LIBERALE MENSCHEN-RECHTS- ARBEIT 2020
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LIBERALE MENSCHEN- RECHTS- ARBEIT 2020
Menschenrechte sind
unverzichtbar für uns alle.
Die Würde des Menschen
darf von keinem Staat
angetastet werden.
Dafür müssen wir täglich
“
kämpfen.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,
Stellvertretende Vorstandsvorsitzende der
Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit
und Bundesministerin a. D.
DIE INTERNATIONALE MENSCHENRECHTSARBEIT DER FRIEDRICH-NAUMANN-STIFTUNG FÜR DIE FREIHEIT 2020
4
MENSCHENRECHTE LIBERAL
VON SABINE LEUTHEUSSER-
SCHNARRENBERGER
VORWORT 5
Liebe Leserinnen und Leser,
der Rückblick auf das Jahr 2020 steht ganz im wiegend global gelöst werden müssen. Dort wo
Zeichen der Corona-Pandemie. Das Virus hat die Politik versagt und das Eigeninteresse von
gezeigt, wie wichtig die ausgewogene Balance Staatspräsidenten vor die Verantwortung des
zwischen Gesundheitsschutz und Freiheits- Gemeinsinns gestellt wird, eröffnen Protest-
gewährung ist. Die Pandemie hat aber auch bewegungen eine Entwicklungsperspektive.
offenbart, dass immer mehr Regierungen und Demokratische Entwicklungen zu unterstützen
Staatenlenker weltweit Ängste in ihrer Bevölke- und gezielt zu fördern, ist Ziel der Friedrich-
rung wecken und anheizen, um rigide Freiheits- Naumann-Stiftung für die Freiheit, deren Schwer-
eingriffe zu rechtfertigen, statt ihre Macht auf punkte Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte,
Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte zu politische Bildung und liberale Demokratie sind.
bauen. Das demokratische Versprechen von Wenn weiterhin nur die Interessen Einzelner und
gleicher Teilhabe aller wird häufig gebrochen der Machterhalt die politischen Entscheidungen
oder gar nicht erst angestrebt. dominieren, ist die Freiheit aller gefährdet. Die
liberale Demokratie kann nur bestehen, wenn
In vielen Ländern ist die aktive Zivilgesellschaft die Freiheit und Gleichheit aller Bürgerinnen
durch Gesetze bedroht und eine Politik, die die und Bürger gleichermaßen realisiert wird.
Fähigkeiten des Einzelnen fördert und Möglich-
keitsräume zur Entwicklung schafft, ist stark Rechtsstaatlichkeit und Demokratie entstehen aus
eingeschränkt. In Hong Kong und Belarus pro- dem Wunsch der Menschen nach Gerechtigkeit,
testierten Menschen friedlich, um ihre eigene Gleichheit und Freiheit und dem Bedürfnis, die
politische Meinung zu äußern und ihre Rechte eigene Stimme zu erheben. In Ihrer Menschen-
auf Demokratie und Freiheit einzufordern und rechtsarbeit fördert, begleitet und stärkt die
wurden Opfer massiver staatlicher Gewalt. Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit mit
Sowohl offline als auch online verschwinden ihren Projektpartnern in 60 Ländern weltweit,
die Grenzen zwischen Fakten und Fiktion immer Nichtregierungsorganisationen, Oppositionelle
weiter. Raffinierte Desinformationskampagnen und Menschenrechtsaktivisten. Unser Schwer-
machen es immer schwerer, die Wahrheit zu punktthema 2020 war der Einsatz gegen Desinfor-
erkennen und für sie einzutreten. mation und Falschnachrichten, damit Bürgerinnen
und Bürger ihre Meinungen unbeeinflusst von
Doch die Achtung der Menschenrechte ist eine Manipulation bilden können.
völkerrechtliche und moralische Verpflichtung
aller Regierungen. Nur sie führt zu Staaten, die „Menschenrechte sind die einzige universale
demokratisch stark und rechtsstaatlich gesichert Sprache,“ nennt Abdul Rahman Al-Zbib, der Preis-
aufgestellt sind, weil sie respektvoll gegenüber träger des diesjährigen Raif Badawi Awards, als
ihrer Bevölkerung auftreten. Covid-19 hat uns seine Motivation, sich im jemenitischen Kriegs-
gelehrt, dass wir in vielen Bereichen umdenken gebiet für Menschenrechte einzusetzen und
müssen. Aber nicht nur die Pandemie, sondern journalistische Arbeit zu machen. Zur menschen-
auch der Klimawandel und der Umgang mit rechtlichen Sprachverständigung soll der nach-
Desinformationen sind Entwicklungen, die vor- folgende Bericht einen wichtigen Beitrag leisten.
Ich wünsche Ihnen bei der Lektüre viel Freude.
Ihre
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Stellvertretende Vorstandsvorsitzende
der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit
und Bundesministerin a. D.
6 INHALT
INHALT
04 MENSCHENRECHTE LIBERAL
05 Vorwort von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
08 MEDIENFREIHEIT GEGEN
DESINFORMATIONEN
10 Bulgarien – „Chroniken der Infodemie“
11 Serbien – Glaubenskrise der Medien
12 Raif Badawi Award 2020
13 Ukraine – Regionaljournalismus in Zeiten der Pandemie
14 Türkei – Journalismus ist kein Verbrechen!
15 Europäischer Dialog – Medienfreiheit im Schatten von Covid-19
16 „ALLE MENSCHEN SIND
FREI UND GLEICH“
18 Griechenland/Lesbos – Solidarität heißt Menschenrechte achten,
von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
19 Rechtsstaatlichkeit ist nicht verhandelbar,
von Michael G. Link, MdB
20 Interview mit Navi Pillay,
frühere UN-Hochkommissarin für Menschenrechte
22 MENSCHENRECHTE
DIGITAL
24 Pakistan – Datenschutz und digitale Sicherheit junger Erwachsener verbessern
25 Libanon – Eine App schafft Bewusstsein für die eigenen Rechte
26 Venezuela – Dissidenten eine Stimme geben
Videos, Podcasts und weitere Artikel
finden Sie online unter
www.menschenrechte.freiheit.org
7
28 TOLERANZ FÜR VIELFALT
30 Afrika – LGBTQI-Rechte und Sprachgebrauch
31 Polen – Eine Frage der Sexualkunde?
32 Türkei – Verborgen sein oder Niemand sein
34 RECHT AUF MENSCHEN-
RECHTSBILDUNG
36 Indien – Wie können wir online aktive Bürger:innen sein?
38 Myanmar – Comics schärfen das Bewusstsein für die Privatsphäre
39 Indien – Neue Richtlinien für die Polizei
40 MENSCHENRECHTE
UNTER COVID-19
42 Palästina – Covid trifft besonders diskriminierte Gruppen
43 Mexiko – Gesucht: Pressefreiheit in Pandemie-Zeiten
44 Afrika – Die Augen vor der Gewalt gegen Frauen nicht verschließen
45 Zimbabwe – Wenn es ums Überleben geht
46 WIRTSCHAFT UND
MENSCHENRECHTE
47 Sri Lanka - Nachhaltigkeit ist die neue Norm für Unternehmen
48 Menschenrechtsschutz in Lieferketten
Gastbeitrag von Gyde Jensen, Vorsitzende des Ausschusses
für Menschenrechte und humanitäre Hilfe im Deutschen Bundestag
50 Impressum und Bildnachweise
8
MEDIENFREIHEIT GEGEN
DESINFORMATIONEN
9 10 BULGARIEN „CHRONIKEN DER INFODEMIE“ 11 SERBIEN GLAUBWÜRDIGKEITSKRISE DER MEDIEN 12 RAIF BADAWI AWARD 2020 13 UKRAINE REGIONALJOURNALISMUS IN ZEITEN DER PANDEMIE 14 TÜRKEI JOURNALISMUS IST KEIN VERBRECHEN! 15 EUROPÄISCHER DIALOG MEDIENFREIHEIT IN EUROPA IM SCHATTEN VON COVID-19 DER KAMPF GEGEN DESINFORMATION WAR 2020 DAS GLOBALE JAHRESTHEMA DER STIFTUNG.
