Laut & leise Das Leben verändert sich - Sucht beginnt im Alltag. Prävention auch - PH Zürich

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Laut & leise Das Leben verändert sich - Sucht beginnt im Alltag. Prävention auch - PH Zürich
laut & leise
Magazin der Stellen für Suchtprävention im Kanton Zürich
Nr. 3, Oktober 2020, erscheint dreimal jährlich

Das Leben verändert sich

Sucht beginnt im Alltag.
Prävention auch.
Laut & leise Das Leben verändert sich - Sucht beginnt im Alltag. Prävention auch - PH Zürich
Blick in die Ferne
Für das Thema «Übergänge im Leben» hat Ruth Erdt ihre Familie in einem alten Palazzo am Meer in Italien fotografiert.
Die Protagonisten befinden sich im Alter von 18 bis 55. Die Fotografin verbindet Lebensübergänge mit dem Reisen – Aufbruch
zu etwas Neuem – und dem metaphorischem Horizont – Momente des Innehaltens und der Nachdenklichkeit. Der Blick
der Personen schweift in die Ferne und das Gefühl von Veränderung und Ungewissheit erfüllt den Raum. Die Bilder sind
bewusst zeitlos und in Schwarzweiss gehalten. (www.erdt.ch)
Laut & leise Das Leben verändert sich - Sucht beginnt im Alltag. Prävention auch - PH Zürich
Editorial

                                             Liebe Leserinnen und Leser
                                                                   Von Geburt an verändert sich unser                       zeigt sich etwa, dass wir noch stärker Synergien nutzen
                                                                   Leben immer wieder – Veränderung                         können. Ein Beispiel: An einem Elternabend können wir
                                                                   ist eine Konstante in allen Biografien.                  einerseits in Bezug auf die Kinder und Jugendlichen Wis-
                                                                   Besonders bedeutsam – auch für die                       sen zur Bedeutung von Lebensübergängen vermitteln und
                                                                   Gesundheit – sind so genannte Le-                        den Erfahrungsaustausch ermöglichen. Die Eltern selbst
                                                                   bensübergänge. Damit sind etwa die                       erleben jedoch ebenfalls kritische Lebensphasen. Auch
                                                                   Einschulung, der Start ins Berufsle-
                                                                   ben, Familiengründung, Pensionie-                        Jeder erfolgreich gemeisterte
                                                                   rung und Ähnliches gemeint. Diese                        Lebensübergang stärkt die
                                             Lebensübergänge fordern uns heraus. Sie bieten viele
                                             Chancen auf positive Entwicklung. Sie bergen jedoch auch                       Persönlichkeit und schützt damit
                                             die Gefahr von Überforderung und Scheitern. Man weiss,                         auch vor Suchtentwicklung.
                                             dass jeder erfolgreich gemeisterte Übergang die Persön-
                                             lichkeit stärkt und damit auch vor Suchtentwicklung                            solche Aspekte können an einem Elternabend themati-
                                             schützt. Aktuelle Public-Health-Strategien berücksichti-                       siert werden.
                                             gen die Bedeutung von Lebensübergängen und auch von                               Das Ziel all unserer Angebote ist, risikoarmes Verhalten
                                             kritischen Lebensereignissen wie Trennung, Krankheit                           und entsprechende Lebenskompetenzen zu fördern und
                                             oder Arbeitsplatzverlust. Und dies von der Geburt bis zum                      der Gesundheit zuträgliche Verhältnisse zu schaffen – und
                                             Tod. Man spricht auch vom «Lebensverlaufansatz».                               zwar über die gesamte Lebensspanne hinweg.
                                                Die Stellen für Suchtprävention haben sich in den ver-
                                             gangenen zwei Jahren intensiv mit dem Lebensverlaufan-                         n
                                             satz beschäftigt. Uns beschäftigten Fragen wie: Welche Le-
                                                                                                                            Petra Buchta, Leiterin der Suchtpräventionsstelle der Stadt Zürich. Petra
                                             bensübergänge sind besonders kritisch? Wie können wir                          Buchta leitete in den vergangenen Jahren die Arbeitsgruppe, die sich mit dem
                                             zu einer erfolgreichen Bewältigung von Lebensübergän-                          Lebensverlaufansatz beschäftigte.
                                             gen beitragen? Wann entstehen bei Übergängen welche
                                             Suchtrisiken? Welche Ressourcen können in den jewei-
                                             ligen Lebensphasen aktiviert werden? Bei dieser Analyse

                                                 Impressum
                                                 Herausgeber: Die Stellen für Suchtprävention im Kanton Zürich
                                                 Zuschriften: info@suchtpraevention-zh.ch. Redaktions- und Produktions-              Inhalt
                                                 leitung: Brigitte Müller, muellertext.ch. Redaktionsteam:                      4    Meldungen
                                                 Larissa Hauser, Gabriela Hofer, Domenic Schnoz (Vorsitz), Esther Vogler.
                                                 Redaktion Meldungen aus der Suchtprävention: Annett Niklaus, Maja Sid-         7    Alles nur eine Phase
                                                 ler. Mitarbeiter/innen dieser Nummer: Christa Berger, Marlies Desarzens,            Essay
Suchtprävention laut & leise, Oktober 2020

                                                 Esther Kirchhoff, Ariane Koch, Anke Schmidt, Markus Tschannen. Illustra-
                                                 tionen: Ruth Erdt. Gestaltung: Fabian Brunner. Druck: FO-Fotorotar.
                                                                                                                                8    Von der Kindheit bis ins hohe Alter
                                                 Abonnement, Adressänderung: www.suchtpraevention-zh.ch >                            Suchtprävention im Lebensverlauf
                                                 Über uns > Magazin laut & leise                                                11   Veränderungen im Leben akzeptieren
                                                 Die Beiträge und die Fotos in diesem «laut & leise» geben die Meinung               Interview mit Marlies Desarzens
                                                 der Autorinnen und Autoren wieder. Diese muss nicht mit der Meinung
                                                 des Herausgebers, der Stellen für Suchtprävention im Kanton Zürich,            14 Schule – eine Lebensphase mit vielen Übergängen
                                                 überein­stimmen.                                                                  Suchtprävention in der Schule
                                                 Artikel, Fotos, Illustrationen sind urheberrechtlich geschützt und             18 Individuelle Wege ins Rentenalter
                                                 dürfen ohne Genehmigung der Redaktion nicht verwendet werden. Falls               Pensionierung
                                                 Sie Interesse an einem Artikel haben: Anfrage bitte an Annett Niklaus
                                                 (annett.niklaus@uzh.ch).

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Meldungen

                                                                                                    In eigener Sache 1
                                                                                                    «laut & leise» abonnieren
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                                                                                                    mal jährlich und ist jeweils einem
                                                                                                    Schwerpunktthema gewidmet.
                                                                                                    Bleiben Sie stets auf dem Laufen-
                                                                                                    den in Sachen Suchtprävention
                                                                                                    im Kanton Zürich– abonnieren
                                                                                                    Sie das «laut & leise». Neu kann
                                                                                                    das Magazin auch als On-
                                                                                                    line-Version bestellt werden.
                                                                                                    Abo unter: www.suchtpraevention-zh.ch >
                                                                                                    Über uns > Magazin laut&leise

Kampagne                                                                                           Faktenblatt
                                                                                                   Gambling oder Gaming?
Wie geht’s dir?                                                                                    Games, die Kinder auf dem Smartphone
                                                                                                   oder am Computer spielen, enthalten
Im September hat die Kampagne «Wie           Situationen zu sprechen. Die Kampa­
                                                                                                   zunehmend Bezahl- und Glücksspiel­
geht’s dir?» eine neue Welle lanciert, die   gnenwirkung wird durch die neue «Wie
                                                                                                   mechanismen. Für die Spielenden und
insbesondere auch junge Erwachsene           geht’s dir?»-App vertieft. Sie unterstützt
                                                                                                   ihre Eltern ist häufig unklar, welche
anspricht. Plakate und Online-Anzei-         die Nutzer*innen dabei, ihre aktuelle
                                                                                                   Kosten wofür anfallen. Noch schwieriger
gen rücken das emotionale Vokabular          Gefühlslage regelmässig zu checken
                                                                                                   ist es, versteckte Glücksspielmechanis-
in den Fokus: von A wie «ausgebrannt»        und so ein besseres Bewusstsein für
                                                                                                   men zu erkennen. Diese Mechanismen
bis Z wie «zufrieden». Das emotionale        den eigenen Zustand zu entwickeln.
                                                                                                   führen dazu, dass man Geld- und Zeit-
Alphabet regt an, sich mit den eigenen       Weiter gibt die App Impulse zur Stär-
                                                                                                   einsätze weniger gut kontrollieren kann.
Gefühlen auseinanderzusetzen. Denn           kung der psychischen Gesundheit.
                                                                                                       Zwei neue Faktenblätter zeigen die
wer diese konkret benennen kann, kann           «Wie geht’s dir?» ist eine Kampa-
                                                                                                   Unterschiede zwischen Gaming und
negative Gefühle gezielt adressieren         gne der Deutschschweizer Kantone
                                                                                                   Gambling (Glücksspiel) auf und in-
und wenn nötig Hilfe holen. Wird früh        und der Stiftung Pro Mente Sana im
                                                                                                   formieren über die problematische
über Belastungen gesprochen, können          Auftrag von Gesundheitsförderung
                                                                                                   Vermischung der beiden Spielarten.
im besten Fall Erkrankungen vermie-          Schweiz. Bei Gesundheitsförderung
                                                                                                   Das eine Faktenblatt richtet sich an
den werden. Auch das Wahrnehmen              Kanton Zürich können Personen aus
                                                                                                                                                  Suchtprävention laut & leise, Oktober 2020

