90. Geburtstag eine Hommage an Picasso Wie entscheidend ist der Aspekt von David Hockney, Roy Lichtenstein, Richard «Kunst als Anlage» für Sie? Hamilton u.a. editiert wurde, hat mich Hamil- Wenn man mit geschulten Augen schaut, Mut tons «Picasso’s Meninas» am tiefsten beeindruckt. für gekonnt Neues hat, von einem Werk inner- Dieses Bild hat einen so spannenden erzähler- lich berührt ist, sich mit Künstlern, Kuratoren ischen Inhalt und eine so besondere Entstehungs- und Galeristen austauscht, erkennt man Talente geschichte, dass ich fasziniert war. Als 1972 früh. Dann ergibt sich mit den Jahren oft der Berliner Propyläen Verlag Hamilton bat, eine von selbst ein Wertzuwachs. Aber das muss sich Grafik beizusteuern, stimmte er unter der spielerisch ergeben, darf und kann nicht Bedingung zu, dass er im Studio Crommelynck Selbstzweck sein, sonst verkommt die Kunst arbeiten dürfte, nämlich dort, wo Picasso zum Investment; der Künstler wird verführt, regelmässig drucken liess. So vollendete er ein marktorientiert zu arbeiten – das wäre das beeindruckendes Werk. Ende. Kunst zu sammeln, prägt über die Jahre Velázquez’ «Las Meninas» wurde sowohl von den Sammler, ja vielleicht verändert ihn diese Picasso als auch von Hamilton als eines der be- Passion im Laufe der Zeit. Die Begegnung mit deutendsten Werke der abendländischen dem Künstler, seine Sicht der Dinge nicht nur Kunst bezeichnet. Hamilton gibt den bühnen- durch die Aussage seines Werks, sondern auch artigen Innenraum von Velázquez bildgetreu durch Gespräche zu erfahren, wie er die Welt wieder. Ein Harlekin aus Picassos Rosa Periode sieht, seine Ängste, seine Hoffnungen, seine betritt die Bildbühne und beginnt den Reigen Lebensweise – all dies erweitert den Horizont. von Picassos verschiedenen Stilrichtungen. Mit anderen Menschen aus der Kunstszene Neben dem Harlekin sitzt eine Figur mit dem im Dialog zu bleiben, ist ein interessanter Prozess, Bezug auf sein Werk «Sitzende Frau» aus der persönlichkeitsbildend ist.
20 Vontobel Porträt 2015 – Klaus Thamm, Unternehmer und Kunstsammler «Kunst zu sammeln, prägt über die Jahre den Sammler, ja vielleicht verändert ihn diese Passion im Laufe der Zeit.» Wenn Sie sich ein Werk wünschen könnten, unabhängig von Preis und momentanen Besitzverhältnissen, welches wäre das? Mein Lieblingswerk hängt im Museum Ludwig in Köln. Es ist Richters Frau Marianne Eufinger. Gerhard Richter hat seine nackte Frau foto- grafiert, wie sie – versteckte Erotik ausstrahlend – eine Treppe heruntersteigt. Nach dieser Foto- grafie malte Richter seine Frau. In seinem Œuvre ist es ein kunsthistorischer Markstein. Das nach typischer Richter-Art verwischte Gemälde mit zarten Farben berührt den Betrach- ter in besonderer Weise, und man wird nicht satt, es immer wieder anzuschauen. Es hat so- gar eine so faszinierende Wirkung, dass der Schriftsteller Bernhard Schlink inspiriert wurde, «Mao und Marilyn», Andy Warhol (Sunday B. Morning) das Bild in den Mittelpunkt seines Romans © The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, Inc./2015, ProLitteris, Zurich «Die Frau auf der Treppe» zu stellen. Richters Werk heisst «Ema (Akt auf einer Treppe)». Der Titel nimmt Bezug auf das Werk «Akt die Treppe herabsteigend Nr. 2» von Marcel Duchamp aus dem Jahr 1912. Bei Richters Bild spürt man das Persönliche, ja sogar das Zärtliche. Es ist die intime Wirklichkeit des Malers. Also nicht irgendein Akt auf irgendeiner Treppe, nein, es ist seine Ema! ■
Georg Schubiger, Leiter Private Banking – Vontobel Porträt 2015 21 Kunst als Investition? Oder Investieren als Kunst? A ngesichts speziell für Kunstanlagen geschaffener Anlagemedien wie Kunst- fonds und der Existenz spezieller Kunstpreisindizes − hier sei nur der Mei Moses Fine Art Index erwähnt − könnte man Kunst durchaus als eine selbständige Anlageklasse betrachten. Da Kunstfonds und entsprechende Kunstindizes kaum mit anderen Anlageklassen oder Indizes korrelieren, scheint eine Investition in Kunst aus Diversifikationsgründen durchaus attraktiv zu sein. Allerdings ist die Volatilität der Anlageklasse Kunst aussergewöhnlich hoch und so gut wie nicht zu prognostizieren, was eine valide Analyse stark erschwert. Georg Schubiger leitet seit 2012 das Private Deshalb sind wir skeptisch, Kunst als reines und klassisches Finanz-Engagement zu Banking und ist Mitglied