IDIJ - MITTEILUNGEN aus dem Stadt-und Stiftsarchiv Heft 1 März 1999 Aschaffenbur

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MITTEILUNGEN
 aus dem Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg
ISSN 0174-5328                       Bd. 6 (1999-2001), Heft 1               März 1999

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                    ;;:

Haupteingang Schönborner Hof

(Zeichnung: Rainer Erzgraber, Aschaffenburg)
Inhalt
Hans-Bernd Spies, Das ,Alte Schloß' in Aschaffenburg - Wandel eines Be-
  griffs ......   · .. ... . . . .. . . . . .. . . . . .                                1
Hans-Bernd Spies, Dalberg und die italienische Sprache . ... ... .. . 4
Martin Goes, Über die Anzahl der in Aschaffenburg 1821-1995 nichtehelich
  Geborenen .. ... .. ... ... .. . ... ... . . . . .. . .. .. . 12
Martin Goes, Franz Brentanos Promotion zum Doktor der Philosophie in
  Tübingen (1862) .. ..... ... ... ... . . . . . . . . . . . . . . . 22
Hans-Bernd Spies, Die pensionierte Lehrerin Maria Hofmann (1875-1936) -
  von ihrer Rückkehr nach Aschaffenburg enttäuscht .. . .. ... .. . 29
Martin Goes, Wilhelm Mühlon und Friedrich Dessauer - das Ende einer
  Freundschaft .                                                    35
Buchbesprechung                                                                        46
Helga Pösinger und Renate Welsch, Das zweite Halbjahr 1998 im Spiegel
  der Lokalpresse .. . .... ... . . . . .... . .. . .. . ... .. . . 49

Mitarbeiterverzeichnis
Dr.med.Martin Goes, Backoffenstr. 3, 63739 Aschaffenburg
Helga Pösinger, Kästerweg 6b, 63741 Aschaffenburg
Dr.phil.Hans-Bernd Spies, M.A., Neubaustr.27, 63814 Mainaschaff
Renate Welsch, Höhenstr.9, 63829 Krombach

Vorschau auf kommende Hefte:
Friedrich Karl Azzola, Das historische Küferzeichen vom Hausstein des Bastian
Freben (1598) im Stiftsmuseum Aschaffenburg - Hans-Bernd Spies, Kaiser
Friedrich III. war 1448 nicht bei der Einweihung des Schützenhauses in
Aschaffenburg - Hans-Bernd Spies, Menschen in Aschaffenburg namentlich
faßbar und bildlich dargestellt

Mitteilungen aus dem Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg im Auftrag der Stadt Aschaffen­
burg - tadt- und Stiftsarchiv - herausgegeben von l-lans-J3ernd ·spie

Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg, Wermbachstraße 15, D-63739 Aschaffenburg

Gesamtherstellung: Verlagsdruckerei Schmidt GmbH, 91413 Neustadt an der Aisch
Das ,Alte Schloß' in Aschaffenburg - Wandel eines Begriffs

                                     von Hans-Bernd Spies

Auf seiner „Die Chur fürstliche Statt Aschaffenburgkh" betitelten Stadtansicht
von 1615, die er seinem Werk über den Neubau von Schloß Johannisburg bei­
gab 1 , bezeichnete der Schloßbaumeister Georg Ridinger2 einen Bereich südlich
des Neubaus - auf der Abbildung rechts daneben - als „Das Altte Sehlos". Diese
Angabe, auf dem gedruckten Stadtplan „Eigendlicher Grundriß der Statt
Aschaffenburg" des in Frankfurt am Main tätigen Künstlers und Verlegers Mat­
thaeus Merian d. Ä. 3 als „Alt Schloß" 1646 wiederholt', hat dazu geführt, daß
lange angenommen wurde, der Vorgängerbau von Schloß Johannisburg habe in
der Webergasse gestanden5 . Erst eine 1905 erschienene kunstgeschichtliche
Dissertation über das Schloß konnte endgültig, u. a. aufgrund der um 1540 an-

' Georg Ridinger, Architektur des Schlosses Johannisburg zu Aschaffenburg. Faksimiledruck der Aus­
  gabe Mainz 1616, hrsg. u. mit einem erläuternden Beitrag versehen v. Hans-Bernd Spies (Veröffentli­
  chungen des Geschichts- und Kunstvereins Aschaffenburg, Reihe Nachdrucke, Bel. 2), Aschaffenburg
   1991, nach S. 1401. Hinsichtlich der Urheberschaft Riclingers für die Vorlage der seinem Buch als Kup­
  ferstich beigegebenen Stadtansicht, gestochen von dem Maler, Radierer und Kupferstecher Georg Kel­
  ler ( 1568-1634), vgl. /-/ans-Bernd Spies, Schloß Johannisburg zu Aschaffenburg und sein Baumeister
  Georg Ridinger, in: Ridinger, S. 1-20, dies S. 19 f.
' Zu diesem (1568-1617) vgl. Spies, Schloß (wie Anm. 1), S. 9-15, sowie ders., Georg Ridinger (1568-
   16'17), in: Fränkische Lebensbilder, Bel. 17, hrsg. v. Alfred Wenclehorsr (Veröffentlichungen der Ge­
  sellschaft für fränkische Geschichte, Reihe Vll A, Bel. 17), Neustadt an der Aisch 1998, S. 73-78.
' Zu diesem Cl 593-1650), Maler, Kupferstecher und Verleger, vgl. Alexander Dietz, Frankfurter 1-lan­
  ck:lsgeschichte, Bel. 3, Frankfurt am Main 1921, S. 120-126, sowie Lucas \f/üthrich, Marrhaeus Merian
  et. Ä., in: Neue Deütsche ßiographie, Bel. 17, Berlin 1994, S. 135-138.
' Wiedergabe dieses Stadtgrundrisses u. a. bei Brigille Schad, Aschaffenburg im Spiegel alter Graphik.
  Dargelegt an der Sammlung Gustav Stadelmann und den graphischen Beständen des Stadt- und Stifts­
  archivs Aschaffenburg (Aschaffenburger Studien, 1. racltgeschichtliche Beiträge, Bel. 3), Aschaffenburg
  1990, S. 27, vgl. dazu ebcl., S. 28.
' Vgl. J/obam,! Co11rad Dab!, Geschichte und Beschreibung der Stadt Aschaffenburg, des vormaligen
  Klosters Schmerlenb,1ch und des Spessarts, mit Beilagen, Darmstadt ]818, 25 f.: ,,Einen Theil des alten
  S c h I o s s e s sieht man auf dem Merianischen Prospekt der Stadt A s c h a f f e n b u r g" - Dahl,
  der ebd., S. 25, auch das in Anm. 1 angeführte Werk Ridingers erwähnte, meinte die darauf zurück­
  greifende, 1633 erstmals veröffentlichte Aschaffenburg-Ansicht Matthaeus Merians et. Ä.; vgl. Schad
  (wie Anm. 4), S. 24 ff. u. 28, Abbildung S. 25. -; Jak1ob May, Beschreibung und Geschichte der könig­
  lichen Schlösser und Lustgärten von W ürzburg, Aschaffenburg, Veitshöchheim, Werneck und Bad
  Brückenau im Unter-Main-Kreise des Königreich's Bayern, Würzburg 1830, S. 88: ,,Ob das alte Schloß,
  das auf dem Schloßplatze, wo jetzt die Kastanien-Allee angelegt ist, ehemals stand, mit jenem alten
  Thurme, der in das neue Schloß eingebaut wurde, zusammenhing, ob dieser Thurm isolirt für sich be­
  stand l. .. 1, hierüber konnte allen Nachforschungen ungeachtet, nichts mit Gewißheit ermittelt werden,
  und es läßt sich daher nicht mit Bestimmheit sagen, ob die Stelle, welche das jetzige Schloß einnimmt,
  ein freier Platz gewesen, oder ob eine andere Burg, oder andere Gebäude ausser dem alten in das
  Schloß eingebauten Thurm dort gestanden haben."; St/ephan/ Bebten u . .J/oseph/ Merkel, Geschichte
  und ßeschreibung von Aschaffenburg und dem Spessart, Aschaffenburg ]843, S. 54: ,,St. Johannisburg
  (vor dem jetzigen gegen Süden stand ein altes Schloß, welches 1767 abgerissen wurde)"; M(artin} B(al­
   dui-11/ Kille!, Die ßau-Ornamte aller Jahrhunderte an monumentalen Gebäuden der Königlich Bayeri­
  schen Stadt Aschaffenburg, Lieferung 17 (Programm der Königlich Bayerischen Gewerbschule zu
  Aschaffenburg zum Schlusse des Schuljahres '1867 in 1868), Aschaffenburg o. J. (18681, S. 2: ,,Pallast
  1 ...1. 1 ... 1 stand diese Wohnung 1 ...1 am Rande des Schloßplatzes, zwischen dem Garten des Forstam­
  tes (welcher damals Burggarten war) und der jetzigen steinernen Stiege, welche hinunter an den Main
  führt 1 ...1. Verschiedene Erzbischöfe und Kurfürsten erweiterten diesen Pallast".