10 MEDIENFREIHEIT GEGEN DESINFORMATIONEN
BULGARIEN
„CHRONIKEN DER INFODEMIE“
Boryana Dzhambazova von der Association of European Journalists
in Bulgaria, beschreibt uns in einem Interview die Situation in Bulgarien.
Was sind die häufigsten Beispiele dieses Virus". Wir haben einige Fälle dokumentiert
für Propaganda und die Verbreitung und untersucht, mit dem Ziel, sie zu zerstreuen
und den Menschen Zugang zu wahren und ver-
von Desinformation im Zusammen-
trauenswürdigen Informationen zu bieten.
hang mit Covid-19 in Bulgarien?
Die Bekämpfung von Desinformation ist ein viel
Bulgarien bildet leider keine Ausnahme im welt- langsamerer Prozess als ihre Verbreitung. Die
weiten Trend von Desinformation im Zusammen- Überprüfung von Informationen und die Wider-
hang mit der Pandemie. Die bekanntesten Des- legung von Unwahrheiten braucht Zeit. Wenn
informationskampagnen sind auch hier weit jedoch nach der Lektüre unserer Chroniken der
verbreitet, beispielsweise die Behauptung, die Infodemie einige Leute innehalten und zweimal
5G-Mobilfunktechnologie habe etwas mit der nachdenken, bevor sie falschen Inhalt weiterge-
Verbreitung von Covid-19 zu tun, Bill Gates sei ben, waren wir erfolgreich.
Drahtzieher der Pandemie oder das Virus sei in
einem Labor entwickelt worden.
Was sind die Besonderheiten der
Infodemie in Bulgarien?
Illustration:
Penyu Kiratzov In einem Land, in dem sich die Pressefreiheit seit
Jahren verschlechtert und nur zehn Prozent der
Bulgaren glauben, dass die Medien unabhängig
sind, führt die Pandemie zur noch schnelleren
Verbreitung von Desinformation. Eine kürzlich
durchgeführte Umfrage zeigt, dass 58 Prozent der
Bulgaren glauben, dass Covid-19 absichtlich ver-
breitet wird. Weitere 72 Prozent sagen, dass die
Gefahr der Krankheit übertrieben ist.
In Bulgarien haben wir aber noch eine andere Des-
information beobachtet, die in anderen Ländern In Zeiten einer Krise der öffentlichen Gesund-
so nicht verbreitet war: Nämlich die Behauptung, heit sind die Menschen informationshungrig und
dass die Regierung oder Ärzte Menschen dafür bemüht, eine neue Krankheit zu verstehen, über
bezahlen würden, sich als Covid-19 erkrankt regis- die wir sehr wenig wissen. Wenn die Menschen
trieren zu lassen. Beweise gibt es keine, dennoch jedoch den Medien und den Institutionen nicht
verbreitete sich diese Verschwörungsgeschichte vertrauen, können sie sehr leicht auf Desinforma-
rasant in Bulgarien. tionen hereinfallen und damit ihre Gesundheit und
die ihrer Umgebung gefährden.
Seit 2017 bekämpfen der Verband
Europäischer Journalisten in
Bulgarien und die FNF Desinfor-
mation und Propaganda im Land.
Was hat Sie dazu inspiriert, die Chro-
niken der Infodemie zu lancieren?
Mit der Ausbreitung der Pandemie ging auch eine
„Infodemie“ der Desinformation einher. Sogar der
Generaldirektor der WHO sagte, dass sich Desin-
formationen „schneller und leichter verbreiten als11
Schauen Sie online das Video
über den täglichen Kampf
serbischer Journalist:innen
gegen Desinformation.
SERBIEN
GLAUBWÜRDIGKEITSKRISE
DER MEDIEN
Wie der serbische Journalist,
Aleksandar Milošević, Desinformationen und
die Glaubwürdigkeitskrise der Medien bekämpft,
beschreibt er im Interview mit FNF Serbien.
Wenn man von „Desinformation" bern hinterher zu hinken. Lesern und Leserinnen
spricht, herrscht oft große Verwir- empfehle ich hingegen, sie mögen ihren Ver-
rung. Es wird dann unter anderem stand, ein mächtiges Werkzeug, benutzen.
über Verzerrungen, Lügen, Täu-
schung, Propaganda oder Ver-
schwörungstheorien gesprochen.
Was sind für Sie die Kernelemente
von „Desinformation“?
Kurz gesagt, Desinformation ist jede Information,
die unvollständig, falsch interpretiert und falsch
ist oder in einer Weise präsentiert wird, die den
Empfänger daran hindert, ein eigenes freies Urteil
auf der Grundlage von Fakten zu fällen.
Aleksandar Đorđević BIRN
In der Debatte wird immer wieder and Vuk Cvijić NIN
von „Medienkompetenz" gesprochen.
Welche Tipps geben Sie Ihren Lesern Vertrauen Sie nicht einfach allem, was Sie lesen.
und Leserinnen und der allgemeinen Stellen Sie sich die Frage: Macht das Sinn? Steht
Bevölkerung? es im Widerspruch zu dem, was Sie woanders
lesen? Wenn ja, versuchen Sie herauszufinden,
Medien empfehle ich folgendes: Beurteilen Sie welche der beiden Geschichten zutreffen, denn
die Glaubwürdigkeit der Quelle, versuchen Sie, die normalerweise können nicht beide richtig sein.
„virale" Geschichte bis zu ihrer Wurzel zurückzuver- Journalisten versuchen, mehrere nicht zusam-
folgen, überprüfen Sie die Fakten und verifizieren menhängende Quellen zu finden, also tun Sie
Sie sie vor der Veröffentlichung. Versuchen Sie, dasselbe – lesen Sie verschiedene Zeitungen mit
dem Drang zu widerstehen, einfach auf jeden Zug unterschiedlichen redaktionellen Ausrichtungen
aufzuspringen, aus Angst, hinter ihren Mitbewer- um eine breitere Perspektive zu erhalten.
Je schockierender der Ansatz, den ein Medium
verfolgt, desto weniger sollten Sie ihm vertrauen.
Und wenn Sie etwas einfach irgendwo im Inter-
net lesen, nehmen Sie es bestenfalls als Gerücht
auf, niemals als eine Information, der Sie sofort
vertrauen sollten.12 MEDIENFREIHEIT GEGEN DESINFORMATIONEN
RAIF BADAWI AWARD 2020
AN ABDUL RAHMAN AL-ZBIB
Agnes Callamard, UN Sonderberichterstatterin zu außergerichtlichen
und willkürlichen Hinrichtungen würdigte den jemenitischen Kolumnisten
und Menschenrechtsanwalt, Abdul Rahman Al-Zbib, bei der Verleihung
des Raif Badawi Award.
Preisverleihung absagen oder durchführen?
