Monatsbericht des BMF Juli 2017 - Bundesfinanzministerium

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Juli 2017
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Juli 2017
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Editorial                                                                   Monatsbericht des BMF
                                                                                                     Juli 2017

                                                           des Ausschusses von Bundesbank, Bundesanstalt
                                                           für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), Bundes-
                                                           anstalt für Finanzmarktstabilisierung (FMSA) und
                                                           dem BMF über die systemische und aufsichtliche
                                                           Relevanz von Cyberrisiken und die gesetzliche Um-
                                                           setzung der AFS-Empfehlung zur Schaffung neuer
                                                           nationaler makroprudenzieller Instrumente für den
                                                           Wohnimmobilienmarkt. Sie finden zudem in der
                                                           vorliegenden Ausgabe eine Zusammenfassung des
                                                           Gutachtens „Herausforderungen der Niedrigzins­
                                                           phase für die Finanzpolitik“ des Wissenschaftlichen
                                                           Beirats beim Bundesministerium der Finanzen.

Liebe Leserinnen, liebe Leser,                             Am 28. Juni hat das Bundeskabinett den Regie-
                                                           rungsentwurf für den Haushalt 2018 und den Fi-
in Brüssel wurde am 22. Juni 2017 das europäische          nanzplan bis 2021 beschlossen. Während die
Forschungsnetzwerk „EconPol Europe“ der Öffent-            wachstumsorientierten Ausgaben weiter anstei-
lichkeit vorgestellt. Unter der Leitung des ifo Ins-       gen, kann in jedem Jahr des Finanzplans auf die
tituts München haben sich neun europäische For-            Aufnahme neuer Schulden verzichtet werden. Für
schungsinstitute zu einem Forschungsverbund                die Jahre 2019 bis 2021 enthält der Finanzplan aus
zusammengeschlossen, um die zukünftige Ausge-              heutiger Sicht frei verfügbare Haushaltsmittel von
staltung der Wirtschafts- und Finanzpolitik in Eu-         kumuliert 14,8 Mrd. €. Deutschland ist somit auf ei-
ropa wissenschaftlich zu begleiten. Die Gründung           nem guten Weg, die Schuldenstandsquote bis 2020
von „EconPol Europe“ geht auf eine Initiative des          auf unter 60 % des Bruttoinlandsprodukts zu sen-
BMF zurück. Das Ziel ist eine Stärkung grenzüber-          ken – entsprechend der Vorgabe des Stabilitäts-
schreitender Forschung und wissenschaftlicher Zu-          und Wachstumspakts. Haushalt und Finanzplan
sammenarbeit. „EconPol Europe“ soll neue Ideen             sind wichtige Beiträge, um das Vertrauen von Wirt-
und Lösungsmöglichkeiten in die aktuellen euro-            schaft und Verbrauchern in eine anhaltend stabile
päischen Debatten einbringen. Die Arbeit des Netz-         Wirtschaftsentwicklung zu stärken.
werks erfolgt in aller Unabhängigkeit. Wir freuen
uns auf diese Bereicherung der Diskussionen und
stellen das neue Netzwerk in diesem Heft vor.

Am 27. Juni ist in Berlin der Ausschuss für Finanz-
stabilität (AFS) zu seiner 18. Sitzung zusammen-           Dr. Thomas Steffen
gekommen. Neben der Finanzstabilität im Um-                Staatssekretär im Bundesministerium
feld niedriger Zinsen diskutierten die Mitglieder          der Finanzen

                                                       3
Inhaltsverzeichnis
Analysen und Berichte____________________________________________7
G20-Afrika-Partnerschaftskonferenz am 12./13. Juni in Berlin_____________________________________________ 8
Herausforderungen der Niedrigzinsphase für die Finanzpolitik___________________________________________ 11
Das Europäische Forschungsnetzwerk „EconPol Europe“_________________________________________________ 17
Ein größerer Haushalt für das neue Europa?_____________________________________________________________ 19
Abschluss des Forschungsprojekts „Staatseigentum“_____________________________________________________ 22
Zweite Jahrestagung der Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank______________________________________ 25
Neue Marksteine im Datenschutz________________________________________________________________________ 30

Aktuelle Wirtschafts- und Finanzlage____________________________37
Überblick zur aktuellen Lage_____________________________________________________________________________ 38
Konjunkturentwicklung aus finanzpolitischer Sicht______________________________________________________ 39
Steuereinnahmen im Juni 2017__________________________________________________________________________ 46
Entwicklung des Bundeshaushalts bis einschließlich Juni 2017___________________________________________ 51
Entwicklung der Länderhaushalte bis Mai 2017__________________________________________________________ 56
Finanzmärkte und Kreditaufnahme des Bundes__________________________________________________________ 59
Europäische Wirtschafts- und Finanzpolitik_____________________________________________________________ 70

Aktuelles aus dem BMF__________________________________________75
Termine_________________________________________________________________________________________________ 76
Publikationen___________________________________________________________________________________________ 77

Statistiken und Dokumentationen_______________________________79
Übersichten zur finanzwirtschaftlichen Entwicklung____________________________________________________ 80
Übersichten zur Entwicklung der Länderhaushalte_______________________________________________________ 81
Gesamtwirtschaftliches Produktionspotenzial und Konjunktur­komponenten des Bundes________________ 81
Kennzahlen zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung____________________________________________________ 82

                                                       5
Analysen
und Berichte
G20-Afrika-Partnerschaftskonferenz am 12./13. Juni in Berlin          8

Herausforderungen der Niedrigzinsphase für die Finanzpolitik         11

Das Europäische Forschungsnetzwerk „EconPol Europe“                  17

Ein größerer Haushalt für das neue Europa?                           19

Abschluss des Forschungsprojekts „Staatseigentum“                    22

Zweite Jahrestagung der Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank   25

Neue Marksteine im Datenschutz                                       30
Analysen und Berichte                                                        Monatsbericht des BMF
                                                                                                     Juli 2017

G20-Afrika-Partnerschaftskonferenz
am 12./13. Juni in Berlin

    ●● Am 12./13. Juni fand die G20-Konferenz „G20 Africa Partnership – Investing in a Common
       Future“ in Berlin statt.

    ●● Zu der Konferenz hatten das Bundeskanzleramt, das BMF, das Bundesministerium für wirt-
       schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie die Deutsche Bundesbank eingeladen.

    ●● Im Mittelpunkt der Gespräche standen die drei Säulen der G20-Partnerschaft mit Afrika:
          1. Förderung inklusiven Wirtschaftswachstums und inklusiver Beschäftigung,
          2. Aufbau hochwertiger Infrastruktur insbesondere im Energiesektor und
          3. Verbesserung der Rahmenbedingungen für private Finanzierung und private
             Investitionen in Afrika (der sogenannte Compact with Africa).

    ●● Zur G20-Initiative „Compact with Africa“ erklärten die Minister von afrikanischen Ländern, die
       sich an dieser Initiative beteiligen („Compact-Länder“), ihre Bereitschaft, Reformen umzusetzen,
       um ihre Länder für private Investoren attraktiver zu machen. Sie nutzten auch die Gelegenheit,
       ihre Reformvorhaben mit den G20-Partnern, den internationalen Finanzinstitutionen und der
       Privatwirtschaft zu besprechen.

   Einleitung                                               Im Mittelpunkt der Konferenz standen die drei
                                                            Säulen der G20-Partnerschaft mit Afrika:
Das Bundeskanzleramt, das BMF, das Bundesmi-
nisterium für wirtschaftliche Zusammenarbeit                1. Förderung inklusiven Wirtschaftswachstums
und Entwicklung sowie die Deutsche Bundesbank                  und inklusiver Beschäftigung,
hatten am 12./13. Juni 2017 in Berlin zur interna-
tionalen Konferenz „G20-Partnerschaft mit Af-               2. Aufbau hochwertiger Infrastruktur insbesonde-
rika – Investitionen in eine gemeinsame Zukunft“               re im Energiesektor und
eingeladen. Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
eröffnete die Tagung, die afrikanische Staatschefs          3. Verbesserung der Rahmenbedingungen für
und Minister, G20-Vertreter und internationale                 private Finanzierung und private Investitionen
Vertreter der Wirtschaft und des Finanzsektors zu-             in Afrika (der sogenannte Compact with Africa).
sammenbrachte.