                                                                                                       1
gefertigten und erstmals 1898 veröffentlichten Aschaffenburg-Zeichnung6 des
Nürnberger Glasmalers Veit Hirsvogel d. J.7, nachweisen, daß der Neubau auf
dem Gelände des Vorgängerbaus errichtet und dessen Bergfried in den neuen
Bau integriert worden war".
Es gibt allerdings auch eine ältere Quelle, in der das am 8. Juli 1552 zerstörte
und danach nur provisorisch wiederhergestellte mittelalterliche Schloß9 ,Altes
Schloß' genannt wird, nämlich 1571 in der Bestallung des kurfürstlichen Kellers
Georg Ernst Reuchlin' 0, dem damals u. a. aufgetragen wurde, weil „im altenn
Schloß bei nacht allerley gefardt zu besorgenn", solle er dafür sorgen, ,,das
wann zu hoeff außgeleutet, das Alt Schloß außwendig beschlossenn vnnd die
schlusseln mit andern Ffortten schlüsseln allen abendt gehn hoef geliefert wer­
denn"''.
Mit ,Hof' (,,hoeff" bzw. ,,hoef") ist das als Schloßersatz dienende, aus m hreren
Gebäuden bestehende, 1556/57 durch Zukauf und Tausch erweiterte landes­
herrliche Anwesen zwischen dem Grundstück Webergasse Nr. 3 und dem Trep­
penabgang zum Main 12 - ,,Das Altte Sehlos" Ridingers - gemeint, eine Bezeich­
nung, die damals gängig war, wie aus weiteren Quellen hervorgeht'\ der bisher
älteste bekannte Beleg, in dem dieser Notbau ,Schloß' heißt, stammt aus dem
Jahr 1608 14 , wohingegen Ridingers damals bis zum Keil rgeschoß g diehenes
Schloß in derselben Quelle einen Tag später als , euer Bau' erwähnt wird' 1.

 '' Vgl. dazu Schad (wie Anm. 4), S. 13; neuere Wiedergaben dieser Federzeichnung u. a. ebcl., S. IO, so­
    wie Spies, Schloß (wie Anm. 1), S. 3.
  ' Zu diesem (1485-1553) vgl. 5/Jies, Schloß (wie Anm. J), S. 3, sowie di, dort angeführte Li1eratur.
 ' Vgl. Ouo Scbulze-Kolbitz, Das Schloß zu Aschaffenburg (Studien zur deutschen Kunstgeschich,e, Heft
    63), Straßburg 1905, S. 8: ,,An dem nördlichen spitzen Winkel, wo der ßerg nach zwei Seiten plö1zlich
    abfällt, stand das alt' Schloß, g e n a u a n d e r s e I b e n S t e 1 1 e , a n d e r a u c h et a s
    j e l z i g e s i C h b e r i n d e l ".
 • Vgl. dazu Spies, Schloß (wie Anm. l ), S. 3 u. 5 f., sowie ders., Lauren1iustag oder 8. Juli 1552 - wann
    wurde das alte Aschaffenburger Schloß geplünden und in Brand gesteckt' Beseitigung einer chrono­
    logischen Verwirrung, in: Mineilungen aus dem Stadt- und Stirtsarchiv Aschaffenburg 3 (1990-1992),
    S. 293-300, bes. S. 293, 296 ff. u. 300.
'" Zu diesem, der aus Waiblingen stammte, 1567 als kurrürstlicher Kanzleimitarbei1er Aschaffenburger
    Bürger wurde, der Krämcrzunrt beitrat, 1570 Wir! war, 1576 vom Amt des Kellers in das des kurfürst­
    lichen Landschreibers wechselie und l 577 starb, vgl. llei11ricb l-'11ßhah11, Zur Geschich1e des Aschar­
    fenburger Viehhofes, in: Mit1eilungen aus dem Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg 5 (1996-1998),
    S. 56-62, dies S. 56 f.
11 ß
      estallung Reuchlins vom 12. März 1571 inseriert in seinem Revers vom gleichen Tag: Staatsarchiv
    Würzburg, Mainzer lngrossa1urbuch 72, fol. 227'-228', Zitate fol. 228 bzw. 228'; diplomatische Wie­
    dergabe der Vorlage. Diese teile erstmals für die Geschichte Aschaffenburgs berücksichtig1 von 1:11ß­
    bab11 (wie Anm. 10), S. 56 f.
" Vgl. dazu Alois Grimm, Aschaffenburger Hiiuserbuch II. Altstadt zwischen Dalbergstraße und Schloß,
    Mainufer - Mainbrücke - Löhersiraße (Veröffentlichungen des Geschichts- und Kuns1vereins
    Aschaffenburg, 13d. 34), Asch:iffenburg 1991, S. 398-405, b ·s. S. 401-405; dieser eb:iudekomplcx
    wurde 1766 abgebrochen, vgl. ebd., S. 403 u. 405.
11
    1562: im „Churfürs1lichen l lof geleg ·n, dann das schloß, so 1 .... 1 abg ·prench worden, noch vncrp:1-
    wet", 1593: erzbischöf'lichcs „l loflager"; vgl. /-la11s-!Jer11d 5/Jies, Burg und Schlof� Johannisburg zu
    Aschaffenburg im Spiegel scl1ril'ilicher Quellen, in: Mit1eilung ·n aLis dem Stach- und Stiftsarchiv
    Aschaffenburg 5 ( 1996-1998), S. 33-43, dic:s S. 35 f.
'' Damals ließ der Erzbischof seinen 13esucher „zu sich ins schloß r·urdern"; vgl. elxl., S. J7.
" ,,Ire churfurstlich , gnaden spacirn mit mir uf iren angcf�1ngenen neuwen hauw"; vgl. elxl., S. ::16 f.

2
Mithin kann man feststellen:      ach Zerstörung des mittelalterlichen Schlosses
und Bildung einer Ersatzresidenz aus mehreren südlich davon gelegenen Ge­
bäuden wurde ersteres als ,Altes Schloß' bezeichnet. Durch die Abbildung Ri­
dingers ging dieser Begriff dann für fast 200 Jahre auf den mehr als 70 Jahre als
,Hof' dienenden landesherrlichen Gebäudekomplex über, der spätestens 1608
,Schloß' genannt wurde. Erst durch die 1905 erschienene Dissertation wurde
endgültig g klärt, daß das eigentliche ,Alte Schloß', der mittelalterliche Vorgän­
gerbau von Schloß Johannisburg, nicht südlich davon in der Webergasse, son­
dern in der Tat auf dem Gelände von Ridingers Renaissancebau gestanden
hatte. Der Begriff ,Altes Schloß' bezieht sich also in den Qu II n zur Aschaffen­
burg r Geschichte je nach deren Entstehungszeit entweder auf das mittelalter­
liche Schloß oder auf die südlich davon gelegene Ersatzresidenz.

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                          '.
Dalberg und die italienische Sprache

                                      von Hans-Bernd Spies

Bisher sind keine eigenen Zeugnisse dafür bekannt, daß Carl Reichsfreiherr von
Dalberg (1744-1817)', der letzte Erzbischof von Mainz und Erzkanzler des Hei­
ligen Römischen Reiches Deutscher Nation, dann einziger Fürstprimas des
Rheinbundes (1806-1813) und Großherzog von Frankfurt (1810-1813), Italie­
nisch konnte2 . Denn wenngleich er auf der sich an sein Jurastudium - be ndet
am 23. November 1761 - anschließenden Bildungsreise (1761/62)3 natürlich
auch nach Italien kam und sich dort einige Zeit in Rom (italienisch: Roma) und
Mailand (italienisch: Milano) aufhielt, so war doch für eine solche Reise4 di
Kenntnis der Landessprache in dem damals französisch geprägten Europa nicht