Vor dieser Frage standen wir wie viele andere
Organisationen und Institutionen in diesem
Corona-bedingtem Jahr der Reisebeschrän-
kungen. Gemeinsam mit dem Börsenverein des
Deutschen Buchhandels, entschieden wir uns
für eine virtuelle Variante – unterstützt von einer
hochkarätigen Jury aus Journalistinnen und Jour-
nalisten und motiviert von Constantin Schreiber,
Abdul-Rahman Al-Zbib
Tagesschau-Sprecher und Herausgeber der
Essays Raif Badawis in Deutschland.
Kolumnisten und
Menschenrechtsanwalt
G-20 Runde übernehmen wird. Erstmalig stellte
Callamard die Forderungen nach „Khashoggi“
Sanktionen in Deutschland vor. Internationale
Ermittlungen sollten sich danach verstärkt auf
die Befehlsketten und die Drahtzieher politscher
Morde konzentrieren. Das internationale System
sei noch immer nicht in der Lage adäquat auf
Staatsverbrechen wie den Mord an Jamal Khas-
hoggi zu reagieren.
Preisträger, Laudatorin
Raif Badawi endlich freilassen
und Moderator beeindruckten
das virtuelle Publikum Die politische Stimmung griff Abdul-Rahman
Al-Zbib in seiner Dankesrede auf und erklärte,
dass der Preis ihn motiviere, sich weiterhin für die
Callamard fordert Sanktionen Menschenrechte im Jemen einzusetzen. Jeden
Abend gehe er zu Bett mit dem Gedanken, dass
In ihrer beeindruckenden Laudatio erklärte Agnes sein Haus am nächsten Tag nur noch eine Ruine
Callamard, dass der symbolträchtige Preis be- sein könnte. Niemand wolle diesen Krieg im
kräftige, wie vital die Zivilgesellschaft des Jemen Jemen, betonte Al-Zbib. „Wir haben immer noch
ist. „Gewalt hat nicht dazu geführt, dass die Men- Hoffnung und werden uns weiterhin für ein Ende
schen verstummen.“ Menschenrechtsaktivisten, des Krieges im Jemen einsetzen.“ Abschließend
Journalisten und Anwälte, die im kriegerischen wandte er sich direkt an das saudische Königs-
Konflikt immer wieder an die Einhaltung der haus mit der Bitte, Raif Badawi unverzüglich aus
Menschenrechte appellieren, müssen bestmög- dem Gefängnis zu entlassen.
lich von außen unterstützt werden. Callamard hat
für die Vereinten Nationen die Ermordung Jamal
Sehen Sie sich das Video
Khashoggis untersucht und die Verbindungen
der Preisverleihung an.
zum saudischen Königshaus nachgewiesen –
jenem Regime, das seit 2013 Raif Badawi in Haft
hält und ab November 2020 den Vorsitz der13
Was ist ein
ArtMarathon?
UKRAINE
REGIONALJOURNALISMUS
IN ZEITEN DER PANDEMIE
Nur 47 Prozent der Ukrainer:innen würden eine von
der WHO empfohlene und kostenlose Impfung
gegen das Coronavirus in Anspruch nehmen.
Lediglich 17,6 Prozent glauben an einen natür-
lichen Ursprung der Pandemie, 66 Prozent halten
es für aus dem Labor entsprungen, 36,7 Prozent
gar für ein gezieltes Mittel zur Verringerung der
Weltbevölkerung. Die Zahlen gehen auf eine
Umfrage des Kiewer internationalen Instituts für Vitalii Shostya,
Soziologie (KIIS) vom Juli 2020 zurück an der Künstler
sich rund 2.000 Teilnehmer:innen beteiligt hatten.
Journalisten als Teil
des Desinformationsraums
Eine wichtige Rolle bei der Eindämmung von Des-
information käme eigentlich Lokaljournalisten und
Journalistinnen zu, doch auch sie verlassen sich
häufig auf Informationen aus ihrer Facebook-Tme-
line. Journalistische Standards fehlen, Artikel
basieren oft auf Berichten von sogenannten
„Augenzeugen“ im Internet. Genau hier setzt eine
Alle Bilder stammen von Reihe praxisorientierter Online-Seminare an, die
die Friedrich-Naumann-Stiftung zusammen mit
dem ArtMarathon, einer weiteren der Akademie der ukrainischen Presse durchführt.
Aktivität von FNF Ukraine Und die Nachfrage ist groß: Junge Journalistinnen
und Studenten nehmen ebenso teil wie Blogger:in-
Die Umfrageergebnisse im Sommer 2020 ver- nen, Social Media Manager oder Journalistikdo-
wundern kaum angesichts von Desinformation zenten aus allen Teilen der Ukraine.
und Verschwörungsmythen, die vor allem in den
sozialen Medien verbreitet und häufig auf pro- Fact-Checking und
russische Quellen zurückzuführen sind. Dies hat
Aha-Erlebnisse
konkrete Auswirkungen: Trotz steigender Infek-
tionszahlen scheinen Hygienemaßnahmen und
Abstandsregeln zumindest außerhalb von Kiew Anhand echter Beispiele lernen sie,
weitgehend unbekannt. Falschinformationen zu erkennen
und Nachrichten auf ihren Wahr-
heitsgehalt zu prüfen. Zwischen
„Inforace“, den Online-Treffen gibt es Haus-
aufgaben: Zu Fällen von Desinfor-
Astian Rey
mation über die regionale Corona-
Lage recherchieren die Teilnehmer „Planet Covid-19“,
die wirklichen Hintergründe und Oleksandr Shulha
publizieren eigene Artikel. Am Ende
haben sie nicht nur praktische Instrumente zum
Fact-Checking erlernt. Auch mancher Facebook-
Kontakt, der immer so seriös erschien, wird ent-
larvt. Dass auch der eine oder andere Verschwö-
rungsglaube erschüttert wurde, bleibt zu hoffen.14 MEDIENFREIHEIT UND MEDIENBILDUNG GEGEN DESINFORMATIONEN
Hier geht es zum
ausführlichen Bericht.
TÜRKEI
JOURNALISMUS
IST KEIN VERBRECHEN!
Prozessbeobachtung schafft öffentliches Bewusstsein
und bietet rechtliche Unterstützung
„Journalismus wird kriminalisiert" Die Bemühungen bringen
In der Türkei ist die Pressefreiheit seit mehreren einige Verbesserungen
Jahren unter Beschuss. Nach Angaben des Zent-
rums für den Schutz von Journalisten (CPJ) sitzen Die MLSA beschreibt ein Muster, nach dem
47 Medienmitarbeiter:innen im Land hinter Gittern. die türkische Justiz unliebsame Stimmen zum
In der Rangliste von „Reporter ohne Grenzen" Schweigen bringt: „Staatsanwälte benutzen jour-
befindet sich die Türkei auf Platz 154 – zwischen nalistische Arbeit als Beweis für Terrorismus.“ In
Belarus und Ruanda. fast zwei Dritteln der beobachteten Fälle wurden
Personen wegen terroristischer Verbrechen an-
geklagt. Inhaftierung ist eine weitere Strategie,
um Journalisten zum Schweigen zu bringen. „Die
Macht der Untersuchungshaft in den Händen einer
radikalisierten Justiz ist nach wie vor ein wirksa-
Die Vereinigung für Medienrecht und Medienstu- mes Mittel, um Kritikern monatelang die Freiheit
dien (MLSA) ist Partnerorganisation der Friedrich- zu entziehen, bevor sie vor Gericht gehen", heißt es
Naumann-Stiftung in der Türkei. Sie spielt eine in dem Bericht.
