MBZ Digitale Gesellschaft menschlich gestalten - Roboter in der Pflege - KZV Berlin
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2 | 2019 MBZ Mitteilungsblatt Berliner Zahnärzte Roboter in der Pflege Digitale Gesellschaft menschlich gestalten
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Aus der Redaktion 10 Liebe Leserinnen, liebe Leser, in der Hightech-Strategie 2025 der Bundesregierung bilden ● Im letzten Jahr wurden die Verhandlungen zur Gesamtvergü- Pflegetechnologien einen Schwerpunkt im Handlungsfeld „Ge- tung mit der BIG und dem vdek für gescheitert erklärt. Mit der BIG sundheit und Pflege“. Es geht darum zu untersuchen, wie in traf man sich kurz vor Weihnachten vor dem Schiedsamt. In sei- der Alten- und Krankenpflege technische und organisatorische nem Leitartikel auf Seite 4 wirft Karsten Geist einen Blick zurück Lösungen dazu beitragen können, die Selbstbestimmung und die und stellt fest, dass Vertragspartnerschaft von den Beteiligten un- Lebensqualität von Pflegebedürftigen zu erhöhen und professio- terschiedlich definiert wird. nell Pflegende sowie pflegende Angehörige zu entlasten. Denn längst prägen Sensorik, Robotik und virtuelle Realität unseren mo- ● Das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz verpflichtet nunmehr statio- dernen Alltag. näre Pflegeeinrichtungen, Kooperationsverträge mit Zahnärzten ab- zuschließen. Ab Seite 18 informieren wir über wesentliche Punk- Wie können nun diese neuen Möglichkeiten künftig auch mehr in te, die es hierbei zu beachten gilt. Regelungen zu Krankenfahrten der Pflege eingesetzt werden? Technische Assistenzsysteme wie und -transporten werden ebenfalls erläutert. Hinweise zur Abrech- intelligente Pflegebetten und digitale Begleiter wie in die Kleidung nung der präventionsorientierten Leistungen nach § 22a SGB V ge- integrierte sog. Wearables können Pflegende von Routinearbeiten ben wir auf Seite 56. entlasten und Pflegebedürftige in ihrer Selbstständigkeit unterstüt- zen. Die Akzeptanz einer digitalen Pflegeunterstützung wird ent- ● Auch 2019 bietet das Philipp-Pfaff-Institut wieder vielfältige Fort- scheidend davon beeinflusst, ob der alltägliche Umgang damit als bildungsthemen in Curricula, Strukturierten Fortbildungen oder sicher, zuverlässig und vertrauenswürdig eingeschätzt wird. Und in auch mal in der Mark Brandenburg, wenn „Pfaff on tour“ geht. Für kaum einer anderen Branche müssen technische und soziale In- jede Interessenlage ist etwas dabei. Ab Seite 48 stellen wir die novationen so zwingend Hand in Hand gehen wie in der Pflege. Kurse vor. Künstliche Intelligenz gewinnt also an Bedeutung. Viele Fragen ● Wo wünschen sich junge Praxisinhaber Unterstützung durch sind aber noch offen: Wem gehorcht beispielsweise ein Pflege ihre Zahnärztekammer? Eine Online-Umfrage in allen 17 Landes- roboter in letzter Konsequenz? Wird er den Patienten entmün zahnärztekammern soll Aufschluss geben über die Bedürfnisse digen? Wie kann das Hacken des Pflegeroboters verhindert wer- von neu Niedergelassenen. Nehmen auch Sie sich drei Minuten den? Solche und weitere Fragen müssen dringend geklärt werden. Zeit. Nähere Informationen finden Sie auf Seite 52. Unser Thema ab Seite 8 beschäftigt sich mit der Frage, wie man mit rechtlichen Mitteln dazu beitragen kann, dass künstliche Intelli- Eine anregende Lektüre wünscht genz sich an menschliche Werte hält. Vanessa Hönighaus 2 | 2019 MBZ 1
Inhalt Ocskay Mark - Fotolia.com ZÄK Berlin | Jens Jeske 14 16 Beruf & Politik 14 Nutzen kieferorthopädischer Behandlung 16 33. Berliner Zahnärztetag 18 Kooperationsverträge mit Pflegeeinrichtungen 20 Änderungen gesetzlicher Regelungen 21 Julie Fotiadis-Wentker zum 50. Geburtstag 22 Dank an Peter-Michael Fischer Neue Patientenbeauftragte berufen Leitartikel 4 Verhandlungen zur Gesamtvergütung ZahnMedizin 24 Neue Schmerzmedikamente Meldungen 45 Dienstagabend-Fortbildung der Zahnarztekammer 6 Neuer Vorstandsvorsitzender der Charité Neue Fachkollegen Kindheit prägt Gesundheit lebenslang 46 Fortbildungen der KZV Berlin Zahnarztsuche und Apothekennotdienst verlinkt 48 Curriculum Kinder- und JugendzahnMedizin Strukturierte Fortbildung: Funktionslehre Thema 49 Pfaff on tour: Abrechnung 8 Künstliche Intelligenz 50 Kursangebot des Philipp-Pfaff-Instituts Regeln für Roboter 52 Medizinische Notfälle in der Zahnarztpraxis ANZEIGE * Die DZR sind Marktführer in der zahnärztlichen Privatliquidation mit dem größten Warum bis zum nächsten Ausfall warten? Warum Ihr Praxisteam mit Verwaltung überladen? Abrechnungsvolumen und den meisten Kunden. Warum Zahlungsverzug riskieren? 0711 96000-255 | www.dzr.de/sicherheit Vertrauen und Sicherheit vom Marktführer*. 2 MBZ 2 | 2019
Inhalt fotografikum | AdobeStock KZV Berlin 20 57 Praxis & Team 52 Online-Umfrage unter neu Niedergelassenen 54 Beanstandungen der Krankenkassen bei Zahnersatz GOZ & Bema 56 Abrechnung von Prophylaxeleistungen Kalender 57 Mehrkostenvereinbarung 68 Februar 2019 bei Kompositfüllungen Notdienst Amtliches 25 Zahnärztlicher Notdienst 58 Prüfungstermine Kieferorthopädie 43 Kieferorthopädischer Notdienst Prüfungstermine Oralchirurgie 60 ZÄK-Delegiertenversammlungen 2019 62 Rubrik-Anzeigen KZV-Vertreterversammlungen 2019 65 Impressum Sitzungstermine des Zulassungsausschusses 67 Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner ANZEIGE Berlin, wir kommen! Immer wieder gerne und mit aktuellen und spannenden Themen rund um die zahnärztliche Abrechnung im Gepäck. Ob Einsteiger oder Profi – wir haben für jeden das Passende. Frühjahrstour 2019: Anmeldung unter www.daisy.de 2 | 2019 MBZ 3
