Mitteilungen Sein oder Nichtsein - die faszinierende Welt der Qubits - DFN-Verein

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Mitteilungen Sein oder Nichtsein - die faszinierende Welt der Qubits - DFN-Verein
Deutsches Forschungsnetz | DFN Mitteilungen Ausgabe 99 | Juni 2021 | www.dfn.de

                         mitteilungen
Sein oder Nichtsein
die faszinierende Welt der Qubits

 Neu im DFN-Vorstand                                                       Das Herzstück des SOC
 Odej Kao im Interview                                  neue Komponenten & Services
Mitteilungen Sein oder Nichtsein - die faszinierende Welt der Qubits - DFN-Verein
Impressum

Herausgeber: Verein zur Förderung
eines Deutschen Forschungsnetzes e. V.

DFN-Verein
Alexanderplatz 1, 10178 Berlin
Tel.: 030 - 88 42 99 - 0
Fax: 030 - 88 42 99 - 370
Mail: presse@dfn.de
Web: www.dfn.de

ISSN 0177-6894

Redaktion: Maimona Id, Nina Bark
Lektorat: Angela Lenz
Gestaltung: Labor3 | www.labor3.com
Druck: Druckerei Rüss, Potsdam
© DFN-Verein 06/2021

Fotonachweis
Titel: GlobalP/iStock
S. 5, Autorenbild 6: KOPF & KRAGEN Fotografie
Rückseite: Wallenrock/Shutterstock
Mitteilungen Sein oder Nichtsein - die faszinierende Welt der Qubits - DFN-Verein
DFN Mitteilungen Ausgabe 99 |   3

                                  Prof. Dr. Gerhard Peter
                                  Vorsitzender der 81. DFN-Mitglie-
                                  derversammlung, Altrektor der
                                  Hochschule Heilbronn und
                                  ehemaliger Leiter der DFN-Nutzer-
                                  gruppe Hochschulverwaltung

2020 und 2021 werden in die Geschichte als Corona-Jahre eingehen – mit vielen einschneidenden
Veränder­ungen, die ich mir im Februar 2020 noch nicht hätte vorstellen können. Alle tragen Mas-
ken, dienstliche Reisen sind nahezu unmöglich. Wie viele andere Einrichtungen entschloss sich
der DFN, die beiden Mitgliederversammlungen (MV) in 2020 online stattfinden zu lassen. Jetzt ist
eine gute Gelegenheit, zurückzublicken, Bilanz zu ziehen und die Frage zu stellen, ob es
bleibende Veränderungen geben soll.

Ich greife vor und kann zunächst feststellen, dass alle formalen Anforderungen an eine Mitglie­der­
versammlung erfüllt wurden. Alle technischen Aufgaben­stellungen wurden gelöst, Berichte wie
Diskussionen fanden statt. Und auch die Wahl zum Verwaltungsrat verlief, dank der perfekten
Vorbereitung durch die Geschäftsstelle, ohne irgendeinen Punkt der Beanstandung. Die Kandida-
tinnen und Kandidaten persönlich kennenzulernen wäre allerdings schöner gewesen. Interessan-
terweise blieb die Zahl der Teilnehmenden ungefähr gleich groß. Das Interesse am DFN ist offen-
sichtlich unabhängig von der Veranstaltungsart. Wenn man es oberflächlich betrachtet, wurde
nur der äußere Rahmen geändert und alles andere auf moderner Technik fortgeschrieben.

Die Frage muss deshalb gestellt werden, warum wir möglicherweise trotzdem nicht dauerhaft
bei dieser Form bleiben wollen. Gleicht die Einsparung von Reise-, Übernachtungs-, Zeit- und
Bewirtungskosten den Verlust an Qualität der Veranstaltung aus?

Was steht dem gegenüber? Der Austausch und die Fragen an Vorstand und Geschäftsstelle
haben zwar stattgefunden, sind in der Anzahl aber erkennbar weniger geworden. Außerdem
sind die Fragen, die in der großen Runde gestellt werden, an alle gerichtet. Die bilateralen
Gespräche mit den Kolleginnen und Kollegen sowie den Beschäftigten des DFN, die üblicher­-
weise in der Pause stattfinden, gibt es momentan nicht. Problemlösungen der anderen Einrichtun-
gen zu erfragen und darüber zu diskutieren, ist in diesem Format nicht möglich – meiner Meinung
nach ein wichtiges Merkmal der MV. Wie notwendig ist beim Vorabendtreffen in kulinarischer
Runde die persönliche Kommunikation für die Entwicklung und Nutzung der Kommunikations­
infrastrukturen im Internet?

Die Antwort auf die Frage: Es geht doch, warum nicht immer so?, lautet:

Weil der persönliche Informationsaustausch fehlt,
weil wir von den Kolleginnen und Kollegen im direkten Austausch lernen und
weil Zwischentöne wichtig sind.

Herzlichst
Ihr Gerhard Peter
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4     | DFN Mitteilungen Ausgabe 99 | Juni 2021

Inhalt

    6                                                              12                                                              22

Vom Sternchen zur Galaxie –                                     Ideen fliegen sehen                                             II. Quantenrevolution – die
10 Jahre eduGAIN                                                Prof. Dr. Odej Kao im Gespräch: was                             Welt der Qubits
Für die internationale Zusammenarbeit                           den neuen Vorstandsvorsitzenden                                 Heute Science-Fiction, übermorgen
unverzichtbar. Mit der Beliebtheit steigen                      bewegt und wie er die Zukunft des                               Alltag? Einblicke in die Quanten-
jedoch auch die Herausforderungen.                              DFN mitgestalten möchte.                                        technologie

Wissenschaftsnetz                                               International                                                   Quantensichere IT: ein Blick in
                                                                                                                                die Glaskugel
Vom Sternchen zur Galaxie –                                     Wenn „Cloud“ die Antwort ist –                                  von Stefan-Lukas Gazdag,
10 Jahre eduGAIN                                                was war eigentlich die Frage?                                   Sophia Grundner-Culemann,
von Wolfgang Pempe.................................... 6        von Martin Schellenberger...................... 16              Tobias Guggemos, Tobias Heider
                                                                                                                                und Daniel Loebenberger......................... 34
Kurzmeldungen............................................ 10    Kurzmeldungen International................ 20
                                                                                                                                Von Schnecken und Raketen
                                                                                                                                von Klaus Schmeh....................................... 39
Interview                                                       Forschung
                                                                                                                                Sicherheit aktuell......................................... 42
Ideen fliegen sehen                                             II. Quantenrevolution – die
Prof. Dr. Odej Kao im Interview                                 Welt der Qubits
von Maimona Id............................................ 12   von Peter Kaufmann und Susanne                                  Campus
                                                                Naegele-Jackson........................................... 22
                                                                                                                                HIFIS: IT-Services für Helmholtz
                                                                                                                                & Partner
                                                                Sicherheit                                                      von Uwe Jandt............................................... 44

                                                                Security Operations im DFN –                                    Das BigBlueButton- Cluster der
                                                                die technische Basis                                            Philipps-Universität Marburg
                                                                von Reinhard Sell......................................... 30   von Christoph Scheid................................. 46
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DFN Mitteilungen Ausgabe 99 |          5

                                                                         Die Autoren dieser Ausgabe im Überblick

   39
                                                                                           1                     2                     3                     4

Von Schnecken und Raketen                                                                  5                     6                     7                     8
Anschaulich erklärt: Herr Schnecke,
Frau Rocketscientist und ein Insel-
verkäufer zeigen die wichtigsten
Post-Quanten-Algorithmen.

                                                                                           9                    10                    11                    12

Recht

Framing – The Never Ending
Story feat. EuGH
von Maximilian Wellmann....................... 49                                        13                     14                    15                    16

TTDSG – Die Profis in spe
von Nicolas John.......................................... 52
                                                                         1 Wolfgang Pempe, DFN-Verein (pempe@dfn.de); 2 Maimona Id, DFN-Verein (id@dfn.de);
                                                                         3 Dr.-Ing. Martin Schellenberger, Fraunhofer-Institut für Integrierte Systeme und
                                                                         Bau-elementetechnologie, IISB (martin.schellenberger@iisb.fraunhofer.de); 4 Dr. Peter
DFN-Verein                                                               Kaufmann, DFN-Verein (kaufmann@dfn.de); 5 Dr.-Ing. Susanne Naegele-Jackson,
                                                                         Friedrich-Alexander-Universität
                                                                                            17            Erlangen-Nürnberg (susanne.naegele-jackson@fau.de);
                                                                         6 Dr. Reinhard Sell, DFN-CERT Services GmbH (sell@dfn-cert.de); 7 Stefan-Lukas Gazdag,
DFN unterwegs............................................. 56
                                                                         genua GmbH (stefan-lukas_gazdag@genua.de); 8 Sophia Grundner-Culemann, LMU
                                                                         München (grundner-culemann@nm.ifi.lmu.de); 9 Dr. Tobias Guggemos, LMU München
DFN Live........................................................... 58   (guggemos@nm.ifi.lmu.de); 10 Tobias Heider, genua GmbH (tobias_heider@genua.de);
                                                                         11 Dr. Daniel Loebenberger, Fraunhofer AISEC (daniel.loebenberger@aisec.fraunhofer.de);
                                                                         12 Klaus Schmeh, Cryptovision (klaus.schmeh@cryptovision.com); 13 Uwe Jandt,
Überblick DFN-Verein................................. 60
                                                                         Deutsches Elektronen-Synchrotron DESY (uwe.jandt@desy.de); 14 Christoph Scheid,
                                                                         Philipps-Universität Marburg (scheid@uni-marburg.de); 15 Maximilian Wellmann,
Die Mitgliedseinrichtungen.................... 62                        Forschungsstelle Recht im DFN (maximilian.wellmann@uni-muenster.de);
                                                                         16 Nicolas John, Forschungsstelle Recht im DFN (njohn@uni-muenster.de)
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6    | DFN Mitteilungen Ausgabe 99 | Juni 2021 | WISSENSCHAFTSNETZ