entscheidende Rolle in einem Solidaritätsnetz-
werk, das verfolgte Medienschaffende unter-
stützt und sowohl im In- als auch im Ausland die
Aufmerksamkeit auf den trostlosen Zustand der
Medienfreiheit in der Türkei lenkt. Die MLSA wirft
einen Blick auf die Geschehnisse in türkischen
Gerichtssälen, sobald Journalisten wegen der Aus-
übung ihrer Arbeit vor Gericht stehen. In einem von
unserer Stiftung und dem Internationalen Presse-
Event der MLSA mit Menschen-
institut (IPI) unterstützten Projekt haben Vertreter
der MLSA 169 Prozesse beobachtet. Ein kürzlich rechtanwalt Veysel Ok (r.)
erschienener Bericht teilt eine ernüchternde Beob-
achtung: „Die Ausübung des Journalismus ist von
der Justiz zunehmend kriminalisiert worden." Die MLSA stellt fest, dass ihre Bemühungen, Licht
in die Gerichtsverfahren zu bringen und den Ange-
klagten vor Gericht zur Seite zu stehen, „einige Ver-
MLSA beobachtet Verfahren besserungen" für die angeklagten Medienschaf-
fenden gebracht hat. Dennoch sollte dies nicht
und verteidigt Journalistinnen mit dem Wiederaufleben einer „unabhängigen und
und Medienvertreter vor Gericht objektiven Justiz, die frei vom Einfluss politischer
Führer handelt", verwechselt werden.
Kurzum: Die Türkei ist heute weit davon entfernt,
ein Vorbild für Rechtsstaatlichkeit und Presse-
freiheit zu sein. Die Verfolgung kritischer Medien-
schaffender – und anderer – bleibt in diesem Land
eine traurige Routine.15
Weitere Menschenrechtsaktivitäten
sind online zu finden.
EUROPÄISCHER DIALOG
MEDIENFREIHEIT
IM SCHATTEN VON COVID-19
Der Schutz und die Förderung der Presse- und Um die Medienfreiheit während der Hochphase
Medienfreiheit ist eine Daueraufgabe für Liberale von Covid-19 zu beleuchten, hat sich das IPI mit
weltweit. Denn Einschüchterungen, Verhaftun- dem Europäischen Dialogprogramm (EDP) der
gen und repressive Gesetze zur Bekämpfung von FNF und der Europäischen Kommission zu-
Desinformation sind nur einige der Herausfor- sammengeschlossen. Ziel war es, nicht nur die
derungen, mit denen viele europäische Medien- Krise zu dokumentieren, sondern europaweite
schaffende täglich konfrontiert sind. Kampagnen zu entwickeln, um auf die sich ab-
zeichnende Entwicklungen in einzelnen Ländern
Der aus der COVID-19-Pandemie resultierende zu reagieren.
Notstand im Bereich der öffentlichen Gesund-
heit bot einigen Regierungen die Gelegenheit Eine der Kampagnen richtete sich an politische
autoritäre Befugnisse in europäischen Ländern Entscheidungsträger der EU und nationale
auszudehnen. Dadurch hat sich die Medienfrei- Regierungen. Es sollte sichergestellt werden,
heit stark verschlechtert. Im September 2020, dass grundlegende Prinzipien der Rechtsstaat-
hatte das Internationale Presseinstitut (IPI) lichkeit nicht durch die 22 verschiedenen Formen
bereits 426 Verstöße gegen die Medienfreiheit im von Notstandsbefugnissen gefährdet werden,
Zusammenhang mit der Berichterstattung über die zu Beginn auf dem ganzen Kontinent anbe-
COVID-19 festgestellt, 107 innerhalb Europas. raumt wurden.
Freier Zugang zu Informationen, sowohl über Ein Kreis aus Journalisten und Korrespondenten
lebenswichtige Maßnahmen zur Eindämmung überwachte die Einschränkungen der Pressefrei-
des Virus als auch zur Aufrechterhaltung der heit und berichtete über deren Auswirkungen in
öffentlichen Kontrolle über diese Maßnahmen, der gesamten EU, mit besonderem Schwerpunkt
war im Jahr 2020 wichtiger denn je. Corona- auf Mitteleuropa und den baltischen Staaten.
bedingte Freiheitseinschränkungen, die in ganz IPI organisierte länderbasierte Webinare und
Europa ergriffen wurden, schwächten die Medien- Pressebriefings mit unabhängigen Journalisten-
freiheit und den freien Informationsfluss. gruppen in den am stärksten betroffenen Län-
dern und bemühte sich, die politische Führung
der EU zu integrieren.
Der Europäische Dialog gestaltet aktiv den politischen Austausch in Brüssel, Prag
und Madrid und entwickelt liberale Ansätze. Ein lebendiger Dialog basiert auf
Toleranz und gegenseitigem Verständnis. Diese Grundwerte zu fördern und durch
interkulturellen Austausch weiterzuentwickeln, ist das Ziel unserer Arbeit.16 VORWORT
„ALLE MENSCHEN
SIND FREI UND GLEICH“17 18 LESBOS SOLIDARITÄT HEISST MENSCHENRECHTE ACHTEN 19 RECHTSSTAATLICHKEIT IST NICHT VERHANDELBAR, VON MICHAEL G. LINK 20 INTERVIEW MIT NAVI PILLAY, FRÜHERE UN-HOCHKOMMISSARIN FÜR MENSCHENRECHTE
18 „ALLE MENSCHEN SIND FREI UND GLEICH“
LESBOS
SOLIDARITÄT HEISST
MENSCHENRECHTE ACHTEN
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
"Kinder hüpfen in ihren Gummi-
schlappen durch Dreck und spielen
Fangen. Familien hausen in winzi-
gen Zelten und Hütten. Diese Bilder
kommen sofort, wenn ich an meinen
Besuch der Flüchtlingslager Olive
Grove und Moria im Februar auf
Lesbos denke."
Mitten in Europa leben geflüchtete Menschen
unter prekären und menschenunwürdigen Be-
dingungen. Die Camps waren schon vor Corona
Menschen leben vor Ort unter
hoffnungslos überfüllt, die hygienischen Zu-
stände untragbar und gewalttätige und sexuelle unvorstellbaren Bedingungen
Übergriffe standen an der Tagesordnung. Zehn
Monate später hat sich die Situation in Moria Ich erinnere mich an die unglaublich bewegenden
durch Covid-19 und die Brände noch weiter ver- Gespräche mit den Lokalpolitikern, die so ver-
schlechtert – der Rest Europas sieht zu. zweifelt nach Unterstützung suchten. Sie fühlten
sich alleingelassen: Weder von der griechischen
Aktivisten und Betroffene vermuten, dass die Regierung noch von der EU gab es Hilfe. Viel ist
Feuer von einem rechten Mob gelegt wurden. nicht passiert seither. Die EU-Kommission zeigt
Wieder andere, dass die Flüchtlinge selbst verant- sich schwerfällig. Erst im September 2020 stellte
wortlich sind. Beweise gibt es hierfür nicht. Diese sie Reformvorschläge für einen neuen Asyl- und
Diskussionen lenken ab vom Wesentlichen, denn Migrationspakt vor. Doch eine Regulierung der
Flüchtlinge sind keine Ware, es sind Menschen, Abschiebeverfahren ist kein Ausdruck mensch-
die aus persönlichen Gründen freiwillig ihre Heimat licher Solidarität, sondern ein empathieloses
verlassen haben oder gar verlassen mussten. Die Armutszeugnis.
humanitäre Katastrophe trifft aber auch unmittelbar
die Inselbewohner:innen von Lesbos. Bei der Unterbringung von Flüchtlingen nach dem
Brand in Moira müssen die Standards endlich
menschenwürdig werden und die griechische
Regierung unterstützt werden. Ebenso muss
die EU ihrer Verantwortung bei der Seenotrettung
im Mittelmeer nachkommen. Die europäische
Migrationspolitik braucht geordnete, faire und
zügige Asylverfahren. Flüchtlinge brauchen Pers-
pektiven – entweder in ihrer Heimatregion oder
in einem Aufnahmeland. Langjährige Rechtsun-
sicherheit ohne Zukunftsaussichten zermürben
alle – Helfer und Flüchtlinge.
