Liebe Freunde der brandenburgischen Kirchenbauten, liebe Leser, sehr geehrte Damen und Herren, Förderkreis Alte Kirchen Berlin-Brandenburg eV
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Evangelische Pfarrkirche Zum Heiligen Kreuz in Neuzelle (LOS), ehemalige „Leutekirche“ des Klosters; Foto: Wolfram Friedrich Geleitwort Liebe Freunde der brandenburgischen Kirchenbauten, liebe Leser, sehr geehrte Damen und Herren, seit zehn Jahren luthert es gewaltig in Deutschland. Die Erinnerung an den historisch nicht einmal ver- bürgten Thesenanschlag am Portal der Wittenberger Schlosskirche wurde gleich mit einer ganzen „Refor- mationsdekade“ eingeläutet, bevor sie in diesem Jahr ihren Höhepunkt erreichen wird. Auch wir kommen in unserer vorliegenden Jahresbroschüre an diesem Thema nicht vorbei. Vielleicht wundern Sie sich, auf dem Titelblatt der „Offenen Kirchen“ im Lutherjahr die katholische Klosterkirche von Neuzelle zu finden? Aber auch dieses „Barockwunder“ inmitten von Kiefernwäldern und märkischem Sand verdankt ihren Ursprung der Reformation; genauer gesagt ist es ein bewusst gesetztes Zeichen der Gegenreformation. Als letzte verbliebene altgläubige Insel verkörperte der imposante Bau im Stil des süddeutschen und italienischen Barock den Machtwillen und den Repräsentationsanspruch der katholischen Kirche in einer protestantisch gewordenen Region. Die lutherische Variante der archi- tektonischen Selbstdarstellung – „Ein feste Burg ist unser Gott“ – finden Sie im Foto auf dem Rücktitel. Selbstverständlich ist diese Gegenüberstellung nicht ohne Ironie zu betrachten… Auch in diesem Jahr möchten wir Sie mit unserem Heft herzlich zum Besuch der zahlreichen wunder- schönen Kirchengebäude unseres Landes einladen – auch abseits von Lutherpfaden und Reformations- ausstellungen. Die Reformation in der Mark Brandenburg verlief weitestgehend ohne bilderstürmerische Tendenzen wie in anderen Teilen Deutschlands. Und so gibt es in unseren evangelischen Dorfkirchen noch so manche katholische Heiligenfigur und so manchen vorreformatorischen Altaraufsatz zu entdecken. Daneben finden sich typisch protestantisch Kanzelaltäre oder, seltsamerweise ebenfalls nur in protestan- tischen Kirchen schwebende, Taufengel. Gerade diese Vielfalt der überlieferten Ausstattung macht die Entdeckungsreisen zu den sakralen Denkmalen so überaus interessant. Betrachten Sie bei ihren Besuchen jedoch – trotz all ihrer Geschichtsträchtigkeit – die Kirchengebäude nicht nur als Museen oder als Erinnerungsorte an die „gute alte Zeit“, die es im Übrigen so vermutlich nie gegeben hat. In den allermeisten Fällen sind sie noch heute lebendige Mittelpunkte ihrer wenn auch manchmal nur kleinen Gemeinden. Und neben den Gottesdiensten, die in manchen Regionen nur noch alle vier oder sechs Wochen stattfinden können, laden immer mehr Dorfkirchen zu Konzerten, Ausstellungen oder anderen Veranstaltungen ein. Mancherorts sind sie fast die einzigen verblieben Kulturträger. Gehen Sie auf Entdeckungsreise! Inzwischen sind es über 1.000 Kirchen, die im Adressteil dieser Broschüre verzeichnet sind und auf Ihren Besuch warten! Der Förderkreis Alte Kirchen Berlin-Brandenburg e. V. sieht seine wichtigste Aufgabe darin, die bauliche Instandsetzung und Erhaltung der Kirchengebäude, die Bewahrung und Restaurierung der historischen Aus- stattungen sowie die angemessene Nutzung zu fördern und zu unterstützen. Helfen Sie uns dabei, indem Sie den brandenburgischen Kirchen Ihre Aufmerksamkeit und, wenn möglich, auch Ihre Hilfe schenken! In einem seiner Gedichte schrieb der Lyriker Reiner Kunze: „Damit die Erde hafte am Himmel, schlu- gen die Menschen Kirchtürme in ihn…“ Bei der Lektüre dieses Heftes und bei Ihren Ausflügen und Wanderungen durch die Mark Brandenburg wünschen wir Ihnen spannende Entdeckungen und anregende Begegnungen! Die Redaktion 2 Geleitwort
Kirche im Umbruch Ein Gespräch mit Christian Stäblein Christian Stäblein ist Propst der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO). Konfirmationsfeier in der Dorfkirche Brodowin (Barnim); Foto: Bernd Janowski D ie Reformation vor 500 Jah- ren, deren Jubiläum wir in diesem Jahr begehen, war nicht nur ein religiöser Umbruch, in dem die Einheit der christlichen Kir- che zerbrach. Mit Martin Luther und decken. „Die Reformation war ein Um- und Aufbruch, und in diesem Begriff ist ja das Wort Bruch enthalten. Auch wir leben in einer Zeit des Umbruchs, in der sich vieles ändert. In der Refor- mation war es der Buchdruck, der die ther-Bücher auf den Markt. Doch wird es über die Zelebration des Jubiläums hinaus geistige oder gar geistliche An- stöße für die Kirche geben? Der Propst ist kein Pessimist, er glaubt, dass die 500-Jahr-Feier helfen kann, neuen der Erfindung des Buchdrucks gab es Schriftkultur veränderte, nun haben Schwung in die Verkündung des Evan- zugleich einen Kulturbruch, entstand wir wieder einen medialen Umbruch, geliums zu bringen, wie es auch in der eine Welt beschleunigten Wandels, der stecken mittendrin in einer digitalen Reformation geschah. „Es kommt da- über die Renaissance und die Aufklä- Revolution, bei der wir überhaupt rauf an, das Evangelium auch in der rung in die heutige Moderne führte. nicht absehen können, wo wir in 20 jetzt anbrechenden Medienkultur zu Erleben wir heute womöglich auch oder 50 Jahren wirklich sein werden.“ positionieren. Wir sollten uns darin eine Art Kulturbruch, eine säkulare Ein Indiz für den Umbruch sei zum üben, Gottes Wort auf eine neue Art Zeitenwende, in der aus ehemaligen Beispiel die kontroverse Debatte dar- zu verkünden, neue Wege zu suchen.“ Volkskirchen Minderheiten-Konfes- über, wie sehr auch die Kirche sich mit Gleichwohl müsse das vor allem in sionen werden? Christian Stäblein, dem „Godspot“ für Smartphone-Nutzer den Gotteshäusern geschehen, denn der Propst der Evangelischen Kirche öffnen sollte. diese seien ein Symbol für das, was Berlin-Brandenburg-schlesische Ober- Zum Reformationsjubiläum wird es die Kirche verkünde. „Die evangelische lausitz (EKBO), empfindet solch einen in Wittenberg diverse Veranstaltungen Kirche lebt auch aus der Erneuerung, historischen Vergleich als nicht völlig und in Berlin einen Kirchentag geben. ohne Um- und Aufbruch gibt es keine abwegig, kann gewisse Parallelen ent- Zudem kamen und kommen etliche Lu- wirkliche Erneuerung.“ Kirche im Umbruch 3