betrachten. Dennoch kann es sich lohnen, in Kunst zu investieren. Denn Kunst ist viel der Gruppenleitung mehr als eine reine Finanzanlage: Kunst ist Leidenschaft und Inspiration, Kunst kann von Vontobel. Zuvor Anerkennung und Prestige schaffen. In Kunst zu investieren, fördert Talente und moti- bekleidete er während zehn Jahren Führungs- viert. Kurz: Kunst weckt Emotionen. Für den Kunstbegeisterten und Sammler hat funktionen bei der Danske Kunst einen Wert, der somit weit über die reine Finanzinvestition hinausgeht – und Bank in Kopenhagen das ist unseres Erachtens auch die Voraussetzung, um in Kunst zu «investieren». und der Sampo Group in Helsinki. Er studierte Und wenn in Kunst investiert wird, ist es unerlässlich, dass der Kunstinteres- Finanz- und Rechnungs- sierte − wie ein klassischer Anleger − mit Bedacht und kompetent beraten vorgeht. wesen (lic. oec.) an der Vor dem Kauf gilt es eine Vorprüfung («Due Diligence») durchzuführen, die Herkunft Universität St. Gallen und und die Echtheit des Werkes zu verifizieren sowie die gesetzlichen, finanziellen, ver- Politikwissenschaften (MA) am College of Europe sicherungstechnischen und logistischen Voraussetzungen für die Transaktion abzuklä- in Brügge, Belgien. ren. Ohne Zweifel: Investieren in Kunst erfordert viel Können und Sorgfalt. Aber ist Investieren an sich nicht immer auch eine Kunst? Unter dem Einfluss der fortschreitenden Globalisierung und der deutlich verstärkten Regulierung hat erfolgrei- ches Investieren heute weniger mit Kunst als mit Fach- und Beratungskompetenz zu tun. Im Kern der Aufgabe des professionellen Vermögensverwalters steht heute die analytische und strukturierte Vorgehensweise. Bevor investiert wird, müssen die Ziele des Kunden, seine Bedürfnisse, sein Risikobudget und seine Erwartungen an die Inves- tition sorgfältig abgeklärt werden. Daraus werden die Anlagestrategie und ihre Umsetzung abgeleitet. Erst dann wird investiert. Die Investition ist dann auf einem guten Weg, wenn sie mit hoher Wahrscheinlichkeit die definierten Ziele des Kunden erreichen kann. Dazu braucht es profundes, aktuelles Wissen, langjährige Markt- erfahrung, Kenntnisse der Assetklassen sowie Investment-Opportunitäten. Gleichzei- tig muss der Vermögensverwalter die Prozesse jederzeit beherrschen. Mit Kunst im Sinne einer vorwiegend kreativen Tätigkeit hat all dies eher weniger zu tun. Anlegen ist nicht primär eine Frage der Kreativität, sondern der Disziplin. Bei Vontobel basiert das Verwalten von Vermögen auf einem globalen, strukturierten und professionellen Anlageprozess. Wir setzen in der Analyse von Märkten und Anlage- klassen sowie beim Risikomanagement Modelle ein, gehen methodisch vor und set- zen auf das Wissen unserer Experten. Wir verwalten die Gelder unserer Kunden aktiv, um sich bietende Marktchancen zu nutzen. Dabei sehen wir uns weniger in der Rolle des Künstlers, sondern des persönlichen und zuverlässigen Partners. Gleichwohl gibt es einige Eigenschaften, die uns mit einem ambitiösen Künstler verbinden: Wir legen grössten Wert auf Unabhängigkeit und Individualität. Und wir wollen, dass unser Engagement von Erfolg gekrönt wird. ■
22 Vontobel Porträt 2015 – Taryn Simon, amerikanische Künstlerin Vier Fragen an die Künstlerin Taryn Simon Taryn Simon (*1975) ist eine amerikanische Künstlerin, deren Arbei- ten Fotografie, Text und grafisches Design kombinieren. Ihr Schaffen besteht aus extensiver Recherche sowie aus Pro- jekten, die durch ein Interesse an Kategorisie- rungs- und Klassifizie- rungssystemen gesteuert sind. Simons Arbeiten waren Gegenstand mono- grafischer Ausstellungen in Ullens Center for Con- temporary Art, Beijing (2013), Museum of Modern Art, New York (2012), Tate Modern, London (2011), Neue Nationalgalerie, Berlin (2011), Whitney Museum of American Art, New York (2007). Ständige Sammlungen befinden sich in Metropo- litan Museum of Art, Tate Modern, Whitney Museum of American Art, Centre Georges- Pompidou, Museum of Contemporary Art, Los Angeles. Taryn Simons Arbeiten wurden an der 54. Biennale von Venedig 2011 und an der Carnegie Interna- tional 2013 gezeigt. Sie hat einen Abschluss der Brown University und erhielt ein Guggen- heim-Stipendium (Fellow- ship). Taryn Simon lebt und arbeitet in New York. Foto: © Taryn Simon. Mit freundlicher Genehmigung der Gagosian Gallery.