Leider ist es schwierig für uns als politische
Die Lage in der Ägäis Stiftung aufgrund der zuwendungsrechtlichen
erfordert Hinsehen Bestimmungen, politische Bildung vor Ort zu
unterstützen
und Handeln
.19
RECHTSSTAATLICHKEIT
IST NICHT VERHANDELBAR
Michael G. Link, MdB
Jedem souveränen Staat steht rung mit den sogenannten Disziplinarkammern
es frei, Reformen seines Rechts- richterliches Handeln faktisch einer politischen
systems vorzunehmen, unter der Kontrolle. Die polnische Regierung baute den
Voraussetzung, dass dabei rechts- öffentlich-rechtlichen Rundfunk in ein nationales
staatliche Prinzipen geachtet werden. Programm ohne pluralistische Berichterstattung
Rechtsstaatlichkeit ist eine Selbstver- um. Die ungarische Regierung forciert seit Jahren
pflichtung, die sich alle Mitglieder der Europäi- in regierungsnahen Medien öffentliche Hetze
schen Union auferlegt haben. Sie zu wahren, gegen Richterinnen und Richter sowie gegen
gehört neben der Demokratie und dem Schutz Staatsanwälte. Bereits 2016 hat der Europäische
der Menschenrechte zu den drei Grundsäulen der Menschenrechtsgerichtshof in einem Urteil ent-
europäischen Wertegemeinschaft. schieden, dass die ungarische Regierung gegen
die Unabhängigkeit der Justiz verstößt und den
ARTICLE 2, EU TREATY gleichen Zugang zu Gerichten missachtet hat. In
beiden Ländern gibt es Versuche, das geltende
The Union is founded on the values of
respect for human dignity, freedom, demo- Wahlrecht zugunsten der Regierungsparteien zu
cracy, equality, the rule of law and respect for verändern. Doch so gravierend diese Beispiele
human rights, including the rights of persons auch sind, es geht um mehr als die Zukunft nur
belonging to minorities. dieser beiden Länder.
Der Rechtsstaatsmechanismus, der nun in Ver-
Rechtsstaatlichkeit ist das Fundament jeder ver- bindung mit dem nächsten Mehrjährigen Finanz-
antwortungsvollen Regierungsführung. Sie ist die rahmen der EU beschlossen wurde, ist weder
Voraussetzung dafür, dass staatliches Handeln eine Lex Orban noch eine Lex Kaczynski. Er ist
einer unabhängigen Kontrolle nach Maßgabe ver- der längst überfällige Versuch der EU, ein durch-
fassungskonformer Gesetze unterzogen werden setzungsfähiges Instrument für die Wahrung der
kann. Diese unabhängige Kontrolle wird in einem Rechtsstaatlichkeit in allen EU-Mitgliedstaaten zu
Rechtsstaat dem demokratischen Prinzip der Ge- schaffen. Alle Mitgliedstaaten haben mit ihrem
waltenteilung entsprechend durch eine unabhän- Beitritt zur EU nicht nur Rechte erhalten, sondern
gige Justiz vollzogen. auch Pflichten akzeptiert. Rechtsstaatlichkeit
muss daher in der gesamten EU auch nach dem
Wird die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit Beitritt zur EU gelten. Wenn das Beispiel der pol-
von Richterinnen und Richtern durch die Politik in nischen und ungarischen Regierungslinie Schule
ihrem Kern beeinträchtigt, wird dieser Grundpfei- macht, die beide eine Art von parlamentarischer
ler der Rechtsstaatlichkeit zerstört. Durch ihren Diktatur der Mehrheit betreiben und die ihre Mehr-
Beitritt zur EU haben sich auch Polen und Ungarn heiten dazu benutzen, rücksichtslos „durchzu-
klar zur Rechtsstaatlichkeit als wesentlichem Be- regieren“, dann werden bald auch andere EU-Mit-
standteil des europäischen Wertekanons bekannt. glieder die Grenzen des politisch und juristisch
Es ist daran zu erinnern, dass 77 Prozent der pol- Machbaren austesten und ausdehnen wollen.
nischen Wählerinnen und Wähler im Referendum Dann würde das Paradoxon vollends Wirklichkeit,
im Juni 2003 für einen Beitritt zur EU gestimmt dass die Aufnahmebedingungen der EU strenger
haben, in Ungarn waren es knapp 84 Prozent der sind als ihre eigene Hausordnung. Die Lage ist
abgegebenen Stimmen. ernst, denn Polen und Ungarn hätten angesichts
ihrer ausgehöhlten Rechtssysteme Stand heute
Leider haben die rechtspopulistischen Regie- keine Chance mehr, die strengen EU-Beitritts-
rungen Ungarns und Polens inzwischen die bedingungen zu erfüllen. Das polnische und
Rechtsstaatlichkeit in ihren Ländern mit Hilfe ihrer ungarische Volk haben Besseres verdient als
großen parlamentarischen Mehrheiten schlei- diese Rückabwicklung rechtsstaatlicher Prinzipien.
fen lassen. So unterwarf die polnische Regie- Rechtsstaatlichkeit ist nicht verhandelbar.20 „ALLE MENSCHEN SIND FREI UND GLEICH“
INTERVIEW
NAVI PILLAY – EHEMALIGE UN-HOCH-
KOMMISSARIN FÜR MENSCHENRECHTE
Sie identifizieren sich hier als
„schwarze Frau“, obwohl Ihre Her-
kunft laut Ihrer Biographie auf der
OHCHR-Webseite als „nicht-weiße
Minderheit im Südafrika der Apart-
heid“ beschrieben wird. Wikipedia
sagt: „Eine Südafrikanerin indisch-
tamilischer Herkunft“, und in einem
Navi Pillay erklärt die wichtigsten
Interview wurden Sie einmal „als
Menschenrechsthemen für 2021 erste farbige Frau“ vorgestellt, die
Die ehemalige UN-Hochkommissarin für
Richterin am Obersten Gerichtshof
Menschenrechte, Navanethem „Navi“ Pillay, Südafrikas wurde. Wie definieren
diskutiert im Gespräch mit Michaela Lissowsky, Sie Ihre Herkunft und Identität?
FNF Themenmanagerin für Menschenrechte, Ist das überhaupt wichtig?
die wichtigsten Menschenrechtsfragen unserer
Zeit. Schon vor ihrer Zeit als Hochkommissarin Tatsache ist: Wir alle sind uns unserer Herkunft
zwischen 2008 und 2014 war ihre beeindrucken- bewusst. Meine liegt in der Abstammung von
de Karriere dem Kampf für Gerechtigkeit ge- meinen Großeltern, die als bedrohte Arbeiter nach
widmet – als Richterin am Obersten Gerichtshof Südafrika kamen. Mahatma Gandhi beschrieb
in Südafrika, als Präsidentin des Internationalen diese Art des Vertragssystem als Semi-Sklave-
Strafgerichtshofs für Ruanda und als Richterin rei. Es war ein sehr schwieriger Anfang. Ich bin
am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. unter der Apartheid in Südafrika aufgewachsen.