                                                        8
Analysen und Berichte                                                                       Monatsbericht des BMF
           G20-Afrika-Partnerschaftskonferenz am 12./13. Juni in Berlin                                              Juli 2017

Über zwei Tage wurde diskutiert, wie Wirtschafts-                          Menschen auf dem afrikanischen Kontinent. Viele
wachstum und inklusive Beschäftigung durch mehr                            afrikanische Staaten haben in den vergangenen
private Investitionen und bessere Infrastruktur ins-                       Jahren tiefgreifende Reformen umgesetzt. Diese

                                                                                                                                 Analysen und Berichte
besondere im Energiesektor gefördert werden kön-                           haben die Stabilität erhöht und die institutionel-
nen. Die „Compact with Africa“-Initiative, die auf                         len Rahmenbedingungen verbessert, was sich nun
eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für                                in stabilem Wirtschaftswachstum und besserer Re-
private Investitionen zielt, stellte einen besonderen                      gierungsführung niederschlägt. Dennoch gibt es
Schwerpunkt der Diskussionen dar. Private Investi-                         weiterhin Schwachpunkte – viele Länder sind wirt-
tionen bilden eine Grundvoraussetzung für starkes,                         schaftlich von Rohstoffexporten abhängig und re-
ausgewogenes und nachhaltiges Wachstum.                                    agieren daher empfindlich auf Schwankungen bei
                                                                           den Rohstoffpreisen. Gleichzeitig müssen die An-
Bei der Konferenz kamen über 800 Teilnehmer aus                            sprüche einer wachsenden und jungen Bevölke-
afrikanischen sowie G20- und Partnerländern zu-                            rung erfüllt werden; zudem wird nachhaltiges
sammen, darunter 11 Staats- und Regierungschefs                            Wachstum nach wie vor durch Friedens- und Si-
und 35 Fachminister, mehr als 130 Investoren der                           cherheitsgefährdungen sowie anhaltende Schwie-
Privatwirtschaft aus 25 Ländern, Vertreter der in-                         rigkeiten in den Bereichen Regierungsführung und
ternationalen Organisationen und Repräsentan-                              Rechtsstaatlichkeit gehemmt.
ten der Zivilgesellschaft mit Fachwissen zu Afrika.
Insgesamt 178 Journalisten berichteten von der Ta-
gung. Die Konferenzteilnehmer befürworteten die                               Dialog auf höchster Ebene zur
G20-Partnerschaft mit Afrika und erklärten ihre                               G20-Initiative „Compact with
Bereitschaft, diese aktiv zu unterstützen.
                                                                              Africa“

   Hochrangige politische                                                  Der Dialog zum „Compact with Africa“ wurde
   Eröffnung                                                               vom Bundesminister der Finanzen, Dr. Wolfgang
                                                                           Schäuble, und dem Bundesminister für wirtschaft-
Am ersten Tag wurde die Konferenz von Bundes-                              liche Zusammenarbeit und Entwicklung, Dr. Gerd
kanzlerin Dr. Angela Merkel gemeinsam mit Alpha                            Müller, eröffnet. Die Finanzminister der afrikani-
Condé, Präsident der Republik Guinea und Vor-                              schen Compact-Länder Äthiopien, Elfenbeinküste,
sitzender der Afrikanischen Union, sowie Paolo                             Ghana, Marokko, Ruanda, Senegal und Tunesien,
Gentiloni, Ministerpräsident der Italienischen Re-                         die Führungsspitzen internationaler Finanzinstitu-
publik und Vorsitzender der G7, eröffnet. Es folg-                         tionen (Afrikanische Entwicklungsbank, Internati-
ten Eröffnungsreden der folgenden Staats- und                              onaler Währungsfonds, Weltbank) sowie Vertreter
Regierungschefs: Abdel Fattah al-Sisi (Ägypten),                           von G20-Mitgliedern und Gastländern erörter-
PhD Alassane Dramane Outtara (Elfenbeinküste),                             ten den neuen Ansatz der im Finanzstrang der G20
Nana Addo Dankwa Akufo-Addo (Ghana), Ibrahim                               entwickelten Initiative: Durch Investitionspartner-
Boubacar Keïta (Mali), Mahamadou Issoufou (Ni-                             schaften zwischen den Compact-Ländern, den inter-
ger), Paul Kagame (Ruanda), Macky Sall (Senegal)                           nationalen Finanzinstitutionen und Partnerländern
und Béji Caïd Essebsi (Tunesien).                                          sollen die Rahmenbedingungen für private Investi-
                                                                           tionen und Investitionen in Infrastruktur durch ge-
Die Staats- und Regierungschefs würdigten die                              zielte Maßnahmen und Instrumente verbessert wer-
jüngsten Erfolge bei nachhaltigem Wachstum                                 den. Einige Vertreter von G20-Ländern sowie der
und beachtlicher Entwicklung in Afrika und be-                             Niederlande und Norwegens erklärten ihre Bereit-
schrieben die Erwartungen und Bedürfnisse der                              schaft, sich an den Partnerschaften zu beteiligen.

                                                                          9
Analysen und Berichte                                                                         Monatsbericht des BMF
           G20-Afrika-Partnerschaftskonferenz am 12./13. Juni in Berlin                                                Juli 2017

Folgende Aspekte des „Compact with Africa“ wur-                                Investorengespräche
den dabei besonders hervorgehoben:
                                                                            Gesprächsrunden zwischen Finanzministern der
1. Eine Teilnahme steht allen afrikanischen Staa-                           afrikanischen Compact-Staaten, Investoren und
   ten offen, die Interesse an einer nachhaltigen                           Vertretern von Organisationen der Entwicklungsfi-
   Verbesserung der Rahmenbedingungen für                                   nanzierung gaben Raum für einen Austausch über
   private Investitionen haben.                                             erste Entwürfe für Investitionspartnerschaften und
                                                                            konkrete Sektoren und Projekte, bei denen eine Be-
2. Eines der Hauptelemente ist eine engere Koope-                           teiligung der Privatwirtschaft in den betreffenden
   ration und bessere Koordinierung zwischen den                            Ländern am meisten benötigt wird.
   Beteiligten.
                                                                            Die Investoren begrüßten die „Compact with
3. Ziel ist ein geschlossenes Handeln auf der Basis                         Africa“-­Initiative sowie die Möglichkeit, in einen
   der Bereitschaft aller Seiten, die richtigen Rah-                        Dialog mit den Compact-Staaten zu treten. Sie un-
   menbedingungen für private Investitionen zu                              terstrichen, dass eine gute öffentliche Infrastruk-
   schaffen.                                                                tur, der Zugang zu politischen Entscheidungsträ-
                                                                            gern, eine transparente Entscheidungsfindung,
4. Der Fortbestand der Initiative über die deutsche                         kompetente und gut ausgebildete Arbeitskräfte,
   Präsidentschaft hinaus wird durch eine G20-Ar-                           funktionierende inländische Kapitalmärkte, eine
   beitsgruppe gesichert.                                                   zuverlässige Regulierung und Besteuerung sowie
                                                                            einfache bürokratische Prozesse für Investoren von
                                                                            entscheidender Bedeutung sind. Verschiedene Ver-
   Fachgespräche zu Rahmen­                                                 treter der Wirtschaft bekundeten ihr Interesse, in
                                                                            konkrete Länder und Sektoren zu investieren. An-
   bedingungen für Investitionen                                            dere unterstrichen ihre bereits bestehende Präsenz
   am zweiten Tag der Konferenz                                             in den Compact-Staaten und den Umfang ihrer Ge-
                                                                            schäfte dort. Die Vertreter der Entwicklungsfinan-
Nach Eröffnung durch Dr. Jens Weidmann, den Prä-                            zierungsinstitutionen betonten ebenfalls ihr Be-
sidenten der Deutschen Bundesbank, und Moussa                               kenntnis zur Initiative und präzisierten mögliche
Faki Mahamat, den Präsidenten der Kommission                                Beiträge – von technischer Hilfe bis zur Entwick-
der Afrikanischen Union, standen am zweiten Tag                             lung innovativer Produkte – die zur Mobilisierung
thematische Fachgespräche auf dem Programm.                                 privaten Kapitals beitragen werden.
Dabei ging es vor allem um die Verbesserung der
Rahmenbedingungen für Investitionen in afrika-
nischen Ländern und um die Schaffung hochwerti-                                Schlussfolgerung
ger Infrastruktur, auch in instabilen Staaten. Zudem
fanden Gespräche mit privaten Investoren statt.                             Die G20-Konferenz „G20 Africa Partnership – In-
                                                                            vesting in a Common Future“ hat einen wichti-
                                                                            gen Beitrag zur weiteren Umsetzung der G20-Af-
                                                                            rika-Partnerschaft geleistet. Sie vertiefte damit die
                                                                            Grundlagen für eine verstärkte Zusammenarbeit
                                                                            zwischen der G20 und afrikanischen Staaten weiter
                                                                            und stärkte die Aufmerksamkeit bei privaten In-
                                                                            vestoren für Chancen in Afrika.