                                                                                                   Spielende und Eltern, das andere an
positiver Gefühle ist zentral. Wer merkt,    dem Kanton Zürich kostenlos Plakate in
                                                                                                   Fachpersonen. Wer die Mechanismen
wann und warum es gut geht, kann             verschiedenen Formaten, Postkarten,
                                                                                                   hinter den Spielen kennt, kann die
diese wichtige Ressource nutzen.             Kleber, Broschüren und weitere Werbe-
                                                                                                   Geldausgaben und den Zeitaufwand
   Die Kampagne stellt das Thema             mittel bestellen. Für Schulen der Sek I
                                                                                                   besser kontrollieren. (Zentrum für Spiel-
psychische Gesundheit in den öffent-         und Sek II hält die Kampagne Unter-
                                                                                                   sucht und andere Verhaltenssüchte)
lichen Raum und hilft so mit, Tabus          richtsmaterialien zum Thema bereit.
                                                                                                   Download:
abzubauen. Und sie stärkt die psychi-        Bestellung Kampagnenmaterial:                         Faktenblatt für Spielende und Eltern:
sche Gesundheit. Auf wie-gehts-dir.ch        gesundheitsfoerderung-zh.ch/wgd-material              www.bit.ly/35FGUbW
finden sich Impulse, um die psychische       Unterrichtsmaterial für Schulen:                      Faktenblatt für Fachpersonen:
Gesundheit zu pflegen, und konkrete          gesundheitsfoerderung-zh.ch/wgd-unterrichtsmaterial   www.bit.ly/2FKOtU0
                                             Website und App: wie-geht’s-dir.ch
Gesprächstipps, um über belastendende

                                                                                                                                              4
Laut & leise Das Leben verändert sich - Sucht beginnt im Alltag. Prävention auch - PH Zürich
Neues Lernquiz
                                                                                                                                                In eigener Sache 2
                                             Sicherheit im Strassenverkehr                                                                      Neuer Webauftritt
                                             Online gibt es neu verschiedene Lernquiz, die
                                             sich rund ums Thema Prävention im Strassen-                                                        Unser Stellenverbund hat den
                                             verkehr drehen. Mit wenigen Fragen zeigen sie                                                      Webauftritt aktualisiert. Auf
                                             die Gefahren, Auswirkungen und gesetzlichen                                                        suchtpraevention-zh.ch sind
                                             Vorschriften zu Alkohol, Cannabis, Medikamen-                                                      unsere Angebote für Schulen,
                                             ten und Müdigkeit im Strassenverkehr auf.                                                          Gemeinden, Detailhandel
                                                Das digitale Angebot richtet sich an Neulenken-                                                 & Gastronomie, Familien,
                                             de und ist damit beispielsweise für den Einsatz in                                                 Vereine und weitere Organi-
                                             Berufs- und Mittelschulen geeignet. Es ist aber auch
                                                                                                                                                sationen und Betriebe nun
                                             für erfahrenere Lenker hilfreich als Auffrischung
                                                                                                                                                übersichtlicher und umfas-
                                             oder Wissenscheck. Die spielerische Wissensver-
                                             mittlung soll zu einer verantwortungsvollen Teilnah-                                               sender dargestellt. Auf der
                                             me am Strassenverkehr befähigen. Die Nutzer*in-                                                    Website können alle unsere
                                             nen erfahren nicht nur, ob sie mit der angeklickten                                                Materialien bestellt werden –
                                             Antwort richtig- oder falschliegen, sondern erhalten                                               im Kanton Zürich kostenlos.
                                             einleuchtende Erläuterungen und konkrete Tipps.                                                    Weiterhin bietet die Web-
                                                Die Quiz stehen in drei Sprachen (de/fr/it)                                                     site die beliebten Selbsttests
                                             kostenlos auf www.amsteuernie.ch zur Ver-                                                          an und vermittelt fundiertes
                                             fügung. Ein Quiz dauert rund 10 Minuten. Alle                                                      Wissen zu einzelnen Sucht-
                                             Quiz können auch gratis als Rubbelkarten be-
                                                                                                                                                mitteln und -verhalten.
                                             stellt werden. Aha-Erlebnisse sind garantiert!
                                             (Am Steuer Nie)                                                                                    Besuchen Sie uns auf:
                                                                                                                                                suchtpraevention-zh.ch
                                             Bestellung Quiz und Rubbelkarten: amsteuernie.ch

                                             Gesundheitsförderung                               Leitfäden für Eltern                          Neue Eltern-Website
                                             Spannender Lesestoff                               Über Sucht sprechen                           MeinTeenager.ch
                                                                    Das Magazin P&G             Es kann schwierig sein, mit dem               Was können Eltern tun, um ihre Kin-
                                                                    erscheint zwei-             eigenen Kind über Alkohol zu spre-            der vor Suchtproblemen zu schützen?
                                                                    mal jährlich. Die           chen. Der neu überarbeitete Leitfaden         Was können sie unternehmen, wenn
                                                                    aktuelle Ausgabe            «Alkohol – mit Jugendlichen darüber           ein Kind Suchtmittel konsumiert
                                                                    behandelt den               sprechen» bietet Hilfestellung, um            oder sehr oft online ist? Die neue
                                                                    Schwerpunkt «Alter          angemessen auf den Alkoholkonsum              Website meinTeenager.ch bietet
                                                                    gestalten» und              des eigenen Kindes zu reagieren.              Infos in einfacher Sprache und dient
                                                                    diskutiert verschie-           Angehörige von Personen mit                mit acht Erklärvideos als nieder-
                                                                    dene Aspekte wie            problematischem Suchtmittelkonsum             schwelliges Informationsportal. So
                                                                    Demenz und Gewalt           leiden oft unter der Situation. Dazu          werden auch Eltern angesprochen,
Suchtprävention laut & leise, Oktober 2020

                                                                    gegenüber Betagten.         zählen insbesondere minderjährige             die weniger geübt sind, schriftli-
                                                                    Es werden Angebote          Geschwister. Deshalb gibt es neu den          che Informationen zu verstehen.
                                             zur Stärkung älterer Menschen vorgestellt,         Leitfaden «Geschwister suchtkran-                Website und Filme gibt es auf
                                             die in Gemeinden umgesetzt werden kön-             ker Jugendlicher unterstützen» für            Deutsch, Französisch und Ita-
                                             nen. Zusätzliche Themen sind Homeoffice,           Eltern. Ergänzend finden Geschwister          lienisch. Die Texte der Website
                                             Umgang mit Angst und Freiwilligenarbeit.           auf den Websites ciao.ch und feelok.          sind auch auf Albanisch, Englisch,
                                                Das Magazin wird von Prävention und             ch verschiedene Artikel mit Tipps             Portugiesisch und Spanisch über-
                                             Gesundheitsförderung Kanton Zürich                 und Informationen. (Sucht Schweiz)            setzt. Angeboten wird die Website
                                             herausgegeben und kann im Kanton Zürich            Bestellen und Downloaden: suchtschweiz.ch >   von Sucht Schweiz und Carrefour
                                             kostenlos abonniert werden. (EBPI)                 Info-Materialien > Zielgruppe: Eltern         AddictionS (GE). (Sucht Schweiz)
                                             Web: gesundheitsfoerderung-zh.ch/magazin-pg        Artikel auf feelok.ch: tinyurl.com/y7t53mxu   Web: meinteenager.ch

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Laut & leise Das Leben verändert sich - Sucht beginnt im Alltag. Prävention auch - PH Zürich
Laut & leise Das Leben verändert sich - Sucht beginnt im Alltag. Prävention auch - PH Zürich
Essay

