Museums.brief Nachrichten aus Museen und Sammlungen in Baden-Württemberg - Landesstelle für Museumsbetreuung Baden ...
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museumsbrief print_Layout 1 09.07.20 16:06 Seite 1 museums.brief Nachrichten aus Museen und Sammlungen in Baden-Württemberg editorial thema Uwe Degreif / Kunst »entsammeln«? Warum das Abgeben von Nachlassteilen Sinn macht museums.intern Informationen Herausgeber: Landesstelle für Museumsbetreuung Baden-Württemberg museums.personalia museums.porträts Junghans Terrassenhaus, Schramberg / Freilichtmuseum, Neuhausen ob Eck / Hölderlinturm, Tübingen / Schwarzwalder Freilichtmuseum Vogstbauernhof, Gutach / Musikhistorische Samm- lung Jehle, Albstadt-Lautlingen / Grafschaftsmuseum, Wertheim ausstellungen »Hölle & Paradies. Der deutsche Expressionismus um 1918« Engen / »Gut betucht. Textilerzeugung bei den Alamannen« Ellwangen an der Jagst / »Wald. Wolf. Wildnis.« Burgrieden-Rot / »Knopf dran! | Eine Kulturgeschichte der Knöpfe« Weil am Rhein / »Hut ab! Pickelhaube, Pussyhat und andere Kopfgeschichten« Stuttgart / »Sophie Calle. Was bleibt« Ravensburg / »Baden in Schönheit | Die Optimierung des Körpers im 19. Jahrhundert« Baden-Baden / »Max Ernst – Sammlung Würth« Pforzheim / »Im Dialog mit Hans Purrmann« Langenargen / »Lahr im Sucher. Fotografien aus den 60er Jahren« Lahr / »Beruf: Künstlerin! Zehn deutsche Malerinnen am Bodensee« Konstanz / »Ins Licht gerückt! Künstlerinnen 20. Jahrhundert Oberschwaben« Biberach an der Riß / »Mechanische Tierwelt« Crailsheim / »Masterworks. Abstract and Geometric« Heidelberg-Ziegelhausen / »Power! Von den Energien in der Kunst« Villingen-Schwenningen / »Adieu Plastiktüte!« Waldenbuch / »Hermann Hesse und Theodor Heuss. Eine freundschaftliche Beziehung in wechselhaften Zeiten« Gaienhofen / »Ida Kerkovius | Die ganze Welt ist Farbe« Stuttgart ausstellungskalender Juli bis Dezember 2020 01.2020
museumsbrief print_Layout 1 09.07.20 16:06 Seite 2 editorial Mit der schrittweisen Öffnung der Museen seit Mitte Mai ist die Corona-bedingte Schockstarre fürs Erste zwar überwunden, allerdings sind angepasste, d. h. in der Regel verkürzte Öffnungszeiten, restrik- tive Einlassbedingungen und weitere, oft umständliche Schutzmaß- nahmen immer noch an der Tagesordnung. Für die Besucher zählen solche Einschränkungen zwar längst zum Alltag, aber es ist eben et- was anderes, beim täglichen Einkauf im Supermarkt lästige Gesichts- masken tragen zu müssen oder bei einem Museumsbesuch, vor allem jetzt im Sommer. Auch das verspätete Erscheinen dieser Ausgabe des Museumsbriefs ist Corona geschuldet, da die Häuser erst seit Mitte Mai ihre Sonderausstellungen wieder terminieren können. Je länger die Schutzmaßnahmen dauern, desto deutlicher wird, dass ein schnelles Ende der Einschränkungen im öffentlichen Raum nicht zu erwarten steht, so sehnlich man sich das auch wünscht. Und es sieht nicht so aus, als ob die Museen mit digitalen Ersatzangeboten auf Dauer bei ihrem Publikum wirklich punkten könnten. Die Folgewirkungen der Pandemie für die Museen sind derzeit bei weitem nicht absehbar. Man kann aber mit guten Gründen vermuten, dass auch längerfristige Folgen spürbar werden. Viele Museumsleute, Betreiber und Träger haben offenbar erkannt, dass jetzt Zeit und Gelegenheit gekommen ist, um über die Zukunft ihrer Einrichtungen nachzudenken. Das ge- schieht in unterschiedlicher Intensität und in unterschiedlichen Per- spektiven. Eine zentrale Frage für die Zukunft der Institution Muse- um ist hierbei, welches Erkenntnisinteresse die Museumsarbeit leitet, die Frage danach, ob die Museen sich weiterhin selbständig an den Bedürfnissen des von den Sammlungen bereitgehaltenen Materials orientieren oder ob sie ihre Legitimation nur noch aus der Erfüllung vorgegebener Erwartungen gewinnen können. Axel Burkarth Landesstelle für Museumsbetreuung Baden-Württemberg Dorotheenstraße 4, 70173 Stuttgart Telefon 0711/89535-300, Fax 0711/89535-301 museumsbrief@landesstelle.de Redaktionsschluss für Heft 02/2020 ist der 1. November 2020. Für unaufgefordert zugesandte Beiträge kann die Redaktion leider keine Gewähr übernehmen.
museumsbrief print_Layout 1 09.07.20 16:06 Seite 3 thema 1 wird. Die meisten Nachlässe dürfen eine oder zwei Generationen Uwe Degreif „weiterleben“, wenn auch nur auf dem Dachboden eines Hauses. Da weder Anton Braith noch Christian Mali Nachfahren hatten, lagen Kunst »entsammeln«? zwischen der Überführung der beiden Nachlässe und der Gesamt- eröffnung des „Braith-Mali-Museums“ gerade einmal zwei Jahre. Warum das Abgeben Möglichst alles Es kann nicht verwundern, dass die Verantwortlichen keine Mühe von Nachlassteilen Sinn macht darauf verwenden unter den Kunstwerken eine Auswahl zu treffen. Ihnen gilt ein Nachlass als eine Art Brennglas eines künstlerischen Schöpfergeistes. Diese romantische Idee unterstellt, dass sich das Auf die Frage, wie die Kernaufgaben eines Museums lauten, hätten Genialische in allem zeige, was ein Künstler in die Hand nimmt, vor einer Generation vermutlich die meisten Kolleginnen und Kollegen selbst in einer Skizze. Anton Braith weist aus Sicht der Biberacher geantwortet: Sammeln, Bewahren, Erforschen und Ausstellen. Inzwi- Museumsgründer alle Anzeichen eines Genies auf, schließlich wurde schen gehören das Vermitteln dazu und auch das Bekanntmachen. aus dem armen Bauernkind, dessen Eltern sich das Stadtrecht eines Wer nicht auf sich aufmerksam macht, der wird nicht wahrgenommen. Biberacher Bürgers nicht leisten konnten, ein Millionär. Aus heutiger Aus meiner Sicht sind auch Kenntnisse des Ausräumens erforderlich, Sicht hat sich dieses Urteil sehr relativiert: Braith zählt zwar immer denn man wird die Augen nicht mehr davor verschließen, was in der noch zu den besten deutschen Tiermalern in der Epoche des Realis- Vergangenheit in die Magazine eingelagert wurde. Das Alltagsgeschäft mus, aber künstlerisch blieb ihm der Übergang zum Impressionismus bietet kaum Zeit sich der Sammlung zuzuwenden, die Bestände gera- so fremd wie die Bildauffassung der Moderne. Als 1905 der Nachlass ten aus dem Blick, die Übersicht geht verloren. Sammlungsbetreuung nach Biberach kommt, ist Braiths Stern längst untergegangen und mit erscheint oft als ein notwendiges Übel. In den meisten Museen ist Heinrich von Zügel hat sich ein würdiger Nachfolger gefunden. Für Depotplatz inzwischen ein rares Gut. Am Beispiel der Einlagerung von die Verantwortlichen in Biberach spielt das keine Rolle, Ihnen geht es zwei Künstlernachlässen in das Museum Biberach sollen einige mit um ihr Museumsprojekt und dafür kommen die Nachlässe von Braith dem Verringern von Beständen verbundene Fragen formuliert werden. und Mali wie gerufen. Nachlass Anton Braith (1836-1905) Künstlersalons Am 3. Januar 1905 verstirbt der aus Biberach an der Riß stammende Es war ein glückliches Zusammentreffen mit klugen Entscheidungen. Maler Anton Braith. Er avanciert in den 1870er Jahren in München zu Durch die Übernahme und den Einbau der Münchner Hinterlassen- einem der gefragtesten Nutztiermaler der Stilepoche des Realismus schaft bewahren die Biberacher etwas, das in München bereits aus der und hält diese Position bis in die frühen 1890er Jahre. Braith speziali- Mode gekommen ist: die Künstlersalons des Historismus. Mehrere siert sich auf Kühe, Schafe und Ziegen und bringt es darin zu einer Hundert davon gibt es in den 1880er