MOBILITY WORLD - DIE ZUKUNFT IM BLICK - M Plan
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3.17 MOBILITY WORLD DIE ZUKUNFT IM BLICK WIE SMART CHEFIN ANNETTE WINKLER DIE MOBILITÄT REVOLUTIONIEREN WILL SEITE 10 SEITE 4 SEITE 8 SEITE 13 JUNG VS. ERFAHRUNG: START-UP VS. KONZERN: PRÜFER VS. EMISSION: ZWEI KOLLEGEN IM GESPRÄCH ELEKTRO-EVOLUTION DAS ABGAS-ABITUR
INHALT WIR MÜSSEN REDEN! 4 M Plan – das sind erfahrene Mitarbeiter und junge Nachwuchskräfte. Ein Werkzeugkonstrukteur und eine M INSIDE Stipendiatin im Gespräch. 6:45,9 MINUTEN 7 In dieser Rekordzeit fuhr ein Elektroauto durch die „Grüne Hölle“. Ein Traktor hingegen brauchte 1:05:36 M NUMBERS Stunden. Und noch mehr Zahlen … DIE E-VOLUTION 8 Elektromobilität ist das zentrale Thema der Autoindustrie. Doch es sind neue Start-ups, die die M REPORT Branche vor sich hertreiben. MEHR ALS AUTO 10 Smart will die Mobilität revolutionieren. Mobility World sprach mit Chefin Annette Winkler über Autos, die als M INTERVIEW Paketstation dienen. 08 DIE E-VOLUTION M Report – Wie Start-ups die Elektromobilität revolutionieren DIE ABGAS-PRÜFER 13 Am 1. September wurde ein neues „Abgas-Abitur“ eingeführt. Zwei Experten nehmen die Prüfungen M AT WORK für M Plan ab – mit einem Hightech-Gerät. NEUE WELTEN 14 Das Unternehmen Rakete Rot entwickelt digitale Lösungen für die Autoindustrie – von der App bis M VIEW zur Kommunikationsstrategie. M INHALT ÜBERRASCHUNG IN ORANGE 16 Wenn es um Autos geht, ist Stephan Linder Perfektionist. Der Manager besitzt viele Klassiker – M PASSION bis zum letzten Aufkleber authentisch dekoriert. DER BERG RUFT! 18 Ralf Hotter hat ein ungewöhnliches Hobby: Er ist Bikebergsteiger. Dafür schleppt er sein Fahrrad M PEOPLE mit auf den Gipfel. Runter wird gefahren. 14 RAKETE ROT NEUES AUS DER WELT VON M PLAN M View – So digitalisiert eine Berliner Firma die Automobilindustrie 19 Düsseldorf hat einen neuen Niederlassungsleiter bekommen, vier Mitarbeiter feiern Jubiläum – und M NEWS ein Roboter-Staubsauger wird verlost. M GAME IMPRESSUM Verantwortlich für den Inhalt: Realisierung und Gestaltung: Mitglied im Bernd Gilgen, Geschäftsführer Yellow Tree – Digital.Branding. Mobility World www.yellowtree.de Ausgabe 03.2017 Redaktion extern: Auflage 21.000 Büro 504, www.buero504.de Fotografie: 7. Jahrgang Peter Hildebrandt Redaktionsleitung: www.working-image.de Herausgeber: Katrin Reiners M Plan GmbH Covermotiv: Steinmüllerallee 2 Druck: © Smart 51643 Gummersbach Gronenberg Druck & Medien www.m-plan.com www.gronenberg.de 2 MOBILITY WORLD / 3.17
WER GEWINNT? LIEBE LESERINNEN, LIEBE LESER, vor ein paar Wochen hatte ich in Bayern zu tun und flog deshalb nach München. Mobilitäts-Apps, Concierge-Services, interne WLAN-Hot-Spots … Die Realität sieht Am Flughafen nahm ich mir einen Mietwagen und gab die Adresse des Kunden meist so aus: Die Endkunden nutzen im Auto weiterhin ihr Smartphone und ins Navigationsgerät ein. Was dann geschah, müsste mir fast peinlich sein. freuen sich über eine schlanke Schnittstelle. Die Gewinne machen Apple, Vodafone, Allerdings antwortet fast jeder, dem ich diese Geschichte erzähle: Ist mir auch Telekom, App-Anbieter … Hier sind die Hersteller gefordert – sie müssen sich schon passiert. Ich saß also im Mietwagen, einer Mittelklasse-Limousine, und kompetente Hilfe von außen holen. Von Entwicklungsdienstleistern. Und von M EDITORIAL folgte den Anweisungen des Navis. In Gedanken war ich schon halb beim Kunden branchenfremden Unternehmen, die über besonderes IT- und Kommunikations- und achtete nicht auf die Autobahnschilder. Nach zehn Minuten stand ich wieder Know-how verfügen. Eines stellen wir in dieser Ausgabe der Mobility World vor, vorm Terminal des Franz-Josef-Strauß-Flughafens. Das Navigationsgerät hatte es trägt den interessanten Namen Rakete Rot. Und sehr spannend finde ich auch, mich, obwohl ich eine Adresse in Oberbayern eingegeben hatte, zum „Heimatort“ was Smart-Chefin Annette Winkler zu diesem Thema sagt. Ein großes Interview zurückgeleitet. Kann doch nicht angehen, dachte ich. Probierte es erneut. Fuhr finden Sie ebenfalls in dieser Ausgabe. wieder los. Sollte wieder zum Terminal zurückgeleitet werden … Ohne mich. Ich schaltete das Navi aus, folgte den Straßenschildern und kam ganz analog ans Ziel. Übrigens frage ich mich noch immer, warum das Mietwagen-Navi sich seinerzeit so seltsam verhielt. Fehlfunktion? Virtuelle Besserwisserei? Heimweh? Ich werde Warum ich Ihnen das erzähle? Weil sich in einem solchen Erlebnis eine Vielzahl es nie erfahren. von Herausforderungen der Automobilindustrie spiegelt: Wie gestalte ich die Schnittstellen zwischen Fahrer und Auto, so dass das Navi oder ergänzende Herzlichst Service- und Sicherheitsdienste wie Assistenzsysteme oder die Entertainment- Ihr Unit einfach und intuitiv zu bedienen sind? Schafft es die Industrie, einheitliche und kundengerechte Nutzer-Standards zu entwerfen? Und ganz wichtig: Wie lassen sich mit digitalen Zusatzangeboten im Automobil Gewinne generieren? Gerade diese letzte Frage ist entscheidend für die Zukunft der Automobilindus- Bernd Gilgen trie. Alle großen Hersteller bieten Serviceleistungen im Bereich Connectivity an: Geschäftsführer „Die Realität sieht meist so aus: Die Endkunden nutzen im Auto weiterhin ihr Smartphone und freuen sich über eine schlanke Schnittstelle.“ Bernd Gilgen, Geschäftsführer M Plan MOBILITY WORLD / 3.17 3
WIR MÜSSEN REDEN! M Plan – das sind langjährige Mitarbeiter mit großer Erfahrung und top ausgebildete Nachwuchskräfte. Mobility World bat zwei an einen Tisch: Siegfried Bienert, 62, Fachteamleiter Werkzeugkonstruktion aus Osnabrück, und Nadine Schneider, 25, Stipendiatin und Studentin der Fahrzeugtechnik aus Köln. M INSIDE 4 MOBILITY WORLD / 3.17
// Frau Schneider, Herr Bienert. Wir treffen uns heute in Osnabrück. Mit welchem Frau Schneider, Sie haben im Rahmen Ihres Studiums bei Herstellern und Zulie- Verkehrsmittel sind Sie beide angereist? ferern Praktika absolviert. Kennen Sie solche Déjà-vu-Erlebnisse? Schneider: Mit dem Auto. Für mittellange Strecken nehme ich gerne den eigenen Schneider: Ja. 2013 zum Beispiel war ich bei Daimler im Gesamtfahrzeugtesting Wagen, dann höre ich Musik und bin nicht abhängig von verspäteten Zügen. Ich von C- und E-Klasse. Die sehe ich natürlich oft auf der Straße. Ich erinnere mich, bin heute aus Hilden bei Düsseldorf gekommen, zweieinhalb Stunden auf der wie an bestimmten Details bei den Nullserienfahrzeugen gearbeitet wurde, wie M INSIDE Autobahn, kein Problem. Lösungen für Probleme gesucht und gefunden wurden. Das interessiert mich so an der Branche: die Verbundenheit mit dem Endprodukt. Und der Weg dahin. Bienert: Ebenfalls mit dem Auto. Weit aber hatte ich es nicht. Ich wohne am Rand von Osnabrück, exakt sieben Kilometer entfernt. Die Strecke fahre ich immer mit Wie möchten Sie nach dem Studium die Mobilität mitgestalten? dem Auto. Sechs Minuten, keine Ampel. Fürs Fahrrad bin ich zu bequem. (lacht) Schneider: Ich möchte in der Entwicklung arbeiten, am liebsten im Testing. Ich möchte Produkte nicht nur virtuell simulieren. Ich will die Dinge ausprobieren: Schneider: Für Kurzstrecken nehme ich meist die Bahn. Als Studentin habe ich Wie verhalten sich Werkstoffe? Wie einzelne Komponenten im Gesamtfahrzeug? das NRW-Ticket, das ist super. Da kann ich im ganzen Bundesland herumfahren. Das fasziniert mich. Außerdem mache ich Car-Sharing mit Drive-Now. Etwa, wenn ich meine Schwester in Hamburg besuche und vor Ort mobil sein möchte. Wenn ich aber Herr Bienert, müssen Sie heute andere Werkzeuge entwickeln, wenn Autos elek- am Wochenende zum Kitesurfen ans Ijsselmeer in den Niederlanden fahre, das trisch oder autonom fahren? sind drei Stunden Fahrt, nehme ich den eigenen Wagen. Mir bringt das Fahren Bienert: Nein. Denn auch Elektromotoren und Systeme zum autonomen Fahren einfach Spaß. Mein Vater sagt, ich habe Benzin im Blut. Bei uns zu Hause standen benötigen eine Karosserie. Das Auto ist eine Blechbüchse, salopp gesprochen, immer mehrere Autos auf dem Hof, an denen gebastelt wurde. Am Wochenende und das wird so bleiben. Ob aus Stahl, Aluminium oder einem neuen hochfesten ging es auf den Nürburgring, und die kleine Nadine war immer dabei. Mein Vater Material, das Auto braucht eine Karosserie. Klar, hin und wieder müssen ein paar ist Kfz-Sachverständiger und fährt, glaube ich, einmal im Jahr mit dem Bus, zum zusätzliche Löcher im Blech berücksichtigt werden, ansonsten aber haben die Weihnachtsmarkt. Ansonsten: Auto. Trends keine großen Auswirkungen auf uns Werkzeugkonstrukteure. Herr Bienert, Sie fahren seit Jahren nur Ford Mondeo. Eigentlich kein Modell, das Unter der Karosserie passiert viel. Möchten Sie sich gerne in einem autonom für große Automobilleidenschaft steht … fahrenden Auto von A nach B chauffieren lassen? Bienert: Die ersten Aufträge, die ich hier als Projektleiter betreut habe, waren für Bienert: Ach, da gehöre ich wohl nicht zur Zielgruppe. Ich habe mich noch nie Ford. Für den Ford Mondeo haben wir Werkzeuge für wesentliche Karosserieteile darüber aufgeregt, dass man im Auto während der Fahrt so schlecht Mails checken entwickelt. Als ich das erste Mal einen Firmenwagen bekam, wollte ich nur den kann. Die lese ich, wenn ich im Büro bin. Man muss sich nicht verrückt machen Mondeo. Da haben alle geguckt, aber mit dem Wagen verbindet mich einfach lassen. Ich bin ganz froh, dass ich im Auto meine Ruhe habe. Und ich fahre selbst eine gemeinsame Geschichte. so gerne, dass ich das nicht vom Computer machen lassen muss. Sie sehen vermutlich oft Autos auf der Straße, deren Karosserie Sie mitgestaltet Schneider: Für Langstrecken kann ich mir das sehr gut vorstellen. Gerade auch und mitgeformt haben. für Lkw. Auf dem Weg hierher gab es eine Passage auf der Autobahn, da durften Bienert: Ja. Wir entwickeln hier Werkzeuge, die wiegen bis zu 50 Tonnen, mit de- Lkw nicht überholen. Die hätten sich gut vernetzen können, um in einer autonom nen werden alle Teile der Karosserie geformt. Das Königsteil zum Beispiel, wie wir fahrenden Kolonne dahinzurollen. Gäbe es einen zweiten Fahrstreifen für autonom sagen, die Seitenwand mit dem Kotflügel. Mein Enkel fragt mich oft, wenn er ein fahrende Pkw, dann hätte ich mich auch gerne zurückgelehnt und ein wenig ent- Auto sieht: Opa, hast du das auch gemacht? Da kann ich sagen: Ja, die Heckklappe spannt. Von mir aus könnte es dann auch eine dritte Spur geben für Fahrer wie Sie, haben wir gemacht. Oder eben das Königsteil. Das geht von Ford über Jaguar bis Herr Bienert, die noch selbst steuern mögen. Volkswagen. Beim ersten Kombi von Jaguar haben wir 27 Karosserieteile gemacht. 27! Wenn ich solche Fahrzeuge auf der Straße sehe, ist das natürlich eine schöne Bestätigung der eigenen Arbeit. MOBILITY WORLD / 3.17 5
ZWEI MENSCHEN, EINE MISSION: DIE MOBILITÄT VON HEUTE UND MORGEN MITZUGESTALTEN. Siegfried Bienert, 62, ist Fachteamleiter Werkzeugkonstruktion im Center of Competence Produktionstechnik von M Plan in Osnabrück. Er arbeitet seit 33 Jahren im Unternehmen. Mit seinem Team entwickelt er die Werkzeuge, mit denen die Automobilhersteller Karosserie-Komponenten formen – das können bis zu 40 Werkzeuge, teils bis 50 Tonnen schwer, für ein neues Fahrzeugmodell sein. Nadine Schneider, 25, studiert Fahrzeugtechnik an der TH Köln und wird dabei mit einem Stipendium von M Plan unterstützt. Während ihres Studiums absolvierte sie bislang Praktika unter anderem auch bei Daimler, TRW und Edscha Automotive. Schon heute können Autos teilautonom fahren. Welche Assistenzsysteme finden Schneider: Ich denke, schon. Man kann die Informationen ja filtern und muss nicht Sie besonders sinnvoll und hilfreich? alles, was angeboten wird, auch annehmen. Ich habe eine Lauf-App fürs Joggen, Bienert: Tempomat, Totwinkelassistent, Parkassistent – das sind praktische Helfer. eine Koch-App, dann Amazon und Ebay, das ist sehr praktisch, weil ich dann zu Mehr brauche ich nicht. Hause nicht noch den Computer hochfahren muss. Auf der Fahrt hierher hat mir das Smartphone zum Beispiel geholfen, weil ich nicht genau wusste, wo ich abfahren Schneider: Ich finde es sehr sinnvoll, dass man heutzutage beim Autofahren sollte. Mit der Navi-App war das kein Problem. Kurz bevor ich ausgestiegen bin, von der Elektronik unterstützt wird. Der Parkassistent ist besonders hilfreich für habe ich per Whats-App zu Hause durchgegeben, dass ich gut angekommen bin. mich. Viel mehr hat mein Auto leider nicht, weil ich den alten Wagen meiner Eltern übernommen habe. Mein Vater aber hat sich gerade ein neues Auto ge- Frau Schneider, wie beurteilen Sie die Rolle von Entwicklungsdienstleistern für kauft, und als der Verkäufer anbot, uns die ganze Technik zu erläutern, da habe die Mobilität von morgen? ich gesagt: Ja, bitte. Fernlichtassistent, Nebelassistent, das sind auch wertvolle Schneider: Die Verantwortung für Dienstleister steigt, ganz klar. Die Hersteller und Unterstützungssysteme. Und natürlich der Abstandsregelassistent. Es gibt mir auch die großen Zulieferer lagern immer mehr anspruchsvolle Projekte aus, an- ein sicheres Gefühl, wenn ich weiß, dass mein Vater den nutzt und beim Vorder- ders ist das wohl alles nicht mehr aus einer Hand zu bewältigen. Ich merke das im M INSIDE mann nicht zu nah auffährt. Studentenkreis: Es ist heute wesentlich attraktiver, für einen Entwicklungsdienst- leister zu arbeiten, als noch vor ein paar Jahren. Dort kommt man mit den span- Wie beurteilen Sie die zunehmende Digitalisierung im Auto? Kritiker sprechen nenden Themen der Automobilindustrie in Berührung. Ich muss nicht bei Porsche auch von einer Entmündigung des Autofahrers … oder BMW arbeiten, um für Porsche oder BMW die Zukunft mitzugestalten. Wenn Schneider: Im Gegenteil, ich empfinde die Digitalisierung als großen Zugewinn. ich Fahrzeugtechnik studiere, will ich nach dem Abschluss am Produkt arbeiten. Wenn der Spurhalteassistent mich darauf hinweist, dass ich nach links drifte, dann Nur am Computer und in Meetings zu sitzen ist jedenfalls nicht mein Plan. fühle ich mich nicht entmündigt, sondern einfach sicher aufgehoben. Es ist aber die große Frage, wie der Fahrer mit seinen digitalen Angeboten im Auto interagiert. Wenn Sie beide für einen Tag den Job miteinander wechseln