Vom Sternchen
zur Galaxie
In den zehn Jahren seines Bestehens hat sich der Dienst eduGAIN zu einer
globalen Authentifizierungs- und Autorisierungsinfrastruktur entwickelt, an der
mittlerweile über 70 Föderationen teilnehmen. Insbesondere für internationale
Forschungsverbünde und Communities hat er sich als unverzichtbare
Infrastrukturkomponente etabliert und die föderationsübergreifende
Zusammenarbeit überhaupt erst möglich macht.
Text: Wolfgang Pempe (DFN-Verein)

                                                   PETER GIETZ, DAASI INTERNATIONAL GMBH
                                                   eduGAIN ist neben eduroam eine von der Forschung initiierte,
Bescheidene Anfänge                                weltweit funktionierende Infrastruktur. Die eduGAIN-Infrastruktur
                                                   wird heute von den verschiedensten Communities für föderiertes Identitätsma-
Als eduGAIN am 27. April 2011 im Rahmen            nagement (FIM) genutzt. FIM4R (Federated Identity Management for Research),
des GÉANT2-Projekts offiziell in den Pro-          ein Zusammenschluss von Forschungsinfrastrukturen aus sehr unterschiedli-
duktivbetrieb überführt wurde, ahnte wohl          chen Fachdomänen beispielsweise, trug anfangs wesentliche Anforderungen an
kaum jemand, dass sich dieser Dienst im            eduGAIN zusammen und veröffentlichte sie. Durch dieses Engagement konnten
Laufe der nächsten Jahre zu einem Erfolgs-         im Rahmen von Horizont 2020 die Projekte AARC I und II ins Leben gerufen wer-
modell entwickeln würde. Im Juni 2011 un-          den. Neben der Erstellung einer Blaupause für Forschungsinfrastrukturen führte
terzeichneten RedIRIS (Spanien) und der            dies zu vielen weiteren Aktivitäten im FIM-Bereich, zum Beispiel die bibliotheks-
DFN-Verein als erste Föderationsbetreiber          getriebene Initiative FIM4L (Federated Identity Management for Libraries). Diese
die eduGAIN Policy Declaration. Doch ein re-       Entwicklungen zeigen, wie sich um eduGAIN ein ganzes Ökosystem bildet, das für
gulärer, bilateraler Austausch der DFN-AAI-        die zunehmende Verbreitung des Dienstes sorgt. Ich bin überzeugt davon, dass
Föderationsmetadaten mit dem eduGAIN               eduGAIN in den kommenden zehn Jahren genauso ubiquitär genutzt werden wird
Metadata Distribution Service (MDS) erfolg-        wie eduroam.
te erst Anfang 2012. Als im Mai 2012 der Bei-
trag DFN-AAI goes Europe! in den DFN-Mit-
teilungen (Ausgabe 82) erschien, nahmen         vider) verfügbar war, die eine Teil­nahme    Wachstum ist nicht alles
gerade einmal 14 Föderationen mit insge-        auch für Heimateinrichtungen (Identity
samt 45 Entities (Identity und Service Pro-     Provider) attraktiv machte und anders-       Die folgenden Jahre waren geprägt von kon-
vider) aktiv an eduGAIN teil. Es sollte noch    herum – das übliche Henne-Ei-Problem.        tinuierlichem Wachstum, sowohl was die
einige Jahre dauern, bis über eduGAIN eine                                                   Anzahl der teilnehmenden Föderationen
kritische Masse an Diensten (Service Pro-                                                    als auch die über eduGAIN verfügbaren
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WISSENSCHAFTSNETZ | DFN Mitteilungen Ausgabe 99 |     7

eduGAIN TEILNEHMER (STAND 04/2021)
  71 FÖDERATIONEN 4200 IDP ( davon 259 aus der DFN-AAI) 3200 SP ( davon 143 aus der DFN-AAI)

        Teilnehmer
        Kandidaten

Identity (IdP) und Service Provider (SP) an-     DFN-AAI. Andere Föderationen gingen da-        sorgte für einen deutlichen Anstieg vor al-
geht. In den Anfangsjahren galt generell         zu über, die Teilnahmemodalitäten auf Opt-     lem der Anzahl der über eduGAIN verfügba-
das Opt-in-Prinzip, d. h., IdP- und SP-Betrei-   out umzustellen, d. h., standardmäßig wer-     ren IdP. Weiter befördert wurde das Wachs-
ber mussten aktiv die Teilnahme am Me-           den alle IdP (UK: auch alle nichtlokalen SP)   tum durch die weltweit steigende Anzahl
tadatenaustausch mit eduGAIN veranlas-           an eduGAIN weitergereicht. Wer das nicht       von Föderationen – ein Indiz für die zuneh-
sen. Dieses Prinzip gilt auch heute noch für     wünscht, muss entsprechende technische         mende Bedeutung des föderierten Identity
		                   die Teilnehmer in der       Maß­nahmen treffen. Diese Policy-Änderung      Managements im Rahmen von Authentifi-
                                                                                                zierungs- und Autorisierungsinfrastruktu-
                                                                                                ren für die Wissenschaft.
   			                DR. MARCUS HARDT, STEINBUCH CENTRE
                                                                                                Mit dem stetig wachsenden Stellenwert
   		                FOR COMPUTING (SCC)                                                        von eduGAIN insbesondere für internati-
                Im EU-Projekt AARC war der Interföderationsdienst eduGAIN eine                  onale Forschungsverbünde ergaben sich
   wesentliche Grundlage für die Blueprint Architectures, mit denen wir im Projekt              auch etliche Herausforderungen. Für die-
   die Architektur für interoperables Identitätsmanagement in Forschungs-Com-                   se wurden im Rahmen der GÉANT-Projek-
   munities und -infrastrukturen beschrieben haben. eduGAIN hat dabei wichti-                   te gemeinsam mit den Forschungscommu-
   ge Fragestellungen ins Spiel gebracht und den Rahmen geschaffen, in dem we-                  nities und REFEDS (Research and Educati-
   sentliche Aspekte von Attributfreigabe, Konventionen und Standardisierung                    on Federations) entsprechende Lösungen
   diskutiert und gelöst werden konnten. Die Organisation von föderiertem Iden-                 erarbeitet.
   titätsmanagement ist heute ohne eduGAIN nicht mehr denkbar.
Mitteilungen Sein oder Nichtsein - die faszinierende Welt der Qubits - DFN-Verein
8    | DFN Mitteilungen Ausgabe 99 | Juni 2021 | WISSENSCHAFTSNETZ