' Zu diesem vgl. außer der immer noch heranzuziehenden Biographie von Karl Freiherr von Beau.lie11-
  Marcon.nay, Karl von Dalberg und seine Zeit. Zur Biographie und Charakteristik des Fürsten Primas,
  Bel. 1-2, Weimar 1879, die Monographien von Antje Freyb, Karl Theodor von Dalberg. Ein Beitrag zum
  Verhältnis von politischer Theorie und Regierungspraxis in der Endphase des Aufgeklärten Absolutis­
  mus (Europäische Hochschulschriften, Reihe 3: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften, 13d. 95),
  Frankfurt am Main/ Bern/ Las Vegas, Klaus !?oh, Karl Theodor von Dalberg (1744-1817). Eine politi­
  sche Biographie für die Jahre 1744-1806 (Europäische Hochschulschriften, Reihe 3: Geschichte und
  ihre Hilfswissenschaften, Bel. 231), Frankfurt am Main/ Bern/ New York/ Nancy 1984, und Konrad
  Maria Fä1·ber, Kaiser und Erzkanzler. Carl von Dalberg und Napoleon am Ende des Alten Reiches. Die
  Biographie des letzten geistlichen Fürsten in Deutschland (Studien und Quellen zur Geschichte Re­
  gensburgs, Bel. 5), Regensburg 1988, sowie die Sammelbände von Konrad M(aria} Färbe,; Albi-ecbt
  Klose u. l-lerrnann. Reidel (Hrsg.), Ctrl von Dalberg - Erzbischof und taatsmann (1744-1811), Re­
  gensburg 1994, 1-lans-Bernd Spies (Hrsg.), Carl von Dalberg 1744-1817. 13eitrlige zu seiner Biographie
  (Veröffentlichungen des eschichts- und Kunstvereins Aschaffenburg, Bd. 40), Aschaffenburg 1994,
  sowie Karl f l- ausberger (Hrsg.), arl von Dalberg. Der letzte geistliche Reichsfürst (Schriftenreihe der
  Universität Regensburg, Bel. 22), Regensburg 1995.
' Es ist über Dalbergs Unterricht in der Zeit unmittelbar vor dem Beginn seines Universitätsstudiums
  lediglich bekannt, daß er sich auch Sprachen widmete, ohne daß diese einzeln genannt wurden; vgl.
  über Dalbergs Bildungsgang Georg Wilhelm Zapf, Karl Grosherzog von Frankfurt, K enigliche l loheit.
  In einer Vorlesung im Museum zu Frankfurt geschildert, Frankfurt [am Main[ 1810, S. 19 ff., auf den di­
  rekt oder über Bea.ulieu-Marcoimay(wie Anm. 1), 13d. J, . 7 ff., alle Angaben über Dalbergs Unter­
  richt und Studium zurückgehen, so zuletzt Antje Freyb, Jugend und Werdegang, in: Färber, Klose u.
  Reidel (wie Anm. 1), S. 30-37, dies ·. 31 f. u. 36 f., sowie l-lans-/3ernd Spies, Ein Beleg für Dalbergs
  Studienaufenthalt in W ürzburg 1759, in: clers. (wie Anm. J), . 21-24, dies S. 23 f.
' Vgl. außer dem unten bei Anm. 20 wiedergegebenen Zitat Carl VO'll /Jalberg, Grundsaetze der Aesrhe­
  tik deren Anwendung und künftige Entwickelung, Erfurt 1791,         L56: .,Ich brachte die Jahre 176'1 und
   l 762 auf Reisen zu."; fotomechanischem Wiederabdruck dieser Schrift in: ders., Ausgewählte Schrif­
  ten, hrsg. v. Hans-Bernd Spies (Veröffentlichungen des Geschichts- und Kunstvereins Aschaffenburg,
  Reihe Nachdrucke, Bd. 3), Aschaffenburg 1997, S. 365-536. Zur Bildungsreise eines Adligen, der so­
  genannten Kavalierstour, allgemein vgl. Wi1!fi·ied Siebers, Ungleiche Lehrfahrten. Kavaliere und e­
  lehrte, in: Hermann Bausinger, Klaus Beyrer u. Goufried Korff (Hrsg.), Reisekultur. Von der l'ilgerfahrt
  zum modernen Tourismus, München 1991, S. 47-57 u. 359-360, dies S. 48-52 u. 359.
' Weitere Ziele von Dalbergs Bildungsreise waren nach dem Italienaufenthalt u. a. Salzburg, Wien,
  Frankreich und die Republik der Vereinigten Niederland ·; vgl. zur gesam1en Reise Zap/(wie Anm. 2),
  S. 22 ff., sowie zu den damaligen ltalienreisen allgemein Albert Meier, Von der enzyklopädischen Stu­
  dienreise zur ästhetischen Bildungsreise. ltalienreisen im 18. Jahrhundert, in: Peter J. 13renner (Hrsg.),
  Der Reisebericht. Die Entwicklung einer Gattung in der deutschen Literatur, Frankfurt am Main 1989,
    s. 284-305.

4
unbedingt erforderlich. Mit Papst Clemens XJII. 5 unterhielt sich Dalberg in latei­
nischer Sprache6 , und die von ihm selbst e1wähnten Gesprächspartner in Ita­
lien, nämlich in Rom der Archäologe und Kunstgelehrte Johann Joachim
Winckelmann7 und in Mailand der taatsmann Carl Joseph Gotthard Graf von
Firmian8 , waren Deutsche.
Aufgrund seiner Beherrschung der lateinischen Sprache kann man davon aus­
gehen, daß Dalberg zumindest etwas des Italienischen mächtig war. Aber of­
fensichtlich gingen seine italienischen Sprachkenntnisse erheblich darüber hin­
aus, wie sich aus einem zeitgenössischen Beleg ergibt. Nachdem Dalbergs erst­
mals anonym 1805 veröffentlichte ästhetische Schrift „Pericles. De l'influence
des beaux-arts sur la felicite publique"9 - einzige deutschsprachige Ausgabe,
ebenfalls ohne Verfasserangabe: ,,Perikles. Ueber den Einfluß der schönen Kün­
               f
ste auf das öf entliche Glück. Aus der französischen Urschrift übersetzt von Ch.
C. Grafen von Benzel' 0", Gotha 1806 11 - 1811 in der französischen Originalfas-

 ' Zu Carlo della Torre Rezz nico (1693-1769), 1758 als Clemens Xlll. Papst, vgl. Georg Schwaiger,
    Clemens XIII., in: Lexikon ri.ir Theologie und Kirche, hrsg. v. Walter Kasper, Bd. 2, Freiburg/ Basel/
    Rom / Wien 11994, Sp. J 226.
 '' Vgl. Zapf(wie Anm. 2), S. 22 r., u. Färber (wie Anm. 1), S. 21.
 ' Zu diesem (17'17-1768) vgl. Wilbelm \'(laelzold, Johann Joachim Winckelmann. Der Begründer der
    deutschen KunsIwissenschaft, Leipzig '1946, sowie Max K1111ze, 1eue Forschungen zu Winckelmann.
    Ein LiteraIurberichL, in: Thomas W. Gaehtgens (Hrsg.), Johann Joachim Winckelmann 17]7-1768 (Stu­
    dien zurn achIzehnten Jahrhundert, Bel. 7), Hamburg 1986, S. 11-30; zu Winckelmanns ltalienaufenI­
    hah vgl. l-lellm11/ Sicb/er111an11, Winckelmann in Italien, in: ebd., S. 121-]60. Seine Begegnung mit
    Winckelmann e1wähnI von Dalberg in: (Carl von Datberg}, Betrachtungen über das niversum, Erf1.111
    1777. . 90 (.,Wenn ich miI Winkelmann vor dem Laokoon und Apoll staunte!")- fotomechanischer
    Wiederabdruck dieser Schrift in: Dalbe,'M, Schriften (wie Anm. 3), . 77-152 -, sowie ders., Grund­
    saelze (wie Anm. 3), S. 157 (..haue kurz zuvor lvor Aufemhalt in Mailand! die Kunstschätze Roms,
    unter Winkelmanns Anleitung, gesehen·').
 " Zu diesem (1718-1782), nach und neben anderen diplomatischen Aufgaben von 1756 bis zu seinem
    Tod kaiserlicher bevollniticht.igrer Minister l'ür die Lombardei in Mailand, vgl. /-/einrieb /3e11edikl, Gra­
    fen und l lerren zu Firmian, in: Neue DeuIsche Biographie, ßcl. 5, Berlin 1961, S. ]69, Friedrich J-/aus­
    mc11111 (l lrsg.), Repertorium der diplomatischen Vertreter aller Länder seit dem Westfälischen Frieden
    (1648), 13d. 2: (1716-1763), Zürich '1950, S. 71 u. 258, sowie Ollo Friedrich Wi11/er(Hrsg.), Repe110-
    rium der diplomatischen Vertr ·ter aller Länder, ßcl. 3: 1764-1 15, Graz/ Köln 1965, S. 82 f. u. 85. Seine
    13egegnung mit Firmian geschildert von Dalbe,'M, Grundsaetze (wie Anm. 3), S. 156-162.
 '' Fotomechanischer Wieclerabclruck der Ausgabe Paris 1807 in: Dalbe,;�, Schriften (wie Anm. 3), S. 747-
    808. Hinsichtlich der verschiedenen Auflagen und Übersetzungen dieser Schrift vgl. Helga Klose u.
    Albrecbl Klose, Dalberg-13ihliographie, in: Fi.irb ·r, Klose u. Reidel (wie Anm. ]), S. 236-262, dies S. 236.
    Zum lnhali dieser Schrift Dalbergs vgl. Freyb, Dalberg (wie Anm. 1), S. 255-260.
'" Zu Carl hristian Ern.,t Graf von Bentzcl-Sternau (1767-1849), ]791-'J806 in mainzischen bzw. erz­
    kanzlerischen sowie 1806-1811 in badischen Diensten und zuletzt 'J8J1-1813 Finanzminister des
    Grof,herzogtums Frankfurt, vgl. Franz A11se/n1 Scbmill, Karl Christian Ernst Graf v. Ben(t)zel-Sternau,
    in: eue DeuIsche Biographie, Bel. 2, Berlin ]955, S. 59-60.
" Vgl. das auf S. 6 abgehildeIe Titelblatl. Die emsprechende Titelaufnahme bei /-/. Klose u. A. Klose(wie
    Anm. 9), S. 256- ,,Ch. E." als Vornamenkürzel des Übersetzers und Regensburg als Erscheinungsort-
    beruht nicht auf Autopsie, sondern u. a. auf fehlerhaften bibliographischen Angaben bei A11g11s1
    Krä111e1; Carl Theodor, Reichsfreiherr von Dalherg, letzler Churfürst von Mainz und Churerzkanzler
    des deuIschen R ·ichs, Primas von Deutschland, Erzbischof und Fürst zu Regensburg, Fürstbischof von
      onstanz, spliter Fürst-Primas der rheinischen Conföderation, und Großherzog von Frankfurl. Grund­
    züge zu einer eschicht ' seines politischen Lebens, Leipzig 1821, S. 2'!0, 1Jea11lieu-Marco1111ay (wie
    Anm. 1), Bel. 2, S. 337, und C1omeli11s/ Will, Verzeichnis der Schriften des Fürsten-Primas Carl von Dal­
    i> ·rg, in: Verhandlung ·n des historischen Vereins für Oberpfalz und Regensburg 49 0897), S. 269-277,
    dies S. 275; richtig hingegen, abgesehen davon, daß erster Vorname des Übersetzers in beiden Fällen
    „Chr." und nicht „Ch." abgekürzt, sowohl Freyb, Dalberg (wie Anm. 1 ), S. 427 - ebd., S. 255 auch
    richIige Abkürzung der Vorn:1111en des Übersetzers-, als auch Nob (wie Anm. 1), S. 565.