dürften, was würde Wenn er ständig gestikulieren und Sprachbefehle ausführen muss, dann ist das zu Sie am meisten interessieren? viel. Es ist sicher eine der großen Herausforderungen der Zukunft, wie man diese Schneider: Der Produktentstehungsprozess. Ich würde mir genau anschauen, wie Schnittstellen entwirft, ohne den Fahrer zu überfordern. so ein riesiges Werkzeug entwickelt wird, so dass am Ende Millionen Blechteile in der gleichen Qualität damit hergestellt werden. Das ist noch eine handfeste Indus- Bienert: Vielleicht ist ja auch irgendwann wieder das pure Autofahren angesagt. triedisziplin. Ich würde auch gerne zum Kunden ins Werk fahren und mir so eine Bei der Musik war es doch auch so. Vinyl wurde für tot erklärt, dann kamen CDs, Presse anschauen. Ich muss die Dinge in Aktion erleben, um sie richtig zu verstehen. dann MP3-Player, heute holt man sich Musik aus dem Internet. Und was lese ich jetzt? Vinyl ist zurück. Die Leute kaufen wieder Langspielplatten und teure Plat- Bienert: Das ist eine sehr gute Perspektive! Ich habe, als ich noch Ausbildungsleiter tenspieler. Gut, ganz so lässt sich die Zeit beim Automobil nicht zurückdrehen, das war, die jungen Leute immer mal mit ins Werk genommen. Am Computer entwi- würde auch keinen Sinn machen. Es geht mir aber um die Verhältnismäßigkeit. ckeln ist das eine. Die Realität etwas anderes. Manches, was heute als Megatrend gilt, entpuppt sich vielleicht als doch nicht so dramatisch relevant. Nicht alles, was man machen kann, macht auch Sinn. Und Sie, Herr Bienert, einen Tag an der Uni? Bienert: Oh ja, da wär ich schon neugierig. Ich würde mir da ein paar interessante Wie digital sind Sie beide im Privatleben? Wann waren Sie heute zum Beispiel Vorlesungen heraussuchen. zuletzt mit dem Smartphone online? Bienert: Die Frage müsste an mich eher lauten: Haben Sie es diese Woche Schneider: Wir haben auch Werkstoffkunde und Fertigungstechnik. Das wäre be- überhaupt schon genutzt. (lacht) Im Internet war ich damit schon lange nicht mehr. stimmt interessant für Sie. Ich nutze das Smartphone zum Telefonieren. Bienert: Ganz bestimmt. Allerdings würden mich weniger die Inhalte interessie- Schneider: Haben Sie keine Apps? Kein Whats-App, kein Regenradar? ren, denn damit bin ich ja hier schon jeden Tag konfrontiert. Besonders spannend fände ich, wie der Professor das Wissen vermittelt. Wie hoch der Praxisanteil im Bienert: Erwischt! Regenradar habe ich tatsächlich. Ich spiele gerne am Studium ist. Praxis ist wirklich enorm wichtig. Wenn wir Studenten hierhaben, die Wochenende Golf, da schaue ich dann schnell, ob es sich lohnt, die Tasche für ein paar Monate ein Praktikum machen, dann sind die immer ganz baff, wenn in den Kofferraum zu packen. Ich habe übrigens den Eindruck, seitdem die sie zum ersten Mal so eine Presse sehen. Neulich sagte einer zu mir: Jetzt habe ich Handys Internetanschluss haben, wird weniger telefoniert. Vieles wird heute mit erst verstanden, was das bedeutet, ein Auto zu konstruieren. // Texten kommuniziert. Ich bin mir auch nicht sicher, ob der Mensch diese Fülle an Informationen, die er mit sich in der Manteltasche herumträgt, überhaupt verarbeiten kann. Man kann schon fragen: Wird das Leben dadurch lebenswerter? 6 MOBILITY WORLD / 3.17
6:45,9 MINUTEN ist es her, dass Wally Byam die Firma Airstream 86 JAHRE gründete. Das US-Unternehmen mit Sitz in Jackson Center, US-Staat Ohio, ist der älteste noch produ- zierende Wohnwagenhersteller der Welt. Bekannt für eine Runde durch die „Grüne Hölle“ bedeutet ei- wurde das Unternehmen für die großen, strom- nen neuen Rekord für Elektroautos auf der Nürburg- linienförmigen Aluminium-Caravans, die unter ande- ring-Nordschleife. Aufgestellt wurde er Mitte Mai von rem von US-Präsidenten als rollendes Büro genutzt Peter Dumbreck im Elektrorenner EP9, einem Gemein- wurden oder von Hollywood-Stars als mobiles Appar- schaftsprojekt der chinesischen Hersteller NextEV tement während der Dreharbeiten. Jetzt hat Airstream und Nio. Die vier E-Maschinen des EP9 leisten jeweils einen kompakten Zwei-Personen-Caravan namens 250 kW, die Gesamtleistungdes Autos beträgt also ein Basecamp vorgestellt. Auf minimalem Raum bietet Megawatt, umgerechnet rund 1.360 PS. Die vor 90 der Wohnanhänger eine komplette Mini-Küche, eine Jahren eröffnete Rennstrecke in der Eifel gilt nach wie Duschzelle mit Toilette, eine Sitzecke und ein Doppel- vor als Maßstab für Fahrdynamik. Hier eine Auswahl bett; außerdem gibt es zwei Türen – eine an der aktueller Rundenrekorde*: Seite, die andere am Heck. In Deutschland wird der Airstream Basecamp ab 44.317 Euro verkauft. Zeit Kategorie Modell Name Jahr 6:25,9 Min. Rennwagen Porsche 956 Stefan Bellof 1983 6:45,9 Min. Elektro- Nio EP9 Peter 2017 sportwagen Dumbreck 5 STERNE 6:48,0 Min. Serien- Radical Michael 2009 sportwagen SR8LM Vergers beim Crashtest Euro-NCAP sind das Maß der Dinge in 7:06,4 Min. Formel 1 Ferrari Clay Regazzoni 1975 (dam. Strecke Sachen Insassensicherheit. Um diese Bestnote auch 22,835 km) nach Inkrafttreten neuer Prüfanforderungen bis zum 7:31,9 Min. Serien- Alfa Romeo Fabio Francia 2016 Jahr 2020 erfüllen zu können und um zugleich eine limousine Giulia Sicherheitslösung für neue Innenraumkonzepte in au- 7:49,7 Min. Serien- Honda RC30 Helmut Dähne 1993 motorrad tonom fahrenden Autos anbieten zu können, hat der 10:06 Min. Speedskates – Dirk Auer 2000 Zulieferer ZF jetzt das Konzept eines neuen „Far Side (gezogen von Alfa Romeo 159) Center Airbag“ vorgestellt. Der neue Luftsack entfaltet 37:25 Min. Rennrad – Team 2016 sich von der oberen Innenseite der Sitzrückenlehne (Strecke 26 km) Ledschends I und benötigt keine Mittelkonsole, um sich abzustützen. 1:05:36 Std. Traktor Porsche Walter Röhrl 2012 Der Airbag soll verhindern, dass sich, beispielsweise Junior bei einer Kollision auf der Beifahrerseite, der Fahrer 1:13:23 Std. Laufen – Francis Nade 1993 (Männer) zu stark in Richtung Fahrzeugmitte bewegt und dort (23,8 km) mit dem Beifahrer oder mit Bauteilen des Fahrzeugs 1:24:23 Std. Laufen – Nadeschda 1993 (Frauen) Iljina kollidiert. (23,8 km) *Stand: Juni 2017 1,5 MILLIONEN HONIGBIENEN M NUMBERS summen ab sofort über Wiesen, durch Büsche und Wäldchen des Offroad- Parcours auf dem Werksgelände von Porsche in Leipzig. „Mit der Ansiedlung der Honigbienen möchten wir einen weiteren Beitrag zum Schutz hei- mischer Tiere und Pflanzen leisten“, sagt Siegfried Bülow, Chef des Porsche- Standorts Leipzig. Die 25 Bienenvölker mit jeweils rund 60.000 Tieren sollen auf der 40 Hektar großen Fläche, auf der vor allem Weißdornbüsche, Robinien und Linden wachsen, heimisch werden – und Honig produzieren. Die süße Leckerei wird im Kundenzentrum von Porsche Leipzig verkauft. „Werksbienen“ gibt es auch bei Audi am Standort Münchsmünster. Dort steht sogar ein Hightech-Bienenstock mit eingebautem Roboterarm, an dem Infrarot- und Wärmebildkameras das Leben der Bienen beobachten. Die Daten werden im Rahmen eines Kooperationsprojekts mit der Julius- Maximilians-Universität Würzburg erfasst und ausgewertet. 10 ZENTIMETER sind die maximale Toleranz, mit der ein Elektroauto-Prototyp des Zulie- ferers Continental über einer Bodenplatte geparkt werden muss, damit das induktive Laden des Fahrzeug-Akkus mit der Maximalleistung von 11 kW funktioniert. Continental stellte auf der IAA nicht nur das neue, © Airstream; ZF (2x); Porsche; Continental induktive Ladesystem vor, bei dem Fahrzeug und Ladestation nicht mehr per Kabel miteinander verbunden werden müssen, sondern auch ein Positionierungssystem, das den Wagen optimal über der Bodenplatte ausrichtet. Wenn der Akku mit 11 kW Leistung geladen wird, entspricht das pro Minute einer Energiezufuhr, die für rund einen Kilometer elektrische Fahrt reicht. So lässt sich auf einem Supermarktparkplatz während eines 20-minütigen Einkaufsstopps elektrische Energie für 20 Kilometer Fahrt nachfassen. MOBILITYWORLD MOBILITY WORLD//3.17 3.17 77