Kulturfeste im Land Brandenburg Im Gegensatz zur Reformationsepoche kommen“, sagt der Propst, „sondern geht es nun um den Aufbruch einer schon früher die Familien besuchen. Capella de la Torre, Photo: Heyde schrumpfenden Kirche. Weckt das nicht Sie sollten auch zu den Jugendlichen Ängste, muss man sich nicht Sorgen hingehen, die in der Kirche vielleicht machen um die Konfession? Der „Chef- mit einem frei zugänglichen Netz sur- Theologe“ des Konsistoriums beteuert, fen.“ Eine Kirche im Aufbruch könne ihn plagten keine Ängste. „Wir müs- nur dann erfolgreich sein, wenn sie sen uns zwar sehr ernsthaft Gedanken nicht so sehr an ihre organisatori- machen über die Zukunft, sollten aber schen Strukturen denkt, sondern die nicht gebannt nur auf Zahlen starren. Menschen vor Ort anspricht. Da braucht Geistig wachsen und geistig Kirche sein es Räume, in denen man etwas auspro- bedeutet nicht, bloß in quantitativen biert, Projekte entwickelt. Konzerte zum Reformationsjubiläum Kategorien zu denken. Wir sollten das Wie soll das aber in den jetzt schon Der Reformator Martin Luther setzte selten einen Fuß ins Evangelium nach außen tragen und da- dünnbesiedelten und weiter schrump- heutige Brandenburg, doch geschahen hier reformations- rauf vertrauen, dass daraus ein inneres fenden Regionen Brandenburgs funkti- geschichtlich bedeutsame Ereignisse, etwa die Ablasspre- digten Johann Tetzels in Jüterbog, die als ein Anlass für die und irgendwann auch vielleicht ein äu- onieren, wo ein Pfarrer mehr als zehn Veröffentlichung der «Thesen» Luthers 1517 betrachtet ßeres Wachstum entsteht. Gleichwohl Kirchen zu betreuen hat? „Es gibt dafür werden, und die Schlacht vor Mühlberg. Bald hatte die können wir die Zahlen nicht einfach keinen Meta-Plan“, sagt Stäblein, „kein Reformation dramatische Folgen für Brandenburg, wegschieben, wir müssen auch rechnen Patentrezept für alle Gemeinden. Auch Klöster wurden aufgelöst, der Dreißigjährige Krieg wütete können.“ da müssen wir vor Ort auf die Men- hundert Jahre später in der Mark besonders heftig. Bei allem haushälterischen Kal- schen hören, und wir sollten mit den Martin Luther nannte die Musik «aller bewegung des kül, so Stäblein, sollte stets auch ein Schätzen wuchern, die wir haben. Dazu Menschlichen hertzen ein Regiererin, ir mechtig und Aufbruch, eine missionarische Kirche gehört als erstes der Gottesdienst, oft gewaltig ist». spürbar sein. „Doch Mission funktio- auch die Andacht, die kleine Form. Es Die Kulturfeste im Land Brandenburg präsentieren eine niert nicht mit der simplen Methode, ist doch stets möglich, sonntags eine Vielfalt an Musik zum Reformationsjubiläum, darunter drei als sei der Glaube so etwas wie ein Keks kleine Andacht in einer Dorfkirche zu Ensembles, die mit dem Echo Klassik Preis ausgezeichnet wurden: die lautten compagney Berlin, die Capella de la in der Schachtel, die man nur öffnen machen. Nicht immer und nicht überall. Torre und das Calmus Ensemble. und verteilen muss. Das Evangelium Aber es ist wunderbar, wie viele Ehren- weitergeben heißt, den Menschen zu- amtliche hier Gottesdienste leiten und Konzertauswahl hören, sich auf sie einlassen und mit feiern. Das ist Kirche, wenn Menschen Sonntag, 18. Juni 17 Uhr, Dom zu Brandenburg ihnen entdecken, wo in ihrem Leben miteinander Gott loben.“ Der Propst Sonntag, 10. September 16 Uhr, Klosterkirche Chorin das Evangelium helfen kann. Deshalb denkt aber beim Gottesdienst nicht nur Deutsche Messe sind auch die Kirchengebäude so wich- an Dorfkirchen, sondern auch an ande- Knaben des Staats- und Domchores Berlin Vocalconsort Berlin, lautten compagney Berlin tig. Wenn jemand ein Gotteshaus öffnet re Orte, wie etwa das Café eines Senio- Leitung: Wolfgang Katschner, Kai-Uwe Jirka und einem anderen zeigt, was ihn in renstifts oder an eine Friedhofskapelle. dieser Kirche berührt, dann kann da- „Da bin ich wieder bei den Anfängen Sonntag, 25. Juni, Stiftskirche Heiligengrabe raus eine Begegnung mit Gott entste- der Christenheit, die sich anfangs in Sonntag, 13. August, Klosterkirche in Mühlberg/Elbe hen. Deshalb sind solche Orte wichtig, Katakomben trafen. Was ich nicht will, Samstag, 26. August, Franziskanerklosterkirche Angermünde deshalb sollten Kirchen niedrigschwel- ist ein Konzept für alle. Denn das wird Kaiser Karl und die Reformation lig offen sein.“ nicht funktionieren.“ Cécile Kempenaers, Sopran, Ralf Grobe, Bass Capella de la Torre, Leitung: Katharina Bäuml Wie und wo erreicht man aber die Der Propst wehrt sich gegen die Menschen vor Ort, wenn sonntags nur These, dass Kirchengemeinden mit Alle Musikveranstaltungen der Kulturfeste im Land noch ein paar Senioren zum Gottes- einem 40-Kilometer-Radius eine pas- Brandenburg zum Reformationsjubiläum werden dienst kommen? Wie kommt man an torale Sackgasse sind. „Pfarrer und in unserer Jahresbroschüre und einem Reformationsmusikfaltblatt vorgestellt. jene Konfessionslosen heran, die nicht Gläubige sind doch heute schon ein mehr wissen, wozu ein Gotteshaus wanderndes und fahrendes Gottesvolk.“ dient und welche religiöse Bedeutung Es gebe viele Konzepte, wie man re- ein Kruzifix hat? „Ein Pfarrer oder gionale Verknüpfungen herstellen, wie lautten compagney, Calmus Ensemble, Photo: I. Zenna eine Pfarrerin sollte nicht erst zum 75. man Kirchen zu anderen Zeiten öffnen Geburtstag eines Gemeindemitglieds und anders nutzen könne. „Der Bran- Kulturfeste im Land Brandenburg e.V. info@kulturfeste.de www.kulturfeste.de Förderer: Kulturland Brandenburg, Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur und Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft des Landes Brandenburg, die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien und Deutsches Kulturforum östliches Europa 4 Veranstaltung
Die Junge Philharmonie Brandenburg eröffnet „Musikschulen öffnet Kirchen“ in der St. Jacobikirche Luckenwalde 2016; Foto: Uwe Hauth denburger Dorfkirchensommer ist ein keinen Fall zur Kneipe mit Besäufnis ein Gotteshaus, so fügt der Propst gutes Beispiel dafür, wie wir mit un- werden. Der Raum fordert Respekt und hinzu, wenn dort auch Gottes Wort seren Schätzen auch jenseits der tradi- verändert Menschen. verkündet werde, sonst wird sie zum tionellen Nutzung wuchern können.“ In einer deutschen Landeskirche Kulturdenkmal. Und wem „gehört“ Das sei natürlich leichter möglich in wurde zeitweise erwogen, auch bei die Kirche, wenn es dort ein weltli- Gotteshäusern, die etwa auf Pilgerpfa- der Beisetzung von Konfessionslosen ches Konzert gibt? „Jedes Konzert den liegen oder Kulturdenkmäler sind, die Kirchenglocke zu läuten. Wäre dies verändert sich, wenn es in einer Kir- aber es gebe auch anderswo interessan- für Propst Stäblein eine unzulässige che stattfindet, ein weltliches Konzert te Versuche. Anpassung an den Zeitgeist? „Diese fügt sich dann in einen bestimmten Wie weit darf denn die Öffnung Anpassung ist ein schmaler Grat. Die Kontext ein – es sei denn, die Kirche der Kirchen gehen, welche erweiter- dritte Ökumene, also das Gespräch mit ist entwidmet.