Liebe Freunde der brandenburgischen Kirchenbauten, liebe Leser, sehr geehrte Damen und Herren, Förderkreis Alte Kirchen Berlin-Brandenburg eV

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Liebe Freunde der brandenburgischen Kirchenbauten, liebe Leser, sehr geehrte Damen und Herren, Förderkreis Alte Kirchen Berlin-Brandenburg eV
Evangelische Pfarrkirche
                                                                      Zum Heiligen Kreuz in Neuzelle (LOS),
                                                                      ehemalige „Leutekirche“ des Klosters;
                                                                      Foto: Wolfram Friedrich

    Geleitwort

    Liebe Freunde der brandenburgischen Kirchenbauten,
    liebe Leser, sehr geehrte Damen und Herren,

    seit zehn Jahren luthert es gewaltig in Deutschland. Die Erinnerung an den historisch nicht einmal ver-
    bürgten Thesenanschlag am Portal der Wittenberger Schlosskirche wurde gleich mit einer ganzen „Refor-
    mationsdekade“ eingeläutet, bevor sie in diesem Jahr ihren Höhepunkt erreichen wird. Auch wir kommen
    in unserer vorliegenden Jahresbroschüre an diesem Thema nicht vorbei.
        Vielleicht wundern Sie sich, auf dem Titelblatt der „Offenen Kirchen“ im Lutherjahr die katholische
    Klosterkirche von Neuzelle zu finden? Aber auch dieses „Barockwunder“ inmitten von Kiefernwäldern und
    märkischem Sand verdankt ihren Ursprung der Reformation; genauer gesagt ist es ein bewusst gesetztes
    Zeichen der Gegenreformation. Als letzte verbliebene altgläubige Insel verkörperte der imposante Bau
    im Stil des süddeutschen und italienischen Barock den Machtwillen und den Repräsentationsanspruch
    der katholischen Kirche in einer protestantisch gewordenen Region. Die lutherische Variante der archi-
    tektonischen Selbstdarstellung – „Ein feste Burg ist unser Gott“ – finden Sie im Foto auf dem Rücktitel.
    Selbstverständlich ist diese Gegenüberstellung nicht ohne Ironie zu betrachten…
        Auch in diesem Jahr möchten wir Sie mit unserem Heft herzlich zum Besuch der zahlreichen wunder-
    schönen Kirchengebäude unseres Landes einladen – auch abseits von Lutherpfaden und Reformations-
    ausstellungen. Die Reformation in der Mark Brandenburg verlief weitestgehend ohne bilderstürmerische
    Tendenzen wie in anderen Teilen Deutschlands. Und so gibt es in unseren evangelischen Dorfkirchen noch
    so manche katholische Heiligenfigur und so manchen vorreformatorischen Altaraufsatz zu entdecken.
    Daneben finden sich typisch protestantisch Kanzelaltäre oder, seltsamerweise ebenfalls nur in protestan-
    tischen Kirchen schwebende, Taufengel. Gerade diese Vielfalt der überlieferten Ausstattung macht die
    Entdeckungsreisen zu den sakralen Denkmalen so überaus interessant.
        Betrachten Sie bei ihren Besuchen jedoch – trotz all ihrer Geschichtsträchtigkeit – die Kirchengebäude
    nicht nur als Museen oder als Erinnerungsorte an die „gute alte Zeit“, die es im Übrigen so vermutlich
    nie gegeben hat. In den allermeisten Fällen sind sie noch heute lebendige Mittelpunkte ihrer wenn auch
    manchmal nur kleinen Gemeinden. Und neben den Gottesdiensten, die in manchen Regionen nur noch alle
    vier oder sechs Wochen stattfinden können, laden immer mehr Dorfkirchen zu Konzerten, Ausstellungen
    oder anderen Veranstaltungen ein. Mancherorts sind sie fast die einzigen verblieben Kulturträger. Gehen
    Sie auf Entdeckungsreise! Inzwischen sind es über 1.000 Kirchen, die im Adressteil dieser Broschüre
    verzeichnet sind und auf Ihren Besuch warten!
        Der Förderkreis Alte Kirchen Berlin-Brandenburg e. V. sieht seine wichtigste Aufgabe darin, die bauliche
    Instandsetzung und Erhaltung der Kirchengebäude, die Bewahrung und Restaurierung der historischen Aus-
    stattungen sowie die angemessene Nutzung zu fördern und zu unterstützen. Helfen Sie uns dabei, indem
    Sie den brandenburgischen Kirchen Ihre Aufmerksamkeit und, wenn möglich, auch Ihre Hilfe schenken!
        In einem seiner Gedichte schrieb der Lyriker Reiner Kunze: „Damit die Erde hafte am Himmel, schlu-
    gen die Menschen Kirchtürme in ihn…“ Bei der Lektüre dieses Heftes und bei Ihren Ausflügen und
    Wanderungen durch die Mark Brandenburg wünschen wir Ihnen spannende Entdeckungen und anregende
    Begegnungen!

    Die Redaktion

2     Geleitwort
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Kirche im Umbruch
   Ein Gespräch mit Christian Stäblein

        Christian Stäblein ist Propst der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO).

Konfirmationsfeier in der Dorfkirche Brodowin (Barnim); Foto: Bernd Janowski

D         ie Reformation vor 500 Jah-
          ren, deren Jubiläum wir in
          diesem Jahr begehen, war
nicht nur ein religiöser Umbruch, in
dem die Einheit der christlichen Kir-
che zerbrach. Mit Martin Luther und
                                                decken. „Die Reformation war ein Um-
                                                und Aufbruch, und in diesem Begriff
                                                ist ja das Wort Bruch enthalten. Auch
                                                wir leben in einer Zeit des Umbruchs,
                                                in der sich vieles ändert. In der Refor-
                                                mation war es der Buchdruck, der die
                                                                                           ther-Bücher auf den Markt. Doch wird
                                                                                           es über die Zelebration des Jubiläums
                                                                                           hinaus geistige oder gar geistliche An-
                                                                                           stöße für die Kirche geben? Der Propst
                                                                                           ist kein Pessimist, er glaubt, dass die
                                                                                           500-Jahr-Feier helfen kann, neuen
der Erfindung des Buchdrucks gab es             Schriftkultur veränderte, nun haben        Schwung in die Verkündung des Evan-
zugleich einen Kulturbruch, entstand            wir wieder einen medialen Umbruch,         geliums zu bringen, wie es auch in der
eine Welt beschleunigten Wandels, der           stecken mittendrin in einer digitalen      Reformation geschah. „Es kommt da-
über die Renaissance und die Aufklä-            Revolution, bei der wir überhaupt          rauf an, das Evangelium auch in der
rung in die heutige Moderne führte.             nicht absehen können, wo wir in 20         jetzt anbrechenden Medienkultur zu
Erleben wir heute womöglich auch                oder 50 Jahren wirklich sein werden.“      positionieren. Wir sollten uns darin
eine Art Kulturbruch, eine säkulare             Ein Indiz für den Umbruch sei zum          üben, Gottes Wort auf eine neue Art
Zeitenwende, in der aus ehemaligen              Beispiel die kontroverse Debatte dar-      zu verkünden, neue Wege zu suchen.“
Volkskirchen Minderheiten-Konfes-               über, wie sehr auch die Kirche sich mit    Gleichwohl müsse das vor allem in
sionen werden? Christian Stäblein,              dem „Godspot“ für Smartphone-Nutzer        den Gotteshäusern geschehen, denn
der Propst der Evangelischen Kirche             öffnen sollte.                             diese seien ein Symbol für das, was
Berlin-Brandenburg-schlesische Ober-                 Zum Reformationsjubiläum wird es      die Kirche verkünde. „Die evangelische
lausitz (EKBO), empfindet solch einen           in Wittenberg diverse Veranstaltungen      Kirche lebt auch aus der Erneuerung,
historischen Vergleich als nicht völlig         und in Berlin einen Kirchentag geben.      ohne Um- und Aufbruch gibt es keine
abwegig, kann gewisse Parallelen ent-           Zudem kamen und kommen etliche Lu-         wirkliche Erneuerung.“

                                                                                                             Kirche im Umbruch   3
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Kulturfeste im Land Brandenburg
                                                                                                                  Im Gegensatz zur Reformationsepoche        kommen“, sagt der Propst, „sondern
                                                                                                                  geht es nun um den Aufbruch einer          schon früher die Familien besuchen.

