Laut & leise Das Leben verändert sich - Sucht beginnt im Alltag. Prävention auch - PH Zürich
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laut & leise Magazin der Stellen für Suchtprävention im Kanton Zürich Nr. 3, Oktober 2020, erscheint dreimal jährlich Das Leben verändert sich Sucht beginnt im Alltag. Prävention auch.
Blick in die Ferne Für das Thema «Übergänge im Leben» hat Ruth Erdt ihre Familie in einem alten Palazzo am Meer in Italien fotografiert. Die Protagonisten befinden sich im Alter von 18 bis 55. Die Fotografin verbindet Lebensübergänge mit dem Reisen – Aufbruch zu etwas Neuem – und dem metaphorischem Horizont – Momente des Innehaltens und der Nachdenklichkeit. Der Blick der Personen schweift in die Ferne und das Gefühl von Veränderung und Ungewissheit erfüllt den Raum. Die Bilder sind bewusst zeitlos und in Schwarzweiss gehalten. (www.erdt.ch)
Editorial Liebe Leserinnen und Leser Von Geburt an verändert sich unser zeigt sich etwa, dass wir noch stärker Synergien nutzen Leben immer wieder – Veränderung können. Ein Beispiel: An einem Elternabend können wir ist eine Konstante in allen Biografien. einerseits in Bezug auf die Kinder und Jugendlichen Wis- Besonders bedeutsam – auch für die sen zur Bedeutung von Lebensübergängen vermitteln und Gesundheit – sind so genannte Le- den Erfahrungsaustausch ermöglichen. Die Eltern selbst bensübergänge. Damit sind etwa die erleben jedoch ebenfalls kritische Lebensphasen. Auch Einschulung, der Start ins Berufsle- ben, Familiengründung, Pensionie- Jeder erfolgreich gemeisterte rung und Ähnliches gemeint. Diese Lebensübergang stärkt die Lebensübergänge fordern uns heraus. Sie bieten viele Chancen auf positive Entwicklung. Sie bergen jedoch auch Persönlichkeit und schützt damit die Gefahr von Überforderung und Scheitern. Man weiss, auch vor Suchtentwicklung. dass jeder erfolgreich gemeisterte Übergang die Persön- lichkeit stärkt und damit auch vor Suchtentwicklung solche Aspekte können an einem Elternabend themati- schützt. Aktuelle Public-Health-Strategien berücksichti- siert werden. gen die Bedeutung von Lebensübergängen und auch von Das Ziel all unserer Angebote ist, risikoarmes Verhalten kritischen Lebensereignissen wie Trennung, Krankheit und entsprechende Lebenskompetenzen zu fördern und oder Arbeitsplatzverlust. Und dies von der Geburt bis zum der Gesundheit zuträgliche Verhältnisse zu schaffen – und Tod. Man spricht auch vom «Lebensverlaufansatz». zwar über die gesamte Lebensspanne hinweg. Die Stellen für Suchtprävention haben sich in den ver- gangenen zwei Jahren intensiv mit dem Lebensverlaufan- n satz beschäftigt. Uns beschäftigten Fragen wie: Welche Le- Petra Buchta, Leiterin der Suchtpräventionsstelle der Stadt Zürich. Petra bensübergänge sind besonders kritisch? Wie können wir Buchta leitete in den vergangenen Jahren die Arbeitsgruppe, die sich mit dem zu einer erfolgreichen Bewältigung von Lebensübergän- Lebensverlaufansatz beschäftigte. gen beitragen? Wann entstehen bei Übergängen welche Suchtrisiken? Welche Ressourcen können in den jewei- ligen Lebensphasen aktiviert werden? Bei dieser Analyse Impressum Herausgeber: Die Stellen für Suchtprävention im Kanton Zürich Zuschriften: info@suchtpraevention-zh.ch. Redaktions- und Produktions- Inhalt leitung: Brigitte Müller, muellertext.ch. Redaktionsteam: 4 Meldungen Larissa Hauser, Gabriela Hofer, Domenic Schnoz (Vorsitz), Esther Vogler. Redaktion Meldungen aus der Suchtprävention: Annett Niklaus, Maja Sid- 7 Alles nur eine Phase ler. Mitarbeiter/innen dieser Nummer: Christa Berger, Marlies Desarzens, Essay Suchtprävention laut & leise, Oktober 2020 Esther Kirchhoff, Ariane Koch, Anke Schmidt, Markus Tschannen. Illustra- tionen: Ruth Erdt. Gestaltung: Fabian Brunner. Druck: FO-Fotorotar. 8 Von der Kindheit bis ins hohe Alter Abonnement, Adressänderung: www.suchtpraevention-zh.ch > Suchtprävention im Lebensverlauf Über uns > Magazin laut & leise 11 Veränderungen im Leben akzeptieren Die Beiträge und die Fotos in diesem «laut & leise» geben die Meinung Interview mit Marlies Desarzens der Autorinnen und Autoren wieder. Diese muss nicht mit der Meinung des Herausgebers, der Stellen für Suchtprävention im Kanton Zürich, 14 Schule – eine Lebensphase mit vielen Übergängen übereinstimmen. Suchtprävention in der Schule Artikel, Fotos, Illustrationen sind urheberrechtlich geschützt und 18 Individuelle Wege ins Rentenalter dürfen ohne Genehmigung der Redaktion nicht verwendet werden. Falls Pensionierung Sie Interesse an einem Artikel haben: Anfrage bitte an Annett Niklaus (annett.niklaus@uzh.ch). 3
Meldungen In eigener Sache 1 «laut & leise» abonnieren – neu auch online Unser Magazin erscheint drei- mal jährlich und ist jeweils einem Schwerpunktthema gewidmet. Bleiben Sie stets auf dem Laufen- den in Sachen Suchtprävention im Kanton Zürich– abonnieren Sie das «laut & leise». Neu kann das Magazin auch als On- line-Version bestellt werden. Abo unter: www.suchtpraevention-zh.ch > Über uns > Magazin laut&leise Kampagne Faktenblatt Gambling oder Gaming? Wie geht’s dir? Games, die Kinder auf dem Smartphone oder am Computer spielen, enthalten Im September hat die Kampagne «Wie Situationen zu sprechen. Die Kampa zunehmend Bezahl- und Glücksspiel geht’s dir?» eine neue Welle lanciert, die gnenwirkung wird durch die neue «Wie mechanismen. Für die Spielenden und insbesondere auch junge Erwachsene geht’s dir?»-App vertieft. Sie unterstützt ihre Eltern ist häufig unklar, welche anspricht. Plakate und Online-Anzei- die Nutzer*innen dabei, ihre aktuelle Kosten wofür anfallen. Noch schwieriger gen rücken das emotionale Vokabular Gefühlslage regelmässig zu checken ist es, versteckte Glücksspielmechanis- in den Fokus: von A wie «ausgebrannt» und so ein besseres Bewusstsein für men zu erkennen. Diese Mechanismen bis Z wie «zufrieden». Das emotionale den eigenen Zustand zu entwickeln. führen dazu, dass man Geld- und Zeit- Alphabet regt an, sich mit den eigenen Weiter gibt die App Impulse zur Stär- einsätze weniger gut kontrollieren kann. Gefühlen auseinanderzusetzen. Denn kung der psychischen Gesundheit. Zwei neue Faktenblätter zeigen die wer diese konkret benennen kann, kann «Wie geht’s dir?» ist eine Kampa- Unterschiede zwischen Gaming und negative Gefühle gezielt adressieren gne der Deutschschweizer Kantone Gambling (Glücksspiel) auf und in- und wenn nötig Hilfe holen. Wird früh und der Stiftung Pro Mente Sana im formieren über die problematische über Belastungen gesprochen, können Auftrag von Gesundheitsförderung