    Attributfreigabe
In einer föderationsübergreifenden AAI gilt      DIETER VAN UYTVANCK, CLARIN – EUROPEAN
ein gänzlich anderes Vertrauensniveau als        RESEARCH INFRASTRUCTURE FOR LANGUAGE
innerhalb einer Föderation, in der ein Fö-       RESOURCES AND TECHNOLOGY
derationsbetreiber als Trusted Third Party
für das Vertrauen der Föderationsteilneh-        Since its inception, CLARIN (Common Language Resources and Technology In-
mer untereinander sorgt. Warum sollte ein        frastructure) always had a keen interest in the concept and implementation of
IdP-Betreiber Attribute und damit perso-         eduGAIN, since it allows us to bridge the international gap between researchers
nenbezogene Daten an einen unbekann-             and language resources that require authentication. Over the years, we saw
ten SP in einer anderen Föderation über-         eduGAIN growing from an experimental setup to a reliable infrastructure. It
tragen? Um diesem Problem zumindest              might not always be visible to researchers that need to access a data set hosted
innerhalb der EU und des europäischen            in another country, but it is most definitely a crucial element for research
Wirtschaftsraums zu begegnen, wurde              infra­structures like CLARIN. We are particularly thankful to DFN for helping us
der GÉANT Data Protection Code of Con-           during all those years to keep our service provider metadata neatly synchronised
duct for Service Provider in EU/EEA – kurz       with eduGAIN, and for the countless times we received useful advice
„CoCo“ – geschaffen. Die Umsetzung die-          and support.
ser vertrauensbildenden Selbstverpflich-
tungserklärung für Service Provider wird
mit verschiedenen technischen Maßnah-
men von eduGAIN- und Föderationssei-          das Security Incident Response Trust Fra-      forme Metadaten ausliefern. Daher wur-
te unterstützt. Aktuell wird an einer EU-     mework for Federated Identity (Sirtfi) eta-    den automatisierte Prüfmechanismen ent-
DSGVO-konformen Umsetzung gearbeitet.         bliert. Manche SP-Betreiber wie das CERN       wickelt. Sie validieren die Metadaten, die
                                              kooperieren mittlerweile nur noch mit IdP,     von den teilnehmenden Föderationen an
    Incident Response                         die Sirtfi unterstützen. Als Kontakt für Si-   den eduGAIN MDS geliefert werden und
Mit zunehmender internationaler Vernet-       cherheitsvorfälle mit Bezug zur DFN-AAI        sorgen ggf. dafür, dass die betreffenden
zung hat sich auch die Angriffsfläche für     fungiert das Incident Response Team des        Entities aus den von eduGAIN ausgeliefer-
Identitätsdiebstahl an Heimateinrichtun-      DFN-CERT.                                      ten Metadaten entfernt werden. Dies kann
gen und Hacking von SP vergrößert. Um                                                        auch den gesamten Metadata-Feed einer
 		       schnell und strukturiert auf            Monitoring                                 Föderation betreffen.
              Sicherheitsvorfälle rea­gie­-   Es kommt hin und wieder vor, dass Föde-
                  ren zu können, wurde        rationen fehlerhafte, nicht standardkon-           Support
                                                                                             Wer beantwortet Fragen von Dienstan-
                                                                                             bietern, Heimateinrichtungen und an-
    		           SANDER APWEILER, FEDERATED SYSTEMS AND                                      deren Nutzenden und verweist die Rat-
                                                                                             suchenden zur zuständigen Föderati-
    		          DATA, JÜLICH SUPERCOMPUTING CENTRE (JSC)
                                                                                             on? Wer informiert Föderationsbetreiber
    Im Rahmen der Helmholtz-AAI ermöglicht eduGAIN die problemlose techni-                   über technische Probleme? Im eduGAIN
    sche Integration der Helmholtz-Zentren und ihrer Kooperationspartner. Ohne               Support Team kümmern sich AAI-Fach-
    eduGAIN wäre die Anbindung der IdP der Zentren zwar noch möglich, aber                   leute aus mehreren teilnehmenden
    die Einbindung aller Kooperationspartner mindestens schwierig. Für den                   Föderationen um Anfragen aller Art und
    Aufbau der EUDAT-e-Infrastruktur ist eine föderationsübergreifende AAI über              benachrichtigen die Föderationsbetreiber
    eduGAIN eine wichtige Grundlage. Eine Anmeldung der Forscher bei EUDAT-                  über fehlerhafte Metadaten oder andere
    Diensten unter Verwendung des Heimat-Accounts wäre ohne diesen Dienst                    technische Probleme, die die Funktionali-
    nahezu unmöglich, da vor einer Verwendung zunächst die Heimateinrichtung                 tät von eduGAIN beinträchtigen könnten.
    eingebunden werden müsste. Somit ermöglicht eduGAIN nicht nur die Einrich-
    tung von Diensten und Infrastrukturen, die vielen Forschenden zugänglich
    gemacht werden, sondern stärkt auch den Account an der Heimateinrichtung.
    Eine Vielzahl unterschiedlicher Konten bei diversen Diensten erstellen zu müs-
    sen, ist somit nicht mehr notwendig.
Mitteilungen Sein oder Nichtsein - die faszinierende Welt der Qubits - DFN-Verein
WISSENSCHAFTSNETZ | DFN Mitteilungen Ausgabe 99 |          9

                                                                                                  Die Köche der Ursuppe: Torsten Kersting
                                                                                                  (links) vom DFN-Verein und Ajay Daryanani
Im Hier und Jetzt                              eduGAIN Security Team ins Leben gerufen,           (rechts), damals von RedIRIS, bei der Über-
                                               das sich im eduGAIN-Kontext um Identi-             gabe der eduGAIN-Erklärung an Tomasz
                                                                                                  Wolniewicz, Vertreter des eduGAIN
Um den Bogen zur Gegenwart zu spannen,         tätsdiebstahl und sonstige Sicherheits-
                                                                                                  Operations Teams und AAI-Koordinator des
seien hier einige aktuelle Zahlen genannt.     vorfälle kümmert. Zuvor übernahm diese             Poznan Supercomputing and Networking
Der Anteil an Service Providern ist grund-     Aufgabe das oben erwähnte eduGAIN Sup-             Center (PSNC) im Juni 2011.
sätzlich kleiner als der der teilnehmenden     port Team. Kürzlich ist die eduGAIN Secu-
Identity Provider, da nicht jeder AAI-fähige   rity Working Group gegründet worden, in
Dienst auch für eine internationale Nutzer-    der auch der DFN-Verein vertreten ist. Die-
schaft bestimmt ist. Anfang April 2021 neh-    se Arbeitsgruppe soll unter anderem das
men 71 Föderationen mit ca. 4200 IdPs und      Bewusstsein für Fragen der Sicherheit in
ca. 3200 SPs an eduGAIN teil. Davon stam-      der eduGAIN Community schärfen, darauf
men 259 IdPs (von insges. 335) und 143 SPs     hinwirken, dass das Sirtfi Framework brei-
(von insges. 609) aus der DFN-AAI.             tere Unterstützung findet und Prozesse für
                                               den Umgang mit unterschiedlichen Arten
Ein wichtiges Thema ist derzeit die Fra-       von Sicherheitsproblemen definieren. Es
ge der Qualität des Betriebs von Identity-     wird also bestimmt nicht langweilig – auf
und Service-Providern sowie von Födera-        die nächsten 10 Jahre! M
tionen als Ganzem. Die kürzlich von einer
REFEDS-Arbeitsgruppe erstellten Identity
Federation Baseline Expectations könnten
hier künftig als Richtlinie dienen. Weiter-
hin sind Sicherheit und der Umgang mit Si-
cherheitsvorfällen nach wie vor von gro-
ßer Bedeutung. Ende 2020 wurde daher das
Mitteilungen Sein oder Nichtsein - die faszinierende Welt der Qubits - DFN-Verein
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Kurzmeldungen

Auf einen Blick – Teilnehmerportal                                                         Mit dem X-WiN gut vernetzt:
startet in den Pilotbetrieb                                                                Zusätzliche Peerings sorgen
                                             sonen, die versorgten IP-Netzbereiche und     für optimalen Datenaustausch
                                             Informationen zur Teilnehmeranbindung         Ein schneller Datenaustausch und eine
                                             wie deren Übertragungskapazität, die          hohe Verfügbarkeit der Konnektivität –
                                             verwendeten Schnittstellen und Installa-      diese Ziele verfolgt der DFN-Verein nicht
                                             tionsorte der Verbindungen zum X-WiN.         nur innerhalb des Wissenschaftsnetzes,
                                                                                           sondern auch mit den Übergängen in
                                             Geplant ist in den folgenden Releases,        andere für die DFN-Community relevante
                                             den Teilnehmern Interaktionen mit dem         Teilnetze des Internets.
                                             Portal zu ermöglichen. Kontaktinforma-
Foto: narith_2527/iStock
                                             tionen zu Ansprechpersonen können             Im ersten Quartal dieses Jahres wurden
Ende März 2021 ist das neue Teilnehmer-      dann selbstständig bearbeitet werden.         sowohl Public Peerings (PPI, Public Pee-
portal des DFN-Vereins in den Pilotbetrieb   Außerdem haben Teilnehmer die Option,         ring Interconnection) als auch direkte
gestartet. Teilnehmer erhalten damit         über das Portal Upgrades und Downgra-         Anbindungen an Zugangsprovider weiter
künftig einen kompakten Überblick zu         des für DFNInternet-Dienste zu beauf-         ausgebaut und optimiert. Das bereits
den von ihnen genutzten DFN-Diensten         tragen. Spätere Releases sollen Betriebs-     bestehende Private Peering (PNI) mit der
und haben die Möglichkeit, Standardpro-      daten zu DFN-Diensten enthalten. Ganz         1&1 Versatel Deutschland GmbH konnte
zesse schnell und einfach abzuwickeln.       oben auf der Anforderungsliste steht die      um eine georedundante Anbindung er-
                                             Bereitstellung von Messdaten zum über-        weitert werden. Mit Vodafone Germany
Das Teilnehmerportal stellt zunächst         tragenen Datenvolumen, der Auslastung         wurde eine direkte 100-Gbit/s-Anbindung
Daten und Informationen zum Kommu-           von Teilnehmeranbindungen sowie zur           am Standort Frankfurt am Main erfolg-
nikationsdienst DFNInternet zur Ver-         Verfügbarkeit von Diensten.                   reich in Betrieb genommen. Private
fügung. Zu einem späteren Zeitpunkt                                                        Peerings bestehen außerdem mit Liberty
werden weitere Dienste des DFN-Vereins       Für die Nutzung des Teilnehmerportals         Global (UnityMedia) und Telefónica
integriert. Für die Entwicklung des Web-     ist ein DFNInternet-Dienst auf der Basis      Deutschland (O2).
portals ist das Projekt- und Entwick-        eines Rahmenvertrages zur Teilnahme am
lungsteam des DFN-CERT zuständig. Die        Deutschen Forschungsnetz und der ent-         Die aktuellen Optimierungen kommen
Projektleitung verantwortet der Bereich      sprechenden Dienstvereinbarung Voraus-        insbesondere den Studierenden und Be-
Network and Communication Services in        setzung. Dienste aus der Zeit vor 2005, die   schäftigen der DFN-Community zugute,
der DFN-Geschäftsstelle.                     auf Basis von G-WiN-Anwenderverträgen         die im Homeoffice arbeiten. M
                                             geschlossen wurden, werden nicht unter-
Nach Abschluss der Pilotphase soll vor-      stützt. Eine Umstellung auf die aktuellen
aussichtlich im Sommer 2021 das erste        Verträge ist jedoch mit geringem Auf-
Release im Produktivbetrieb bereitstehen     wand möglich. Das Team von DFNInternet
und für Teilnehmer am Dienst DFNInter-       unterstützt Sie dabei gerne. M
net nutzbar sein. Diese können dann ihre
Stammdaten sowie die Daten zu ihrem
Rahmenvertrag und zur Dienstvereinba-           Haben Sie Fragen zum
rung DFNInternet abrufen inklusive der          Teilnehmerportal?
technischen Parameter der DFNInternet-          Dann melden Sie sich per E-Mail
Dienste: Dazu gehören die vereinbarte           unter: teilnehmerportal@dfn.de
Dienstkategorie, betriebliche Kontaktper-
WISSENSCHAFTSNETZ | DFN Mitteilungen Ausgabe 99 |   11