Vontobel Porträt 2015 23 Taryn Simon, wie beeinflusst Ihr Talent als Fotografin Ihre schriftstellerischen Akti- vitäten? Und umgekehrt? Ich benutze die Fotografie und das Schreiben, um den verborgenen, von Interpretation und Manipulation dominierten Raum sichtbar zu machen. Die beiden Pole bekämpfen oder stützen sich unablässig, manchmal sogar beides gleichzeitig. Sie sind bekannt dafür, dass Sie sehr hart arbeiten, zum Beispiel eine ganze Woche, Handtasche, Louis Vuitton (verkleidet) (gefälscht) [Detail], 2010 um konfiszierte Schmuggelwaren am John F. Kennedy Airport aufzunehmen. Warum tun Sie das? Wie fühlen Sie sich, wenn Sie so arbeiten? Erschöpft. «Contraband» (2010) war Perfor- mancekunst. Ich lebte eine volle Woche in den Räumen für Schmuggelwaren und nahm alle Sachen auf, welche die Zoll- und Grenzschutz- behörde von Passagieren und Expresssendun- gen beim Eintritt in die USA beschlagnahmte. Ich arbeitete während fünf Tagen, ohne zu schlafen. Ich machte im «contraband room», den ich mit meinen Assistenten teilte, nur Ni- ckerchen auf einer Luftmatratze zwischen dem letzten Nacht- und dem ersten Morgenflug. Es gab da gefälschte Louis-Vuitton-Taschen, ge- fälschte Chanel-Sonnenbrillen, gefälschtes Viagra, gefälschtes Ambien (Schlafmittel, Anm. d. R.) − alle jagten der gleichen Fantasie, dem gleichen Ausbruch nach. Ich erwartete, dass ich viele Aufnahmen von Waffen, Heroin, Tieren machen würde. Diese Erwartung erfüllte sich. Doch überwiegend richtete die Zollbehörde ihr Augenmerk auf die Überprüfung der Marken- Zigaretten, Shuangxi, China (verboten) [Detail], 2010 echtheit. Es war ein Kampf an einer gnadenlosen Contraband Die aus insgesamt 1075 Fotografien ausgewählten, oben Front − dem Zustrom von kopierten Pharma- abgebildeten Aufnahmen wurden in den Räumen der US-amerikani- und Luxusprodukten. Von diesen Kopien fertigte schen Zoll- und Grenzschutzbehörde und im Auslandspostbereich des ich dann Kopien an, als Fotografin. Die Er- U.S. Postal Service am John F. Kennedy International Airport in New zeugnisse konnten nicht in die USA eingeführt York gemacht. Taryn Simon blieb ganze fünf Tage am John F. Kennedy Airport, um nahezu ununterbrochen Dinge zu fotografieren, die von werden, die Bilder hingegen schon. Ich nahm den Passagieren konfisziert oder von Postsendungen aus dem Ausland das Bild, um es in eine andere Wirtschaft einbehalten worden waren. einzufügen, nämlich die Wirtschaft der Kunst. Foto: © Taryn Simon. Mit freundlicher Genehmigung der Gagosian Gallery.