                                                                          10
Analysen und Berichte                                                              Monatsbericht des BMF
                                                                                                           Juli 2017

Herausforderungen der Niedrigzinsphase für
die Finanzpolitik

                                                                                                                           Analysen und Berichte
    ●● Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen hat ein Gutachten zu den
       Herausforderungen der Niedrigzinsphase vorgelegt. Der Artikel gibt eine Kurzfassung wieder.

    ●● Die Sicherung der langfristigen Tragfähigkeit der Staatsschulden bleibt von zentraler Bedeutung.

    ●● Gegebenenfalls geringere Kapitalkosten sind keine hinreichende Bedingung für eine Ausweitung
       der öffentlichen Investitionen.

    ●● Das niedrige Zinsniveau bringt Stabilitätsrisiken mit sich. Die Finanzmarktregulierung sollte daher
       konsequent weiterentwickelt werden.

   Einleitung                                             öffentlicher Ausgaben zu nutzen, um eine in den
                                                          niedrigen Zinsen zum Ausdruck kommende Stag-
Die anhaltende Niedrigzinsphase (siehe Abbil-             nation der wirtschaftlichen Entwicklung zu über-
dung 1) geht einher mit geänderten Bedingungen            winden. Vor diesem Hintergrund diskutiert der
und neuen Herausforderungen für die Finanzpo-             Wissenschaftliche Beirat beim BMF in einer aktu-
litik. Der unmittelbare Effekt für die öffentlichen       ellen Stellungnahme1, ob und gebenenfalls wie die
Haushalte ist eine Entlastung bei der Bedienung           Finanzpolitik reagieren soll. Sollen wegen der ver-
staatlicher Schulden. Wenn diese Entlastung zu ei-        änderten Finanzierungskosten die Staatsschulden
ner Rückführung der Neuverschuldung genutzt               erhöht werden und damit öffentliche Investitionen
wird, kann es zu einer Verbesserung der langfris-         zur Bekämpfung wirtschaftlicher Stagnation aus-
tigen Tragfähigkeit der Verschuldung kommen.              geweitet werden?
Dies wäre zu begrüßen, da sich Bund und Länder
im Rahmen der Schuldenbremse enge Ziele zur               1   Die Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim BMF sind
Konsolidierung gesetzt haben. In der Debatte wer-             als Beitrag zum allgemeinen Diskurs zu verstehen und geben
                                                              nicht notwendigerweise die Meinung des BMF wieder. Die
den aber auch Forderungen erhoben, die Niedrig-               Langfassung wurde auch als Broschüre herausgegeben
zinsphase zu einer kreditfinanzierten Ausweitung              (http://www.bundesfinanzministerium.de/mb/20170721).

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Analysen und Berichte                                                                             Monatsbericht des BMF
              Herausforderungen der Niedrigzinsphase für die Finanzpolitik                                                    Juli 2017

                                                                                                                            Abbildung 1
      Rendite der langfristigen Staatsanleihen im Unterschied zur Inflationsrate
      in %

      8

      7

      6

      5

      4

      3

      2

      1

      0

      -1

      -2
           Jan. Jan. Jan. Jan. Jan. Jan. Jan. Jan. Jan. Jan. Jan. Jan. Jan. Jan. Jan. Jan. Jan. Jan. Jan. Jan.
           1960 1963 1966 1969 1972 1975 1978 1981 1984 1987 1990 1993 1996 1999 2002 2005 2008 2011 2014 2017

                       10-Jahressatz abzüglich Verbraucherpreisindex (CPI)                  Gleitender Durchschnitt 12 Monate

      Differenz der durchschnittlichen Rendite der langfristigen Staatsanleihen des Bundes in % p. a. und der Jahresrate der
      Verbraucherpreisentwicklung (Monatswerte).
      Quellen: OECD, eigene Berechnungen

Die Ursachen für den Rückgang des Zinsniveaus                                        Kreditfinanzierte Ausweitung
sind Gegenstand einer intensiven akademischen                                        der Staatsausgaben?
und politischen Diskussion. Zusammenfassend
lässt sich feststellen, dass es vielfältige und teilweise                         Für die Beurteilung der Frage, ob eine kreditfinan-
kontroverse Erklärungsansätze für den Rückgang                                    zierte Ausweitung staatlicher Ausgaben die ange-
des Zinsniveaus gibt, die sowohl auf einen wesent-                                messene Reaktion darstellt, ist zunächst zu klä-
lichen Einfluss der Geldpolitik als auch auf eine                                 ren, ob mit einer Fortsetzung der Niedrigzinsphase
Reihe realwirtschaftlicher Faktoren verweisen.                                    zu rechnen ist. Sofern die Geldpolitik für das nied-
Eine theoretisch und empirisch gleichermaßen                                      rige Niveau der realen Zinsen verantwortlich ist,
überzeugende zentrale Erklärung liegt nicht vor.                                  stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, mit
Diese Unsicherheit über die Ursachen muss bei der                                 welchem Kurs der Geldpolitik zu rechnen ist. Auf
Ableitung wirtschaftspolitischer Handlungsemp-                                    der Grundlage seiner Bewertung der makroöko-
fehlungen berücksichtigt werden.                                                  nomischen Entwicklung im Euroraum hält der

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Analysen und Berichte                                                                        Monatsbericht des BMF
             Herausforderungen der Niedrigzinsphase für die Finanzpolitik                                               Juli 2017

Sachverständigenrat (2016) die expansive Geldpo-                              Bei verschiedenen realwirtschaftlichen Faktoren,
litik der Europäischen Zentralbank (EZB) für un-                              die zur Entwicklung der Realzinsen über Erspar-
angemessen und empfiehlt den Ausstieg aus dieser                              nisbildung und Anlegerverhalten beitragen, ist eine