                                                                         Capella de la Torre, Photo: Heyde
                                                                                                                  schrumpfenden Kirche. Weckt das nicht      Sie sollten auch zu den Jugendlichen
                                                                                                                  Ängste, muss man sich nicht Sorgen         hingehen, die in der Kirche vielleicht
                                                                                                                  machen um die Konfession? Der „Chef-       mit einem frei zugänglichen Netz sur-
                                                                                                                  Theologe“ des Konsistoriums beteuert,      fen.“ Eine Kirche im Aufbruch könne
                                                                                                                  ihn plagten keine Ängste. „Wir müs-        nur dann erfolgreich sein, wenn sie
                                                                                                                  sen uns zwar sehr ernsthaft Gedanken       nicht so sehr an ihre organisatori-
                                                                                                                  machen über die Zukunft, sollten aber      schen Strukturen denkt, sondern die
                                                                                                                  nicht gebannt nur auf Zahlen starren.      Menschen vor Ort anspricht. Da braucht
                                                                                                                  Geistig wachsen und geistig Kirche sein    es Räume, in denen man etwas auspro-
                                                                                                                  bedeutet nicht, bloß in quantitativen      biert, Projekte entwickelt.
Konzerte zum Reformationsjubiläum                                                                                 Kategorien zu denken. Wir sollten das          Wie soll das aber in den jetzt schon
Der Reformator Martin Luther setzte selten einen Fuß ins                                                          Evangelium nach außen tragen und da-       dünnbesiedelten und weiter schrump-
heutige Brandenburg, doch geschahen hier reformations-                                                            rauf vertrauen, dass daraus ein inneres    fenden Regionen Brandenburgs funkti-
geschichtlich bedeutsame Ereignisse, etwa die Ablasspre-
digten Johann Tetzels in Jüterbog, die als ein Anlass für die                                                     und irgendwann auch vielleicht ein äu-     onieren, wo ein Pfarrer mehr als zehn
Veröffentlichung der «Thesen» Luthers 1517 betrachtet                                                              ßeres Wachstum entsteht. Gleichwohl        Kirchen zu betreuen hat? „Es gibt dafür
werden, und die Schlacht vor Mühlberg. Bald hatte die                                                             können wir die Zahlen nicht einfach        keinen Meta-Plan“, sagt Stäblein, „kein
Reformation dramatische Folgen für Brandenburg,                                                                   wegschieben, wir müssen auch rechnen       Patentrezept für alle Gemeinden. Auch
Klöster wurden aufgelöst, der Dreißigjährige Krieg wütete                                                         können.“                                   da müssen wir vor Ort auf die Men-
hundert Jahre später in der Mark besonders heftig.
                                                                                                                      Bei allem haushälterischen Kal-        schen hören, und wir sollten mit den
Martin Luther nannte die Musik «aller bewegung des                                                                kül, so Stäblein, sollte stets auch ein    Schätzen wuchern, die wir haben. Dazu
Menschlichen hertzen ein Regiererin, ir mechtig und                                                               Aufbruch, eine missionarische Kirche       gehört als erstes der Gottesdienst, oft
gewaltig ist».                                                                                                    spürbar sein. „Doch Mission funktio-       auch die Andacht, die kleine Form. Es
Die Kulturfeste im Land Brandenburg präsentieren eine                                                             niert nicht mit der simplen Methode,       ist doch stets möglich, sonntags eine
Vielfalt an Musik zum Reformationsjubiläum, darunter drei                                                         als sei der Glaube so etwas wie ein Keks   kleine Andacht in einer Dorfkirche zu
Ensembles, die mit dem Echo Klassik Preis ausgezeichnet
wurden: die lautten compagney Berlin, die Capella de la                                                           in der Schachtel, die man nur öffnen       machen. Nicht immer und nicht überall.
Torre und das Calmus Ensemble.                                                                                    und verteilen muss. Das Evangelium         Aber es ist wunderbar, wie viele Ehren-
                                                                                                                  weitergeben heißt, den Menschen zu-        amtliche hier Gottesdienste leiten und
Konzertauswahl                                                                                                    hören, sich auf sie einlassen und mit      feiern. Das ist Kirche, wenn Menschen
Sonntag, 18. Juni 17 Uhr, Dom zu Brandenburg                                                                      ihnen entdecken, wo in ihrem Leben         miteinander Gott loben.“ Der Propst
Sonntag, 10. September 16 Uhr, Klosterkirche Chorin                                                               das Evangelium helfen kann. Deshalb        denkt aber beim Gottesdienst nicht nur
Deutsche Messe                                                                                                    sind auch die Kirchengebäude so wich-      an Dorfkirchen, sondern auch an ande-
Knaben des Staats- und Domchores Berlin
Vocalconsort Berlin, lautten compagney Berlin                                                                     tig. Wenn jemand ein Gotteshaus öffnet     re Orte, wie etwa das Café eines Senio-
Leitung: Wolfgang Katschner, Kai-Uwe Jirka                                                                        und einem anderen zeigt, was ihn in        renstifts oder an eine Friedhofskapelle.
                                                                                                                  dieser Kirche berührt, dann kann da-       „Da bin ich wieder bei den Anfängen
Sonntag, 25. Juni, Stiftskirche Heiligengrabe                                                                     raus eine Begegnung mit Gott entste-       der Christenheit, die sich anfangs in
Sonntag, 13. August, Klosterkirche in Mühlberg/Elbe                                                               hen. Deshalb sind solche Orte wichtig,     Katakomben trafen. Was ich nicht will,
Samstag, 26. August, Franziskanerklosterkirche Angermünde
                                                                                                                  deshalb sollten Kirchen niedrigschwel-     ist ein Konzept für alle. Denn das wird
Kaiser Karl und die Reformation                                                                                   lig offen sein.“                           nicht funktionieren.“
Cécile Kempenaers, Sopran, Ralf Grobe, Bass
Capella de la Torre, Leitung: Katharina Bäuml                                                                         Wie und wo erreicht man aber die           Der Propst wehrt sich gegen die
                                                                                                                  Menschen vor Ort, wenn sonntags nur        These, dass Kirchengemeinden mit
Alle Musikveranstaltungen der Kulturfeste im Land                                                                 noch ein paar Senioren zum Gottes-         einem 40-Kilometer-Radius eine pas-
Brandenburg zum Reformationsjubiläum werden                                                                       dienst kommen? Wie kommt man an            torale Sackgasse sind. „Pfarrer und
in unserer Jahresbroschüre und einem
Reformationsmusikfaltblatt vorgestellt.                                                                           jene Konfessionslosen heran, die nicht     Gläubige sind doch heute schon ein
                                                                                                                  mehr wissen, wozu ein Gotteshaus           wanderndes und fahrendes Gottesvolk.“
                                                                                                                  dient und welche religiöse Bedeutung       Es gebe viele Konzepte, wie man re-
                                                                                                                  ein Kruzifix hat? „Ein Pfarrer oder        gionale Verknüpfungen herstellen, wie
                                                            lautten compagney, Calmus Ensemble, Photo: I. Zenna

                                                                                                                  eine Pfarrerin sollte nicht erst zum 75.   man Kirchen zu anderen Zeiten öffnen
                                                                                                                  Geburtstag eines Gemeindemitglieds         und anders nutzen könne. „Der Bran-

Kulturfeste im Land Brandenburg e.V.
info@kulturfeste.de
www.kulturfeste.de
Förderer: Kulturland Brandenburg, Ministerium für Wissenschaft,
Forschung und Kultur und Ministerium für Infrastruktur und
Landwirtschaft des Landes Brandenburg, die Beauftragte der
Bundesregierung für Kultur und Medien und Deutsches
Kulturforum östliches Europa

          4          Veranstaltung
Liebe Freunde der brandenburgischen Kirchenbauten, liebe Leser, sehr geehrte Damen und Herren, Förderkreis Alte Kirchen Berlin-Brandenburg eV
Die Junge Philharmonie Brandenburg eröffnet „Musikschulen öffnet Kirchen“ in der St. Jacobikirche Luckenwalde 2016; Foto: Uwe Hauth