                                             Alles nur eine Phase

                                             E
                                                   s gibt bestimmt viele, die würden         men. Das ist bei der Weltreise und beim         phasen mit. Als Vater entwickle ich mich
                                                   mein Leben als spiessig bezeichnen.       wilden Singleleben nicht anders als in der      vom Babyträger zum Skilehrer, Lernbe-
                                                   Zu Recht – was auch immer «spies-         Familie.                                        gleiter, Chauffeur, Tatortreiniger, Box-
                                             sig» heissen mag. Es hilft auch nicht, dass        Mit dem Entscheid für Kinder begibt          sack, Lebensratgeber und immer weiter.
                                             wir unseren Volvo Kombi kürzlich gegen          man sich auf einen Weg voller Unsicher-         Wo manche Väter da noch die Zeit für
                                             ein Elektroauto getauscht haben. Wir sind       heiten. Nicht völlig unbewusst. Die meis-       eine Midlife-Crisis hernehmen, ist mir ein
                                             jetzt einfach nicht mehr 2015-spiessig,         ten werdenden Eltern haben viel gelesen         Rätsel.
                                             sondern 2021-spiessig.                          über die anstrengende Zeit, die folgt,             Doch irgendwann endet die intensive
                                                Aber ist spiessig sein so schlecht? Ich      und einiges miterlebt von Freunden, die         elterliche Pflichtphase. Wenn das letzte
                                             liebe meine Frau und die zwei Kinder, mag       gerade mitten im Schlamassel stecken.           Kind sagt «Papa, ich habe einen Mietver-
                                             unser Zuhause, ländlich und doch nahe           Von den schlaflosen Nächten bis hin zur         trag unterzeichnet», dann steht Vati da wie
                                             der Stadt. Und auch zur rechtzeitig auf-        Scheidung, weil sich die Beziehung mit          gekläpft und denkt: «Du hast doch erst ge-
                                                                                                                                             rade noch den Filzstift mit der Faust gehal-
                                             Was einen selbst erwartet, weiss niemand im Voraus. Mit der                                     ten.» Vor diesem Moment fürchte ich mich
                                                                                                                                             mehr als vor allem, was bis dahin noch
                                             ­Zeugung eines Kindes setzt man eine Kaskade an Veränderungen                                   kommen mag. Ich kenne einige, die haben
                                              in Gang, über die man eine beschränkte Kontrolle hat.                                          am Tag des Auszugs ihre Eltern zum ersten
                                                                                                                                             Mal weinen sehen. Meinen Kindern wird
                                             gebauten Säule 3A stehe ich. Wie es sich        den Kindern zu sehr veränderte. Dann die        es auch so gehen. Was soll ich denn unter
                                             gehört, träume ich ab und zu vom grossen        Kompromisse in der beruflichen Karriere,        dem Tisch wegsaugen, wenn niemand
                                             Lottogewinn und bin gleichzeitig dankbar,       die Sorgen um kranke Kinder, emotionale         mehr krümelt?
                                             geht es mir so gut, wie es mir meistens geht.   Herausforderungen, ernsthafte psychi-
                                             Gemütlich in seiner Spiessigkeit baden          sche Belastungen. Aber eben auch die            n
                                             kann nur, wer einen ganzen Haufen Pri-          Freude, die Liebe und die vielen Lacher,
                                             vilegien geniesst.                              wenn man das Leben im Teamplayer-Mo-            Markus Tschannen ist Papablogger, Kolumnist
                                                                                                                                             und Vater von Beebers (1) und dem Brecht (6).
                                                Wenn ich drüber nachdenke, kommt             dus durchspielt.
Suchtprävention laut & leise, Oktober 2020

                                                                                                                                             Er twittert unter dem Namen @souslik.
                                             es mir allerdings komisch vor, dass ein            Doch die Geschichten anderer sind
                                             Familienleben mit Kindern als Inbegriff         nur Anekdoten. Was einen selbst erwar-
                                             des langweiligen Spiesserlebens gilt. Mir       tet, weiss niemand im Voraus. Mit der
                                             war in den letzten sechs Jahren nämlich         Zeugung setzt man eine Kaskade an Ver-
                                             kein einziges Mal langweilig. Klar, man         änderungen in Gang, über die man eine
                                             muss dafür gemacht sein. Ich bin nicht          beschränkte Kontrolle hat. Wer Kinder
                                             der Typ «mit dem Rucksack zu Fuss durch         hat, weiss: Diese Zeit ist unterteilt in vie-
                                             Kirgistan». Eher der Typ «mit dem Akku-         le kleine Phasen. Hat man eine begriffen,
                                             sauger am Abend noch kurz unterm Tisch          beginnt schon die übernächste. Da kann
                                             durch». Aber jedes grosse Abenteuer setzt       das Kind gerade Treppen steigen, schon
                                             sich aus vielen kleinen Abenteuern zusam-       sucht es eine Lehrstelle. Und die Eltern

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Laut & leise Das Leben verändert sich - Sucht beginnt im Alltag. Prävention auch - PH Zürich
Suchtprävention im Lebensverlauf

Von der Kindheit
bis ins hohe Alter

Der Lebensverlaufansatz berücksichtigt alle Generationen mit Fokus auf die Übergangsphasen im Leben.
Auch die Suchtprävention trägt dem Präventionsbedarf in allen Lebensphasen vermehrt Rechnung.
Von Christa Berger

D
       as Leben ist von altersspezifischen   Krankheiten (NCD-Strategie) des Bundes        beispielsweise die positive Selbstwirk-
       Lebensphasen gekennzeichnet, die      gefunden.                                     samkeitserwartung, die Fähigkeit Pro-
       aufeinanderfolgen. Um 1900 war                                                      bleme zu bewältigen und zu lösen oder
noch nicht von einer Jugendzeit die Rede,    Lebensübergänge im Fokus                      Emotionen zu regulieren. Neben einem
damals ging man von der Kindheit direkt      Beim Lebensverlaufansatz stehen die Le-       unterstützenden Umfeld schaffen sie die
ins Erwachsenenalter über. Bildungs-         bensübergänge im Fokus. Sie markieren         Voraussetzung für Akzeptanz, Zuversicht
expansion und höhere Lebenserwartung         bedeutsame Entwicklungsetappen, die           und Vertrauen wie auch eigenverantwort-
haben dann zu einer Ausdifferenzierung       mit tiefgreifenden Veränderungen ein-         liches Handeln in Zeiten des Umbruchs.
der Lebensphasen geführt, wobei sich         hergehen und individuelle Anpassungs-
insbesondere die Jugend- und die Alters-     leistungen erforderlich machen. Es gibt       Risiko Sucht
phase immer weiter ausgedehnt haben.         Veränderungen in Bezug auf Rolle und          Schon ab der frühen Kindheit ist an den Le-
Mittlerweile unterscheiden wir sechs         Status, so beispielsweise beim Eintritt ins   bensübergängen eine resilienz- und ent-
Lebensphasen: Kindheit, Jugend, Spät-        Berufsleben, bei der Erst-Elternschaft        wicklungsfördernde Stärkung wie auch
adoleszenz, mittleres Erwachsenenalter,      oder bei der Pensionierung. Je nachdem,       Risikoverminderung angezeigt. Denn
frühes Alter und hohes Alter.                welche Rahmenbedingungen vorliegen            Massnahmen zum Schutz der Gesundheit
                                             und über welche körperlichen, psychi-         in den Übergangsphasen des Lebens wir-
Der Lebensverlaufansatz
Mit der 2015 verabschiedeten Erklärung       Schon ab der frühen Kindheit ist an den Lebensübergängen
von Minsk propagierte die WHO den            eine resilienz- und entwicklungsfördernde Stärkung wie auch
Lebensverlaufansatz (engl. Life-Course
Approach) zur Leitplanke für die Um-
                                             Risikoverminderung angezeigt. Denn Massnahmen zum
setzung der Agenda «Gesundheit 2020».        Schutz der Gesundheit in den Übergangsphasen des Lebens
Der Lebensverlaufansatz hat die gesam-       wirken sich positiv auf später aus.
te Lebensspanne des Menschen im Blick
und ermöglicht ein besseres Verständnis      schen und sozialen Ressourcen jemand          ken sich positiv auf später aus. Insofern
für die kumulierenden Effekte von Risi-      verfügt, können biografische Umbrüche         bieten die normativen Lebensübergänge
ko- und Schutzfaktoren über das gesamte      für die Betroffenen eine positive Ent-        auch für die Suchtprävention ideale An-
                                                                                                                                         Suchtprävention laut & leise, Oktober 2020