“ Der Propst erinnert an ten Nutzungen sind denkbar über das einer gottvergessenen Kultur, ist zwar das Wort Christi: Wo zwei oder drei in hinaus, was es bereits an Theater und sehr wichtig. Man darf dabei auch meinem Namen versammelt sind, da Musik gibt? „Ich kann in der Kirche nicht von vornherein eine Position der bin ich mitten unter ihnen (Matthäus nichts machen, was der Botschaft wi- Rechtgläubigkeit aufbauen. Ich suche 18, 20). derspricht. Doch innerhalb dieses Rah- stets das offene Gespräch.“ Gleichwohl Wie sieht die Kirche in zwanzig mens ist mein Herz weit, da sollte man gebe es auch hier Grenzen, so etwa Jahren aus? Wird sie noch kleiner stets auf den konkreten Fall schauen, bei der Frage, ob generell ein Geläut sein, ist sie noch mehr von der Volks- da kann eine Gemeinde oft selbst ent- für Konfessionslose möglich sei. „Ich zur Minderheitenkirche geworden? Der scheiden.“ Eine rote Linie ist für den respektiere jene, die ausgetreten sind, Propst benutzt ein Wort aus der Auto- Propst indes überschritten, wenn es und ich drücke und dränge diesen industrie, vergleicht die Kirche mit eine Gemeinde etwa gegen Gebühr er- nichts auf. Die Haltung des Verstor- einem Hybrid-Fahrzeug, das sowohl laubt, in der Kirche eine zivile Trauung benen ist zu respektieren.“ Gleichwohl mit Benzin, aber auch mit Batterie abzuhalten. Da werden nach seiner An- könnten im Einzelfall die Glocken läu- fahren kann. „Die Kirche wird bis sicht zivile und kirchliche Aspekte ver- ten, wenn es Angehörige wünschten, dahin gelernt haben, mit verschiede- mengt, die aus gutem Grund getrennt die noch zur Kirche gehören. nen Motoren unterwegs zu sein, aber sind. In theologischer Hinsicht liege Wem gehört denn die Kirche – immer mit einem Geist.“ Wird sie der Fall dagegen anders, wenn man die nicht juristisch, sondern theologisch somit, wenn man diesem Auto-Bild Kirche – auch aus finanziellen Gründen gesehen? Das ist keine spitzfindig- folgt, in den strukturschwachen Regi- – für Jazz-Veranstaltungen oder ande- theoretische Frage, sondern oft eine onen neben der seelsorgerischen Auf- re kulturelle Zwecke nutze. Wie wäre höchst praktische, wenn etwa in einem gabe viel stärker zum Kultur-Motor es aber mit einer Sport-Übertragung? Förderverein, der die Sanierung eines werden? „Die Kirche ist schon jetzt oft Als großer Fußball-Fan mag Stäblein Gotteshauses ermöglichte, nur etwa ein Kulturträger und wird es immer dies nicht völlig ausschließen, wenn die Hälfte der Mitglieder einer Kirche mehr werden. Sie wird aber kein belie- es etwa in einem Dorf außer der Kir- angehören. „Die Kirche als Gotteshaus biger Akteur sein, denn sie steht für che keinen anderen öffentlichen Raum gehört eigentlich niemandem, denn einen christlichen Geist.“ gibt. Doch die Kirche dürfe dabei auf geistlich besitzen wir die Kirche nicht, sondern sie dient jenen Menschen, die in einem bestimmten Moment zu Got- Lutherbild in der ungenutzten Dorf- tes Lob zusammenkommen. Dies gilt Das Gespräch führten Bernd Janowski kirche von Beenz b. Lychen (Uckermark); auch für jene Beter, die nicht der Kir- und Konrad Mrusek. Foto: Bernd Janowski che angehören.“ Eine Kirche ist dann Kirche im Umbruch 5
SUSANNE GLOGER Befreier oder Fürstenknecht? Luther-Gedenken im Wandel der Zeit Susanne Gloger ist Kunsthistorikerin und Referentin beim Förderkreis Alte Kirchen Berlin-Brandenburg e. V. A uf Luther ist das Wort Denkmal im Sinne von Er- innerungsstütze in der deut- schen Sprache zurückzuführen. Offen- bar war ihm über die Übersetzung der entsprechenden griechischen und la- teinischen Begriffe in der Bibel hinaus die Wichtigkeit des Andenkens und der Pflege des Erinnerns bewusst. Am 1. November 1527 – „zehn Jahre nach- dem die Ablässe vernichtet wurden, in Erinnerung daran trinken wir beide getröstet in dieser Stunde“ – feierte er das erste Jubiläum der Reformati- on mit einem Freund. Diesem privaten Umtrunk folgten unzählige große öf- fentliche Feiern zum Andenken an die Reformation, sogenannte Centenarfei- ern zum Tag des Thesenanschlags (31. Oktober 1517), anlässlich von Luthers Geburtstag (10. November 1483) oder seines Sterbedatums (18. Februar Lutherdarstellung am Kanzelkorb der Dorfkirche Löwenbruch (Teltow-Fläming); 1546). Foto: Bernd Janowski Frühzeitig wurden auch Stationen seines Lebens ausgezeichnet, insbe- sondere das Geburtshaus in Eisleben, In der St. Gertraudenkirche in Frank- Dem neuen Verständnis des Gottes- wo vermutlich bereits zu seinem 100. furt / Oder befindet sich ein Portrait dienstes wurde auch mit Verände- Geburtstag 1583 eine Holztafel mit Luthers aus der gleichen Zeit, das rungen in der Ausstattung Rechnung seinem Portrait angebracht wurde. ursprünglich aus dem dortigen Fran- getragen. Da Luther einen Bildersturm In den evangelischen Ländern ziskanerkloster stammt. Die Kloster- ablehnte, wurden Altäre und Heiligen- wurde mit der Darstellung Luthers der kirche wurde 1551 zur lutherischen bilder behalten, jedoch im Sinne der Übergang zur neuen Lehre bekräftigt umgewandelt, so dass man sich fra- Reformation umgestaltet oder bei- und damit die Abgrenzung zum alten gen kann, ob das Bildnis des Refor- seite gerückt. Die Wortverkündigung katholischen Glauben dokumentiert. mators dort zur Mahnung oder zum bekam nun ein besonderes Gewicht, In der Mark Brandenburg verdeutlicht Gedächtnis diente. Ein strenger Luther so dass die Kanzeln durch Platzierung dies beispielsweise das Konfessionsbild blickt in der St. Gotthardt-Kirche in und Ikonografie stärker betont wur- (2. Hälfte 16. Jh.) in der Kirchhainer Brandenburg (Havel) auf die Gemein- den. Die Darstellung der Evangelisten Marienkirche. Aus der Vogelperspekti- de: Das ganzfigurige Gemälde (Anfang am Kanzelkorb oder am Aufgang zur ve erblickt man Luther und Melanch- 17. Jh.) zeigt ihn kostbar gewandet Kanzel war üblich, nun konnte auch thon am Altar, wie sie dem Kurfürsten mit der Bibel in der Hand. In seiner der Übersetzer der Bibel diesen Ort und seiner Gemahlin das Abendmahl Standhaftigkeit verkörpert das Portrait illustrieren. Der 1719 in Löwenbruch in beiderlei Gestalt in Anwesenheit des den Typus vieler nachfolgender Dar- (Teltow-Fläming) gestiftete Kanzelal- Hofes reichen. stellungen Martin Luthers. tar zeigt im zentralen Feld des Kanzel- 6 Befreier oder Fürstenknecht?
