Manuelle Schlucktherapie - reset the brain
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THEORIE UND PRAXIS Manuelle Schlucktherapie – reset the brain Ein Plädoyer für neue Strategien, therapeutische Fertigkeiten und manuelle Vorgehensweisen in der Dysphagietherapie Ricki Nusser-Müller-Busch, Renata Horst Ricki Nusser-Müller-Busch, ZUSAMMENFASSUNG. Viele SchlucktherapeutInnen haben erfahren, dass die theoretische Ausbildung MSc, ist Logopädin am Unfallkran- im Störungsbild Dysphagie alleine nicht ausreicht, um praktisch-therapeutische Fertigkeiten zu erwer- kenhaus Berlin, Kinder-Bobaththe- ben. Fortbildungen, in denen „Hand angelegt“ wird, haben großen Zulauf. Dieser Beitrag diskutiert rapeutin und seit 1999 Instrukto- theoretische Modelle und Methoden der Schlucktherapie sowie den derzeitigen praktischen Kom- rin für Facio-Orale Trakt Therapie petenzerwerb. Die Autorinnen propagieren in der „Manuellen Schlucktherapie“ die Vermittlung von (F.O.T.T.®). Sie beschäftigt sich seit Therapiestrategien, therapeutischen Fertigkeiten und neuen manuellen Vorgehensweisen, die in einen 1985 mit Schluckstörungen. Mit Prozess der Handlungsförderung integriert werden. Die theoretische Grundlage und die Werkzeuge PD Dr. Rainer O. Seidl begründete dieses inter- und transdisziplinären Vorgehens bilden u.a. das N.A.P.-Modell (Neuromuskuläre Arthro- sie 1999 die Berliner Schlucksprechstunde und eine ossäre Plastizität), die Prinzipien des motorischen Lernens und die ICF. rege Forschungstätigkeit. 2005 bis 2007 studierte Schlüsselwörter: Manuelle Schlucktherapie – posturale Kontrolle – therapeutische Skills – motorisches Lernen – Kompetenzerwerb sie an der Donau-Universität Krems gemeinsam mit Renata Horst Neurorehabilitation. Aus der Begegnung entwickelte sich 2009 die gemeinsame Kurstätigkeit Bestandaufnahme – „Manuelle Schlucktherapie“. Ricki Nusser-Müller-Busch wissen wir, was wir tun? ist als Referentin, Dozentin und Supervisorin im In- und Ausland tätig und Autorin zahlreicher Fachartikel sowie Um Dysphagiepatienten wieder das Schlu- In einer Studie von Okada et al. (2007) Herausgeberin des F.O.T.T.-Buches. cken und die Nahrungsaufnahme zu ermögli- findet sich erhebliche Uneinigkeit bei den chen, werden verschiedene Therapieansätze befragten US-amerikanischen und japa- Renata Horst, MSc, ist Physio- und Verfahren angeboten. Die kompensato- nischen TherapeutInnen hinsichtlich der therapeutin mit einer Privatpraxis rischen Verfahren, die heute zum Teil auch Frage, was eine „chin-down-“ oder „chin- und einem Weiterbildungsinstitut restituierend eingesetzt werden, wurden von tuck“-Haltung ist und wie man sie anlei- in Ingelheim bei Mainz. 1993 legte Sprachpathologen und Ärzten in den USA tet. Den meisten Studienteilnehmern war sie ihr internationales Examen zum entwickelt. Viele manuelle Methoden und nicht klar, ob es sich dabei um ein- und PNF-Instruktor ab (Propriozeptive Techniken („oral exercises“, mundmotorische dieselbe oder zwei verschiedene Kopfhal- Neuromuskuläre Fazilitation), und Zungenübungen, Kieferkontrollgriff etc.) tungen handelt. Auch das Identifizieren 1999 zur orthopädischen Manual- kommen hingegen originär aus der Physio- der Haltung auf Fotos, die unterschiedli- therapeutin (OMT). 2007 absolvierte sie den Masterstu- therapie (Bobath, PNF). Mit dem Störungs- che Kopfhaltungen zeigten, führte zu sehr diengang Neurorehabilitation an der Donau-Universität bild Schluckstörungen wurden diese von den unterschiedlichen Ergebnissen. Krems. In ihrer Masterthesis befasste sie sich mit dem Sprachprofessionen aufgegriffen, mit mehr Wie viele TherapeutInnen sind in der Lage, von ihr entwickelten neuroorthopädischen Therapie- oder weniger korrekten Abbildungen und Er- die Kopf-Hebe-Übung von Shaker (2002) prozess der N.A.P.® (Neuromuskuläre Arthroossäre klärungen der Wirkmechanismen republiziert exakt nach Vorgabe durchzuhalten1? Laut Plastizität). Sie ist Verfasserin mehrerer Fachartikel und und weitergegeben. Shaker ist diese Übung geeignet für ältere Fachbücher und international als Dozentin für PNF und Patienten mit Problemen, den Larynx zu N.A.P. tätig. Wie erwerben wir therapeutische bewegen und den oberen Ösophagus für Fertigkeiten? die Bolusaufnahme ausreichend lang und ten, der die Übung gewissenhaft dreimal weit zu öffnen (Shaker & Antonik 2006). am Tag durchführte, was er gegen seinen In postgraduierten Dysphagie-Fortbildungen Immer wieder ist festzustellen, dass kör- immensen Muskelkater tun könne. werden Techniken (weltweit) vorzugsweise perlich fitte und hochmotivierte Patienten Würden wir die Wirkung der Shaker- kognitiv mittels Powerpoint-Präsentationen nur eine verkürzte Kopfhebedauer von 20 Übung unter praktischer Anleitung selbst vermittelt. In dieser Laborsituation findet kei- Sekunden bei Level 1 schaffen. Erinnerlich erfahren, könnten wir ihre Wirkmechanis- ne praktische Anleitung, keine Selbsterfah- ist uns die verzweifelte Frage eines Patien- men und Praktikabilität überprüfen und rung und keine Supervision statt. Oft werden unsere Fragen gemeinsam mit den Refe- diese Übungen nur bruchstückhaft in das renten reflektieren, z.B. was im Körper bei Therapierepertoire und den Arbeitsalltag 1 Fachartikel: www.touchbriefings.com/pdf/2073/ dieser Übung passiert. Ist sie wirklich für übernommen. Methodische und didaktisch- shaker.pdf ältere Menschen geeignet, wenn selbst curriculare Fragen tun sich auf: Video-Anleitung: www.mcw.edu/shakerexercise.htm die meisten TherapeutInnen sie nicht aus- 6 Forum Logopädie Heft 3 (25) Mai 2011 6-13