Vermischung der beiden Spielarten. im besten Fall Erkrankungen vermie- Schweiz. Bei Gesundheitsförderung Das eine Faktenblatt richtet sich an den werden. Auch das Wahrnehmen Kanton Zürich können Personen aus Suchtprävention laut & leise, Oktober 2020 Spielende und Eltern, das andere an positiver Gefühle ist zentral. Wer merkt, dem Kanton Zürich kostenlos Plakate in Fachpersonen. Wer die Mechanismen wann und warum es gut geht, kann verschiedenen Formaten, Postkarten, hinter den Spielen kennt, kann die diese wichtige Ressource nutzen. Kleber, Broschüren und weitere Werbe- Geldausgaben und den Zeitaufwand Die Kampagne stellt das Thema mittel bestellen. Für Schulen der Sek I besser kontrollieren. (Zentrum für Spiel- psychische Gesundheit in den öffent- und Sek II hält die Kampagne Unter- sucht und andere Verhaltenssüchte) lichen Raum und hilft so mit, Tabus richtsmaterialien zum Thema bereit. Download: abzubauen. Und sie stärkt die psychi- Bestellung Kampagnenmaterial: Faktenblatt für Spielende und Eltern: sche Gesundheit. Auf wie-gehts-dir.ch gesundheitsfoerderung-zh.ch/wgd-material www.bit.ly/35FGUbW finden sich Impulse, um die psychische Unterrichtsmaterial für Schulen: Faktenblatt für Fachpersonen: Gesundheit zu pflegen, und konkrete gesundheitsfoerderung-zh.ch/wgd-unterrichtsmaterial www.bit.ly/2FKOtU0 Website und App: wie-geht’s-dir.ch Gesprächstipps, um über belastendende 4
Neues Lernquiz In eigener Sache 2 Sicherheit im Strassenverkehr Neuer Webauftritt Online gibt es neu verschiedene Lernquiz, die sich rund ums Thema Prävention im Strassen- Unser Stellenverbund hat den verkehr drehen. Mit wenigen Fragen zeigen sie Webauftritt aktualisiert. Auf die Gefahren, Auswirkungen und gesetzlichen suchtpraevention-zh.ch sind Vorschriften zu Alkohol, Cannabis, Medikamen- unsere Angebote für Schulen, ten und Müdigkeit im Strassenverkehr auf. Gemeinden, Detailhandel Das digitale Angebot richtet sich an Neulenken- & Gastronomie, Familien, de und ist damit beispielsweise für den Einsatz in Vereine und weitere Organi- Berufs- und Mittelschulen geeignet. Es ist aber auch sationen und Betriebe nun für erfahrenere Lenker hilfreich als Auffrischung übersichtlicher und umfas- oder Wissenscheck. Die spielerische Wissensver- mittlung soll zu einer verantwortungsvollen Teilnah- sender dargestellt. Auf der me am Strassenverkehr befähigen. Die Nutzer*in- Website können alle unsere nen erfahren nicht nur, ob sie mit der angeklickten Materialien bestellt werden – Antwort richtig- oder falschliegen, sondern erhalten im Kanton Zürich kostenlos. einleuchtende Erläuterungen und konkrete Tipps. Weiterhin bietet die Web- Die Quiz stehen in drei Sprachen (de/fr/it) site die beliebten Selbsttests kostenlos auf www.amsteuernie.ch zur Ver- an und vermittelt fundiertes fügung. Ein Quiz dauert rund 10 Minuten. Alle Wissen zu einzelnen Sucht- Quiz können auch gratis als Rubbelkarten be- mitteln und -verhalten. stellt werden. Aha-Erlebnisse sind garantiert! (Am Steuer Nie) Besuchen Sie uns auf: suchtpraevention-zh.ch Bestellung Quiz und Rubbelkarten: amsteuernie.ch Gesundheitsförderung Leitfäden für Eltern Neue Eltern-Website Spannender Lesestoff Über Sucht sprechen MeinTeenager.ch Das Magazin P&G Es kann schwierig sein, mit dem Was können Eltern tun, um ihre Kin- erscheint zwei- eigenen Kind über Alkohol zu spre- der vor Suchtproblemen zu schützen? mal jährlich. Die chen. Der neu überarbeitete Leitfaden Was können sie unternehmen, wenn aktuelle Ausgabe «Alkohol – mit Jugendlichen darüber ein Kind Suchtmittel konsumiert behandelt den sprechen» bietet Hilfestellung, um oder sehr oft online ist? Die neue Schwerpunkt «Alter angemessen auf den Alkoholkonsum Website meinTeenager.ch bietet gestalten» und des eigenen Kindes zu reagieren. Infos in einfacher Sprache und dient diskutiert verschie- Angehörige von Personen mit mit acht Erklärvideos als nieder- dene Aspekte wie problematischem Suchtmittelkonsum schwelliges Informationsportal. So Demenz und Gewalt leiden oft unter der Situation. Dazu werden auch Eltern angesprochen, Suchtprävention laut & leise, Oktober 2020 gegenüber Betagten. zählen insbesondere minderjährige die weniger geübt sind, schriftli- Es werden Angebote Geschwister. Deshalb gibt es neu den che Informationen zu verstehen. zur Stärkung älterer Menschen vorgestellt, Leitfaden «Geschwister suchtkran- Website und Filme gibt es auf die in Gemeinden umgesetzt werden kön- ker Jugendlicher unterstützen» für Deutsch, Französisch und Ita- nen. Zusätzliche Themen sind Homeoffice, Eltern. Ergänzend finden Geschwister lienisch. Die Texte der Website Umgang mit Angst und Freiwilligenarbeit. auf den Websites ciao.ch und feelok. sind auch auf Albanisch, Englisch, Das Magazin wird von Prävention und ch verschiedene Artikel mit Tipps Portugiesisch und Spanisch über- Gesundheitsförderung Kanton Zürich und Informationen. (Sucht Schweiz) setzt. Angeboten wird die Website herausgegeben und kann im Kanton Zürich Bestellen und Downloaden: suchtschweiz.ch > von Sucht Schweiz und Carrefour kostenlos abonniert werden. (EBPI) Info-Materialien > Zielgruppe: Eltern AddictionS (GE). (Sucht Schweiz) Web: gesundheitsfoerderung-zh.ch/magazin-pg Artikel auf feelok.ch: tinyurl.com/y7t53mxu Web: meinteenager.ch 5
Essay Alles nur eine Phase E s gibt bestimmt viele, die würden men. Das ist bei der Weltreise und beim phasen mit. Als Vater entwickle ich mich mein Leben als spiessig bezeichnen. wilden Singleleben nicht anders als in der vom Babyträger zum Skilehrer, Lernbe- Zu Recht – was auch immer «spies- Familie. gleiter, Chauffeur, Tatortreiniger, Box- sig» heissen mag. Es hilft auch nicht, dass Mit dem Entscheid für Kinder begibt sack, Lebensratgeber und immer weiter. wir unseren Volvo Kombi kürzlich gegen man sich auf einen Weg voller Unsicher- Wo manche Väter da noch die Zeit für ein Elektroauto getauscht haben. Wir sind heiten. Nicht völlig unbewusst. Die meis- eine Midlife-Crisis hernehmen, ist mir ein jetzt einfach nicht mehr 2015-spiessig, ten werdenden Eltern haben viel gelesen Rätsel. sondern 2021-spiessig. über die anstrengende Zeit, die folgt, Doch irgendwann endet die intensive Aber ist spiessig sein so schlecht? Ich und einiges miterlebt von Freunden, die elterliche Pflichtphase. Wenn das letzte liebe meine Frau und die zwei Kinder, mag gerade mitten im Schlamassel stecken. Kind sagt «Papa, ich habe einen Mietver- unser Zuhause, ländlich und doch nahe Von den schlaflosen Nächten bis hin zur trag unterzeichnet», dann steht Vati da wie der