Leitartikel Verhandlungen zur Gesamtvergütung Vertragspartnerschaft geht anders Liebe Kolleginnen und Kollegen, Weihnachtszeit ist die Zeit der Überraschungen. Überraschend trag gegeben. Wir wissen alle, dass dieser Weg nicht nur wertvolle war auf jeden Fall der Auftritt des Landesverbandes der Innungs- Zeit kosten, sondern auch teuer würde. Was also lässt sich dieser krankenkassen Berlin/Brandenburg, vertreten durch die BIG Situation noch Positives abgewinnen? Vielleicht die Tatsache, dass direkt gesund, als wir uns kurz vor Weihnachten vor dem Schieds wir uns schon Mitte März mit dem Verband der Ersatzkassen e. V. amt trafen. Mit Erstaunen nahmen wir zur Kenntnis, dass die BIG (vdek) vor dem Schiedsamt treffen und die detaillierte Bearbei- ihr Angebot abermals gesenkt hatte. Während am Anfang der Ver- tung der Auflagen als lohnende Aufgabe und intensive Vorberei- handlungen ihr Angebot bei einer Steigerung von 2,8 Prozent tung angesehen werden kann. Mit Abstand betrachtet ist die Tatsache, dass sich die BIG an ihre eigenen An- gebote nicht mehr gebunden fühlte, nicht überraschend. Befremdlich aller- Das Verhalten der BIG dings war, dass die BIG einen Beistand gemäß § 13 Abs. 4 SGB X mitbrach- ist in einigen Punkten te, aber sowohl dies zu erwähnen ver- äußerst befremdlich. gaß als auch die Tatsache, dass der Herr ein Angestellter der Firma „Age- Karsten Geist non“ ist. Das Beratungsunternehmen stv. Vorsitzender des Vorstandes Agenon hat 2016 ein Gutachten der KZV Berlin für den vdek zum Thema „Verände- KZV Berlin rung der Kosten- und Versorgungs- strukturen in Zahnarztpraxen“ er- stellt. Da ist der Gedanke, dass die Firmenzugehörigkeit absichtlich ver- auf Punktwert und Gesamtvergütung lag, waren es in den Unter- schwiegen wurde, wohl nicht ganz von der Hand zu weisen. Im- lagen zum Schiedsamt nur noch 1,1199 Prozent. Das hielt aber merhin wirbt Agenon im Internet mit der Aussage, dass „im Mit- die BIG nicht davon ab, in der mündlichen Verhandlung lediglich telpunkt unserer Arbeit der Kunde“ steht und „die Beratungs-, 0,8123 Prozent Steigerung anzubieten. Diese schrittweise Senkung Methoden- und Fachkompetenz im Sinne Ihres Anliegens“ gebün- begründete man mit Fehlern in den eigenen Berechnungen. delt wird. Jetzt ist der Kunde die BIG, im März dann der vdek?! Die Verwunderung über dieses Vorgehen stand nicht nur uns ins Vertragspartnerschaft definieren wir anders. Fazit: Es wird zuneh- Gesicht geschrieben. Auch den unabhängigen Schiedsamtsmit- mend schwieriger werden, mit Krankenkassen angemessene Ver- gliedern war eine leichte Irritation durchaus anzumerken. Wenn träge zu verhandeln. man berücksichtig, dass das Bundesministerium für Gesundheit Nur mit einer validen Datengrundlage werden wir ein akzeptables eine Veränderungsrate der beitragspflichtigen Einnahmen der ge- Verhandlungsergebnis erzielen können. Daher bedanke ich mich bei setzlichen Krankenkassen von 2,97 Prozent für 2018 veröffentlich- allen Praxen, die am Zahnärzte-Praxis-Panel teilgenommen haben – te und die Inflationsrate bei 2 Prozent liegt, muss man beim An- in Berlin und bundesweit. Verbinden möchte ich meinen Dank mit gebot der BIG einfach ins Grübeln kommen. Dennoch ließ der einem Appell an Sie: Die ZE-Statistik im Rahmen der ZE-Abrech- Schiedsamtsvorsitzende nichts unversucht, die Parteien zu ei- nung steht nun allen Vertragszahnärzten kostenlos zur Verfügung. nem Vergleich zu bewegen. Leider vergebens. Obgleich die BIG Ihre Daten unterstützen die Kassenzahnärztliche Bundesverei verschiedene Änderungen in ihrem Rechenmodell vornahm, die nigung bei ihren Verhandlungen für den ZE-Punktwert. Wir brau- uns allerdings mehr willkürlich als sachlich begründet erschienen, chen Ihre Unterstützung, damit auch wir Sie wirkungsvoll unter- lagen die jeweiligen Forderungen so weit auseinander, dass eine stützen können. Einigung reines Wunschdenken war. Das Ende vom Lied: Die Schiedsamtsmitglieder sahen sich nicht in der Lage, eine Einigung Herzlichst Ihr zu empfehlen, geschweige denn eine Entscheidung zu treffen. Was nun? Alles auf Anfang? Nicht ganz. Wie vom Schiedsamt angekündigt, erreichte uns im Januar der Auflagenbeschluss, der an beide Parteien versendet wurde. Auf Basis der Erfüllung die- ser Auflagen wird das Schiedsamt beurteilen, ob es eine Entschei- dung treffen kann. Ist dies nicht der Fall, wird ein Gutachten in Auf- Karsten Geist 4 MBZ 2 | 2019
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Meldungen Prof. Dr. Heyo Kroemer Neuer Vorstandsvorsitzender der Charité Der Aufsichtsrat der Charité – Universitätsmedizin Berlin hat Mitte Prof. Karl Max Einhäupl begrüß- umg/kimmel Dezember 2018 Prof. Dr. Heyo Kroemer zum nächsten Vorstands- te die Wahl seines Nachfolgers: vorsitzenden der Charité bestellt. Mitte Januar wurde er im Roten „Mit Professor Kroemer wird ein Rathaus vom Aufsichtsrat-Vorsitzenden, dem Regierenden Bürger- in Forschung, Klinikmanagement meister Michael Müller, vorgestellt. Kroemer tritt zum 1. Septem- und Wissenschaftspolitik gleichermaßen ausgewiesener Kollege ber 2019 die Nachfolge von Prof. Dr. Karl Max Einhäupl an, der die die Berliner Universitätsmedizin führen. Ich freue mich, dass Pro- Berliner Universitätsmedizin seit 2008 leitet. fessor Kroemer mit neuen Akzenten den Erfolgskurs der Charité in Der Pharmakologie-Professor Kroemer ist seit 2012 hauptamt Richtung wissenschaftlicher Exzellenz, Versorgung mit Spitzenme- licher Dekan und Sprecher des Vorstandes der Universitätsmedi- dizin und wirtschaftlicher Stabilität fortsetzen wird. In den nächsten zin Göttingen und zudem Präsident des Medizinischen Fakultäten Jahren gilt es, die wissenschaftliche Sichtbarkeit der Charité wei- tages, dem bundesweit 38 medizinische Fakultäten angehören. ter auszubauen, die Anstrengung in der Digitalisierung zu intensi- Von 2000 bis 2012 war er Dekan der Medizinischen Fakultät der vieren sowie das Berlin Institute of Health zum Erfolg zu führen.