Sie stuften uns als Nicht-Europäer ein und dis-
Frau Pillay, wenn Sie vor einer Gruppe kriminierten uns. Farbige Menschen hatten kein
von Studierende stehen und über Wahlrecht und waren mit vielen Einschränkungen
konfrontiert; wir gingen in Schulen und Parks mit
Ihre lange Karriere nachdenken, Rassentrennung. In meinem Ausweis stand, dass
was ist die denkwürdigste Berufs- ich Inderin sei. Als ich in meiner Funktion als UN
erfahrung, die Sie mit ihnen teilen, Hochkommissarin für Menschenrechte nach Sri
und warum? Lanka reiste, gab es einen Konflikt zwischen der
Gruppe der Singhalesen und den Tamilen. Sie
Ich war dreißig Jahre lang Anwältin, aber eigent- sahen mich als Tamile. Dann bin ich zwar Tamile,
lich war ich vor allem gerne Richterin. Das war aber in Südafrika wurde niemand nach Sprache,
der Beruf, für den ich ausgebildet wurde. Ich hatte sondern nach Rasse klassifiziert.
die Ausgewogenheit und das Maß, Dinge die es
für das Amt braucht. Ich bin Präsident Nelson Ich persönlich identifiziere mich als Südafrikane-
Mandela dankbar, weil er mich zur ersten schwar- rin, weil es meine Heimat ist. Hier bin ich aufge-
zen Frau als amtierende Richterin am Obersten wachsen. Und wir haben uns dem Kampf für ein
Gerichtshof in Südafrika ernannt hat. Südafrika ohne Rassenzugehörigkeit angeschlos-
sen, dem Kampf für eine Nation. Das ist es, was
Ich bin auch noch immer Richterin am Internatio- Nelson Mandela in unserem Land vertrat: Eine
nalen Gerichtshof. Mein Lieblingsberuf war jedoch Nation ohne jegliche Diskriminierung aufgrund
die Position als Hochkommissarin für Menschen- von Rasse, Geschlecht und so weiter. Die Black
rechte bei den Vereinten Nationen, weil ich in die- Lives Matter-Proteste zeigen mir, wie viel Rassis-
ser Zeit nicht über Menschen zu urteilen brauchte. mus nach wie vor existiert. Heute können sich nur
Als Hochkommissarin leistet man vielmehr einen noch weiße Amerikaner als Amerikaner bezeich-
Dienst an den Menschen. Die Hohe Kommissarin nen. Alle anderen werden als Hispanoamerikaner,
für Menschenrechte zu sein, war das Beste, was „American-Indians“ oder „Black-Americans“
mir je passiert ist. identifiziert.21
Lesen Sie das
ausführliche Interview
Die UN-Leitlinien zu Wirtschaft und
Menschenrechten wurden während
Ihres Mandats als UN-Hochkommis-
sarin entwickelt und veröffentlicht.
Wie beurteilen Sie den Umsetzungs-
prozess?
Wir sollten die Menschen dazu inspirieren, sich
ethisch zu verhalten, auf die Gesundheit des
Personals zu achten und nicht Profit vor Gesund-
heit zu stellen. Das ist der Hauptgedanke hinter
den UN-Leitprinzipien. Als wir die Prinzipien ent-
wickelt haben, war ich mir ziemlich sicher, dass
sie freiwillig sind. Einige Staaten haben inzwi-
schen Gesetze verabschiedet, um ihre Umsetzung
zu einer gesetzlichen Verpflichtung zu machen.
Jetzt drängen einige Länder den UN-Menschen-
Welches sind Ihrer Meinung nach rechtsrat dazu, einen völkerrechtlichen Vertrag
die wichtigsten Menschenrechts- über Wirtschaft und Menschenrechte zu schaffen.
fragen, die mehr Aufmerksamkeit Ich bin nicht für die Einführung neuer Menschen-
erfordern? rechtsnormen. Es ist besser, die bereits bestehen-
den Menschenrechte zu verwirklichen, obwohl
Gegenwärtig befinden wir uns mitten in der Covid- ich den Wert rechtlicher Verpflichtungen freilich
19-Krise. Und wenn es eine Lehre aus diesem erkenne. Der Schutz der Menschenrechte muss
globalen Schockmoment zu ziehen gibt, dann die, zu einem Interesse der Unternehmen werden.
dass der Mensch in den Mittelpunkt aller Maß-
nahmen zur Bekämpfung der Pandemie gestellt
werden muss. Wir müssen uns auf wissenschaft- Menschenrechtsarbeit ist eine per-
liche medizinische Informationen verlassen und manente Aufgabe, worauf sollten wir
Budgets zuweisen, in denen das Geld für den uns mehr konzentrieren?
Schutz der Menschen investiert wird. Das ist hier
in Südafrika nicht der Fall. Es wurde eine Studie Was mich beunruhigt, sind Angriffe von Präsiden-
über die Auswirkungen von Covid-19 auf die ten auf die Medien, wie wir sie vier Jahre lang von
örtliche Bevölkerung durchgeführt, die zu dem US-Präsident Trump beobachten konnten. Solche
Schluss kam, dass das Hauptproblem, mit dem Äußerungen, Hassreden und Desinformationen
Südafrika konfrontiert ist, der Hunger ist – ins- gegen die Medien sind sehr schädlich, weil die
besondere unter Kindern. Daher würde ich Armut Menschen von ihnen beeinflusst werden. Ich
und Hunger als die wichtigsten Menschenrechts- würde sagen, wegen einiger dieser „so genannten
probleme unserer Zeit ansprechen. starken“ Männer, wie wir sie jetzt in Regierungen
haben, ist es wirklich sehr dringend, dass wir
Alle Menschenrechte sind miteinander verbunden, mehr Informationen über Demokratie und ihre Be-
sie sind unteilbar. Jeder braucht Hilfe, um sein deutung verbreiten.
Leben genießen zu können, jeder braucht Nah-
rung, und jeder braucht Grundfreiheiten wie die
Redefreiheit.22
MENSCHENRECHTE
DIGITAL23 24 PAKISTAN DATENSCHUTZ UND DIGITALE SICHERHEIT JUNGER ERWACHSENER VERBESSERN 25 LIBANON EINE APP SCHAFFT BEWUSSTSEIN FÜR FRAUENRECHTE 26 VENEZUELA DISSIDENTEN EINE STIMME GEBEN
24 MENSCHENRECHTE DIGITAL
PAKISTAN
DATENSCHUTZ UND DIGITALE
SICHERHEIT JUNGER ERWACHSENER
VERBESSERN
Zwar gibt es in Pakistan mehr junge Menschen als Damit werden junge Leute geschult, das Grund-
je zuvor. Dennoch steht die digitale Partizipation recht auf Meinungsfreiheit auch online zu respek-
der Bevölkerung vor großen Herausforderungen. tieren. Die Lernziele zum Datenschutz und zur
Die fortschreitende Digitalisierung des Landes digitalen Sicherheit konzentrieren sich auf Fragen
hat die Informations- und Kommunikationsmittel der Cyber-Belästigung, des Missbrauchs persön-
innerhalb der Gesellschaft nachhaltig verändert licher Daten und der Rahmenbedingungen für die
und gleichzeitig eine neue digitale Kluft innerhalb Meldung von Tätern und die Unterstützung von
der Jugend geschaffen und insbesondere junge Opfern. Der Leitfaden soll jungen Erwachsenen
Frauen benachteiligt. helfen, den technologischen und rechtlichen Rah-
men zu verstehen, um die Kette von Cyber-Beläs-
tigung und Viktimisierung zu durchbrechen. Der
Der Rechtsrahmen ist schwach Leitfaden erklärt und bietet verschiedene Quellen,
um stärkere Sicherheitseinstellungen umzusetzen
Die Phrase „Internet bedeutet für verschiedene und mit Bedrohungen persönlicher Daten und der
Menschen unterschiedliche Dinge" passt bestens Online-Freiheit umzugehen. Die richtigen Tipps
auf Pakistan. Die Regierung und Behörden haben und Techniken sollen insbesondere jungen Frauen
jeweils ein unterschiedliches Verständnis, wenn es vermitteln, wie sie auf unerwünschte digitale An-
darum geht, digitale Sicherheit zu gewährleisten griffe auf ihre Freiheiten reagieren können.
oder Datenschutz sowie Meinungs- und Redefrei-
heit für die „Netizens“ zu ermöglichen.