Stadt. Und auch zur rechtzeitig auf- Scheidung, weil sich die Beziehung mit gekläpft und denkt: «Du hast doch erst ge- rade noch den Filzstift mit der Faust gehal- Was einen selbst erwartet, weiss niemand im Voraus. Mit der ten.» Vor diesem Moment fürchte ich mich mehr als vor allem, was bis dahin noch Zeugung eines Kindes setzt man eine Kaskade an Veränderungen kommen mag. Ich kenne einige, die haben in Gang, über die man eine beschränkte Kontrolle hat. am Tag des Auszugs ihre Eltern zum ersten Mal weinen sehen. Meinen Kindern wird gebauten Säule 3A stehe ich. Wie es sich den Kindern zu sehr veränderte. Dann die es auch so gehen. Was soll ich denn unter gehört, träume ich ab und zu vom grossen Kompromisse in der beruflichen Karriere, dem Tisch wegsaugen, wenn niemand Lottogewinn und bin gleichzeitig dankbar, die Sorgen um kranke Kinder, emotionale mehr krümelt? geht es mir so gut, wie es mir meistens geht. Herausforderungen, ernsthafte psychi- Gemütlich in seiner Spiessigkeit baden sche Belastungen. Aber eben auch die n kann nur, wer einen ganzen Haufen Pri- Freude, die Liebe und die vielen Lacher, vilegien geniesst. wenn man das Leben im Teamplayer-Mo- Markus Tschannen ist Papablogger, Kolumnist und Vater von Beebers (1) und dem Brecht (6). Wenn ich drüber nachdenke, kommt dus durchspielt. Suchtprävention laut & leise, Oktober 2020 Er twittert unter dem Namen @souslik. es mir allerdings komisch vor, dass ein Doch die Geschichten anderer sind Familienleben mit Kindern als Inbegriff nur Anekdoten. Was einen selbst erwar- des langweiligen Spiesserlebens gilt. Mir tet, weiss niemand im Voraus. Mit der war in den letzten sechs Jahren nämlich Zeugung setzt man eine Kaskade an Ver- kein einziges Mal langweilig. Klar, man änderungen in Gang, über die man eine muss dafür gemacht sein. Ich bin nicht beschränkte Kontrolle hat. Wer Kinder der Typ «mit dem Rucksack zu Fuss durch hat, weiss: Diese Zeit ist unterteilt in vie- Kirgistan». Eher der Typ «mit dem Akku- le kleine Phasen. Hat man eine begriffen, sauger am Abend noch kurz unterm Tisch beginnt schon die übernächste. Da kann durch». Aber jedes grosse Abenteuer setzt das Kind gerade Treppen steigen, schon sich aus vielen kleinen Abenteuern zusam- sucht es eine Lehrstelle. Und die Eltern 7
Suchtprävention im Lebensverlauf Von der Kindheit bis ins hohe Alter Der Lebensverlaufansatz berücksichtigt alle Generationen mit Fokus auf die Übergangsphasen im Leben. Auch die Suchtprävention trägt dem Präventionsbedarf in allen Lebensphasen vermehrt Rechnung. Von Christa Berger D as Leben ist von altersspezifischen Krankheiten (NCD-Strategie) des Bundes beispielsweise die positive Selbstwirk- Lebensphasen gekennzeichnet, die gefunden. samkeitserwartung, die Fähigkeit Pro- aufeinanderfolgen. Um 1900 war bleme zu bewältigen und zu lösen oder noch nicht von einer Jugendzeit die Rede, Lebensübergänge im Fokus Emotionen zu regulieren. Neben einem damals ging man von der Kindheit direkt Beim Lebensverlaufansatz stehen die Le- unterstützenden Umfeld schaffen sie die ins Erwachsenenalter über. Bildungs- bensübergänge im Fokus. Sie markieren Voraussetzung für Akzeptanz, Zuversicht expansion und höhere Lebenserwartung bedeutsame Entwicklungsetappen, die und Vertrauen wie auch eigenverantwort- haben dann zu einer Ausdifferenzierung mit tiefgreifenden Veränderungen ein- liches Handeln in Zeiten des Umbruchs. der Lebensphasen geführt, wobei sich hergehen und individuelle Anpassungs- insbesondere die Jugend- und die Alters- leistungen erforderlich machen. Es gibt Risiko Sucht phase immer weiter ausgedehnt haben. Veränderungen in Bezug auf Rolle und Schon ab der frühen Kindheit ist an den Le- Mittlerweile unterscheiden wir sechs Status, so beispielsweise beim Eintritt ins bensübergängen eine resilienz- und ent- Lebensphasen: Kindheit, Jugend, Spät- Berufsleben, bei der Erst-Elternschaft wicklungsfördernde Stärkung wie auch adoleszenz, mittleres Erwachsenenalter, oder bei der Pensionierung. Je nachdem, Risikoverminderung angezeigt. Denn frühes Alter und hohes Alter. welche Rahmenbedingungen vorliegen Massnahmen zum Schutz der Gesundheit und über welche körperlichen, psychi- in den Übergangsphasen des Lebens wir- Der Lebensverlaufansatz Mit der 2015 verabschiedeten Erklärung Schon ab der frühen Kindheit ist an den Lebensübergängen von Minsk propagierte die WHO den eine resilienz- und entwicklungsfördernde Stärkung wie auch Lebensverlaufansatz (engl. Life-Course Approach) zur Leitplanke für die Um- Risikoverminderung angezeigt. Denn Massnahmen zum setzung der Agenda «Gesundheit 2020». Schutz der Gesundheit in den Übergangsphasen des Lebens Der Lebensverlaufansatz hat die gesam- wirken sich positiv auf später aus. te Lebensspanne des Menschen im Blick und ermöglicht ein besseres Verständnis schen und sozialen Ressourcen jemand ken sich positiv auf später aus. Insofern für die kumulierenden Effekte von Risi- verfügt, können biografische Umbrüche bieten die normativen Lebensübergänge ko- und Schutzfaktoren über das gesamte für die Betroffenen eine positive Ent- auch für die Suchtprävention ideale An- Suchtprävention laut & leise, Oktober 2020 Leben hinweg. Er betont die Wichtigkeit wicklung ermöglichen oder ein Risiko für satz- und Zeitpunkte, um Menschen zu einer früh einsetzenden und langfristig emotionale Überforderung und psychi- sensibilisieren, weil man in Übergangs- ausgerichteten Präventionsstrategie, die sche Belastung darstellen. phasen besonders offen für Verhaltens- alle Lebensphasen umfasst und Men- Die erfolgreiche Bewältigung von änderungen ist. schen bis ins hohe Alter berücksichtigt. Lebensübergängen stellt auf jeden Fall Zudem können Phasen der Verände- Der Lebensverlaufansatz ist einer gene- eine wichtige Ressource dar, die man in rung auch immer ein Treiber für verstärk- rationenübergreifenden Sichtweise ver- die nächste Lebensphase mitnimmt und ten Substanzkonsum sein. Man denke bei- pflichtet und sieht Massnahmen in den die einem beim nächsten biografischen spielsweise an die Pubertät, den Übergang Übergangsphasen des Lebens vor. Er hat Wendepunkt unterstützt. Das persön- ins Erwachsenenalter oder an die Pensio- seinen Niederschlag auch in der Strate- liche Rüstzeug für gelingende Lebens- nierung. So sind bei jungen Erwachsenen gie zur Prävention nichtübertragbarer übergänge sind Lebenskompetenzen wie das Rauschtrinken, also der punktuell 8