“ Ernst-Moritz-Arndt-Universität und ab 2011 Wissenschaftlicher Vor- stand der Greifswalder Universitätsmedizin. PM Charité Forschungsprojekt an der Charité Kindheit prägt Gesundheit lebenslang Kinder, die belastende oder traumatische Erlebnisse erfahren gen generationsübergreifend übertragen. Die Wissenschaftler er- mussten, haben ein höheres Risiko, später psychisch oder kör- gründen, wie sich die biologischen Mechanismen der kindlichen perlich zu erkranken, als Menschen mit einer glücklichen Kindheit. Stresserfahrungen auf die Gehirnentwicklung, das Immunsystem, Welche biologischen Mechanismen hinter diesem erhöhten Risiko den Stoffwechsel und den Hormonhaushalt von Kindern auswir- stecken und ob diese frühe Programmierung des Körpers umkehr- ken. Die Forschungsergebnisse sollen dazu beitragen, die Chancen bar ist, erforschen Wissenschaftler der Charité – Universitätsme- auf eine lebenslange Gesundheit zu erhöhen und Kindern ein ge- dizin Berlin im Projekt „Kids2Health“ und entwickeln Therapie sundes Heranwachsen zu ermöglichen. ansätze. Neben der Charité, die den Forschungsverbund „Kids2Health“ lei- Die Forscher untersuchen Kinder, die traumatische Situationen wie tet, sind das Max-Planck-Institut für Psychiatrie und die Universität Gewalt, Missbrauch oder Flucht erleben mussten. Darüber hinaus Konstanz am Projekt beteiligt. werden neugeborene Kinder von misshandelten Müttern betrach- tet, um herauszufinden, über welche Prozesse sich Stresserfahrun- PM Charité Neuer Service Zahnarztsuche und Apothekennotdienst verlinkt Auf der Website 116117.de des ärztlichen Bereitschaftsdienstes Jede Nacht und jedes Wochenende garantieren bundesweit 1.300 der Kassenärztlichen Vereinigungen befindet sich seit Neuestem notdienstleistende Apotheken die Verfügbarkeit von Arzneimitteln ein Verweis auf den Apothekenfinder der ABDA – Bundesvereini- auch außerhalb der regulären Öffnungszeiten. Bundesweit sichern gung Deutscher Apothekerverbände unter der Adresse apotheken insgesamt etwa 44.000 Zahnarztpraxen eine flächendeckende, finder.mobi. Umgekehrt verweist die ABDA auf ihrer Internetsei- wohnortnahe und qualitativ hochwertige Versorgung. Die Praxen te jetzt auf die Nummer des ärztlichen Bereitschaftsdienstes können über die zentrale Zahnarztsuche der Kassenzahnärztlichen 116117. Auch zwischen der Zahnarztsuche der Kassenzahnärztli- Vereinigungen und der KZBV lokalisiert werden. chen Bundesvereinigung (KZBV) und dem Apothekenfinder wurde t.paisit - Fotolia.com eine Verlinkung erstellt, um sämtliche Dienste der Körperschaften PM ABDA | KBV | KZBV und Bundesorganisationen von Ärzten, Zahnärzten und Apothe- kern im Netz für Patienten noch leichter auffindbar zu machen. Der ärztliche Bereitschaftsdienst ist deutschlandweit unter der Telefonnummer 116117 zu erreichen. Er hilft außerhalb von Praxisöffnungszeiten bei Erkrankungen, deren Behandlung aus medizinischen Gründen nicht bis zum nächsten Tag warten kann. 6 MBZ 2 | 2019
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Thema Künstliche Intelligenz Regeln für Roboter S ie bringen das Essen und erinnern an die Medikamenten einnahme, sie helfen beim Duschen und schlagen die Bett decke zurück. Manche von ihnen erzählen Witze, andere singen Deswegen brauche es einen ganzen Maßnahmenmix: Man müs- se auf der Grundlage eines abgestuften Regulierungsmodells den- ken und bei jedem Anwendungsfall genau prüfen, inwieweit das oder spielen Memory. Sie heißen Pepper, Justin, Riba oder Gar- Recht durch Regulierung oder durch andere Anreize dazu beitra- mi – und sind möglicherweise die Zukunft in deutschen Pflege gen kann, dass ethische Aspekte gewahrt werden. Für den Schutz heimen: Die Roboter, die landauf und landab getestet werden. menschlichen Lebens und menschlicher Würde sei zwingend die Gesetzgebung verantwortlich. Bestehende Gesetze müss- ten überprüft und gegebenenfalls an die Besonderheiten künstlicher Intelligenz angepasst werden. „Und wenn ich bei einem technologischen Produkt besondere, individu- elle Maßstäbe setzen möchte, dann ist ein Vertrag zwi- schen zwei Partnern das idealtypische Regulierungsinst- rument. Darin kann ich einen strikten Bedingungskatalog nach meinen Vorstellungen definieren.“ Um sicherzustellen, dass technische Produkte besondere Rücksicht auf die Werte einer bestimmten Personengrup- pe nehmen – hier denkt Walz etwa an Religionsgemein- schaften –, seien Zertifikate eine gute Lösung. So wäre für jüdische Verbraucher sichergestellt, dass ihr smarter Kühl- schrank nur Lebensmittel aus koscheren Supermärkten bestellt, und für muslimische Patienten, dass ihnen der Zum Einsatz bereit: Die Roboter vom Typ „iPal“ Roboter nur Medikamente reicht, die halal sind. Aly Song/Reuters der chinesisch-amerikanischen Firma Avatar-Mind wurden als elektronische Kindermädchen und als Begleiter für ältere Menschen entwickelt. Ob sie in Zertifikate könnten vom TÜV geprüft werden diesen Rollen akzeptiert werden, muss sich zeigen. Überprüft werden könnten solche Zertifikatslösungen bei- spielsweise durch Einrichtungen wie den TÜV, „wie es teil- Der smarte Kühlschrank bestellt koscheres Essen weise schon heute passiert, etwa bei Datenschutzstandards“, sagt Walz. Spürbare Haftungsfolgen wären zudem eine Möglichkeit, die Noch weiß niemand, ob sie das Pflegesystem tatsächlich eines Hersteller zu disziplinieren, sollten ihre Systeme gehackt werden. Tages deutlich entlasten können – schließlich fehlen bereits heute Axel Walz spricht für seine Forschung mit Entwicklern neu- mehr als 36.000 Pflegekräfte –, gleichzeitig ist das eine der harm- er Technologien und mit potenziellen Anwendern. Im nächsten loseren Fragen. Wem gehorcht der Pflegeroboter in letzter Kon- Schritt schaut er sich die geltende gesetzliche Rechtslage an. „Und sequenz? Wird er den Patienten entmündigen oder haben doch vor diesem Hintergrund versuchen wir dann eine Art Risikobewer- die individuellen Vorstellungen des Menschen Vorrang? Wie kann tung: Was sind die Vorteile einer neuen Technologie und welche sichergestellt werden, dass Pflegeroboter nicht gehackt werden? möglicherweise negativen Auswirkungen stehen dem