Jahren in der bayerischen Metro- ungewöhnlichen Meisterschaft. München gilt in jener Epoche als pole. Sie dienen erfolgreichen Malern als gesellschaftliche Bühne, Kunsthauptstadt des Deutschen Reichs, Braith als „Malerfürst“. Mit hier inszenieren sie auf vielfältige Art und Weise den herrschenden seiner Kunst wird er sehr vermögend. Nach seinem Ableben vermacht Geschmack. Eine Musealisierung dieses Kunstambientes hat 1905/06 er seiner Heimatstadt 670 Ölgemälde, 52 Skizzenbücher, mehr als noch niemand im Sinn, auch wenn die Idee in der Luft liegt. In 1.000 Zeichnungen und 64 Gemälde anderer Künstler, zudem Möbel Deutschland kommen um 1900 erste Interieurs in die kunstgewerb- und Kunstgegenstände sowie 20.000 Goldmark zur Einrichtung eines lich, volkskundlich oder kulturgeschichtlich ausgerichteten Museen. Museums. Braith ist seit 1891 Ehrenbürger und seit 1902 Ehrenmit- Biberach liegt gewissermaßen im Trend. Der Unterschied: Während glied des Biberacher Kunst- und Altertumsvereins. andernorts mittelalterliche Zunftstuben und Kreuzgänge von Klöstern eingebaut werden samt gotischen Wandmalereien, transloziert man in Nachlass Christian Mali (1832-1906) Biberach Künstlersalons der Zeit um 1885. Das ist singulär. Neben Am 1. Oktober 1906 stirbt in München Braiths Lebensgefährte, der Tier- Möbeln, sakralen und profanen, fürstlichen und bäuerlichen Ge- und Landschaftsmaler Christian Mali. Auch er ist Ehrenbürger der genständen zieren heute 307 Gemälde von 101 Malern die Wände der Stadt Biberach und hinterlässt ihr seinen Nachlass: 270 Ölgemälde, vier Räume. Unter ihnen sind auch ca. 70 Werke von Braith und Mali. 716 Ölskizzen, 48 Skizzenbücher, 17 Mappen mit Zeichnungen, 43 Ge- Zusammen mit den in der Dauerschau präsentierten Gemälden ist mälde von Anton Braith und 226 Gemälde anderer Künstler. Ebenso ihre Kunst auch noch hundert Jahre später im Museum Biberach um- die Inneneinrichtung der Salons der beiden Künstler mit mehr als fangreich sichtbar. 1.000 Inventarteilen. Am 4. Oktober 1906 wird Malis Leichnam nach Biberach überführt, sechs Wochen später trifft sein umfangreicher Ein immobiler Besitz Kunstbesitz ein. Ab dem 26. Dezember 1908 ist das „Braith-Mali-Mu- Und die Nachlässe? Sie verteilen sich seit mehr als 60 Jahren auf drei seum“ mit den „Braith-Mali-Ateliers“ der Öffentlichkeit zugänglich, klimatisierte Magazinräume und füllen 21,6 lfm raumhohe Regale so- am 1. Oktober 1910 wird das „Braith-Mali-Denkmal“ im Museumshof wie zwei große Grafikschränke. Von den ca. 500 eingelagerten Gemäl- enthüllt. Es war ein Geschäft auf Gegenseitigkeit: Mittels der schieren den Braiths wurden in den vergangenen 100 Jahren gerade mal 60 in Masse an Kunst und hohen Geldbeträgen haben die Biberacher Kunst- Ausstellungen präsentiert. Meist wählte man dasselbe Dutzend aus. und Altertumsfreunde den erforderlichen Druck erzeugt, damit die Der Rest hat das Licht der Öffentlichkeit nie erblickt, es sind „depot- Stadt ihnen ein Gebäude für ein Museum bereitgestellt. Die beiden verbannte Werke“ (Dirk Boll).1 Die Bilanz für Christian Mali ist noch Künstler haben auf diese Weise ihren Nachruhm gesichert. ernüchternder. Warum? Weil Kuratoren und Wissenschaftler nur mit Normalerweise verweilt ein Künstlernachlass zwanzig, dreißig Jahre guten Werken arbeiten. Niemand schaut auf das künstlerisch Halbge- bei den Nachfahren bevor nach einer dauerhaften Lösung gesucht lungene oder den x-ten Vorentwurf. Wozu auch Ölskizzen mit nahezu
museumsbrief print_Layout 1 09.07.20 16:06 Seite 4 2 Christian Mali findet nur noch für einen kleinen Betrag einen Abneh- mer. Der Markt würde lediglich eine begrenzte Anzahl ihrer Werke aufnehmen. Ohnehin würde ein Verkauf in größerem Stil scheitern, weil es für anonyme Landschaftsstudien (unsigniert und nicht datiert) keine Nachfrage gibt. Was soll mit den ca. 1.400 Zeichnungen passie- ren? Wem soll man sie offerieren? Allen Interessierten oder nur den Bewohnern der Stadt Biberach, in deren Eigentum sie sich letztlich befinden? Für Überlegungen zum Entsammeln kann der mutmaßliche Erlös von Sammlungsteilen vernachlässigt werden. Ein großer Aufwand wäre mit einem minimalen Ergebnis verbunden. Einzelverkäufe schaf- fen keinen Platz. Hin und wieder kann es Aufgabe des Entsammelns sein etwas zu veräußern, um mit dem Erlös ein Werk zu erwerben, mit dem man eine Lücke im Bestand schließen kann. Etwas abzuge- Foto: Wikimedia Commons ben um das Vorhandene zu stärken, nicht um Einnahmen zu erzielen. Klasse statt Masse Am Ende kommt man um ein strenges Aussortieren nicht herum. Welche Kriterien sollte man bei der Durchsicht anlegen? Das Verblei- Denkmal vor dem Braith-Mali-Museum in Biberach mit Büsten von Anton Braith (links) und Christian Mali (rechts) bende sollte die stilistische und motivische Entwicklung eines Oeuvres nachvollziehbar machen. Er sollte die Breite eines künstlerischen gleichen Motiven präsentieren? Sie dienten den Malern zur Vorberei- Schaffens belegen und seine besondere Meisterschaft. Einige Werke tung großformatiger Gemälde. Ein Nutztiermaler musste nämlich nicht sollten das Charakteristische der Epoche aufweisen, ihre typischen nur die Tiere und ihre unterschiedlichen Rassen malen können. Er Merkmale und Themen. Im einen oder anderen Fall könnte auch ein muss auch die Pflanzen kennen und darstellen können, die die Tiere ganzer Werkkomplex erhalten bleiben. Regionale Bezüge, sofern vor- fressen. Er muss den Boden wiedergeben können, auf dem diese Pflan- handen, sind immer von Interesse. Hinsichtlich der Zeichnungen soll- zen wachsen, den Hang, auf dem die Tiere weiden, die Bäume und ten jene gesichert werden, die als Vorarbeiten für wichtige Gemälde Sträucher, die dort stehen. Anton Braith hat sich ausgiebig um sol- dienten. Damit verbliebe ein Umfang von 10 bis 15 % in den Magazi- chen Realismus bemüht und dafür zahllose Ölstudien und Zeichnun- nen, für Anton Braith in der Summe immer noch mehr als 100 Werke. gen geschaffen. Allerdings sind die meisten Motive topografisch nicht Der Rest sollte entsorgt werden. Die heutigen Möglichkeiten des digi- zuzuordnen. Wofür könnten sie künftigen Generationen dienen? Um talen Abbilds mögen Entscheidungen erleichtern, aber sie entlasten die Arbeitsweise des Künstlers anschaulich zu machen reichen locker einen nicht vor schmerzhaften Schnitten. Entsammeln heißt auf Voll- zwei Dutzend. ständigkeit zu verzichten. Wäre Vollständigkeit eine unabdingbare Voraussetzung um zu Erkenntnissen zu gelangen, so hätte das meiste, Der Künstlernachlass – eine Schatztruhe? das historisch auf uns überkommen ist, keine Aussagekraft. Das Ver- Eine irrige Annahme, nicht nur für die beiden Nachlässe. Für Künst- gangene hat sich niemals vollständig erhalten. Geschichte ist voller lernachlässe ist charakteristisch, dass sie überwiegend Werke zweiter Lücken, dennoch gewinnt man aus ihr Erkenntnisse. und dritter Güte enthalten. Weshalb? Weil die meisten guten Werke zu Lebzeiten verkauft werden. Sie begründen das Renommee der Künstler Stoppen und trennen und etablieren den Preis für ihre Werke. Kein Künstler wird seine her- Entsammeln heißt auch Sammlungsziele zu stoppen und aufzugeben. vorragenden Werke lange zurückhalten, schließlich will er die Öffent- Das Museum Biberach als Mehrspartenmuseum sammelt seit Jahren lichkeit von seinen Fähigkeiten überzeugen. In der Regel gehen die keine Radios, keine Fotoapparate, keine