exzessive Alkoholkonsum, sowie tägliches die jeweiligen Suchtrisiken abzumildern rungen der verschiedenen Lebensphasen Rauchen sehr ausgeprägt. Im Rentenalter und Schutzfaktoren zu stärken. Insbeson- in der Konzeption von Präventionsange- ist ein regelmässiger, hoher Alkoholkon- dere das mittlere Lebensalter wird bislang boten berücksichtigt werden. sum am stärksten verbreitet. zu wenig beachtet. Menschen im mittleren • Ansatzpunkte für die Suchtpräven- Suchtprävention ist nach wie vor auf Erwachsenenalter werden in erster Linie tion bieten die normativen Übergänge Kinder und Jugendliche ausgerichtet. Inhaltlich ist das sinnvoll, gilt doch ein Der Lebensverlaufansatz verlangt aufeinander abgestimmte früher Substanzkonsum als bedeutsamer Angebote. Dafür sind eine gute Zusammenarbeit und die Klärung Prädiktor für problematische Konsum- muster im Erwachsenenalter. Die präven- der Schnittstellen erforderlich. Ebenfalls wichtig sind eine tive Einflussnahme in dieser Lebensphase vorausschauende Planung, die Vernetzung und die Kooperation ist auch deshalb angezeigt, weil sich viele mit anderen Akteuren und Institutionen. Verhaltensmuster während Kindheit und Jugend ausbilden und festigen. als Multiplikator*innen aber kaum als in den verschiedenen Lebensphasen wie Anspruchsgruppe mit eigenen suchtprä- Schuleintritt, Berufsbeginn oder Pensio- Vernachlässigte mittlere Lebensphase ventiven Bedürfnissen in den Blick ge- nierung. An diesen Übergängen ist eine Trotzdem reicht es nicht, Suchtpräven- nommen. Dabei sind Menschen in dieser resilienz- und entwicklungsfördernde tionsangebote nur für Jugendliche an- Lebensphase auf vielfältige Art und Wei- Stärkung in (sucht)präventiver Hinsicht zubieten, um im Erwachsenenalter vor se mehrfachbelastet. Nicht umsonst gilt besonders relevant. Das Ziel besteht da- Risikokonsum und Sucht zu schützen. Es das Alter zwischen 30 und 50 Jahren als rin, Menschen auf diese Phasen vorzube- ist deshalb in allen Lebensphasen wichtig, «Rush-Hour» des Lebens. reiten, sie zu begleiten und somit zu gelin- In dieser Lebensphase ist der Anteil genden Lebensübergängen beizutragen. der täglich Rauchenden denn auch beson- • Der Lebensverlaufansatz verlangt auf- Normative versus kritische ders hoch (42,2% gemäss Suchtmonitoring einander abgestimmte Angebote. Dafür Lebensereignisse Schweiz 2017). Bei den Frauen zeigt sich sind eine gute Zusammenarbeit und die zudem ein besonderes Muster: Zwischen Klärung der Schnittstellen erforderlich. Im Lebensverlauf erwarten uns nach- 35 und 44 Jahren nimmt der Tabakkonsum Ebenfalls wichtig sind, eine vorausschau- einander normative Lebensereignisse: kontinuierlich ab. Danach folgt aber ein ende Planung, die Vernetzung und die Geburt, Schuleintritt und -abschluss, Wiedereinstieg in den täglichen Tabak- Kooperation mit anderen Akteuren und Auszug aus dem Elternhaus, Berufs- konsum bei den 45- bis 64-jährigen Frau- Institutionen. beginn und Pensionierung, die jeweils en. Der Lebensverlaufansatz schärft den Der Mehrwert einer lebensverlaufsori- einen bedeutenden Entwicklungs- Blick für solche differenzierten Konsum- entierten Suchtprävention besteht darin, Suchtprävention laut & leise, Oktober 2020 übergang ausmachen. Diese Lebens- pfade und verlangt passende präventive Menschen in allen Lebensphasen noch übergänge sind erwartete Ereignisse, Angebote. gezielter zu erreichen und die jeweils re- die grundsätzlich alle Menschen be- levanten Risikofaktoren für problemati- treffen und auf die wir uns einstellen Lebensverlauforientierte Prävention sches Konsumverhalten zu mindern sowie können. Sie unterscheiden sich von Der Lebensverlaufansatz bietet neben Schutzfaktoren zu fördern. kritischen Lebensereignissen, die un- der Zielgruppen- und Settingorientierung vorhergesehen eintreffen und in der weitere wichtige Handlungsansätze für n Regel als sehr einschneidend erlebt die Suchtprävention: werden wie zum Beispiel der Verlust • Analog zu Alter, Geschlecht/ Gender, Christa Berger (lic. Phil.) arbeitet als Stabsmitarbei- einer nahestehenden Person oder eine sozioökonomischem Status und Migra terin Grundlagen bei der Suchtpräventionsstelle der schwerwiegende Krankheitsdiagnose. tionshintergrundmüssendieHerausforde- Stadt Zürich. 9
Marlies Desarzens, Stellenleiterin Suchtpräventionsstelle für den Bezirk Horgen Veränderungen im Leben akzeptieren Von Geburt an verändert sich unser Leben – ob wir es wollen oder nicht. Marlies Desarzens erklärt in diesem Interview, warum Lebensübergänge verunsichern, sich in solchen Phasen aber neue Perspektiven und Möglichkeiten eröffnen. Von Brigitte Müller laut & leise: Dieses «laut & leise» beschäf- an Krebs erkrankt ist, oder ist konfron- wisse Zeit vergessen, man verschafft sich tigt sich mit dem Thema Lebensübergän- tiert mit einem plötzlichen Todesfall in kurzfristig Erleichterung und hat einfach ge. Welche Aspekte dieses Modells inter- der Familie oder dem Verlust der Arbeits- wieder einmal Spass. essieren Sie? stelle. Diese Ereignisse sind nicht planbar Marlies Desarzens: Ab der Geburt sind und gleichzeitig sehr einschneidend und l & l: Warum sind die Erkenntnisse über Lebensübergänge eine Konstante im Le- prägend. Deshalb sprechen Fachleute in normative und kritische Übergänge für ben. Beim genaueren Betrachten von solchen Situationen von einem durch ein die Suchtprävention von Interesse? Lebensübergängen wie Kindergarten, kritisches Lebensereignis ausgelösten Desarzens: Das Wissen, dass wir alle Schule oder Pensionierung ist das Er- Übergang. sowohl normativen als auch kritischen staunliche, dass jeder in unserer Ge- Lebensübergängen ausgesetzt sind und sellschaft dazu «gezwungen» wird – da l & l: Lebensübergänge sind herausfor- diese je nach Situation besser oder we- müssen wir «durch». Andere Übergänge dernd. Warum? niger gut bewältigen können, ist wichtig, wie beispielweise Heirat und eine Fami- Desarzens: Wir betreten neues Terrain, um unsere Angebote entsprechend zu ge- lie gründen sind persönliche Entscheide, müssen alte, oft liebgewonnene Gewohn- stalten. Grundsätzlich beabsichtigen wir, die aber viele von uns treffen. Ein Merk- mal dieser Lebensübergänge ist, dass sie Wenn jemand mit vielen negativen oder extrem belastenden meistens vorhersehbar und planbar sind. Ereignissen konfrontiert ist, dann können Alkohol, Schlafmittel, Dieses Jahr wussten beispielsweise alle 1.