                                                                                                               5
,� e t                     f l e ß.

            Ue6cr ben Q:inffu§

    be.r fcf)önen                    �unfte
                      ouf bo!!

      ö f f e n t t i d> e © l ii cf.

                       \) o n

     tn bcr �ccterfd,,tn ucf,�onb(ung,

                  [    �   0    6.

6
PERICL:Es.
         DE L'INFLUENCE

 DES BEAUX-ARTS
                    SUR
     f                  f

LA FELICITE PUBLIQUE
                    r.A R

   CHARLES D'ALBERG
             ASSOCIE   ETRA.NGER

         DE L'INSTI'l'UT DE FllANCE.

           A PA l{ J\il E

   DE L' IMPRI 'lERIE BODONI
                 l\ll;>CCCXI.

                                       7
sung auch in Parma verlegt worden war 12 , wurde 1813 in Genua (italienisch:
Genova) eine von J:rancesco Baroni 13 angefertigte italienische Übersetzung mit
dem Titel „Pericle. Dell'influenza delle belle arti sulla pubblica felicita" 14 her­
ausgegeben. Während Baroni mit dem Druck seiner Übersetzung b schäftigt
war, hatte er, wie er in seinem Vorwort (,,Al Leggitore")' 5 mitteilte, es für erfor­
derlich gehalten, Dalberg, von dem er wußte, daß er Italienisch verstand (,,a cui
sapeva io non essere ignota la nostra lingua")'6, eine Abschrift seines Manu­
skriptes zuzusenden 11• Dalberg antwortete Baroni, dem er zugleich eine
Goldmedaille mit seinem Porträt 1 schickte, am 2. April 1813 aus Aschaffen-
                                                  "

" Vgl. das auf S. 7 abgebildete Titelblau, Panne isr der französische Nallle Parlllas.
" Eine biographische Arbeit über Baroni ist nicht bekannt, fest steht lediglich: Er wurde durch landes­
   herrliches Dekret volll 25. Juni 1801 innerhalb der Finanzve1waltung des Herzogtullls Parllla befördert
   und zulll „2° ufficiale e regolatore clel libro lllastro della reale Olllputisteria" ernannt, alll 9. Novelll­
   ber 1801 unterschrieb er einen Brief als „Lieutenant au Service d'Espagne", er war lllil Madclalena Pro­
   vinciali verheiratet, und sie bekalllen 1806 eine Tochter, Meclerica Luisa, und 1810 einen Sohn, ante
   Felice; zulll Zeitpunkt der Gebun seiner Tochter übte Francesco 13aroni in seiner Geburtsstadt Parllla
   bereits die Funktion aus, die er spiit:estcns seit 18"13 in Genua (italienisch: Genova) fortfdhne: ,,ln­
   spettore delle contribuzioni direne". Diese Angaben beruhen auf ausführlichen Miueilungen des Ar­
   chivio di Stato cli Parllla volll 25. Oktober 1997, für die an dieser Stelle herzlich gedankt sei. llll Ge­
   gensatz daw ließ sich das Archivio cli Stato di Genova, obwohl ebenfalls alll 1. August 1997 und dann
   erneut alll 7. Oktober 1997 sowie alll 5. Februar 1998 angeschrieben, zu keiner Antwort bewegen. Ab­
   schließend ist noch zu belllerken, daß es in der l3iblioteca Palatina in Parllla laut dortiger Miueilung
   volll 19. Februar 1998 36 Briefe Baronis an den Drucker Giovan l 3auista 13odoni aus den Jahren 1793-
   1813 sowie vier Briefe an Angelo Pezzana, den Direktor der Biblioteca Palatina, aus den Jahren 1813-
   1814 gibt.
" Vgl. das auf S. 10 abgebildete Titelblau der italienischen Übersetwng von Dalbergs Schrift.
" In vorgenannter italienischer Übersetwng von Dalbergs Schrift S. XIII-XVlll, künftig zitiert als: Baro11i.
"' Baroni (wie Anlll. 15), S. XVI: ,,lntanto ehe si eseguiva la stalllpa di questo lllio qualsiai lavoro, cre-
   dei lllio indispensabil dovere lo speclire una copia del lllanoscriuo all'lllustre Autore clel PERICLE, a
   cui sapeva io non essere ignota la nostra lingua."
" Das Manuskript befindet sich in der HonJibliothek Aschaffenburg, Ms. recent. 27; vgl. dazu Sif!rid uo11
   der Cörma, Die neuzeitlichen l lanclschriften, Autographen und Musikalien der l lofhibliothek
   Aschaffenburg, in: Aschaffenllurger Jahrbuch für Geschichte, Landeskunde und Kunst des Umerlllain­
   gebietes 13/14 (1990), S. 89-197, dies S. 122. Dem Manuskript ist folgende Widlllung, vgl. Abbildung
   S. 9, vorangestellt (Absatzgliederung hier durch / gekennzeichnet): .,All' Illustre ecl illlmortale Autore
   dclla eccellentissillla opera intitolata Pericle scritta in lingua francese / II Tracluttore cli essa nell'
   icliollla toscano / Quest.a copia clel suo manoscri1to prillla ehe sia impresso / Offre, cleclica, consacra."
   Da diese Widmung in der Druckfassung nicht erschien, kann lllan davon ausgehen, claf., sie sich Dal­
   berg, wie in anderen Fällen auch - vgl. ßec111/ie11-Marco1111ay (wie Anm. 1), Bel. 1, S. 188 f. -, verbe­
   ten hatte. Zur Wertschätzung von Dalbergs Schrift durch ßaroni vgl. Baro11i (wie Anm. 15), S. XIV: ,,Le
   massillle filosofiche e sanissime di cui e pieno il PERICLE, le minute particolariti\ in cui entra l'Autore
   sopra ognuna clelle arti clelle quali irnprencle a r:igionare, e la sublime selllplicitil clel suo stile, cliffici­
   lissima ad esporsi in altro linguaggio, provano ch'egli non llleno e fautor generoso ddle arti belle ehe
   profonclo intenclitore, e provano la grandissim'anillla di lui, le imlllense sue cognizioni ed in moclo
   singolare quanto Egli si abbia claclclovero a cuore la pubhlica fclicita."
                                         r.:
" Vgl. Baro11i (wie Anm. 15), S. XVl ,,una Medagli;i cl'oro ehe offre da un lato l'illlpronta clel maestoso
   a un tempo cd allleno suo Ritratto, e clall'altro la vista clella Citta di Francoforte, sulla quale voleggi:1
   un genio alato ehe una corona cli alloro sostiene colla mano clestra, colla sinistra versa il corno dell'ab­
   honclanza, ed ha sovra cli seil lllOtto ORA ET LA BORA". Es handelte sich Ulll eine der b ·iclen, jeweils
   in Gold und in Silber ausgeprägten Medaillentypen aus dem .J:1hre 1810 von 4 1 mm Durcl1lllesser und,
   bei den Goldprägungen, einem Gewicht von 37 bzw. 38 g 111i1 eiern Brustbild Dalhergs und der Um­
   schrift „CARL GROSZI ll'HZOG V. FRANCKFURTI I F. PR. D. RI IN. 13." (Carl Grof�herzog von Frankfurt.
   Fürst.prilllaS des Rheinbuncles) auf der Vor lerseite und auf der Rückseite mit einer Ansicht Frnnklürts,
   darüber ein schwebender Engel und über clieselll die lnschrirt „ORA ET LAIIOl(A", unter der Stadtan­
   sicht die.Jahreszahl MDCCCX; vgl. Pc111/Joseph u. l:.d11ard Fe//11er(l3earb.), Die Münzen von Frankfurt
   am Main nebst einer münzgeschichtlichcn Einleitung und lllehreren Anh:ingen, Frankfurt am Main
   1896, S. 402 f. (Nr. 1003 f.) u. Tafel 45, wo beide Typen abgebildet.