                                                                                                                                     Analysen und Berichte
Politik. Die EZB hat eine Abkehr von der gegenwär-                            Entspannung zu erwarten. So wird sich der Auf-
tigen Politik niedriger Zinsen und der Käufe von                              holprozess in den Schwellenländern abschwächen
Staats- und Unternehmensanleihen für den Fall in                              und damit das Angebot an Ersparnissen reduzieren
Aussicht gestellt, dass die Inflationsentwicklung in                          (vgl. Eichengreen, 2015). Auch wenn sich in diesen
Europa an Dynamik gewinnt und sich wieder dem                                 Ländern stabile Institutionen herausbilden, welche
von der EZB genannten Ziel von knapp unter 2 %                                die Anleger dieser Länder veranlassen, die Erspar-
nähert. Zwar hat sich die Preisentwicklung im Eu-                             nisse in den heimischen Märkten anzulegen, käme
roraum in den vergangenen Quartalen wieder                                    es zu einer Normalisierung der Zinsentwicklung
deutlich belebt, eine Kurswende in der Geldpolitik                            in den entwickelten Ländern. Auch bei den Fakto-
steht aber noch aus.                                                          ren, die eine geringe Investitionsneigung herbei-
                                                                              führen, ist teilweise mit einer Erholung zu rechnen.
Kritiker der deutschen Finanzpolitik (Krugman,                                Die hohe Schuldenlast in der Folge der Wirtschafts-
2014) führen die expansive und unkonventionelle                               und Finanzkrise im Euroraum ist im Kern transito-
Geldpolitik der EZB auf die mangelnde fiskalpoliti-                           rischer Natur. Erholt sich die wirtschaftliche Ent-
sche Koordinierung in Europa und auf die auf den                              wicklung in Europa, ist mit einer Normalisierung
Haushaltsausgleich ausgerichtete Finanzpolitik in                             des Zinsniveaus im Sinne einer Angleichung an die
Deutschland zurück. Nach dieser Sichtweise würde                              üblichen Niveaus der Vergangenheit zu rechnen.
eine schuldenfinanzierte Expansion der Staatsaus-
gaben in Deutschland wichtige Impulse zur Über-                               Geht man von Erklärungsansätzen aus, die auf
windung der geringen Nachfrage in Europa liefern.                             den demografischen Wandel oder auf den Rück-
Empirische Erkenntnisse zeigen indes, dass die                                gang des Produktivitätswachstums abstellen, ist
Überschwappeffekte höherer fiskalischer Ausga-                                eine Rückkehr des realen Zinssatzes zu histori-
ben und damit die hieraus resultierenden Wirkun-                              schen Normalwerten nicht abzusehen. Im Hinblick
gen der „Lokomotivfunktion“ Deutschlands für die                              auf die demografische Veränderung in den entwi-
europäischen Nachbarländer begrenzt sind.2 Von                                ckelten Ländern ist zu erwarten, dass auf mittlere
einer schuldenfinanzierten Expansion der Staats-                              Frist geburtenschwächere Jahrgänge nachrücken,
ausgaben in Deutschland erhoffen sich Kritiker                                die durch den Volumeneffekt einen Rückgang der
der deutschen Finanzpolitik auch, dass die Preis­                             Ersparnisse herbeiführen. Dies könnte zu einer Ab-
entwicklung in Deutschland weiter angeregt wird,                              schwächung der Ersparnis führen. Allerdings ist
was die Wiedergewinnung der preislichen Wett-                                 wegen des Schrumpfens der nachwachsenden Ko-
bewerbsfähigkeit in den Krisenländern des Euro-                               horten keine Stabilisierung des Altersquotienten zu
raums indirekt begünstigen und deren Anpassung                                erwarten, sodass das Vorsorgemotiv auch weiter-
entsprechend erleichtern würde. Dies könnte dann                              hin die Bildung der Ersparnisse antreiben dürfte.
auch die EZB veranlassen, eine weniger expansive                              Zudem führt die zunehmende Lebenserwartung
Geldpolitik zu führen. Ob sich eine solche Politik-                           vermutlich zu einer fortgesetzten Verstärkung des
reaktion einstellt, ist aber völlig ungewiss, zumal                           Sparmotivs. Was die Entwicklung der Produktivität
dies nicht nur von der EZB, sondern auch von der                              angeht, hat sich das Wachstum an der technologi-
Wirtschafts- und Finanzpolitik der anderen Länder                             schen Grenze deutlich verlangsamt (Gordon, 2012,
innerhalb und außerhalb der Währungsunion ab-                                 2015). Auch andere Triebkräfte des Produktivitäts-
hängt.                                                                        wachstums wie vermehrte Bildungsanstrengungen
                                                                              haben nachgelassen (Fernald und Jones, 2014). Ein
                                                                              weiteres Argument sieht die anhaltende Schwäche
                                                                              in der Investitionsnachfrage nicht so sehr in nach-
2   Siehe Hebous und Zimmermann (2013) und Deutsche
    Bundesbank, Monatsbericht 08-2016, S. 13-17.                              lassendem Produktivitätswachstum begründet als

                                                                            13
Analysen und Berichte                                                                                  Monatsbericht des BMF
             Herausforderungen der Niedrigzinsphase für die Finanzpolitik                                                         Juli 2017

vielmehr in einem starken Rückgang der Preise für                             dadurch erschwert, dass neben der Reduktion der
Investitionsgüter (z. B. Eichengreen, 2015). Als Er-                          bereits bestehenden Schulden auch die zusätzlich
klärung dafür wird der Übergang in das „Informa-                              aufgenommenen Schulden zurückgeführt werden
tionszeitalter“ angeführt.3                                                   müssten (siehe auch Lo und Rogoff, 2015).

Als Reaktion auf eine aus der Demografie oder der                             Dies gilt im Ansatz auch, wenn die Ausweitung der
Entwicklung der Produktivität herrührende anhal-                              Verschuldung verbunden wird mit einer Auswei-
tende Niedrigzinsphase wird vielfach eine aktive                              tung von staatlichen Investitionen oder Bildungs-
Rolle der Finanzpolitik eingefordert. Insbesondere                            ausgaben. Werden durch diese Maßnahmen starke
wird eine durch die Aufnahme von Schulden finan-                              Produktivitätseffekte ausgelöst, stünden der hö-
zierte Ausweitung staatlicher Ausgaben zur Über-                              heren Verschuldung eventuell auch höhere Ein-
windung der säkularen Stagnation gefordert (ver-                              nahmen in der Zukunft gegenüber, was entspre-
gleiche Summers, 2015, Eichengreen, 2015). Dies                               chend zu berücksichtigen ist. Allerdings gilt das
wird zumeist verbunden mit dem Vorschlag, zusätz-                             unabhängig von der Niedrigzinsphase. Der reale
liche Mittel für die öffentliche Infrastruktur oder                           Zinssatz und die Wachstumsrate sind wichtige Pa-
für das Bildungssystem bereitzustellen. Ginge man                             rameter zur Bewertung der Nutzen öffentlicher
davon aus, dass die gegenwärtige Niedrigzinsperi-                             Projekte. Bei niedrigen Werten für diese Parame-
ode letztlich durch ein Überangebot an Ersparnis-                             ter fällt die Diskontierung geringer aus und zu-
sen verursacht ist, wäre die konkrete Verwendung                              künftige Erträge bekommen ein höheres Gewicht.
der Mittel allerdings zweitrangig. Die Notwendig-                             Ob aber ein Ausgabenprogramm einen Nettonut-
keit für eine Ausweitung öffentlicher Ausgaben                                zen erzielt, hängt von vielen Faktoren ab. Bei ei-
läge vielmehr in dem Fehlen von rentierlichen In-                             nem Investitionsprojekt beispielsweise sind zu-
vestitionsmöglichkeiten. Nach dieser Sichtweise                               nächst die Kosten des Projekts zu nennen, die von
bieten staatliche Ausgaben, die durch öffentliche                             den Preisen für Investitionsgüter sowie den Pla-
Verschuldung finanziert werden, die Möglichkeit                               nungs- und Umsetzkosten abhängen.4 Im Hinblick
zur Absorption all der übermäßigen Ersparnisse,                               auf den Nutzen ist die Höhe des durch Investitio-
die in den Schwellenländern oder auch von den Er-                             nen in der Vergangenheit gebildeten Bestands der
werbstätigen hierzulande angehäuft werden. Da-                                öffentlichen Infrastruktur von Bedeutung. Gibt es
mit würde ein weiterer Aufbau des Kapitalbestands                             bereits eine leistungsfähige Infrastruktur, entsteht
verhindert, der nach dieser Sichtweise den Realzins                           aus der Ausweitung der Ausgaben nur ein geringer
unter Druck bringt. Wie stark die Verschuldung in-                            Gegenwert.5 In einer breiteren Perspektive ist da-
des anwachsen sollte oder müsste, um eine Stagna-                             her die Ausweitung der öffentlichen Investitionen
tionskrise zu überwinden, lässt sich aus der theore-                          keineswegs zwangsläufig die richtige Reaktion auf
tischen Diskussion nicht ableiten.                                            niedrige Zinsen. So sind die Baukosten in den ver-
                                                                              gangenen Jahren deutlich stärker gestiegen als die
Sieht man einmal davon ab, dass eine starke Aus-                              Verbraucherpreise. Im Zuge der Wirtschafts- und
weitung der Verschuldung mit den Bestimmungen                                 Finanzkrise ist in Deutschland gerade vor wenigen
des Stabilitäts- und Wachstumspakts nicht verein-                             Jahren ein umfangreiches Programm zur Förde-
bar ist, würde eine solche Reaktion die Stabilität der                        rung öffentlicher Investitionen umgesetzt worden
öffentlichen Finanzen beeinträchtigen. Angesichts                             und der Finanzplan des Bundes sieht ohnehin eine
der erheblichen Unsicherheit in der Diagnose der
Niedrigzinsphase und ihrer Ursachen ist davon
                                                                              4 Vielfach sind auch Probleme bei der Planung und Umsetzung
auszugehen, dass die Tragfähigkeit der öffentli-                                von öffentlichen Investitionsprogrammen zu konstatieren.
chen Haushalte dann nicht mehr gewährleistet                                    Als Beispiel für derart verfehlte staatliche Investitionen wird
                                                                                häufig der Flughafen BER Berlin Brandenburg angeführt.
ist. Dann würde die wirtschaftliche Erholung aber                               Dies legt allerdings in erster Linie Reformen im Prozess der
                                                                                öffentlichen Investitionstätigkeit nahe.
3   Siehe z. B. Karabarbounis und Neiman (2013).                              5 Vergleiche hierzu Fernald (1999).