gegenüber?” Schließlich verfügen sie über die sensibelsten aller personenbezo- Vor diesem Hintergrund lässt sich dann beurteilen, ob Regulie- genen Daten, wissen über Gesundheit und Gewohnheiten eines rungsbedarf besteht. Pflegebedürftigen Bescheid. Am Beispiel Pflegeroboter zeige sich besonders eindrücklich, Solche Fragen müssen dringend geklärt werden, findet Axel Walz, wie wichtig eine Diskussion über ethische Werte ist – schließ- Senior Research Fellow am Max-Planck-Institut für Innovation und lich kommt eine derartige Technologie dem Menschen besonders Wettbewerb. Als Jurist hat ihn schon immer die Frage angetrie- nahe und betrifft ihn in seinem Intimbereich. So mancher versucht ben, welche Folgen Innovationen für die Verbraucher haben. „In bereits jetzt, sich mit einer speziellen Patientenverfügung gegen einer Zeit, in der künstliche Intelligenz und autonome Systeme den Einsatz von pflegenden Robotern zu wehren. an Bedeutung gewinnen, beschäftigt mich vor allem, wie man als Noch sind sie jedoch Zukunftsmusik, zumindest, wenn man sie Rechtswissenschaftler dazu beitragen kann, dass künstliche Intelli- sich als intelligente Helfer vorstellt, die eine Pflegekraft weitgehend genz sich an ethische Maßgaben hält.“ ersetzen können. Testweise eingesetzt werden robotisierte Assis- „Ethik“ ist dabei ein komplexer Begriff, der vieles meint: individuel- tenzsysteme, die jeweils nur einzelne Funktionen übernehmen le Wertvorstellungen, religiöse Normen, gesetzlich verankerte Wer- können: zum Beispiel Menschen mit Handicap beim Kochen, Put- te bis hin zum Schutz der Menschenwürde. „Es geht um das Prin- zen oder Einkaufen helfen oder Pflegekräfte beim Heben und Du- zip der ethischen Pluralität“, sagt Walz. schen von Patienten unterstützen. 8 MBZ 2 | 2019
Thema Wenn wir das Gefühl haben, Dinge sind so komplex, dass wir sie nicht verstehen, „Grundsätzlich machen die Aufgaben, die derzeit von robotischen Systemen übernommen werden könnten, nur einen sehr kleinen haben wir die Tendenz, Teil des Pflegeprozesses aus“, sagt Patrick Jahn, Leiter der Pfle- ihnen blind Glauben geforschung am Universitätsklinikum Halle. „Sie würden im Alltag noch nicht zu der Art Entlastung für die Pflegenden führen, die all- zu schenken. gemein erwartet wird.” Die meisten Modelle haben bislang aus- schließlich Projektcharakter; von der Markteinführung sind sie weit entfernt. Bisher dienen Roboter vor allen zur Unterhaltung Am weitesten entwickelt sind laut Jahn momentan die humanoi- den Roboter, die auf Kommunikation, Unterhaltung und Informati- on spezialisiert sind. In Nordrhein-Westfalen spielen „Robbie” und „Paula” mit den Bewohnern eines Pflegeheims Spiele oder for- dern sie zu Gymnastikübungen auf. Andernorts wird „Paro”, eine Roboter-Robbe, die auf Streicheln reagiert, in der Pflege dementer Patienten eingesetzt. Und in Garmisch-Partenkirchen ziehen noch in diesem Jahr die Pflegeroboter „Justin” und „Edan” in ein Seni- orenheim, um den Bewohnern Getränke oder Medikamente zu reichen, um ihnen die Bettdecke zurückzuschlagen und den Auf- zugsknopf zu drücken, aber auch, um Alarm auszulösen, wenn ein Pflegebedürftiger stürzt. Riken Mit Bärenstärke: Auch „Robear“ wurde in Japan konstruiert und soll gebrech- lichen Menschen helfen, aus dem Bett aufzustehen oder auf die Toilette zu gehen. In Halle suchen und entwickeln Pflegewissenschaftler, Mediziner und Informatiker im Rahmen des FORMAT-Projekts Einsatzszena- rien für robotische Systeme, die schon heute einen Mehrwert bie- ten können. Schließlich sei auch ein Roboter, der ältere Menschen „nur” unterhält, eine Hilfe für Pflegekräfte, wenn angespannte oder aggressive Patienten dadurch entspannter werden, sagt FORMAT- Projektleiter Patrick Jahn. Ein Beispiel ist „Pepper”: Die 1,20 Meter große Figur mit schwar- zen Kulleraugen und Monitor vor der Brust ist derzeit im Einsatz, um Patienten in einem informativen Gespräch auf eine MRT-Un- tersuchung vorzubereiten. Auf diese Weise sparen Ärzte und Pfle- gekräfte Zeit. Auf dem heutigen Stand der Technologie wäre es auch möglich, dass der Roboter Pflegebedürftige über ihre Unter- Kim Kyung Hoon/Reuters suchungstermine informiert und Angehörige zum Zimmer eines Patienten bringt, also ein Einsatz als robotische Stationshilfe. Beide Aufgaben sind in Workshops mit Pflegekräften entstanden. „Sol- che Einsatzszenarien sind auch deswegen wichtig, weil es an kon- kreten und überzeugenden Anwendungsbeispielen bisher man- Mit Kuschelfaktor: Bei der japanischen Therapierobbe „Paro“ sorgen elektro gelt“, sagt Jahn. nische Sensoren dafür, dass sie den Kopf bewegen und auf Streicheln mit wohligen Lauten reagieren kann. Japan gilt als Vorreiter in der Entwicklung Noch gibt es viele Einschränkungen, das System läuft noch nicht von Robotern für die Pflege. stabil. Eine zu laute Umgebung kann die Kommunikation stö- 2 | 2019 MBZ 9
Thema ren, weil Pepper dann nicht mehr gut genug versteht, was sein Pflegekräfte sperrten Roboter in einen Schrank menschliches Gegenüber sagt. Und auch das dynamische Um- feld eines Krankenhauses bringt den Roboter durcheinander, etwa Bei künstlicher Intelligenz komme erschwerend das Blackbox-Phä- wenn plötzlich Betten auf dem Flur einer Station stehen, die dort nomen hinzu. Ein traditioneller Algorithmus funktioniert, indem am Vortag nicht standen – schon ist Peppers Orientierung über- man Daten hineingibt und am Ende ein Ergebnis herauskommt, fordert. typischerweise nach einem klassischen Wenn-Dann-Prinzip. An- FORMAT arbeite nach dem „Bertha-Benz-Prinzip”, erzählt Patrick ders ist es bei künstlicher Intelligenz: Diese Algorithmen sind lern- Jahn: Die Automobilpionierin habe auch nicht gewartet, bis das fähig, können also Informationen aufnehmen, auswerten und da- neue Fortbewegungsmittel irgendwann mit 100 Stundenkilome- raus Schlussfolgerungen ziehen. So können sie gewissermaßen tern und ohne Probleme fahren