Leben hinweg. Er betont die Wichtigkeit      wicklung ermöglichen oder ein Risiko für      satz- und Zeitpunkte, um Menschen zu
einer früh einsetzenden und langfristig      emotionale Überforderung und psychi-          sensibilisieren, weil man in Übergangs-
ausgerichteten Präventionsstrategie, die     sche Belastung darstellen.                    phasen besonders offen für Verhaltens-
alle Lebensphasen umfasst und Men-              Die erfolgreiche Bewältigung von           änderungen ist.
schen bis ins hohe Alter berücksichtigt.     Lebensübergängen stellt auf jeden Fall           Zudem können Phasen der Verände-
Der Lebensverlaufansatz ist einer gene-      eine wichtige Ressource dar, die man in       rung auch immer ein Treiber für verstärk-
rationenübergreifenden Sichtweise ver-       die nächste Lebensphase mitnimmt und          ten Substanzkonsum sein. Man denke bei-
pflichtet und sieht Massnahmen in den        die einem beim nächsten biografischen         spielsweise an die Pubertät, den Übergang
Übergangsphasen des Lebens vor. Er hat       Wendepunkt unterstützt. Das persön-           ins Erwachsenenalter oder an die Pensio-
seinen Niederschlag auch in der Strate-      liche Rüstzeug für gelingende Lebens-         nierung. So sind bei jungen Erwachsenen
gie zur Prävention nichtübertragbarer        übergänge sind Lebenskompetenzen wie          das Rauschtrinken, also der punktuell

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Laut & leise Das Leben verändert sich - Sucht beginnt im Alltag. Prävention auch - PH Zürich
exzessive Alkoholkonsum, sowie tägliches      die jeweiligen Suchtrisiken abzumildern      rungen der verschiedenen Lebensphasen
                                             Rauchen sehr ausgeprägt. Im Rentenalter       und Schutzfaktoren zu stärken. Insbeson-     in der Konzeption von Präventionsange-
                                             ist ein regelmässiger, hoher Alkoholkon-      dere das mittlere Lebensalter wird bislang   boten berücksichtigt werden.
                                             sum am stärksten verbreitet.                  zu wenig beachtet. Menschen im mittleren     • Ansatzpunkte für die Suchtpräven-
                                                 Suchtprävention ist nach wie vor auf      Erwachsenenalter werden in erster Linie      tion bieten die normativen Übergänge
                                             Kinder und Jugendliche ausgerichtet.
                                             Inhaltlich ist das sinnvoll, gilt doch ein    Der Lebensverlaufansatz verlangt aufeinander abgestimmte
                                             früher Substanzkonsum als bedeutsamer         Angebote. Dafür sind eine gute Zusammenarbeit und die Klärung
                                             Prädiktor für problematische Konsum-
                                             muster im Erwachsenenalter. Die präven-       der Schnittstellen erforderlich. Ebenfalls wichtig sind eine
                                             tive Einflussnahme in dieser Lebensphase      vorausschauende Planung, die Vernetzung und die Kooperation
                                             ist auch deshalb angezeigt, weil sich viele   mit anderen Akteuren und Institutionen.
                                             Verhaltensmuster während Kindheit und
                                             Jugend ausbilden und festigen.                als Multiplikator*innen aber kaum als        in den verschiedenen Lebensphasen wie
                                                                                           Anspruchsgruppe mit eigenen suchtprä-        Schuleintritt, Berufsbeginn oder Pensio-
                                             Vernachlässigte mittlere Lebensphase          ventiven Bedürfnissen in den Blick ge-       nierung. An diesen Übergängen ist eine
                                             Trotzdem reicht es nicht, Suchtpräven-        nommen. Dabei sind Menschen in dieser        resilienz- und entwicklungsfördernde
                                             tionsangebote nur für Jugendliche an-         Lebensphase auf vielfältige Art und Wei-     Stärkung in (sucht)präventiver Hinsicht
                                             zubieten, um im Erwachsenenalter vor          se mehrfachbelastet. Nicht umsonst gilt      besonders relevant. Das Ziel besteht da-
                                             Risikokonsum und Sucht zu schützen. Es        das Alter zwischen 30 und 50 Jahren als      rin, Menschen auf diese Phasen vorzube-
                                             ist deshalb in allen Lebensphasen wichtig,    «Rush-Hour» des Lebens.                      reiten, sie zu begleiten und somit zu gelin-
                                                                                              In dieser Lebensphase ist der Anteil      genden Lebensübergängen beizutragen.
                                                                                           der täglich Rauchenden denn auch beson-      • Der Lebensverlaufansatz verlangt auf-
                                              Normative versus kritische                   ders hoch (42,2% gemäss Suchtmonitoring      einander abgestimmte Angebote. Dafür
                                              Lebensereignisse                             Schweiz 2017). Bei den Frauen zeigt sich     sind eine gute Zusammenarbeit und die
                                                                                           zudem ein besonderes Muster: Zwischen        Klärung der Schnittstellen erforderlich.
                                              Im Lebensverlauf erwarten uns nach-          35 und 44 Jahren nimmt der Tabakkonsum       Ebenfalls wichtig sind, eine vorausschau-
                                              einander normative Lebensereignisse:         kontinuierlich ab. Danach folgt aber ein     ende Planung, die Vernetzung und die
                                              Geburt, Schuleintritt und -abschluss,        Wiedereinstieg in den täglichen Tabak-       Kooperation mit anderen Akteuren und
                                              Auszug aus dem Elternhaus, Berufs-           konsum bei den 45- bis 64-jährigen Frau-     Institutionen.
                                              beginn und Pensionierung, die jeweils        en. Der Lebensverlaufansatz schärft den         Der Mehrwert einer lebensverlaufsori-
                                              einen bedeutenden Entwicklungs-              Blick für solche differenzierten Konsum-     entierten Suchtprävention besteht darin,
Suchtprävention laut & leise, Oktober 2020

                                              übergang ausmachen. Diese Lebens-            pfade und verlangt passende präventive       Menschen in allen Lebensphasen noch
                                              übergänge sind erwartete Ereignisse,         Angebote.                                    gezielter zu erreichen und die jeweils re-
                                              die grundsätzlich alle Menschen be-                                                       levanten Risikofaktoren für problemati-
                                              treffen und auf die wir uns einstellen       Lebensverlauforientierte Prävention          sches Konsumverhalten zu mindern sowie
                                              können. Sie unterscheiden sich von           Der Lebensverlaufansatz bietet neben         Schutzfaktoren zu fördern.
                                              kritischen Lebensereignissen, die un-        der Zielgruppen- und Settingorientierung
                                              vorhergesehen eintreffen und in der          weitere wichtige Handlungsansätze für        n
                                              Regel als sehr einschneidend erlebt          die Suchtprävention:
                                              werden wie zum Beispiel der Verlust          • Analog zu Alter, Geschlecht/­  Gender,     Christa Berger (lic. Phil.) arbeitet als Stabsmitarbei-
                                              einer nahestehenden Person oder eine         sozioökonomischem Status und Migra­          terin Grundlagen bei der Suchtpräventionsstelle der
                                              schwerwiegende Krankheitsdiagnose.           tionshintergrundmüssendieHerausforde-
                                                                                                                                        Stadt Zürich.

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Laut & leise Das Leben verändert sich - Sucht beginnt im Alltag. Prävention auch - PH Zürich
Marlies Desarzens, Stellenleiterin Suchtpräventionsstelle für den Bezirk Horgen

                                             Veränderungen
                                             im Leben akzeptieren

                                             Von Geburt an verändert sich unser Leben – ob wir es wollen oder nicht. Marlies Desarzens erklärt in diesem Interview,
                                             warum Lebensübergänge verunsichern, sich in solchen Phasen aber neue Perspektiven und Möglichkeiten eröffnen.
                                             Von Brigitte Müller