Münzen, Puppenstuben, besten Werke in den Umlauf, sie gehen auf Ausstellungen, werden auf Holzmodel, Kostüme, Trachten, Waffen und auch keine Möbel mehr. Einladungen oder in Katalogen abgebildet, werden verkauft und wan- Vieles, was in der Vergangenheit zusammengetragen wurde, wird dern in private und öffentliche Sammlungen. Was als Nachlass an die Museen übergeben wird, ist meist nur der Rest, der beim Künstler verblieben ist.2 Weil Nachlässe selten in das Licht der Öffentlichkeit gelangen, hält sich hartnäckig das Versprechen, man habe einen Schatz geborgen. Was könnte mit zweit- und drittrangigen Werken geschehen? Soll man sie weitere 100 Jahre klimatisieren und künstlich am Leben erhalten? Welche Möglichkeiten bieten sich? Eine Idee wäre es sie an interessierte Museen abzugeben. Wie viele Werke würden dadurch den Standort wechseln? Vielleicht 20 oder 30, sofern Museen an Werken zweiter Güte interessiert sind. Das Problem wäre danach nur minimal Foto: Wikimedia Commons kleiner. Soll man sie verkaufen? Sofern man sich hierzu entscheiden würde, wäre höchste Eile geboten. Seit 40 Jahren sinken die Preise für Werke der Münchner Malerschule kontinuierlich. Für Werke Braiths liegen sie heute bei weniger als einem Drittel und es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass sich dieser Trend umkehrt. Manches Bild von
museumsbrief print_Layout 1 09.07.20 16:06 Seite 5 3 die durch Aufbewahren nach zwei Generationen zu hochwertigen Old- timern werden. Ebenso reifen Bestände nicht wie ein Wein in Folge klimatisierter Kellerlagerung. Für Kunstwerke in Depots gilt: aus dem Auge aus dem Sinn. Deshalb ist eine Auswahl unumgänglich und braucht es Weiteres als nur Kunst Sind Verkäufe erlaubt? Die Statuten des International Councils of Museums (ICOM) und des Deutschen Museumsbundes betonen, dass Museen einen öffentlichen Sammlungsauftrag haben, aber sie haben keinen Auftrag alles für im- mer aufzubewahren. Für den Fall einer Abgabe von Sammlungsteilen sehen sie vor, dass diese zuerst in ihrem Gesamtzusammenhang ge- würdigt werden und bevorzugt Museen und kommunalen Einrichtun- Foto: Wikimedia Commons gen zur Übernahme anzubieten sind. Und: „Wird ein finanzieller Erlös erzielt, ist dieser zwingend dem Sammlungsetat zuzuführen.“3 Dies soll verhindern, dass die Sammlung zur Verfügungsmasse kommuna- ler Haushaltsarithmetik wird. nicht fortgesetzt. Einzelne Sammlungsteile wurden an Museen und Wir leben nicht in Mangelzeiten Gemeinden abgegeben, andere harren ihrer Ausinventarisierung. Eine Die Übernahme von größeren Nachlassteilen war in der Vergangenheit Verantwortung für die Sammlung umfasst das Ablehnen von Schen- häufig einem Mangel geschuldet. Es war für Museen eine Möglichkeit kungen, den Verzicht auf austauschbare Belegexemplare. Sofern sie den Bestand zu erweitern, quasi im Tausch gegen Depotfläche. Die dennoch ins Museum gelangen, was häufig nicht zu vermeiden ist, so meisten kommunalen Sammlungen entstanden so. Allerdings leben könnten sie mit Zustimmung der Spender entgegengenommen, aber wir in Zeiten des Überflusses. Überfluss nicht nur an Dingen, Über- nicht inventarisiert werden. Sie könnten bspw. auf einem jährlichen fluss auch an Kunst. Die Anzahl an Künstler/innen ist enorm, die Ob- Flohmarkt zusammen mit alten Rahmen, grafische Dubletten, ausge- jektfülle für Archive kaum zu bewältigen. Welche Kunst und welche musterten Mineralien, beschädigten Tierpräparaten etc. abgegeben Künstler/in sollen die Museen sammeln? Die Antwort fällt schwer. werden, der Verkaufserlös würde dem Förderkreis des Museums zu- Wir wissen weniger als zuvor, was in der Zukunft von Interesse sein gutekommen. könnte. Die Kunst ist international geworden, die künstlerischen Kon- zepte mannigfaltig, die Materialien vielgestaltig. Es gibt „mittlerweile Manches fehlt nicht nur zu viel Kunst, sondern auch zu viel gute Kunst“ bilanziert Mit der Übernahme der Nachlässe und der Künstlersalons von Braith Franz-Josef Sladeczek.4 Kunstwerke sind zwar Unikate, aber es sind und Mali haben die Verantwortlichen Entscheidungen getroffen, die eben keine knappen Güter mehr. Ich plädiere deshalb dafür, dass mehr dem Museum Biberach bis heute zum Vorteil gereichen, aber auch als bisher das Museumsdepot als eine Art Zwischenlager verstanden Sorgen bereiten. Sie haben sich lediglich für Kunst interessiert und wird. Es sollte eine Praxis selbstverständlich werden, wonach es im Anderes ausgeschlossen. So finden sich unter den vielen Dingen, die Abstand von 30 oder 40 Jahren erforderlich wird, die Sammlungsbe- aus München nach Biberach kamen, keine schriftlichen Dokumente stände nach dem Vier-Augen-Prinzip streng zu durchforsten und sich und nur sehr wenige persönliche Gegenstände. Dabei wäre es interes- auch von Teilen zu trennen. Solche wiederkehrenden Beurteilungen sant etwas darüber zu erfahren, ob die beiden Maler angesichts ihrer braucht es, weil Museumsdepots zwar dem materiellen Verfall entge- unglaublichen Produktion Helfer hatten und an wen sie ihre Kunst genwirken, nicht aber dem ideellen. Mit dem Entsammeln wird Platz verkauft haben. Es wäre von Interesse etwas über das Leben eines für neue Bestände geschaffen. Und es kann Vielfältiges aufgenommen schwulen Paares im Münchener Künstlermilieu des späten 19. Jahr- werden. Dadurch erhalten Dinge, die noch keinem Kanon entspre- hunderts zu erfahren – wie die beiden Maler 40 Jahre lang in einer chen, eine Chance zu dauerhaften Sammlungsteilen zu werden. Ande- „Männerfreundschaft“ lebten, mit wem sie Kontakte pflegten usw. re Güter werden aus ihrer Immobilität gelöst. Das Depot wird stärker Nichts davon kann man mit den riesigen Nachlässen belegen – eine ein Arbeitsspeicher als ein Verwahrort. einzige Schachtel mit Schriftstücken wäre da von großem wissen- schaftlichem Nutzen. 1Dirk Boll: Weniger ein Plädoyer als eine Bestandsaufnahme, in: Olaf Zimmer- mann, Theo Geißler (Hg.): Altes Zeug: Beiträge zur Diskussion zum nachhaltigen Keine Spekulation Kulturgutschutz, Berlin 2016, S. 176. Sammlungsbestände eignen sich nicht zum Spekulieren. Die Verant- 2 Uwe Degreif: Teilen und sichern. Argumente gegen den vollständigen Erhalt, in: wortlichen in den Museen dürfen nicht zu stillen Verbündeten der Künstlerbund Baden-Württemberg (Hg.): Was bleibt? Konzepte für den Umgang Künstler oder ihrer Nachlassverwalter werden, wenn diese auf Preis- mit Künstlernachlässen, Freiburg 2015, S. 37- 43. stabilität oder gar auf eine spätere Wertsteigerung hoffen. Es gilt: Hat 3Deutscher Museumsbund: Nachhaltiges Sammeln. Ein Leitfaden zum Sammeln der Künstler oder die Künstlerin zu Lebzeiten keine Bedeutung er- und Abgeben von Museumsgut, Berlin/Leipzig 2011, S. 28. langt, so werden sie diese mit ihrem Ableben nicht mehr erreichen. 4 Franz-Josef Sladeczek, Sandra Sykora: After Collecting. Leitfaden für den Künst- Der berühmte van-Gogh-Effekt, zu Lebzeiten verkannt, nach dem lernachlass, Zürich 2013, S. 125. Tod ein Superstar, ist ein Phänomen des ausgehenden 19., nicht des 20. Jahrhunderts. Mir ist kein Künstler bekannt, dessen Werke durch * Der Autor war von 1997- 2020 Kurator am Museum Biberach und hat mehrere Einlagern in ein Museum an Wert gewonnen haben. Das Gegenteil ist private Künstlernachlässe geordnet. In etwas ausführlicherer Form ist der Aufsatz der Fall. Museumsdepots sind keine Garagen für ausrangierte Autos, in Heft 2 der »Schwäbischen Heimat« 2020 erschienen.