Bye Bye ISDN – DFNFernsprechen                  Vorbild DFN-AAI: DFN-Verein berät
vollständig auf VoIP umgerüstet                 Projekt für deutschlandweite
Und Tschüss: Der letzte ISDN-Anschluss ist      Schulföderation
gekappt. Das Migrationsteam von DFNFern-
sprechen freut sich, dass die Teilnehmeran-
schlüsse nun vollständig auf Voice-over-IP
(VoIP) umgestellt sind. Mit viel Engagement
und persönlicher Beratung sorgte das Team
seit 2017 für den reibungslosen Ablauf
der Migration. Damit ist die Sprachkom-
munikation im Wissenschaftsnetz X-WiN
angekommen.
                                                Foto: copperpipe/freepik
Mehr als 250 Einrichtungen nutzen die VoIP-     Wissen teilen, Erfahrungen weitergeben – der
basierten Anschlüsse von DFNFernsprechen,       DFN-Verein berät das Medieninstitut der Län-
viele von ihnen VoIP-Centrex. Mit den mo-       der FWU (Institut für Film und Bild in Wissen-
bilen und browserbasierten Anwendungen          schaft und Unterricht gGmbH) zum Thema
der virtuellen Telefonanlage ist eine sichere   Authentifizierungs- und Autorisierungsinfra-
und stabile Echtzeitkommunikation möglich.      struktur (AAI). Im Auftrag der Bundesländer
Grund ist die doppelte Anbindung an das         hat das FWU im Februar das Projekt Vermitt-
Wissenschaftsnetz, die eine hohe Verfügbar-     lungsdienst für das digitale Identitätsmanage-
keit gewährleistet.                             ment in Schulen (VIDIS) auf den Weg gebracht.
                                                Damit soll eine länderübergreifende Bildungs-
Zum gesamten Portfolio berät Sie                medieninfrastruktur etabliert werden.
das Team von DFNFernsprechen:
DFNFernsprechen@dfn.de M                        Ziel ist, Schülerinnen und Schüler sowie Lehr-
                                                kräfte mit einer digitalen Identität auszustat-
   Weitere Informationen finden                 ten, die es ihnen ermöglicht, über Single
   Sie unter:                                   Sign-on-Mechanismen auf digitale Inhalte wie
   https://www.dfn.de/dienstleistungen/         Lehrmaterialien zuzugreifen – bildungspoli-
   dfnfernsprechen/                             tisch ist das ein Meilenstein.

                                                Im Vorfeld des Projektstarts hatte der DFN-
                                                Verein insbesondere über die Schwerpunkte
                                                AAI-Standards und mögliche Föderationsmo-
                                                delle informiert. Zukünftig erfolgt die Zusam-
                                                menarbeit im Rahmen der VIDIS-Fachgruppe
                                                „Technik und Datenschutz“. M

                                                    Weitere Informationen finden Sie
                                                    unter: https://www.vidis.schule
12   | DFN Mitteilungen Ausgabe 99 | Juni 2021 | INTERVIEW

Ideen fliegen sehen
Seit Dezember 2020 ist Prof. Dr. Odej Kao Vorstandsvorsitzender des DFN-Vereins.
Ob als Dozent, Wissenschaftler oder CIO, was er anpackt, macht er mit Leidenschaft
und sehr erfolgreich dazu. Was die digitale Souveränität von Hochschulen für
ihn bedeutet, warum ihm die Nachwuchsförderung ein Anliegen ist oder welche
Erfahrungen er in der Pandemiezeit gemacht hat, und nicht zuletzt, warum er die
Arbeit beim DFN-Verein als Privileg betrachtet, verrät der Informatiker im Gespräch.

                                                                                                   Zentrum für Hochleistungsrechnen
                                                                                                   mussten wir bundesweit erreichbar sein,
                                                                                                   damit unsere Partner bestmöglich an
                                                                                                   unsere Ressourcen rankommen. Der DFN-
                                                                                                   Verein war ein wichtiger Partner.

                                                                                                   Seit 2017 sind Sie im Verwaltungsrat des
                                                                                                   DFN. Was schätzen Sie am Verein?
                                                                                                   Man spürt die große Verantwortung.
                                                                                                   Stabile Netzwerke und Dienste sind heut-
                                                                                                   zutage nicht mehr optional, sondern in
                                                                                                   der benötigten Qualität und Kapazität
                                                                                                   zwingend notwendig. Als Teilnehmer sind
                                                                                                   wir alle darauf angewiesen. Das ist unser
                                                                                                   gemeinsamer Nenner. Und da sehe ich
                                                                                                   den Verein als die bindende Komponente.

                                                                                                   Etwas gehadert habe ich zu Beginn aller-
                                                                                                   dings mit dem Tempo der Entscheidungs-
                                                                                                   findung. Wenn man sich aber die Struktur
                                                                                                   der Mitglieder anschaut und deren hetero-
                                                                                                   gene Interessen über die Jahre erlebt,
                                                                                                   versteht man, wie fragil die Herstellung
                                                                                                   einer gemeinsamen Linie verläuft. Ich
                                                                                                   staune immer wieder, was für ein Vertrau-
                                                                                                   en der DFN genießt. Das ist ungewöhnlich.

Hat viel vor: Prof. Dr. Odej Kao freut sich auf die spannenden Aufgaben und Herausforderungen im
DFN-Verein Foto: ECDF/PR/Christian Kielmann                                                        Worauf freuen Sie sich in Ihrer Amtszeit?
                                                                                                   Ich bin in der glücklichen Lage, dass die
Können Sie sich an Ihren ersten Kontakt             ersten Sitzungen mit dem DFN fanden            Entgeltordnung gerade verabschiedet
mit dem DFN-Verein erinnern?                        sogar noch in den alten Büros in Kreuz-        wurde und zumindest die finanzielle Zu-
Sehr gut sogar. Das war 2003, ich hatte             berg statt, in der Stresemannstraße. Noch      kunft des DFN gesichert ist. Wir können
gerade die Leitung des Paderborn Center             enger wurde die Beziehung im Rahmen            uns nun auf die neuesten Herausforde-
for Parallel Computing übernommen. Die              der D-Grid-Initiative. Als überregionales      rungen konzentrieren, die die Digitalisie-
INTERVIEW | DFN Mitteilungen Ausgabe 99 |    13