führen können, weil sie physisch an ihre (beim Einsatz von Bildkarten oder -geschich- Grenzen stoßen? Oder sollten wir disku- ten). Weniger häufig werden die Hände ex- tieren, ob geriatrische Menschen in den plizit (bewusst wissend) therapeutisch ein- USA fitter sind als ihre Altersgenossen in gesetzt, z.B. bei der Kontaktatmung, um die Europa? Atmung zu lenken und um zu palpieren. Was wissen wir über Kontraindikationen? Können wir zentral gestörte Bewegungs- Zur Shaker-Übung, zum Kopf-Hals-Muster muster durch verbale Aufforderungen, durch (PNF) u.a. finden sich nur selten Aussagen „Vormachen“ verändern? Die Antwort ist ein zu Kontraindikationen wie z.B. Osteopo- klares Nein! Wir haben nicht gelernt, zentral rose, Schwindel oder eine mögliche Insta- gestörte Bewegungsmuster zu befunden bilität der HWS. Wie kann Letztere ausge- und wir haben nicht gelernt, sie therapeu- schlossen oder abgeklärt werden? tisch anzugehen. Wie haben wir mundmotorische Übun- gen gelernt? Achten wir dabei auf die Mit mundmotorischen Übungen und Elan Körper- und Kopfhaltung? Kommt eine hinein in die Pathologie? Kieferöffnung wirklich durch die Bewe- Arbeitet man mit Patienten – egal ob nach gungsfähigkeit des Unterkiefers zustande einem Schlaganfall oder bei einer progredien- oder kompensatorisch durch eine Hyper- extension des Nackens, durch einen „kur- ten Erkrankung, z.B. Morbus Parkinson oder ALS – an der Verbesserung der Mund- und Emser Pastillen ® zen Nacken“? Welche Hilfen stehen uns zur Verfügung, Zungenmotorik oder an kompensatorischen Schluckstrategien, ohne die Haltung und an- Pflege und Schutz um einen fest geschlossenen Kiefer zu dere muskuloskeletale Einschränkungen zu öffnen? Helfen mittelalterliche, martiali- berücksichtigen, besteht die Gefahr, vorhan- für Hals und Rachen! sche (Folter-)Instrumente im modernen dene, altersbedingte oder erworbene Ver- Design wirklich, um die Kieferöffnung zu kürzungen und Fehlhaltungen zu festigen. Es weiten? Wie viel wissen wir darüber, ob wird „in die Pathologie“ hineingearbeitet. Dies Als Teil des Resonanzkörpers hat der dabei Strukturen – und welche – verletzt passiert übrigens tagtäglich in Fitnessstudios. Pharynx zentralen Einfluss auf den werden können, und über mögliche Fol- Menschen versuchen ihre Rückenmuskulatur Klang und das Timbre der gesunden geschäden? zu „kräftigen“ – oft ohne Berücksichtigung Stimme. Schleimhautreizungen und Wo lernen wir, wie Übungen modifiziert der individuellen körperspezifischen Schwä- -schwellungen, z. B. infolge von häufig werden müssen, wenn unerwünschte chen oder Haltungsschäden. Kompensationen beim Patienten auftre- Es scheint: Vieles muss auf den Prüfstand! wiederkehrenden Atemwegsinfekten ten? Die Neuro- und Bewegungswissenschaften, oder dauerhaft zu trockenen Atem- Therapie- und Unterrichtsmethoden entwi- wegen, schränken die wichtige Funk- Mit welchen Methoden ckeln sich rasant weiter. tion der lufthaltigen Räume in Mund, arbeiten wir? Nase und Rachen ein. Störungen wie Muskelkräftigung – ein Unwort der letzten diese sorgen dafür, dass die Stimme Corrective Feedback zur Veränderung Jahrzehnte? weder ein gesundes Volumen noch der Muskelfunktion? Befragt man TherapeutInnen, die Patienten Wer hat noch nicht frustriert festgestellt, in Supervisionen oder in der Schlucksprech- ihren gesunden Ausdruck entfalten dass eine herausgestreckte, „zigarrenförmi- stunde vorstellen, nach den Zielen und Inhal- kann. ge“ Zunge allein auf verbale Aufforderung ten ihrer Therapie, wird „Muskelkräftigung“ hin ihre Form nicht verändert? Wie viele am häufigsten genannt. Recherchiert man Patienten können „locker lassen“ – und wo die Primärliteratur, dann werden das Timing, In Ihrer sollen sie locker lassen –, wenn wir sie in der die Koordination der Bewegungen und die Apotheke Therapie dazu auffordern? Verbesserung der „range of motion“ (ROM, Nach der Befundung einer „Kieferöffnungs- Bewegungsradius) für mindestens genauso störung“, sind wir oft mit unserem „Latein notwendig erachtet und propagiert. In der Emser Pastillen ® am Ende”! Es stellen sich Fragen, wie wir mit Literatur hat die Muskelkräftigung nicht den logopädischen Fertigkeiten beeinträchtig- Stellenwert, den sie in der deutschen Praxis • befeuchten und be- ruhigen die angegriffene te Körperstrukturen, Nerven, Muskeln und zu haben scheint. Mund- und