museumsbrief print_Layout 1 09.07.20 16:06 Seite 6 4 museums.intern Nach 24 Jahren kontinuierlicher Ausstellungs- arbeit und Sammlungspräsentation in den historischen Räumen von Schloss Bönnigheim, geht die Sammlung neue Wege mit dem Ziel Lehre, Forschung und das Ausstellen der Kunstwerke unter optimalen und zukunfts- weisenden Gesichtspunkten langfristig zu ge- Foto: Kreisarchiv Esslingen / Horst Guth währleisten. Die Zusammenarbeit mit inter- nationalen Museen und Kuratoren wird wie bisher fortgeführt. In den letzten Jahren waren bedeutende Exponate der Sammlung Zander in Ausstellungen u. a. im Museum Folkwang, Essen, der National Gallery, Washington DC und im Los Angeles County Museum zu sehen. Das Freilichtmuseum Beuren ist eines von vier Museen im Coachingprogramm »Museen im Wandel II«. Weitere Ausstellungs-Kooperationen sind in Planung, u. a. mit dem Peggy Guggenheim Coachingprogramm Maßnahme nachhaltig zu unterstützen und Museum, Venedig. Alle Kunstwerke bleiben »Museen im Wandel II « Erfahrungen für die anderen Museen in Ba- im Rahmen von Ausstellungsprojekten und Wie wichtig und entscheidend Digitalisierung den-Württemberg zu sammeln. Aufgrund der zu Forschungszwecken zugänglich. ist, wurde in den letzten Wochen mehr als Corona-Pandemie muss „Museen im Wandel www.sammlung-zander.de deutlich. Aufgrund der Corona-Pandemie II“ zunächst ausschließlich im digitalen Raum wurden Konferenzen, Konzerte und Kinovor- stattfinden. Mit passgenauen Coachings, stellungen digital abgehalten, auch Museen Workshops und Online-Seminaren, die auf Keltenkonzeption des Landes erhält haben sich vermehrt im Digitalen sichtbar die individuellen Bedürfnisse der Häuser ein- Unterstützung vom Bund gemacht. Damit die aktuellen Möglichkeiten, gehen, sollen die Mitarbeiter*innen der Mu- neue digitale Formate auszuprobieren, nach- seen Kompetenzen beim zielgruppengerech- Der Bund wird im Rahmen seines Programms haltig wirken können, unterstützt die Me- ten Einsatz digitaler Technologien gewinnen. „Investitionen für nationale Kultureinrich- dien- und Filmgesellschaft Baden-Württem- Bei zwei Plattform-Veranstaltungen haben tungen“ zwei bedeutende keltische Fundstät- berg (MFG) durch das Angebot maßgeschnei- alle Museen in Baden-Württemberg Gelegen- ten in Baden-Württemberg fördern. Für die derter Programme. Mit dem Coachingpro- heit, Einblicke in die Projektprozesse zu be- Kultur- und Erlebnisangebote, die am Ipf in gramm „Museen im Wandel II“ der MFG kommen, Kontakte mit Expert*innen zu Bopfingen sowie am Heidengraben auf der werden nun im Auftrag des Ministeriums knüpfen und sich auszutauschen. Bei mehre- Schwäbischen Alb entstehen sollen, wurden für Wissenschaft, Forschung und Kunst und ren öffentlichen Workshops und Webinaren Zuschüsse von 918.000 Euro bzw. 2 Mio. Euro in Partnerschaft mit der Landesstelle für können sie ihr Fachwissen vertiefen – etwa in Aussicht gestellt. Zusätzlich wird auch das Museumsbetreuung Baden-Württemberg vier im Bereich Content-Strategie, Video-Kampa- Urgeschichtliche Museum Blaubeuren, in dem nichtstaatliche Museen in Baden-Württem- gnen oder digitale Tools – und von den Er- Originalfunde aus dem UNESCO-Welterbe- berg zielgerichtet gefördert. „Museen im fahrungen anderer Museen profitieren. Gebiet „Höhlen und Eiszeitkunst der Schwä- Wandel II“ bietet von Mai 2020 bis Mai 2021 https://kreativ.mfg.de bischen Alb“ zu sehen sind, mit einem Zu- ein bedarfsgerechtes Paket an Coachings, schuss von 175.000 Euro gefördert. Die Kel- Netzwerkveranstaltungen und Expert*innen- tenstätten am Ipf und am Heidengraben sind Workshops sowie ein Budget zur initialen Bestandteil der Keltenkonzeption des Landes Sammlung Zander verlässt Bönnigheim Umsetzung der individuell entwickelten Ide- Baden-Württemberg, die das keltische Erbe en für kleine und mittelgroße Museen an. Die Mit rund 4.500 Arbeiten aus dem Bereich der des Landes an den Fundstätten besser sicht- mittlerweile vierte Runde der MFG Coaching- Naive, Outsider Art und Volkskunst ist die bar machen und stärker vernetzen soll. Ne- Reihe für Museen unterstützt die Häuser da- Sammlung Zander in ihrer Ausrichtung ein- ben dem Heidengraben und dem Ipf fördert bei, publikumsorientierte digitale Angebote zigartig. Die Galeristin Charlotte Zander das Land auch Keltenmuseum in Hochdorf. In zu entwickeln und digitalstrategisch auszu- (1930-2014) hat die Sammlung in über 60 einer zweiten Phase sollen Fundstätten und richten. Neu ist, dass sich neben den regulä- Jahren zusammengetragen. Schwerpunkt sind Museen in weiteren Regionen des Landes ge- ren und individuellen Coaching-Terminen für bedeutende Konvolute von Klassikern der fördert werden. die vier ausgewählten Museen offene Wei- Naive wie André Bauchant, Camille Bombois, terbildungsveranstaltungen an alle Museen in Morris Hirshfield, Séraphine Louis, Henri Baden-Württemberg richten. Für das Coa- Rousseau, Adalbert Trillhaase, Louis Vivin Forscher identifizieren chingprogramm hat eine Fachjury folgende oder Alfred Wallis. Seit 1996 war die Samm- Urzeit-Salamander Einrichtungen ausgewählt: die Forscherfabrik lung im Schloss Bönnigheim untergebracht. Schorndorf, das Freilichtmuseum Beuren, das 37 Themen- und monografische Ausstellun- Der Ursprung der heutigen Amphibien - Frö- Museum Humpis Quartier in Ravensburg so- gen wurden seitdem dort gezeigt. Nach dem sche, Salamander und Blindwühlen – ist bis wie das Museum Ritter der Marli Hoppe-Rit- Tod der Sammlerin Charlotte Zander 2014, heute rätselhaft. Das liegt vor allem daran, ter-Stiftung in Waldenbuch. Ziel des Coa- wurde die Sammlung in eine gemeinnützige dass er über 330 Millionen Jahre zurückreicht ching-Projekts ist es, die vier Museen bei der GmbH eingebracht. Seitdem ist die Tochter und die Skelette der Amphibien-Urahnen Entwicklung und Umsetzung einer digitalen Susanne Zander Geschäftsführerin der gGmbH. meist winzig klein und deshalb fossil kaum