rung mit sich bringt. Dafür brauchen wir    tät ist aus meiner Sicht die Aufrecht-          Warum haben Sie sich ausgerechnet
unter anderem neue Infrastrukturen. Das     erhaltung der Handlungsfähigkeit der            Deutschland ausgesucht?
setzt implizit voraus, dass die Netzwerke   Hochschulen.                                    Eigentlich habe ich mir das nicht aus­
mitwachsen. Das wird eine permanente                                                        gesucht. Ursprünglich wollte ich in den
Herausforderung für den DFN-Verein          Bedeutet das, dass wir als DFN-Verein           USA studieren. Dort wäre mein Einstieg
bleiben.                                    Verantwortung abgeben?                          deutlich einfacher gewesen, weil ich gut
                                            Ganz im Gegenteil, wir würden mehr Ver-         Englisch sprach. Meine Eltern lebten in
Spannend ist auch die Frage, ob wir ein     antwortung übernehmen. Im vergange-             den 70er-Jahren in Berlin, hier wurde auch
nationales oder gar ein europäisches        nen März, infolge des ersten Lockdowns,         meine Schwester geboren. Deutschland
Identity Management (IdM) bekommen.         wurden alle Hochschulen von heute auf           ist ihnen damals sehr stark in Erinnerung
Wir sind ein bedeutendes Wissenschafts­     morgen mit sehr harten Anforderungen            geblieben. Es hieß, Deutschland ist das
land und haben sehr viele mobile For­       konfrontiert. Die Hoffnungen, dass der          beste Land der Welt, dort musst du hin.
schende und Studierende, die an europäi-    DFN das abfangen kann, waren groß.              Ich konnte den Wunsch meiner Eltern
schen Kooperationen interessiert sind.      Das hat nicht funktioniert, weil das Vi-        nachvollziehen. Damals war es gerade in
Das Ziel ist, die Migration der IT-Umge-    deokonferenzsystem niemals für diese            ärmeren Ländern wie Mazedonien nicht
bung zwischen Heimat- und Gasthoch-         Anforderungen konzipiert war. Letztend-         ohne Weiteres möglich, über den Atlantik
schule möglichst einfach zu gestalten.      lich haben die Hochschulen ihre eigenen         zu reisen. So blieb ich zumindest in der
Hier sehe ich den DFN als nationalen Ver-   Lösungen geschaffen. Diese Überbrü-             Nähe. Das ist der Grund, warum ich jetzt
treter und auch als einen der Treiber. Es   ckungsphase war chaotisch. In meinen            hier bin.
                                            Augen ist der DFN-Verein auch ein Back-
                                            up, wenn gar nichts mehr geht. Es muss          Was haben Sie am meisten genossen im
      Digitale Souveränität ist             eine Mindestfunktionalität geben, bis die       Studium?
                                            Hochschulen, die betroffen sind, wieder         Ich war noch nie so frei wie zu dieser Zeit.
      die Aufrechterhaltung
                                            auf eigenen Füßen stehen.                       Ich konnte den ganzen Tag das tun, was
      der Handlungsfähigkeit                                                                mir leicht von der Hand ging, nämlich
      der Hochschulen.                      Digitaler Wandel – das erleben wir              Mathematik und Informatik. Ich musste
                                            gerade sehr deutlich – bedeutet Auf-            mir um nichts Sorgen machen. Ich hatte
liegt nahe, dass wir mit unseren Partnern   bruch und Mut zur Veränderung. Welche           nichts. So gab es auch nichts, was ich
eine Art führende Rolle übernehmen und      mutigen Entscheidungen haben Sie in             verlieren konnte. Ich war auf dem Weg
diese Entwicklung vorantreiben. Weitere     Ihrem Berufsleben bisher getroffen?             nach oben, also die beste Ausgangslage,
Fragen sind, wie die 5G-Campusnetze die     Was war schwierig und was von Erfolg            die man sich vorstellen kann. Später gab
Hochschulen verändern werden oder was       gekrönt?                                        es einige risikoreichere Entscheidungen.
wir zur Umsetzung der digitalen Souverä-    Ich bin damals aus Mazedonien nach              Zum Beispiel den Entschluss, auf eine
nität unserer Mitglieder und Teilnehmer     Deutschland gekommen, um Informatik             Professur zu gehen oder eine tolle Stelle
beitragen können.                           zu studieren; quasi aus der dritten in die      an der Uni Paderborn zu verlassen, um
                                            erste Welt – völlig ohne deutsche Sprach-       das tubIT aufzubauen. Diese Fragen stell-
Was bedeutet denn digitale Souveränität     kenntnisse. Das war schwer und hat die          ten sich damals im Studium gar nicht.
und was können wir dazu beitragen?          Latte ziemlich hoch gelegt. Es war mitten       Und das fand ich extrem befreiend.
Es gibt verschiedene Definitionen:          im Winter in einer Kleinstadt, die Tren-
Souveränität bedeutet zunächst Hand-        nung von Freunden und Eltern machte             Warum ist es für den wissenschaftlichen
lungsfähigkeit. Wenn beispielsweise         mir zu schaffen und dazu die Ungewiss-          Nachwuchs ein Risiko, eine Professur
Systeme komplett ausfallen, wenn be-        heit, ob ich das Studium überhaupt be-          anzustreben?
stimmte Länder entscheiden, dass die        wältige – all das schlägt natürlich auf         Bei diesem Karriereschritt gibt es keine
Auslieferung von Technologien nicht         die Seele. Nach dem Sprachkurs, als das         zuverlässigen Wege, das hängt von vielen
zulässig ist oder wenn es gegenüber         Semester losging, war es einfacher. Ich         Zufällen ab. Als junger Wissenschaftler
bestimmten Systemen Bedenken zum            hatte meine Kommilitonen, einen ge-             investiere ich viel Zeit: Ich nehme die Pro-
Datenschutz gibt, möchte ich, dass wir      regelten Studienablauf und die ersten           motion auf mich, eine lange Postdoc-Zeit
handlungsfähig bleiben. Und dafür muss      Erfolgserlebnisse. Es ging aufwärts.            und anschließend die Suche nach einem
es alternative Möglichkeiten geben. Es                                                      Ruf. Schnell besteht die Gefahr, zu alt zu
wäre schön, wenn der DFN dafür Lösun-                                                       sein. Oder es wird einem vorgeworfen, zu
gen bieten könnte. Digitale Souveräni-                                                      lange in einem Elfenbeinturm gearbeitet
14   | DFN Mitteilungen Ausgabe 99 | Juni 2021 | INTERVIEW

zu haben und nicht mehr fit für die Praxis
zu sein. Das sehe ich nach wie vor als
Risiko. Es ist immer noch sehr undurch-
sichtig, wie Universitäten entscheiden,
und die Karriere ist trotz aller exzellen-
ten Vorqualifikationen keineswegs ga-
rantiert. Ich hatte Glück, auf so eine tolle
Berufungskommission in Paderborn zu
treffen, die nicht auf meine Historie, son-
dern auf mein Potenzial geschaut hat.

Sie setzen sich als Vorstandsvorsitzender
des Einstein Center Digital Future (ECDF)
sehr für die Nachwuchsförderung ein.
Über diese Entwicklung freue ich mich
sehr. Ich bin dem Präsidenten der TU,
Christian Thomsen, sehr dankbar, dass
er das ECDF initiiert hat. Wir haben 50
jungen Menschen den Weg zu einer Pro-
fessur geebnet, die sonst eventuell diese
                                               Mit prominenter Unterstützung: Prof. Dr. Odej Kao (4. v. li.) und der Regierende Bürgermeister von
Chance nicht bekommen hätten. Vor vier
                                               Berlin Michael Müller (3. v. re.) eröffnen das ECDF Foto: ECDF/PR/Kay Herschelmann
Jahren haben wir begonnen, Unterneh-
men ins Boot zu holen, die für insgesamt       Kanzlerin der TU Berlin, an meiner Seite             Informatik sind wir es gewohnt, dass es
50 Professuren und eine Dauer von sechs        zu haben. Ich habe viel von ihrer langjäh-           fast jeden Tag etwas Neues gibt. Aber nur
Jahren die Finanzierung übernehmen.            rigen Erfahrung profitiert und wir haben             wenig davon ist tatsächlich nachhaltig.
Das war harte Arbeit, so viele Unterneh-       in dieser Phase viel miteinander für die             Ich muss Augen und Ohren offenhalten
men von einer Spende zu überzeugen.            Universität bewegen können. Das war                  und ein Gespür für die wichtigen Themen
In der Regel sind das Juniorprofessuren,       eine wichtige Erfahrung.                             haben. Mir fällt es jedoch nach wie vor
aber es sind auch einige W2- und W3-Pro-                                                            schwer, mich vom operativen Geschäft
fessuren darunter. Einige der jungen Pro-      Was ist als CIO nun anders?                          zu lösen.
fessorinnen und Professoren sind bereits       Wenn Sie die operative Verantwortung
auf Dauerstellen berufen worden. Für an-       dafür haben, dass die IT-Systeme nicht               Warum fällt Ihnen das schwer?
dere haben wir eine Perspektive am ECDF                                                             Na ja, wenn man als Informatiker Sachen
geschaffen. Darauf bin ich sehr stolz.                                                              baut, möchte man sie fliegen sehen. Das
                                                    Wenn 40 000 Menschen                            ist das Ziel. Meine Eltern sind beide Archi-
Neben der Leitung des Fachgebiets                                                                   tekten und es ist schon ein tolles Gefühl,
Verteilte Systeme und Betriebssysteme
                                                    möglicherweise nicht ar-                        wenn man an einem Gebäude vorbeiläuft
sind Sie an der TU Berlin als CIO außer-            beiten können, ist das eine                     und sagen kann, das Haus hat meine Mut-
dem für die IT-Strategie der Uni                    deutliche Belastung.                            ter entworfen. Mit einem neuen Dienst
zuständig. Zuvor haben Sie das IT-​                                                                 ist das ähnlich. Wenn der zum ersten Mal
Service-Center tubIT aufgebaut.                                                                     im Katalog auftaucht und genutzt wird,
Ich bin Informatiker, ich weiß, wie Sys-       ausfallen und dadurch an einem Tag ca.               ist das ein echtes Erfolgserlebnis. Sich
teme funktionieren und wie man sie             40 000 Menschen möglicherweise nicht                 Innovationen nur auszudenken, die an-
aufbaut. Das tägliche Management eines         arbeiten können, ist das schon eine deut-            dere Leute dann umsetzen dürfen, das ist
Rechenzentrums ist jedoch etwas völlig         liche Belastung. Da gehen morgens der                schwer – insbesondere, wenn man schon
anderes. Personalführung, politische Raf-      erste und abends der letzte Blick auf das            mal die Erfahrung gemacht hat, dass eine
finessen, Grundlagen des Finanzwesens,         Handy, immer in der Hoffnung, dass alles             Idee, eine Wunschvorstellung zu etwas
Umgang mit heterogenen Interessen und          in Ordnung ist. Als CIO muss ich deutlich            Realem geworden ist. Wie vor etwa acht
Lieferanten waren in meinem Hochschul-         weiter in die Zukunft schauen können.                Jahren bei der tubCloud. Wir hatten zu
lehrer-Portfolio nicht ausgeprägt. Da          Ich muss aufpassen, dass ich wichtige                der Zeit schon sehr früh auf eine Cloud-
war es ein Segen, Ulrike Gutheil, damals       Entwicklungen nicht verpasse. In der                 lösung gesetzt.
INTERVIEW | DFN Mitteilungen Ausgabe 99 |    15