                                                                            14
Analysen und Berichte                                                                        Monatsbericht des BMF
              Herausforderungen der Niedrigzinsphase für die Finanzpolitik                                               Juli 2017

deutliche Steigerung der Investitionen bis 2018 vor.                           Voraussetzung einer adäquaten makroökonomi-
Auch wenn weitere profitable Investitionsprojekte                              schen Strategie zur Bewältigung des demografi-
vorliegen und wenn ein Anstieg der Bildungsaus-                                schen Wandels ist.

                                                                                                                                     Analysen und Berichte
gaben deutliche Produktivitätseffekte auslöst, ist
die Entscheidung für solche Ausgabenprogramme                                  Zweitens ist zu berücksichtigen, dass der Rück-
aber von der Frage der Finanzierung zu trennen.                                gang des Bevölkerungswachstums ebenso wie
In den vergangenen Jahren sind die Steuereinnah-                               die Abschwächung des Produktivitätsfortschritts
men in Deutschland massiv gestiegen, die für 2017                              zwangsläufig mit einem Rückgang des Wirtschafts-
prognostizierten Steuereinnahmen liegen um                                     wachstums einhergeht. Dieser reduziert für sich ge-
rund 29 % oberhalb der Einnahmen im Jahr 2008                                  nommen die Tragfähigkeit der bestehenden öffent-
vor der Finanzkrise.6 Finanzierungsengpässe, die                               lichen Verschuldung. Indikatoren zur langfristigen
eine Verschuldung für etwaige Investitions- oder                               Tragfähigkeit der öffentlichen Verschuldung stel-
Ausgabenprogramme erforderlich machen, sind in                                 len entsprechend nicht auf den Zinssatz ab, son-
dieser Lage nicht zu erkennen.                                                 dern vielmehr auf die Differenz zwischen Zinssatz
                                                                               und Wachstumsrate. Demgemäß kann ein Rück-
Vor diesem Hintergrund empfiehlt sich für die Fi-                              gang des Zinsniveaus, der begleitet wird von einem
nanzpolitik ein vorsichtiger Ansatz, der nicht alles                           hinreichend starken Rückgang des Wachstums,
auf eine Karte setzt und angesichts verschiedener                              trotz niedriger Zinsen auch zu einer Verschlechte-
gegenwärtig konkurrierender Erklärungsansätze                                  rung der langfristigen Tragfähigkeit führen.
und der Komplexität der Auswirkungen auf ver-
schiedene wirtschaftliche Akteure auch offen für                               Drittens bestehen in Deutschland bereits erhebli-
Erkenntnisgewinn über die Zeit ist.                                            che Zahlungsverpflichtungen vor allem bei gesetz-
                                                                               lichen Renten und Beamtenpensionen. Vor diesem
                                                                               Hintergrund ergeben sich bei der zur Überwin-
    Risiken für die Finanzpolitik                                              dung einer säkularen Stagnation geforderten mas-
                                                                               siven Ausweitung staatlicher Verschuldung nicht
Ein solcher vorsichtiger Ansatz erhält zusätzliches                            nur Zweifel an der Wirksamkeit. Eine solche Poli-
Gewicht durch weitere Aspekte. Erstens erfolgt ge-                             tik müsste im Falle Deutschlands und anderer eu-
rade in Deutschland – wie in anderen entwickelten                              ropäischer Länder als überaus riskant eingestuft
Ländern bereits durch die verschiedenen Zweige                                 werden. So nennt der jüngste Tragfähigkeitsbericht
der Sozialversicherung – in erheblichem Umfang                                 des BMF eine Reihe von Risiken für die langfris-
eine Finanzierung des Ruhestands durch öffent-                                 tige Tragfähigkeit der Sozialkassen und der öffent-
liche Transfers.7 In diesen Systemen führt der de-                             lichen Haushalte, und dies sowohl auf der Einnah-
mografische Wandel in den kommenden Jahren                                     men- als auch auf der Ausgabenseite.8
bekanntermaßen zu erheblichen Anpassungserfor-
dernissen. Eine konsistente Adressierung der Kapi-                             Viertens geht das niedrige Zinsniveau auch ohne
talmarkteffekte des demografischen Wandels kann                                eine Ausweitung staatlicher Verschuldung einher
daher nicht darin bestehen, Anlagemöglichkeiten                                mit wachsenden Risiken für Finanzmärkte und öf-
für private Ersparnisse zu finden. Sie muss viel-                              fentliche Haushalte. Das niedrige Zinsniveau im-
mehr berücksichtigen, dass die nachhaltige Finan-                              pliziert ein starkes Wachstum der Vermögens-
zierung der Sozialversicherung eine wesentliche                                werte. Dies kann unter Ausnutzung vermeintlich
                                                                               dauerhaft höherer Beleihungswerte zum übermä-
6   Siehe Finanzbericht (2017), Tabelle 11.                                    ßigen Aufbau privater Verschuldung führen, die
7   Nach Mason, Lee, Stojanovic, Abrigo und Ahmed (2015, S. 13)                bei Zinsänderungen zu verbreiteter Zahlungsun-
    liegen 2010 die öffentlichen Nettotransfers an Altersjahrgänge             fähigkeit führt, vergleichbar mit der Entwicklung
    über 60 Jahren in Deutschland, Japan und den USA bei
    etwa 30 % des Durchschnittseinkommens der Altersjahrgänge
    zwischen 30 und 50 Jahren.                                                 8 Vergleiche BMF (2016).

                                                                             15
Analysen und Berichte                                                                       Monatsbericht des BMF
              Herausforderungen der Niedrigzinsphase für die Finanzpolitik                                              Juli 2017

in Irland, Spanien und den USA in der Finanzkrise                                 Zusammenfassung
der Jahre 2008 und 2009. Hinzu kommt, dass deut-
sche Kreditinstitute in ihren Erträgen besonders                               Einsparungen beim Schuldendienst sind kein Ar-
zinsabhängig sind, die niedrigen Zinsen daher de-                              gument dafür, vom Pfad einer konsequenten wei-
ren Ertragslage gefährden und die Bildung von Ei-                              teren Haushaltskonsolidierung abzuweichen.
genkapital behindern, gerade wenn die Umstellung                               Die Sicherung der langfristigen Tragfähigkeit der
auf ein stärker gebührenfinanziertes Geschäftsmo-                              Staatsschulden bleibt von zentraler Bedeutung so-
dell längere Zeit in Anspruch nehmen sollte (SVR,                              wohl angesichts der Zinsänderungsrisiken als auch
2015). Daher ist zu befürchten, dass Finanzinstitu-                            wegen der sich aus dem demografischen Wandel
tionen vermehrt übermäßige Risiken eingehen, um                                ergebenden Risiken für öffentliche Haushalte und
sich höhere Renditen zu sichern.9 Hinzu kommt,                                 die verschiedenen Zweige der Sozialversicherung.
dass Zinsänderungsrisiken bei Niedrig- und spezi-                              Die durch das niedrigere Zinsniveau implizierten
ell Nullzinsen angesichts der größeren Hebelwir-                               geringeren Kapitalkosten sind keine hinreichende
kung auf die Vermögenswerte besonders aufmerk-                                 Bedingung für eine Ausweitung von öffentlichen
sam zu betrachten sind. Dies stellt insbesondere                               Investitionen, da auch die Quantität und Qualität
auch die Regulierung auf den Finanzmärkten vor                                 der bestehenden Infrastruktur, die aktuellen Bau-
erhebliche Herausforderungen.                                                  kosten und die zu erwarteten Produktivitätseffekte
                                                                               zu berücksichtigen sind. Angesichts der massiv ge-
                                                                               stiegenen Steuereinnahmen erscheint eine Aus-
9   Solvenzgefährdete Finanzinstitutionen könnten z. B. ein
    „Gambling for Resurrection“ betreiben, also hochspekulative                weitung der Neuverschuldung ohnehin nicht er-
    Geschäfte eingehen, bei denen bei positivem Ausgang die                    forderlich.
    Solvenz wiederhergestellt ist, bei negativem Ausgang und
    unvollständigem Bail-in die Lasten aber beim Steuerzahler
    landen.