denburger Dorfkirchensommer ist ein            keinen Fall zur Kneipe mit Besäufnis            ein Gotteshaus, so fügt der Propst
gutes Beispiel dafür, wie wir mit un-          werden. Der Raum fordert Respekt und            hinzu, wenn dort auch Gottes Wort
seren Schätzen auch jenseits der tradi-        verändert Menschen.                             verkündet werde, sonst wird sie zum
tionellen Nutzung wuchern können.“                 In einer deutschen Landeskirche             Kulturdenkmal. Und wem „gehört“
Das sei natürlich leichter möglich in          wurde zeitweise erwogen, auch bei               die Kirche, wenn es dort ein weltli-
Gotteshäusern, die etwa auf Pilgerpfa-         der Beisetzung von Konfessionslosen             ches Konzert gibt? „Jedes Konzert
den liegen oder Kulturdenkmäler sind,          die Kirchenglocke zu läuten. Wäre dies          verändert sich, wenn es in einer Kir-
aber es gebe auch anderswo interessan-         für Propst Stäblein eine unzulässige            che stattfindet, ein weltliches Konzert
te Versuche.                                   Anpassung an den Zeitgeist? „Diese              fügt sich dann in einen bestimmten
    Wie weit darf denn die Öffnung             Anpassung ist ein schmaler Grat. Die            Kontext ein – es sei denn, die Kirche
der Kirchen gehen, welche erweiter-            dritte Ökumene, also das Gespräch mit           ist entwidmet.“ Der Propst erinnert an
ten Nutzungen sind denkbar über das            einer gottvergessenen Kultur, ist zwar          das Wort Christi: Wo zwei oder drei in
hinaus, was es bereits an Theater und          sehr wichtig. Man darf dabei auch               meinem Namen versammelt sind, da
Musik gibt? „Ich kann in der Kirche            nicht von vornherein eine Position der          bin ich mitten unter ihnen (Matthäus
nichts machen, was der Botschaft wi-           Rechtgläubigkeit aufbauen. Ich suche            18, 20).
derspricht. Doch innerhalb dieses Rah-         stets das offene Gespräch.“ Gleichwohl              Wie sieht die Kirche in zwanzig
mens ist mein Herz weit, da sollte man         gebe es auch hier Grenzen, so etwa              Jahren aus? Wird sie noch kleiner
stets auf den konkreten Fall schauen,          bei der Frage, ob generell ein Geläut           sein, ist sie noch mehr von der Volks-
da kann eine Gemeinde oft selbst ent-          für Konfessionslose möglich sei. „Ich           zur Minderheitenkirche geworden? Der
scheiden.“ Eine rote Linie ist für den         respektiere jene, die ausgetreten sind,         Propst benutzt ein Wort aus der Auto-
Propst indes überschritten, wenn es            und ich drücke und dränge diesen                industrie, vergleicht die Kirche mit
eine Gemeinde etwa gegen Gebühr er-            nichts auf. Die Haltung des Verstor-            einem Hybrid-Fahrzeug, das sowohl
laubt, in der Kirche eine zivile Trauung       benen ist zu respektieren.“ Gleichwohl          mit Benzin, aber auch mit Batterie
abzuhalten. Da werden nach seiner An-          könnten im Einzelfall die Glocken läu-          fahren kann. „Die Kirche wird bis
sicht zivile und kirchliche Aspekte ver-       ten, wenn es Angehörige wünschten,              dahin gelernt haben, mit verschiede-
mengt, die aus gutem Grund getrennt            die noch zur Kirche gehören.                    nen Motoren unterwegs zu sein, aber
sind. In theologischer Hinsicht liege              Wem gehört denn die Kirche –                immer mit einem Geist.“ Wird sie
der Fall dagegen anders, wenn man die          nicht juristisch, sondern theologisch           somit, wenn man diesem Auto-Bild
Kirche – auch aus finanziellen Gründen         gesehen? Das ist keine spitzfindig-             folgt, in den strukturschwachen Regi-
– für Jazz-Veranstaltungen oder ande-          theoretische Frage, sondern oft eine            onen neben der seelsorgerischen Auf-
re kulturelle Zwecke nutze. Wie wäre           höchst praktische, wenn etwa in einem           gabe viel stärker zum Kultur-Motor
es aber mit einer Sport-Übertragung?           Förderverein, der die Sanierung eines           werden? „Die Kirche ist schon jetzt oft
Als großer Fußball-Fan mag Stäblein            Gotteshauses ermöglichte, nur etwa              ein Kulturträger und wird es immer
dies nicht völlig ausschließen, wenn           die Hälfte der Mitglieder einer Kirche          mehr werden. Sie wird aber kein belie-
es etwa in einem Dorf außer der Kir-           angehören. „Die Kirche als Gotteshaus           biger Akteur sein, denn sie steht für
che keinen anderen öffentlichen Raum           gehört eigentlich niemandem, denn               einen christlichen Geist.“
gibt. Doch die Kirche dürfe dabei auf          geistlich besitzen wir die Kirche nicht,
                                               sondern sie dient jenen Menschen, die
                                               in einem bestimmten Moment zu Got-
Lutherbild in der ungenutzten Dorf-            tes Lob zusammenkommen. Dies gilt               Das Gespräch führten Bernd Janowski
kirche von Beenz b. Lychen (Uckermark);        auch für jene Beter, die nicht der Kir-         und Konrad Mrusek.
Foto: Bernd Janowski                           che angehören.“ Eine Kirche ist dann

                                                                                                                   Kirche im Umbruch   5
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SUSANNE GLOGER
       Befreier oder
       Fürstenknecht?
       Luther-Gedenken im
       Wandel der Zeit

           Susanne Gloger ist
           Kunsthistorikerin und Referentin
           beim Förderkreis Alte Kirchen
           Berlin-Brandenburg e. V.

    A          uf Luther ist das Wort
               Denkmal im Sinne von Er-
               innerungsstütze in der deut-
    schen Sprache zurückzuführen. Offen-
    bar war ihm über die Übersetzung der
    entsprechenden griechischen und la-
    teinischen Begriffe in der Bibel hinaus
    die Wichtigkeit des Andenkens und der
    Pflege des Erinnerns bewusst. Am 1.
    November 1527 – „zehn Jahre nach-
    dem die Ablässe vernichtet wurden,
    in Erinnerung daran trinken wir beide
    getröstet in dieser Stunde“ – feierte
    er das erste Jubiläum der Reformati-
    on mit einem Freund. Diesem privaten
    Umtrunk folgten unzählige große öf-
    fentliche Feiern zum Andenken an die
    Reformation, sogenannte Centenarfei-
    ern zum Tag des Thesenanschlags (31.
    Oktober 1517), anlässlich von Luthers
    Geburtstag (10. November 1483) oder
    seines Sterbedatums (18. Februar          Lutherdarstellung am Kanzelkorb der Dorfkirche Löwenbruch (Teltow-Fläming);
    1546).                                    Foto: Bernd Janowski
        Frühzeitig wurden auch Stationen
    seines Lebens ausgezeichnet, insbe-
    sondere das Geburtshaus in Eisleben,      In der St. Gertraudenkirche in Frank-          Dem neuen Verständnis des Gottes-
    wo vermutlich bereits zu seinem 100.      furt / Oder befindet sich ein Portrait         dienstes wurde auch mit Verände-
    Geburtstag 1583 eine Holztafel mit        Luthers aus der gleichen Zeit, das             rungen in der Ausstattung Rechnung
    seinem Portrait angebracht wurde.         ursprünglich aus dem dortigen Fran-            getragen. Da Luther einen Bildersturm
        In den evangelischen Ländern          ziskanerkloster stammt. Die Kloster-           ablehnte, wurden Altäre und Heiligen-
    wurde mit der Darstellung Luthers der     kirche wurde 1551 zur lutherischen             bilder behalten, jedoch im Sinne der
    Übergang zur neuen Lehre bekräftigt       umgewandelt, so dass man sich fra-             Reformation umgestaltet oder bei-
    und damit die Abgrenzung zum alten        gen kann, ob das Bildnis des Refor-            seite gerückt. Die Wortverkündigung
    katholischen Glauben dokumentiert.        mators dort zur Mahnung oder zum               bekam nun ein besonderes Gewicht,
    In der Mark Brandenburg verdeutlicht      Gedächtnis diente. Ein strenger Luther         so dass die Kanzeln durch Platzierung
    dies beispielsweise das Konfessionsbild   blickt in der St. Gotthardt-Kirche in          und Ikonografie stärker betont wur-
    (2. Hälfte 16. Jh.) in der Kirchhainer    Brandenburg (Havel) auf die Gemein-            den. Die Darstellung der Evangelisten
    Marienkirche. Aus der Vogelperspekti-     de: Das ganzfigurige Gemälde (Anfang           am Kanzelkorb oder am Aufgang zur
    ve erblickt man Luther und Melanch-       17. Jh.) zeigt ihn kostbar gewandet            Kanzel war üblich, nun konnte auch
    thon am Altar, wie sie dem Kurfürsten     mit der Bibel in der Hand. In seiner           der Übersetzer der Bibel diesen Ort
    und seiner Gemahlin das Abendmahl         Standhaftigkeit verkörpert das Portrait        illustrieren. Der 1719 in Löwenbruch
    in beiderlei Gestalt in Anwesenheit des   den Typus vieler nachfolgender Dar-            (Teltow-Fläming) gestiftete Kanzelal-
    Hofes reichen.                            stellungen Martin Luthers.                     tar zeigt im zentralen Feld des Kanzel-