DIE E-VOLUTION Elektromobilität ist das zentrale Thema der Autoindustrie. Nahezu jeder große Hersteller hat eine visionäre E-Strategie. Doch es sind neue Unternehmen und kecke Start-ups, die die Branche vor sich hertreiben. M REPORT Elektromobilität wird vor allem auch von kleineren Unternehmen vorangetrieben. Etwa vom Start-Up e.Go-Mobile mit dem Kleinwagen e.Go (großes Foto), oder das Unternehmen Coup, das in Berlin einen Leihservice für Elektroroller anbietet. // Die Figur des Scheinriesen ist aus dem Kinderbuch-Klassiker „Jim Knopf und ELEKTRIFIZIERUNG DES LIEFERVERKEHRS Lukas der Lokomotivführer“ bekannt. Er wirkt von ferne riesig, aus der Nähe Ein Einsatzbereich, in dem die Elektromobilität ebenfalls ihre Stärken ausspielen betrachtet jedoch eher unscheinbar. In etwa so verhält es sich mit der Elektromo- kann, ist der städtische Lieferverkehr. Fährt der elektrisch, bedeutet das eine bilität in Deutschland: Große Pläne, hohe Investitionen, aufgeregte Diskussionen – erhebliche Verminderung des Verkehrslärms und der Schadstoffbelastung in der doch wenn man genauer hinsieht, schrumpft das Thema beträchtlich. Rund 34.000 Stadt, denn die Abgase bei der Stromerzeugung entstehen ja nicht im Auto, sondern Elektroautos waren in Deutschland am 1. Januar dieses Jahres zugelassen – ein wenn, dann fernab beim jeweiligen Kraftwerk. Zudem sind bei Stadtlieferwagen Anteil von 0,07 Prozent am Pkw-Gesamtbestand von 45,8 Millionen. die Fahrstrecken überschaubar und das Nachladen der Akkus bestens planbar. Die Deutsche Post hat das bereits vor Jahren erkannt. Um Pakete von Elektro- RUND 20.000 ÖFFENTLICHE LADEPUNKTE Lieferwagen ausfahren zu lassen, suchte sie nach einem geeigneten Modell. 2011 Die Gründe, warum die Elektromobilität hierzulande nicht richtig in Fahrt kommt, stellte VW gemeinsam mit der Post den E-Transporter eT in Potsdam vor – alles sah sind unter Branchenkennern als „R. I. P.“ bekannt. Die Abkürzung verweist auf die nach dem ersten Elektro-Großauftrag für Volkswagen aus, doch dazu kam es nie. geringe Reichweite von Elektroautos, die lückenhafte Infrastruktur und den hohen Preis – in Anspielung auf die gleichlautende Grabinschrift „Requiescat in pace“ Stattdessen wurde die Post in Aachen fündig, beim Start-up Street-Scooter, (er/sie ruhe in Frieden). Allerdings gibt es inzwischen zahlreiche Elektroautos mit einer Ausgründung der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Reichweiten von 300 und mehr Kilometern pro Akkuladung – und auch das Netz (RWTH). Street-Scooter hatte auf der IAA 2011 einen E-Lieferwagen vorgestellt, der Lademöglichkeiten wird dichter. Gegenwärtig stehen in Deutschland rund und in der Folge wurde die Kooperation mit der Post immer enger, bis das 6.800 öffentliche Ladesäulen mit etwa 20.000 Ladepunkten zum Nachladen von Logistikunternehmen die E-Auto-Firma komplett übernahm, um nun in Eigen- Auto-Akkus zur Verfügung, Tendenz steigend. Dass sich Elektroautos dennoch nur regie ein Elektro-Postauto zu bauen. Inzwischen entstanden bei Street-Scooter zögerlich verbreiten, könnte auch daran liegen, dass die Technik noch nicht für alle bereits mehr als 2.500 Elektro-Lieferwagen für den Eigenbedarf der Post und Ansprüche des automobilen Alltags gleichermaßen gut geeignet ist. ihres Tochterunternehmens DHL. Seit kurzem beliefert Street-Scooter auch andere Unternehmen mit elektrifizierten Transportern: Erster Kunde war die Perfekt passt Elektromobilität beispielsweise in den Stadtverkehr und zu eher Bremerhavener Fischmanufaktur Deutsche See. Für das fischverarbeitende sporadisch genutzten Sportwagen. Insofern ist es konsequent, dass zahlreiche Unternehmen wird der Elektro-Kleinlaster zusätzlich mit einer Kühlanlage Hersteller kleine Citycars mit E-Antrieb ausrüsten – vom Smart Fortwo electric ausgestattet – ein Novum in der Elektromobilität. Und zugleich ein Beleg für die drive über den Renault ZOE bis zum VW e-up!. Und mit elektrischen Highend- Flexibilität, mit der junge, ganz am Kundenbedarf orientierte Unternehmen auf Sportwagen versuchen vor allem chinesische Newcomer-Unternehmen – wie dem Markt der Elektromobilität Erfolg haben können. Next EV mit dem E-Renner Nio – in der Automobilbranche Fuß zu fassen. 8 MOBILITY WORLD / 3.17
Auch das ist eine Lektion der bisherigen Entwicklung der Elektromobilität: Es wird sich nicht nur die Technik der Autos ändern, sondern das gesamte Gefüge der Automobilbranche. Weil die Nachfrage viel stärker das Angebot beeinflussen wird – wie das Beispiel Deutsche Post und Street-Scooter zeigt. Und weil dadurch neue Unternehmen in den Mobilitätsmarkt drängen. Etwa das Start-up e.Go- Mobile, das ab 2018 einen Elektro-Kleinwagen für weniger als 16.000 Euro auf den Markt bringen möchte; oder Govecs, das den ehemaligen DDR-Roller Schwalbe elektrifiziert. Und an der Technischen Universität München wurde ein solarbetriebenes, geländegängiges und robustes Elektrofahrzeug für Afrika zur Serienreife entwickelt. Für die etablierten Autohersteller, so analysiert eine Studie der Management- beratung Oliver Wyman, bedeutet das eine massive Doppelbelastung: Einer- seits müssen sie die Verbrennungsmotoren weiterentwickeln und andererseits parallel dazu die Etablierung der E-Mobilität vorantreiben. „Diese zweigleisige Positionierung ist sehr kostenintensiv und könnte sogar die größten Hersteller überfordern“, sagt August Joas, Auto-Experte bei der Managementberatung Oliver Wyman. „Da dürften wir sicher noch interessante Kooperationen sehen.