Die Covid-19-Pandemie hat insbesondere       wachten Prüfungen im privaten Bereich           Lösungen, aber bekommen es nicht hin,
die Lehre und Forschung ganz schön           von Studierenden, sind schwer zu finden.        beispielsweise ausreichend Impfstoff
durchgeschüttelt. Wie erleben Sie das        Ich bin froh, dass wir an der TU sogenann-      herzustellen. Warum kann Deutschland
als Dozent?                                  te Portfolio-Prüfungen haben, bei denen         Milliarden für den Lockdown ausgeben,
Mir tun die Studierenden sehr leid, weil     viele Zwischenleistungen wie etwa Haus-         aber einer Firma als Entschädigung
sie ihre sozialen Kontakte nicht so ausle-   aufgaben und Vorträge benotet werden.
ben können wie üblich. Ihre Sorgen wer-      Dadurch machen die Endprüfungen nur
den viel zu wenig gehört. Die Zeit an der    einen geringen Teil der Noten aus.                    Als Mitglieder der Gesell-
Uni gehört zu den schönsten im Leben,                                                              schaft müssen wir uns
da geht gerade viel verloren.                Haben Sie persönlich etwas aus der
                                                                                                   überlegen, ob wir wirklich
                                             Pandemiezeit ziehen können?
Die digitale Lehre läuft zumindest bei       Ich verzichte in Zukunft auf die überwie-
                                                                                                   die beste Version von uns
meinen Kursen sehr gut. Ich nehme Vor-       gende Zahl von Dienstreisen innerhalb                 verkörpern.
lesungsvideos auf, die sich die Studie-      Deutschlands, bei denen ich quasi am
renden auf der Lernplattform jederzeit       frühen Morgen hinfliege, nur um lediglich       nicht so viel Geld zahlen, dass diese als
anschauen können. Zu Beginn habe ich         drei, vier Stunden an einer Sitzung teilzu-     Geschenk an die Menschheit auf ihre
etwa zehn Stunden gebraucht, um ein          nehmen. Die Videokonferenzen sind jetzt         Herstellungslizenzen verzichtet. Open
Zwei-Stunden-Video zu erstellen. Mittler-    gut eingeübt und eine sehr komfortable          Source sozusagen. Das geht mir nicht in
weile bin ich viel schneller. Das ist zwar   Lösung. Außerdem leisten wir damit              den Kopf.
viel mehr Arbeit als vorher, aber eine Ar-   einen Beitrag zum Klimaschutz – ein sehr
beit, die sich lohnt. Die Nachbearbeitung    wichtiges Thema, an dem niemand mehr            Noch einmal zurück zu der Frage, ob es
der Videos hilft auch, um meine Lautstär-    vorbeigehen kann.                               etwas gibt, worauf Sie sich freuen in
ke und Aussprache zu verbessern.                                                             Ihrer Amtszeit?
                                             Sie erleben also eine Art                       Ich würde nicht direkt von Freude spre-
In den Videokonferenzen zur eigentlichen     Entschleunigung?                                chen, sondern vielmehr von der Span-
Vorlesungszeit kann ich mir nun viel Zeit    Nein, glücklicherweise das Gegenteil.           nung und Aufregung, jetzt etwas auf dem
für die komplexeren Inhalte nehmen und       Damit mir nicht langweilig wird, fülle ich      Fundament meiner Vorgänger aufzubau-
ausführlich auf Fragen der Studierenden      momentan jede freie Minute mit Arbeit.          en auf nationaler und europäischer Ebe-
eingehen. Diese können auch im Chat ge­-     Ich habe eine Menge zusätzliche Aktivi-         ne. Da hat Hans Bungartz stellvertretend
stellt werden. Die Lehrevaluationen sind     täten gestartet: die Organisation von gro-      für die lange Liste meiner Vorgänger, Vor-
besser als jemals zuvor. Das hat mich        ßen Tagungen, Entwicklung von eigenen           stände, Verwaltungsräte, Geschäftsstelle
schon gefreut und bestärkt, auf diesem       Produkten, neue Vorlesungen, viel mehr          und DFN-Mitglieder exzellente Arbeit ge-
Pfad auch in der Zukunft zu bleiben.         Paper schreiben und einiges mehr. Was           leistet und mir ein toll bestelltes Feld hin-
Trotzdem vermisse ich die persönlichen       teils auch nicht gesund ist, weil die Arbeit    terlassen. So eine Gelegenheit bekommt
Gespräche.                                   mein Leben extrem dominiert. Die schö-          man im normalen Job eigentlich nicht
                                             nen Sachen wie dreimal pro Woche zum            geboten. Da ist man immer auf seine Uni-
Wie läuft es bei den Prüfungen? Sind die     Training zu gehen oder sich ab und zu mit       versität oder Hochschule fokussiert, aber
Prüfungsergebnisse jetzt schlechter?         Freunden zu treffen, fallen gerade leider       niemals auf den größeren Kontext. Und
Nein, überhaupt nicht. Was die münd-         weg. Meine Erkenntnis aus der Pandemie          jetzt in einem größeren Kontext arbeiten
lichen Prüfungen angeht, sind die Studie-    ist aber, dass ich auf vieles verzichten        zu dürfen, empfinde ich als Privileg.
renden sogar teilweise besser vorberei-      kann, ohne dass es mir richtig wehtut.
tet, da sie die Videos und somit meinen                                                      Die Fragen stellte Maimona Id
Unterricht parat haben. Ein großes Pro-      Sie beschäftigen sich im ECDF auch mit          (DFN-Verein)
blem sehe ich bei den schriftlichen Prü-     Digitalisierungsforschung. Wie wird sich
fungen, rechtlich eine sehr komplexe Ma-     unsere Gesellschaft verändern?
terie. Da werden alle Hochschulen ihre       Die Digitalisierung werden wir schon mit-
Erfahrungen in diesem komplizierten          telfristig hinbekommen. Wir müssen uns
und neuen Bereich machen müssen. Gute        als Mitglieder der Gesellschaft überlegen,
Alternativen zu Open-Book-Klausuren,         ob wir wirklich die beste Version von uns
in denen sehr vieles erlaubt ist und dem     verkörpern. Milliarden von Menschen
anderen extremen Fall, den streng über-      leiden derzeit. Wir haben im Prinzip die
16   | DFN Mitteilungen Ausgabe 99 | Juni 2021 | INTERNATIONAL

Wenn „Cloud“ die Antwort
ist – was war eigentlich
die Frage?
Im Rahmen des Projekts OCRE, an dem der DFN-Verein gemeinsam mit GÉANT
beteiligt ist, erhalten 15 innovative Forschungsprojekte insgesamt 1,175
Millionen Euro aus der Förderlinie OCRE Cloud Funding for Research. Zu den
Glücklichen gehören auch Forschende des Fraunhofer-Instituts für Integrierte
Systeme und Bauelementetechnologie IISB in Erlangen. Mit ihrem Schwerpunkt
„Cognitive Power Electronics 4.0“ integrieren sie künstliche Intelligenz in
leistungselektronische Systeme. Mit der Förderung wollen sie zeigen, wie
kommerzielle Cloud-Dienste ihre Forschung effektiv voranbringen können.