                                             laut & leise: Dieses «laut & leise» beschäf-   an Krebs erkrankt ist, oder ist konfron-      wisse Zeit vergessen, man verschafft sich
                                             tigt sich mit dem Thema Lebensübergän-         tiert mit einem plötzlichen Todesfall in      kurzfristig Erleichterung und hat einfach
                                             ge. Welche Aspekte dieses Modells inter-       der Familie oder dem Verlust der Arbeits-     wieder einmal Spass.
                                             essieren Sie?                                  stelle. Diese Ereignisse sind nicht planbar
                                             Marlies Desarzens: Ab der Geburt sind          und gleichzeitig sehr einschneidend und       l & l: Warum sind die Erkenntnisse über
                                             Lebensübergänge eine Konstante im Le-          prägend. Deshalb sprechen Fachleute in        normative und kritische Übergänge für
                                             ben. Beim genaueren Betrachten von             solchen Situationen von einem durch ein       die Suchtprävention von Interesse?
                                             Lebensübergängen wie Kindergarten,             kritisches Lebensereignis ausgelösten         Desarzens: Das Wissen, dass wir alle
                                             Schule oder Pensionierung ist das Er-          Übergang.                                     sowohl normativen als auch kritischen
                                             staunliche, dass jeder in unserer Ge-                                                        Lebensübergängen ausgesetzt sind und
                                             sellschaft dazu «gezwungen» wird – da          l & l: Lebensübergänge sind herausfor-        diese je nach Situation besser oder we-
                                             müssen wir «durch». Andere Übergänge           dernd. Warum?                                 niger gut bewältigen können, ist wichtig,
                                             wie beispielweise Heirat und eine Fami-        Desarzens: Wir betreten neues Terrain,        um unsere Angebote entsprechend zu ge-
                                             lie gründen sind persönliche Entscheide,       müssen alte, oft liebgewonnene Gewohn-        stalten. Grundsätzlich beabsichtigen wir,
                                             die aber viele von uns treffen. Ein Merk-
                                             mal dieser Lebensübergänge ist, dass sie       Wenn jemand mit vielen negativen oder extrem belastenden
                                             meistens vorhersehbar und planbar sind.        Ereignissen konfrontiert ist, dann können Alkohol, Schlafmittel,
                                             Dieses Jahr wussten beispielsweise alle
                                             1.-Klässler im Kanton Zürich, dass ihr ers-    Cannabis, aber auch exzessives Gamen oder der übermässige
                                             ter Schultag der 17. August 2020 ist. Oder     Konsum von Social Media eine vermeintliche Strategie sein.
                                             eine Hochzeit findet an einem bestimmten
                                             Datum statt. Es ist für uns also möglich,      heiten und Strukturen loslassen, müssen       Menschen so zu unterstützen, dass sie in
                                             sich die neue Lebensphase vorzustellen         uns wegen veränderter Lebensumstände          jeder Lebensphase selbstwirksam ihre
                                             und sich entsprechend vorzubereiten. Das       neu erfinden, uns neu orientieren. Wir        persönlichen Herausforderungen meis-
                                             Kind, das zum ersten Mal in den Kinder-        lieben Veränderungen nicht besonders,         tern können. Diese Fähigkeit, selber etwas
                                             garten geht, kann vorher eine Znünitasche      weil wir gezwungen werden, unsere Kom-        zu bewirken, beginnt ja schon im Babyal-
                                             auswählen und mit den Eltern und Gross-        fortzone zu verlassen, und dieser Prozess     ter. So, wie ein Kleinkind geduldig laufen
                                             eltern lernen, den Weg zum Kindergarten        Unsicherheit auslösen kann.                   lernt, so können wir auch unsere Selbst-
                                             zu gehen. Die Vorbereitungsarbeiten bei                                                      wirksamkeit trainieren. Dafür stellt die
                                             einer Hochzeit sind viel aufwendiger, ha-      l & l: Weshalb ist man während eines Le-      Suchtprävention Angebote bereit, welche
Suchtprävention laut & leise, Oktober 2020

                                             ben jedoch einen ähnlichen Effekt, näm-        bensübergangs suchtgefährdet?                 die mit den Lebensübergängen verbunde-
                                             lich sich mit dem bevorstehenden Lebens-       Desarzens: Wenn jemand mit vielen nega-       nen Risiken thematisieren, wie beispiels-
                                             übergang zu beschäftigen.                      tiven oder extrem belastenden Ereignis-       weise den problematischen Konsum von
                                                                                            sen konfrontiert ist oder man schon viele     Medikamenten oder Alkohol.
                                             l & l: Wir sind auch von Krankheit und         Male schlechte Erfahrungen bei Lebens-
                                             Schicksalsschlägen betroffen.                  übergängen gemacht hat, dann können Al-       l & l: Welche Menschen kann die Sucht-
                                             Desarzens: Ja, und diese Ereignisse tre-       kohol, Schlafmittel, Cannabis, aber auch      prävention in welchen Lebensphasen mit
                                             ten im Gegensatz zu den genannten, als         exzessives Gamen oder der übermässige         spezifischen Angeboten erreichen?
                                             normativ bezeichneten Übergängen meis-         Konsum von Social Media eine vermeint-        Desarzens: Die Stellen für Suchtpräven-
                                             tens von einer Stunde auf die andere ein.      liche Strategie sein. Man kann sich damit     tion im Kanton Zürich bieten eine breite
                                             Man ist beim Arzt und erfährt, dass man        ablenken und die Problemen für eine ge-       Palette an Angeboten. Bezeichnend ist, um

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Das Wissen, dass wir alle sowohl normativen als auch
­kritischen Lebensübergängen ausgesetzt sind und diese je nach
 ­Situation besser oder weniger gut bewältigen, ist wichtig, um
  ­unsere ­Angebote entsprechend zu gestalten. Grundsätzlich
   ­beabsichtigen wir, Menschen so zu unterstützen, dass sie in jeder
    Lebensphase selbstwirksam ihre persönlichen Herausforderungen
    meistern können.

unsere Ressourcen zu bündeln, dass sich       Desarzens: Ein wichtiger Aspekt unserer       Betreuung. Wer kennt nicht die Aussage
die meisten Angebote an sogenannte Mul-       Angebote ist die Vermittlung von sachli-      «irgendwie geht es immer»? Nur irgend-
tiplikator*innen wenden. Wir informieren      chen Informationen, die darauf abzielen,      wann ist es dann doch zu viel – die von
in den Kitas, im Kindergarten und in den      Menschen zur Selbstreflexion anzuregen        allen gewünschte «Work-Life-Balance» ist
Schulen die Verantwortlichen beispiels-       und sie zu befähigen, sich selbstverant-      in Schieflage, man fühlt sich gestresst und
weise über die Probleme von Kindern, die      wortlich für ihr Handeln, für ihr Konsum-     ausgelaugt. Entsprechend tiefer wird die
in suchtbelasteten Familien aufwachsen.       verhalten zu entscheiden. Wenn eine Per-      eigene Lebenszufriedenheit eingeschätzt.
Oder sensibilisieren Pflegefachleute bei      son in der Krise beispielsweise weiss, dass
der Spitex und in Alters- und Pflegheimen,    bei der Einnahme von Schlafmitteln schon      l & l: Welche Chancen bieten Lebensüber-
welche negativen Auswirkungen gewisse         nach zwei Wochen eine Abhängigkeit ent-       gänge?
Schlafmittel auf ältere Menschen haben        steht, kann sie bewusster und kompeten-       Desarzens: Es ist doch wunderbar, dass
können.                                       ter für sich entscheiden. Insofern geht es    das Leben uns immer wieder mit neuen
                                              uns überhaupt nicht darum, jemanden zu        Situationen die Chance gibt, uns weiter-
l & l: Welche Menschen fallen für die An-     bevormunden, sondern Personen in ihren        zuentwickeln. Dass wir als Baby laufen
gebote der Suchtprävention durch die Ma-      eigenen Fähigkeiten zu stärken. Darum ist     gelernt haben, um selbständig gehen zu
schen?                                        eine unserer wichtigsten Aufgabe, unsere      können. Dass wir in der Schule das ABC
Desarzens: Dass wir mit Multiplikator*in-
nen zusammenarbeiten, hat zur Folge,          Lebensübergänge ermöglichen uns, unsere Grenzen zu
dass wir meistens mit Institutionen wie
Schulen, der Jugendarbeit, Gemeinden
                                              erweitern und immer mehr von der Welt zu entdecken und
oder der Spitex zusammenarbeiten. Men-        zu erfahren. Lebensübergänge halten uns lebendig.
schen, die wenig oder überhaupt nicht in
solch einer Institution anzutreffen sind,     Angebote so zu formulieren und zu gestal-     gelernt haben, um selber Bücher lesen zu
beispielsweise selbständig Erwerbende,        ten, dass sie wahrgenommen werden und         können. Und so weiter und so fort. Lebens-
Kunstschaffende oder auch Expats oder         zu einer Verhaltensänderung anregen.          übergänge ermöglichen uns, unsere Gren-
Migrant*innen, haben einen erschwerten                                                      zen zu erweitern und immer mehr von der
Zugang zur Suchtprävention.                   l & l: Studien zeigen, dass die Lebenszu-     Welt zu entdecken und zu erfahren. Le-
                                              friedenheit zwischen 40 und 50 Jahren am      bensübergänge halten uns lebendig. Men-
l & l: Gibt es noch andere Gründe?            tiefsten ist. Haben Sie für dieses Phäno-     schen, die nach einer schweren Krankheit
Desarzens: Ja, die Sprache oder wie In-       men eine Erklärung?                           oder einem Schicksalsschlag wieder Zu-
halte formuliert sind, können ein weiteres    Desarzens: In dieser Lebensphase wird         versicht gewonnen haben, erzählen oft,
Hindernis sein. Aber auch persönliche         vielen bewusst, dass sie wohl in der Le-      dass sie nun zufriedener und stolz sind,
Einstellungen wie «was nützt das schon?».     bensmitte angekommen sind. Zudem hat          eine schwierige Lebensphase gemeistert
Oder Menschen haben grundsätzlich ihre        man sich beruflich und privat vieles auf-     zu haben. Jede geglückte Erfahrung stärkt
                                                                                                                                          Suchtprävention laut & leise, Oktober 2020