-Klässler im Kanton Zürich, dass ihr ers- Cannabis, aber auch exzessives Gamen oder der übermässige ter Schultag der 17. August 2020 ist. Oder Konsum von Social Media eine vermeintliche Strategie sein. eine Hochzeit findet an einem bestimmten Datum statt. Es ist für uns also möglich, heiten und Strukturen loslassen, müssen Menschen so zu unterstützen, dass sie in sich die neue Lebensphase vorzustellen uns wegen veränderter Lebensumstände jeder Lebensphase selbstwirksam ihre und sich entsprechend vorzubereiten. Das neu erfinden, uns neu orientieren. Wir persönlichen Herausforderungen meis- Kind, das zum ersten Mal in den Kinder- lieben Veränderungen nicht besonders, tern können. Diese Fähigkeit, selber etwas garten geht, kann vorher eine Znünitasche weil wir gezwungen werden, unsere Kom- zu bewirken, beginnt ja schon im Babyal- auswählen und mit den Eltern und Gross- fortzone zu verlassen, und dieser Prozess ter. So, wie ein Kleinkind geduldig laufen eltern lernen, den Weg zum Kindergarten Unsicherheit auslösen kann. lernt, so können wir auch unsere Selbst- zu gehen. Die Vorbereitungsarbeiten bei wirksamkeit trainieren. Dafür stellt die einer Hochzeit sind viel aufwendiger, ha- l & l: Weshalb ist man während eines Le- Suchtprävention Angebote bereit, welche Suchtprävention laut & leise, Oktober 2020 ben jedoch einen ähnlichen Effekt, näm- bensübergangs suchtgefährdet? die mit den Lebensübergängen verbunde- lich sich mit dem bevorstehenden Lebens- Desarzens: Wenn jemand mit vielen nega- nen Risiken thematisieren, wie beispiels- übergang zu beschäftigen. tiven oder extrem belastenden Ereignis- weise den problematischen Konsum von sen konfrontiert ist oder man schon viele Medikamenten oder Alkohol. l & l: Wir sind auch von Krankheit und Male schlechte Erfahrungen bei Lebens- Schicksalsschlägen betroffen. übergängen gemacht hat, dann können Al- l & l: Welche Menschen kann die Sucht- Desarzens: Ja, und diese Ereignisse tre- kohol, Schlafmittel, Cannabis, aber auch prävention in welchen Lebensphasen mit ten im Gegensatz zu den genannten, als exzessives Gamen oder der übermässige spezifischen Angeboten erreichen? normativ bezeichneten Übergängen meis- Konsum von Social Media eine vermeint- Desarzens: Die Stellen für Suchtpräven- tens von einer Stunde auf die andere ein. liche Strategie sein. Man kann sich damit tion im Kanton Zürich bieten eine breite Man ist beim Arzt und erfährt, dass man ablenken und die Problemen für eine ge- Palette an Angeboten. Bezeichnend ist, um 11
Das Wissen, dass wir alle sowohl normativen als auch kritischen Lebensübergängen ausgesetzt sind und diese je nach Situation besser oder weniger gut bewältigen, ist wichtig, um unsere Angebote entsprechend zu gestalten. Grundsätzlich beabsichtigen wir, Menschen so zu unterstützen, dass sie in jeder Lebensphase selbstwirksam ihre persönlichen Herausforderungen meistern können. unsere Ressourcen zu bündeln, dass sich Desarzens: Ein wichtiger Aspekt unserer Betreuung. Wer kennt nicht die Aussage die meisten Angebote an sogenannte Mul- Angebote ist die Vermittlung von sachli- «irgendwie geht es immer»? Nur irgend- tiplikator*innen wenden. Wir informieren chen Informationen, die darauf abzielen, wann ist es dann doch zu viel – die von in den Kitas, im Kindergarten und in den Menschen zur Selbstreflexion anzuregen allen gewünschte «Work-Life-Balance» ist Schulen die Verantwortlichen beispiels- und sie zu befähigen, sich selbstverant- in Schieflage, man fühlt sich gestresst und weise über die Probleme von Kindern, die wortlich für ihr Handeln, für ihr Konsum- ausgelaugt. Entsprechend tiefer wird die in suchtbelasteten Familien aufwachsen. verhalten zu entscheiden. Wenn eine Per- eigene Lebenszufriedenheit eingeschätzt. Oder sensibilisieren Pflegefachleute bei son in der Krise beispielsweise weiss, dass der Spitex und in Alters- und Pflegheimen, bei der Einnahme von Schlafmitteln schon l & l: Welche Chancen bieten Lebensüber- welche negativen Auswirkungen gewisse nach zwei Wochen eine Abhängigkeit ent- gänge? Schlafmittel auf ältere Menschen haben steht, kann sie bewusster und kompeten- Desarzens: Es ist doch wunderbar, dass können. ter für sich entscheiden. Insofern geht es das Leben uns immer wieder mit neuen uns überhaupt nicht darum, jemanden zu Situationen die Chance gibt, uns weiter- l & l: Welche Menschen fallen für die An- bevormunden, sondern Personen in ihren zuentwickeln. Dass wir als Baby laufen gebote der Suchtprävention durch die Ma- eigenen Fähigkeiten zu stärken. Darum ist gelernt haben, um selbständig gehen zu schen? eine unserer wichtigsten Aufgabe, unsere können. Dass wir in der Schule das ABC Desarzens: Dass wir mit Multiplikator*in- nen zusammenarbeiten, hat zur Folge, Lebensübergänge ermöglichen uns, unsere Grenzen zu dass wir meistens mit Institutionen wie Schulen, der Jugendarbeit, Gemeinden erweitern und immer mehr von der Welt zu entdecken und oder der Spitex zusammenarbeiten. Men- zu erfahren. Lebensübergänge halten uns lebendig. schen, die wenig oder überhaupt nicht in solch einer Institution anzutreffen sind, Angebote so zu formulieren und zu gestal- gelernt haben, um selber Bücher lesen zu beispielsweise selbständig Erwerbende, ten, dass sie wahrgenommen werden und können. Und so weiter und so fort. Lebens- Kunstschaffende oder auch Expats oder zu einer Verhaltensänderung anregen. übergänge ermöglichen uns, unsere Gren- Migrant*innen, haben einen erschwerten zen zu erweitern und immer mehr von der Zugang zur Suchtprävention. l & l: Studien zeigen, dass die Lebenszu- Welt zu entdecken und zu erfahren. Le- friedenheit zwischen 40 und 50 Jahren am bensübergänge halten uns lebendig. Men- l & l: Gibt es noch andere Gründe? tiefsten ist. Haben Sie für dieses Phäno- schen, die nach einer schweren Krankheit Desarzens: Ja, die Sprache oder wie In- men eine Erklärung? oder einem Schicksalsschlag wieder Zu- halte formuliert sind, können ein weiteres Desarzens: In dieser Lebensphase wird versicht gewonnen haben, erzählen oft, Hindernis sein. Aber auch persönliche vielen bewusst, dass sie wohl in der Le- dass sie nun zufriedener und stolz sind, Einstellungen wie «was nützt das schon?». bensmitte angekommen sind. Zudem hat eine schwierige Lebensphase gemeistert Oder Menschen haben grundsätzlich ihre man sich beruflich und privat vieles auf- zu haben. Jede geglückte Erfahrung stärkt Suchtprävention laut & leise, Oktober 2020 Zweifel gegenüber Hilfsangeboten. Bei El- gebaut, auf das viele stolz sein können, auch unser Vertrauen in die eigenen Stär- ternabenden beobachte ich leider immer doch gleichzeitig spürt man, wie man im ken. wieder, dass genau jene Eltern, deren Kin- Hamsterrad gefangen ist. Es wird zuneh- der am meisten von unseren Eltern-Ver- mend schwieriger, Veränderungen vor- l & l: Schwierig kann es sein, wenn die Er- anstaltungen profitieren würden, nicht zunehmen. Hat man noch die Kraft, eine fahrungen mit Lebensübergangen meist anwesend sind. Weiterbildung zu absolvieren, um der negativ verlaufen? Karriere nochmals einen Schub zu geben? Desarzens: Ja, weil das angesprochene l & l: Wie sollen die Angebote der Sucht- Soll man sich mit dem Partner arrangieren Vertrauen in sich nicht bestärkt wird. prävention konzipiert sein, damit sie nicht oder der Familie eine Scheidung zumuten? Wenn beispielsweise ein Kind in der ers- als Bevormundung, sondern als hilfreiche Die Kinder sind in der Pubertät, die eige- ten Klasse schon Mobbing erleben muss, Unterstützung angenommen werden? nen Eltern benötigen vielleicht vermehrt dann werden diese schlechten Erlebnisse 12