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Analysen und Berichte                                                               Monatsbericht des BMF
                                                                                                               Juli 2017

Das Europäische Forschungsnetzwerk
„EconPol Europe“

                                                                                                                             Analysen und Berichte
      ●● Im Rahmen einer Auftaktveranstaltung in Brüssel hat sich das europäische Forschungsnetzwerk
         „EconPol Europe” am 22. Juni 2017 der Öffentlichkeit vorgestellt.

      ●● Neun europäische Forschungsinstitute haben sich unter der Leitung des ifo Instituts zu einem
         Forschungsverbund zusammengeschlossen, um die zukünftige Ausgestaltung der Wirtschafts-
         und Finanzpolitik in Europa wissenschaftlich zu begleiten.

      ●● Die Gründung des Netzwerks geht auf eine Initiative des BMF zurück und zielt darauf ab, die
         grenzüberschreitende Forschung und wissenschaftliche Zusammenarbeit in Europa zu stärken.

    Hintergrund                                                    acht europäische Forschungsinstitute an. Damit
                                                                   wird das Netzwerk auf die Expertise von mehre-
Am 22. Juni 2017 fand in Brüssel die Auftaktveran-                 ren hundert Forschern des ifo Instituts (München),
staltung des europäischen Forschungsnetzwerks                      des Centre for European Policy Studies (CEPS, Brüs-
„EconPol Europe“1 statt. Hierbei stellte sich das Netz-            sel), des Centre d’Études Prospectives et d’Informa-
werk vor und präsentierte erste Arbeitsergebnisse.2                tions Internationales (CEPII, Paris), des Instituts für
Die Gründung des Netzwerks erfolgte auf Initiative                 Höhere Studien (IHS, Wien), der Toulouse School
des BMF, das das ifo Institut mit der Etablierung ei-              of Economics, der University of Oxford (Centre for
nes europäischen Forschungsverbunds mit Präsenz                    Business Taxation), der Università di Trento (UdT),
in Brüssel beauftragt hat. Die Arbeit des Netzwerks                des Instituts Valtion Taloudellinen Tutkimuskes-
erfolgt in aller Unabhängigkeit.                                   kus (VATT, Helsinki) sowie des Zentrums für Euro-
                                                                   päische Wirtschaftsforschung (ZEW, Mannheim) zu-
Zielsetzung des Netzwerks ist es, die grenzüber-                   rückgreifen können.
schreitende Forschung in Europa zu vertiefen und
die öffentliche Wahrnehmung stabilitätsorien-
tierter Wirtschafts- und Finanzpolitik zu stärken.                    Themenschwerpunkte
Das Netzwerk soll dazu beitragen, die europäische
Idee in den Mitgliedsländern noch tiefer zu veran-                 Das Forschungsnetzwerk wird sich mit aktuellen
kern und gleichzeitig die jeweiligen nationalen In-                europapolitischen Fragen befassen. Hierzu gehört
teressens- und Bedürfnislagen bei der Erarbeitung                  die Fortentwicklung der Europäischen Wirtschafts-
effizienter und tragfähiger gesamteuropäischer                     und Währungsunion (EWWU). Zudem sollen For-
Lösungsansätze besser zu berücksichtigen. Dem For-                 schungsbeiträge zu mittelfristigen strukturellen
schungsnetzwerk gehören neben dem ifo Institut                     Fragen in den Bereichen Finanz- und Wirtschafts-
                                                                   politik bearbeitet und möglicher Handlungsbedarf
1   Informationen zu Organisation und Arbeit des Forschungs­       mit Blick auf die Wahrung der Stabilität der Wäh-
    netzwerks sind im Internet unter www.econpol.eu verfügbar.     rungsunion und der Funktionsfähigkeit des Binnen-
2 Vergleiche Delatte et al. (2017): „The Future of Eurozone        markts aufgezeigt werden. Das Forschungsnetzwerk
  Fiscal Governance”, EconPol Policy Report 01/2017
  (http://www.bundesfinanzministerium.de/mb/20170731).

                                                                 17
Analysen und Berichte                                                                Monatsbericht des BMF
          Das Europäische Forschungsnetzwerk „EconPol Europe“                                                Juli 2017

wird seine Arbeit auf vier Themenschwerpunkte                        Governance und
konzentrieren:                                                       makroökonomische Politik in der
                                                                     EWWU
   Nachhaltiges Wachstum und „Best                                Dieses Themenfeld umfasst Fragen der politischen
   Practice“                                                      Ökonomie bei der institutionellen Architektur der
                                                                  EWWU. Es wird untersucht, ob die im Zuge der
Hier wird das Forschungsnetzwerk herausarbeiten,                  Schuldenkrise ergriffenen Reformmaßnahmen für
was die Mitgliedstaaten der Europäischen Union                    die Stabilisierung von öffentlichen Haushalten, Ban-
(EU) voneinander lernen können, um nachhalti-                     kensektor und Wirtschaft hinreichend sind. Hierbei
ges und inklusives Wirtschaftswachstum zu fördern                 sollen insbesondere die Rolle der Finanzpolitik ana-
und die Voraussetzungen für die erfolgreiche Um-                  lysiert und mögliche Ansatzpunkte für eine Verbes-
setzung von Strukturreformen zu schaffen. Hierbei                 serung der Koordinierung von Fiskalpolitik in Eu-
wird ein Schwerpunkt auf der vergleichenden Ana-                  ropa diskutiert werden.
lyse der Determinanten des Produktivitätswachs-
tums in den Mitgliedstaaten liegen.
                                                                     Ausblick
   Reform der EU-Politiken und des                                Mit der Auftaktveranstaltung am 22. Juni 2017 in
   EU-Haushalts                                                   Brüssel hat das europäische Forschungsnetzwerk
                                                                  „EconPol Europe“ offiziell seine Arbeit aufgenom-
In diesem Themenfeld wird u. a. die Frage nach der                men. Das Netzwerk wird zukünftig mit einer Reihe
künftigen Ausrichtung des EU-Haushalts bearbei-                   von Publikationen und Veranstaltungen zur euro-
tet. Dabei wird sowohl die Ausgaben- als auch die                 päischen Politikdebatte beitragen. Anlässlich seiner
Einnahmenseite betrachtet. Zudem wird analysiert,                 Gründung lädt das Netzwerk am 9. und 10. Novem-
wann und in welchem Umfang eine Koordinierung                     ber 2017 zu einer Konferenz in Brüssel ein, die als
oder Harmonisierung nationaler Politiken für das                  Plattform für den fachlichen Austausch von Netz-
Funktionieren des Binnenmarkts erforderlich ist.                  werkmitgliedern, Politikvertretern und Wissen-
                                                                  schaftlern verschiedenster Fachgebiete dienen soll.

   Kapitalmärkte und die Regulierung                              Durch seine Präsenz in Brüssel wird sich das Netz-
   des Finanzsektors                                              werk zu einer wichtigen Stimme in der europäischen
                                                                  Politikdebatte entwickeln. Ein zentrales Ziel der Ar-
Dieser Themenbereich widmet sich Fragestellungen                  beit des Forschungsnetzwerks ist es dabei, die Mei-
zur Funktionsfähigkeit und Resilienz des europäi-                 nungsvielfalt und Analysetiefe dieser Debatte weiter
schen Finanz- und Kapitalmarkts. Hierbei werden                   zu erhöhen und sich auf diese Weise konstruktiv in
Maßnahmen zur Risikoreduktion analysiert und mit                  die Diskussion über die zukünftige Ausrichtung der
Blick auf ihre Wirksamkeit evaluiert.                             Europapolitik einzubringen.