korbs den jungen Luther im Talar zwi- schen genrehaften Darstellungen der Evangelisten. Blickt Luther hier von erhöhtem Standpunkt auf die Gemein- de, so steht er in Holzendorf (Ucker- mark) dem Pfarrer nahezu lebensgroß direkt vis-à-vis, wenn dieser die Tür öffnet, die sowohl zum Kanzelaufgang als auch zum Beichtstuhl (um 1600) führt. In Falkenhagen (Uckermark) wurde im 19. Jahrhundert ebenfalls ein ganzfiguriges Portrait Luthers an der Tür zum Kanzelaufgang (1720) hinzugefügt, wie auch in Frauenhorst Gedenkstein über dem Westportal der Stadtpfarrkirche St. Marien in Bad Belzig; (Elbe-Elster). Noch an der prächtigen Foto: Peter Bruno neubarocken Kanzel, die 1909 für die Klosterkirche Doberlug (Elbe-Elster) geschaffen wurde, ist der Aufgang Belzig, heute Bad Belzig, gehörte da- Auch in Deckengemälden wird die Erin- mit Skulpturen von Luther und Me- mals wie Wittenberg zu Sachsen; so nerung an Martin Luther wachgehalten, lanchthon geschmückt, während die war Luther mit der Kirchenvisitation z. B. in Kirchhain (Elbe-Elster) oder in Evangelisten die Felder des Kanzel- beauftragt und reiste im Januar 1530 Trebbus (Elbe-Elster), wo die Holztonne korbs besetzen. dorthin. Vermutlich logierte er in der mit Lutherrosen verziert ist. Die Dorfkirche in Lugau (Elbe- Burg Eisenhardt, wo auch die Visita- In Schlieben (Elbe-Elster), das Elster) erhielt 1712 einen opulenten tionskommission tagte. Dass er in der 1529 / 30 von Luther visitiert worden barocken Altar mit der Kreuzigung als Stadtkirche gepredigt hat, belegt ein ist, wurde erst 1934 eine Lutherfi- zentralem Bild. Auf dem Retabel kniet Gedenkstein an deren Westportal. gur über dem Portal aufgestellt. Kurz Luther zwischen Maria und Johannes Das Andenken Luthers wird in davor, 1927, entstand ein Portrait in unter dem Kreuz. Am Kreuzfuß liegt Herzberg (Elbe-Elster) besonders ge- der Paul-Gerhardt-Kirche in Lübben der Schädel Adams; unter der Figur pflegt, war in St. Marien doch be- (Spree-Neiße); 1934 wurde das Turm- Luthers findet sich sein Briefsiegel, reits 1522 der katholische Ritus ab- portal mit Köpfen von Wichern, Lu- die Lutherrose, die bald zum Symbol geschafft und das Augustinerkloster ther, Händel, Bach, Melanchthon und der evangelischen Kirche wurde. säkularisiert worden. 1533 visitierte Francke gestaltet. Die Orte, an denen Luther weilte, Luther den Ort persönlich und pochte Zum 400. Jubiläum der Reforma- waren bestrebt, dies zu dokumentie- auf die Einhaltung der Schulordnung, tion 1917 weihte der Zweigverein des ren. Beeindruckend lang ist das Rei- die, von Melanchthon ausgearbeitet, Evangelischen Bundes in Bad Lieben- sekalendarium des Reformators. Mär- schließlich 1555 umgesetzt wurde werda (Elbe-Elster) feierlich einen Por- kischen Boden jedoch betrat er auf und bereits 1559 die Einrichtung einer traitkopf Luthers an der Nikolaikirche seinen zahlreichen Visitationsreisen Jungfernschule ermöglichte. Heute ein. 1519 hatte er dort ein Streitge- nur im Bereich der heutigen Landkrei- erinnern eine Büste und der Name spräch mit dem päpstlichen Nuntius se Potsdam-Mittelmark und Elbe-Els- an den Begründer des Melanchthon- geführt und 1544, erneut in der Stadt, ter. So soll er am Brunnen von Dieters- Gymnasiums. Zwei Gemälde der beiden den ersten Superintendenten in das dorf (Potsdam-Mittelmark) gerastet Reformatoren aus der Cranach-Schule Amt eingeführt, wie die Gedenktafel und seinen Durst gelöscht haben; der bewahren in St. Marien die Erinne- vermeldet. Der Kopf ist eine Kopie des Ort hat seither einen Lutherbrunnen rung. Eine besondere Form des Ge- Lutherdenkmals in Worms (1868) von im Zentrum. In Treuenbrietzen habe er denkens stellt das Lutherportrait auf Ernst Rietschel, dem größten Reforma- unter einer Linde vor der Kirche gepre- dem 1921 vom Kreis Schweinitz auf- tionsdenkmal der Welt. digt, die noch heute als Lutherlinde gelegten Notgeld dar, zu dem Herzberg Das erste öffentliche Denkmal für zu bestaunen ist. damals gehörte. den Reformator überhaupt schuf 1821 Johann Gottfried Schadow mit einem Baldachin von Schinkel für Witten- berg, dem bald viele – zum Beispiel in Halle, Leipzig, Dresden, Magdeburg und Erfurt – folgten. Im 19. Jahrhun- dert wurden die Denkmale nicht vor- dringlich als Mahnung für das rechte Glaubensbekenntnis errichtet, sondern die monumentale Würdigung Martin Luthers reihte sich ein in die anderer herausragender Persönlichkeiten. In diese Kategorie gehört ebenfalls das Standbild Luthers vor der Marienkir- Lutherfigur auf dem Schalldeckel der Kanzel in der Dorfkirche Selbelang (Havelland); Foto: Bernd Janowski Befreier oder Fürstenknecht? 7
che in Prenzlau (Ucker- krieg feierte Deutschland Luther als mark). Der Besitzer der Vorbild in Sachen Gottvertrauen und Grünen Apotheke Karl Kampfesmut. Mit dem Erstarken der Friedrich August Witt, Nationalsozialisten und besonders ein großzügiger Mäzen, ab 1933 werden einerseits Analogien stiftete 1903 einen Nach- zwischen Luther und Hitler als „Ret- guss des Wormser Ent- ter des deutschen Volkes“ und Ver- wurfs von Ernst Rietschel. fechter eines „wahren Deutschtums“ Der Typus der Figu- gesehen, andererseits beruft sich die ren lehnt sich fast immer Bekennende Kirche auf die Einhaltung an die Darstellungen der christlichen Botschaft und stützt Cranachs an: Luther wird Notgeld der Stadt Herzberg 1921; Foto: sich dabei auf die Lehren des Refor- im Talar, meist mit der Bücherkammer Herzberg mators. Nach dem Ende des verhee- Bibel in der Hand dargestellt. Sein renden Krieges erklären Protestanten Stand ist fest, ebenso wie sein Blick, 1946 anlässlich des 400. Todestages der manches Mal nach Süden, nach oder gedruckte Lutherbilder, so in Fal- Luther zum „Tröster“ der Deutschen Rom gerichtet ist. kenhain und Kreblitz (Dahme-Spree). und verklären seinen Durchhaltewil- Die Jubiläen, die im Zusammen- Bemerkenswert ist hier ein Druck, den len. Nach der Teilung Deutschlands hang mit der Reformation oder Lu- laut Aufschrift eine Kossätin 1830 an- war Luther in der DDR zunächst als thers Person gefeiert wurden, verein- lässlich der Säkularfeier zur Einfüh- „Fürstenknecht“ und „Verräter der nahmten ihn und sein Wirken nach rung der Augsburger Konfession zum Bauern“ verpönt. Das monumentale Bedarf. War es 1617, ein Jahr vor Be- Andenken an ihren ein Jahr zuvor vielfigurige Lutherdenkmal vor der ginn des Dreißigjährigen Kriegs, der ja verstorbenen Sohn der Kirche stifte- Marienkirche in Berlin, das erst 1895 auch ein Glaubenskrieg war, offenbar te. Wie viele Menschen eine 1817 nach nach Entwürfen von Paul Otto errich- wichtig, sich von der katholischen Schinkelentwürfen aufgelegte Luther- tet worden war, wurde zerstört, nur Seite abzugrenzen, so ging es im 18. medaille zum privaten Andenken be- seine Statue blieb an einem weniger Jahrhundert darum, den religiösen saßen, lässt sich kaum ermitteln. exponierten Platz hinter der Kirche Standpunkt gegenüber dem Papst zu Das Wartburgfest 1817 machte Lu- erhalten. 