Rachen- Strukturen wieder funktionsfähig machen schleimhaut können, wie wir Blockierungen, Spannun- Die Evidenzlage – Wie gut kennen • lösen festsitzende Beläge gen und sekundär erworbene Verkürzungen wir die Leitlinien? lösen können. Wie erfassen wir die Kompo- • lindern schnell bei Hals- nenten, aus denen Behandlungshypothesen Wir werden angehalten (und halten uns selber schmerzen, Hustenreiz erstellt werden können? dazu an), evidenzbasiert zu arbeiten. In der und Heiserkeit Im logopädischen Handeln werden die The- Leitlinie Neurogene Dysphagien (DGN 2008), rapeutenhände eher implizit (unbewusst werden Screenings mit Wasserschlucktests wissend) eingesetzt, bei der Begrüßung, empfohlen. Jeder Schlucktherapeut in der bei Handreichungen, zeigend oder agierend Neurologie weiß jedoch, dass Flüssigkeiten Forum Logopädie Heft 3 (25) Mai 2013 6-13 7 www.emser.de
THEORIE UND PRAXIS häufig am schlechtesten geschluckt werden der TherapeutInnen vor dem Symptom Aspi- cken? Und danach, folgt dem Schlucken ein und dass wir vielen unserer Patienten kein ration. Wir haben nicht gelernt, eine Aspirati- Aus- oder Einatmen? Wenn eine Therapeutin Wasser anbieten können. on therapeutisch anzugehen! Zwanzig Jahre diese Muster und Sequenzen kennt, weiß Weil diese Tests alleine nicht aussagekräftig Praktikantenanleitung zeigen, dass sich die sie, was eventuell folgen wird. Sie ist vor- sind, sollen wir den Patienten zusätzlich noch Ausbildung in den letzten Jahrzehnten in die- ausschauend vorbereitet (feedforward), u.U. im Pharynx stimulieren. Wissen wir, wie der ser Hinsicht nicht wesentlich verbessert hat. gleich eine Stabilisierung des Unterkiefers Nervus vagus reagiert, wenn wir ihn dabei Ein wesentlicher Grund ist darin zu vermuten, durchzuführen, damit sich die Zunge nach reizen? Wissen wir, dass der Patient brachy- dass kein Plan, keine Idee für den Umgang hinten abstoßen kann. Tritt wiederholt kein kard werden kann und was wir tun sollen, mit Schluckstörungen vermittelt wird. Schlucken nach Husten auf, deutet dies dar- wenn sich die Herzfrequenz bei dieser Stimu- auf hin, dass der sensomotorische Regelkreis lation verringert? Mit welchen Modellen arbeiten wir? gestört ist. Nun gilt es zu überlegen, welche Oder wir können alternativ zur Pharynxsti- Wer kennt nicht den plagiatsverdächtigen Hilfen einzusetzen sind, z.B. eine manuelle mulation beim Wasserschlucktest die Sauer- Satz „Schlucken ist ein hochkomplexer Vor- Schluckhilfe. stoffsättigung im Blut messen. Abgesehen gang, an dem fünf Hirnnerven und 50 Mus- Für die Bewertung und das therapeutische davon, dass es keine gesicherten Angaben kelpaare beteiligt sind“. Lassen sich daraus Vorgehen ergeben sich viele Optionen, wenn darüber gibt, wie schnell die Sättigung nach Therapiegedanken ableiten? man sich von der Befundung des reinen Aspiration abfällt, finden sich in den Leitlini- Das „model of swallowing“ (Langmore Schluckaktes verabschiedet und sich den fa- en überhaupt keine Angaben, in welchem 2001, 146) drückt diesen Vorgang und des- zio-oralen Sequenzen mit der Frage zuwen- Zeitintervall nach dem Schlucken wir die O2- sen Störung deutlich praxisnäher aus: „Schlu- det: Was war davor, was kommt danach! Sättigung prüfen sollen. cken ist das Ergebnis kombinierter Kräfte, die Die Wirksamkeit der Übungen und Manö- den Bolus durch den Pharynx bewegen und Neue manuelle Ansätze ver, die in den Leitlinien propagiert werden, ihn dabei aus den Luftwegen heraushalten. Viele SchlucktherapeutInnen suchen für sich sind kaum an Patienten untersucht. So ist das Dysphagie ist das Ergebnis einer Störung in nach therapeutischen Möglichkeiten und Zu- Mendelsohn-Manöver nur in einer Einzelfall- einem oder beider dieser Funktionen oder gängen. Die Nachfrage und Wartelisten für studie (!) an einem Patienten beschrieben diese beiden Ereignisse zu initiieren und zeit- Fortbildungen, in denen „Hand angelegt“ (Logemann & Kahrilas 1990). Der Effekt der lich aufeinander abzustimmen.“ wird, werden immer größer. Masako-Übung wurde nur an drei Patienten Langmore beschreibt damit zwei Komponen- So rücken zunehmend auch primär manuelle videofluoroskopisch nachgewiesen (Lazarus ten des Schluckvorgangs: Bewegung und At- Methoden und Techniken aus der Physiothe- et al. 2002) und neuere manometrische Stu- mung. Erst deren Zusammenspiel führt zum rapie ins Blickfeld, die Optionen zur Erweite- dien können keine Steigerung der Drücke bei gewünschten Ergebnis: Schlucken. Folgen rung unseres Therapiespektrums bei Stimm-, der Masako-Übung nachweisen (Umeki et al. wir diesem Modell, dann sollte die Atmung Sprech- und Schluckstörungen bieten: Die 2009, Doeltgen 2009, Huckabee & Doeltgen als kongeniale Partnerin der Schluckbewe- Manuelle Stimmtherapie (MST, Münch 2009). Langzeiteffekte sind bisher gar nicht gung endlich in die Diagnostik und Therapie 2009) vermittelt Untersuchungs- und Mobi- untersucht! So gesehen steht die F.O.T.T., der einbezogen werden. Dies