                                                                18
Analysen und Berichte                                                     Monatsbericht des BMF
                                                                                                   Juli 2017

Ein größerer Haushalt für das neue Europa?

                                                                                                               Analysen und Berichte
    ●● Die Europäische Union steht finanziell vor großen Herausforderungen (Migration, Sicherheit,
       Brexit, etc.).

    ●● Eine tiefgreifende Reform des EU-Haushalts kann gelingen, wenn sie sich an den aktuellen euro-
       päischen Prioritäten orientiert.

    ●● Für eine solche zukunftsfähige Ausrichtung der EU-Finanzen ist keine Erhöhung des Finanzvo-
       lumens erforderlich.

   Größe und Inhalt des                                   Einsatz von Strukturmitteln in reicheren Mitglied-
   EU‑Haushalts                                           staaten der Aufholprozess in ärmeren Mitgliedstaa-
                                                          ten verlangsamt. Auch die Ziele der EU-Agrarpoli-
Der Haushalt der Europäischen Union (EU)                  tik könnten zu einem großen Teil ohne finanzielle
hat heute schon eine Ausstattung von jährlich             EU-Förderung erreicht werden. Es geht deshalb in
rund 150 Mrd. €. Dieses Geld wird jedoch nicht kon-       erster Linie nicht um die Frage von mehr Geld für
sequent für europäische Prioritäten, sondern traditi-     den EU-Haushalt, sondern um richtige Prioritä-
onell bedingt zu rund 80 % zur Finanzierung der Ag-       tensetzung bei der Finanzierung angesichts aktuel-
rar-, Struktur- und Kohäsionspolitik eingesetzt.          ler Herausforderungen.

    Kohäsionspolitik                                         Herausforderungen
    Gemäß Art. 174 des Vertrags über die Ar-
    beitsweise der Europäischen Union entwi-              Der EU-Haushalt verliert durch den Brexit einen
    ckelt und verfolgt die EU eine Politik zur            seiner größten Beitragszahler. Gleichzeitig steht
    Stärkung ihres wirtschaftlichen, sozialen und         die EU aber vor weiteren enormen Herausforde-
    territorialen Zusammenhalts, um eine har-             rungen. Die Erklärung von Rom gibt die Agenda für
    monische Entwicklung der Union als Ganzes             die kommenden Monate und Jahre vor:
    zu fördern. Die Union setzt sich insbesonde-
    re zum Ziel, die Unterschiede im Entwick-             ●● Umgang mit Migration
    lungsstand der verschiedenen Regionen und
    den Rückstand der am stärksten benachtei-             ●● Sicherheit innerhalb Europas
    ligten Gebiete zu verringern.
                                                          ●● Nachhaltiges Wachstum durch Struktur­
                                                             reformen
Ein Großteil der EU-Ausgaben ersetzt oftmals
nur nationale Maßnahmen und erzielt daher kei-            ●● Europäische Stärke nach außen
nen europäischen Mehrwert. So wird z. B. mit dem

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Analysen und Berichte                                                                       Monatsbericht des BMF
           Ein größerer Haushalt für das neue Europa?                                                                Juli 2017

     EU-Haushalt nach Rubriken 2015                                                                                Abbildung 1

                                                                                   Sicherheit
                                                                                      2%           Außenpolitik
                          Agrarpolitik
                                                                                                       5%
                             40 %

                                                                                                     Verwaltung
                                                                                                        5%

                                                                                                     Forschung,
                                                                                                     Technologie
                                                                                                        11 %

                                                                                                Strukturpolitik
                                                                                                     37 %

     Quelle: Finanzbericht der Europäischen Kommission vom 19. Juli 2016, S. 33

   Mögliche Lösungsansätze                                            durch die Rom-Agenda vorgegebenen Bereichen
                                                                      können – im Gegensatz zu den im Bereich der Ag-
Die EU hat es sich nach ihren Gründungsverträgen                      rar- und Strukturförderung bestehenden ineffek-
u. a. zur Aufgabe gemacht, Ressourcen zum Nut-                        tiven Mitnahmeeffekten – einen echten europäi-
zen Europas zu bündeln. Dabei muss die EU die für                     schen Mehrwert generieren.
ihre Tätigkeit geltenden Grundsätze der begrenzten
Einzelermächtigung, Subsidiarität und Verhältnis-
mäßigkeit sowie das Prinzip der Eigenverantwor-                             Rom-Agenda
tung der Mitgliedstaaten beachten.                                          Am 25. März 2017 haben die Staats- und Re-
                                                                            gierungschefs der EU-27 in einer gemein-
                                                                            samen Erklärung zum 60. Jahrestag der Rö-
   Reform des EU-Haushalts                                                  mischen Verträge die Ziele der EU für die
                                                                            nächsten zehn Jahre definiert: ein sichere-
Das BMF setzt sich für eine Reform des EU-Haus-                             res Europa, ein Europa mit nachhaltigem
halts und seiner Rahmenbedingungen ein, um                                  Wachstum, ein soziales Europa und ein Eu-
die aktuellen politischen Prioritäten stärker be-                           ropa, das seinen Platz in der Welt einnimmt.
rücksichtigen und auch den wirtschaftlichen Auf-                            Mit dieser sogenannten Rom-Agenda re-
holprozess einiger Mitgliedstaaten beschleunigen                            agiert die EU auch unter dem Eindruck des
zu können. Gezielt eingesetzte Finanzmittel in den                          Brexit auf aktuelle Herausforderungen auf
                                                                            globaler und nationaler Ebene: regionale
                                                                            Konflikte, Terrorismus, wachsender Migra-
                                                                            tionsdruck, Protektionismus sowie soziale
                                                                            und wirtschaftliche Ungleichheiten.

                                                                   20
Analysen und Berichte                                                     Monatsbericht des BMF
          Ein größerer Haushalt für das neue Europa?                                              Juli 2017

   Verknüpfung von EU-Förderung                          Keine Notwendigkeit einer
   mit Strukturreformen                                    Erhöhung des EU-Haushalts