wahrscheinlich bei weiteren wichtigen Übergängen wie beispielsweise beim Be- ginn einer Lehre wieder aktiviert. l & l: Welche Fähigkeiten helfen, Lebens- übergänge besser zu bewältigen? Desarzens: Ein wichtiger Schritt ist, dass man die eigene Unsicherheit bei einem Lebensübergang annehmen kann. Seine eigene Fragilität spürt. Dieses Bewusst- sein hilft, dass man sich getraut, darüber zu sprechen. Dass man Unterstützung sucht und annimmt und akzeptiert, dass es Zeit braucht, bis man sich in der neuen Lebensphase wieder wohl und sicher fühlt. l & l: Haben Sie uns einen persönlichen Tipp, wie Sie mit kritischen Lebensphasen umgehen? Desarzens: Ich versuche meine Gedan- ken zu ordnen, indem ich in Worte fasse, was mich beschäftigt und belastet. Wenn ich meine Situation schriftlich formuliere oder mit jemandem darüber reden kann, erfahre ich, ohne dass wirklich etwas passiert, eine Entlastung. Über das Wort komme ich zu Erkenntnissen, die mir wei- terhelfen. Rückblickend kann ich sagen, an allem, was ich gemeistert habe, bin ich gewachsen. Darum ist mein Motto «Ruhe bewahren und dranbleiben». n Suchtprävention laut & leise, Oktober 2020 Marlies Desarzens: Pflegefachfrau HF, NDS Manage- ment in Gesundheitsorganisationen, Betriebsöko- nomin BVS und Mediatorin. Sie leitet seit zehn Jahren den Samowar, die Jugendberatungs- und Suchtprä- ventionsstelle für den Bezirk Horgen. Brigitte Müller, Texterin und Redaktionsleiterin «laut & leise», stellte die Fragen. 13
Suchtprävention in der Schule Schule – eine Lebensphase mit vielen Übergängen Wirksame Suchtprävention in der Schule ist in mehrere Handlungsfelder eingebettet und fördert tragende Beziehungen zwischen Lehrpersonen und Schüler*innen. Der Lehrplan 21 formuliert zentrale suchtpräventive Inhalte. Von Larissa Hauser und Esther Kirchhoff U nser Sohn ist jetzt ein Erstklässler! ziehen. Wir hoffen, dass die Schule in der müht, dass es Ihrem Kind gut geht und es Und doch ist er erst vor Kurzem auf Begleitung unseres Sohnes am gleichen gut lernen kann.» die Welt gekommen, scheint mir. Strick ziehen wird wie wir. Den Eltern ein gutes Gefühl zu geben Als Eltern waren wir damals die wichtigs- und sie bei ihren Bedürfnissen abzuho- ten Bezugspersonen, zusammen mit den Gute Beziehungen len, ist das Ziel dieser ausführlichen Ant- Grosseltern, später mit den Nachbarn Als ehemalige Primarlehrerin und als wort. Fachlich gesehen beschreibt diese und externen Betreuungspersonen. Vor Fachperson für schulische Suchtpräven- Antwort die optimalen Bedingungen für zwei Jahren dann die erste grosse Ablö- tion beschäftigen mich genau die gleichen Gesundheitsförderung und Prävention sung: Ich habe unseren Sohn allein in den Fragen und Anliegen. Um das Vertrauen an Schulen. Es sind die zentralen Anlie- Kindergarten ziehen sehen. Die Schule als der Eltern in die Schule zu stärken, würde gen schulischer Suchtprävention, wie sie auch im Lehrplan 21 formuliert sind. Wei- Schulische Suchtprävention unterstützt die gesunde und sichere terführende Informationen zum Thema Entwicklung von Kindern und Jugendlichen, damit diese ihr finden sich im Artikel «Sucht als Thema schulischer Gesundheitsförderung und Potenzial entfalten und die Entwicklungsaufgaben in Schule und Prävention» im Suchtmagazin.* Leben konstruktiv bewältigen können. Anliegen der Suchtprävention neuer Lebensabschnitt begann, neue Le- ich ihnen antworten: «Gute Beziehungen Schulische Suchtprävention unterstützt bensinhalte und Denkweisen eröffneten zwischen Lehrpersonen und Schüler*in- die gesunde und sichere Entwicklung von sich ihm. Das nahmen wir auch als Eltern nen sowie ein positives Schulklima sind Kindern und Jugendlichen, damit diese zuhause wahr. Und nun, vor ein paar Wo- uns in der Schule sehr wichtig. Wir setzen ihr Potenzial entfalten und die Entwick- chen, wieder dieses Herzklopfen: Unser den Fokus auf die Stärken der Kinder, för- lungsaufgaben in Schule und Leben kons- Sohn wechselte in die erste Klasse. Ein dern sie in den Schulfächern und auch in truktiv bewältigen können. Die Schule als aufregender Tag. Viele Fragen und Unsi- ihren Lebenskompetenzen, damit sie ge- Lernort, an dem Kinder und Jugendliche cherheiten beschäftigten uns als Eltern in sund und zuversichtlich durch die Schul- viel Zeit verbringen, ist prädestiniert, Bezug auf diesen Übertritt: Wird er Freu- zeit in den Beruf und ins Leben gehen. Wir dieses gesellschaftliche Anliegen umzu- de am Lernen finden? Wird er sich in der sind aufmerksam und achten auf eine gute setzen. Sie ist gut organisiert und hoch neuen Klassengemeinschaft wohl fühlen? Gruppendynamik unter den Schülerin- strukturiert. Damit können Massnahmen Wird er den Draht zur Lehrperson fin- nen und Schülern. In der Pubertät werden umfassend und langfristig realisiert wer- Suchtprävention laut & leise, Oktober 2020 den? Und wird sie ihn bei Schwierigkei- wir besonders wachsam sein und mit den den, indem alle an der Schule beteiligten ten unterstützen? Wir Eltern werden als Jugendlichen über Risikokompetenz und Akteur*innen zusammenarbeiten und ihr Bezugspersonen und Vorbilder mehr in Eigenverantwortung sprechen. Wenn uns spezifisches Wissen einbringen. den Hintergrund rücken und das Feld mit etwas ungewöhnlich erscheint, suchen Um den Schulen diesen modernen und Lehrpersonen und Peers teilen, es ihnen wir das Gespräch mit den betreffenden wirksamen Ansatz der Suchtprävention irgendwann sogar mehrheitlich überlas- Kindern oder Jugendlichen, mit ande- zugänglich zu machen, entwickelten die sen. Umso wichtiger ist es uns, dass wir der ren Lehrpersonen und auch mit Ihnen Stellen für Suchtprävention im Kanton Schule vertrauen können, dass die Lehr- als Eltern. Wir sind gut vernetzt und bei personen und die Schulleitung uns auf Schwierigkeiten gibt es Fachpersonen, die * Kirchhoff, E., & Keller, R. (2020). Sucht als Thema Augenhöhe begegnen und sie uns in die Ihr Kind, Sie als Eltern und uns als Schule schulischer Gesundheitsförderung und Prävention. Geschehnisse rund um unser Kind einbe- unterstützen können. Wir sind darum be- SuchtMagazin 46 (4): 31–34. 14