wird bisher sträf- lisierungstechniken u.a. für das Diaphragma, die Leitlinienkommission fehlende Wirksam- lich vernachlässigt. Abgesehen von anam- die Halsmuskeln, den Larynx und das Hyoid. keitsnachweise attestiert, mit einer Pilotstu- nestischen Fragen prüfen nur einige wenige Weitere Zugänge ergeben sich durch die die mit 10 Patienten (Seidl et al. 2007) und der publizierten Screeningverfahren und Be- kraniofaziale Therapie (von Piekartz 2001), einer Studie mit 54 Patienten (Frank et al. fundbögen den Parameter Atmung. die Neuromuskuläre Arthroossäre Plastizi- 2007) nicht schlechter da. Atmung und Schlucken wechseln sich unser tät (N.A.P., Horst 2005), die Craniosakrale Einige Empfehlungen der Leitlinienkommissi- ganzes Leben ab. Während wir schlucken, ist Therapie (Upledger & Vredevoogd 2000), on werfen Fragen auf. So ist die Evidenzklas- die Atmung unterbrochen. Danach kommt die Osteopathie (Liem 1998) und die Neu- sifizierung restituierender und kompensatori- es beim Großteil der gesunden Menschen zu rodynamik (NOI, Butler 1995). Auch diese scher Verfahren zu hinterfragen. einem kurzen, reflektorischen Ausatmen, be- Ansätze werden praktisch mit Anleitung und vor die physiologischen Atemphasen wieder Selbsterfahrung vermittelt. Zwischenfazit einsetzen. Also sollten wir danach fahnden, Es wird abzuwarten sein, welche dieser ob ein Ausatmen oder gar ein Einatmen nach manuellen Techniken das funktionelle und Haben wir seinerzeit auf der dringenden Su- dem Schlucken erfolgt – letzteres mit der Ge- handlungsorientierte therapeutische Arbei- che nach Hilfen für die schluckgestörten Pa- fahr, Residuen in die Luftwege einzusaugen. ten in der Dysphagietherapie sinnvoll ergän- tienten mit dem uns unbekannten Störungs- Es ist an uns, unsere Mitmenschen und uns zen können. bild nach „Strohhalmen” gegriffen und vieles selbst genau zu beobachten: Wir schlucken nicht hinterfragt? Mit dem Aufkommen des nach Husten, nach Ausspucken, oft nach Gäh- Störungsbildes Schluckstörungen vor mehr nen, sogar nach Niesen! Wir schlucken wäh- Die Manuelle Schlucktherapie als 25 Jahren in Deutschland sind Therapeu- rend wir sprechen, beim Zähneputzen usw. – reset-the-brain tInnen mit einem medizinischen Gebiet kon- Der Alltag bietet viele Möglichkeiten, dies zu frontiert worden, auf das sie – ebenso wie überprüfen! Alle diese Situationen könn(t)en Die „Manuelle Schlucktherapie“ befasst sich die späteren Protagonisten und Lehrlogopä- in der Therapie genutzt werden. systematisch mit Methoden und Techniken, den – nicht vorbereitet und für das sie nicht Ein Beispiel soll das verdeutlichen: Husten bei denen die Hände der Therapeuten zum ausgebildet waren. nach Schlucken ist das Kardinalsymptom für Einsatz kommen. Kursziele sind, therapeuti- Auch heute noch fehlt es an praktischen eine Schluckstörung. Weltweit besteht ein sche Fertigkeiten und manuelle Vorgehens- Fertigkeiten und klinischer Ausbildung! Groß Neglekt für die Vorgänge, die nach dem Hus- weisen zu erwerben, die handlungsorientiert und paralysierend ist nach wie vor die Angst ten folgen. Folgt nach dem Husten ein Schlu- eingesetzt werden können. Die Teilneh- 8 Forum Logopädie Heft 3 (25) Mai 2011 6-13
merInnen sollen Anwendungsprinzipien In der Manuellen Schlucktherapie werden verstehen und Strategien kennenlernen, die die Hände als spezifisches Werkzeug ein- Lernen ermöglichen. Diese Strategien müs- gesetzt, um die Haltungs- und Bewegungs- sen individuell und variabel an den Patienten muster, die im gesunden System automatisch angepasst und ggf. modifiziert werden. erfolgen würden, zu fördern. Wir gehen da- Die theoretischen Grundlagen bilden das von aus, dass das Gehirn durch das Erspü- Modell der „Neuromuskulären Arthroossären ren möglichst physiologischer Bewegungen Plastizität“ (N.A.P., Horst 2003, 2009, 2011), wieder eine „Idee“ bekommt, wie der Zugriff die Prinzipien des motorischen Lernens (Ho- auf existierende, derzeit verschüttete (Bewe- rak 1990, Umphred 2000, Gampp Lehmann gungs-)Programme erneut erfolgen kann. 2011) und die International Classification of Bildlich gesprochen soll ein „Reset“ im Ge- Functioning ICF (WHO 2001). hirn, ein Zurücksetzen in den prämorbiden Um zielgerichtet manuell arbeiten zu kön- Zustand, stattfinden. Rehabilitatonsziel ist nen, sind u.a. die Kenntnis der Aufgaben der ein „Restore“, ein – möglichst weitgehendes Hände bei der Alltagsbewältigung sowie die – Wiederherstellen der bewährten Verarbei- Abb. 1: Kurssituation. Thema: Kopfkontrolle und Kiefergelenk- Kenntnis der posturalen Kontrolle, des Be- tungswege durch therapeutisches Wieder- zentrierung. Die Kursteilnehmerin empfindet die Retraktions- wegungsverhaltens, biomechanischer Prin- holen, Variieren und Shaping physiologischer bewegung des Kopfes am Schädelmodell nach. Die Dozentin zipien in der Bewegungsausführung und die Bewegungsvorgänge. demonstriert, wie sie den Unterkiefer mit beiden Daumen durch praktische Vermittlung von Hands on-Tech- nach kaudal gerichteten Druck fixiert. niken (Abb. 1 und 2) notwendig. Schlucken ist Bewegung! Hände als Werkzeug Schlucken ist eine motorische Reaktion/Ant- wort auf einen Stimulus. Diese Bewegung Therapeutenhände können Strukturen er- kann modifiziert und verändert werden. Auch spüren, Funktionen verbessern, das Handeln nach schwerwiegenden Hirnverletzungen fördern und so das Bewegungsausmaß, die existiert meist noch das zentrale „Schluck- Funktionsfähigkeit und die Anpassungen der programm“, das durch Stimulation angeregt Muskelspannung an die Aktivität verbessern. werden kann. Seidl et al. (2007) zeigen in Stu- Werden Haltungen, Strukturen, Bewegungen dien, dass u.a. nach F.O.T.T.