Zweifel gegenüber Hilfsangeboten. Bei El-     gebaut, auf das viele stolz sein können,      auch unser Vertrauen in die eigenen Stär-
ternabenden beobachte ich leider immer        doch gleichzeitig spürt man, wie man im       ken.
wieder, dass genau jene Eltern, deren Kin-    Hamsterrad gefangen ist. Es wird zuneh-
der am meisten von unseren Eltern-Ver-        mend schwieriger, Veränderungen vor-          l & l: Schwierig kann es sein, wenn die Er-
anstaltungen profitieren würden, nicht        zunehmen. Hat man noch die Kraft, eine        fahrungen mit Lebensübergangen meist
anwesend sind.                                Weiterbildung zu absolvieren, um der          negativ verlaufen?
                                              Karriere nochmals einen Schub zu geben?       Desarzens: Ja, weil das angesprochene
l & l: Wie sollen die Angebote der Sucht-     Soll man sich mit dem Partner arrangieren     Vertrauen in sich nicht bestärkt wird.
prävention konzipiert sein, damit sie nicht   oder der Familie eine Scheidung zumuten?      Wenn beispielsweise ein Kind in der ers-
als Bevormundung, sondern als hilfreiche      Die Kinder sind in der Pubertät, die eige-    ten Klasse schon Mobbing erleben muss,
Unterstützung angenommen werden?              nen Eltern benötigen vielleicht vermehrt      dann werden diese schlechten Erlebnisse

                                                                                                                                    12
wahrscheinlich bei weiteren wichtigen
                                             Übergängen wie beispielsweise beim Be-
                                             ginn einer Lehre wieder aktiviert.

                                             l & l: Welche Fähigkeiten helfen, Lebens-
                                             übergänge besser zu bewältigen?
                                             Desarzens: Ein wichtiger Schritt ist, dass
                                             man die eigene Unsicherheit bei einem
                                             Lebensübergang annehmen kann. Seine
                                             eigene Fragilität spürt. Dieses Bewusst-
                                             sein hilft, dass man sich getraut, darüber
                                             zu sprechen. Dass man Unterstützung
                                             sucht und annimmt und akzeptiert, dass
                                             es Zeit braucht, bis man sich in der neuen
                                             Lebensphase wieder wohl und sicher fühlt.

                                             l & l: Haben Sie uns einen persönlichen
                                             Tipp, wie Sie mit kritischen Lebensphasen
                                             umgehen?
                                             Desarzens: Ich versuche meine Gedan-
                                             ken zu ordnen, indem ich in Worte fasse,
                                             was mich beschäftigt und belastet. Wenn
                                             ich meine Situation schriftlich formuliere
                                             oder mit jemandem darüber reden kann,
                                             erfahre ich, ohne dass wirklich etwas
                                             passiert, eine Entlastung. Über das Wort
                                             komme ich zu Erkenntnissen, die mir wei-
                                             terhelfen. Rückblickend kann ich sagen,
                                             an allem, was ich gemeistert habe, bin ich
                                             gewachsen. Darum ist mein Motto «Ruhe
                                             bewahren und dranbleiben».

                                             n
Suchtprävention laut & leise, Oktober 2020

                                             Marlies Desarzens: Pflegefachfrau HF, NDS Manage-
                                             ment in Gesundheitsorganisationen, Betriebsöko-
                                             nomin BVS und Mediatorin. Sie leitet seit zehn Jahren
                                             den Samowar, die Jugendberatungs- und Suchtprä-
                                             ventionsstelle für den Bezirk Horgen.

                                             Brigitte Müller, Texterin und Redaktionsleiterin
                                             «laut & leise», stellte die Fragen.

                                             13
Suchtprävention in der Schule

Schule – eine Lebensphase
mit vielen Übergängen

Wirksame Suchtprävention in der Schule ist in mehrere Handlungsfelder eingebettet und fördert tragende Beziehungen
zwischen Lehrpersonen und Schüler*innen. Der Lehrplan 21 formuliert zentrale suchtpräventive Inhalte.
Von Larissa Hauser und Esther Kirchhoff

U
       nser Sohn ist jetzt ein Erstklässler!   ziehen. Wir hoffen, dass die Schule in der    müht, dass es Ihrem Kind gut geht und es
       Und doch ist er erst vor Kurzem auf     Begleitung unseres Sohnes am gleichen         gut lernen kann.»
       die Welt gekommen, scheint mir.         Strick ziehen wird wie wir.                      Den Eltern ein gutes Gefühl zu geben
Als Eltern waren wir damals die wichtigs-                                                    und sie bei ihren Bedürfnissen abzuho-
ten Bezugspersonen, zusammen mit den           Gute Beziehungen                              len, ist das Ziel dieser ausführlichen Ant-
Grosseltern, später mit den Nachbarn           Als ehemalige Primarlehrerin und als          wort. Fachlich gesehen beschreibt diese
und externen Betreuungspersonen. Vor           Fachperson für schulische Suchtpräven-        Antwort die optimalen Bedingungen für
zwei Jahren dann die erste grosse Ablö-        tion beschäftigen mich genau die gleichen     Gesundheitsförderung und Prävention
sung: Ich habe unseren Sohn allein in den      Fragen und Anliegen. Um das Vertrauen         an Schulen. Es sind die zentralen Anlie-
Kindergarten ziehen sehen. Die Schule als      der Eltern in die Schule zu stärken, würde    gen schulischer Suchtprävention, wie sie
                                                                                             auch im Lehrplan 21 formuliert sind. Wei-
Schulische Suchtprävention unterstützt die gesunde und sichere                               terführende Informationen zum Thema
Entwicklung von Kindern und Jugendlichen, damit diese ihr                                    finden sich im Artikel «Sucht als Thema
                                                                                             schulischer Gesundheitsförderung und
Potenzial entfalten und die Entwicklungsaufgaben in Schule und                               Prävention» im Suchtmagazin.*
Leben konstruktiv bewältigen können.
                                                                                             Anliegen der Suchtprävention
neuer Lebensabschnitt begann, neue Le-         ich ihnen antworten: «Gute Beziehungen        Schulische Suchtprävention unterstützt
bensinhalte und Denkweisen eröffneten          zwischen Lehrpersonen und Schüler*in-         die gesunde und sichere Entwicklung von
sich ihm. Das nahmen wir auch als Eltern       nen sowie ein positives Schulklima sind       Kindern und Jugendlichen, damit diese
zuhause wahr. Und nun, vor ein paar Wo-        uns in der Schule sehr wichtig. Wir setzen    ihr Potenzial entfalten und die Entwick-
chen, wieder dieses Herzklopfen: Unser         den Fokus auf die Stärken der Kinder, för-    lungsaufgaben in Schule und Leben kons-
Sohn wechselte in die erste Klasse. Ein        dern sie in den Schulfächern und auch in      truktiv bewältigen können. Die Schule als
aufregender Tag. Viele Fragen und Unsi-        ihren Lebenskompetenzen, damit sie ge-        Lernort, an dem Kinder und Jugendliche
cherheiten beschäftigten uns als Eltern in     sund und zuversichtlich durch die Schul-      viel Zeit verbringen, ist prädestiniert,
Bezug auf diesen Übertritt: Wird er Freu-      zeit in den Beruf und ins Leben gehen. Wir    dieses gesellschaftliche Anliegen umzu-
de am Lernen finden? Wird er sich in der       sind aufmerksam und achten auf eine gute      setzen. Sie ist gut organisiert und hoch
neuen Klassengemeinschaft wohl fühlen?         Gruppendynamik unter den Schülerin-           strukturiert. Damit können Massnahmen
Wird er den Draht zur Lehrperson fin-          nen und Schülern. In der Pubertät werden      umfassend und langfristig realisiert wer-
                                                                                                                                                     Suchtprävention laut & leise, Oktober 2020

den? Und wird sie ihn bei Schwierigkei-        wir besonders wachsam sein und mit den        den, indem alle an der Schule beteiligten
ten unterstützen? Wir Eltern werden als        Jugendlichen über Risikokompetenz und         Akteur*innen zusammenarbeiten und ihr
Bezugspersonen und Vorbilder mehr in           Eigenverantwortung sprechen. Wenn uns         spezifisches Wissen einbringen.
den Hintergrund rücken und das Feld mit        etwas ungewöhnlich erscheint, suchen             Um den Schulen diesen modernen und
Lehrpersonen und Peers teilen, es ihnen        wir das Gespräch mit den betreffenden         wirksamen Ansatz der Suchtprävention
irgendwann sogar mehrheitlich überlas-         Kindern oder Jugendlichen, mit ande-          zugänglich zu machen, entwickelten die
sen. Umso wichtiger ist es uns, dass wir der   ren Lehrpersonen und auch mit Ihnen           Stellen für Suchtprävention im Kanton
Schule vertrauen können, dass die Lehr-        als Eltern. Wir sind gut vernetzt und bei
personen und die Schulleitung uns auf          Schwierigkeiten gibt es Fachpersonen, die
                                                                                             * Kirchhoff, E., & Keller, R. (2020). Sucht als Thema
Augenhöhe begegnen und sie uns in die          Ihr Kind, Sie als Eltern und uns als Schule   schulischer Gesundheitsförderung und Prävention.
Geschehnisse rund um unser Kind einbe-         unterstützen können. Wir sind darum be-       SuchtMagazin 46 (4): 31–34.