1983 änderte sich das: Nun bekräftigen. Nach der Epoche der Auf- ther endgültig zum deutschen Natio- erkannte man sogar „frühbürgerlich klärung wurde Luther ab etwa 1800 als nalhelden. Zum 400. Geburtstag 1883 revolutionäre Züge“ in Person und humanistisches Vorbild gesehen, weil wurde er geradezu als Gründungsvater Wirken Luthers. In der Bundesrepub- er den Aberglauben bekämpfte. In der des Deutschen Reiches gefeiert, der lik feierte man das Jubiläum dezentral Schinkelkirche in Straupitz (Dahme- politisch und kulturell den Grundstein mit wissenschaftlichen Tagungen und Spree) befindet sich ein Portrait dieser gelegt habe. Neben vielen Lutherdenk- Ausstellungen. Zeit, während in Finsterwalde (Elbe- malen wurden damals Luthereichen Luthers theologischer Standpunkt Elster) Anfang des 18. Jahrhunderts gepflanzt: in Jüterbog (Elbe-Elster), basierte auf der Bibel als einzigem kri- auf eine bildliche Darstellung verzich- ebenso in Burg (Spree-Neiße) und tischem Maßstab, sola scriptura. Er tet wurde und die Emporenfelder der Züllsdorf (Elbe-Elster) sowie an vielen schrieb: „Die Beziehung zur Gegenwart Kirche mit Texten Luthers versehen anderen Orten. Eine verkleinerte Kopie trägt zum Verständnis des Textes au- wurden. des Dresdner Denkmals von Adolf von ßerordentlich viel bei. … Meine Pflicht Neben den prominent sichtbaren Donndorf (1888) befindet sich heute ist, auszusprechen, was ich an Unrecht Denkmalen oder Bildnissen gibt es in im Pfarrhaus von Bliesendorf (Pots- – auch bei Höheren – geschehen vielen Kirchen Brandenburgs gemalte dam-Mittelmark). Mitten im 1. Welt- sehe.“ Deckengemälde in der Stadtpfarrkirche St. Marien Kirchhain; Foto: Maria Deiters 8
RUTH SLENCZKA Reformation und Freiheit Luther und die Folgen für Preußen und Brandenburg Dr. Ruth Slenczka ist Historikerin und wissenschaftliche Kuratorin der Ausstellung „Reformation und Freiheit. Luther und die Folgen für Preußen und Brandenburg“ im Potsdamer Haus der Brandenburgisch- Preußischen Geschichte. Gemeiner Kasten der Stadtpfarrkirche St. Laurentius Havelberg, 1545; Foto: Antje Reichel, Prignitzmuseum Havelberg Eine Ausstellung des Hauses der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte im Rahmen des Themenjahres Kulturland Brandenburg 2017 „Wort und Wirkung. Luther und die Folgen für Brandenburg“ vom 8. September 2017 bis 21. Januar 2018 O ffiziell wird die Einführung der Reformation in der Mark Brandenburg mit der ersten evangelischen Abendmahlsfeier des Kurfürsten Joachim II. (1505 – 1571) und seines Hofadels verbunden, die am kurfürstlichen Burg in Grimnitz in der Schorfheide, wo sich Joachim II. mit seinem Hof wohl zur Jagd aufhielt. Eines Morgens überbrachte er seiner Ge- mahlin zwei Geschenke: Einen kleinen Hund, den er aus Magdeburg erhalten Geschichte handelt vom Eingreifen Gottes, sie ist voller Symbole und entspricht einem in dieser Zeit weit verbreiteten Muster. Wunderzeichen werden zum Orakel für das Schicksal der Feinde des Evangeliums im nah er- 1. November 1539 in der Stiftskirche hatte, der von kaiserlichen Truppen warteten Endgericht: Der Boden, der – in Berlin-Kölln oder in Spandau statt- belagerten Hochburg der protestanti- so wird noch ausdrücklich betont – an fand. Tatsächlich war der Prozess lang, schen Interimsgegner, und den er daher keiner Stelle „verstockt, verfault oder vielschichtig und höchst ambivalent. scherzhaft „Bürgermeister“ oder „Auf- schadhaft“ gewesen sei, tut sich auf Das Herrscherhaus blieb konfessionell rührer von Magdeburg“ nannte, sowie und verschlingt diejenigen, die sich gespalten: Hedwig, die Ehefrau Joach- zwei kostbare Marienbilder, eines aus der Reformation widersetzten. Hans ims und älteste Tochter des polnischen Gold, das andere aus Silber, die Joa- von Küstrin verurteilt mit seiner Ge- Königs Sigismund I., vollzog den Kon- chim dem Schatz des Berliner Dom- schichte seine Schwägerin und die kai- fessionswechsel nicht mit. Nur einer der stifts entnommen hatte. Der Kurfürst serfreundliche Politik seines Bruders, drei Bischöfe in der Mark unterstützte und seine Frau begannen, damit „ihre die ihn selbst – und mit ihm das ganze die Einführung der Reformation. Der Andacht zur Kurzweil“ zu treiben. Als Land – buchstäblich an den Rand des Kurfürst selbst war zwar ein Anhän- kurz darauf ein „alt Weib“, eine Hofda- Abgrunds führt. Mit dem Gleichnis der ger Luthers, vertrat jedoch im Unter- me Hedwigs, in den Saal trat, soll der Marienbilder, die für den alten Glauben schied zu den meisten protestantischen Fußboden unter ihren Füßen nachgege- stehen, prangert er die konfessionelle Reichsständen reichspolitisch einen ben haben, so dass beide Frauen samt Unentschiedenheit seines Bruders um kaiserfreundlichen Kurs. den Marienbildern in die darunterlie- seiner Ehefrau willen an. Außerdem Zeitgenossen sahen daher die gende Hofstube stürzten, nicht ohne geht er hart ins Gericht mit dem leicht- Reformation noch lange nach ihrer einen Beinbruch und andere schwere fertigen Spott des Kurfürsten über die Einführung in großer Gefahr; aller- Verletzungen davon zu tragen. Auch Magdeburger Protestanten, denen der orts kursierten religiös aufgeladene der Kurfürst drohte herabzustürzen, Hund als Symbol der Treue gilt. Geschichten über die unentschiedene seine Kammerherren und Diener konn- Die Potsdamer Ausstellung nimmt Haltung des Kurfürsten. Selbst Hans ten ihn jedoch retten. Der Hund blieb den langwierigen und in seiner Un- von Küstrin, der Bruder Joachims II., völlig unversehrt. eindeutigkeit schillernden Prozess der erzählt 1551 in einem Brief von einer Warum erzählt Hans von Küstrin Reformation in der Mark Brandenburg symbolträchtigen Begebenheit in der von einer solchen Begebenheit? Die näher in den Blick und fragt nach der Reformation und Freiheit 9