6     Befreier oder Fürstenknecht?
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korbs den jungen Luther im Talar zwi-
schen genrehaften Darstellungen der
Evangelisten. Blickt Luther hier von
erhöhtem Standpunkt auf die Gemein-
de, so steht er in Holzendorf (Ucker-
mark) dem Pfarrer nahezu lebensgroß
direkt vis-à-vis, wenn dieser die Tür
öffnet, die sowohl zum Kanzelaufgang
als auch zum Beichtstuhl (um 1600)
führt. In Falkenhagen (Uckermark)
wurde im 19. Jahrhundert ebenfalls
ein ganzfiguriges Portrait Luthers an
der Tür zum Kanzelaufgang (1720)
hinzugefügt, wie auch in Frauenhorst      Gedenkstein über dem Westportal der Stadtpfarrkirche St. Marien in Bad Belzig;
(Elbe-Elster). Noch an der prächtigen     Foto: Peter Bruno
neubarocken Kanzel, die 1909 für die
Klosterkirche Doberlug (Elbe-Elster)
geschaffen wurde, ist der Aufgang         Belzig, heute Bad Belzig, gehörte da-            Auch in Deckengemälden wird die Erin-
mit Skulpturen von Luther und Me-         mals wie Wittenberg zu Sachsen; so               nerung an Martin Luther wachgehalten,
lanchthon geschmückt, während die         war Luther mit der Kirchenvisitation             z. B. in Kirchhain (Elbe-Elster) oder in
Evangelisten die Felder des Kanzel-       beauftragt und reiste im Januar 1530             Trebbus (Elbe-Elster), wo die Holztonne
korbs besetzen.                           dorthin. Vermutlich logierte er in der           mit Lutherrosen verziert ist.
    Die Dorfkirche in Lugau (Elbe-        Burg Eisenhardt, wo auch die Visita-                 In Schlieben (Elbe-Elster), das
Elster) erhielt 1712 einen opulenten      tionskommission tagte. Dass er in der            1529 / 30 von Luther visitiert worden
barocken Altar mit der Kreuzigung als     Stadtkirche gepredigt hat, belegt ein            ist, wurde erst 1934 eine Lutherfi-
zentralem Bild. Auf dem Retabel kniet     Gedenkstein an deren Westportal.                 gur über dem Portal aufgestellt. Kurz
Luther zwischen Maria und Johannes            Das Andenken Luthers wird in                 davor, 1927, entstand ein Portrait in
unter dem Kreuz. Am Kreuzfuß liegt        Herzberg (Elbe-Elster) besonders ge-             der Paul-Gerhardt-Kirche in Lübben
der Schädel Adams; unter der Figur        pflegt, war in St. Marien doch be-               (Spree-Neiße); 1934 wurde das Turm-
Luthers findet sich sein Briefsiegel,     reits 1522 der katholische Ritus ab-             portal mit Köpfen von Wichern, Lu-
die Lutherrose, die bald zum Symbol       geschafft und das Augustinerkloster              ther, Händel, Bach, Melanchthon und
der evangelischen Kirche wurde.           säkularisiert worden. 1533 visitierte            Francke gestaltet.
    Die Orte, an denen Luther weilte,     Luther den Ort persönlich und pochte                 Zum 400. Jubiläum der Reforma-
waren bestrebt, dies zu dokumentie-       auf die Einhaltung der Schulordnung,             tion 1917 weihte der Zweigverein des
ren. Beeindruckend lang ist das Rei-      die, von Melanchthon ausgearbeitet,              Evangelischen Bundes in Bad Lieben-
sekalendarium des Reformators. Mär-       schließlich 1555 umgesetzt wurde                 werda (Elbe-Elster) feierlich einen Por-
kischen Boden jedoch betrat er auf        und bereits 1559 die Einrichtung einer           traitkopf Luthers an der Nikolaikirche
seinen zahlreichen Visitationsreisen      Jungfernschule ermöglichte. Heute                ein. 1519 hatte er dort ein Streitge-
nur im Bereich der heutigen Landkrei-     erinnern eine Büste und der Name                 spräch mit dem päpstlichen Nuntius
se Potsdam-Mittelmark und Elbe-Els-       an den Begründer des Melanchthon-                geführt und 1544, erneut in der Stadt,
ter. So soll er am Brunnen von Dieters-   Gymnasiums. Zwei Gemälde der beiden              den ersten Superintendenten in das
dorf (Potsdam-Mittelmark) gerastet        Reformatoren aus der Cranach-Schule              Amt eingeführt, wie die Gedenktafel
und seinen Durst gelöscht haben; der      bewahren in St. Marien die Erinne-               vermeldet. Der Kopf ist eine Kopie des
Ort hat seither einen Lutherbrunnen       rung. Eine besondere Form des Ge-                Lutherdenkmals in Worms (1868) von
im Zentrum. In Treuenbrietzen habe er     denkens stellt das Lutherportrait auf            Ernst Rietschel, dem größten Reforma-
unter einer Linde vor der Kirche gepre-   dem 1921 vom Kreis Schweinitz auf-               tionsdenkmal der Welt.
digt, die noch heute als Lutherlinde      gelegten Notgeld dar, zu dem Herzberg                Das erste öffentliche Denkmal für
zu bestaunen ist.                         damals gehörte.                                  den Reformator überhaupt schuf 1821
                                                                                           Johann Gottfried Schadow mit einem
                                                                                           Baldachin von Schinkel für Witten-
                                                                                           berg, dem bald viele – zum Beispiel
                                                                                           in Halle, Leipzig, Dresden, Magdeburg
                                                                                           und Erfurt – folgten. Im 19. Jahrhun-
                                                                                           dert wurden die Denkmale nicht vor-
                                                                                           dringlich als Mahnung für das rechte
                                                                                           Glaubensbekenntnis errichtet, sondern
                                                                                           die monumentale Würdigung Martin
                                                                                           Luthers reihte sich ein in die anderer
                                                                                           herausragender Persönlichkeiten. In
                                                                                           diese Kategorie gehört ebenfalls das
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                                                                                           Lutherfigur auf dem Schalldeckel
                                                                                           der Kanzel in der Dorfkirche Selbelang
                                                                                           (Havelland); Foto: Bernd Janowski

                                                                                                     Befreier oder Fürstenknecht?   7
Liebe Freunde der brandenburgischen Kirchenbauten, liebe Leser, sehr geehrte Damen und Herren, Förderkreis Alte Kirchen Berlin-Brandenburg eV
che in Prenzlau (Ucker-                                                                    krieg feierte Deutschland Luther als
    mark). Der Besitzer der                                                                    Vorbild in Sachen Gottvertrauen und
    Grünen Apotheke Karl                                                                       Kampfesmut. Mit dem Erstarken der
    Friedrich August Witt,                                                                     Nationalsozialisten und besonders
    ein großzügiger Mäzen,                                                                     ab 1933 werden einerseits Analogien
    stiftete 1903 einen Nach-                                                                  zwischen Luther und Hitler als „Ret-
    guss des Wormser Ent-                                                                      ter des deutschen Volkes“ und Ver-
    wurfs von Ernst Rietschel.                                                                 fechter eines „wahren Deutschtums“
        Der Typus der Figu-                                                                    gesehen, andererseits beruft sich die
    ren lehnt sich fast immer                                                                  Bekennende Kirche auf die Einhaltung
    an die Darstellungen                                                                       der christlichen Botschaft und stützt
    Cranachs an: Luther wird                         Notgeld der Stadt Herzberg 1921; Foto:    sich dabei auf die Lehren des Refor-
    im Talar, meist mit der                          Bücherkammer Herzberg                     mators. Nach dem Ende des verhee-
    Bibel in der Hand dargestellt. Sein                                                        renden Krieges erklären Protestanten
    Stand ist fest, ebenso wie sein Blick,                                                     1946 anlässlich des 400. Todestages
    der manches Mal nach Süden, nach                 oder gedruckte Lutherbilder, so in Fal-   Luther zum „Tröster“ der Deutschen
    Rom gerichtet ist.                               kenhain und Kreblitz (Dahme-Spree).       und verklären seinen Durchhaltewil-
        Die Jubiläen, die im Zusammen-               Bemerkenswert ist hier ein Druck, den     len. Nach der Teilung Deutschlands
    hang mit der Reformation oder Lu-                laut Aufschrift eine Kossätin 1830 an-    war Luther in der DDR zunächst als
    thers Person gefeiert wurden, verein-            lässlich der Säkularfeier zur Einfüh-     „Fürstenknecht“ und „Verräter der
    nahmten ihn und sein Wirken nach                 rung der Augsburger Konfession zum        Bauern“ verpönt. Das monumentale
    Bedarf. War es 1617, ein Jahr vor Be-            Andenken an ihren ein Jahr zuvor          vielfigurige Lutherdenkmal vor der
    ginn des Dreißigjährigen Kriegs, der ja          verstorbenen Sohn der Kirche stifte-      Marienkirche in Berlin, das erst 1895
    auch ein Glaubenskrieg war, offenbar             te. Wie viele Menschen eine 1817 nach     nach Entwürfen von Paul Otto errich-
    wichtig, sich von der katholischen               Schinkelentwürfen aufgelegte Luther-      tet worden war, wurde zerstört, nur
    Seite abzugrenzen, so ging es im 18.             medaille zum privaten Andenken be-        seine Statue blieb an einem weniger
    Jahrhundert darum, den religiösen                saßen, lässt sich kaum ermitteln.         exponierten Platz hinter der Kirche
    Standpunkt gegenüber dem Papst zu                    Das Wartburgfest 1817 machte Lu-      erhalten. 1983 änderte sich das: Nun
    bekräftigen. Nach der Epoche der Auf-            ther endgültig zum deutschen Natio-       erkannte man sogar „frühbürgerlich
    klärung wurde Luther ab etwa 1800 als            nalhelden. Zum 400. Geburtstag 1883       revolutionäre Züge“ in Person und
    humanistisches Vorbild gesehen, weil             wurde er geradezu als Gründungsvater      Wirken Luthers. In der Bundesrepub-
    er den Aberglauben bekämpfte. In der             des Deutschen Reiches gefeiert, der       lik feierte man das Jubiläum dezentral
    Schinkelkirche in Straupitz (Dahme-              politisch und kulturell den Grundstein    mit wissenschaftlichen Tagungen und
    Spree) befindet sich ein Portrait dieser         gelegt habe. Neben vielen Lutherdenk-     Ausstellungen.
    Zeit, während in Finsterwalde (Elbe-             malen wurden damals Luthereichen               Luthers theologischer Standpunkt
    Elster) Anfang des 18. Jahrhunderts              gepflanzt: in Jüterbog (Elbe-Elster),     basierte auf der Bibel als einzigem kri-
    auf eine bildliche Darstellung verzich-          ebenso in Burg (Spree-Neiße) und          tischem Maßstab, sola scriptura. Er
    tet wurde und die Emporenfelder der              Züllsdorf (Elbe-Elster) sowie an vielen   schrieb: „Die Beziehung zur Gegenwart
    Kirche mit Texten Luthers versehen               anderen Orten. Eine verkleinerte Kopie    trägt zum Verständnis des Textes au-
    wurden.                                          des Dresdner Denkmals von Adolf von       ßerordentlich viel bei. … Meine Pflicht
        Neben den prominent sichtbaren               Donndorf (1888) befindet sich heute       ist, auszusprechen, was ich an Unrecht
    Denkmalen oder Bildnissen gibt es in             im Pfarrhaus von Bliesendorf (Pots-       – auch bei Höheren – geschehen
    vielen Kirchen Brandenburgs gemalte              dam-Mittelmark). Mitten im 1. Welt-       sehe.“