                                                                                                                                              14
Ein Fundament gelingender Suchtprävention sind tragende
                                             Beziehungen, ein lern- und entwicklungsförderliches
                                             Klima auf allen Ebenen der Schule sowie die Partizipation
                                             aller an der Schule Beteiligten, um das Schulleben
                                             mitverantwortlich zu gestalten.

                                             Zürich in den 2000er-Jahren das Modell       Suchtprävention sind tragende Beziehun-       Schutzfaktoren, insbesondere der Le-
                                             zur schulischen Suchtprävention. Die Ak-     gen, ein lern- und entwicklungsförderli-      benskompetenzen. Dazu gehört auch
                                             tualisierung des Modells auf der Grund-      ches Klima auf allen Ebenen der Schule        die altersangemessene Vermittlung von
                                             lage von Praxis- und Forschungswissen        sowie die Partizipation aller an der Schule   substanz- und verhaltensspezifischem
                                             wurde im Jahr 2020 abgeschlossen.            Beteiligten, um das Schulleben mitver-        Wissen. Wichtige Bedingungen für einen
                                                                                          antwortlich zu gestalten. Dies stärkt das     suchtpräventiv wirksamen Unterricht
                                             Modell mit vier Handlungsfeldern             Gefühl der Zugehörigkeit und schafft ein      sind die interaktive Auseinandersetzung
                                             Vier Handlungsfelder umschreiben die         Beziehungsnetz, das auch im Krisenfall        der Schüler*innen mit den Inhalten und
                                             suchtpräventiven Anliegen (siehe Abbil-      das Potenzial hat, die Kinder und Jugend-     dass diese an ihre Lebenswelt anknüpfen.
                                             dung). Dabei fliessen verhaltens- und ver-   lichen aufzufangen. Ziel ist es, Sucht-       Das soll ermöglichen, gewünschte Hand-
                                             hältnispräventive Elemente ein, die mit      prävention als festen Bestandteil eines       lungsweisen längerfristig im Schulalltag
                                             Blick auf eine gesunde Entwicklung von       gesundheitsförderlichen Schulalltags im       zu erproben und zu trainieren.
                                             Schüler*innen relevant sind und einer        Schulprogramm zu verankern.                   • Handlungsfeld «Früherkennung und
                                             Suchtentwicklung entgegenwirken:             • Handlungsfeld «Unterricht und Pro-          Frühintervention»: Verhaltensauffällig-
                                             • Handlungsfeld «Basis: Verankerung im       jekte»: Im Zentrum steht über alle Schul-     keiten oder Regelverstösse in der Schu-
                                             Schulalltag»: Ein Fundament gelingender      stufen hinweg die Stärkung relevanter         le können Warnzeichen für ungünstige
                                                                                                                                        Entwicklungen sein. Gleichzeitig gilt es,
                                                                                                                                        Stärken und Ressourcen der Kinder und
                                                                                                                                        Jugendlichen zu erkennen. Wenn beide
                                              Modell zur schulischen Suchtprävention der Stellen                                        Bereiche frühzeitig wahrgenommen wer-
                                              für Suchtprävention im Kanton Zürich                                                      den, ist es möglich, die Schüler*innen
                                                                                                                                        und ihre Bezugspersonen rechtzeitig ge-
                                                                                                                                        eignet zu unterstützen sowie im Schulall-
                                                                                                                                        tag einen angemessenen Umgang mit der
                                                                                                                                        Problematik zu finden. Im Mittelpunkt
                                                                                                                                        der schulinternen Zusammenarbeit
                                                                                                                                        steht eine gemeinsame Haltung des Hin-
                                                                                                                                        schauens (Früherkennung) und Handelns
                                                                                                                                        (Frühintervention), d. h. ein koordiniertes
                                                                                                                                        und verbindliches Vorgehen mit geklärten
                                                                                                                                        Zuständigkeiten und Abläufen. Dies sorgt
                                                                                                                                        für Handlungssicherheit und ermöglicht
                                                                                                                                        in akuten Krisensituationen ein rasches
                                                                                                                                        Handeln.
Suchtprävention laut & leise, Oktober 2020

                                                                                                                                        • Handlungsfeld «Zusammenarbeit und
                                                                                                                                        Vernetzung»: Über die schulinterne Zu-
                                                                                                                                        sammenarbeit hinaus ist eine gute, ver-
                                                                                                                                        lässliche und aktive Zusammenarbeit
                                                                                                                                        mit den Eltern sowie mit Fachstellen von
                                                                                                                                        zentraler Bedeutung. Auch die Vernet-
                                                                                                                                        zung mit lokalen Jugendorganisationen
                                                                                                                                        und Vereinen kann wichtig sein. Denn die
                                                                                                                                        Abstimmung zwischen verschiedenen Be-
                                                                                                                                        zugspersonen der Schüler*innen erhöht
                                                                                                                                        die Chance, dass deren Einstellungen und

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Schulen sind unterschiedlich affin für die verschiedenen
                                             suchtpräventiven Themen und deren Einbettung in die
                                             Schulstruktur. Bedarfsorientiert können Schulen bei einem
                                             bestimmten Handlungsfeld einsteigen und danach weitere
                                             Handlungsfelder erarbeiten.

                                             Verhalten nachhaltig positiv beeinflusst     ihrem Fachwissen und ihren Erfahrungen.       und erledigt sie gleich am Küchentisch. Ich
                                             werden können.                               Fachpersonen der regionalen Suchtpräven-      mache mir keine Illusionen, dass es immer
                                                                                          tionsstellen stehen den Schulen beratend      so sein wird. Gleichzeitig hoffe ich aber,
                                             Schul- und Beratungsalltag                   und begleitend zur Seite.                     dass seine kindliche Freude am Lernen
                                             Das Modell bietet Orientierung und Über-        Die Zusammenarbeit und Abstimmung          noch eine ganze Weile anhält und genährt
                                             blick, wie Suchtprävention im Schulalltag    aller beteiligten Akteur*innen sowie die      wird durch ein gute Lernatmosphäre und
                                             umfassend und wirkungsvoll umgesetzt         Vernetzung der verschiedenen Hand-            Schulkultur. Als Mutter wünsche ich mir
                                             werden kann, und richtet sich an die ver-    lungsfelder sind dabei zentral. Dies ist      langfristig für unseren Sohn, dass er eini-
                                             schiedenen im Schulsetting tätigen Perso-    wirkungsvoller als die Durchführung von       germassen erfolgreich durch die Schulzeit
                                             nen. Lehrpersonen arbeiten im direkten       isolierten Einzelmassnahmen.                  geht, Tiefen und Höhen übersteht und er-
                                             Kontakt mit den Schüler*innen und koor-         Schulen sind unterschiedlich affin für     mutigt und gestärkt den nächsten Über-
                                             dinieren die suchtpräventiven Inhalte über   die verschiedenen suchtpräventiven The-       gang und den Weg in die Berufsbildung
                                             alle Zyklen hinweg. Schulleitende schaffen   men und deren Einbettung in die Schul-        oder eine weiterführende Schule schafft;
                                             die strukturellen Voraussetzungen und        struktur. Bedarfsorientiert können Schu-      dass er ein für sich glückliches, gesundes
                                             Ressourcen, damit suchtpräventive In-        len bei einem bestimmten Handlungsfeld        und erfolgreiches Leben verwirklichen
                                             halte schulweit verankert und umgesetzt      einsteigen und danach weitere Hand-           kann. Als Eltern sind wir darauf angewie-
                                             werden. Schulsozialarbeitende und wei-       lungsfelder erarbeiten. Die Fachpersonen      sen, dass es gut qualifizierte Fachpersonen
                                             tere schulische Fachpersonen begleiten       der regionalen Suchtpräventionsstellen        in und um die Schule herum gibt, die un-
                                             und unterstützen die Schüler*innen, das      im Kanton Zürich unterstützen Schulen         sere Bedürfnisse und die unseres Kindes
                                             Schulkollegium und die Schulleitung mit      bei der systematischen und koordinierten      wahrnehmen, unsere Fragen hören, sie
                                                                                          Umsetzung der suchtpräventiven Anlie-         basierend auf wissenschaftlichen Befun-
                                                                                          gen. Sie bieten Beratung, wie die sucht-      den und bewährten Modellen einordnen,
                                              Informationen                               präventiven Inhalte strategisch im Leit-      professionell beantworten und in einen
                                              Das Modell zur schulischen Suchtprä-        bild und im Schulprogramm verankert           grösseren Kontext stellen. So gelingt Schu-
                                              vention wurde von einer Arbeitsgrup-        und konkret im Schulalltag realisiert wer-    le und so gelingt Prävention. Das wünsche
                                              pe der Stellen für Suchtprävention im       den können. Dabei bestärken sie Schulen       ich allen Kindern, Eltern und Schulen.
                                              Kanton Zürich, unter Federführung           darin, alle an der Schule Beteiligten an
                                              der Fachstelle Suchtprävention Volks-       diesem Schul- und Qualitätsentwicklungs-      n
                                              schule der PH Zürich, aktualisiert. Es      prozess partizipieren zu lassen.
                                                                                             Die regionalen Suchtpräventionsstel-       Larissa Hauser ist Psychologin und langjährige Fach-
                                              zeigt die Inhalte wirksamer schuli-                                                       mitarbeiterin der Suchtpräventionsstelle Winterthur.
                                              scher Suchtprävention in vier Hand-         len nutzen das Modell zudem für den Fach-
Suchtprävention laut & leise, Oktober 2020