Glocke der Wallfahrtskirche zum Heiligen Blut, Bad Wilsnack (Prignitz), unbekannter Gießer 1471; Foto: Stiftung Stadtmuseum Berlin, Reproduktion: Michael Setzpfandt nachdem 1545 die landesherrliche Vi- sene „Lange Stück“, galt aufgrund sitationskommission, die für den Kur- ihrer Größe und ihres Wohlklangs als fürsten die Kirchenaufsicht wahrnahm, Weltwunder. Sie war nicht mit Heili- in die Stadt gekommen war. Erst sechs genbildern, sondern mit den Porträts Jahre nach der offiziellen Einführung des Kurfürstenpaars geschmückt, denn der Reformation in der Mark konnten Kirchenglocken waren im 16. Jahrhun- also die kirchlichen Verhältnisse in dert Herrschaftszeichen: Der Herr über der Stadt geregelt werden, denn die das Geläut war auch derjenige, der in Havelberger Kirche unterstand dem der Kirche das Sagen hatte. In Wilsnack Domkapitel von Havelberg, das den war das lange der Havelberger Bischof Konfessionswechsel 1539 nicht mit gewesen, der sich jedoch der Reforma- vollzogen hatte. Der Gemeine Kasten tion widersetzte. Nun aber war es der hatte daher auch einen wichtigen sym- Landesherr in Berlin, denn seit Einfüh- bolischen Wert, denn er stand für die rung der Reformation stand er an der kirchliche Emanzipation der Stadt vom Spitze der lutherischen Landeskirche Havelberger Bischof und machte sicht- Brandenburgs. bar, dass die Stadtkirche seit 1545 auch Ein eigenes Ausstellungskapitel ist in finanzieller Hinsicht unter kommu- den Folgen von Luthers Freiheitsidee naler Verwaltung stand. Die Einnahmen für Individuum und Gesellschaft ge- wurden nicht mehr abgeführt, sondern widmet. Für die nach wie vor aktu- blieben vor Ort. Rat und Gemeinde be- elle Frage, was Gewissensfreiheit be- stimmten, wofür sie verwendet wurden: deutet und wo sie ihre Grenzen hat, Lebenswirklichkeit der Menschen im Für Bauangelegenheiten und Gehälter, steht hier ein gusseiserner Kessel, 16. Jahrhundert. Sie stellt in verglei- vor allem aber für das nun entstehende dem eine besondere Geschichte zuge- chender Perspektive die Mark und das städtische Sozialfürsorgesystem. schrieben wird: Johannes Ellefeld, der Herzogtum Preußen gegenüber, das Evangelische Herrscher verstanden erste evangelische Pfarrer in der Wall- erste evangelische Territorium Europas, reformatorische Freiheit auf ihre Weise: fahrtskirche in Wilsnack, soll darin das das 1618 durch Erbfall an Kurbranden- Davon erzählt die Wilsnacker Glocke berühmte und verehrte „Wunderblut“ burg fiel. Obwohl die Reformation in aus dem Jahr 1471. Die Ausstellung verbrannt haben, drei Abendmahls- den beiden Territorien sehr verschie- wird nur eine Replik zeigen; das Origi- hostien, rot gefärbt von Blutstropfen den, ja in Vielem geradezu gegensätz- nal steht heute im Märkischen Museum Christi – so der alte Glaube. Der Kessel lich verlief, stand das Freiheitsthema in Berlin, kann aber nicht entliehen steht einerseits für die Befreiung der gleichermaßen im Zentrum von Kirche, werden, da es nicht durch die Türen Kirche vom mittelalterlichen Reliqui- Gesellschaft und Politik. Dabei war es passt. Dafür wird man aber in der Pots- enkult, andererseits führt er auch zu untrennbar mit den religiösen Anliegen damer Ausstellung den Klang der Glo- der Frage nach den Grenzen einer sol- Luthers verwoben. Die Exponate der cke hören können – Spezialisten haben chen Befreiung. Denn die Zerstörung Potsdamer Schau erzählen Geschichten ihn rekonstruiert. Die über 3,5 Tonnen religiöser Objekte, die mit dem eige- von den Sehnsüchten, Schicksalen und schwere Wilsnacker Glocke stammt aus nen Glauben nicht vereinbar sind, für Fragen, die die Menschen in Preußen dem mittelalterlichen Pilgerzentrum andere aber elementaren Wert haben, und Brandenburg mit Reformation und im Nordwesten der Mark Brandenburg. ist eine feindselige Demütigung und Freiheit verbanden. Im Jahr 1552 ließ Kurfürst Joachim II. ein Akt der Intoleranz gegenüber den Eine Auswahl von Exponaten der sie im Zuge des Ausbaus seines landes- religiösen Freiheitsrechten anderer Ausstellung gibt einen Einblick in den herrlichen Kirchenregiments von Wils- Menschen. Reichtum reformatorischer Zeugnisse nack nach Berlin transportieren, um Die Ausstellung entsteht in enger aus der Mark Brandenburg. Viele stam- sie dem Geläut seiner Berliner Stiftskir- deutsch-polnischer Partnerschaft und men aus Kirchen, denn für die Kirchen- che einzuverleiben, dem größten und Zusammenarbeit. Sie kann deshalb gemeinden bedeutete reformatorische klangschönsten des ganzen Landes. exklusiv Teile der kostbaren Silberbi- Freiheit zunächst die Befreiung vom Zusammen mit der mittelalterlichen bliothek Herzog Albrechts von Preu- Allmachtsanspruch des Papstes und sei- Pilgerglocke repräsentierte das Geläut ßen (1490 – 1568) zeigen – reformato- ner Bischöfe. In Folge der Reformation nun das landesherrliche Kirchenregi- rische Hauptwerke, die der Herzog mit nahmen die Gemeinden die Kirchenor- ment. Für die sechs Glocken und vier außerordentlich wertvollen silbernen ganisation selbst in die Hand. In der Schellen hatte Joachim II. sogar einen Einbänden versehen ließ und so zum Potsdamer Ausstellung lässt sich erkun- eigenen Turm zwischen dem Dom und Staatsschatz der evangelischen Lan- den, welche Wege dabei eingeschlagen seiner Residenz errichten lassen. Die desherrschaft erhob. Aber das ist eine wurden: Der sogenannte Gemeine Kas- größte Glocke, das zusätzlich gegos- weitere Geschichte … ten aus Havelberg war die Geldkiste der dortigen Kirchengemeinde, in der man nach Einführung der Reformation allen Gusseiserner Kessel, wohl 16. Jh., kirchlichen Besitz zusammenführte Wunderblutkirche Bad Wilsnack. Vermutlich und in den Gottesdienstbesucher ihre verbrannte Joachim Ellefeld am Spenden warfen. Der Kasten wurde im 28. Mai 1552 in diesem Kessel die Eingangsbereich der Kirche installiert, Wunderhostien; Foto: Hartmut Kühne 10 Reformation und Freiheit
Vergessene Kunstwerke brauchen Hilfe Spendenaktion zur Restaurierung eines Epitaphgemäldes in der Dorfkirche Blankensee (Teltow-Fläming) I m Rahmen unserer alljährlichen Spendenaktion „Ver- gessene Kunstwerke“ bitten wir Sie herzlich um Un- terstützung für die Restaurierung eines wertvollen Epitaphgemäldes aus Blankensee. Die Blankenseer Dorfkir- che bewahrt in ihrem Inneren eine Reihe bemerkenswerter historischer Ausstattungsgegenstände, die zumeist aus dem 18. Jahrhundert stammen Zu bewundern sind hier jedoch auch ältere, zum Teil außergewöhnliche Stücke, wie ein marmorner Taufstein aus dem 11. Jahrhundert sowie der Figurengrabstein und das Epitaphgemälde für Anna von Thümen, geborene von Schlabrendorf. Letzteres ist wegen seines heilsgeschichtlichen Bildinhaltes und der Qualität seiner Ausführung von besonderer Bedeutung. Zu den theologischen Grunderfahrungen Martin Luthers und der Reformation gehört, dass der Mensch aus seinen Ängsten und Nöten nicht durch gute Werke, sondern allein durch den Glauben erlöst werden kann. Ein Gedächtnisbild für die 1567 im Kindbett verstorbene Ehefrau des Kirchenpatrons Kuno von Thümen verbildlicht dies besonders eindrücklich. Zu sehen ist eine Version des vielleicht wirkungsreichsten evangelischen Programmbilds der Reformation „Gesetz und Gnade“: Ein Baum mit einer entlaubten und einer grünen Seite teilt das Bild in zwei Hälften. Am Fuß seines Stammes hockt ein nackter Mensch. Mit seinem Körper und seinem Blick scheint er der linken Bildhälfte verhaftet. Dort ist im Hintergrund die Szene des Sündenfalls dargestellt. Vor ihr steht Moses und deutet auf die Gesetzestafeln. Kein Mensch kann die dort aufgelisteten erfährt auf dem Gedächtnisbild eine grundstürzende Um- zehn Gebote einhalten. Den nackten Sünder am Baum bringt deutung; er wird geradezu in sein Gegenteil verkehrt: Statt diese Erkenntnis zur Verzweiflung. Ihm zur Seite stehen ein vom Leben zum Tod führt er die Frau vom Tod zum Leben. alter und ein junger Mann, Propheten