8
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                                    2u � r-�                3/:A--.                                   /
                                'Ju'   ./uo . ?na'nP-"c-ra/w
                        l'°r/ ma,,, .   11/,hc:;... .//� . /",n-y-?rt:4/o'.

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Widmungsseite der italienischen Übersetzung von Dalbergs „l'cricles", die der Übersetzer ßaroni dem
Autor vor deren Veröffentlichung in eigenh:indiger Abschrift zusandte: Hoföibliothek Aschaffenburg, Ms.
rec
PER I C I_j E.
                DELL' INFLUENZA

     DEJ--'LE BELLE AR TI
      SULLA PUBBLICA. FELICITA.
                     TRADUZIONE DAL Fl:IANCESE

                                       D 1

        FRANCESCO BARON!
                                PARMIGIAI\"0

           lNSl'ETTORE         nr::r.r.E CONTnlßUZ.IONI DIRETTE
                     llEL DIP.\l\TIMENTO DI CENOVA,
       MEMDRO   DI    V.ARIE    ACC.tDEMlt;:   E   SOCIETA   LETTEf.AUlll,

                          GENOVA

          DALLA STAMPEIUA DI G. BONAODO
                                MDCCCXTU.

10
burg' 9 dankend und schrieb u. a. in Erinnerung an seine mehr als ein halbes
Jahrhundert zurückliegende Bildungsreise durch Italien'0:
     „Admirateur sincere des immortels ouvrages classiques qui font Ja gloire
     de Ja litterature italienne, me rappelant avec delices !es annees 1761 et
     1762 que j'ai passees dans votre patrie, eclaire par !es lumieres de !'illustre
     Winckelmann, ensuite du celebre Comte de Firmian, Ministre a Milan'1;
     c'est en admirant les chefs-d'a:uvres de l'art et !es tresors des sciences et
     des beaux-arts que j'ai cons;:u, des l'age de 20 ans, Ja passion pour tous !es
     objets qui reunissent l'utile et l'agreable, et qui repandent le charme le plus
     pur sur taute Ja vie".
Ganz offensichtlich verstand Dalberg recht gut Italienisch, aber für seine
Antwort an Baroni zog er doch die ihm wesentlich geläufigere französische
Sprache vor. Ein von Dalberg selb t in Italienisch aufgesetztes Schriftstück ist
bisher nicht bekannt, so daß vermutet werden kann, daß seine entsprechenden
Kenntnisse hauptsächlich passiver Natur waren.

"' Vgl. 1Jaro11i (wie Anm. J 5), S. XVI f.
'" Ebd., S. XVII f., wo lediglich tb· zi1ie11e Auswg aus Dalbergs Schreiben an ßaroni wiedergegeben.
" Französischer Name Mailands.

                                                                                                  11
Über die Anzahl der in Aschaffenburg 1821-1995 nichtehelich
                         Geborenen

                                        Von Martin Goes

Die Stadt Aschaffenburg (Hauptamt) veröffentlicht in ihren Statistischen Berich­
ten' für jedes Jahr seit 1962 die Anzahl der Lebendgeborenen „von ortsansässi­
gen Müttern" und einige Zeile tiefer die der nichtehelich Geborenen. Das Ver­
hältnis zueinander ergibt die Jahresquoten der nichtehelichen Kinder. Die Zah­
len für die Jahre 1950, 1955 und 1960 wurden gemeinsam 1964 veröffentlicht2 .
Die Zahlen der dazwischenliegenden und der vorherigen Jahre bis 1876 zurück,
dem Jahr der Einführung der Standesregister, wurden durch das Standesamt zu­
gänglich, und für die bis 1821 zurückgehenden Jahre wurden die Jahresab­
schlußzahlen in den Taufregistern der drei katholischen Pfarrämter (Stiftskirche,
Muttergotteskirche und St. Agatha), in dem seit 1831 geführten Taufbuch des
Evangelisch-Lutherischen (bis 1920: Protestantischen) Pfarramts sowie die ent­
sprechenden Zahlen im kommunalen „Heimatregister Israel", das sich im Stadt­
und Stiftsarchiv Aschaffenburg befindet, herangezogen.
Der Vergleich der Quellen ergibt in den Übergangsjahren geringe Abweichun­
gen, weil die Pfarrämter nur die getauften, das Hauptamt im Gegensatz zum
Standesamt auch die wenigen auswärts Geborenen registrieren. Auf jeden Fall
ist die grafische Darstellung durch diese über 175 Jahre kaum ausgleichbaren
Unterschiede nicht beeinträchtigt, zumal die prozentualen Jahresquoten, um die
Übersicht zu erleichtern, jeweils in Fünfjahresabschnitte zusammengefaßt sind.
Tabelle I zeigt als Beispiel den ersten Abschnitt 1821-1825:
Taufregisterzahlen aus den drei katholischen Pfarrämtern und die Zahlen der
israelitischen Gemeinde
Jahr   Lebendgeborene von                                    davon nichtehelich Geborene
       ortsansässigen Müttern                      absolute Zahlen              in Prozent
1821           189                                        17                       9,0
1822           189                                       24                       12,7
1823           198                                       26                       13,1
1824           171                                       20                       11,7
1825           172                                       25                       14 5
insgesamt      919                                      112                       12,2
Für den Zeitraum von 1831 bis 1875 liegen die Quoten der im rechtsrheinischen
Bayern und in der damals zu Bayern gehörenden Rheinpfalz nichtehelich Ge­
borenen in ein r neu ren Arbeit vor1 . Im Vergleich mit ihnen zeigen die Aschaf-

 ' Statistische Berichte. Stadt Aschaffenburg, Heft '1-IO, Aschaffcnburg 1964-'l 998.
2
   Ebcl., Heft 1, S. 4.
 ' Klaus:fürgen Matz, Pauperismus und Bevölkerung. Die gesetzlichen Ehebeschr/inkungen in den süd­
   deutschen Staaten während des 19. Jahrhunclens (industrielle Welt. Schriftenreihe des Arbeitskreises
   für moderne Sozialgeschichte, Bel. 31), Stuttgart 1980, S. 302 f.

12
fenburger Zahlen eine auffallende Ähnlichkeit (s. Grafik S. 15). Über die Pro­
blematik der bayerischen Verhältnisse ist von Politikern und W issenschaftlern
viel gesagt und geschrieben worden. Dabei erweist sich „Bayern bedauer­
licherweise als Musterland für das Studium des Sozialphänomens der unehe­
lich n Geburt" 4. Deshalb soll näher darauf eingegangen werden.
Im rechtsrheinischen Bay rn nahm seit 1830 die Armut zu und belastete die
Ausgaben der Gemeinden. Das entsprechende Gesetz vom 11. September 1825
hatte die Ansässigmachung und damit das Recht auf Heirat erleichtert;. Doch in
Aschaffenburg war von 1821 bis 1830 die Quote der nichtehelich Geborenen
angestiegen. Wer sich ansässig machen wollte, mußte nach § 2 des Gesetzes
„entweder über Grundbesitz im Werte von etwa 600 Gulden verfügen oder ein
Gewerbe betreiben oder schließlich einen anderweitig gesicherten Nahrungs­
stand nachweisen"6, außerdem nach § 7 Aufnahmegebühren zahlen. Diese Hür­
den waren in Aschaffenburg sichtlich zu hoch.
Die Abgeordneten der 2. Kammer sahen das Hauptübel für die Armut darin,
daß unter Armen zu viele Eh n geschlossen würden. Sie, die ,,,mächtigen Ver­
bündeten' der Gemeinden" 7, forcierten, diesen mehr Rechte für die Ansässig­
machung zu geben, und der Innenminister erklärte 1834 im Rückblick auf die
Ju_lirevolution von 1830, man müsse „einer maaßlosen Vermehrung der besitz­
und eigenthurnslosen Masse"8 vorbeugen. Das Volk von Paris hatte den Auf­
stand getragen: ,,Arbeiter, Studenten, Kleinbürger"9. So wurde in § 9 des revi­
dierten Gesetzes vom 1. Juli 1834'0 den Gemeinden das „kommunale Veto, das
Recht des absolut hindernden Widerspruchs"", zugestand n. Es bezog sich auf
die nun allein den Gemeinden überlassene Auslegung des hinreichenden
Grundbesitzes und cl r Notwendigk it zur Erteilung einer Gewerbekonzession.