-Mundstimulation und Muskelspannungen (Nacken, Hyoid- die Schluckfrequenz gesteigert werden kann. Komplex, Kehlkopf, Diaphragma, Halsmus- Das heißt zwar noch nicht, dass das Schlu- keln etc.) in der Untersuchung palpiert und cken von Beginn an sicher abläuft, aber erste gespürt, entsteht ein differenziertes Bild über Bewegungsinitiierungen sind da und können die vorhandenen Störungen oder Einschrän- ausgebaut werden. Abb. 2: Selbsterfahrung: Die Kursteilnehmerin unterstützt kungen. Dadurch ergeben sich u.U. andere Als manuelle Methoden stehen u.a. das Eli- ihre Kopfretraktion (Punktum mobile) durch Druck in dorsaler Bewertungen und Hypothesen für das wei- zitieren (Hervorlocken), das Fazilitieren (er- Richtung auf beide Jochbeine. Die Dozentin stabilisiert ihren tere Vorgehen. In der Therapie können dann leichtern, bahnen) und das Führen von Bewe- Unterkiefer (Punktum stabile). Asymmetrien oder Verkürzungen behandelt gungen (vgl. Affolter-Modell) zur Verfügung, werden, Körperhaltungen und/oder Muskel- die Veränderungen hervorrufen können. In spannungen verändert und Aktivitäten geför- dem vorliegenden Modell wird davon ausge- sen und Trinken erlernen können. (Ausnah- dert werden, die eine Änderung des motori- gangen, dass die Plastizität (Lernen) nicht nur me: Hin und wieder schaffen es halsmark- schen Verhaltens bewirken. neuromuskuläre Veränderungen, sondern verletzte Querschnittpatienten. Sie erreichen Die Hände des Therapeuten können dabei auch Veränderungen an Knochen und Ge- eine Verbesserung der Lebensqualität auf mit unterschiedlichen Zielrichtungen einge- lenken hervorruft (N.A.P.). Kosten der Sicherheit, da sie nicht abhusten setzt werden: können). Die Haltung, die posturale Kontrolle kann Bewegung erfordert posturale Mit koordinierten Bewegungen bewältigen unterstützt oder optimiert werden, damit Kontrolle – ohne Stabilität keine wir die Aufgaben im täglichen Leben. Ko- die genetischen Programme der Muskeln ordinierte Bewegungen erfordern sowohl Mobilität! und nicht-kontraktiler Strukturen (Kno- Stabilität als auch Mobilität. Bestimmte chen, Gelenkkapseln, Ligamente, Faszien, Die posturale Kontrolle (Haltungskontrolle) Strukturen müssen stabil sein, damit andere Dura Mater) wieder „ablaufen“ können. ist eine Grundlage unseres Daseins, um in mobil sein können. Die Strukturen können Zur Verbesserung der Funktionen können der Welt zurechtzukommen und die anste- ihre Aufgaben aber bei der nächsten Akti- neurale, muskuläre und nicht-kontraktile henden Aufgaben und Probleme lösen zu on sofort wieder tauschen („dynamische Strukturen mobilisiert werden. können. Sie beinhaltet die Fähigkeit, Körper- Stabilität“, Davies 1995). Beim Kauen sind Die Elastizität der Strukturen rund um das Hy- segmente zueinander auszurichten, sowohl der Larynx und das Hyoid stabil, damit der oid, die Halsmuskeln, die Stellung und Bewe- unter statischen, aber vor allem auch unter Unterkiefer mobil sein kann. Beim Schlucken gungsfähigkeit der Schultern und des Kopf- dynamischen Bedingungen (Horst 2005) – wechseln Punktum stabile und Punktum es, der Nacken, der Brustkorb und die Faszien ständig und bei allen Alltagsaktivitäten. mobile: Der Unterkiefer muss stabil sein, (ICF-Ebene der Körperstrukturen und -funkti- Auch die Nahrungsaufnahme erfordert pos- damit sich die mobile Zunge abstoßen und onen) entscheiden mit über eine zielführende turale Kontrolle. Es gibt kaum Patienten, die der Kehlkopf und das Hyoid bewegen kön- Biomechanik beim Schluckvorgang. ohne Kopf- und Rumpfkontrolle wieder Es- nen (Gampp Lehmann & Sticher 2011). Mit Forum Logopädie Heft 3 (25) Mai 2013 6-13 9