                                                                                                                                        Sie begleitet Volks- und Mittelschulen bei der Er-
                                              lungsfeldern.                               diskurs. Der regelmässige Austausch zwi-      arbeitung und Implementierung von suchtpräventiven
                                                 Fachpersonen der regionalen Sucht-       schen den Fachstellen über die Inhalte des    Konzepten.
                                              präventionsstellen im Kanton Zürich         Modells und über Erfahrungen bei seiner       Esther Kirchhoff ist Psychologin und Dozentin an der
                                              nutzen das Modell in der Beratung und       Umsetzung soll zu Erkenntnissen führen,       Pädagogischen Hochschule Zürich, Forschungszent-
                                              Begleitung von Schulen (Adressen sie-       wie die Praxis den grössten Nutzen aus der    rum Inklusion und Gesundheit in der Schule.

                                              he letzte Seite).                           Anwendung des Modells ziehen kann.
                                              Ansprechperson: Ariane Koch, PH Zürich,     Fürs Leben lernen
                                              ariane.koch@phzh.ch
                                                                                          Unser Sohn ist gut in der ersten Klasse an-
                                              Web: www.suchtpraevention-zh.ch >
                                                                                          gekommen. Jeden Tag trägt er stolz seinen
                                              Suchtprävention für > Volksschulen
                                                                                          Rucksack mit den Aufgaben nach Hause

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Pensionierung

Individuelle Wege
ins Rentenalter

Das Ausscheiden aus dem Erwerbsleben, die Pensionierung, gilt als kritischer biografischer Übergang, der
die gesellschaftliche Rolle und soziale Beziehungen verändert und eine Neuordnung des Lebens verlangt.
Von Anke Schmidt

W
             er dem Zitat «Die Arbeit hält     2019 gezeigt, dass Alleinlebende ihre sub-   möglich kritische Lebensereignisse wie
             drei grosse Übel fern: die        jektive Gesundheit und Lebensqualität        schwere oder chronische Erkrankungen
             Langeweile, das Laster und        systematisch schlechter einschätzen als      oder auch Trennung oder Verwitwung.
die Not» des französichen Philosophen          Nicht-­Alleinlebende.1 Doch zurück zum          Die Generation der sogenannten Baby-
und Schriftstellers Voltaire (1694–1778)       Zitat und zu den kritischen Aspekten die-    boomer, die derzeit ihren letzten Berufs-
gedanklich folgt, dürfte sich auf die Pen-     ser Lebensphase.                             jahren entgegengeht, lässt sich von all dem
sionierung nicht besonders freuen – die                                                     jedoch nicht unterkriegen, denn sie hat
meisten tun es dennoch. Gleichwohl gilt        Die Langeweile                               gelernt, zu funktionieren. Mit ausgepräg-
das Ausscheiden aus dem Erwerbsleben           Die Anforderungen im Arbeitsleben ha-        tem Verantwortungsbewusstsein und un-
als kritischer biografischer Übergang,         ben in den letzten Jahren zumindest sub-     bedingtem Leistungswillen plant sie die
der die gesellschaftliche Rolle und soziale    jektiv empfunden zugenommen. Dazu            Pflichten – auch an den Wochenenden.
Beziehungen verändert und eine Neuord-         trägt der in einer globalisierten Welt       Für Hobbys und die Pflege sozialer Kon-
nung des Lebens verlangt. Die einen erle-      vorherrschende Konkurrenzdruck eben-         takte reicht die Energie nach Feierabend
ben die Pensionierung als Befreiung: End-      so bei wie die durch die Digitalisierung     dann manchmal nicht mehr.
lich Zeit, zu tun, wozu man Lust hat, und      sprunghaft gestiegene Schnelligkeit des         Wer so die letzten Berufsjahre ver-
                                                                                            bringt, läuft Gefahr, nach der Pensionie-
                                                                                            rung «in ein Loch zu fallen», nichts mit
Damit sich längerfristig kein Gefühl der Leere und Sinnlosigkeit                            sich anfangen zu können, wenn Musse
                                                                                            verlernt wurde und das permanente Ge-
einstellt, ist es empfehlenswert, den Tag zu strukturieren, sich
                                                                                            fordertsein ausbleibt.
Aufgaben zu geben und Ziele zu setzen.
                                                                                            Das Laster
                                                                                            Einerseits schafft Arbeit Tagesstruktur,
zu lassen, was man nicht mag, ganz ohne        Informationsaustauschs. Insgesamt ist        bringt Selbstbestätigung und sorgt für
Wecker und Zeiterfassung. Andere ver-          das Arbeitsleben heutzutage zunehmend        soziale Kontakte – alles stabilisierende
missen die sozialen Kontakte, die Struktur     von Komplexität, Unbeständigkeit und         Faktoren. Andererseits hat bereits die
und die Bestätigung, die die Berufstätig-      Flexibilisierung gekennzeichnet und die      Schweizer Stressstudie 2010 gezeigt, dass
keit mit sich brachte. In einer Welt, in der   Trennung zwischen Arbeit und Freizeit in     zirka ein Drittel der Schweizer Erwerbs-
es einen hohen Stellenwert hat, etwas zur      Zeiten von Home-Office und Fernzugän-        tätigen in den vergangenen zwölf Monaten
Gesellschaft und deren Wohlergehen bei-        gen zu Servern nicht mehr so deutlich. Ein   Medikamente oder sonstige Substanzen
zutragen, kann es zudem als Makel emp-         Trend, der sich durch Corona noch ver-       eingenommen hatten, um ihre Leistung
funden werden, nicht (mehr) zu arbeiten.       stärkt hat.                                  zu steigern (Doping) oder Stress zu be-
                                                                                                                                          Suchtprävention laut & leise, Oktober 2020

   So hängt das Empfinden von zahlrei-            Ältere Arbeitnehmer*innen sind ge-        wältigen (Coping). Das häufigste Motiv
chen Faktoren ab. Neben persönlichen           fordert, sich um- und auf digitale Medien    dafür war, trotz Schmerzen arbeiten zu
Eigenschaften spielen die beruflichen Er-      einzustellen, zu lernen, womit jüngere Ge-   können, gefolgt von abschalten/schlafen
fahrungen, beispielsweise wie gerne man        nerationen eher selbstverständlich aufge-    können und geistige Leistungsfähigkeit/
den Beruf ausgeübt hat, und strukturelle       wachsen sind. Zu den weiteren Heraus-        Stimmung verbessern.
Merkmale wie Einkommen und Alters-             forderungen im Älterwerden gehört die           Je länger Menschen sich daran gewöh-
vorsorge eine wichtige Rolle. Auch ist es      Abnahme der körperlichen Belastbarkeit       nen, Substanzkonsum kompensatorisch
nicht unerheblich, ob Menschen allein          und die Tatsache, dass manche Überlas-       zu nutzen, desto schwieriger wird es, da-
oder in Gemeinschaft leben. So hat eine        tung in der Vergangenheit Spuren hinter-     rauf wieder zu verzichten. So überrascht
Studie zur Gesundheit der älteren Be-          lassen hat und zum Beispiel der Rücken       es nicht, dass der tägliche Alkoholkonsum
völkerung in der Schweiz aus dem Jahr          allzu oft schmerzt. Hinzu kommen wo-         mit zunehmendem Lebensalter steigt –

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