   ' Friedrich U11d11er, Die unehelichen Gebunen als Sozialphiinomen. Ein Beitrag zur Statistik der Bevöl­
     kerungsbewegung im Königreiche Bayern (Wirtschafts- und Verwaltungsstudien mit besonderer
     13erücksiclitigung Bayerns, Bel. 7), Leipzig 1900, S. 3.
  ',,Gesetz, über die Ansiissigmachung und Verehelichung·', Druck: Gesetzbla11 für das Königreich Baiern
     1825, München 1825, Sp. l 11-126; vgl. auch /:,'mit Niedel, Das bayrische Gesetz über Heimat, Verehe­
     lichung und Aufenthalt vom 16. April 1868 nebst einer Darstellung der älteren bayrischen Gesetze
     über l leimat, Anstissigmachung, Verehelichung und Armenpflege, und den Vollzugsvorschriften &c.
     &c. (Die neuen Gemeindegesetze für das Königreich Bayern, Bel. 1), Nördlingen ':1868, S. 29 f .
                                                                                                    f

  '' MCtlz(wie Anm. 3), S. 4J., der den Wert von 600 Gulden nach§ 2 Abs. l des Gesetzes errechnete; zum
     Weiteren der Gesetzgebung ebcl., S. 153-174.
  'Elxl., S. 154.
  'Zitiert elxl., S. J.56.
  '' C:olo MC11111, Politische Entwicklung Europas und Amerikas 1815-187 J, in: Propyliien Weltgeschichte.
     Eine Universalgeschichte, lkl. 8: Das neunzehnte Jahrliunclen, hrsg. v. Golo Mann, Berlin/ Frankfurt
     am Main/ Wien 1960, S. 367-582, dies S. 436.
'" l)ru ·k cl ·r reviclicnen Fassung: KCtr! Wehe,; eue Gesetz- und Verordnungen-Sammlung für das Kö­
     nigreich l.!ayern mit Einschluß der Heichsgesetzgebung. Enthaltend die auf dem Gebiete clr Verfassung
     und Verwaltung gellenden oder die Interessen des Staatsbürgers betreffenden Gesetze, Verordnungen
     und sonstigen Bestimmungen, zusammengestellt und mit Anmerkungen versehen, Bel. 2, Nördlingen
     1882, S. 239-244; vgl. auch Niede/(wie Anm. 5), S. 33 ff_
" MCtlZ (wie Anm. 3), S. 157; danach (lllch das Folgende bis zum ni.ichsten Zitat.

                                                                                                      13
Das Gesetz gab die Ansässigmachung lediglich frei, wenn der Bewerber ein
Haus hatte oder ein noch nicht definitiv angest llter Diener des Staats oder der
Kirche war. Das kommunale Veto wurde „in Bayern zum Grundpfeiler der
Macht der Gemeinden über die Menschen" und war in ganz D utschland di
härteste Form der Heiratsbeschränkung. Die Abg ordneten hatten das Gesetz
mit 79 gegen 23 Stimmen angenommen, der Staatsrat lehnte mit neun gegen
zwei Stimmen ab, doch König Ludwig I. unterschri b 12.
Daß das kommunale Veto umstritten blieb, ergab auch eine Umfrage des In­
nenministers bei den Kreisregierungen 13 . Es wurde von all n si ben rechtsrhei­
nisch n zurückgewiesen, darunter am 8. Januar 1842 durch die Kreisregierung
von Unterfranken und Aschaffenburg. ,,überall wurde von Willkür der Gemein­
den berichtet. Furcht vor Konkurrenz, Rücksicht auf di Wähler, konfessionelle
Engstirnigkeit ließen die Gem inden höchst parteiliche und oft genug jedem
Standpunkt des Rechts zuwiderlaufende Urteile fällen." Doch rst Ende d r fünf­
ziger Jahre war „ein gründlich r Meinungsumschwung in der 2. Kammer der
Landstände eingetreten"'4, und erst mit dem Gesetz über Heimat, Verehelichung
und Aufenthalt vom 16. April 1868'� wurde das kommunale Veto aufgehoben.
Seitdem „sank [. .. ] der Anteil der uneheli h Gel orenen ständig. Bayern hatte
damit bisher innerhalb Europas die meisten hochzivilisierten Staaten übertrof­
fen" 16. Das Heimatgesetz wurde zwar 1872 und 1884 novelliert' 7, trat aber erst
zum 1. Januar 1916 mit seinen Bestimmungen über di Vereheli hung „durch
Artikel 89, Ziffer 1 des Armeng setzes vom 21. August 1914" außer Kraft. ,,Fast
fünfzig Jahre später als im übrigen Deutschland gelangten die Einwohner des
rechtsrheinischen Bayern damit in den Genuß der völligen Verehelichung Frei­
heit in dem heute gekannten Sinne."
Das rechtsrheini eh Bayern hatte bis dahin eine über zweimal so hohe Quote
der nichtehelich Geborenen wi das linksrheinisch , die Pfalz. Dort aber
„herrschte Freih it der Ver helichung und Ans'issigmachung und Freiheit des
Gewerbebetriebs als glückliche Nachwirkung fortschrittli hen französisch n
Rechts"' 8. Das Ende der schikanösen Behinderung de H iratens erklärt aber
nicht, daß auch in der lib ral gebliel enen Pfalz die Quote der nichtehelich Ge­
borenen ank. Für gesetzliche Gründe spricht, daß 1868/69 in Bayern gegen­
über dem vorhergehenden Jahr zweieinhalbmal so viele nichteheli h Geboren

"  Vgl. ebcl., . 162 f.
"  Vgl. für das Folgende ebcl., S. 166 f., das Zit::it S. 167.
"  Ebcl., . 17 J.
"  Druck: Weber(wie Anm. 'IO), Bel. 7, S. 219-240; vgl. auch Matz(wie Anm. 3), . 172 ff.
"' Horst Hesse, 1 ie sogenannte Sozialgesetzgebung Bayerns Ende der sechzig ·r Jahre des 19. Jahrhun­
   derts. Ein Beitrag zur Strukturanalyse der I ürgerlichen Gesellschaft (Miscellan •a ßavarica Monacensia.
   Dissertationen zur Bayerischen Landes- und Münchner tacltgeschichte, Heft 33), München 197'1, S.
   303
" Vgl. Matz (wie Anm. 3), S. 174, woher auch die beiden folgenden Zitate.
•• Lindner (wie Anm. 4), S. 33.

14
5tafislil< du nichtehelich Geborenen Ascha1ienb11rgs

                 r
                                                                                                                          - z11sammengefa/Jf in F,jnfjahre..sc,bschnilten -

                                                                                                                          NicJ.tehelich ßu,orene 011/ 100 lebendgeborene

           26
           24                                                 ,,,·---·•,
           22
                           ,-
                                _,,----·---............/               \'
                                                                            '.
           20-                                                                \
                                                                              \

                     /
                                                                               \
           18                                                                      '
           16

         t 14
                                                                 /\ \                     . '
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           12
                                         �
         t 1 0-            -----.,
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                                                                            .
            B                                                                '·\
                                                                              ·,
          0
                                                              ,,..---·-.,.,.�.
            6
           4
           2

                1821-25         ·35         -45         -55         -f,5           -75         -85   -95   ·05     -15     ·25     -35     -45    -55     -65     ·75   -85     -95
                          -30         -40         -50         -60          -10           -80      -90 -1900    ·10     ·20     -30     -40    -50     -60     .70    -80    -90