Text: Martin Schellenberger (Fraunhofer-Institut für Integrierte Systeme und Bauelementetechnologie IISB)

D    ie Nutzung von Cloud-Diensten ist in
     weiten Teilen unserer Gesellschaft zur
Selbstverständlichkeit geworden – ob im
                                               antwortung. Und nicht zuletzt bedeutet die
                                               Nutzung von Cloud-Diensten mittelfristig
                                               auch, dass nicht mehr in allen Bereichen
                                                                                               chem Umfang sie in der Forschung einge-
                                                                                               setzt und angepasst werden kann. Umso
                                                                                               wichtiger ist es, vor dem Einstieg in Cloud-
privaten Bereich mit dem Smartphone            eigenes Know-how genutzt und gepflegt           Dienste genau zu überlegen, welche Zie-
als wesentlichem Treiber oder im berufli-      wird. Hier gilt es, die Vorteile einer perso-   le durch die Nutzung der Cloud erreicht
chen Umfeld, wo insbesondere die Corona­-      nellen Entlastung gegen dem potenziellen        werden sollen. Aus diesem Grund haben
krise neue Potenziale zur cloudbasierten       Verlust von Wissen abzuwägen.                   wir uns im Rahmen des Projekts Open
Zusammenarbeit eröffnet hat. Im For-                                                           Clouds for Research Environments (OCRE)
schungsbetrieb ist die Cloud häufig noch                                                       auf die Ausschreibung „1st Open Call for
                                                   Die Cloud kann die
nicht im Alltag angekommen. Das kann un-                                                       Cloud Funding for Research“ beworben. Da-
terschiedliche Gründe haben: sei es, weil          Antwort auf viele                           mit haben wir die Chance, Dienstleistun-
Universitäten leistungsstarke eigene Re-           Herausforderungen in                        gen und Know-how der Cloud-Anbieter zu
chenzentren haben und damit kein unmit-            der Forschung sein.                         testen und Antworten auf unsere Fragen
telbarer Bedarf besteht, oder weil der Rech-                                                   bezüglich der Nutzung von (kommer­         -
ner (und damit die Daten und das eigene                                                        ziellen) Cloud-Diensten in der Forschung
Know-how in Form von Algorithmen und           Die Cloud kann die Antwort auf viele Her-       zu finden.
Programmen) „woanders“ steht – fern der        ausforderungen in der Forschung sein. Sie
räumlichen und administrativen Eigenver-       wirft aber auch Fragen auf, wie und in wel-
INTERNATIONAL | DFN Mitteilungen Ausgabe 99 |     17

Daran forschen wir                                    Anwendungsfall der intelligenten Antriebs-           zur KI-gestützten Entscheidungsfindung
                                                      technik kombinieren wir leistungsfähige              erfolgreich aufgebaut2 und die Machbar-
Im Fraunhofer-Institut für Integrierte Syste-         Umrichter, die Elektromotoren beispiels-             keit am Prüfstand demonstriert.
me und Bauelementetechnologie IISB in Er-             weise in Elektroautos oder Förderanlagen
langen forschen und entwickeln wir in den             ansteuern, mit künstlicher Intelligenz. Da-          Die Entwicklung erfolgt derzeit ausschließ-
Bereichen Leistungselektronik, Halbleiter-            bei entwickeln wir edge- oder cloudbasier-           lich unter Nutzung institutseigener Server,
technologie und Materialentwicklung. Im               te KI-Methoden, um aus kleinsten Strom-              Datenbanken, Software und Workflows.
Forschungsschwerpunkt „Cognitive Power                schwankungen im Elektromotor auf des-                Aufgrund der umfangreichen Daten und
Electronics 4.0“ integrieren wir künstliche           sen Zustand und potenziell auftretende               aufwendigen Berechnungen sowie der
Intelligenz in leistungselektronische Sys-            Fehler schließen und so beispielsweise den           Entwicklung und Nutzung von KI-basier-
teme, zum Beispiel in elektrische Motoren,            Verschleiß der Lager rechtzeitig erkennen            ten Algorithmen käme hier folgerichtig die
komplette Antriebsstränge oder Batterie-              (Abbildung 1) zu können. Wir haben die               teilweise oder vollständige Nutzung von
systeme. Diese können wir an eigenen Prüf-            Auswertekette von der Datenaufnahme,                 Cloud-Dienste infrage: sei es die flexible
ständen vollständig testen1. Im konkreten             -weiterleitung und -verarbeitung bis hin             Nutzung von Speicher- und Rechenkapa-
                                                                                                           zitäten, die Entwicklung eigener Anwen-
                                                                                                           dungen in der Cloud mit den Werkzeugen
                                                                                                           des Cloud-Anbieters oder in geeigneten Fäl-
        Data-Analytics                   Umrichter                         Motor                           len sogar die Nutzung fertiger Algorithmen
                                           =                                                               und Softwarepakete des Cloud-Anbieters
                                                                             M                             für die eigene Anwendung.
             Cloud                                                           3~
                                                 3~
                                                                                                           Ziele der Cloud-Nutzung
                                                                  Zustandsüberwachung
                                                                      Zuverlässigkeit                      Im Rahmen des OCRE-Projekts erwarten
                                                                  Predictive Maintenance
                                                                                                           wir folgenden konkreten Nutzen aus den
                                                                                                           Cloud-Diensten:
Abbildung 1: In der intelligenten Antriebstechnik werden Daten aus dem Antriebsumrichter genutzt,
um mittels Methoden der künstlichen Intelligenz auf den Zustand des Elektromotors zu schließen
                                                                                                           I Fokus auf die eigene Kernkompetenz:
                                                                                                           Als Rückgrat für unsere Datenverarbei-
                                                                                                           tung und KI-Entwicklung können Cloud-
                                                                                                           Dienste uns dabei helfen, uns auf unse-
                                                                                                           re Kernkompetenz zu konzentrieren. Das
                                                                                                           ist wichtig, um schnelle und substanziel-
                                                                                                           le Forschungsergebnisse sowohl in öffent-
                                                                                                           lich geförderten F&E-Projekten als auch in
                                                                                                           bilateralen Industrieprojekten mit hohem
                                                                                                           Technology-Readiness-Level zu erzielen.

                                                                                                           I Reduzierte Kosten und Aufwände:
                                                                                                           Wir hoffen, dass die Kosten für institutsin-
                                                                                                           terne Speicher- und Recheneinrichtungen
                                                                                                           substanziell sinken werden. Dies gilt es,
                                                                                                           kritisch zu prüfen, denn die tatsächlichen
                                                                                                           Kosten von Cloud-Diensten werden erst mit
                                                                                                           realen Anwendungsfällen sichtbar und nur
                                                                                                           eingeschränkt in Online­budgetrechnern
                                                                                                           abgebildet.
Verschleiß rechtzeitig erkennen: Aufnahme von elektrischen Daten eines Elektromotors am Prüfstand
des Fraunhofer IISB Foto: Kurt Fuchs / Fraunhofer IISB

1 M. Schellenberger, B. Eckardt and V. Lorentz (2019), „So könnten leistungselektronische Schaltungen entscheiden“. Abgerufen am 1.4.2021 von
  https://www.all-electronics.de/so-koennten-leistungselektronische-schaltungen-entscheiden/
2 G. Roeder, X. Liu, M. Hofmann, M. Schellenberger, F. Hilpert and M. März, „Cognitive Power Electronics for Intelligent Drive Technology“,
  10th International Electric Drives Production Conference (EDPC), Ludwigsburg, Germany, 2020, pp. 1–8, doi: 10.1109/EDPC51184.2020.9388182
18    | DFN Mitteilungen Ausgabe 99 | Juni 2021 | INTERNATIONAL

I Skalierbarkeit:
Wir erwarten weniger Probleme bei der
Übertragung und Speicherung großer Da-                                                                                                     Machine Resource
                                                            Data Verification
tenmengen, insbesondere nach erfolgrei-                                                                                                    Management
cher vollständiger Implementierung un-
seres Anwendungsfalls in der Cloud. Das
würde den Rollout ähnlicher Lösungen
                                                       Data Collection                                                                             Monitoring
auf weitere leistungselektronische Gerä-
te erleichtern.                                                                                               ML
                                                                                                             Code
                                                       Configuration

I Dienstleistungsangebote:
Wir möchten wissen, welche sicheren                    Feature Extraction
Marktplätze die Cloud-Betreiber anbieten
                                                                                                                                                Analysis Tools
und wie wir sie nutzen können, um unsere                  Process
eigenen bewährten Algorithmen zur Ver-                    Management Tools
fügung zu stellen und neue Geschäftsmo-
                                                                                                                                       Serving Infrastructure
delle mit Partnern zu testen.