    Deckengemälde in der Stadtpfarrkirche St. Marien Kirchhain; Foto: Maria Deiters

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RUTH SLENCZKA
   Reformation und Freiheit
   Luther und die Folgen für Preußen und Brandenburg

       Dr. Ruth Slenczka
       ist Historikerin und
       wissenschaftliche
       Kuratorin der Ausstellung
       „Reformation und
       Freiheit. Luther und
       die Folgen für Preußen
       und Brandenburg“
       im Potsdamer Haus
       der Brandenburgisch-
       Preußischen Geschichte.

                                           Gemeiner Kasten der Stadtpfarrkirche St. Laurentius Havelberg, 1545; Foto: Antje Reichel,
                                           Prignitzmuseum Havelberg

Eine Ausstellung des Hauses der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte im Rahmen
des Themenjahres Kulturland Brandenburg 2017 „Wort und Wirkung. Luther und die Folgen
für Brandenburg“ vom 8. September 2017 bis 21. Januar 2018

O         ffiziell wird die Einführung
          der Reformation in der Mark
          Brandenburg mit der ersten
evangelischen Abendmahlsfeier des
Kurfürsten Joachim II. (1505 – 1571)
und seines Hofadels verbunden, die am
                                           kurfürstlichen Burg in Grimnitz in der
                                           Schorfheide, wo sich Joachim II. mit
                                           seinem Hof wohl zur Jagd aufhielt.
                                           Eines Morgens überbrachte er seiner Ge-
                                           mahlin zwei Geschenke: Einen kleinen
                                           Hund, den er aus Magdeburg erhalten
                                                                                            Geschichte handelt vom Eingreifen
                                                                                            Gottes, sie ist voller Symbole und
                                                                                            entspricht einem in dieser Zeit weit
                                                                                            verbreiteten Muster. Wunderzeichen
                                                                                            werden zum Orakel für das Schicksal
                                                                                            der Feinde des Evangeliums im nah er-
1. November 1539 in der Stiftskirche       hatte, der von kaiserlichen Truppen              warteten Endgericht: Der Boden, der –
in Berlin-Kölln oder in Spandau statt-     belagerten Hochburg der protestanti-             so wird noch ausdrücklich betont – an
fand. Tatsächlich war der Prozess lang,    schen Interimsgegner, und den er daher           keiner Stelle „verstockt, verfault oder
vielschichtig und höchst ambivalent.       scherzhaft „Bürgermeister“ oder „Auf-            schadhaft“ gewesen sei, tut sich auf
Das Herrscherhaus blieb konfessionell      rührer von Magdeburg“ nannte, sowie              und verschlingt diejenigen, die sich
gespalten: Hedwig, die Ehefrau Joach-      zwei kostbare Marienbilder, eines aus            der Reformation widersetzten. Hans
ims und älteste Tochter des polnischen     Gold, das andere aus Silber, die Joa-            von Küstrin verurteilt mit seiner Ge-
Königs Sigismund I., vollzog den Kon-      chim dem Schatz des Berliner Dom-                schichte seine Schwägerin und die kai-
fessionswechsel nicht mit. Nur einer der   stifts entnommen hatte. Der Kurfürst             serfreundliche Politik seines Bruders,
drei Bischöfe in der Mark unterstützte     und seine Frau begannen, damit „ihre             die ihn selbst – und mit ihm das ganze
die Einführung der Reformation. Der        Andacht zur Kurzweil“ zu treiben. Als            Land – buchstäblich an den Rand des
Kurfürst selbst war zwar ein Anhän-        kurz darauf ein „alt Weib“, eine Hofda-          Abgrunds führt. Mit dem Gleichnis der
ger Luthers, vertrat jedoch im Unter-      me Hedwigs, in den Saal trat, soll der           Marienbilder, die für den alten Glauben
schied zu den meisten protestantischen     Fußboden unter ihren Füßen nachgege-             stehen, prangert er die konfessionelle
Reichsständen reichspolitisch einen        ben haben, so dass beide Frauen samt             Unentschiedenheit seines Bruders um
kaiserfreundlichen Kurs.                   den Marienbildern in die darunterlie-            seiner Ehefrau willen an. Außerdem
    Zeitgenossen sahen daher die           gende Hofstube stürzten, nicht ohne              geht er hart ins Gericht mit dem leicht-
Reformation noch lange nach ihrer          einen Beinbruch und andere schwere               fertigen Spott des Kurfürsten über die
Einführung in großer Gefahr; aller-        Verletzungen davon zu tragen. Auch               Magdeburger Protestanten, denen der
orts kursierten religiös aufgeladene       der Kurfürst drohte herabzustürzen,              Hund als Symbol der Treue gilt.
Geschichten über die unentschiedene        seine Kammerherren und Diener konn-                  Die Potsdamer Ausstellung nimmt
Haltung des Kurfürsten. Selbst Hans        ten ihn jedoch retten. Der Hund blieb            den langwierigen und in seiner Un-
von Küstrin, der Bruder Joachims II.,      völlig unversehrt.                               eindeutigkeit schillernden Prozess der
erzählt 1551 in einem Brief von einer          Warum erzählt Hans von Küstrin               Reformation in der Mark Brandenburg
symbolträchtigen Begebenheit in der        von einer solchen Begebenheit? Die               näher in den Blick und fragt nach der

                                                                                                          Reformation und Freiheit     9
Liebe Freunde der brandenburgischen Kirchenbauten, liebe Leser, sehr geehrte Damen und Herren, Förderkreis Alte Kirchen Berlin-Brandenburg eV
Glocke der Wallfahrtskirche zum Heiligen Blut, Bad Wilsnack (Prignitz), unbekannter Gießer
                                               1471; Foto: Stiftung Stadtmuseum Berlin, Reproduktion: Michael Setzpfandt