THEORIE UND PRAXIS dieser dynamischen Stabilität (Davies 1995) kommen physikalische und biomechanische (Lebens-)Prinzipien ins Spiel, die bei Bewe- gungen und Aktivitäten unabdingbar sind. Sie haben bisher keinen Eingang in die Dys- phagietherapie gefunden. Implizites Körperwissen und Hand- lungswissen im Kontext nutzen! Wir erwerben implizit Körper- und Hand- lungswissen in den ersten Lebensjahren, indem wir die o.g. (und weitere) Prinzipien nutzen (Fallang et al. 2000, Nusser-Müller- Abb. 3a: Vor der Therapie: Taillenfalte links, Abb. 3b: Nach der Therapie: Die Taillenfalte Busch 2011). Dazu bedarf es der Organisa- fixiert durch innere sekundäre Verkürzungen auf wurde in einer Behandlung aufgelöst. Das Sitzen tion multipler sensorischer Strategien für die Grund der Haltungsinsuffizienz im Lot ist nicht mehr strukturell behindert. Orientierung im Raum (Horst 2005, 2011). In der Auseinandersetzung mit der Welt adap- tieren wir unser Körperwissen ein Leben lang (Feedback-Schleifen). Posturale Synergien werden im Verlauf der motorischen Entwicklung ebenso wie später im Erwachsenenalter aktivitäts- und situati- onsbezogen rekrutiert (Feedforward-Schlei- fen). So organisieren sich z.B. die posturalen Synergien im Sitzen von cranial (oben) nach caudal (unten), im Stehen jedoch von caudal nach cranial (Sveistrup & Woollacott 1996). Dies sollte bei der Wahl der Ausgangstel- Abb. 4a: Vor der Therapie: Eingeschränkte Abb. 4b: Nach der Therapie: Die vorhandene lung genauso berücksichtigt werden wie die Zungenbeweglichkeit auf Grund der sekundären Zungenmotorik wird strukturell nicht mehr Schwere der körperlichen Einschränkungen Verkürzungen. Durch die Anstrengung beim behindert und erlaubt der vorhandenen Motorik des Patienten. Rausstrecken der Zunge kommt es zur Verstär- größtmögliche Aktivität. Sind die Rumpf- und Kopfkontrolle beim Pati- kung der gesamten Haltungsasymmetrie. enten nicht gegeben (keine Stabilität), können mobile selektive Zungen- oder andere fazio- ner Therapieeinheit – und ohne eine einzige logisches und vorausschauendes Denken orale Bewegungen nicht erfolgen. Schlucken mundmotorische Übung! geübt und Problemlösungs- und Lernstrate- wird nicht möglich, ja u.U. durch die nicht ad- Es gilt, diesem und anderen Phänomenen gien aufgezeigt (Clinical-Reasoning-Prozesse, äquate Ausgangsstellung sogar behindert! In auf die Spur zu kommen. Die Basis für diese Klemme & Siegmann 2006). Einige Zitate sol- diesem Fall wäre zu Beginn eine niedrige Aus- Therapie ist ein fundiertes biomedizinisches len dies veranschaulichen: gangstellung in der Therapie zu wählen, z.B. Wissen. Um die Möglichkeiten der manuel- „Schaue zuerst den Patienten an, was er eine Seitenlage, die viel Unterstützungsfläche len Schlucktherapie nutzen zu können, ist in seinem Alltag kann, erst dann registriere bietet und wenig Haltearbeit des Patienten es notwendig, sich die funktionelle Anato- seine Defizite und beginne die Behandlung erfordert, damit selektivere Schluckbewegun- mie, Biomechanik und das Zusammenspiel damit, herauszufinden, warum der Bewe- gen überhaupt möglich werden. zahlreicher schluckrelevanter Strukturen zu gungsablauf gestört ist.“ (Berta Bobath zit. Ein Ergebnis posturaler Arbeit durch tonus- erarbeiten. Dazu zählen mehr Strukturen als in Biewald 1999) regulierende Dehnlagerung, Förderung der in der herkömmlichen Literatur aufgeführt Setzt man die Gedanken der ICF konsequent Tiefatmung und sanfter Dehnung der oberen werden, u.a. die Halswirbelsäule, die Kiefer- um, verändert sich das Vorgehen in der klini- Halswirbelsäule und des Hyoid-Komplexes und Kopfgelenke, die Nackenextensoren, die schen Befunderhebung und Therapie. Akti- zeigt die F.O.T.T.-Therapeutin Gampp Leh- Muskeln des Halses und des Hyoidkomplexes vitäten werden befundet und erst dann wird mann (2011, 66ff). Zur Überprüfung der sowie die Kopf-, Nacken- und Schultergür- geprüft, welche Strukturen und Funktionen Effektivität wird in diesem Therapieprozess telkoordination. des Körpers dabei die Aktivitäten behindern. methodisch das ABA-Design (Fuchs 2011) Auch gilt es das Potenzial des Patienten zu benutzt. Mit Test – Intervention – Re-Test Strategien, die Lernen und den ermitteln. kann überprüft werden, ob die therapeu- Therapieprozess fördern „Gib Hilfen für ein besseres Leben, nicht tische Intervention qualitative oder quanti- Übungen.” (Berta Bobath zit. nach Nusser- tative Veränderungen relevanter Parameter Experten ändern oft schnell und situationsab- Müller-Busch 2011) hervorruft. Zwischen den Abbildungen 3a hängig ihr Vorgehen und ihre Strategie in der ICF bedeutet nicht nur, dass wir uns in Team- und 3b sowie 4a und 4b liegt genau eine Therapie. Diese „intuitiven“ Entscheidungen sitzungen über die Wünsche und nächsten Therapieeinheit! Durch die Spannungsregu- sind für junge Therapeuten oft nicht nachvoll- Ziele des Patienten verständigen. Es gilt die lierung im Körper verändert sich gleichzeitig ziehbar. In gemeinsamen interaktiven Grup- funktionellen Reserven und das individuelle die Qualität der Zungenbewegungen – in ei- penreflexionen werden klinisch orientiertes, Potenzial des Patienten in der Befunderhe- 10 Forum Logopädie Heft 3 (25) Mai 2011 6-13