“ AUSWEG AUS DER ABGAS-PROBLEMATIK? Ein wesentlicher Treiber der Elektromobilität ist auch die Politik, und zwar in Form Der elektrische Pakettransporter Street-Scooter von der Deutschen Post. zunehmend strengerer Umweltregularien. Im Falle des Autos sind das vor allem Abgasnormen. Ab 2020 etwa gilt in der EU ein durchschnittlicher CO2-Grenzwert Allerdings wird sich dies zugunsten der Elektromobilität verändern. Die Sorge, von 95 Gramm je Kilometer für sämtliche Neuwagen eines Herstellers; ab dem dass viele Elektrofahrzeuge neue Kraftwerke nötig machen würden, ist zumindest Jahr 2021 gilt diese Regelung verbindlich und ausnahmslos. Für jedes Gramm auf absehbare Zeit unbegründet: Das Institut für Energie- und Klimaforschung in CO2 über dem Grenzwert fällt eine Strafzahlung an, die sich bei Herstellern, die Jülich hat berechnet, dass selbst wenn in Deutschland eine Million Elektroautos auf mehrere Hunderttausend Autos pro Jahr in der EU verkaufen, rasch zu hohen den Straßen unterwegs wären, für deren Energieversorgung kein neues Kraftwerk dreistelligen Millionenbeträgen summieren kann. Statt also ab 2021 horrende gebaut werden müsste. Beträge für CO2-Strafen aufzubringen, scheint es weitaus sinnvoller, das Geld rasch in die Entwicklung klimaschonenderer Antriebe zu stecken, und da bietet sich Eine Million Elektroautos strebte die Bundesregierung ursprünglich für das der Elektroantrieb an. Voraussetzung ist natürlich, dass Elektroautos tatsächlich Jahr 2020 an, doch fast alle Experten bezweifeln, dass dieses Ziel noch erreicht sauberer fahren als Verbrenner-Pkw, was wiederum nur funktioniert, wenn der werden kann. Es wird vermutlich noch dauern, ehe man in Deutschland von einem Strom in ihren Akkus aus erneuerbaren Energien stammt. In Deutschland trifft das Durchbruch der Elektromobilität sprechen kann. Wie zügig die weitere „E-Volu- aktuell auf gut 30 Prozent der Bruttostromerzeugung zu, bis zum Jahr 2025 soll tion“ vonstattengeht, wird auch davon abhängen, wie gut es den Herstellern ge- dieser Wert nach Angaben des Umweltbundesamts auf 45 Prozent steigen. Anders lingt, ihre Elektroautos als ausgereift, alltagstauglich und begehrenswert zu in- gesagt: Was den CO2-Ausstoß betrifft, sieht die Bilanz eines E-Autos gegenwärtig szenieren. Kurzum: Wie stark sie die E-Mobilität mit positiven Emotionen verbin- kaum besser aus als die eines modernen Dieselfahrzeugs. den können. Tesla ist das beispielhaft gelungen. Andere müssen noch aufholen. // M REPORT „AN DER ELEKTROMOBILITÄT FÜHRT KEIN WEG VORBEI“ THOMAS HAUSCH, seit 2013 Geschäftsführer der Nissan Center Europe GmbH in Brühl, im Kurzinterview über Erkenntnisse zur Elektromobilität und das Glück, ein E-Auto zu fahren. Thomas Hausch und sein Elektroauto vom Typ Coda. Herr Hausch, Sie besitzen einen Coda, ein Elektroauto von 2012 aus den Vorreiter sind, siedeln zukünftige Produktion schon heute bei sich an: USA. Was ist für Sie das Faszinierende an der Elektromobilität? China, USA, England, Frankreich, Japan, … Ich denke, die wichtigste Lässt man einmal rationale Gründe wie Reduzierung der Luftver- Erkenntnis ist die, dass kein Weg an der Elektromobilität vorbeiführt. schmutzung, Ressourcenschonung und beträchtliche Kosteneinspa- rungen bei bestimmten Einsatzzwecken außer Acht, bleibt noch ein In Deutschland steckt die Elektromobilität noch im Anfangsstadium. riesiger Brocken Faszination für die Elektromobilität übrig: lautlose, Wo sehen Sie geeignete Hebel, um die Elektromobilität hierzulande sofortige, lineare Beschleunigung, reueloses Vollgasfahren mit „kal- zu fördern? tem“ E-Motor und ein niedriger Schwerpunkt für dynamische Kurven- In Deutschland hat sich in den vergangenen anderthalb Jahren fahrten – und das alles mit gutem Umwelt-Gewissen. einiges getan, und das Bewusstsein bei Herstellern und künftigen E-Fahrzeug-Kunden hat sich positiv und progressiv entwickelt. Trotz- Ihr Arbeitgeber Nissan baut mit dem Modell Leaf das aktuell meistver- dem kann noch mehr getan werden. Ich denke da an kostenlose Park- kaufte Elektroauto der Welt. Was sind die wichtigsten Erkenntnisse der plätze, unkomplizierte Lademöglichkeiten, Integration von Stromern in bisherigen Entwicklung der E-Mobilität? die kommunalen Flotten. Nissan arbeitet mit der Grünen Hauptstadt © eGO; Thomas Hausch Hersteller, die kompromisslos in E-Mobilität investieren und investiert Europas, der Stadt Essen, zusammen, um pragmatische Beispiele vor- haben, gehören zu den Gewinnern des anstehenden größten Um- zuleben. Kleine Änderungen zeigen oft eine große Wirkung. bruchs in der Geschichte der Automobilindustrie. Industrieländer, die MOBILITY WORLD / 3.17 9
MEHR ALS AUTO Smart will die Mobilität revolutionieren: Mobility World sprach mit Smart-Chefin Annette Winkler über Autos, die als Paketstation dienen, über die Chancen der Elektrifizierung – und über das Glück, Berge mit dem Fahrrad zu erklimmen. M INTERVIEW 10 MOBILITY WORLD / 3.17
ZUR PERSON ANNETTE WINKLER begann ihre Karriere in einer Brauerei: Bei Karlsberg in Homburg schnupperte sie Ende der siebziger Jahre erstmals Betriebsklima. Nach einem Wirtschaftsstudium übernahm sie im Alter von 24 Jahren die Geschäftsfüh- rung des väterlichen Bauunternehmens und steigerte den Gewinn von vier auf 60 Millionen Euro. Nach einem Termin als Vortragsrednerin bei Daimler gewann der damalige Vorstandsvorsitzende Helmut Werner sie 1995 als Pressechefin für Mercedes-Benz. Nach verschiedenen Stationen im Konzern rückte sie 2010 auf den Chefposten bei Smart. Zuletzt brachte die Marke zwei neue Modelle auf den Markt, elektrische Varianten des Fortwo und des Forfour. Winkler, 57, ist gebürtige Wiesbadenerin. Sie lebt in Stuttgart und am Bodensee. // Frau Winkler, als Smart 1994 gegründet wurde, steckte das Internet in den bringen, vom öffentlichen Nahverkehr über intelligente Apps bis hin zum eigent- Kinderschuhen. Der Begriff Connectivity wurde von Mathematikern im Zusam- lichen Auto. Also bieten wir entsprechende Lösungen an. Wir laufen mit unseren menhang mit geometrischen Formen benutzt, auf Deutschlands Straßen fuhr Konzepten nicht hinterher, sondern vorweg. kein elektrischer Serien-Pkw. Car-Sharing bedeutete, dass man dem Nachbarn mal sein Auto lieh … All das ist nun Teil der Smart-Philosophie. Hatten die Mar- Daimler beschäftigt einen eigenen Zukunftsforscher. Was sagt der voraus, wann ken-Manager damals seherische Fähigkeiten? gibt es den ersten Smart ohne Pedale und Lenkrad? Annette Winkler: Ich bin selbst beeindruckt, wie die handelnden Personen damals Annette Winkler: Mir gefällt Ihre Frage, denn sie spricht eine spannende Entwick- M INTERVIEW die heutigen Trends vorhergesehen und in dem völlig neuen Automobilkonzept lung an. Sie müssen aber verstehen, dass ich dazu nicht viel sagen kann. Nur so des Smart berücksichtigt haben. Man hat ein Produkt geschaffen, das dem Trend viel: Smart ist zum Glück Teil des Unternehmens Mercedes-Benz Cars, und es ist der zunehmenden Urbanisierung entsprach, den zumindest gab es in den neun- kein Geheimnis, dass man dort eine Vorreiterrolle in Sachen autonomes Fahren ziger Jahren schon. Man hatte das neue Auto aber auch damals schon elektrisch einnimmt. Natürlich denken wir auch bei Smart über autonom fahrende Modelle gedacht – und das war in der Automobilindustrie nicht gerade en vogue, um es nach. Irgendwann könnte es sicher mal ein Robotaxi mit dem Smart-Logo geben. mal vorsichtig auszudrücken. Die Entscheider bei Smart wussten aber, dass ein Ob und wann, das kann ich Ihnen nicht sagen. revolutionärer Kleinwagen mehr sein musste als nur ein Pkw – eben ein eigen- ständiges Mobilitätskonzept. Und obwohl es seinerzeit noch fast kein Internet gab, Bis dahin ist erst einmal die Elektromobilität ein großes Thema. Zuletzt brachten passen heutige Smartphones und der Smart ideal zusammen, nicht nur wegen Sie gleich mehrere neue Elektro-Modelle auf den Markt. Werden in ein paar des Namens. Jahren überhaupt