24 Vontobel Porträt 2015 – Taryn Simon, amerikanische Künstlerin Wie wählen Sie die Subjekte oder Themen Ihrer Arbeiten aus? Gehen Sie systematisch oder zufällig vor? Die Arbeiten sind oft von Dingen geleitet, an die ich in vorhergehenden Projekten herangeführt wurde. Oder sie können eine Ablehnung oder sogar eine Zurückweisung eines vorangegange- nen Projekts sein. Die Arbeiten beginnen oft einfach und entfalten sich dann zu wesentlich komplizierteren Programmen. In «A Living Man Declared Dead and Other Chapters I–XVIII» versuchte ich, gewisse Systeme, Muster und Codes durch Gestaltung und Erzählung auszu- drücken. Ich reiste um die Welt, um achtzehn Blutsverwandtschaften und ihre Geschichten auf- zuspüren und aufzunehmen. Ich ging den un- beantwortbaren Fragen nach dem Schicksal und seiner Beziehung zum Zufall, zur Blutsbande Ordner: Costume – Veil (Kostümschleier) 2012 und zum Umfeld nach. Das Versagen und die Zu- Die Foto-Kollektion Die Sammlung mit insgesamt 1,2 Millionen Drucken, rückweisungen nahmen in der Arbeit viel Raum Postkarten, Plakaten und sorgfältig aus Büchern und Magazinen aus- ein. Es gibt verschiedene leere Porträts. Sie zeigen geschnittenen Bildern befindet sich mitten in Manhattan, in der zweiten lebende Vertreter eines Stammbaums, die aus Etage eines Gebäudes an der Ecke von 5th Avenue und 40 th Street. Das verschiedenen Gründen nicht fotografiert wer- 1915 in der New York Public Library eingerichtete Archiv beherbergt die weltweit grösste Sammlung von Bildern, die ausgeliehen werden den konnten, z.B. wegen Denguefieber, Gefäng- können. nis, Militärdienst oder wegen religiös und kultu- Bis heute ist die New York Public Library Picture Collection eine wichtige rell bedingter geschlechtsspezifischer Ein- Quelle für Schriftsteller, Historiker, Künstler, Filmemacher, Modefirmen, schränkungen. Einige weigerten sich einfach, weil Kostümbildner und Werbeagenturen. Der Maler Diego Rivera nutzte die sie nicht Teil der Geschichte werden wollten. Sammlung bei der Arbeit an seinem Wandgemälde «Man at the Cross- Die Leerräume verkörpern so einen Code von roads» im Rockefeller Center. (Rivera bemerkte damals, welchen Einfluss der Umfang und die Grenzen der Sammlung auf die zeitgenössische Präsenz und Absenz. Die Geschichten selber Sicht auf Amerika haben könnten.) Auch Andy Warhol besuchte das Ar- funktionieren als urbildliche Episoden der Ver- chiv häufig und lieh vor allem Werbefotografien aus, von denen er viele gangenheit, die sich aber heute zutragen und nicht ins Archiv zurückgab. sich wiederholen werden. Ich dachte über Romana Javitz, von 1929 bis 1968 Leiterin der Sammlung, beschäftigte die Evolution nach und ob wir uns tatsächlich in den 1930er Jahren 40 Künstler, die beim Ausschneiden, Auswählen entfalten oder ob wir eher sprunghaft sind − und Katalogisieren der Bildsammlung halfen. Sie waren von der im Rahmen des New Deal eingerichteten Works Progress Administration Geister der Vergangenheit und der Zukunft. vermittelt worden. Welche «dunkle Seite des Lebens» werden Der aktuelle Schlagwortkatalog der Sammlung verzeichnet 12 000 Ein- Sie als nächste künstlerisch beleuchten? träge. Jeder Besitzer eines Bibliotheksausweises der New York Public Ich befasse mich zurzeit mit der Dokumen- Library kann bis zu 60 Bildausschnitte gleichzeitig ausleihen. tation der Macht und der Art, auf der die Die Künstlerin Taryn Simon sieht in diesem aus unterschiedlichen Quel- Menschheit der Illusion nachlebt, Ereignisse len gespeisten Archiv einen Vorläufer der modernen Suchmaschinen. Sie und die Natur kontrollieren zu können. Ich macht die unsichtbaren Helfer, die sich hinter dem scheinbar neutralen arbeite auch an einem grossformatigen Per- System eines Bildarchivs verbergen, sichtbar. formance Piece. ■ Foto: © Taryn Simon. Mit freundlicher Genehmigung der Gagosian Gallery.
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