Ein Fundament gelingender Suchtprävention sind tragende Beziehungen, ein lern- und entwicklungsförderliches Klima auf allen Ebenen der Schule sowie die Partizipation aller an der Schule Beteiligten, um das Schulleben mitverantwortlich zu gestalten. Zürich in den 2000er-Jahren das Modell Suchtprävention sind tragende Beziehun- Schutzfaktoren, insbesondere der Le- zur schulischen Suchtprävention. Die Ak- gen, ein lern- und entwicklungsförderli- benskompetenzen. Dazu gehört auch tualisierung des Modells auf der Grund- ches Klima auf allen Ebenen der Schule die altersangemessene Vermittlung von lage von Praxis- und Forschungswissen sowie die Partizipation aller an der Schule substanz- und verhaltensspezifischem wurde im Jahr 2020 abgeschlossen. Beteiligten, um das Schulleben mitver- Wissen. Wichtige Bedingungen für einen antwortlich zu gestalten. Dies stärkt das suchtpräventiv wirksamen Unterricht Modell mit vier Handlungsfeldern Gefühl der Zugehörigkeit und schafft ein sind die interaktive Auseinandersetzung Vier Handlungsfelder umschreiben die Beziehungsnetz, das auch im Krisenfall der Schüler*innen mit den Inhalten und suchtpräventiven Anliegen (siehe Abbil- das Potenzial hat, die Kinder und Jugend- dass diese an ihre Lebenswelt anknüpfen. dung). Dabei fliessen verhaltens- und ver- lichen aufzufangen. Ziel ist es, Sucht- Das soll ermöglichen, gewünschte Hand- hältnispräventive Elemente ein, die mit prävention als festen Bestandteil eines lungsweisen längerfristig im Schulalltag Blick auf eine gesunde Entwicklung von gesundheitsförderlichen Schulalltags im zu erproben und zu trainieren. Schüler*innen relevant sind und einer Schulprogramm zu verankern. • Handlungsfeld «Früherkennung und Suchtentwicklung entgegenwirken: • Handlungsfeld «Unterricht und Pro- Frühintervention»: Verhaltensauffällig- • Handlungsfeld «Basis: Verankerung im jekte»: Im Zentrum steht über alle Schul- keiten oder Regelverstösse in der Schu- Schulalltag»: Ein Fundament gelingender stufen hinweg die Stärkung relevanter le können Warnzeichen für ungünstige Entwicklungen sein. Gleichzeitig gilt es, Stärken und Ressourcen der Kinder und Jugendlichen zu erkennen. Wenn beide Modell zur schulischen Suchtprävention der Stellen Bereiche frühzeitig wahrgenommen wer- für Suchtprävention im Kanton Zürich den, ist es möglich, die Schüler*innen und ihre Bezugspersonen rechtzeitig ge- eignet zu unterstützen sowie im Schulall- tag einen angemessenen Umgang mit der Problematik zu finden. Im Mittelpunkt der schulinternen Zusammenarbeit steht eine gemeinsame Haltung des Hin- schauens (Früherkennung) und Handelns (Frühintervention), d. h. ein koordiniertes und verbindliches Vorgehen mit geklärten Zuständigkeiten und Abläufen. Dies sorgt für Handlungssicherheit und ermöglicht in akuten Krisensituationen ein rasches Handeln. Suchtprävention laut & leise, Oktober 2020 • Handlungsfeld «Zusammenarbeit und Vernetzung»: Über die schulinterne Zu- sammenarbeit hinaus ist eine gute, ver- lässliche und aktive Zusammenarbeit mit den Eltern sowie mit Fachstellen von zentraler Bedeutung. Auch die Vernet- zung mit lokalen Jugendorganisationen und Vereinen kann wichtig sein. Denn die Abstimmung zwischen verschiedenen Be- zugspersonen der Schüler*innen erhöht die Chance, dass deren Einstellungen und 15
Schulen sind unterschiedlich affin für die verschiedenen suchtpräventiven Themen und deren Einbettung in die Schulstruktur. Bedarfsorientiert können Schulen bei einem bestimmten Handlungsfeld einsteigen und danach weitere Handlungsfelder erarbeiten. Verhalten nachhaltig positiv beeinflusst ihrem Fachwissen und ihren Erfahrungen. und erledigt sie gleich am Küchentisch. Ich werden können. Fachpersonen der regionalen Suchtpräven- mache mir keine Illusionen, dass es immer tionsstellen stehen den Schulen beratend so sein wird. Gleichzeitig hoffe ich aber, Schul- und Beratungsalltag und begleitend zur Seite. dass seine kindliche Freude am Lernen Das Modell bietet Orientierung und Über- Die Zusammenarbeit und Abstimmung noch eine ganze Weile anhält und genährt blick, wie Suchtprävention im Schulalltag aller beteiligten Akteur*innen sowie die wird durch ein gute Lernatmosphäre und umfassend und wirkungsvoll umgesetzt Vernetzung der verschiedenen Hand- Schulkultur. Als Mutter wünsche ich mir werden kann, und richtet sich an die ver- lungsfelder sind dabei zentral. Dies ist langfristig für unseren Sohn, dass er eini- schiedenen im Schulsetting tätigen Perso- wirkungsvoller als die Durchführung von germassen erfolgreich durch die Schulzeit nen. Lehrpersonen arbeiten im direkten isolierten Einzelmassnahmen. geht, Tiefen und Höhen übersteht und er- Kontakt mit den Schüler*innen und koor- Schulen sind unterschiedlich affin für mutigt und gestärkt den nächsten Über- dinieren die suchtpräventiven Inhalte über die verschiedenen suchtpräventiven The- gang und den Weg in die Berufsbildung alle Zyklen hinweg. Schulleitende schaffen men und deren Einbettung in die Schul- oder eine weiterführende Schule schafft; die strukturellen Voraussetzungen und struktur. Bedarfsorientiert können Schu- dass er ein für sich glückliches, gesundes Ressourcen, damit suchtpräventive In- len bei einem bestimmten Handlungsfeld und erfolgreiches Leben verwirklichen halte schulweit verankert und umgesetzt einsteigen und danach weitere Hand- kann. Als Eltern sind wir darauf angewie- werden. Schulsozialarbeitende und wei- lungsfelder erarbeiten. Die Fachpersonen sen, dass es gut qualifizierte Fachpersonen tere schulische Fachpersonen begleiten der regionalen Suchtpräventionsstellen in und um die Schule herum gibt, die un- und unterstützen die Schüler*innen, das im Kanton Zürich unterstützen Schulen sere Bedürfnisse und die unseres Kindes Schulkollegium und die Schulleitung mit bei der systematischen und koordinierten wahrnehmen, unsere Fragen hören, sie Umsetzung der suchtpräventiven Anlie- basierend auf wissenschaftlichen Befun- gen. Sie bieten Beratung, wie die sucht- den und bewährten Modellen einordnen, Informationen präventiven Inhalte strategisch im Leit- professionell beantworten und in einen Das Modell zur schulischen Suchtprä- bild und im Schulprogramm verankert