noch Benziner über die Straßen rollen? Annette Winkler: Ich kann nicht für die Automobilindustrie sprechen, da ich leider Sie verkaufen heute Autos, die Teil eines größeren Mobilitäts-Pakets mit passen- auch keine Kristallkugel in den Händen halte und generelle Aussagen zu diesem den Apps, Car-Sharing-Konzept, Vergünstigungen für Parkhäuser und Wasch- Thema an Hellseherei grenzen. Ich möchte aber gerne unseren Vorstandsvor- straßen sind. Smart-Autos sollen bald gar als Paket-Briefkasten dienen. Sind die sitzenden Dieter Zetsche zitieren, der kürzlich sagte, Elektromobilität sei wie Zeiten vorbei, da man sich einfach ein Auto kauft? Tomatenketchup: Sie drehen die Flasche, Sie wissen, es kommt, aber nicht, wann Annette Winkler: All die Dinge, die Sie aufzählen, müssen im Ganzen natürlich und wie stark. Für Smart kann ich sagen: Da wir uns hauptsächlich auf den Stadt- Sinn machen. Sie sind Teil einer Gesamtstrategie. Wir sind kein kreativer Bastella- verkehr konzentrieren, wird die Marke irgendwann mit sehr hoher Wahrschein- den, der aus Jux lustige Funktionen ins Auto bringt. Nein, wir wollen das Leben der lichkeit vollständig elektrisch sein. Die Betonung liegt aber auf „irgendwann“, auf Menschen in der Stadt verbessern. Ihnen möglichst viel Stress im Alltag ersparen. absehbare Zeit wird Smart Fahrzeuge sowohl mit Elektroantrieb als auch mit Ver- Einer der wichtigsten Verkaufsgründe für den Smart ist ja immer noch: Ich finde brennungsmotor anbieten. damit so herrlich einfach einen Parkplatz, vor allem in den Großstädten. Diesen Gedanken entwickeln wir weiter. Dazu gehört eben auch, dass man dank eines Der Smart wird zum „Connected Car“ mit Online-Zugang: Das Auto lässt sich Mikrochips einfach so, ohne zu zahlen, ins und aus dem Parkhaus fahren kann. Oder via App lokalisieren, öffnen und schließen, die Tankfüllung lässt sich checken. nehmen Sie das Thema privates Car-Sharing, das wir gerade testen. Dabei kann Parallel gibt es immer wieder Schlagzeilen, wenn Automodelle gehackt werden. das Auto ohne physische Schlüsselübergabe in der Familie oder im Freundeskreis Sehen Sie das als Problem für die Zukunft? hin- und hergetauscht werden. Solche Dienste werden immer mehr zum Kaufar- Annette Winkler: Wir testen die Systeme vom frühesten Entwicklungsstadium bis gument werden. Der Smart überzeugt daher als ganzheitliches Mobilitätskonzept hin zu den Betatests im realen Fahralltag intensiv. In der letzteren Phase beziehen für die Stadt. wir unsere Kunden mit ein, alles wird ausprobiert, gegebenenfalls verbessert. Wir wissen also: Diese von Ihnen angesprochenen Services werden gewünscht. Unser Als Autohersteller müssten Sie diesen Trend mit gemischten Gefühlen betrachten: großer Vorteil ist, dass alle Services über die Car2Go-Connectivity-Box laufen, und Die Kunden entfernen sich von Ihrem Kernprodukt, dem Auto, und Sie laufen mit mit diesem System haben wir bereits unendlich viel Erfahrung sammeln können. Apps und Parkhaus-Funkchips hinterher … Über zweieinhalb Millionen Kunden weltweit nutzen Car2Go, das Unternehmen Annette Winkler: Das Auto ist ja der Mittelpunkt all dieser zusätzlichen Dienste. hat 14.000 Fahrzeuge. Das System ist perfekt ausgearbeitet und sicher. Und wer Ohne Auto kann ich zum Beispiel kein Car-Sharing betreiben. Und es ist eben so, als Kunde dennoch Bedenken hat: Alle diese Dienste sind freiwillig. Wir zwingen dass sich viele Menschen eine neugestaltete individuelle Mobilität wünschen. Es niemanden, die Zusatzfunktionen zu nutzen. © Smart geht darum, viele Mobilitäts-Facetten miteinander in einen sinnvollen Einklang zu MOBILITY WORLD / 3.17 11
Mit Smart ready-to-drop werden Pakete in den Kofferraum geliefert (Foto oben). Per Smartphone wird dem Zusteller ein einmaliger Zugang gewährt (unten links), am nächsten Tag liegt das Paket bereit (unten rechts). M INTERVIEW Der Smart wird zur persönlichen Paketstation. Möchten die Kunden denn tat- Annette Winkler: Ja, das war in den neunziger Jahren, und der Wagen war feuer- sächlich, dass ein eventuell schlechtgelaunter DHL-Bote an ihrem Auto herum- rot. Dieter Zetsche fragte seinerzeit, wie man mich denn zum Wechsel meiner Mar- fuhrwerkt? Befürchten Sie bei solchen Kooperationen keinen negativen Image- kenpräferenz bewegen könne. Eigentlich aber musste ich kaum überzeugt werden: effekt, auf den Sie aber keinen Einfluss haben? Ich bin stark vom Elternhaus geprägt. Mein Vater ist immer Mercedes gefahren, bis Annette Winkler: Zunächst einmal erleben wir in unseren Beta-Launches genau heute übrigens. Es war also eigentlich schon beinahe vorbestimmt, wo ich letztlich das Gegenteil von „schlechtgelaunten DHL-Boten“, sondern vielmehr positive und landen sollte. Wobei ich sagen muss, ich bin in einem einigermaßen konservativen supermotivierte Partner, die sich stark einbringen, um unsere Services kontinuier- und strengen Haus erzogen worden, da hieß es: Frauen gehören nicht ans Steuer. In lich weiterzuentwickeln. Ich persönlich habe als Teilnehmerin unserer Testphase der Hinsicht hatte ich natürlich meinen eigenen Kopf. Was die Markenzugehörigkeit keinerlei schlechte Erfahrungen mit Paketdiensten gemacht. Die Boten, die für un- betrifft, nicht. seren Dienst eingesetzt werden, sind speziell geschult. Und das System verhindert selbst, dass etwas schiefläuft bei der Lieferung. Jede Etappe in der Paketlieferung Bei all den beruflichen Autofahrten: Wie oft finden Sie noch Zeit, aufs Rennrad zu ist nachvollziehbar, und dass am Ende zum Beispiel der Kofferraum offen stehen steigen? Sie sind ja schon alle wesentlichen Etappen der Tour de France abgefahren, bleibt, ist technisch eigentlich nicht möglich. Der DHL-Bote kann den Zustellvor- waren auch auf dem berüchtigten Gipfel des Mont Ventoux. gang erst beenden, wenn der Kofferraum ordnungsgemäß abgeschlossen wurde. Annette Winkler: Ach, wissen Sie, das Leben hat Phasen. Das war eine intensive Zeit. Nein, wir haben keinerlei Berührungsängste, Kooperationen einzugehen. Auch Ich bin so manchen Gipfel hochgeschnauft und habe gedacht, entweder du kippst hier gilt: Keiner wird gezwungen, dieses Angebot zu nutzen. Zum Thema Sicher- jetzt um oder du ziehst das durch, und natürlich habe ich auch die letzten Meter bis heit: Man wird vermutlich kein Paket mit Brillant-Ohrringen via Paketdienst emp- zum Gipfel geschafft und tolle Momente des Glücks erfahren. Heute sind es auch fangen wollen. Wenn aber das online bestellte Katzenfutter abends im Kofferraum andere Themen, die mir Freude bereiten. Mein Mann und ich, wir unternehmen zwar steht und ich nicht noch zum Supermarkt muss, dann ist das doch ein Zugewinn noch immer sehr gerne längere Rennradtouren. Ich liebe aber auch das Kochen, ich an Lebensqualität. liebe klassische Musik, und ich liebe es zu joggen. Gerade das brauche ich. Ich bin heute Morgen brav um Viertel nach fünf losgelaufen, wie jeden Tag. Die Wetter-App Sie leben am Bodensee, arbeiten in Stuttgart: Wie pendeln Sie eigentlich? Mit hatte Sonnenschein vorhergesagt, ich lief auch voller Glück in den Morgen hinein – einem Elektro-Smart kämen Sie vermutlich an die Grenzen der Reichweite … und nach drei Minuten in eine Sturzflut, Wahnsinn. Dann heißt es: Egal, weiterlaufen. Annette Winkler: Das Pendeln an sich hält sich in Grenzen, da ich nur zum Wochen- ende an den Bodensee fahre. Es kommt darauf an, was ich mache und wo ich hinfah- Seit Jahren heißt es auch, Sie seien Anwärterin auf den Vorstand bei Daimler. Fühlen re. Unter der Woche bin ich eigentlich ausschließlich mit meinem Elektro-Smart in Sie sich nicht wie die Schauspielerinnen Sigourney Weaver oder Glenn Close, die Stuttgart unterwegs. Für längere Strecken nehme ich meinen Mercedes. Außerdem immer wieder für den Oscar nominiert werden, aber dann doch nicht nach oben auf besitzt mein Mann einen Austin-Healey, also auch einen Zweisitzer, auch damit fah- die Bühne gerufen werden? ren wir die Strecke Bodensee–Stuttgart sehr gerne. Annette Winkler: Meine Motivation ist nicht die Bühne, meine Motivation sind der Smart und die Menschen, die für ihn arbeiten. Mir geht es darum, die gemeinsame Bevor Sie bei Daimler, später bei Smart anfingen, fuhren Sie einen BMW. Mit dem Sache voranzubringen. Da ist es mir völlig wurscht, auf welcher Hierarchieebene das sind Sie einmal als selbständige Vortragsrednerin nach Stuttgart gefahren. Der geschieht. In meinem beruflichen Leben zählt vor allem, mit Begeisterung Dinge an- damalige Daimler-Entwicklungschef Dieter Zetsche zog Sie damit vor 1.500 Mit- zuschieben, mit engagierten Menschen zusammenzuarbeiten, mich zu verwirklichen. © Smart arbeitern auf … Mit Smart habe ich diese Erfüllung gefunden. // 12 MOBILITY WORLD / 3.17
DIE ABGAS-PRÜFER Am 1. September wurde ein verschärftes „Abgas-Abitur“ eingeführt. Neue Motoren müssen sich nun im realen Fahrbetrieb beweisen. Zwei Experten nehmen die Prüfungen für M Plan ab – mit einem neuen Hightech-Gerät. ZUR PERSON FREDERIK EGGERS, 28, UND MARCO BAUMANN, 31, sind die PEMS-Experten von IGS Development. Das Unternehmen gehört im Bereich Abgastechnik zu den besonders spezialisierten Dienstleistern in Deutschland. Zu den wichtigen Kompetenzfeldern des Unternehmens zählen Mess- und Prüfdienstleistungen. Eggers stieß Anfang 2017 nach seinem Masterabschluss in Maschinenbau/ Kraftfahrzeugtechnik in Braunschweig zu IGS Development – er hatte seine Masterarbeit zum Thema PEMS geschrieben. Baumann gehört seit 2015 zum Unternehmen, auch er hat Fahrzeugtechnik studiert. Schon vor der Anschaffung des PEMS-Geräts war er als Spezialist für Abgasmessverfahren und Emissionsfahrten im Auftrag von IGS Development für einen großen Autohersteller im Einsatz. M AT WORK // Zwei Tage im Jahr 2017 sind es, die eine gewaltige Bedeutung im beruflichen Le- den Abgasrohren. Also die Testausrüstung für ein neues mobiles Messverfahren ben von Frederik Eggers und Marco Baumann haben. Der erste Tag war ein Montag zur Ermittlung von Emissionen im realen Fahrbetrieb. PEMS ist dabei die Abkür- Mitte März. Der zweite liegt nicht lange zurück: Es war Freitag, der 1. September. zung der englischen Bezeichnung „Portable Emission Measurement System“. Ein besonders entscheidender Tag, nicht nur für Eggers und Baumann, Abgas- Einen sechsstelligen Betrag hat IGS Development investiert, um das Gerät zum Ein- spezialisten bei der IGS Development. Der 1. September stellte für die gesamte satz bringen zu können. Und das Investment wird sich ganz offensichtlich rentie- Automobilindustrie eine Zäsur dar. An diesem Datum trat eine Verschärfung der ren – die Nachfrage nach PEMS-Testfahrten ist enorm. Alle Autohersteller müssen Abgasgesetzgebung in Kraft. Genauer gesagt: die Umstellung vom Testverfahren sichergehen, dass ihre neuen Motorengenerationen den gestiegenen Anforde- NEFZ (Neuer Europäischer Fahrzyklus) auf das deutlich genauere und komplexere rungen der Gesetzgebung genügen. Verfahren WLTP (Worldwide Harmonized Light-Duty Vehicles Test Procedure). Das bedeutet: Bis 2020, wenn die Umstellung abgeschlossen sein soll, müssen alle Das bedeutet viel Arbeit für Frederik Eggers und Marco Baumann, die seit März neuen Motoren ein wesentlich schwierigeres „Abgas-Abitur“ absolvieren, bevor mit ihrem Teamleiter Philipp Rüter das PEMS-Kompetenzteam sind. Sie montie- sie hinaus ins Leben entlassen werden. Unter anderem müssen sie eine umfang- ren das tragbare Testgerät ans Heck des jeweiligen Autos, kalibrieren die Sen- reiche Prüfung im realen Fahrbetrieb bestehen. Sie müssen nachweisen, dass sie sorik – und los geht’s. Seit einem halben Jahr fahren sie fast jeden Tag über auch unter echten Straßenverkehrs-Bedingungen die gesetzlichen Emissionsgren- eine festdefinierte Teststrecke, die in rund zwei Stunden von Harbke über Land- zen einhalten – und nicht nur auf dem Prüfstand, wie bisher. Da kommt jetzt der straßen nach Helmstedt und Braunschweig, schließlich über Autobahnen wieder besondere Montag Mitte März ins Spiel. nach Harbke führt. Der Gesetzgeber schreibt genau vor, wie solche Testfahrten abzulaufen haben: Die Strecke muss zu je einem Drittel über Landstraßen, über An jenem Tag wurden mehrere Kartons an die Adresse „Am Glüsig 1 c“ im Autobahnen und im Stadtverkehr absolviert werden, Zusatzverbraucher wie Kli- Städtchen Harbke in Sachsen-Anhalt geliefert. Hier sitzt das Unternehmen IGS maanlage oder Autoradio sollen eingeschaltet sein, die Fahrt soll flott erfolgen, Development, ein Schwesterunternehmen der M Plan. Empfänger der Sen- aber nicht rasend – „eben so, wie ein Durchschnittsfahrer im Alltag fährt“, erklärt dung waren Frederik Eggers und Marco Baumann. Und die beiden waren auf- Eggers. Von der Vorserie bis hin zur Zulassung werden alle Aggregate gemessen. geregt „wie Kinder an Weihnachten“, erinnert sich Baumann. Auf diese Pakete Neue Motorenkonzepte oder Serienmotoren mit geänderten Komponenten „wer- hatten sie lange warten müssen, der Hersteller des Inhalts hat lange Produk- den entwicklungsbegleitend geprüft, um eine reibungslose, gesetzeskonforme Zu- tions- und Lieferzeiten. In den Paketen befand sich ein PEMS-Gerät samt Zusatz- lassung zu gewährleisten“, so Baumann. Damit ein Motor nicht am Ende, wenn es accessoires wie einem Abgasmassenstromgerät, Zusatzanschlüssen und passen- um die Serienzulassung geht, durch die Abgas-Prüfung rasselt. // MOBILITY WORLD / 3.17 13