Nicht alle Bürger:innen verfügen über die notwen-
digen Kenntnisse wie sie sich sicher im Cyber-
space bewegen. Sie hinterlassen so zwangsläufig
überall ihre digitalen Fußabdrücke und persön-
lichen Daten. Dies führt häufig zu Belästigungen
im Cyberspace, in einigen Fällen gar zu psychi-
schen Problemen wie Angst, Furcht, Depression
und Isolation.
Online-Sicherheit
junger Erwachsener
Die Digital Rights Foundation (DRF), ein wichti-
ger Partner der Friedrich-Naumann-Stiftung in
Pakistan, hat einen Leitfaden für junge Erwachse-
ne zum Thema Sicherheit im Internet entwickelt.
Blättern Sie durch
den Leitfaden.25
Schauen Sie sich das Video
mit Khouloud Khatib an.
LIBANON
EINE APP SCHAFFT BEWUSSTSEIN
FÜR FRAUENRECHTE
Libanesische Frauen werden in vielen Alltagsbe- Warum ist es wichtig,
reichen diskriminiert. Dies war schon vor Covid-19 die Rechte von Frauen insbesondere
der Fall. Diskriminierung findet sich bereits in Ge- in ländlichen Gebieten anzugehen?
setzestexten, aber auch im wirtschaftlichen Alltag
und in den sozialen und politischen Gepflogen- Frauen in ländlichen Gebieten sind im Vergleich
heiten des Landes. Anstrengungen zum Abbau zu den in den Städten lebenden Frauen stark
der Diskriminierung durch NGOs, internationale benachteiligt. Auf dem Land stehen Frauen bei
Institutionen und staatliche Stellen konzentrieren der Durchsetzung ihrer Menschenrechte vor
sich in der Regel auf Frauen in städtischen Gebie- extremen Herausforderungen. Sie haben bereits
ten – insbesondere in Beirut oder in Flüchtlings- Schwierigkeiten, Zugang zu wirtschaftlichen
gemeinschaften. Frauen in den ländlichen Städten Ressourcen zu erhalten. Frauen und Mädchen
des Libanon leben jedoch häufig unter dem Joch werden auf dem Land häufig von Führungs- und
des Patriarchats und sind sich ihrer eigenen Rechte Entscheidungsprozessen ausgeschlossen und
gar nicht bewusst. ihnen wird der Zugang zu Justiz und Polizei ver-
weigert. Zugleich sind sie der Gefahr von erhöhter
Gemeinsam mit der Menschenrechtsorganisation Gewalt ausgesetzt.
LOUDER hat die Friedrich-Naumann-Stiftung eine
App entwickelt, um das Bewusstsein libanesi-
scher Frauen in ländlichen Gebieten für die eige-
nen Menschenrechte zu schärfen. Die App soll
es Frauen ermöglichen, sich über ihre Rechte zu
informieren und miteinander in Kontakt zu treten.
In einem Interview beschreibt uns Khouloud Kha-
tib, die Präsidentin von LOUDER, den Alltag von
Frauen auf dem Land.
Wie ist die Situation
von Frauen im Libanon?
Frauen müssen ihre
Der Libanon hat mehrere internationale Men- Rechte kennen.
schenrechtsverträge ratifiziert, die die Rechte der
Frauen fördern. Die libanesischen Gesetze lassen
jedoch nach wie vor Gewalt und Diskriminierung Was versuchen Sie
gegen Frauen ausdrücklich zu. So werden Frauen- mit dem Projekt zu erreichen?
rechte durch Personenstandsgesetze verletzt. In
allen Familienfragen gibt es keine Gleichberechti- Es soll sicherstellen, dass Frauen und Mädchen
gung von Frauen, sei es in der Ehe, bei der Schei- sich ihrer grundlegenden Menschenrechte, die
dung und im Sorgerecht. Das Staatsangehörig- in internationalen Konventionen und nationalen
keitsgesetz verhindert, dass libanesische Frauen, Gesetzen verankert sind, bewusst werden. Von
ihre Staatsangehörigkeit an ihre Kinder oder ihren enormer Bedeutung ist die pure Information und
ausländischen Ehemann weitergeben können. Ein Sensibilisierung einer auf Rechten basierenden
neues Gesetz, das 2014 zur Verhütung häuslicher Bildung – sowohl für die Frauen, aber auch für die
Gewalt verabschiedet wurde, räumt Frauen nicht Männer in einer Gemeinschaft. Nur gemeinsamen
ein, Rechtsmittel einzulegen. Dies alles hängt können die Denkweisen bisheriger Praktiken ver-
auch damit zusammen, dass Frauen bei der ändert werden, die die Rolle der Frau einschrän-
politischen Partizipation unterrepräsentiert und ken. Nur wenn Frauen ihre Rechte kennen und
damit in wichtigen Entscheidungsprozessen einfordern, können sie ihren Lebensunterhalt und
außen vor sind. ihr eigenes Wohlergehen verbessern26 MENSCHENRECHTE DIGITAL
VENEZUELA
DISSIDENTEN EINE STIMME GEBEN
Die Karikaturistin und Journalistin Rayma Suprani
stammt von italienischen Immigranten ab, die
vom Faschismus nach Venezuela geflohen waren.
Sie selbst ist in der Demokratie geboren und auf-
gewachsen in einem Land, das heute von den Bür-
ger:innen als „Saudi-Venezuela“ bezeichnet wird.
Mit der ironischen Selbstbezeichnung des eige-
nen Landes erinnern sich die Menschen nostal-
gisch an die früheren Öl-Boomzeiten. „Wir waren
glücklich und wussten es nicht", sagt Rayma. Seit
20 Jahren illustriert Rayma nun die Zerstörung
ihres Landes. „Ich würde jetzt gerne 20 Jahre
den Aufbau von Venezuela zeichnen.“ Rayma’s
Lebensweg gleicht dem vieler Venezolaner:innen
ihrer Generation. Er repräsentiert verschiedene
Facetten gleichzeitig: die Seite der Dissidenten,
der Emigranten und die eines Talents, das keine
Möglichkeit hat, sich in einer Umgebung, die von
Entbehrung und Feindseligkeit geprägt ist, zu
entfalten. Rayma’s Leben steht auch für die erste
große Diaspora in der Geschichte Venezuelas, die
heute Millionen von Venezolaner:innen verstreut
über die ganze Welt umfasst.