museumsbrief print_Layout 1 09.07.20 16:06 Seite 7 museums.personalia 5 erhalten sind. Zwei 220 Millionen Jahre alte Im Museum Biberach hat im Mai mit Dr. Ju- stücke nach Pforzheim zu holen oder Teile Urzeitfunde aus Kirgisien konnten Dr. Rainer dith Bihr eine neue Kunsthistorikerin ihre der Sammlung weltweit zu präsentieren. Falk Schoch, Wissenschaftler am Naturkundemu- Stelle angetreten. Die 1984 geborene Nachfol- war bis zuletzt als Ausstellungskurator tätig. seum Stuttgart, und zwei weitere Kollegen gerin von Dr. Uwe Degreif , der Anfang April jetzt als ältesten Salamander der Welt identi- in den Ruhestand getreten ist, wurde 2014 fizieren. Die Fossilen aus der Zeit der Trias mit einer Arbeit über „Ornamentale Struktu- Der neue Stadtarchivar in Renningen ist seit sind wissenschaftlich sehr bedeutend, da sie ren in der ägyptischen Kunst der Gegenwart“ Anfang April Dr. Christian Kübler . Er be- einen Missing-Link in der Evolution der an der Universität Köln promoviert und hat treut auch das archäologische Museum vor Amphibien liefern. Die Ergebnisse ihrer For- anschließend ein Volontariat am Zentrum für Ort. Kübler ist Nachfolger von Mathias Gra- schungsarbeit haben die Paläontologen Dr. Kunst und Medien Karlsruhe absolviert. ner , der nach Weil der Stadt gewechselt hat. Rainer Schoch, (Naturkundemuseum Stutt- Kübler hat in Tübingen mittelalterliche Ge- gart/ SMNS), Dr. Ralf Werneburg (Naturhis- schichte studiert sowie im Nebenfach neuere torisches Museum Schleusingen) und Dr. Se- Seit Mai leiten Çağla İlk und Misal Adnan und neueste Geschichte und ArchäologieNoch bastian Voigt (Urweltmuseum Geoskop) nun Yıldız die Staatliche Kunsthalle Baden-Baden, während seines Studiums legte Christian in der Fachzeitschrift Proceedings of the Na- nachdem Johan Holten im Herbst die Leitung Kübler seinen Schwerpunkt auf die Landes- tional Academy of Sciences (PNAS) veröffent- der Kunsthalle Mannheim übernommen hat. geschichte, schließlich promovierte er am In- licht. Bei einer von Sebastian Voigt organi- İlk (43) hat an der Technischen Universität stitut für geschichtliche Landeskunde, wo er sierten wissenschaftlichen Grabung in Kir- Berlin und an der Mimar Sinan Universität auch lange Zeit arbeitete. Seit 2018 war er am gisien wurde ein hochinteressantes Fossil Istanbul Architektur studiert und war bis vor Freilichtmuseum Beuren angestellt. An der kurzem als Dramaturgin und Kuratorin am Stelle in Renningen hat ihn die Kombination Maxim Gorki Theater in Berlin tätig. Daneben aus Museums- und Archivarbeit gereizt. war İlk als Ausstellungskuratorin tätig. Misal Adnan Yıldız (40) studierte Psychologie und Erziehungswissenschaften an der Boğaziçi Anfang März hat Prof. Dr. Astrid Pellen- Universität in Istanbul und absolvierte an- gahr die Direktion des Landesmuseums Würt- schließend das Curatorial Studies-Programm temberg übernommen. Sie ist Nachfolgerin Curatorlab an der Konstfack University of von Prof. Dr. Cornelia Ewigleben . Astrid Foto: T. Wilhelm SMNS Arts, Crafts and Design in Stockholm. Yıldız Pellengahr studierte Kulturwissenschaften war als Kurator an verschiedenen Einrichtun- und Soziologie an der Ludwigs-Maximilians- gen tätig, u.a. am Künstlerhaus Stuttgart und Universität München. Im Jahr 2000 hat sie Artspace Aotearoa in Auckland/Neuseeland. dort ihre Promotion abgeschlossen. Nach Lei- tung des Stadtmuseums Kaufbeuren und des Rainer Schoch mit dem fossilen Salamander Triassurus SMNS Deutschen Jagd- und Fischereimuseums in In Offenburg hat Anfang Mai Dr. Wolfgang München wechselte sie 2014 zum Bayerischen entdeckt, das der Forscher seinen Kollegen Reinbold , seit 2001 bei der städtischen Pres- Landesamt für Denkmalpflege als Leiterin der Dr. Rainer Schoch und Dr. Ralf Werneburg se- und Öffentlichkeitsarbeit tätig, die Nach- Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen zeigte. Die Paläontologen sahen Ähnlichkei- folge von Dr. Wolfgang M. Gall als Abtei- in Bayern. ten mit einem weiteren Fund aus den 220 lungsleiter Museum im Ritterhaus und Stadt- Millionen Jahre alten Schichten von Madygen archiv angetreten. Reinbold ist promovierter in Kirgisien, der in Moskau aufbewahrt wird. Historiker und hat seit 2011 die Pressestelle Im Mai ist der langjährige Leiter des Archivs Nach mehreren Untersuchungen stellte sich zusammen mit Heidi Haberecht geleitet. Er und der Museen der Stadt Göppingen Dr. heraus, dass der neue Skelettfund und das betreute seit 2005 für Frau Schreiner den neu Karl-Heinz Rueß in den Ruhestand getre- Stück in Moskau von derselben Art stammen, gegründeten Eurodistrikt Straßburg-Ortenau ten. Der 1954 in Erbach bei Ulm gegorene Triassurus sixtelae. „Obwohl der Urzeit-Sala- und war viele Jahre für die sechs Partner- Historiker und Archivarhat empirischen Kul- mander nur fünf Zentimeter groß ist, liefern städte Offenburgs mit verantwortlich. turwissenschaft und Erziehungswissenschaft die Fossilien von Triassurus sixtelae sehr an der Eberhard Karls Universität Tübingen viele neue Erkenntnisse für unsere Untersu- studiert und 1983 abgeschlossen. Im gleichen chungen zum Ursprung der Amphibien. Wir Ende April ist der ehemalige Leiter des Pforz- Jahr übernahm Rueß die Archivleitung in sind einen Schritt weiter bei der Erforschung heimer Schmuckmuseums Dr. Fritz Falk ver- Göppingen. 1989 wurde er mit einer Arbeit der Evolution der Frösche und Salamander. storben. Der Goldschmiedemeister und pro- Zur Geschichte des Kommunalen Wohnungs- Mein Leben lang habe ich von so einem Fund movierte Kunsthistoriker prägte das kulturelle baus für Arbeiter promoviert. Von 1993 bis geträumt.“, freut sich Rainer Schoch, Experte Leben Pforzheims über 35 Jahre maßgeblich 2000 war er Präsident des Museumsverban- für Saurier und fossile Amphibien am Natur- mit. Von 1969 bis 2004 war Falk am Schmuck- des Baden-Württemberg. Karl-Heinz Rueß ist kundemuseum Stuttgart. Denn Triassurus six- museum tätig. Durch seine Sammlungspolitik in zahlreichen historischen Vereinigungen telae besitzt neben den Salamander-Merk- legte er den Grundstein für das, was die Be- ehrenamtlich tätig. Er ist Herausgeber und malen auch Eigenschaften ursprünglicher stände des Hauses als renommiertes Museum Autor zahlreicher historischer Schriften. Amphibien, die ebenso Hinweise auf die Her- für Schmuckkunst heute ausmacht, und er kunft der heutigen noch lebenden Amphibien begründete dessen internationalen Ruf. Durch insgesamt geben. die guten Kontakte des international geschätz- Im Dezember vergangenen Jahres ist der lang- www.naturkundemuseum-bw.de ten Experten gelang es, kostbare Schmuck- jährige Leiter der Restaurierungswerkstätten
museumsbrief print_Layout 1 09.07.20 16:06 Seite 8 6 museums.porträts des Württembergischen Landesmuseums Fritz frühen 20. Jahrhundert. Neuerdings steht ein Weihs im Alter von 97 Jahren verstorben. Audioguide den Besuchern zur Verfügung, der Weihs war 1952 als Restaurator für Gemälde an 20 Stationen Informationen wichtige Ex- und Skulpturen an das Haus gekommen. Zu ponate erläutert und Hintergrundgeschichten seinen ersten Aufgaben zählten damals die zu den Ausstellungsstücken liefert. Daneben Rückführung der im Krieg verlagerten Sam- bietet das Museum auch eine App an, die auf melbestände des Museums und der Wieder- dem eigenen Smartphone oder auf einem aufbau der ersten Schausammlungen im Al- ausleihbaren Tablet digitalen Kontext zu den ten Schloss in Stuttgart. In Zusammenarbeit Ausstellungsstücken bereitstellt. Doch auch mit Prof. Albert Walzer war Weihs über viele das reguläre Führungsprogramm durch Mu- Jahre für den Aufbau zahlreicher Heimatmu- seumsmitarbeiter hat sein Publikum – nur seen in ganz Württemberg verantwortlich hier werden einzelne Uhren und Musikspiel- und ebenso für die Ausstattung der seit den automaten „live“ in Betrieb genommen. 