konnte, sondern legte irgendwann qua eigener Erfahrung lernen. „Der Algorithmus ist also nicht sta- einfach los. Bereits bei ihrer ersten Überlandfahrt entdeckte Benz tisch, sondern entwickelt sich selbst weiter. Was aber dabei genau weitere wichtige Voraussetzungen, etwa die Bedeutung von Tank- passiert und warum, das ist offenbar nicht einmal den Program- stellen; erst mit ihrem Praxistest verhalf sie der neuen Technik zum mierern selbst klar”, fasst Axel Walz zusammen. Durchbruch. Eine mögliche Antwort darauf könnte der Ansatz des weltweiten Ingenieursverbands IEEE sein, der eine globale Initiative für ethi- Algorithmen sind keineswegs immer objektiv sche Überlegungen bei der Entwicklung autonomer Systeme ins Dieser Ansatz lasse sich gut auf den Einsatz robotischer Systeme in Leben gerufen hat. Neben theoretischer Grundlagenarbeit sollen der Pflegehilfe übertragen, findet Jahn: „Auch wenn wir noch weit dabei auch konkrete ethische Technologiestandards ausgearbei- weg sind von der Vision, die alle im Kopf haben – dem intelligen- tet werden. Ein Ziel ist etwa ein sogenannter Transparenzstandard. ten Helfer, der die Pflegekräfte deutlich entlastet –, müssen wir mit „Er soll sicherstellen, dass Algorithmen für künstliche Intelligenz so den Einschränkungen arbeiten, um die schnelle Integration in die programmiert werden, dass man jederzeit nachvollziehen kann, Praxis zu schaffen. Sonst kommt die Entwicklungsdynamik nicht welche Daten verwendet worden sind und warum ein bestimmtes in Gang.” Axel Walz findet, dass Deutschland an der Entwicklung Ergebnis erzeugt worden ist”, erklärt Axel Walz, der sich regelmäßig künstlicher Intelligenz beteiligt sein sollte. „Gleichzeitig müssen wir mit der IEEE-Initiative austauscht. dafür Sorge tragen, dass wir eine qualitativ nachhaltige, hochwer- Auch der Faktor Mensch ist bislang alles andere als hinreichend er- tige Intelligenz entwickeln, die entsprechenden ethischen Kriteri- forscht. Was macht es mit Arbeitnehmern, neben oder mit Robo- en genügt.” Die normative Zielrichtung müsse seiner Ansicht nach tern zu arbeiten? eine humane Gesellschaft sein, die zu ihren etablierten Werten Mit den Auswirkungen auf Pflegekräfte beschäftigt sich das in- steht und die Technik dafür nutzt, diese Werte weiterhin zu unter- terdisziplinäre Projekt „Orient”, das durch die EU-Initiative „More stützen – und sie keinesfalls zu entmenschlichen. years, better lives” gefördert wird und an dem neben Innovations- Walz wünscht sich eine offene Debatte, in der auch diskutiert wird, forschern aus Finnland und Pflegewissenschaftlern aus Schwe- „ob und wo möglicherweise rote Linien verlaufen. Also: Inwieweit den auch Wirtschaftswissenschaftler aus Paderborn beteiligt sind. darf ich bestimmte Produkte „Wir untersuchen, welche Vo- überhaupt mit künstlicher In- raussetzungen geschaffen telligenz ausstatten?” Dass sol- Künstliche Intelligenz werden müssen, damit As- che Fragen bislang kaum brei- entwickelt sich selbst weiter – sistenzsysteme in der Pfle- ter diskutiert werden, liegt laut ge eingesetzt und akzeptiert Walz auch an der Technikgläu- das macht sie zu einer Blackbox. werden”, erläutert Kirsten bigkeit des Menschen. „Wenn Es sollte nachvollziehbar bleiben, Thommes, Professorin für wir das Gefühl haben, Din- Organizational Behavior an ge sind so komplex, dass wir warum ein bestimmtes Ergebnis der Universität Paderborn. sie nicht verstehen, dann ha- In Zukunft müsse viel stär- ben wir psychologisch die Ten- erzeugt wird. ker auf die Bedürfnisse und denz, ihnen blind Glauben zu Ansprüche derjenigen einge- schenken und sie über die eigene Entscheidungskompetenz zu gangen werden, die direkt vom Einsatz der robotischen Systeme stellen. Wir sind in dieser Hinsicht zu wenig selbstbewusst und hal- betroffen sind: der Pflegekräfte und Pflegebedürftigen also. „Bisher ten Algorithmen für objektiver und neutraler als Menschen.“ Tat- ist die Robotik sehr ingenieurlastig”, sagt Kirsten Thommes. Die Pa- sächlich sei das Gegenteil der Fall, „denn Algorithmen werden mit derborner Wissenschaftler schauen auf die Bedürfnisse und Ein- Daten trainiert und die Auswahl dieser Daten wird von der Vorein- stellungen der Pflegekräfte: Was müssen sie im Vorfeld über die genommenheit des Programmierers geprägt”, erklärt Walz. Roboter wissen, was nicht? Müssen sich Ausbildungsinhalte verän- 10 MBZ 2 | 2019
Thema dern, künftige Pflegekräfte womöglich programmieren lernen? An welchen Stellen können Roboter entlas- ten? Wo gibt es mögliche Reibungspunkte? Ein Assis- tenzsystem, das der Pflegekraft entgegen ihrer Routi- ne sagt, zu welchem Patienten sie zuerst gehen soll, greift schließlich deutlich in deren Kompetenzbereich ein. Außerdem, das zeigten Einzelfallstudien aus Ja- pan, wo Pflegekräfte die Roboter ausschalteten oder in den Schrank sperrten, kann die permanente Auf- zeichnung durch die Systeme leicht zu einem Gefühl des Überwachtwerdens führen. „Es gibt noch keine Studien dazu, wie die durchschnittliche Pflegekraft auf die Assistenzsysteme blickt und welche Bedenken dabei verbreitet sind”, sagt Thommes. In der Bevölkerung generell gebe es aber eine gewisse Sorge vor dem Einsatz von Robo- tern. Eine Umfrage zeigte, dass mehr als 70 Prozent der Deutschen an den „Terminator” denken, wenn man sie nach ihrer Assoziation zum Stichwort Roboter befragt – die von Arnold Schwarzenegger verkörperte Maschine menschlichen Aussehens, aus dem gleich- namigen Film von 1984. „Ein solch negatives Image verringert natürlich die Bereitschaft, sich ernsthaft da- mit auseinanderzusetzen, dass robotische Systeme ir- gendwann eine große Hilfe und Entlastung sein könn- ten”, sagt Kirsten Thommes. „Nicht nur, aber eben auch mit Blick auf den Pflegenotstand.” Ein Mittelweg zwischen Autonomie und Hilfe Wie Roboter und andere Technologien in Zukunft im Alltag helfen können, wird auch an der Berliner Chari- té erforscht. Die dort angesiedelte Arbeitsgruppe „Al- ter und Technik“ versteht sich dabei als Schnittstelle zwischen Zielgruppe und Technik, zwischen Pflegebe- dürftigen und Herstellern, erläutert Anika Steinert, die die Arbeitsgruppe leitet: „Wir übersetzen die jeweili- gen Anforderungen und prüfen bei Evaluationen, was der Mehrwert einer Technologie ist, wie sie angenom- men wird und wie sie sich anwenden lässt.