Das Andenbüro der Friedrich-Naumann-Stiftung
unterstützt die Initiative Dissidents.org der Fun-
dación para el Progreso (Chile) bei der Dokumen-
tation von Aussagen und Lebensgeschichten, wie
jene von Rayma. Sie verdeutlicht, dass Menschen
den Mut haben, sich gegen repressive Gesell-
schaften und Regierungen auf der ganzen Welt
auszusprechen. Die Podcastreihe lässt „Rebel-
linnen und Rebellen“ zu Wort kommen, die sich
für positiven Wandel hin zu Etablierung liberaler
Demokratien einsetzen.
Hören Sie den Podcast
mit der Karikaturistin
Rayma Suprani.27
28
TOLERANZ FÜR VIELFALT29 30 AFRIKA LGBTQI-RECHTE UND DER SPRACHGEBRAUCH 31 POLEN EINE FRAGE DER SEXUALKUNDE? 32 TÜRKEI VERBORGEN SEIN ODER NIEMAND SEIN
30 TOLERANZ FÜR VIELFALT
AFRIKA
LGBTQI-RECHTE UND
DER SPRACHGEBRAUCH
Sprache ist ein mächtiges Werkzeug. Sie kann andere Männer. In ganz Westafrika, vor allem
dazu eingesetzt werden, die Rechte von Lesben, in Nordnigeria, gehörte zum Wortschatz des
Schwulen, Bisexuellen, Transgendern, Queers und Hausa-Stammes der Begriff Dan Daudu, was
Intersexuellen (LGBTQI) zu fördern oder drastisch wörtlich „Männer, die wie Frauen sind" bedeutet.
zu erschweren. Wenn ein Kind in jungen Jahren als Dan Daudu
anerkannt wurde, erhielt es weibliches Spielzeug
Mit der Erfindung neuer sprachlicher Ausdrücke und wurde ermutigt, sein Geschlecht unabhängig
können sichere Kommunikationswege für die- von der Biologie offen auszudrücken.
jenigen geschaffen werden, die in stark homopho-
ben Gegenden leben. „Gayle" in Südafrika ist ein LGBTQI-Rechte müssen
solches Beispiel. Während der Apartheid-Ära war
Gayle eine Geheimsprache, deren Hauptzweck vor Gerichten eingefordert werden
darin bestand, eine offene Kommunikation inner-
halb der LGBTQI-Gemeinschaften zu ermöglichen
und Aktivitäten zu erleichtern. Als eine Art Code
erlaubte Gayle der Community offen zu sprechen,
ohne in der Öffentlichkeit entdeckt zu werden,
während die Regierung LGBTQI-Aktivitäten über-
wachte und zensierte.
Nach der Einführung diskriminierender Gesetze
und westlicher Religion durch die Kolonialmächte
in Afrika änderte sich auch die Wahrnehmung
von Homosexualität und Geschlechtsidentität
drastisch. Dies spiegelt sich in der Sprache wider,
die heute verwendet wird, um LGBTQI-Menschen
und -Themen zu verstehen. Die gegenwärtigen
politischen und gesellschaftlichen Eliten be-
Die LGBTQI-Community zeichnen Homosexualität oft als ein westliches
muss auf der Straße sichtbar sein Phänomen. Laut einer kürzlich durchgeführten
Studie der International Lesbian, Gay, Bisexual,
Trans and Intersex Association (ILGA) glaubt fast
Wie Afrikaner:innen in der vorkolonialen Ära die Hälfte der Befragten (47%), dass Homosexu-
Homosexualität und das eigene Geschlecht ver- alität ein aus dem Westen importiertes fremdes
standen haben, zeigt sich in unterschiedlichen Konzept sei. Viele Afrikaner:innen verbinden eine
Begriffen, die in verschiedenen Stämmen und stark negative Konnotation mit dem Wort Homo-
Königreichen auf dem ganzen Kontinent ge- sexualität. Dem malawischen LGBTQI-Forscher,
bräuchlich waren. Es gab Ausdrücke, die nicht nur Alan Msosa, zufolge verwechseln die meisten Ma-
die Existenz von LGBTQI-Personen anerkannten, lawier den Begriff Homosexualität mit Pädophilie.
sondern sie ausdrücklich feierten. So gehörten Dies macht es außerordentlich schwierig, für die
beispielsweise bei den Langi im Norden Ugan- Rechte von LGBTQI einzutreten.
das Menschen, die intersexuell geboren wurden,
einem dritten Geschlecht an, das als Mudoko Heute wird Sprache gegen die LGBTQI-Bevölke-
Dako bekannt ist. Gesellschaftlich gebilligt war rung in Afrika als Instrument der Diskriminierung
es den Mudoko Dako auch gesetzlich erlaubt, eingesetzt. Aktivisten und Fürsprecher sollten
einen Mann oder eine Frau zu heiraten. versuchen, Wege zu finden, die Art und Weise zu
beeinflussen, wie die Sprache zur Beschreibung
Bei den Kikuyu und Meru in Kenia wurden be- von LGBTQI-Personen und Themen verwendet
sondere religiöse Geistliche Mugawe genannt. wird. Dazu könnten sie sich auf historische Fakten
Sie kleideten sich wie Frauen und trugen ihr Haar und kulturelle Begriffe mit positiven Konnotationen
wie Frauen, heirateten in einigen Fällen aber stützen.31
POLEN
EINE FRAGE DER SEXUALKUNDE?
„Für viele illiberale und konservative Regierungen gelten die Themen
Antidiskriminierung, ebenso wie das Verbot von Hassrede und die Sexual-
erziehung als ideologische Feinde, weil sie kritisches Denken fördern
und eine freie und faktenbasierte Entscheidungsfindung ermöglichen.
Stattdessen bevorzugen solche Regierungen Erziehung auf der Grundlage
konservativer, oft religiöser Werte und ersetzen Wissen durch Ideologie."
Mit diesen Worten erklärt Milosz Hodun, Präsident Ed Net: Befähigung
vom Projekt:Polska, die Relevanz des Ed Net-Pro- der Zivilgesellschaft
jekts, das vom Europäischen Dialogprogramm der
FNF unterstützt wird. In Ländern wie Polen wurden Um ein besseres Verständnis für den regionalen
die Themen Antidiskriminierung und Hassrede Kontext zu erhalten, führte eine Gruppe polnischer
aus dem Lehrplan der Schulen gestrichen. Sexual- Ed Net-Experten einen Studienbesuch in den
erziehung wird fälschlicherweise gar als eine Be- baltischen Ländern durch. Sie trafen sich mit Ex-
drohung für Kinder dargestellt. perten, die sich mit Hassrede, Diskriminierung und
wertebasierter Sexualerziehung beschäftigen, um
sich über deren Erfahrungen zu informieren und
Sexualerziehung als erbitterter bewährte Praktiken auszutauschen.
Feind der Regierung
Ziel war es auch zu erlernen, wie Mitglieder libera-
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visor at Unter der Führung der regierenden Partei Recht ler Nichtregierungsorganisationen aus ganz Polen
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Anschuldigungen, um Gruppen zu diffamieren, Bildungsmaterialien für all diejenigen, die Elemente
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GABRIELA JUSZCZUK
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Projekt: PolskaÕs HejtStop campaign. und atfachlichen
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Coordinator at the
the Projekt:
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Schulungen
PolskaÕs HejtStop
HejtStop campaign.
campaign.
erforderlich sind. und produktives Leben zu führen.
Ed Net-Experten: Miołsz Hodun PhD,
Gabriela Juszczuk, Michał Sawicki und Michał TęczaSie können auch lesen