NEUE WELTEN Das Berliner Unternehmen Rakete Rot entwickelt digitale Lösungen für die Automobilindustrie – von der App bis zur Kommunikationsstrategie. M VIEW Für die Audi AG hat Rakete Rot das Benutzerhandbuch des Audi A1 in ein digitales eHandbuch für Tablet und Smartphone umgewandelt. // Namen sind so eine Sache. Das wissen werdende Eltern. Und auch werdende Branchen, von der Deutschen Bank über den PC-Hersteller Hewlett Packard bis Unternehmer. Wie nennt man sein Baby? Ein Mensch muss ein Leben lang zum Bundesministerium des Innern. Eine der wichtigsten Branchen für Rakete mit der Namenswahl seiner Eltern leben. In der Wirtschaft ist das weniger Rot aber ist mittlerweile die Automobilindustrie. Audi und Volkswagen zum dramatisch – doch auch ein Unternehmensname sollte besser ein paar Jahre Beispiel zählen zu den Auftraggebern von Rakete Rot. „Autohersteller sehen en vogue bleiben. Vor dieser Herausforderung stand Martin Rauer, als er 2001 sich mit einem massiven Paradigmenwechsel konfrontiert“, erklärt Martin Rauer, sein erstes Büro eröffnete. Ein Unternehmen für digitale Kommunikation. Das Geschäftsführer und Gründer von Rakete Rot. „Es geht nicht mehr in erster Linie war kurz nach der Jahrtausendwende eine Randdisziplin, das Internet steckte darum, Autos zu verkaufen. Ebenso wichtig sind schlüssige Geschäftsmodelle, um noch in den Kinderschuhen. Wie also sollte man sich nennen? Irgendwie Silicon- den Kunden ganzheitliche Mobilitätskonzepte anzubieten und ihnen dabei in der Valley-mäßig? Ein cool klingender Name mit Anglizismen? „Wir hatten tausend digitalen Welt auf Augenhöhe zu begegnen.“ Ideen“, erzählt Rauer. „Und alle waren Quatsch.“ Dann kam Idee 1.001, und die zündete. Rakete Rot. Inspiration war ein Computer-Server gleichen Namens im APPS WERDEN ZUR ENTSCHEIDENDEN SCHNITTSTELLE Technikraum der werdenden Digital-Agentur. Der war schnell, leistungsstark und So entwickelte Rakete Rot für das Unternehmen Sitech, Hersteller hochwertiger State of the Art. So, wie sich Rauer sein Unternehmen vorstellte. Der Name stand. Fahrzeugsitze, eine Smartphone-Anwendung für die Einstellung der individuellen Und steht bis heute: Rakete Rot ist jetzt, 16 Jahre später, ein gefragter Partner auch Sitzposition. Die Berliner IT-Experten wurden mit der Konzeption und dem Design der Automobilindustrie bei der Realisierung von Digital-Projekten. der grafischen Benutzeroberfläche beauftragt. Ziel war es, die Smartphone- Anwendung exakt auf das Zusammenspiel mit den vollelektronischen Sitzen AUTOMOBILINDUSTRIE EINE DER WICHTIGSTEN BRANCHEN abzustimmen. „Autositze sind eine entscheidende Schnittstelle zwischen Fahrer Wer die Homepage der Agentur anklickt, wird sofort ins Bild gesetzt: „Accept und Fahrzeug“, sagt Rauer. „Die Einstellmöglichkeiten bei den Sitzen aber change! Die digitale Transformation findet statt.“ steht in großen Lettern vor sind heute so vielfältig, dass sich Kunden mit den Hebeln und Knöpfen schnell dem monitorfüllenden Foto einer Tafel mit mathematischen Gleichungen. Darum überfordert fühlen. Eine App, die am Smartphone anschaulich alle Funktionen geht es bei Rakete Rot: Kunden fit zu machen fürs digitale Zeitalter – oft mit erklärt, ist viel transparenter.“ Denn darum geht es: Apps müssten essentieller passgenauen Algorithmen. Sie zu beraten und zu begleiten beim großen Schritt Bestandteil der Unternehmensstrategie sein, so Rauer. „Wenn es bei dieser aus dem analogen ins digitale Geschäftsleben. Apps, 3D-Visualisierungen, entscheidenden Schnittstelle zwischen Kunde und Produkt hakt, dann stottert es virtuelle Präsentationen von Produkten – das Berliner Unternehmen konzipiert und auch bei der digitalen Transformation des gesamten Unternehmens. Wir fungieren designt Anwendungen für die digitale Welt. Für Kunden ganz unterschiedlicher dabei quasi als Übersetzer vom Analogen ins Digitale.“ 14 MOBILITY WORLD / 3.17
Die VW Financial Services AG beauftragte Rakete Rot mit der Realisierung einer Marke- ting-App für verschiedene Marken und Märkte. Unter dem Leitgedanken „Mobilität erleben“ entwickelte Rakete Rot eine Autouhr-App als charmanten mobilen Begleiter. Um das Sitzen für den Autofahrer noch angenehmer zu ge- stalten, wurde für die VW-Tochtergesellschaft Sitech eine Smartphone-Anwendung entwickelt, die eine sehr komfor- table Einstellung der individuellen Sitzposition ermöglicht. M VIEW Für das Unternehmen IGS Development wurde eine interak- tive Anwendung konzipiert und entworfen, die es erlaubt, das Leistungsspektrum des Engineering-Unternehmens auf verschiedenen Kommunikationskanälen und verschiedensten technischen Plattformen der Öffentlichkeit zu präsentieren. Deswegen hat sich Rakete Rot zu einem wichtigen Partner der Industrie entwickelt. verschiedene Testfahrzeuge auf sieben unterschiedlichen Fahrstrecken und war in Wer das Unternehmen in Berlin besucht, würde das zunächst nicht vermuten. der Lage, flexibel auf Fahrplanänderungen zu reagieren. Heute drehen sich viele Der Firmensitz befindet sich auf der Grenze zwischen den Stadtteilen Pankow Aufträge um die harmonische Zusammenkunft von Unternehmen und Endkunden und Prenzlauer Berg, in einer großen Etage auf einem dritten Hinterhof. Von der in der digitalen Welt. So beauftragte ein großer Hersteller Rakete Rot mit Design Straße aus geht es durch einen Torweg hindurch, der flankiert wird von einem und Entwicklung einer App für die Autofinanzierung. Für den Autokäufer wurde Gitarrengeschäft, dem Kundenbüro einer Wohnungsbaugenossenschaft und einer eine Smartphone-Funktion gestaltet, die dem Anwender einen schnellen Überblick Ballettschule. Nebenan liegt Lidl, und nach hinten heraus blicken die fünf festen zu den verschiedenen Finanzierungs- und Leasingmöglichkeiten der großen Mitarbeiter auf einen Tennisplatz. „Auf den ersten Blick wirken wir vielleicht ein Herstellermodellpaletten verschafft. Die ebenfalls eingebettete Händlersuche bisschen wie die Kommunikations-Punker aus Berlin“, sagt Rauer mit einem ermöglicht den schnellen Kontakt zur lokalen Niederlassung. Die Kalkulator- milden Lächeln. „Doch beim ersten Gespräch wird meist schnell klar, dass wir die App wird über eine direkte Schnittstelle zum Unternehmen mit den aktuellsten Richtigen auch für große und anspruchsvolle Projekte sind.“ Bilddaten der Fahrzeuge sowie deren Leasing- und Finanzierungskonditionen versorgt. JEDES PROJEKTTEAM IST MASSGESCHNEIDERT Gleich der erste Auftrag aus der Automobilbranche war so einer. Vor sechs Weil solche Aufträge mit nur fünf festen Mitarbeitern allein nicht zu stemmen Jahren beauftragte Volkswagen Rakete Rot, einen persönlichen digitalen wären, greift Rakete Rot auf einen Pool von rund 40 freien Mitarbeitern zurück, Assistenten für die Besucher der General Top Management Conference 2011 im darunter 3D-Experten, Programmierer oder Texter. „Das hat den großen Vorteil, US-amerikanischen VW-Werk Chattanooga in Tennessee zu gestalten. Während dass wir für jedes Projekt ein maßgeschneidertes Team aus den besten Experten der mehrtägigen Veranstaltung half die neuentwickelte iPad-App den mehr zusammenstellen können, um auch sehr komplexe Anwendungen schnell und als 800 Teilnehmern bei der Organisation und Planung ihrer persönlichen individuell für jeden Kunden zu realisieren“, erklärt Martin Rauer. Denn Tempo Veranstaltungsagenda. Die Anwendung bündelte Programminformationen und und Präzision sind entscheidend bei der digitalen Transformation, heute immer Hintergrundwissen mit interaktiven Funktionen, wie beispielsweise der virtuellen stärker und noch viel wichtiger als zum Beispiel im Jahr 2001. Und da zeigt sich, Teilnahme an Plenumsdiskussionen. Kernbestandteil der Anwendung war eine dass Rauer bei der Namenswahl für sein Unternehmen vor 16 Jahren alles richtig © Rakete Rot Buchungsfunktion, die es den Gästen gestattete, an einer Reihe von exklusiven gemacht hat. // Testfahrten teilzunehmen. Das datenbankgestützte System managte über 600 MOBILITY WORLD / 3.17 15
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