                                               nachdem 1545 die landesherrliche Vi-            sene „Lange Stück“, galt aufgrund
                                               sitationskommission, die für den Kur-           ihrer Größe und ihres Wohlklangs als
                                               fürsten die Kirchenaufsicht wahrnahm,           Weltwunder. Sie war nicht mit Heili-
                                               in die Stadt gekommen war. Erst sechs           genbildern, sondern mit den Porträts
                                               Jahre nach der offiziellen Einführung           des Kurfürstenpaars geschmückt, denn
                                               der Reformation in der Mark konnten             Kirchenglocken waren im 16. Jahrhun-
                                               also die kirchlichen Verhältnisse in            dert Herrschaftszeichen: Der Herr über
                                               der Stadt geregelt werden, denn die             das Geläut war auch derjenige, der in
                                               Havelberger Kirche unterstand dem               der Kirche das Sagen hatte. In Wilsnack
                                               Domkapitel von Havelberg, das den               war das lange der Havelberger Bischof
                                               Konfessionswechsel 1539 nicht mit               gewesen, der sich jedoch der Reforma-
                                               vollzogen hatte. Der Gemeine Kasten             tion widersetzte. Nun aber war es der
                                               hatte daher auch einen wichtigen sym-           Landesherr in Berlin, denn seit Einfüh-
                                               bolischen Wert, denn er stand für die           rung der Reformation stand er an der
                                               kirchliche Emanzipation der Stadt vom           Spitze der lutherischen Landeskirche
                                               Havelberger Bischof und machte sicht-           Brandenburgs.
                                               bar, dass die Stadtkirche seit 1545 auch            Ein eigenes Ausstellungskapitel ist
                                               in finanzieller Hinsicht unter kommu-           den Folgen von Luthers Freiheitsidee
                                               naler Verwaltung stand. Die Einnahmen           für Individuum und Gesellschaft ge-
                                               wurden nicht mehr abgeführt, sondern            widmet. Für die nach wie vor aktu-
                                               blieben vor Ort. Rat und Gemeinde be-           elle Frage, was Gewissensfreiheit be-
                                               stimmten, wofür sie verwendet wurden:           deutet und wo sie ihre Grenzen hat,
     Lebenswirklichkeit der Menschen im        Für Bauangelegenheiten und Gehälter,            steht hier ein gusseiserner Kessel,
     16. Jahrhundert. Sie stellt in verglei-   vor allem aber für das nun entstehende          dem eine besondere Geschichte zuge-
     chender Perspektive die Mark und das      städtische Sozialfürsorgesystem.                schrieben wird: Johannes Ellefeld, der
     Herzogtum Preußen gegenüber, das              Evangelische Herrscher verstanden           erste evangelische Pfarrer in der Wall-
     erste evangelische Territorium Europas,   reformatorische Freiheit auf ihre Weise:        fahrtskirche in Wilsnack, soll darin das
     das 1618 durch Erbfall an Kurbranden-     Davon erzählt die Wilsnacker Glocke             berühmte und verehrte „Wunderblut“
     burg fiel. Obwohl die Reformation in      aus dem Jahr 1471. Die Ausstellung              verbrannt haben, drei Abendmahls-
     den beiden Territorien sehr verschie-     wird nur eine Replik zeigen; das Origi-         hostien, rot gefärbt von Blutstropfen
     den, ja in Vielem geradezu gegensätz-     nal steht heute im Märkischen Museum            Christi – so der alte Glaube. Der Kessel
     lich verlief, stand das Freiheitsthema    in Berlin, kann aber nicht entliehen            steht einerseits für die Befreiung der
     gleichermaßen im Zentrum von Kirche,      werden, da es nicht durch die Türen             Kirche vom mittelalterlichen Reliqui-
     Gesellschaft und Politik. Dabei war es    passt. Dafür wird man aber in der Pots-         enkult, andererseits führt er auch zu
     untrennbar mit den religiösen Anliegen    damer Ausstellung den Klang der Glo-            der Frage nach den Grenzen einer sol-
     Luthers verwoben. Die Exponate der        cke hören können – Spezialisten haben           chen Befreiung. Denn die Zerstörung
     Potsdamer Schau erzählen Geschichten      ihn rekonstruiert. Die über 3,5 Tonnen          religiöser Objekte, die mit dem eige-
     von den Sehnsüchten, Schicksalen und      schwere Wilsnacker Glocke stammt aus            nen Glauben nicht vereinbar sind, für
     Fragen, die die Menschen in Preußen       dem mittelalterlichen Pilgerzentrum             andere aber elementaren Wert haben,
     und Brandenburg mit Reformation und       im Nordwesten der Mark Brandenburg.             ist eine feindselige Demütigung und
     Freiheit verbanden.                       Im Jahr 1552 ließ Kurfürst Joachim II.          ein Akt der Intoleranz gegenüber den
         Eine Auswahl von Exponaten der        sie im Zuge des Ausbaus seines landes-          religiösen Freiheitsrechten anderer
     Ausstellung gibt einen Einblick in den    herrlichen Kirchenregiments von Wils-           Menschen.
     Reichtum reformatorischer Zeugnisse       nack nach Berlin transportieren, um                 Die Ausstellung entsteht in enger
     aus der Mark Brandenburg. Viele stam-     sie dem Geläut seiner Berliner Stiftskir-       deutsch-polnischer Partnerschaft und
     men aus Kirchen, denn für die Kirchen-    che einzuverleiben, dem größten und             Zusammenarbeit. Sie kann deshalb
     gemeinden bedeutete reformatorische       klangschönsten des ganzen Landes.               exklusiv Teile der kostbaren Silberbi-
     Freiheit zunächst die Befreiung vom       Zusammen mit der mittelalterlichen              bliothek Herzog Albrechts von Preu-
     Allmachtsanspruch des Papstes und sei-    Pilgerglocke repräsentierte das Geläut          ßen (1490 – 1568) zeigen – reformato-
     ner Bischöfe. In Folge der Reformation    nun das landesherrliche Kirchenregi-            rische Hauptwerke, die der Herzog mit
     nahmen die Gemeinden die Kirchenor-       ment. Für die sechs Glocken und vier            außerordentlich wertvollen silbernen
     ganisation selbst in die Hand. In der     Schellen hatte Joachim II. sogar einen          Einbänden versehen ließ und so zum
     Potsdamer Ausstellung lässt sich erkun-   eigenen Turm zwischen dem Dom und               Staatsschatz der evangelischen Lan-
     den, welche Wege dabei eingeschlagen      seiner Residenz errichten lassen. Die           desherrschaft erhob. Aber das ist eine
     wurden: Der sogenannte Gemeine Kas-       größte Glocke, das zusätzlich gegos-            weitere Geschichte …
     ten aus Havelberg war die Geldkiste der
     dortigen Kirchengemeinde, in der man
     nach Einführung der Reformation allen                                                     Gusseiserner Kessel, wohl 16. Jh.,
     kirchlichen Besitz zusammenführte                                                         Wunderblutkirche Bad Wilsnack. Vermutlich
     und in den Gottesdienstbesucher ihre                                                      verbrannte Joachim Ellefeld am
     Spenden warfen. Der Kasten wurde im                                                       28. Mai 1552 in diesem Kessel die
     Eingangsbereich der Kirche installiert,                                                   Wunderhostien; Foto: Hartmut Kühne

10     Reformation und Freiheit
Liebe Freunde der brandenburgischen Kirchenbauten, liebe Leser, sehr geehrte Damen und Herren, Förderkreis Alte Kirchen Berlin-Brandenburg eV
Vergessene Kunstwerke brauchen Hilfe
   Spendenaktion zur Restaurierung eines Epitaphgemäldes in der Dorfkirche
   Blankensee (Teltow-Fläming)

I      m Rahmen unserer alljährlichen Spendenaktion „Ver-
       gessene Kunstwerke“ bitten wir Sie herzlich um Un-
       terstützung für die Restaurierung eines wertvollen
Epitaphgemäldes aus Blankensee. Die Blankenseer Dorfkir-
che bewahrt in ihrem Inneren eine Reihe bemerkenswerter
historischer Ausstattungsgegenstände, die zumeist aus dem
18. Jahrhundert stammen Zu bewundern sind hier jedoch
auch ältere, zum Teil außergewöhnliche Stücke, wie ein
marmorner Taufstein aus dem 11. Jahrhundert sowie der
Figurengrabstein und das Epitaphgemälde für Anna von
Thümen, geborene von Schlabrendorf. Letzteres ist wegen
seines heilsgeschichtlichen Bildinhaltes und der Qualität
seiner Ausführung von besonderer Bedeutung.
Zu den theologischen Grunderfahrungen Martin Luthers und
der Reformation gehört, dass der Mensch aus seinen Ängsten
und Nöten nicht durch gute Werke, sondern allein durch den
Glauben erlöst werden kann. Ein Gedächtnisbild für die 1567
im Kindbett verstorbene Ehefrau des Kirchenpatrons Kuno von
Thümen verbildlicht dies besonders eindrücklich. Zu sehen ist
eine Version des vielleicht wirkungsreichsten evangelischen
Programmbilds der Reformation „Gesetz und Gnade“: Ein Baum
mit einer entlaubten und einer grünen Seite teilt das Bild
in zwei Hälften. Am Fuß seines Stammes hockt ein nackter
Mensch. Mit seinem Körper und seinem Blick scheint er der
linken Bildhälfte verhaftet. Dort ist im Hintergrund die Szene
des Sündenfalls dargestellt. Vor ihr steht Moses und deutet auf
die Gesetzestafeln. Kein Mensch kann die dort aufgelisteten       erfährt auf dem Gedächtnisbild eine grundstürzende Um-
zehn Gebote einhalten. Den nackten Sünder am Baum bringt          deutung; er wird geradezu in sein Gegenteil verkehrt: Statt
diese Erkenntnis zur Verzweiflung. Ihm zur Seite stehen ein       vom Leben zum Tod führt er die Frau vom Tod zum Leben.
alter und ein junger Mann, Propheten des alten und des neuen      Der Baum zeigt es deutlich an: Seine kahlen Äste stehen für
Testaments. Sie weisen mit großer Geste auf das in der rechten    die Unausweichlichkeit des Todes, für die Ängste, Schmerzen
Bildhälfte aufragende Kreuz hin und versuchen, den Körper         und Qualen des Kindbetts der Verstorbenen. Die grüne Hälfte
des Nackten von den Gebotetafeln ab- und dem gekreuzigten         steht hingegen für das ewige Leben.
Erlöser Christus zuzuwenden.                                          Lange Zeit wenig beachtet, haben sich im Laufe der Zeit
    Eine Besonderheit der Bildkomposition liegt darin, dass       erhebliche Schäden an dem Gemälde eingestellt: so haben
die die zentrale Figur des nackten Sünders – anders als auf       sich die Fugen der aus drei Einzelbrettern zusammengesetz-
nahezu allen anderen Darstellungen derselben Ikonografie          ten Holztafel gelöst und klaffen teilweise weit auseinan-
– als Frau dargestellt ist. Auch wenn sie sicherlich nicht        der; in einigen Bereichen deuten die nur wenige Millimeter
nach einem lebenden Modell gemalt wurde und die weibli-           großen sogenannten Ausflugslöcher auf das zerstörerische
chen Körpermerkmale eher zurückhaltend und unbeholfen             Werk des Holzwurms. Auch die Malschicht des Bildes weist
wiedergegeben sind, wirkt sie deutlich feminin. Warum eine        zum Teil erhebliche Schädigungen auf und löst sich vom
Frau? Als Erinnerung an die im Kindbett verstorbene Anna          Untergrund ab, was zum Verlust der Malerei führen könnte.
von Thümen? In dem hinter ihr Knienden hat der Maler ver-         Dazu kommen die weniger gravierenden, aber die Betrach-
mutlich den trauernden Ehemann porträtiert, der im Gebet          tung des Bildes doch stark störenden Veränderungen, wie die
zum Gekreuzigten Trost sucht. Der Sterbeprozess seiner Frau       Verbräunung und Eintrübung der Gemäldeoberfläche und die
                                                                  Verfärbungen früherer farblicher Ausbesserungen, die jetzt
                                                                  als unschöne Flecken das Bild entstellen.
                                                                      Das Epitaphgemälde für Anna von Thümen soll ab Sep-
Wir bitten Sie herzlich um Ihre Unterstützung!                    tember 2017 in der großen Reformations-Ausstellung des
                                                                  Hauses für Brandenburgisch-Preußische Geschichte (HBPG)
Ihre Spende:                                                      in Potsdam gezeigt werden. Im Zusammenhang damit ist
Förderkreis Alte Kirchen Berlin-Brandenburg e. V.                 eine gründliche Konservierung und Restaurierung dieses
IBAN DE94 5206 0410 0003 9113 90                                  wertvollen Kunstwerkes notwendig!
BIC GENODEF1EK1 (Ev. Bank)
Kennwort: Blankensee                                              Für Ihre Unterstützung sind wir Ihnen sehr dankbar!