1960er Jahren gegründeten Zweigmuseen des Öffnungszeiten: Di bis So 10 –18 Uhr WLM. Auch an der legendären Staufer-Aus- Junghans Terrassenbau Museum stellung im Jahr 1977 hat Weihs als Chefres- Lauterbacher Straße 68, 78713 Schramberg taurator an entscheidender Stelle mitgewirkt. Telefon 07422/560050 1986 trat Fritz Weihs nach 34 Dienstjahren www.junghans-terrassenbau.de am Landesmuseum in den Ruhestand. Was wäre wenn … Im März ist der ehemalige Direktor des Badi- Haldenhof anno 1847 schen Landesmuseums Prof. Dr. Harald Sie- benmorgen verstorben. 1949 in Koblenz ge- Eine Inkunabel der Neuhausen ob Eck, Freilichtmuseum boren, hatte Siebenmorgen in Freiburg Kunst- Industriearchitektur geschichte, Germanistik, Klassische Archäo- Das Freilichtmuseum Neuhausen ob Eck prä- logie und Soziologie studiert. Nach der Pro- Schramberg, Junghans Terrassenhaus sentiert eines seiner prominentesten Gebäude, motion mit einer Arbeit über die Beuroner den 350 Jahre alten Haldenhof aus Schonach Kunstschule arbeitete er ab 1979 als wissen- Der Junghans Terrassenbau, eine Inkunabel im Schwarzwald, in Form einer virtuellen schaftlicher Mitarbeiter im Mannheimer Reiß- der Industriearchitektur, geplant von dem be- Bewohnergeschichte, die sich einen Tag vor- Museum. Von 1981 bis 1986 war er stellvertre- kannten Stuttgarter Architekten Philipp Jakob nimmt: Montag, den 28. Juni 1847. Bauer Hock tender Leiter der Landesausstellung „Stadt im Manz (1861–1936), bietet den idealen Rahmen und seine Kinder, die Magd, der Knecht und Wandel“ in Braunschweig, von 1986 bis 1991 für einen Ausflug in die Geschichte der das Hütekind erzählen vom gemeinsamen Le- Direktor des Hällisch-Fränkischen Museums Schwarzwalduhren, der Uhrenfabrik Junghans ben auf dem Hof und vom Umgang mit einem in Schwäbisch Hall und der Städtischen Gale- und der damit verbundenen Zulieferindustrie. tragischen Ereignis. Denn eine Person fehlt… rie. Von 1991 bis 1993 amtierte er als Präsident Im ersten Weltkrieg errichtet, ist das mar- Für die Familie ist 1847 kein einfaches Jahr. des Museumsverbandes Baden-Württemberg. kant die steile Hanglage nutzende ehemalige Vielerorts sind in Baden die Ernten schlecht Von 1992 bis zur Pensionierung 2014 war er Werksgebäude wieder ein Wahrzeichen der ausgefallen, und dann wird im Sommer die Direktor des Badischen Landesmuseums in Stadt Schramberg. Die schmalen langen Räu- Bäuerin krank; „Lungenleiden“ lautet die Karlsruhe. me sind so gestaltet, dass fast alle Arbeits- Diagnose. Am 27. Juni 1847 erliegt sie der plätze direkt am Fenster lagen. So boten die Krankheit. Was passiert auf einem Schwarz- neun Etagen Tageslicht für alle Beschäftigten waldhof, wenn die Bäuerin stirbt? Sieben Be- Anfang Mai hat Dr. Dominik Gerd Sieber in und eigneten sich ideal für die Fertigung wohner des Haldenhofs erzählen, berichten Göppingen die Nachfolge von Dr. Karl-Heinz feinmechanischer Produkte. Nachdem in den von ihren Sorgen, aber auch von Hoffnungen Rueß als Leiter des Stadtarchivs und der städ- 1970er Jahren die letzten Monteure ausgezo- und Träumen. Das Leben ist nicht leicht, ge- tischen Museen angetreten. Der aus Kempten gen waren, fiel das Gebäude in einen Dorn- rade für die Frauen oder wenn man arm ist. stammende 39-jährige Historiker hat nach röschenschlaf. Erweckt wurde der Terrassen- seiner Ausbildung zum Bürokaufmann Neue- bau vom neuen Junghans-Eigentümer Hans- Der Haldenhof an seinem ursprünglichen Standort re Geschichte, Ur- und Frühgeschichte und Jochem Steim, der nach einer aufwändigen über dem Triberger Bahnhof Archäologie des Mittelalters studiert und mit Sanierung des Gebäudekomplexes in den Jah- der Arbeit über katholische und protestanti- ren 2016 bis 2018 hier durch das Stuttgarter sche Sepulkralkultur in den oberschwäbi- Atelier Brückner ein neues Museum zur Ge- schen Reichsstädten in der Frühen Neuzeit schichte der Schwarzwalduhr einrichten ließ. promoviert. Nach einigen Jahren als wissen- Neben Stücken aus der Junghans-Werks- schaftlicher Mitarbeiter an der Universität sammlung bildet die von Hans-Jochem Steim Tübingen arbeitete er als kommunaler Ar- erworbene Sammlung von Heinrich Engel- Foto: Norbert Hock chivpfleger für den Landkreis Sigmaringen mann aus Vechta den Grundstock zu der zeigt und zuletzt als Leiter der Erzbischöflichen insgesamt rund 300 Exponate umfassenden Archivstelle in Sigmaringen. Präsentation zur Entwicklung der Uhrenher- stellung im Schwarzwald vom 18. bis zum
museumsbrief print_Layout 1 09.07.20 16:06 Seite 9 7 Nicht jeder hat gute Chancen. Aber träumen kostet nichts, und vielleicht wird ja doch ein- mal alles besser. Natürlich erscheint die Fami- lie nicht wirklich selbst – es sind Laienschau- spieler aus dem Schwarzwald, die in mehre- ren kurzen Filmen das Leben im Haldenhof des Jahres 1847 zum Leben erwecken. Wichti- ge erste Hinweise darauf, wer dort Mitte des 19. Jahrhunderts lebte, gaben die Unterlagen zur Translozierung des Gebäudes ins Frei- lichtmuseum in den 1980er Jahren. Allerdings konnten diese allein viele Fragen nicht be- antworten, die die Museumswissenschaftler interessierten: „Unsere Vorgänger hatten anderer Ort in dessen Biografie und Rezep- Öffnungszeiten: Mo und Do bis So schon herausgefunden, wer zu welcher Zeit tionsgeschichte ein. Für Tübingen ist der 11 –17 Uhr, Mi 11 –19 Uhr den Haldenhof besaß. Vom Gesinde – Mäg- Hölderlinturm ein Wahrzeichen, das die Universitätsstadt Tübingen den, Knechten, Hütekindern – hatten wir kei- Stadtkulisse prägt. Im April 2018 begannen Hölderlinturm, Bursagasse 6, 72070 Tübingen ne Nachweise. Wenn man im 20. Jahrhundert die umfangreichen Bauarbeiten im und am Telefon 07071/204-1860 recherchiert, gibt es Menschen, die ihre Erin- Hölderlinturm, die rechtzeitig zur Wiederer- www.hoelderlinturm.de nerungen erzählen können. Im 19. Jahrhun- öffnung im Februar 2020 abgeschlossen wur- dert haben wir kaum eine Chance, etwas über den. Dabei legten die Architekten des Stutt- das Leben von einzelnen Personen herauszu- garter Büros Coast großen Wert auf eine Ein herrschaftliches Gebäude finden – in diesem Fall über die Familie Hock, behutsame Sanierung in enger Abstimmung aus dem Nordschwarzwald aus der die letzten Besitzer des Haldenhofs mit dem Denkmalamt. Die Räume im Turm stammten.