                                  Q11ole in Aschofrenb11rg

                                     Q11ole im recht.srheJn.Boyem (rj!.Matz. S. .J02/3)
                                 {
                                     erjÖ,ul d11rcl, AnJ0tben noch Lindner S. f
......                               Guofe in cler Pfo,lz.           (VJI, Ho,fz ehe/)
V1
nachträglich legitimiert wurden (1867/68: 8035; 1868/69: 20158). In der Pfalz
blieb, wie zu erwarten, diese Erscheinung aus 19 .
In Aschaffenburg, dessen Werte zwischen den beiden bayerischen lagen, fiel
die Abnahme der Quote der nichtehelich Geborenen zeitlich mit dem Aufbau
der Industrie zusammen. Mit ihr ging allgemein die Massenarmut zurück, denn
Aschaffenburg war keine Behörden- oder Hochschul-, sondern eine Fabrik­
stadt. In der Grafik sieht man bis 1880 innerhalb von 15 Jahren einen gleich­
mäßig steilen Abfall der Quoten bis auf rund 7 %20 , und das abgesenkte Niveau
hielt sich wellenförmig bis zum Zweiten Weltkrieg. Es erreichte in de Zeiträu­
men von 1906-1910 und 1936-1940 jeweils einen Tiefpunkt von etwa 5,5 % und
hatte im Zeitraum von 1931-1940 eine Abnahme um 2,5 %. Man findet die
beiden Tiefpunkte auch bei der „Unehelichenquote in Deutschland
1851-1949" 21 und fast ebenso eine Abnahme in den Jahren 1930-1938, nämlich
um 2,3 %. Dabei liegen die herausgenommenen Aschaffenburger Zahlen um
rund 3 % niedriger als die des Reichsdurchschnitts.
1932 wurden in Bayern 54000, 1934 aber 78000 Ehen geschlossen. Ehefördernd
waren ab 1933 die Ehestandsdarlehen; nachst hend die Entwicklung der Ehe­
standsdarlehen in Bayern von 1933 bis 194222 :

Jahr                            ausbezahlte Ehestandsda rieben
                               Zahl            in Prozent der
                                            geschlossenen Ehen

                                                                                               -
1933                          10926                 16,8
1934                          18513                 23,7
1935                          12809                 17,7
1936                          14770                 21,2
1937                          16189                 22,7
                                                                                                      fl
1938                          24109                 32,0
1939                          29769                 33,5
1940                          23632                 34,2
1941                          16597                 29,6
1942                           9871                 17,3

''' Vgl. 1 lesse(wie
            -          Anm. 16), S. 30:f
"' Nach den Durchschniuswenen von 1879-1888 waren die niedrigsLen QuoLen ganz 13.iyerns in den lk­
    zirks,imlern Alzenau und Ohernhurg miL 3.4 hzw. 3,6 %; vgl. U11d11er (wie Anm. 4), S. 2:37 r.
" Vgl. G'erbard Mackenrolb, Bevölkerungslehre. 'J'h ·orie, Soziologie und SLaLislik der lkvölkcrung (En­
    zyklopiidie der RechLs- und SlaaLswissenschaf'L. AhLeilung SLaatswissenschaft), 13erlin / Göuingen /
    Heidelberg 1953, S. 52.
" Vgl. Die Eheschlicf�ungen in Bayern, hrsg. v. Bayerischen Slaalisliscl1en L;indesaml (13eilr:ige zur SLa-
    1isLik 13ayerns, l lef'l 197), München .1955, S. 16.

16
Die Quoten der vier Jahresabschnitte zwischen 1941 und 1960 dämpfen die
extremen der Jahre 1945/46 und 1951/52, wie nachfolgende Tabelle zeigt:
Die Quoten der nichtehelich Geborenen nach Angaben des Standesamtes
Aschaffenburg
Jahr       Lebendgeborene von                       davon nichtehelich                      Quoten in
           ortsansässigen Müttern                                                            Prozent
1941                 807                                    53                                      6,6
1942                 649                                    45                                      6,9
1943                 722                                    52                                      7,2
1944                 660                                    69                                     10,5
1945                 227                                    49                                     21,6
insgesamt           3065                                   268                                      8,7

1946                 576                                     98                                    17,0
1947                 654                                   101                                     15,4
1948                 722                                     81                                    11,2
1949                 770                                     95                                    12,3
1950                 798                                   116                                     14,5
insgesamt           3520                                    491                                    13,9

1951                 790                                   127                                     16,1
1952                 880                                   156                                     17,7
1953                 851                                   116                                     13,6
1954                 865                                   130                                     15,0
 1955                861                                   103                                     12,0
insgesamt           4247                                   632                                     14,9

 1956                844                                    99                                      11,7
1957                 916                                   100                                      10,9
1958                 880                                    92                                      10,5
1959                 874                                    87                                      10,0
1960                 888                                   107                                      12,0
insgesamt           4402                                   485                                      11,0
Die Nachkriegsjahre waren in Aschaffenburg durch die Besatzung geprägt. Es
wurden aber nicht wenige Kinder legitimiert und adoptiert und auch zuneh­
mend Ehen geschlossen. Die Annahme, daß die Quoten auf die Zahlen der Vor­
kriegszeit, also auf einen niedrigen, für die Stadt typischen Grundstock zurück­
gehen, erfüllte sich allerdings nicht. Im Gegenteil, sie nahmen trotz der seit
l.Juni 1961 angebotenen ,Pille''·1 ab 1970 wieder zu und haben im Zeitraum von

" Vgl. dazu Sabine Sieg, ,,Anovlar" - die er�te europäische Pille. Zur Geschichte eines Medikaments, in:
  Gisela S1aupe u. Lisa Vieth (Hrsg.), Die Pille. Von der Lust und von der Liebe, Berlin 1996, S. 131-144,
  dies S. 139.

                                                                                                      17
1991 bis 1995 die Höhe von 11,7 %, dabei 1995 sogar mit 14,8 % den Höchst­
wert dieses Jahrfünfts-, erreicht, wie in Normalzeiten vor etwa 125 Jahren. Dies
gilt es zu überdenken.
Die Quoten der nichtehelich Geborenen nach Angaben des Hauptamtes der
Stadt Aschaffenburg
Jahr        Lebendgeborene von             davon nichtehelich          Quoten
           ortsansässigen Müttern                                     in Prozent
1991                750                          72                      9,6
1992                680                          85                     12,524
1993                685                          76                     11,1
1994                783                          88                     11,2
1995                641                          95                     14,825
insgesamt          3539                         416                     11,8

Die Voraussetzungen haben sich geändert. Früher: mehr Armut, weniger Bil­
dung, keine Pille; heute: höherer Verdienst, gehobene Bildung, soziale Absi­
cherung und weitgehende Aufklärung schon in der Schule - trotzdem: Es gibt
wieder mehr uneheliche Kinder. Die Antwort liegt offenbar im allgemeinen
Wertewandel, im Umdenken der Gesellschaft, im Streben nach persönlicher Be­
freiung sowie in der Preisgabe übernommenen familiären und eben auch kirch­
lichen Denkens.
Berufsbezogen war die Untersuchung, die 1891 über die unehelichen Mütter in
Berlin angestellt wurde26 ; demnach gehö1ten dort „über die Hälfte der außer­
ehelichen Mütter dem persönlichen Dienst und dem Bekleidungs- und R ·ni­
gungsberuf an", es waren „also Dienstboten, Näherinnen und Wäscherinnen",
während Arbeiterinnen „nur ein Viertel der Mütter" stellten:
Prozentualer Anteil der einzelnen Berufe der Mütter bei nichtehelichen Gebur­
ten 1891 in Berlin
Persönlicher Dienst                                                        35,0
Arbeiterinnen ohne nähere Angabe                                           25,5
Bekleidung und Reinigung                                                   25,0
Ohne Berufsangabe                                                           8,5
Handel                                                                      2,5
Gastwirtschaft                                                              1,9
Kunst und Wissenschaft                                                      0,9
Gesundheitspflege                                                           0,3
Metallverarbeitung , Textilindustrie, Nahrungsmittel und sonsti ge Gewerbe 0,4
                                                                          100,0

" Seit 15. November 1992 ist Aschaffenburg keine arnisonsstadt mehr; vgl. Ein dickes Lob aus berufe­
   nem Munde: Aschaffenburg war ein Vorzeige- Landort, in: Main-Echo 1992, Nr. 256 (5. ovember),
   S. 23.
" Im Landkreis Aschaffenburg 1995 1924 Lebendgeborene, davon 1 8 unehelich, Quote 8,4 %; vgl. Mehr
   Kinder von Eltern ohne Trauschein, in: Main-Echo 1997, Nr. 65 (2. März), S. 28.
"' Untersuchung von H. Neumann angeführt bei Lindner(wie Anm. 4), S. 195 f'.