Bisherige Erfahrungen mit                              Abbildung 3: Die eigentlichen Machine-Learning-Algorithmen erfordern eine vergleichsweise riesige
der Cloud                                              und komplexe Infrastruktur

Im Vorfeld unserer Bewerbung für das OCRE-             Funktionalitäten der Einstieg ohne die im              Anwendungsfall im OCRE-Projekt nutzen
Projekt konnten wir im Rahmen eines Ha-                Hackathon gegebene Unterstützung des                   möchten: Wir benötigen zusätzlich eine
ckathons erste Erfahrungen mit der Cloud               Cloud-Diensteanbieters erheblich länger                skalierbare Infrastruktur, um erfasste Da-
                                                       gedauert hätte und uns manche fortge-                  ten in einen sicheren Speicher zu übertra-
     Das war für uns                                   schrittenen Funktionen und „Kniffe“ ver-               gen (oft mehrere Gigabyte pro Tag und Ge-
                                                       borgen geblieben wären. Der Kostenaspekt               rät), KI-Algorithmen mithilfe dieser Daten
     eine sehr positive
                                                       lässt sich bei einer probeweisen Übertra-              zu trainieren und schließlich die Algorith-
     Erfahrung.                                        gung von Algorithmen kaum beurteilen –                 men auf Servern oder im Gerät vor Ort (Ed-
                                                       allerdings zeigte sich, dass die im Internet           ge-Device) performant auszuführen.
sammeln. Von der Vielzahl an Cloud-Funk-               verfügbaren Kostenrechner der Cloud-An-
tionen wollten wir vor allem ausprobie-                bieter einerseits sehr komplex sind, ande-             Entscheidend ist nun, die richtige Ba-
ren, wie einfach sich unsere bestehenden               rerseits aber so schwer zu konfigurieren,              lance zwischen der Investition in eigene
lokalen Algorithmen tatsächlich mit den                dass sie den eigenen Anwendungsfall nicht              und fremde Kompetenzen im Bereich der
Werkzeugen der Cloud abbilden und auf                  korrekt abbilden. Hier gilt es, die Kosten             Dateninfrastruktur zu finden. Denn nur ein
virtuellen Maschinen ausführen lassen –                im tatsächlichen (Test-)Betrieb zu verfol-             kleiner Teil tatsächlich implementierter
die Aufgabenstellung bewegte sich also                 gen. Dank der transparenten Werkzeuge                  KI-Systeme besteht aus den eigentlichen
im Bereich „Platform as a Service“. Dabei              ist das auch gut möglich.                              Machine-Learning-Algorithmen (Abbildung
zeigte sich, dass die Übertragung der Algo-                                                                   3), während die erforderliche umgebende
rithmen schnell vonstattenging und wir un-                                                                    Infrastruktur vergleichsweise riesig und
sere gewohnten Abläufe und Werkzeuge                   Wenn „Cloud“ die Antwort                               komplex ist3. Und wie bei vielen anwen-
weiter verwenden konnten oder in ähnli-                ist – wie lauten eigentlich                            dungsorientierten Forschungseinrichtun-
cher Form in der Cloud wiederfanden. Das               unsere Fragen?                                         gen und Universitäten liegt unsere eigene
war für uns eine sehr positive Erfahrung,                                                                     Kompetenz vor allem im Domänenwissen,
ebenso wie die Tatsache, dass die webba-               Die geschilderten Gehversuche mit der                  in der darauf aufbauenden Dateninterpre-
sierte Zusammenarbeit im Team gut funk-                Cloud betreffen nur einen kleinen Aus-                 tation und der Anpassung und Anwendung
tionierte. Wir haben aber auch festgestellt,           schnitt möglicher Cloud-Funktionalitä-                 geeigneter KI-Algorithmen.
dass trotz guter Dokumentation der Cloud-              ten, die wir nun im oben beschriebenen

3 D. Sculley, G. Holt, et al., „Hidden technical debt in Machine learning systems“, Proceedings of the 28th International Conference on Neural Information
  Processing Systems - Volume 2 (NIPS‘15). MIT Press, Cambridge, MA, USA, 2503–2511.
INTERNATIONAL | DFN Mitteilungen Ausgabe 99 |   19

FRAGENKATALOG FÜR DIE BEWERTUNG DER ZUR WAHL                                         Für die strukturierte Bewertung der Cloud-
                                                                                     Dienste – auch im Hinblick auf das bevorste-
STEHENDEN CLOUD-DIENSTE
                                                                                     hende Auswahlverfahren in OCRE – haben wir
                                                                                     einen Fragenkatalog erstellt. Schwieriger zu
  1. In Bezug auf die Nutzung zusätzlicher Speicher- und Rechenkapazi-               bewerten ist jedoch, inwieweit durch die ver-
  täten (oft bezeichnet als „IaaS“, Infrastructure as a Service):                    stärkte Nutzung bestimmter Cloud-Dienste mit-
  • Ist die Leistungsfähigkeit der Datenhaltung in der Cloud ausreichend             tel- und langfristig die eigenen Kompetenzen
    im Vergleich zur Nutzung lokaler Datenbanken?                                    geschwächt werden und ob das den durch die
  • Welche (automatisierten) Möglichkeiten der Datenvorverarbeitung                  Cloud erzielten Benefit aufwiegt. Insbesonde-
    gibt es und wie leistungsfähig sind sie im Vergleich mit unseren                 re für die Dienste vom Typ PaaS und SaaS er-
    selbst entwickelten Verfahren?                                                   warten wir hier spannende interne Diskussio-
  • Können wir von einer dateibasierten Datenübertragung zu einem                    nen, welche Dienste als allgemein verfügbare
    (Echtzeit-)Streaming von Daten übergehen?                                        „Commodities“ genutzt werden können und
  • Welche Kosten fallen im Vergleich zu unseren bisherigen, internen                wo wir unser eigenes Know-how als Alleinstel-
    Lösungen an?                                                                     lungsmerkmal unabhängig von Cloud-Anbie-
  • Wie sicher und vertrauenswürdig ist die Cloud-Infrastruktur im Ver-              tern pflegen und ausbauen wollen.
    gleich zu eigenen Lösungen?

                                                                                     Nächste Schritte
  2. In Bezug auf die Entwicklung eigener Anwendungen in der Cloud
                                                                                     Im OCRE-Projekt werden wir im Rahmen des
  mit den Werkzeugen eines Cloud-Anbieters („PaaS“, Platform as a
                                                                                     anstehenden Auswahlverfahrens zunächst ei-
  Service):
                                                                                     nen Cloud-Anbieter auswählen und mit ihm die
  • Welche Werkzeuge stehen für die Datenverarbeitung sowie die Code-                für unseren Anwendungsfall passende Edge-
    und Modellerstellung zur Verfügung und wie leistungsfähig sind sie?              Cloud-Architektur entwickeln und umsetzen.
  • Wie einfach lassen sich existierende Codes und Modelle in die                    Darauf folgt die schrittweise Übertragung un-
    Werkzeuge des Cloud-Anbieters übertragen?                                        serer existierenden Entwicklungs- und Auswer-
  • Wie einfach lassen sich bereits eingespielte Abläufe aus den Bereichen           tekette für intelligente Antriebstechnik in die
    Anforderungsdefinition, Datenerfassung und -bereinigung, Code-                   Cloud und wo nötig deren Anpassung. Nach der
    Entwicklung und –Test (oft lose unter dem Schlagwort „DevOps“                    Auswertung der dabei gewonnenen Erfahrun-
    zusammengefasst) in die Cloud-Plattform übertragen? Welche Ände-
                                                                                     gen können wir schlussendlich entscheiden,
    rungen der eigenen Abläufe sind erforderlich?
                                                                                     ob „die Cloud“ überhaupt die richtige Antwort
  • Welche Kosten fallen an, und ist ein Nutzen, z. B. im Hinblick auf Zeit­­-
                                                                                     auf unsere Fragen ist und in welchem Umfang
    ersparnis, vereinheitlichte Abläufe oder verbesserter Qualität, sichtbar?
                                                                                     wir Cloud-Dienste für unsere Forschung künf-
                                                                                     tig nutzen wollen. Fortsetzung folgt! M

  3. In Bezug auf die Nutzung fertiger Algorithmen oder Softwarepake-
  te des Cloud-Anbieters für die eigene Anwendung („Saas“, Software
  as a Service):

  • Wie leistungsfähig sind Algorithmen und KI-Modelle, die vom Anbie-
    ter zur Verfügung gestellt werden, wie gut sind sie dokumentiert und
    in welchem Umfang lassen sie sich anpassen und parametrieren?
  • Wie effizient können Algorithmen und Modelle nicht nur in der Cloud,
    sondern auch vor Ort (Edge) genutzt werden?
  • In welchem Maß sind andere Forschungspartner und Kunden bereit,
    sich auf die gemeinsame Entwicklung mit Cloudbasierten Diensten
    einzulassen?
  • Ist ein hybrider Ansatz, z. B. der fallweise Übergang zu lokalen Lösun-
    gen („on-premise“) möglich?
  • Welche Kosten fallen an und wie groß ist die Gefahr des „Vendor
    Lock-in“, wenn z. B. der Wechsel zu einem anderen Cloud-Anbieter auf-
    grund zu hoher Transaktionskosten unwirtschaftlich wird?
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