                                                                                       Vergessene Kunstwerke brauchen Hilfe   11
EVA GONDA
        Hammerschläge zum Gedenken
        Ein Nagelschild in Sacro erinnert an die Reformation

            Eva Gonda, Journalistin,
            ist Redakteurin von
            „Alte Kirchen“, dem
            Mitteilungsblatt des
            Förderkreises
            Alte Kirchen Berlin-
            Brandenburg e. V.

 D              ie Kirche im kleinen Dorf
                Sacro (Spree-Neiße), einem
                Ortsteil von Forst an der
     Lausitzer Neiße, birgt ein Stück Erin-
     nerung an die Reformation, das vom
     Tourismus bisher nicht entdeckt wurde.
     Es macht äußerlich nicht viel von sich
     her, trägt manche Altersnarben zur
     Schau, darf sich aber seiner Seltenheit
     rühmen. Es ist ein „Reformations- und
     Kriegsgedenkschild“, eine so genannte
     Kriegsnagelung mit der Besonderheit,
     nicht einer Kriegseuphorie zu frönen,
     sondern das 400. Jubiläum der Refor-
     mation im Jahr 1917 zu würdigen.
         Kriegsnagelungen waren zu Beginn
     des Ersten Weltkriegs sehr populär. Sie
     wurden werbewirksam in der Öffent-
     lichkeit inszeniert, wo jedermann vor
     großem Publikum per Hammerschlag
     patriotische Gesinnung und Kriegsen-
     thusiasmus beweisen konnte. Martia-
     lische Sprüche ließen keinen Zweifel
     daran aufkommen, dass die mit In-
     brunst geführten Schläge dem Feind
     galten: „Damit wir zerschmettern mit
     wuchtigem Streich / die Feinde rings-
     um. Für Kaiser und Reich.“ Die Nägel
     dafür gab es gegen eine Spende, ein
     Mindestpreis war vorgegeben. Die Er-
     löse solcher Aktionen sollten der Un-
     terstützung von Kriegsopfern, Witwen
     und Waisen oder Verwundeten zugute        Historische Postkarte; Sammlung Frank Henschel
     kommen – eine neue spektakuläre
     Form der Geldbeschaffung. Ansteck-
     nadeln, Postkarten, bunte Bilder und      naten und Kanonen, später sogar U-               burg in vielfältiger Ausführung. Selbst
     Urkunden bescheinigten dem Spender        Boote. Auch an mancher Kirchentür                Erzengel und Heilige waren nicht
     die patriotische Tat.                     entdecken wir heute noch Zeugnisse               davor gefeit, mit Eisennägeln gespickt
         Genagelt wurde auf hölzerner Un-      dieser Kriegsnagelungen. Besonders               zu werden. Eine Symbiose besonderer
     terlage. Vorgebohrte Löcher markier-      attraktiv aber waren Holzskulpturen,             Art: der zweieinhalb Meter große Hei-
     ten die Kriegswahrzeichen, die auf Na-    vielfach von namhaften Künstlern ge-             lige Mauritius in Jüterbog mit den
     gelbildern dargestellt werden sollten:    schaffen. Da gab´s Rolandfiguren und             Gesichtszügen Hindenburgs. Text auf
     neben dem Eisernen Kreuz als häu-         Ritter in voller Rüstung, Siegfried und          dem Sockel: Gott mit uns.
     figstem Motiv das deutsche Schwert,       Karl den Großen, an erster Stelle aber               Die meisten dieser Nagelungs-
     Wehrmänner, Adler, Soldaten, Gra-         Generalfeldmarschall Paul von Hinden-            objekte sind inzwischen sang- und

12     Hammerschläge zum Gedenken
klanglos verschwunden, vermoderten
in Abstellkammern oder wurden im
harten Kriegswinter 1944 / 45 zersägt
und verbrannt. Der Nagelschild von
Sacro blieb erhalten, weil man in dem
kleinen Dorf die eigene Geschichte
lebendig hält. Pfarrer Bodo Trummer
hatte ihn eines Tages wohlverwahrt im
Keller des Gemeindehauses entdeckt
und weiterhin sorgfältig gehütet.
Ihm zur Seite steht dabei Reinhard
Natusch, Sacroer „Urgestein“ – der
Familienname lässt sich im Familien-
buch der Kirchengemeinde schon im
16. Jahrhundert finden. Er richtete
auf seinem Hof ein Heimatmuseum               Gemeindeblatt der Kirchengemeinde Sakro, Dezember 1917; Archiv der Kirchengemeinde
ein und sammelt alles, was aus alten
Tagen zu finden ist.
    Ja, wie war das nun vor hundert           „Am 11.11. wurde nach dem Gottes-             den Schöffen, die Lehrer, die Vorstän-
Jahren, als der Sacroer Nagelschild           dienste auf dem Sakroer Kirchplatze           de folgender Vereine: Frauenhülfen
entstand? Wir blättern gemeinsam in           am Kriegerdenkmale die Nagelung               Sakro, Naundorf, Bohrau; Kriegerver-
den gesammelten Gemeindeblättern              des Reformations- und Kriegsgedenk-           eine Sakro, Naundorf, Bohrau; Feuer-
des Kirchspiels Sakro (das sich damals        schildes begonnen. Die ersten Nägel           wehren Sakro, Jähnsdorf, Naundorf;
noch mit „k“ schrieb). In der Ausgabe         schlugen ein: Pfarrer und Gemeinde-           Gesangverein Bohrau, Raiffeisen-
vom Dezember 1917 werden wir fün-             Kirchenrat, der Amtsvorsteher und             verein, Gewerbeverein, Jugendwehr,
dig. Da berichtet Pfarrer Werner Groß:        die Guts- und Gemeindevorsteher mit           Jungfrauenverein. Die meisten spra-
                                                                                            chen dabei einen sinnreichen Denk-
                                                                                            spruch. Auch wurden die Teilnehmer
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                                                                                            zahlreiche Gemeindeglieder. […] Auch
                                                                                            mehrere Soldaten ließen vertretungs-
                                                                                            weise für sich nageln und bekamen
                                                                                            jeder eine Ansichtskarte des Gedenk-
                                                                                            schildes übersandt. Es ist aber noch
                                                                                            viel Platz frei!“
                                                                                                Im Herbst 1917 klingt nichts mehr
  Treten Sie ein!
   Jedes Pfarramt ist eine Kircheneintrittsstelle
                                                                                            nach dem Hurra-Patriotismus der ers-
                                                                                            ten Kriegsmonate. Die vielen Todes-
                                                                                            anzeigen Gefallener im Gemeindeblatt
                                                                                            sprechen eine andere Sprache. Mit
                                                                                            geschönten Frontberichten lässt sich
                                                                                            Siegeszuversicht nicht mehr beschwö-
                                                                                            ren. Das vierte Kriegsjahr hat begon-
                                                                                            nen. Hinter den Menschen liegt gera-
                                                                                            de der grausame „Steckrübenwinter“
                                                                                            1916 / 17 mit Hunger und Kälte. Der
                                                                                            Krieg zeigt nun auch im Heimatland
                                                                                            seine furchtbaren Seiten, man will
                                                                                            nichts mehr hören vom Säbelrasseln
                                                                                            und sehnt sich nach verlässlichem
                                                                                            Frieden.
                                                                                                Auch der Sacroer „Reformations-
                                                                                            und Kriegsgedenkschild“ zeigt ein
                                                                                            Schwert – es war von jeher Symbol
                                                                                            für heldenhaften wie blutigen Kampf.
                                                                                            Aber über dem Schwert liegt die Bibel,
                                                                                            hält die Waffe gewissermaßen in Bann.
                                                                                            Das genagelte Monogramm „ML“ auf
                                                                                            dem Buchrücken weist sie als Luther-
                                                                                            bibel aus. Die Jahreszahl 1917 und das
                                                                                            Datum 31. Okt. stehen für den 400.
   Infotelefon 030 · 24 344 121                                                             Jahrestag der Reformation. Die Nägel
   www.willkommen-in-der-kirche.de                                                          sind inzwischen rostig, die Farbe auf
                                                                                            dem Holz ist teilweise abgeblättert.
   www.ekbo.de                                                                              Auf der Rückseite kleben die Reste
                                                                                            einer Art Lieferschein der Firma Glas-