“ Akribisch wurden Archivdoku- wurden nur geringfügig verändert, um Bezü- Gutach, Schwarzwalder Freilichtmuseum mente wie Familien- oder Kirchenbücher nach ge zur Lebenssituation Hölderlins im mehr- Vogstbauernhof Hinweisen auf Hochzeiten oder Todesfälle fach umgebauten Turm wiederherzustellen. der Familie Hock untersucht. Aber auch In- Verschlossene Durchgänge wurden geöffnet Mit dem sog. Schlössle von Effringen gelang- formationen zum alltäglichen Leben damals und vorhandene erweitert, um die Räume te 2017/18 das erste Gebäude aus dem Nord- wurden zusammengetragen. Daraus haben möglichst durchlässig zu erschließen. Die schwarzwald in das Schwarzwälder Freilicht- die Ausstellungsmacher jetzt interessante neue Dauerausstellung widmet sich Hölder- museum Vogtsbauernhof. Das heutige Er- Fakten und Anekdoten zusammengetragen. lins Leben im Turm (1807-1843), seinen Be- scheinungsbild des im Kern mittelalterlichen Wie war das mit dem Heiraten und Kinder- suchern, der Schönheit seiner Turmgedichte Bauwerks entspricht seinem Zustand nach kriegen eigentlich früher? Wer erbte den Hof? und der Fürsorge, die er hier durch die Fami- der letzten großen Umbauphase in den Jahren Und warum wanderten eigentlich so viele lie Zimmer empfing – und sie lässt die viel um 1880. Das massiv gemauerte, zweige- junge Leute nach Amerika aus? Der Halden- diskutierte Frage nach Hölderlins geistigem schossige Gebäude mit großräumigen Stal- hof wurde komplett neu mit einer Einrich- Zustand bewusst unbeantwortet. Sie beleuch- lungen im Erdgeschoss und großzügigen tung anno 1847 eingerichtet, und wer genau tet aber auch Hölderlins Tübinger Studien- aufpasst, kann die Vergangenheit sogar rie- jahre (1788–1793), in denen er erste Gedichte chen… Die innovative Ausstellung im Haus veröffentlichte und mit den späteren Philo- des Jahres wurde mit Sonderfördermitteln sophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel und des Ministeriums für Wissenschaft, For- Friedrich Wilhelm Joseph Schelling im Stift schung und Kunst finanziert. die revolutionären Ereignisse in Frankeich Öffnungszeiten bis 25. Oktober: diskutierte. Im Garten des Hölderlinturms, Di bis So 9–18 Uhr der von der Wüstenrot-Stiftung zum Jubilä- Freilichtmuseum umsjahr 2020 neu angelegt wurde, setzt sich Museumsweg 1, 78579 Neuhausen ob Eck die Ausstellung fort. Den Rhythmus seiner Telefon 07467/1391 (Museumskasse) Gedichte soll Hölderlin im Gehen entwickelt www.freilichtmuseum-neuhausen.de haben. Auf einer eigens dafür angelegten Ge- dichtlaufstrecke kann selbst erprobt werden, Raummaßen im Obergeschoss weist histori- welche Laufgeschwindigkeit zu Hölderlins sche Eckdaten sowie eine Hausgeschichte auf, Versen passt. Zum Verschnaufen, Verweilen die es für die Versetzung in das Freilicht- Zum Jubiläumsjahr in neuer Gestalt und Schmökern gibt es am Ende der Strecke museum in hervorragender Weise prädesti- Foto: Markus Niethammer Tübingen, Hölderlinturm einen Lesegarten mit Sitzgelegenheiten. Die nieren. So ist das Gebäude nach dem bisheri- Dauerausstellung wurde von der Arbeitsstelle gen Stand der bauhistorischen Forschungen Rückzugsort und Anziehungspunkt, Ort lite- für literarische Museen, Archive und Gedenk- bis mindestens in das Jahr 1406 zu datieren. rarischer Produktion und Gegenstand litera- stätten in Baden-Württemberg (Deutsches Das Schlössle ist somit eines der ältesten Ge- rischer Rezeption – der Turm, in dem Fried- Literaturarchiv Marbach) in Zusammenarbeit bäude in einem deutschen Freilichtmuseum rich Hölderlin die letzten 36 Jahre seines mit der Universitätsstadt Tübingen und der sowie das einzige ehemals herrschaftliche Lebens verbrachte, schrieb sich wie kein Hölderlin-Gesellschaft kuratiert. Anwesen in einem baden-württembergischen
museumsbrief print_Layout 1 09.07.20 16:06 Seite 10 8 Freilichtmuseum. Die ehemals eigenständige pfarrers, Hymnologen, Dichters und Kompo- Gemeinde Effringen ist seit 1975 Stadtteil von nisten Friedrich Martin Jehle (1844-1941), und Wildberg und liegt im Nagoldtal an der des Vaters Johannes Jehle (1881-1935), Orgel- Schnittstelle des Nordschwarzwalds mit dem bauer, Musikhausgründer, Musikverleger, Pia- Hecken- und Schlehengäu. Der urkundlich nist, Komponist und Dirigent, flossen mit in erstmals im Jahre 1005 erwähnte Ort war be- die Sammlung ein. 1970 kam die Jehle-Samm- gütert vom Kloster Stein am Rhein im heu- lung in den Besitz der Stadt, die sie 1977 auf tigen Kanton Schaffhausen in der Schweiz, drei Stockwerken des Stauffenberg-Schlosses das seinen Meierhof mit Kirche und der Filial- Albstadt-Lautlingen unterbrachte, wo Martin kirche Neubulach 1379 an die Familie Grückler Friedrich Jehle sie bis zu seinem Tod 1982 verkaufte. Es ist zu vermuten, dass die wohl- betreute: Er schrieb den ersten kurz gefassten habende Familie an Stelle des Meierhofes Katalog, er verfasste das erste interne Be- wenige Jahre später einen herrschaftlichen standsverzeichnis, veranstaltete Führungen, Wohnsitz errichtet hat, der im Sprachge- Sonderausstellungen und organisierte im Wertheim am Wasser brauch der Einheimischen bis in die Gegen- Konzertsaal des Schlosses vielbesuchte Mu- Wertheim, Grafschaftsmuseum wart als „Schlössle“ bezeichnet wurde. Nach seumskonzerte. Zum Bestand zählen histori- einer wechselvollen Geschichte – ursprüng- sche Musikinstrumente: vor allem Tasten- Vom Feuer habe Wertheim nichts zu befürch- lich als Burg erwähnt, dann als Pfarrhof ge- instrumente, aber auch Streich- und Zupf- ten, soll einst Martin Luther gesagt haben. nutzt, später zur Hofanlage ausgebaut und instrumente, Holz- und Blechblasinstrumente, Im Wasser aber werde es untergehen. Zum schließlich als Bauernhaus genutzt – wurde Perkussionsinstrumente, Mechanik-Modelle. Glück hat sich die düstere Prophezeiung des das Gebäude im Zustand des Jahres 1972 be- Zur Sammlung gehört eine umfangreiche Bi- Reformators nicht erfüllt. Die Menschen an lassen. Der letzte Eigentümer, ein Sohn der bliothek: Noten, Liederbücher, Gesang-, Cho- Main und Tauber haben gelernt, am und mit letzten Bewohnerfamilie, lebt in einem neu ral- und Messbücher (ab dem 16. Jahrhun- dem Wasser zu leben. Und manchmal auch errichteten Wohnhaus auf dem Nachbar- dert), Fachliteratur auf den Gebieten Musik- im Wasser, wenn die beiden Flüsse wieder grundstück und hat das Schlössle bis zum theorie, Musikgeschichte, Instrumentenbau, einmal über ihre Ufer treten. Das zeigt die gegenwärtigen Zeitpunkt in Eigenleistung Instrumentenbauer, Firmengeschichte, zahl- neue Dauerausstellung „Wertheim am Was- erhalten. Ein Glücksfall für die Wiederein- reiche Fachzeitschriften, Autographen (Kom- ser“, die am 2. März im Grafschaftsmuseum richtung des Gebäudes ist der Umstand, dass positionen, Briefe etc.), außerdem eine um- eröffnet wurde. Die Ausstellungsfläche um- sich die letzten Bewohner des Hauses als fangreiche Sammlung teils handkolorierter fasst rund 300 Quadratmeter. Historische Zeitzeugen noch an die einstige Einrichtung Bilder (ab etwa 1840). Die Bibliothek ist eine Darstellungen, Fotografien und Dokumente und Gesamtanlage erinnern können. Das Präsenzbibliothek. Die Bestände sind in dem sind zu sehen, Zeitzeugenberichte und Artikel Haus wurde bis 1972 bewohnt, was dem Zeit- umfangreichen, von Volker Jehle betreuten lokaler Zeitungen. Ein eigens erstelltes Video schnitt entspricht, der bei der Hauseinrich- Gesamtverzeichnis der Musikhistorischen gibt unter anderem Auskunft über die Zahl