“ Im Projekt „Robina” wird gerade ein Roboterarm für ALS-Patienten konzipiert, die kognitiv völlig klar sind, aber an Muskelschwund leiden. Als es im Vorfeld da- BMBF Projekt Robina rum ging, zu definieren, wobei der Arm unterstüt- zen sollte, hatten die teilnehmenden Patienten eher bescheidene Wünsche. „Mal kratzen”, zum Beispiel, kleinste Tätigkeiten, bei denen die ALS-Patienten am liebsten nicht jedes Mal um Hilfe rufen möchten. Der Roboterarm „Robina“ lässt sich mit Gesten, mit Sprache oder mit den Augen steuern. Er ist für Patienten mit ALS konzipiert, die keine kognitive Einschränkung haben, aber an Vor der Entwicklung stehen dann erst einmal viele Muskelschwund leiden. Der Arm kann den Betroffenen Getränke reichen oder ihnen juckende Fragen: Wie soll dieser Arm aussehen? Soll er mo- Stellen kratzen. 2 | 2019 MBZ 11
Thema Dan Bauer Eng vernetzt: Der Jurist Axel Walz tauscht sich regelmäßig mit Entwicklern und Ingenieuren aus, um ethische Standards in die Praxis einzubringen. bil sein oder irgendwo fest in den Herstellern stellen die stalliert? Wie soll er gesteuert Berliner Wissenschaftler oft werden, welches Design, wel- Es gibt keine Rechtfertigung fest, wie wenig Gespür es für che Haptik soll er haben? Aber ethische Aspekte rund um auch ethisch-rechtliche Fragen, für Roboter mit möglichst die Produkte gibt. Immerhin: „denn schon Kratzen ist eine menschlichen Zügen. „In den vergangenen Jahren sehr komplexe Anforderung”, hat das Thema deutlich an erklärt Anika Steinert. Wie kann Sie gefährden die Singularität Bedeutung gewonnen“, sagt die Sicherheit von Patienten Anika Steinert, „solche Frage- und Personal gewährleistet menschlichen Lebens. stellungen werden viel selte- werden, wenn der Arm einem ner belächelt als früher.“ Das ja per Aufgabe sehr nahekom- liege auch am verstärkten In- men muss? Was soll der Arm teresse, das die Politik an dürfen, was nicht? Darf er speichern, wie oft er gekratzt hat? Wie ethischen Standards für künstliche Intelligenz zeigt. oft er Wasser gereicht hat? Und soll er von sich aus aktiv werden Axel Walz vom Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb und ein Glas reichen, wenn ein Patient drei Stunden lang nichts sieht in diesen Standards eine wichtige mögliche Stellschraube auf getrunken hat? Oder nur reagieren, wenn er angesprochen oder dem Weg zu einer menschlichen digitalen Gesellschaft, die an eta- gesteuert wird? „Es geht immer darum, einen guten Mittelweg zwi- blierten humanen Grundwerten orientiert ist. „Ein ganz simpler An- schen dem Autonomiebedürfnis der Patienten und der Hilfestel- satzpunkt, um schon zu Beginn der Entwicklung einer neuen Tech- lung durch die Technologie zu finden”, sagt Steinert. nologie Einfluss zu nehmen, ist es, nur solche Projekte zu fördern, die mit dem entsprechenden Ethik-Katalog übereinstimmen.” Das Interesse an ethischen Standards wächst Dem Juristen ist es wichtig zu betonen, dass es nicht darum gehe, Bedenken habe es im Vorfeld nur wenige gegeben, „ALS-Patien- Innovation durch Regulierung zu hemmen, im Gegenteil: „Regu- ten sind ja gewohnt, in ihrem Alltag auf Hilfsmittel angewiesen zu lierungsinstrumente können dabei helfen, die Ängste und Sorgen sein”. Zwar seien sie typischerweise deutlich jünger als Geriatrie- in der Bevölkerung ernstzunehmen und sogar abzubauen, wenn Patienten. „Aber die Ergebnisse des Projekts lassen sich auf viele unsere bestehenden Standards auf neue Technologien übertra- Zielgruppen anwenden.” Oft sind es im Projekt die Pflegekräfte, die gen werden. Wir befinden uns mitten in einer massiven Revoluti- Sorgen formulieren, etwa weil sie aus ihrer Perspektive manchen on und müssen die Gesellschaft bei solch tiefgreifenden technolo- Sicherheitsaspekt stärker gewichten. Bei der Zusammenarbeit mit gischen Entwicklungen mitnehmen.” 12 MBZ 2 | 2019
Thema Individuelle Vertragliche Regulierung, ethische Werte Zerti ierungssysteme Gruppenspezi sche Satzungen von Organisationen, ethische Werte Zerti ierungssysteme MPI für Innovation und Wettbewerb Verfassungsgemäße Nationale Gesetzgebung, ethische Werte internationale Konventionen Unveräußerliche Nationale Gesetzgebung, ethische Grundwerte internationale Konventionen Juristisch fundiert: Ethische und rechtliche Anforderungen an Roboter, etwa im Pflegebereich, reichen von allgemeinen Grundsätzen wie den Menschenrechten bis zu individuellen Bedürfnissen, etwa aufgrund religiöser Vorschriften. Sie müssen daher auf unterschiedlichen Ebenen geregelt werden. Walz selbst sieht beispielsweise keine Rechtfertigung für androide Dies setze allerdings voraus, die Roboter in Pflegeheimen so ein- Roboter, das heißt solche Roboter, die möglichst menschliche Züge zusetzen, dass das Personal dort mehr Zeit für persönliche Zu- aufweisen. Zwar beziehe sich das Klonierungsverbot primär auf die wendung hat, um sich in menschlicher Hinsicht besser um die biologische Reproduktion. „Sinn und Zweck des Verbots ist es aber, Pflegebedürftigen kümmern zu können. „Es wäre eine menschli- die Singularität menschlichen Lebens zu schützen. Und die sehe che Kapitulationserklärung, wenn wir eines Tages tatsächlich ver- ich genauso bedroht, wenn jemand eine biomechanische Kopie suchen würden, Zuneigung und Empathie über Roboter zu trans- erstellt.” Die damit einhergehende Objektivierung des Menschen portieren“, sagt Axel Walz. „Die Achtung der menschlichen Würde würde klar gegen Artikel 1 des Grundgesetzes verstoßen. sollte daher als oberstes Leitprinzip die Entwicklung und den Ein- Auch und insbesondere im Pflegebereich gebe es keinen Grund satz von Pflegerobotern prägen.