des alten und des neuen Der Baum zeigt es deutlich an: Seine kahlen Äste stehen für Testaments. Sie weisen mit großer Geste auf das in der rechten die Unausweichlichkeit des Todes, für die Ängste, Schmerzen Bildhälfte aufragende Kreuz hin und versuchen, den Körper und Qualen des Kindbetts der Verstorbenen. Die grüne Hälfte des Nackten von den Gebotetafeln ab- und dem gekreuzigten steht hingegen für das ewige Leben. Erlöser Christus zuzuwenden. Lange Zeit wenig beachtet, haben sich im Laufe der Zeit Eine Besonderheit der Bildkomposition liegt darin, dass erhebliche Schäden an dem Gemälde eingestellt: so haben die die zentrale Figur des nackten Sünders – anders als auf sich die Fugen der aus drei Einzelbrettern zusammengesetz- nahezu allen anderen Darstellungen derselben Ikonografie ten Holztafel gelöst und klaffen teilweise weit auseinan- – als Frau dargestellt ist. Auch wenn sie sicherlich nicht der; in einigen Bereichen deuten die nur wenige Millimeter nach einem lebenden Modell gemalt wurde und die weibli- großen sogenannten Ausflugslöcher auf das zerstörerische chen Körpermerkmale eher zurückhaltend und unbeholfen Werk des Holzwurms. Auch die Malschicht des Bildes weist wiedergegeben sind, wirkt sie deutlich feminin. Warum eine zum Teil erhebliche Schädigungen auf und löst sich vom Frau? Als Erinnerung an die im Kindbett verstorbene Anna Untergrund ab, was zum Verlust der Malerei führen könnte. von Thümen? In dem hinter ihr Knienden hat der Maler ver- Dazu kommen die weniger gravierenden, aber die Betrach- mutlich den trauernden Ehemann porträtiert, der im Gebet tung des Bildes doch stark störenden Veränderungen, wie die zum Gekreuzigten Trost sucht. Der Sterbeprozess seiner Frau Verbräunung und Eintrübung der Gemäldeoberfläche und die Verfärbungen früherer farblicher Ausbesserungen, die jetzt als unschöne Flecken das Bild entstellen. Das Epitaphgemälde für Anna von Thümen soll ab Sep- Wir bitten Sie herzlich um Ihre Unterstützung! tember 2017 in der großen Reformations-Ausstellung des Hauses für Brandenburgisch-Preußische Geschichte (HBPG) Ihre Spende: in Potsdam gezeigt werden. Im Zusammenhang damit ist Förderkreis Alte Kirchen Berlin-Brandenburg e. V. eine gründliche Konservierung und Restaurierung dieses IBAN DE94 5206 0410 0003 9113 90 wertvollen Kunstwerkes notwendig! BIC GENODEF1EK1 (Ev. Bank) Kennwort: Blankensee Für Ihre Unterstützung sind wir Ihnen sehr dankbar! Vergessene Kunstwerke brauchen Hilfe 11
EVA GONDA Hammerschläge zum Gedenken Ein Nagelschild in Sacro erinnert an die Reformation Eva Gonda, Journalistin, ist Redakteurin von „Alte Kirchen“, dem Mitteilungsblatt des Förderkreises Alte Kirchen Berlin- Brandenburg e. V. D ie Kirche im kleinen Dorf Sacro (Spree-Neiße), einem Ortsteil von Forst an der Lausitzer Neiße, birgt ein Stück Erin- nerung an die Reformation, das vom Tourismus bisher nicht entdeckt wurde. Es macht äußerlich nicht viel von sich her, trägt manche Altersnarben zur Schau, darf sich aber seiner Seltenheit rühmen. Es ist ein „Reformations- und Kriegsgedenkschild“, eine so genannte Kriegsnagelung mit der Besonderheit, nicht einer Kriegseuphorie zu frönen, sondern das 400. Jubiläum der Refor- mation im Jahr 1917 zu würdigen. Kriegsnagelungen waren zu Beginn des Ersten Weltkriegs sehr populär. Sie wurden werbewirksam in der Öffent- lichkeit inszeniert, wo jedermann vor großem Publikum per Hammerschlag patriotische Gesinnung und Kriegsen- thusiasmus beweisen konnte. Martia- lische Sprüche ließen keinen Zweifel daran aufkommen, dass die mit In- brunst geführten Schläge dem Feind galten: „Damit wir zerschmettern mit wuchtigem Streich / die Feinde rings- um. Für Kaiser und Reich.“ Die Nägel dafür gab es gegen eine Spende, ein Mindestpreis war vorgegeben. Die Er- löse solcher Aktionen sollten der Un- terstützung von Kriegsopfern, Witwen und Waisen oder Verwundeten zugute Historische Postkarte; Sammlung Frank Henschel kommen – eine neue spektakuläre Form der Geldbeschaffung. Ansteck- nadeln, Postkarten, bunte Bilder und naten und Kanonen, später sogar U- burg in vielfältiger Ausführung. Selbst Urkunden bescheinigten dem Spender Boote. Auch an mancher Kirchentür Erzengel und Heilige waren nicht die patriotische Tat. entdecken wir heute noch Zeugnisse davor gefeit, mit Eisennägeln gespickt Genagelt wurde auf hölzerner Un- dieser Kriegsnagelungen. Besonders zu werden. Eine Symbiose besonderer terlage. Vorgebohrte Löcher markier- attraktiv aber waren Holzskulpturen, Art: der zweieinhalb Meter große Hei- ten die Kriegswahrzeichen, die auf Na- vielfach von namhaften Künstlern ge- lige Mauritius in Jüterbog mit den gelbildern dargestellt werden sollten: schaffen. Da gab´s Rolandfiguren und Gesichtszügen Hindenburgs. Text auf neben dem Eisernen Kreuz als häu- Ritter in voller Rüstung, Siegfried und dem Sockel: Gott mit uns. figstem Motiv das deutsche Schwert, Karl den Großen, an erster Stelle aber Die meisten dieser Nagelungs- Wehrmänner, Adler, Soldaten, Gra- Generalfeldmarschall Paul von Hinden- objekte sind inzwischen sang- und 12 Hammerschläge zum Gedenken
klanglos verschwunden, vermoderten in Abstellkammern oder wurden im harten Kriegswinter 1944 / 45 zersägt und verbrannt. Der Nagelschild von Sacro blieb erhalten, weil man in dem kleinen Dorf die eigene Geschichte lebendig hält. Pfarrer Bodo Trummer hatte ihn eines Tages wohlverwahrt im Keller des Gemeindehauses entdeckt und weiterhin sorgfältig gehütet. Ihm zur Seite steht dabei Reinhard Natusch, Sacroer „Urgestein“ – der Familienname lässt sich im Familien- buch der Kirchengemeinde schon im 16. Jahrhundert finden. Er richtete auf seinem Hof ein Heimatmuseum Gemeindeblatt der Kirchengemeinde Sakro, Dezember 1917; Archiv der Kirchengemeinde ein und sammelt alles, was aus alten Tagen zu finden ist. Ja, wie war das nun vor hundert „Am 11.11. wurde nach dem Gottes- den Schöffen, die Lehrer, die Vorstän- Jahren, als der Sacroer Nagelschild dienste auf dem Sakroer Kirchplatze de folgender Vereine: Frauenhülfen entstand? Wir blättern gemeinsam in am Kriegerdenkmale die Nagelung Sakro, Naundorf, Bohrau; Kriegerver- den gesammelten Gemeindeblättern des Reformations- und Kriegsgedenk- eine Sakro, Naundorf, Bohrau; Feuer- des Kirchspiels Sakro (das sich damals schildes begonnen. Die ersten Nägel wehren Sakro, Jähnsdorf, Naundorf; noch mit „k“ schrieb). In der Ausgabe schlugen ein: Pfarrer und Gemeinde- Gesangverein Bohrau, Raiffeisen- vom Dezember 1917 werden wir fün- Kirchenrat, der Amtsvorsteher und verein, Gewerbeverein, Jugendwehr, dig. Da berichtet Pfarrer Werner Groß: die Guts- und Gemeindevorsteher mit Jungfrauenverein. Die meisten spra- chen dabei einen sinnreichen Denk- spruch. Auch wurden die Teilnehmer Anzeige photographiert. Danach nagelten noch zahlreiche Gemeindeglieder. […] Auch mehrere Soldaten ließen vertretungs- weise für sich nageln und bekamen jeder eine Ansichtskarte des Gedenk- schildes übersandt. Es ist aber noch viel Platz frei!