grösseren Kontext stellen. So gelingt Schu- vention wurde von einer Arbeitsgrup- und konkret im Schulalltag realisiert wer- le und so gelingt Prävention. Das wünsche pe der Stellen für Suchtprävention im den können. Dabei bestärken sie Schulen ich allen Kindern, Eltern und Schulen. Kanton Zürich, unter Federführung darin, alle an der Schule Beteiligten an der Fachstelle Suchtprävention Volks- diesem Schul- und Qualitätsentwicklungs- n schule der PH Zürich, aktualisiert. Es prozess partizipieren zu lassen. Die regionalen Suchtpräventionsstel- Larissa Hauser ist Psychologin und langjährige Fach- zeigt die Inhalte wirksamer schuli- mitarbeiterin der Suchtpräventionsstelle Winterthur. scher Suchtprävention in vier Hand- len nutzen das Modell zudem für den Fach- Suchtprävention laut & leise, Oktober 2020 Sie begleitet Volks- und Mittelschulen bei der Er- lungsfeldern. diskurs. Der regelmässige Austausch zwi- arbeitung und Implementierung von suchtpräventiven Fachpersonen der regionalen Sucht- schen den Fachstellen über die Inhalte des Konzepten. präventionsstellen im Kanton Zürich Modells und über Erfahrungen bei seiner Esther Kirchhoff ist Psychologin und Dozentin an der nutzen das Modell in der Beratung und Umsetzung soll zu Erkenntnissen führen, Pädagogischen Hochschule Zürich, Forschungszent- Begleitung von Schulen (Adressen sie- wie die Praxis den grössten Nutzen aus der rum Inklusion und Gesundheit in der Schule. he letzte Seite). Anwendung des Modells ziehen kann. Ansprechperson: Ariane Koch, PH Zürich, Fürs Leben lernen ariane.koch@phzh.ch Unser Sohn ist gut in der ersten Klasse an- Web: www.suchtpraevention-zh.ch > gekommen. Jeden Tag trägt er stolz seinen Suchtprävention für > Volksschulen Rucksack mit den Aufgaben nach Hause 17
Pensionierung Individuelle Wege ins Rentenalter Das Ausscheiden aus dem Erwerbsleben, die Pensionierung, gilt als kritischer biografischer Übergang, der die gesellschaftliche Rolle und soziale Beziehungen verändert und eine Neuordnung des Lebens verlangt. Von Anke Schmidt W er dem Zitat «Die Arbeit hält 2019 gezeigt, dass Alleinlebende ihre sub- möglich kritische Lebensereignisse wie drei grosse Übel fern: die jektive Gesundheit und Lebensqualität schwere oder chronische Erkrankungen Langeweile, das Laster und systematisch schlechter einschätzen als oder auch Trennung oder Verwitwung. die Not» des französichen Philosophen Nicht-Alleinlebende.1 Doch zurück zum Die Generation der sogenannten Baby- und Schriftstellers Voltaire (1694–1778) Zitat und zu den kritischen Aspekten die- boomer, die derzeit ihren letzten Berufs- gedanklich folgt, dürfte sich auf die Pen- ser Lebensphase. jahren entgegengeht, lässt sich von all dem sionierung nicht besonders freuen – die jedoch nicht unterkriegen, denn sie hat meisten tun es dennoch. Gleichwohl gilt Die Langeweile gelernt, zu funktionieren. Mit ausgepräg- das Ausscheiden aus dem Erwerbsleben Die Anforderungen im Arbeitsleben ha- tem Verantwortungsbewusstsein und un- als kritischer biografischer Übergang, ben in den letzten Jahren zumindest sub- bedingtem Leistungswillen plant sie die der die gesellschaftliche Rolle und soziale jektiv empfunden zugenommen. Dazu Pflichten – auch an den Wochenenden. Beziehungen verändert und eine Neuord- trägt der in einer globalisierten Welt Für Hobbys und die Pflege sozialer Kon- nung des Lebens verlangt. Die einen erle- vorherrschende Konkurrenzdruck eben- takte reicht die Energie nach Feierabend ben die Pensionierung als Befreiung: End- so bei wie die durch die Digitalisierung dann manchmal nicht mehr. lich Zeit, zu tun, wozu man Lust hat, und sprunghaft gestiegene Schnelligkeit des Wer so die letzten Berufsjahre ver- bringt, läuft Gefahr, nach der Pensionie- rung «in ein Loch zu fallen», nichts mit Damit sich längerfristig kein Gefühl der Leere und Sinnlosigkeit sich anfangen zu können, wenn Musse verlernt wurde und das permanente Ge- einstellt, ist es empfehlenswert, den Tag zu strukturieren, sich fordertsein ausbleibt. Aufgaben zu geben und Ziele zu setzen. Das Laster Einerseits schafft Arbeit Tagesstruktur, zu lassen, was man nicht mag, ganz ohne Informationsaustauschs. Insgesamt ist bringt Selbstbestätigung und sorgt für Wecker und Zeiterfassung. Andere ver- das Arbeitsleben heutzutage zunehmend soziale Kontakte – alles stabilisierende missen die sozialen Kontakte, die Struktur von Komplexität, Unbeständigkeit und Faktoren. Andererseits hat bereits die und die Bestätigung, die die Berufstätig- Flexibilisierung gekennzeichnet und die Schweizer Stressstudie 2010 gezeigt, dass keit mit sich brachte. In einer Welt, in der Trennung zwischen Arbeit und Freizeit in zirka ein Drittel der Schweizer Erwerbs- es einen hohen Stellenwert hat, etwas zur Zeiten von Home-Office und Fernzugän- tätigen in den vergangenen zwölf Monaten Gesellschaft und deren Wohlergehen bei- gen zu Servern nicht mehr so deutlich. Ein Medikamente oder sonstige Substanzen zutragen, kann es zudem als Makel emp- Trend, der sich durch Corona noch ver- eingenommen hatten, um ihre Leistung funden werden, nicht (mehr) zu arbeiten. stärkt hat. zu steigern (Doping) oder Stress zu be- Suchtprävention laut & leise, Oktober 2020 So hängt das Empfinden von zahlrei- Ältere Arbeitnehmer*innen sind ge- wältigen (Coping). Das häufigste Motiv chen Faktoren ab. Neben persönlichen fordert, sich um- und auf digitale Medien dafür war, trotz Schmerzen arbeiten zu Eigenschaften spielen die beruflichen Er- einzustellen, zu lernen, womit jüngere Ge- können, gefolgt von abschalten/schlafen fahrungen, beispielsweise wie gerne man nerationen eher selbstverständlich aufge- können und geistige Leistungsfähigkeit/ den Beruf ausgeübt hat, und strukturelle wachsen sind. Zu den weiteren Heraus- Stimmung verbessern. Merkmale wie Einkommen und Alters- forderungen im Älterwerden gehört die Je länger Menschen sich daran gewöh- vorsorge eine wichtige Rolle. Auch ist es Abnahme der körperlichen Belastbarkeit nen, Substanzkonsum kompensatorisch nicht unerheblich, ob Menschen allein und die Tatsache, dass manche Überlas- zu nutzen, desto schwieriger wird es, da- oder in Gemeinschaft leben. So hat eine tung in der Vergangenheit Spuren hinter- rauf wieder zu verzichten. So überrascht Studie zur Gesundheit der älteren Be- lassen hat und zum Beispiel der Rücken es nicht, dass der tägliche Alkoholkonsum völkerung in der Schweiz aus dem Jahr allzu oft schmerzt. Hinzu kommen wo- mit zunehmendem Lebensalter steigt – 18
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