                                                                                                              Analysen und Berichte
Die trotz jahrzehntelanger Förderung zuneh-             Mit einem Finanzvolumen von rund 1 % des
menden wirtschaftlichen Divergenzen der Mit-            EU‑Bruttonationaleinkommens          verfügt    der
gliedstaaten belegen, dass Subventionen aus dem         EU‑Haus­halt über ausreichende Mittel. Für eine Er-
EU-Haushalt kein Allheilmittel sind. Für viele Mit-     höhung besteht keine Notwendigkeit. Es mangelt
gliedstaaten sind zunächst Strukturreformen für         nicht an Geld, sondern an politischem Willen, die
die Stärkung von Produktivität und Wettbewerbs-         richtigen Prio­ritäten bei den Ausgaben zu setzen.
fähigkeit erforderlich, um ihr Wachstum nachhal-        Die europäischen Mittel müssen so umgeschichtet
tig zu erhöhen. Erst dann können gezielt einge-         werden, dass Aufgaben mit europäischem Mehr-
setzte EU-Fördermittel ihre Wirkung angemessen          wert finanziert werden, die auf nationaler Ebene
entfalten. Die Erfahrung Deutschlands (ebenso wie       nicht zufrieden­stellend gelöst werden können.
anderer reformorientierter Mitgliedstaaten) hat ge-
zeigt: Strukturreformen und nachhaltige Finanz-         Im Kohäsionsbereich entfaltet der aktuelle
politik sind kein Gegensatz, sondern unterstützen       EU‑Haus­halt bereits eine signifikante Umvertei-
sich gegenseitig. So hat Deutschland in den Jah-        lungswirkung. Wenn diese Mittel konsequent für
ren 2003 bis 2007 Strukturreformen durchgeführt         die Unterstützung von nationalen Reformen ge-
und gleichzeitig seine Staatsausgabenquote deut-        nutzt würden, könnte ein Beitrag zur Steigerung
lich zurückgeführt. Insofern sollte die EU nicht        von Konvergenz und Wohlstand erreicht werden.
noch mehr Mittel in reformbedürftige Systeme ste-
cken, sondern insbesondere künftige Zahlungen           Gleiches gilt für Überlegungen zu einer einsei-
aus den EU-Struktur- und Investitionsfonds zur          tigen Erhöhung des Finanzierungsanteils ein-
Unterstützung von Strukturreformen nutzen, d. h.        zelner Mitgliedstaaten am EU-Haushalt. Erstens
der Umsetzung der jährlichen länderspezifischen         können Vorteile, die Mitgliedstaaten außerhalb
Empfehlungen im Rahmen des Europäischen Se-             des EU-Haushalts – direkt oder indirekt – aus der
mesters.                                                EU-Mitgliedschaft ziehen, nicht in konkrete Geld-
                                                        beträge umgerechnet werden. Zweitens würde
In der Anwendung des Regelwerks des Stabilitäts-        der Versuch (oder Anschein) einer solchen Quan-
und Wachstumspakts haben Kommission und Rat             tifizierung die spaltend wirkende – und bei ent-
gerade in den Jahren seit der Wirtschafts- und Fi-      sprechender Ausgabenpriorisierung überflüs-
nanzkrise der Bedeutung von Strukturreformen            sige – Diskussion um Nettozahler beziehungsweise
Rechnung getragen und dabei die Fristen zur Kor-        Nettoempfänger unnötig weiter befeuern.
rektur übermäßiger Defizite teilweise erheblich ge-
streckt. Allerdings darf das Regelwerk auch nicht
überdehnt werden. Die öffentlichen Schulden-                Fazit
stände im Euroraum sind zum Teil deutlich ge-
stiegen und liegen in wichtigen Volkswirtschaften        Die EU-27 legen mit der Rom-Agenda den Fokus
deutlich über oder nahe bei 100 % des Bruttoin-          auf die Stärkung des vereinten Europas angesichts
landsprodukts und damit weit entfernt von den            nie dagewesener Herausforderungen u. a. in Migra-
Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspakts.            tions- und Sicherheitsfragen sowie durch die Not-
Hier kann der erforderliche Abbau der Schulden-          wendigkeit dringender Investitionen und Struktur-
stände nicht weiter vertagt werden. Die Tragfä-          reformen. Das Ziel kann erreicht werden mit einem
higkeit der öffentlichen Finanzen ist eine zentrale      reformierten und zukunftsfähigen EU-Haushalt,
Voraussetzung für die Handlungsfähigkeit aller           der diese aktuellen Prioritäten adressiert.
Mitgliedstaaten und für die Funktionsfähigkeit der
gemeinsamen Währung.

                                                       21
Analysen und Berichte                                                    Monatsbericht des BMF
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Abschluss des Forschungsprojekts
„Staatseigentum“

    ●● Ende Mai 2017 wurde die Publikation „Staatseigentum – Legitimation und Grenzen“ der Öffent-
       lichkeit vorgestellt. Sie entstand im Rahmen eines Projekts zwischen dem BMF mit der Univer-
       sität zu Köln und der Deutschen Stiftung Eigentum. Das Forschungsvorhaben untersuchte aus
       historischer, ökonomischer und rechtlicher Sicht Legitimation und Grenzen staatlicher Vermö-
       genspositionen.

    ●● Ausgangspunkt war eine Fachtagung im Jahr 2016 von Vertretern aus Wissenschaft, Politik, Ver-
       waltung und Rechtsanwaltschaft im BMF zum Thema Staatseigentum.

    ●● Kernbotschaft der Publikation: Trotz aller Krisen bleibt der Grundsatz „Privat vor Staat“ ein
       wichtiges Postulat der deutschen Wirtschaftsrechtsordnung. Staatseigentum bedarf einer beson-
       deren Rechtfertigung, da der Staat sich nicht auf die verfassungsrechtliche Gewährleistung des
       Eigentums als Institutsgarantie oder als Grundrecht berufen kann.

   Einleitung                                          Fachtagung von Vertretern aus Wissenschaft, Poli-
                                                       tik, Verwaltung und Rechtsanwaltschaft aus.
Am 31. Mai 2017 wurde in der Deutschen Parla-
mentarischen Gesellschaft Berlin das Buch „Staats-
eigentum – Legitimation und Grenzen“ (Band 15              Forschungsansatz
der Reihe „Bibliothek des Eigentums“) der Öffent-
lichkeit vorgestellt. Michaela Noll, Vizepräsiden-     Gemäß der Grundentscheidung der deutschen
tin des Deutschen Bundestags, nahm das Werk von        Rechts- und Wirtschaftsordnung gilt der Vorrang
den Projektbeteiligten entgegen. Die Publikation       des Privateigentums vor staatlichen Eigentums-
gibt die Forschungsergebnisse eines mehrjährigen       positionen. Staatseigentum ist im modernen Ver-
Projekts des BMF mit der Universität zu Köln und       fassungsstaat legitimierungspflichtig und nur in
der Deutschen Stiftung Eigentum wieder. Hierzu         engen Grenzen zulässig. In der sozialen Markt-
richtete das BMF am 1. April 2016 – dem 25. To-        wirtschaft sind deshalb z. B. unmittelbare staatli-
destag von Dr. Detlef Karsten Rohwedder, dem           che Unternehmensbeteiligungen aus ordnungspo-
früheren Präsidenten der Treuhandanstalt – eine        litischen Gründen auf ein Minimum zu reduzieren.

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Analysen und Berichte                                                             Monatsbericht des BMF
            Abschluss des Forschungsprojekts „Staatseigentum“                                               Juli 2017

   Gold im Bundesvermögen ist Teil der Währungsreserven.                                               Abbildung 1

                                                                                                                        Analysen und Berichte
Quelle: Deutsche Bundesbank

Das Projekt „Staatseigentum“ untersuchte daher                       Inhalt der Publikation
aus praktischer und wissenschaftlicher Sicht, ins-
besondere mit Blick auf das Bundesvermögen, wo                    An dem Forschungsprojekt und damit an der dazu-
der Staat Eigentumspositionen innehat, wie diese                  gehörigen Veröffentlichung arbeiteten insgesamt
sich legitimieren lassen und welchen Wert das                     25 Wissenschaftler und Praktiker mit, die jeweils
Staatsvermögen aufweist.                                          eine Facette des Themenkreises „Staatseigentum“
                                                                  beleuchteten, und zwar von der historischen über
                                                                  eine ökonomische bis hin zu einer rechtlichen so-
     Bundesvermögen                                               wie politischen Betrachtung. Das Werk gliedert sich
     Das BMF ist zuständig für das Bundesver-                     in drei Teile. Im ersten Teil werden die geschicht-
     mögen. Wichtige Vermögenswerte des Bun-                      liche Entwicklung des Staatsvermögens sowie Be-
     des sind dessen Unternehmensbeteiligungen                    griff und Typologie untersucht. Ferner werden die
     und Immobilien. Das BMF ist verantwort-                      Vermögensrechnung des Bundes sowie die Gren-
     lich für die Grundsätze der Privatisierungs-                 zen einer staatlichen Vermögensrechnung aus fi-
     und Beteiligungspolitik des Bundes. Für die                  nanzökonomischer Sicht dargestellt. Im zweiten
     Verwaltung des Immobilienbesitzes und der                    Teil des Bandes wird das Staatseigentum aus ver-
     Grundstücke im Eigentum des Bundes be-                       schiedenen verfassungsrechtlichen Perspekti-
     dient sich das BMF der Bundesanstalt für                     ven betrachtet, bevor im dritten Teil verschiedene
     Immobilienaufgaben. Über das gesamte Ver-                    Vermögenspositionen im Detail untersucht wer-
     mögen des Bundes gibt die Vermögensrech-                     den. So werden insbesondere das Immobilienver-
     nung Auskunft, die das BMF nach Art. 114                     mögen des Bundes, das staatliche Bodeneigentum,
     Abs. 1 des Grundgesetzes einmal jährlich                     die Währungsreserven, die Unternehmensbe-
     aufzustellen hat.                                            teiligungen des Bundes an Finanzinstituten, an

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