                                                                                                    Hammerschläge zum Gedenken     13
Reinhard Natusch (links) und Pfarrer Bodo Trummer mit dem Sacroer Nagelschild; Foto: Eva Gonda

     macher: 249 große schwarze Nägel,              unter Denkmalschutz stehendes Got-                dehaus neben der Kirche, Tourenpläne
     845 kleine schwarze Nägel, 454 große           teshaus ist heute auch Kulturkirche,              und Sehenswürdigkeiten der Region…
     Gold-Nägel, 1107 kleine Gold-Nä-               lädt zu Gottesdiensten und Andachten                  In Sacro ist man offen im Umgang
     gel, 212 schwarze Rundkopf-Nägel,              ebenso ein wie zu vielfältigen Kultur-            mit der Vergangenheit und offen für
     22 Rundkopf-Gold-Nägel. Wir haben              veranstaltungen, zu Konzerten und                 die Gegenwart. Und das nicht nur im
     die verwendeten Nägel auf dem Schild           Sommertheater-Aufführungen. Und                   übertragenen Sinne: Zwei der Dorfkir-
     nicht gezählt. Es ist möglich, dass er         wer als Radler auf den ausgewiesenen              chen, die Pfarrer Trummer in Forst-
     nie vollendet wurde. Eine alte Post-           Radwanderwegen daher kommt, fin-                  Nord betreut – Sacro und Eulo – öff-
     karte aus der Sammlung Frank Hen-              det in Sacro einen Ort der Ruhe und               nen von April bis Oktober täglich von
     schel in Forst erinnert – wenn auch            Besinnung, aber auch ganz praktische              8 bis 18 Uhr ihre Türen. Für die ande-
     mit leicht verändertem Motiv – an den          Tipps unter den Auslagen in der Kir-              ren drei in Naundorf, Mulknitz und
     festlichen Akt vor hundert Jahren.             che: die nächste Fahrradwerkstatt,                Horno verwalten die Kirchenältesten
         Auf jeden Fall – so vermeldet eine         Übernachtungsmöglichkeiten, übri-                 die Schlüssel und empfangen gern Be-
     spätere Ausgabe des Gemeindeblatts             gens auch im evangelischen Gemein-                sucher.
     – wurde der Gedenkschild Anfang Ja-
     nuar 1919 in der Kirche aufgehängt.
     Anlass war ein feierlicher Gottesdienst
     zur Begrüßung heimgekehrter Solda-
     ten. „Die Kirche war reich mit Fich-
     tengrün ausgeschmückt und so voll,
     wie sie wohl kaum jemals gewesen
     ist, was auch die Kollekte (für die
     arbeitslos gewordenen Kriegsteilneh-
     mer) auswies: 34,15 M!, was bisher
     als Kirchenkollekte wohl noch nicht
     erreicht worden ist. Die Predigt über
     Psalm 107, 29-32 suchte den Heimge-
     kehrten ans Herz zu legen: Gott hat
     dich bewahrt vor vielen andern, nicht
     weil du es mehr verdienet hättest als
     die Gefallenen, sondern damit du fort-
     an Gott dienest! Darum vergiß nicht,
     was er dir Gutes getan, und gedenke
     an deine Gelübde.“
         Jetzt, hundert Jahre später, ist der
     Gedenkschild erstmals wieder in der
     Sacroer Dorfkirche zu sehen als Haupt-
     anziehungspunkt in einer Ausstellung
     zum 500. Jubiläum der Reformation.
     Ein Besuch dort lohnt sich übrigens            Kriegsnagelung (Eisernes Kreuz) am Portal der Kirche St. Marien auf dem Berge in
     nicht nur in diesen Tagen. Sacros              Boitzenburg (Uckermark); Foto: Martin Zobel

14     Hammerschläge zum Gedenken
EIN GESPRÄCH MIT ALBRECHT HENKYS
   „Verehrt, verklärt, verkehrt“
   Merk- und Denkwürdigkeiten aus fünf Jahrzehnten Luther-Verehrung in
   der Berliner Nikolaikirche

       Als Mitarbeiter des Stadt-
       museums Berlin ist Albrecht
       Henkys Kurator der Berliner
       Nikolaikirche und hat auch
       die Sonderausstellung „Sankt
       Luther“ kuratiert.

Mit Ausstellungen und einem Kon-
zertzyklus in der Nikolaikirche wird
sich auch das Stadtmuseum Berlin am
Reformationsjubiläum beteiligen. Was
erwartet den Besucher?
In der Tat ist es ein Bündel von gleich
drei Angeboten, die die Besucherin-
nen und Besucher des Museums Ni-
kolaikirche ab dem 31. März 2017
erwarten: Eine Sonderausstellung in
der Sakristei, die Erschließung der
nachreformatorischen Bildwerke im
Kirchenraum sowie ein Konzertzyk-
lus. Bei aller Unterschiedlichkeit sind
alle drei Komponenten des Programms
jedoch thematisch eng miteinander
verbunden: Immer geht es um Über-
schneidungen, aber auch um Wider-
sprüche und Ambivalenzen zwischen
„neuer Lehre“ und traditionell geüb-
ter Praxis, mit denen „die Reforma-
tion“ verbunden gewesen ist. Diese
heute so vereinfachend Reformation
genannte Umwälzung erstreckte sich
jedoch über eine ganze Epoche und
schloss das Nachwirken von Elemen-
ten traditioneller Volksfrömmigkeit
und die Adaption katholischer Mu-
siktraditionen für den neuen Gottes-
dienst oder der Kirchenausstattung        Sankt Luther – Reformator zwischen Inszenierung und Marketing; Museum Nikolaikirche
mit ein. Dies alles wird an authen-
tischen Beispielen vorgeführt. Dabei
steht das Gesamtprojekt im Verbund        ken schon früh die Bezeichnung                Vergleich mit der historischen bild-
mit dem Kulturland-Brandenburg-           „Pantheon der Berliner Geschlechter“          künstlerischen Ausstattung der Ber-
Themenjahr und wurde von dort auch        erhalten. Seit dem ausgehenden 16.            liner Nikolaikirche stand. Daher ist
gefördert.                                Jahrhundert ließen sich hier Bürger           diese ein herausgehobener Bestand-
                                          und Hofbeamte kunstvolle Erbbegräb-           teil unseres Projekts: Ein selbstfüh-
Ist die Reformationsepoche auch an        nisse einrichten und beauftragten             render Sonderrundgang durch den
der Ausstattung der Nikolaikirche ab-     dafür zumeist die Hofkünstler der             Kirchenraum entlang einer Auswahl
zulesen?                                  Brandenburgischen Residenz. Gerade            dieser programmatisch lutherischen
Ja, und zwar in einer ganz besonderen     für die Zeit des 16. und 17. Jahrhun-         Bildwerke wird auch durch zeitweilig
Weise. Nicht zufällig hat die Berliner    derts halten neben der Marienkirche           zurückgekehrte Werke des ehemali-
Nikolaikirche aufgrund ihrer reichen      in Frankfurt / Oder nur wenige andere         gen Bestandes der Nikolaikirche er-
Ausstattung an Memorialkunstwer-          Kirchen in der Mark qualitativ dem            gänzt, die heute ihren Standort in der

                                                                                                   „Verehrt, verklärt, verkehrt“   15
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