bung und Therapie herauszufinden, zu akti- samkeit des Patienten auf das Ziel gelenkt. der Patient auch emotionale Erfahrungen vieren und eine Atmosphäre zu schaffen, in Dieses Vorgehen wird durch Wulf (2009) u.a. machen. Neben dem sensorischen und moto- der Lernen möglich wird. Lernen ist nur mög- gestützt. Sie berichtet von besseren motori- rischen System muss in der Therapie auch das lich, wenn der Patient motiviert und emotio- schen Ergebnissen bei Sportlern und Parkin- limbische System des Patienten und ebenso nal beteiligt ist. son-Patienten, wenn die verbale Anleitung das der TherapeutIn im Einsatz sein! Mit den Begriffen „Information + Aktivi- zielorientiert auf die Aufgabe gerichtet ist tät + Variabilität + Bedeutung + Kontext“ (externer Aufmerksamkeitsfokus), als wenn Müssen wir „besser“ werden oder fasst Mulder (2011) die „Nährstoffe“ zusam- sie auf die motorische Durchführung der Auf- brauchen wir einen Neuanfang? men, die das Gehirn nach heutigem Wissen gabe gerichtet ist (interner Fokus). braucht, um zu lernen. Sie entsprechen den „Rehabilitation ist dann effektiv, wenn sie Wir können das ZNS noch nicht verstehen, Prinzipien des motorischen Lernens. Die ver- von dynamisch denkenden Therapeuten wir können nur versuchen, Regeln und Prin- schiedenen Informationen (Stimuli) müssen ausgeführt wird, die wissen, wie man zipien auszumachen, wie es lernt! Und – wir wiederholt und variiert werden, damit sie das Adrenalin zum Fließen bringt!” (Karel können das ZNS manipulieren. Die Nutzung automatisiert werden können. Um in der Bobath zit. in Pessler 2009) der im ZNS organisierten Systeme und Sub- Therapie voranzukommen, muss auch der Wir lernen aus Fehlern, wir lernen besser, systeme ist (auch) abhängig von neuroana- Schwierigkeitsgrad der Aufgaben angepasst/ wenn wir motiviert sind. Hier ist die Thera- tomischen, biomechanischen Faktoren und gesteigert werden (Shaping), indem z.B. zu peutIn gefordert, Aufgaben in realistischen, Umwelteinflüssen. Plastizität bedeutet Lern- gegebener Zeit die Unterstützung der Thera- sinnvollen Kontexten spannend zu gestalten. fähigkeit und betrifft Nerven, Muskeln, Ge- peutenhände reduziert wird (Hands off). Jeder Stimulus (visuell, taktil, propriozeptiv, lenke und Knochen, den ganzen Menschen. „Die Aufgabe bestimmt die neuromusku- auditiv, verbal, vestibulär etc.) muss von der Lernen kann fördernd, aber auch hemmend läre Koordination und diese die Biomecha- TherapeutIn signifikant und spezifisch in Be- sein – dies ist abhängig von den Inputs, die nik!“ (Horst 2005) zug auf das Ziel gewählt werden. Bereits wenn wir geben! Welche Stimuli sind hilfreich, wel- Wir lernen auf der Aktivitätsebene. Der Ler- man das Essen riecht, wird das entsprechende che abträglich? Wann brauchen wir Hem- nende muss daran interessiert sein, eine Lö- Programm für das Schlucken generiert. Neue mung, wann brauchen wir Förderung? sung für sein motorisches Problem zu finden, fMRI-Studien zeigen, dass auch auditive und Mit heutigem Stand wissen wir nicht, was die oder wir müssen das Interesse daran wecken. visuelle Stimuli zu signifikanter Aktivität im Dysphagietherapie bewirkt. Findet Rehabili- Wir nutzen dabei ein alltagsorientiertes, kon- Gehirn führen (Kawai et al. 2009, vgl. prä- tation oder Habituation statt? Schreiben wir textbezogenes Vorgehen, bei dem die Hir- orale Phase). Auch hier werden wir uns von unserer Therapie den Erfolg zu, obwohl er nareale aktiviert werden, die für die Aktivität dem „Paradigma“ der fünf am Schlucken be- vielleicht auf Spontanremission zurückgeht? erforderlich sind. Vor allem werden hierbei teiligten Hirnnerven verabschieden müssen. Erholen sich Patienten vielleicht sogar „trotz“ andere Hirnareale aktiviert als bei abstrakten Der Nervus opticus, der Nervus acusticus und Therapie? Übungen (Kleim & Jones 2008, Markham & sicherlich auch der Nervus olfactorius sind am Bisher gibt es kaum Studien darüber, welche Greenough 2004). Die Aufgaben-/Zielorien- Schluckgeschehen beteiligt, und alle anderen plastischen Veränderungen die Dysphagie- tierung gilt derzeit als evidenzbasiertes Ver- wohl auch! therapie im ZNS auslöst (Robbins et al. 2008). fahren. Die Intensität, Wiederholungen, Variationen Mit Hilfe der transkraniellen Magnetstimula- Alltagsorientiertes Vorgehen aktiviert impli- und das Shaping der Stimuli sind von der The- tion (tMS) konnte bisher nur von Hamdy und zites Körperwissen beim Patienten und beim rapeutin genau zu kalkulieren. Die gestellte Kollegen (1997, 2000) eine Veränderung der Therapeuten und u.U. erste motorische Re- Aufgabe muss bedeutend sein für den Patien- Neuroplastizität bei Stroke-Patienten gefun- aktionen, die ausbaufähig sind. Durch die ten. Um erneuten Zugriff auf die Bewegungs- den werden. Ebenfalls mit der tMS wurden Instruktion einer Aufgabe wird die Aufmerk- programme zu bekommen („Reset“), muss in der Folge am Unfallkrankenhaus Berlin Er- DZH Zertifizierte Qualität – jetzt auch für Ihre Privatabrechnung Wenn Sie auf die Abrechnung der DZH setzen, dann wissen Sie: Bei uns genießen Sie anspruchsvolle Dienst- leistungen und alle Vorzüge einer umfassenden Betreuung. Immer im Mittelpunkt: Ihre persönlichen und unterneh- merischen Ziele. Jetzt können Sie Ihre Ziele noch ehrgeiziger verfolgen. Denn ab sofort unterstützen wir Sie auch bei der Abrech- nung gegenüber privaten Rechnungsempfängern. Ob Auszahlung zum Wunschtermin, Rechnungserstellung und -versand, Zahlungserinnerung oder Mahnverfahren – hinter jeder Leistung stehen mehr als 65 Jahre Erfahrung und unser gemeinsames Ziel: Ihr Erfolg. Rufen Sie uns an – wir beraten 40. 