“ Im Herbst 1917 klingt nichts mehr Treten Sie ein! Jedes Pfarramt ist eine Kircheneintrittsstelle nach dem Hurra-Patriotismus der ers- ten Kriegsmonate. Die vielen Todes- anzeigen Gefallener im Gemeindeblatt sprechen eine andere Sprache. Mit geschönten Frontberichten lässt sich Siegeszuversicht nicht mehr beschwö- ren. Das vierte Kriegsjahr hat begon- nen. Hinter den Menschen liegt gera- de der grausame „Steckrübenwinter“ 1916 / 17 mit Hunger und Kälte. Der Krieg zeigt nun auch im Heimatland seine furchtbaren Seiten, man will nichts mehr hören vom Säbelrasseln und sehnt sich nach verlässlichem Frieden. Auch der Sacroer „Reformations- und Kriegsgedenkschild“ zeigt ein Schwert – es war von jeher Symbol für heldenhaften wie blutigen Kampf. Aber über dem Schwert liegt die Bibel, hält die Waffe gewissermaßen in Bann. Das genagelte Monogramm „ML“ auf dem Buchrücken weist sie als Luther- bibel aus. Die Jahreszahl 1917 und das Datum 31. Okt. stehen für den 400. Infotelefon 030 · 24 344 121 Jahrestag der Reformation. Die Nägel www.willkommen-in-der-kirche.de sind inzwischen rostig, die Farbe auf dem Holz ist teilweise abgeblättert. www.ekbo.de Auf der Rückseite kleben die Reste einer Art Lieferschein der Firma Glas- Hammerschläge zum Gedenken 13
Reinhard Natusch (links) und Pfarrer Bodo Trummer mit dem Sacroer Nagelschild; Foto: Eva Gonda macher: 249 große schwarze Nägel, unter Denkmalschutz stehendes Got- dehaus neben der Kirche, Tourenpläne 845 kleine schwarze Nägel, 454 große teshaus ist heute auch Kulturkirche, und Sehenswürdigkeiten der Region… Gold-Nägel, 1107 kleine Gold-Nä- lädt zu Gottesdiensten und Andachten In Sacro ist man offen im Umgang gel, 212 schwarze Rundkopf-Nägel, ebenso ein wie zu vielfältigen Kultur- mit der Vergangenheit und offen für 22 Rundkopf-Gold-Nägel. Wir haben veranstaltungen, zu Konzerten und die Gegenwart. Und das nicht nur im die verwendeten Nägel auf dem Schild Sommertheater-Aufführungen. Und übertragenen Sinne: Zwei der Dorfkir- nicht gezählt. Es ist möglich, dass er wer als Radler auf den ausgewiesenen chen, die Pfarrer Trummer in Forst- nie vollendet wurde. Eine alte Post- Radwanderwegen daher kommt, fin- Nord betreut – Sacro und Eulo – öff- karte aus der Sammlung Frank Hen- det in Sacro einen Ort der Ruhe und nen von April bis Oktober täglich von schel in Forst erinnert – wenn auch Besinnung, aber auch ganz praktische 8 bis 18 Uhr ihre Türen. Für die ande- mit leicht verändertem Motiv – an den Tipps unter den Auslagen in der Kir- ren drei in Naundorf, Mulknitz und festlichen Akt vor hundert Jahren. che: die nächste Fahrradwerkstatt, Horno verwalten die Kirchenältesten Auf jeden Fall – so vermeldet eine Übernachtungsmöglichkeiten, übri- die Schlüssel und empfangen gern Be- spätere Ausgabe des Gemeindeblatts gens auch im evangelischen Gemein- sucher. – wurde der Gedenkschild Anfang Ja- nuar 1919 in der Kirche aufgehängt. Anlass war ein feierlicher Gottesdienst zur Begrüßung heimgekehrter Solda- ten. „Die Kirche war reich mit Fich- tengrün ausgeschmückt und so voll, wie sie wohl kaum jemals gewesen ist, was auch die Kollekte (für die arbeitslos gewordenen Kriegsteilneh- mer) auswies: 34,15 M!, was bisher als Kirchenkollekte wohl noch nicht erreicht worden ist. Die Predigt über Psalm 107, 29-32 suchte den Heimge- kehrten ans Herz zu legen: Gott hat dich bewahrt vor vielen andern, nicht weil du es mehr verdienet hättest als die Gefallenen, sondern damit du fort- an Gott dienest! Darum vergiß nicht, was er dir Gutes getan, und gedenke an deine Gelübde.“ Jetzt, hundert Jahre später, ist der Gedenkschild erstmals wieder in der Sacroer Dorfkirche zu sehen als Haupt- anziehungspunkt in einer Ausstellung zum 500. Jubiläum der Reformation. Ein Besuch dort lohnt sich übrigens Kriegsnagelung (Eisernes Kreuz) am Portal der Kirche St. Marien auf dem Berge in nicht nur in diesen Tagen. Sacros Boitzenburg (Uckermark); Foto: Martin Zobel 14 Hammerschläge zum Gedenken
EIN GESPRÄCH MIT ALBRECHT HENKYS „Verehrt, verklärt, verkehrt“ Merk- und Denkwürdigkeiten aus fünf Jahrzehnten Luther-Verehrung in der Berliner Nikolaikirche Als Mitarbeiter des Stadt- museums Berlin ist Albrecht Henkys Kurator der Berliner Nikolaikirche und hat auch die Sonderausstellung „Sankt Luther“ kuratiert. Mit Ausstellungen und einem Kon- zertzyklus in der Nikolaikirche wird sich auch das Stadtmuseum Berlin am Reformationsjubiläum beteiligen. Was erwartet den Besucher? In der Tat ist es ein Bündel von gleich drei Angeboten, die die Besucherin- nen und Besucher des Museums Ni- kolaikirche ab dem 31. März 2017 erwarten: Eine Sonderausstellung in der Sakristei, die Erschließung der nachreformatorischen Bildwerke im Kirchenraum sowie ein Konzertzyk- lus. Bei aller Unterschiedlichkeit sind alle drei Komponenten des Programms jedoch thematisch eng miteinander verbunden: Immer geht es um Über- schneidungen, aber auch um Wider- sprüche und Ambivalenzen zwischen „neuer Lehre“ und traditionell geüb- ter Praxis, mit denen „die Reforma- tion“ verbunden gewesen ist. Diese heute so vereinfachend Reformation genannte Umwälzung erstreckte sich jedoch über eine ganze Epoche und schloss das Nachwirken von Elemen- ten traditioneller Volksfrömmigkeit und die Adaption katholischer Mu- siktraditionen für den neuen Gottes- dienst oder der Kirchenausstattung Sankt Luther – Reformator zwischen Inszenierung und Marketing; Museum Nikolaikirche mit ein. Dies alles wird an authen- tischen Beispielen vorgeführt. Dabei steht das Gesamtprojekt im Verbund ken schon früh die Bezeichnung Vergleich mit der historischen bild- mit dem Kulturland-Brandenburg- „Pantheon der Berliner Geschlechter“ künstlerischen Ausstattung der Ber- Themenjahr und wurde von dort auch erhalten. Seit dem ausgehenden 16. liner Nikolaikirche stand. Daher ist gefördert. Jahrhundert ließen sich hier Bürger diese ein herausgehobener Bestand- und Hofbeamte kunstvolle Erbbegräb- teil unseres Projekts: Ein selbstfüh- Ist die Reformationsepoche auch an nisse einrichten und beauftragten render Sonderrundgang durch den der Ausstattung der Nikolaikirche ab- dafür zumeist die Hofkünstler der Kirchenraum entlang einer Auswahl zulesen? Brandenburgischen Residenz. Gerade dieser programmatisch lutherischen Ja, und zwar in einer ganz besonderen für die Zeit des 16. und 17. Jahrhun- Bildwerke wird auch durch zeitweilig Weise. Nicht zufällig hat die Berliner derts halten neben der Marienkirche zurückgekehrte Werke des ehemali- Nikolaikirche aufgrund ihrer reichen in Frankfurt / Oder nur wenige andere gen Bestandes der Nikolaikirche er- Ausstattung an Memorialkunstwer- Kirchen in der Mark qualitativ dem gänzt, die heute ihren Standort in der „Verehrt, verklärt, verkehrt“ 15
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