18
Doch ausgehend von der jeweiligen Anzahl der ledigen Frauen in den einzel­
nen Berufen erhält man eine andere Aufteilung; die Arbeiterinnen rücken auf
den ersten Platz, die im Vergleich zu ihnen kleine Gruppe der Frauen in der
Gastwirtschaft, ,,unter die Rubrik der geheimen Prostitution einzureihen", auf
den dritten Platz, und nun erst kommen die Dienstboten, Näherinnen und Wä­
scherinnen:
Anzahl der nichtehelichen Geburten in den einzelnen Frauenberufen in Pro­
mille
Arbeiterinnen ohne nähere Angabe                                               46,5
Ohne Berufsangabe                                                              42,0
Gastwirtschaft                                                                 37,1
Persönlicher Dienst                                                            26,1
Bekleidung und Reinigung                                                       25,8
Handel                                                                         10,2
Kunst und Wissenschaft                                                          9,5
Gesundheitspflege                                                               6,8

Die zweite Methode, mit der man bei einer bestimmten Berufsgruppe die Zahl
der nichtehelichen Kinder je 1000 Frauen im Alter von 15 bis 45 Jahren feststellt,
ergäbe eine unvoreingenommene Lösung des Problems der berufsbezogenen
Nichtehelichkeit. Man braucht dazu die Daten einer Volkszählung und die Da­
ten des Standesamts.
Bei der letzten Volkszählung am 25. Mai 1987 waren auf den Fragebögen ein­
zutragen bzw. anzustreichen u. a. bei:
 1   G burtsangaben;
 2   Geschlecht;
 3   Familienstand: ledig, verheiratet, verwitwet, geschieden
15   Zur Zeit tätig als: Facharbeiterin, sonstige Arbeiterin, Angestellte, Auszubil­
     dende, Beamtin/Richterin, Selbständige mit bezahlten Beschäftigten bzw.
     ohne bezahlte Beschäftigte.

Die Ergebnisse wurden in den Statistischen Berichten der Stadt Aschaffenburg
veröffentlicht27 :
zu 1 und 2: 32229 Personen weiblichen Geschlechts, davon 13047 im Alter von
            15 bis 45 Jahren;
zu 3:       von den Personen weiblichen Geschlechts 10638 ledig, 14711 ver­
            heiratet, 5086 verwitwet, 1794 geschieden;

" Berichte (wie Anm. 1), Heft 7, S. 10 F. u. 40, sowie Heft 9, S. 56 f.

                                                                                 19
zu 15:         weibliche E1werbstätige insgesamt                                                10862
               davon
               Arbeiterinnen (keine Unterteilung in Fach- und sonstige
               Arbeiterinnen)                                                                    3624
               Angestellte                                                                       5241
               Auszubildende, kaufmännisch/technisch                                              601
               Auszubildende, gewerblich                                                          160
               Beamtinnen/Richterinnen                                                            394
               Selbständige                                                                       619
               Mithelfende Familienangehörige                                                     223

Unter dem Titel Arbeitsstätten und Beschäftigte werden die weiblichen Be­
schäftigten zwar ausgewiesen, aber nicht in ortsansässige und ortsfremde un­
terteilt. Es fehlt die Aufschlüsselung der 13047 Frauen im Alter von 15 bis 45
Jahren nach der Etwerbstätigkeit und dem Familienstand, obwohl nach     ·· den
Fragebögen die statistischen Unterlagen dafür vorhanden sind.
Daten zur Unehelichkeit enthalten die Geburtsurkunden des Standesamts in
den Personenstandsbüchern. Bei der Anmeldung füllt das Standesamt Zählkar­
ten auch mit Fragen nach dem Familienstand und der E1werbstätigkeit der Müt­
ter aus; es wird zwar die Berufsbezeichnung angegeben, aber nicht zwischen
Angestellten und Arbeiterinnen unterschieden, mithin fehlt diese für die Stati­
stik wichtige Unterscheidung. Außerdem werden alle Mütter, die in keinem Be­
rufsverhältnis stehen, als Hausfrauen bezeichnet, ein Stand, der im Fragebogen
der Volkszählung unter Nr. 7 aufgenommen ist, aber in den veröffentlic 1ten
Ergebnissen fehlt. Man schätzt ihn zur Zeit neben den E1werbstätigen auf etwa
30 %. Die Einsicht in die Personenstandsbücher könnte wenigstens Teilhin­
weise bringen, doch das läßt die Rechtslage nicht zu, denn nach § 86 des Per­
sonenstandsgesetzes in der Fassung vom 8. August 1957 21< können „Einsicht in
die Personenstandsbücher und in die seit dem 1. Januar 1876 geführten Stan­
desregister" nur verlangen
„1. Behörden im Rahmen ihrer Zuständigkeit, wenn sie den Zweck angeben
     [. ..],
 2. Personen, auf die sich der Eintrag bezieht, sowie deren Ehegatten, Vorfah­
    ren und Abkömmlinge,
 3. andere Personen, wenn sie ein rechtliches Interesse glaubhaft machen."
Am 23. Juni 1983 hatte ein Geschichtsprofessor bei der Stadtve1waltung Fran­
kenthal beantragt29 , vier Heirats- und Geburtenbücher ab Jahrgang 1927 ein-

'" Druck: ßundesgesetzblau, Teil 1,Jahrgang 1957, S.1126-1138.
n Vgl. Rechtsprechung.§ 61 PStG, Art. l, 2, 5 GG, in: Das Standesamt 1985, S. 310-311, dort auch die
   beiden folgenden Zitate. Die Entwicklung von der anfänglich 0875) generellen Öffentlichkeit der l'er­
   sonenstanclsbücher zur restriktiven Handhabung der Gegenwan ist dargestellt bei Dielrich Marcks,
   Die Benutzung der Personenstandsbücher (§ 61 l'StG), in: Das Standesamt 1973, S. 311-314.

20
und durchsehen zu dürfen, um statistische Erhebungen für ein Forschungspro­
jekt machen zu können. Das Landgericht Frankenthal (Pfalz) entschied aller­
dings am 30. Januar 1985: ,,Es besteht kein Recht, Personenstandsbücher be­
stimmter Jahrgänge zum Zwecke statistischer Erhebungen im Rahmen eines
Forschungsprojekts einzusehen." Am Schluß der Urteilsbegründung wurde aber
darauf hingewiesen, daß allein der Gesetzgeber berufen sei, die Vorschriften
dahin zu ergänzen, ,,daß für Forschungsvorhaben bestimmte Daten aus den Per­
sonenstandsbüchern unter bestimmten Voraussetzungen weitergegeben wer­
den dürfen". Das Personenstandsgesetz steht vor der Novellierung, um den gel­
tenden Archivgesetzen angeglichen zu werden, z. B. dem Bayerischen Archiv­
gesetz vom 22. Dezember 198930 . Bis dahin aber sind die Personenstandsbücher
bis zurück zum 1. Januar 1876 für die Forschung gesperrt.

Ein Aspekt steht noch offen, nämlich die Zunahme der geschiedenen Frauen3'.
Während 1960 in Aschaffenburg jede 14. Ehe geschieden wurde, trifft das heute
auf jede dritte zu: 1994 38,9 %, in Deutschland insgesamt 41,3 %i2 • Also hat sich
der Stand der Geschiedenen so vergrößert, daß er statistisch bedeutend gewor­
d n ist. Hinweise aus der Bevölkerung lassen rkennen, daß unter den nicht­
ehelichen Müttern beachtlich viele geschieden sind. Man meint, jede fünfte,
und vom Deutschen Städtetag Köln wurde im Oktober 1996 berichtet, daß stei­
gender Wohlstand, sinkende Geburten, zunehmende Scheidungsziffern und ein
Hang zur Individualisierung ursächlich zusammenhäng n.

Man kann das Phänomen der Unehelichkeit wegen der Rechtslage nicht mit
Maß und Zahl belegen, nicht wissenschaftlich absichern. 1900 wurde nichtehe­
liche Geburt nach der herrschenden Meinung als sozialer Schaden angesehen33 .
Diese gesellschaftliche Schranke ist gefallen, aber noch sind die Kinder zu be­
dauern, die nicht legitimiert oder adoptiert werden.

Hier wird auf eine moral tatistische Betrachtung verzichtet. Man müßte in die
 phäre des Privatlebens eindringen und käme kaum zu brauchbaren Ergeb­
nissen.

'° Druck: Bayerisches Geselz- und Verordnungsblalt 1989, München 1989, S. 710-7"13.
11
   Die Zahl der Ehescheidungen wurde vom Bayerischen Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung
   München übermiueli, die Zahl der jährlich in Aschaffenburg geschlossenen Ehen ist in den Sta1is1i­
   schen Berichten der Stadt (wie Anm. 1) angegeben.
" 1994 wurden in Deutschland 4028'18 Ehen geschlossen und 166496 aufgelöst; vgl. Statistisches Jahr­
   buch 1996 für die Bundesrepublik Deutschland, tuugart ]996, S. 72 bzw. 79.
ll V
     gl. Lindner (wie Anm. 4), S. J: ,,Nennen wir uneheliche Geburt einen sozialen Schaden, und das ist
   doch die herrschend· Meinung".

                                                                                                   21
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