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THEORIE UND PRAXIS regungspotenziale im Kortex von 10 gesun- Davies, P.M. (1995). Wieder Aufstehen. Frühbehand- Dysphagiologie: Von der Untersuchung in die klini- den Probanden während der taktilen FO.T.T.- lung und Rehabilitation für Patienten mit schweren sche Praxis (121-138). Idstein: Schulz Kirchner Mundstimulation nachgewiesen (Böggering Hirnschädigungen. Berlin: Springer Kawai, T., Watanabe, Y., Tonogi, M., Yamane, G., Abe, S., 2008, Mütz 2009). DGN (2008). Leitlinie Neurogene Dysphagien. Yamada, Y. & Callan, A. (2009). Visual and auditory Die Experten der ASHA (American Speech http://www.dgn.org (07.03.2011) stimuli associated with swallowing: an fMRI study. and Hearing Association) fordern zur Klä- Doeltgen, S.H., Witte, U., Gumbley, F & Huckabee, M.L. The Bulletin of Tokyo Dental College 50 (4), 169-181 rung dieser Fragen Tierversuche (Robbins et (2009). Evaluation of manometric measures during Kleim, J.A. & Jones, T.A. (2008). Principles of experi- al. 2008). 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Experience- ziert werden kann. Entscheidend ist, ob die Hamdy, S., Aziz, Q., Rothwell, J.C., Crone, R., Hughes, driven brain plasticity: beyond the synapse. Neuron motorischen Reaktionen erfolgen, die wir an- D.G., Tallis, R.C. & Thompson, D.G. (1997), Explai- Glia Biology 1 (4), 351-363 streben. Je mehr Wissen und Fertigkeiten wir ning oropharyngeal dysphagia after unilateral Münch, G. (2009). Die Manuelle Stimmtherapie (MST). erwerben, umso eher wird das gelingen. hemispheric stroke. Lancet 350, 686-692 Idstein: Schulz-Kirchner So manch einer wird argumentieren, dass die Hamdy, S., Rothwell, J.C., Aziz, Q. & Thompson, D.G. Mütz, S. (2009). Einfluss einer oralen Stimulation Manuelle Schlucktherapie „zu viel Physiothe- (2000), Organization and reorganization of human nach F.O.T.T. auf den motorischen Kortex gesunder rapie“ sei. Diese Einwände müssen diskutiert swallowing motor cortex: implications for recovery Probanden. Diplomarbeit Lehr- und Forschungslo- werden, aber auch die Fragen: Werden wir after stroke. Clinical Science 99 (2), 151-7 gopädie RWTH Aachen dem Patienten mit unseren jeweiligen Teil- Horak, F.B. (1990). Assumptions underlying motor con- Mulder, T. (2011). The re-learning of motor control fol- kompetenzen (Logopädie, Physiotherapie, trol for neurologic rehabilitation. In: Contemporary lowing brain damage. Workshop Kongress „Lernen Ergotherapie, Neuropsychologie, Kunstthe- management of motor problems, chapter 4, 11-27. bewegt“, Basel, 20.-21.01.2011 rapie) in Einzeltherapien noch gerecht? Steht Proceedings the II Step Conference, Alexandria. Nusser-Müller-Busch, R. (2011) Das F.O.T.T.-Konzept: der Patient wirklich im Mittelpunkt? Brau- Virginia: The Foundation for Physical Therapy funktionell – komplex – alltagsbezogen. In: chen wir nicht im 21. Jahrhundert angesichts Horst, R. (2003). Ungenutzte Möglichkeiten der Nusser-Müller-Busch, R. (Hrsg.), Die Therapie des der Komplexität neue inter- und transdiszip- manuellen Therapie und der Proprioceptiven Facio-Oralen Trakts (1-28). Berlin: Springer linäre Inhalte und Formen der Zusammenar- Neuromuskulären Fazilitation (PNF): Neuromus- Okada. S., Eiichi, S., Palmer, J.B., Matsuo, K., Yokoy- beit in der Diagnostik und Rehabilitation, bei kuläre Arthro-ossäre Plastizität (N.A.P.®). Fisio ama, M., Shigeta, R. & Baba, M. (2007) What is der Hypothesenformulierung, beim lösungs- Active 10 the chin-down posture? A questionnaire survey of orientierten Vorgehen und im Kompetenzer- Horst, R. (2005). Motorisches Strategietraining und speech language pathologists in Japan and the Uni- werb? PNF. Stuttgart: Thieme ted States. Dysphagia 22, 204-209. http://www. Horst, R. (2009). Neuromuskuläre Arthroossäre springerlink.com/content/gp242q4053762737.pdf Plastizität. Weiterentwicklung der traditionellen (07.03.2011) LITERATUR physiotherapeutischen Konzepte. PT – Zeitschrift Pessler, M. 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Diplomarbeit Lehr- lung von Rehabilitationsansätzen für pharynge- R., Langmore, S., Lazarus, C.L., Martin-Harris, B., und Forschungslogopädie RWTH Aachen ale Bewegungsstörugen: Die Verknüpfung von McCabe, D., Musson, N. & Rosenbek, J. (2008). Butler, D.S. (1995). Mobilisation des Nervensystems. Forschung und klinischer Arbeit. In: Hofmayer, A. Swallowing and dysphagia rehabilitation: trans- Berlin: Springer & Stanschus, S. (Hrsg.), Evidenzentwicklung in der lating principles of neural plasticity into clinically 12 Forum Logopädie Heft 3 (25) Mai 2011 6-13
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