“ für den Einsatz androider Roboter, findet Walz. Pflegeroboter sol- len menschliche Arbeitskräfte nicht ersetzen, sondern bestenfalls Sarah Mühlberger unterstützen. „Als Unterstützung im Pflegealltag, insbesondere im Rahmen wiederkehrender, mechanischer Tätigkeiten, bieten Robo- Erstveröffentlichung in 3/18 Max Planck Forschung ter eine große Chance mit Blick auf das Problem fehlender Fach- Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der kräfte, und dies bei gleichzeitiger Verbesserung der Pflegequalität.“ Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e. V. Auf den Punkt gebracht: • Bereits bei der Entwicklung von Pflegerobotern sollten rechtliche und ethische Aspekte berücksichtigt werden, um den Bedürfnissen von Patienten und von Pflegekräften gerecht zu werden. • Pflegebedürftige müssen sicher sein, dass nicht mehr Daten als unbedingt nötig erfasst Manuel Sewzyk - Fotolia.com werden und diese geschützt sind. Zudem dürfen Roboter die Patienten nicht bevormunden. • Auch die Pflegenden müssen vor Überwachung geschützt werden; der Einsatz robotischer Systeme sollte sich auf wiederkehrende mechanische Tätigkeiten beschränken. • Ein rechtlicher Rahmen könnte helfen, die Akzeptanz für den Einsatz von Pflegerobotern zu stärken. 2 | 2019 MBZ 13
Beruf & Politik Nutzen kieferorthopädischer Behandlung IGES-Gutachten vielfach falsch interpretiert D ie Deutsche Gesellschaft für Kieferorthopädie (DGKFO e. V.) unterstützt die Forderung nach mehr Versorgungsfor- schung in der Kieferorthopädie, weist jedoch Behauptungen zu- Dass die langfristigen Auswirkungen der Behandlung auf die Mundgesundheit durch die Studien nicht belegt werden kann, liegt nicht an einer schlechten Studienlage im Fach Kieferorthopädie, rück, dass der Nutzen kieferorthopädischer Therapien nicht belegt sondern an der generellen Problematik bestimmter klinischer Stu- sei. Auch die IGES-Studie zeigt, dass die Behandlung die Lebens- dien, bei denen wünschenswerte Endpunkte, die erst nach sehr qualität der Patienten verbessert. Die Gesellschaft verspricht sich vielen Jahren erfassbar wären, naturgemäß nicht erreicht werden Erkenntnisse über die langfristigen Wirkungen kieferorthopädischer können und daher Ersatzparameter ausgewertet werden müssen. Behandlung durch eine Beteiligung an der nächsten Deutschen Darum können solche Untersuchungen kein maximales Evidenz Mundgesundheitsstudie (DMS), die routinemäßig vom Institut der niveau erreichen. Dies ist keine Besonderheit der Kieferorthopä- Deutschen Zahnärzte (IDZ) erarbeitet wird. Bereits im Mai 2018 die, sondern kommt in allen medizinischen und zahnmedizini- hat die DGKFO e. V. die Teilnahme an der aktuellen Deutschen schen Disziplinen vor. Mundgesundheitsstudie (DMS VI) vorgeschlagen und die dafür erforderlichen Schritte in die Wege geleitet. Kieferorthopädie ist unverzicht- barer Bestandteil der dentofazialen Diagnostik und Therapie Aus meiner Sicht Bereits im Mai 2018 hatte die DGKFO e. V. ein Das IGES-Institut kommt zu dem Ergebnis, dass die Daten- Positionspapier auf Basis der aktuellen, fachre- grundlage derzeit nicht ausreicht, um die Frage nach dem levanten Literatur verfasst. Dieses besitzt noch Nutzen kieferorthopädischer Behandlungen abschließend zu volle Gültigkeit; es belegt auf der Basis der ver- bewerten. Zielführend angelegte Studien sind jedoch metho- KZV Berlin fügbaren Literatur und der bisherigen klinischen disch herausfordernd. So würde die Anwendung des Gold- Erfahrung, dass die Kieferorthopädie auf ver- standards der evidenzbasierten Medizin zur ethisch äußerst schiedenen Ebenen, u. a. bei der Atmung, der fragwürdigen Konsequenz führen, durch den Vergleich von behandelten und unbehan- Überwachung und Korrektur von Störungen der delten Patienten Studienteilnehmern Therapien vorzuenthalten. Außerdem handelt es Gebissentwicklung, der Wiederherstellung der sich bei den patientenrelevanten Endpunkten um Langzeiteffekte, für deren Erfassung Kaueffizienz, der Korrektur von überzähligen bzw. unabdingbar lange Beobachtungszeiten nötig sind. Hier muss das Erfahrungswissen der fehlenden Zähnen sowie bei interdisziplinären Kieferorthopäden aus jahrelangen Anwendungen berücksichtigt werden. Die Zahnärzte- Therapiepfaden einen unverzichtbaren Bestand- schaft hat nicht den geringsten Zweifel am Nutzen kieferorthopädischer Behandlungen. teil der dentofazialen Diagnostik und Therapie Eine reißerische Darstellung und damit Verunsicherung der Patienten durch die Me- darstellt. Für Patienten wichtige Beispiele kli- dien auf Grundlage des IGES-Gutachtens verbietet sich nach meiner Auffassung. Damit nisch-kieferorthopädischer Therapien sind etwa versorgungspolitische Weichen stellen zu wollen, ist nicht nur in höchstem Maße un verlagerte und damit kaufunktionell nicht nutzba- seriös, sondern unzulässig. re Zähne, die wieder in die Mundhöhle und den Karsten Geist, Zahnbogen eingestellt werden und somit lebens- stv. Vorsitzender des Vorstandes der KZV Berlin lang ihre Funktion erfüllen können. Wenn blei- bende Zähne fehlen – Beispiel zwei – lässt sich durch einen kieferorthopädischen Lückenschluss Das vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) in Auftrag ge- eine ansonsten notwendige prothetische Versorgung in bestimm- gebene IGES-Gutachten sollte auf Basis einer Analyse von Teilen ten Fällen vermeiden. Die Liste des klinischen Nutzens für den Pa- der kieferorthopädischen Literatur aufzeigen, welche langfristigen tienten ließe sich fortsetzen. Auswirkungen die wichtigsten kieferorthopädischen Behandlungs- Auch das BMG hat aktuell angesichts der Debatte und teilweise arten auf die Mundgesundheit haben, wie hoch die Kosten sind, falscher Interpretationen des Gutachtens der IGES Institut GmbH welche die gesetzlichen Krankenkassen und Selbstzahler für diese die Notwendigkeit kieferorthopädischer Maßnahmen ausdrücklich Leistungen aufbringen, und welche Forschungsbedarfe bestehen, bestätigt. Die DGKFO e. V. schließt sich vollumfänglich dieser durch um Nutzen und Evidenz der Therapie festzustellen. Die Ergebnis- das BMG veröffentlichen Richtigstellung zum Gutachten der IGES se dieses Gutachtens zeigen hauptsächlich, dass die von den Au- Institut GmbH nach dessen falscher Interpretation durch ein Boule toren identifizierten und ausgewerteten Studien und Routinedaten vardblatt vom 3. Januar 2019 und nachfolgender Berichte an. zur Beantwortung der Frage nach den langfristigen Auswirkungen DGKFO e. V. | VH auf die Mundgesundheit – etwa Karies oder Zahnverlust – nur ein- geschränkt oder nicht geeignet sind. Darum waren abschließende Positionspapier Einschätzungen nicht möglich. Gleichwohl betonen die Autoren, Das Positionspapier vom Mai 2018 dass die Studien zeigen, dass die Lebensqualität der Patienten sich ist online abrufbar: durch die Behandlung verbessert. 14 MBZ 2 | 2019
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Beruf & Politik 33. Berliner Zahnärztetag Gelungene Symbiose von Theorie und Praxis M it insgesamt rund 1.700 Teilnehmern und 80 Referenten aus 38 Ländern waren der Jubiläumskongress „7 Decades of Experience“ und der 33. Berliner Zahnärztetag vom 10. bis 12. ihres Hauses und aktuelle Zahlen. 260 Mitarbeiter arbeiten derzeit in 18 Ländern für die Verlagsgruppe und publizieren jährlich etwa 200 Buchtitel und 62 Fachzeitschriften weltweit. „Quintessenz hat Januar 2019 im Estrel Convention Center, Berlin-Neukölln, stark es als zahnmedizinischer Fachverlag geschafft, ein weltumspan- nachgefragt. Ein hochkarätiges Wissens-Update wurde anlässlich nendes Netzwerk aufzubauen, in dem die internationale dentale des 70-jährigen Jubiläums des Quintessenz-Verlages in diesem Wissenschaft mit der täglich ausgeübten Zahnmedizin intelligent Jahr in Form eines internationalen Symposiums geboten. Der Fort- verknüpft wird“, sagte Dr. Wolfgang Eßer, Vorsitzender des Vor bildungskongress wird bereits seit Jahrzehnten in Kooperation mit standes der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung. Grundlage der Zahnärztekammer Berlin (ZÄK Berlin) und der Kassenzahnärzt- für eine bis heute anhaltende Erfolgsstory sei die ebenso einfa- lichen Vereinigung Berlin (KZV Berlin) veranstaltet. che wie prägnante Feststellung gewesen, dass die Krankheiten weltweit gleich, die Behandler aber sehr wohl unterschiedlich 70 Jahre Quintessenz-Verlag seien. Im Mittelpunkt der Eröffnungsreden zur dreitägigen Veranstal- Dr. Karsten Heegewaldt, Präsident der ZÄK Berlin, hob die Exper- tung standen das Jubiläum des Verlags und dessen Bedeutung tise des Verlages bei seinen jährlich etwa zwanzig veranstalteten für die internationale Zahnmedizin. „Der Erfolg ist untrennbar ver- Kongressen und Seminaren, darunter die Berliner Fortbildung, her- bunden mit der Familie Haase“, so Dr. Peter Engel, Präsident der vor. „Gemeinsam mit diesem Berliner Traditionshaus führen die Bundeszahnärztekammer, in seiner Ansprache. Dr. h. c. Horst-Wolf- beiden Berliner zahnärztlichen Körperschaften bereits im 33. Jahr gang Haase und Christian Haase, die in zweiter und dritter Gene- den Zahnärztetag durch, der sich durch eine gelungene Symbio- ration als geschäftsführende Gesellschafter die Quintessenz Ver- se von Theorie und Praxis auszeichnet. Denn uns ist es schon im- lags-GmbH leiten, gaben interessante Einblicke in die Geschichte mer ein besonderes Anliegen, jedes Jahr aufs Neue einen echten 16 MBZ 2 | 2019
Beruf & Politik ZÄK Berlin | Jens Jeske Mehrwert für die Praxistätigkeit unserer Kolleginnen und Kollegen gestalteten Informationsstand beantworteten Vorstandsmitglie- zu erreichen.“ Einen Aspekt, den Prof. Dr. Michael Walter, Präsi- der und Mitarbeiter beider Körperschaften Anfragen zu einzelnen dent der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheil- Themen oder Referaten und begrüßten die Teilnehmer am Abend kunde e. V. (DGZMK), ebenfalls aufgriff: „Der Verlag deckt mit dem des ersten Kongresstages zu einem Get-together. Wissenstransfer in die zahnärztliche Praxis auch ein Kernanliegen Dr. Jörg Meyer, Vorsitzender des Vorstandes der KZV Berlin, der seine der DGZMK ab.“ Weitere Grußworte hielten Walter Winkler, Gene- Kollegen gemeinsam mit Kammerpräsident Heegewaldt emp- ralsekretär des Verbands Deutscher Zahntechniker-Innungen, und fing, unterstrich den Stellenwert der Fortbildung für Zahnärzte: Mark Stephen Pace, Vorsitzender des Verbandes der Deutschen „Mitte 2019 endet auch für einen Großteil der Berliner Zahnärzte Dental-Industrie e. V. Beide betonten den wichtigen wissenschaft- der Fünfjahreszeitraum zur Erbringung der Fortbildungspflicht nach lichen Austausch in der Zahnmedizin, den der Verlag durch seine § 95d SGB V. Losgelöst von dieser gesetzlichen Fortbildungspflicht Online- und Printkanäle sowie Veranstaltungen ermögliche. „Wer begreifen wir Zahnärzte Fortbildung als unerlässlichen Beitrag zur forscht und Ergebnisse gewinnt, will und muss diese veröffentli- Qualitätsförderung. Daher bilden wir uns auch über die gesetz chen und sich dadurch innerhalb der Fachwelt zur Diskussion und liche Verpflichtung hinaus kontinuierlich fort. Mit zusätzlichen Fort- Auseinandersetzungen über Ziele, Methoden und Resultate stel- bildungen erweitern wir so unsere Behandlungskonzepte und len“, so Pace. sichern damit den Patienten die Teilhabe am zahnmedizinischen Fortschritt. Fortbildung ist für uns Zahnärzte eine Selbstverständ- Beitrag zur Qualitätsförderung lichkeit.“ Neben den wissenschaftlichen Referaten wurde auch die Dental- ausstellung gut besucht. Ein Anziehungspunkt war der gemein same Stand der ZÄK Berlin und der KZV Berlin. Auf dem offen Kornelia Kostetzko 2 | 2019 MBZ 17
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