tung dargestellt wird. Die Inneneinrichtung Sammlung gelistet, die als PDF von der der Hochwasser in der Stadt und welche Höhe im Stil der 1970 er Jahre wird die Generation Homepage des Museums heruntergeladen diese erreichten. Nicht nur für Kinder dürfte der heute 40- bis 60-Jährigen emotional werden kann. der gemeinsam mit den Wertheimer For- ansprechen und eigene Lebenserinnerungen Öffnungszeiten: Mi, Sa, So und Feiertage scherkids gestaltete „Mitmachraum“ ein be- wecken, die an die nächste Generation wei- 14 –17 Uhr und nach Vereinbarung sonderer Anziehungspunkt sein. Darin finden tergegeben werden können. Musikhistorische Sammlung Jehle sich Uniformteile und Ausrüstungsgegenstän- Öffnungszeiten bis 1. November: Stauffenberg-Schloss de der Feuerwehr für den Hochwasserfall. Täglich 9 –18 Uhr Am Schloss 1, 72459 Albstadt-Lautlingen Gefüllte Sandsäcke vermitteln einen guten Schwarzwälder Freilichtmuseum Vogtsbauernhof Telefon 07431/6041 Eindruck davon, wie schwer die Wertheimer- 77793 Gutach (Schwarzwaldbahn) www.albstadt.de/musikhistorische-Sammlung- innen und Wertheimer daran zu tragen haben, Telefon 07831/93560 jehle wenn ihre Flüsse nicht in den Betten bleiben. www.vogtsbauernhof.de Über lange Zeiten spielten Fischer und Schif- fer eine wichtige Rolle in Wertheim. Beson- ders im Fokus sind die Holzschiffe des 19. und frühen 20. Jahrhunderts auf dem damals Musikalisches Erbe aus Ebingen noch flachen Main. Wertheim bietet aber Albstadt-Lautlingen, auch interessante Geschichten zu „Waschwas- Musikhistorische Sammlung Jehle ser“ und „Abwasser“. Die Ausstellung, deren Erläuterungen zweisprachig gehalten sind, ist Die Musikhistorische Sammlung im Staufen- zum größten Teil barrierefrei. berg-Schloss in Albstadt-Lautlingen wurde Öffnungszeiten: Di bis Fr 10 –12 Uhr von Martin Friedrich Jehle (1914-1982) zu- und 14.30 –16.30 Uhr, Sa 14.30 –16.30 Uhr, sammengetragen: Der Klavierbaumeister und So und Feiertage 14 –17 Uhr Chef des renommierten Musikhauses hatte Grafschaftsmuseum Wertheim seine Sammlung seit 1964 im Rathaus von Rathausgasse 7, 10; 97877 Wertheim Ebingen präsentiert. In die Sammlung flossen Telefon 09342/301-511 die Nachlässe von Jehles Großvater, des Stadt- www.grafschaftsmuseum.de
museumsbrief print_Layout 1 09.07.20 16:06 Seite 11 ausstellungen 9 tionäre des Geistes. In der Euphorie des Neu- heute Maschinen, was Jahrtausende lang mü- anfangs der Weimarer Republik sind die Hoff- hevolle Handarbeit gewesen ist. Erst durch nungen groß, den neuen Menschen in einer die Industrialisierung der Textilproduktion ist freiheitlichen Gesellschaft hervorzubringen. die für uns heute selbstverständliche große Die Kunst soll universal sein: der große Auf- Auswahl an Kleidungsstücken möglich ge- bruch der Gegenwart, Erlebnis und Zukunfts- worden. Im Mittelpunkt der Ausstellung zur vision – von der Hölle des Krieges ins Paradies Kleidung der Alamannen stehen neue Er- einer friedlichen, vergeistigten Menschheit, kenntnisse der Textilarchäologie. Wolle und wie sie die süddeutschen Expressionisten Leinen waren die hauptsächlich verarbeiteten Gottfried Graf, Albert Mueller und Josef Eberz Rohstoffe. Anhand von archäologischen Fun- herbeiträumen. Doch lassen sich diese hoch- den werden die einzelnen Schritte vom Schaf fliegenden geistigen Spannungszustände auf zum fertigen Mantel nachvollziehbar darge- Dauer nicht aufrechterhalten. Das leiden- stellt. Noch aufwendiger als die Verarbeitung schaftliche Gefühl weicht dem nüchternen von Wolle war die Herstellung von Leinen- Blick, dem Expressionismus folgen Abstrak- stoffen. Im Gebiet der Alamannen haben sich tion und Neue Sachlichkeit. In den Räumen Textilien durch die Zeit nur sehr schlecht er- des ehemaligen Klosters St. Wolfgang werden halten. Deshalb zeigt die Ausstellung anhand über 100 Kunstwerke von 30 Künstlern ge- von Repliken, wie die Kleidung ausgesehen Foto: Bernhard Strauss zeigt, unter denen ein Curt Lahs, Hans Or- haben könnte. Etwas Besonderes stellt dabei lowski oder Curt Ehrhardt neu zu entdecken die Grablege einer vornehmen Dame aus sind. Lauchheim dar: Sie zeigt, in welcher Kleidung Öffnungszeiten: und mit welchen Textilbeigaben die Tote be- Curt Lahs: Hl. Sebastian, Aquarell, 1918 Di bis Fr 14 – 17 Uhr, Sa und So 11 –18 Uhr stattet wurde. Die Ausstellung befasst sich Städtisches Museum Engen + Galerie auch mit dem Arbeitsaufwand, der mit der Klostergasse 19, 78234 Engen Herstellung eines einzigen Kleidungsstückes Hölle & Paradies. Der deutsche Telefon 07733/501400 verbunden war. Dabei zeigt sich unter ande- Expressionismus um 1918 www.engen.de rem: Ressourcenschonung und Nachhaltigkeit Engen, Städtisches Museum sind keine Erfindung unserer Zeit. 3. März bis 13. September 2020 Öffnungszeiten: Di bis Fr 14 –17 Uhr, Sa und So 13 –17 Uhr Gut betucht. Textilerzeugung Mit „Hölle und Paradies“ zeigt das Städtische Alamannenmuseum Ellwangen bei den Alamannen Museum Engen ein Jahrzehnt deutscher Haller Straße 9, 73479 Ellwangen Kunstgeschichte, das von tiefgreifenden Um- Ellwangen an der Jagst, Alamannenmuseum Telefon 07961/969747 brüchen gezeichnet war. Gleich zu Beginn 7. Februar bis 11. Oktober 2020 www.alamannenmuseum-ellwangen.de werden die bedeutenden Kriegszyklen von Ludwig Meidner (1914) und Otto Dix (1924) „Ich habe nichts anzuziehen!“ Heute ist mit einander exemplarisch gegenübergestellt. Die diesem Stoßseufzer meistens kein Mangel be- Vorstellung des Krieges und seine grausame klagt, sondern, im Gegenteil, der Überfluss: Realität bilden den Kristallisationspunkt für vor dem vollen Kleiderschrank fällt die Aus- eine neue expressionistische Künstlergenera- wahl schwer. Und wenn man sich nicht ent- tion, die sich mit dem Ende des Ersten Welt- scheiden kann, wird via Internet zur Not ein- kriegs formiert. Es ist die Zeit der gesell- fach ein neues Outfit bestellt. Ganz anders schaftlichen Extreme: zwischen Hunger und sah das zu Zeiten der Alamannen aus. Volle Verheißung, Revolution und Reaktion, Zu- Kleiderschränke waren den Alamannen unbe- kunftsängsten und hochgespannten Idealen. kannt. Die Zahl der Kleidungsstücke, die zur Stilistische Neuerungen wie Kubismus, Futu- Auswahl standen, war überschaubar, und rismus und ein expressiver Naturalismus mancher war froh, wenn die Klage „Ich habe werden von den Avantgarde-Künstlern Con- nichts anzuziehen!“, nicht den Tatsachen rad Felixmüller, Georg Tappert und Bruno entsprach. Seit der Mensch begonnen hatte, Malgosia Jankowska: Blaue Hütte II, 2014 Krauskopf zur Intensitätssteigerung ihrer Kleidung zu tragen, spielte nicht nur die Bildsprache eingesetzt. Man möchte die Ge- Schutzfunktion eine wichtige Rolle, sondern Wald. Wolf. Wildnis. sellschaft mit den ästhetischen Mitteln der sehr schnell wurde auch die schmückende Kunst erneuern: schöpferisch, spirituell, po- Wirkung der Kleidung bedacht. Aber erst mit Burgrieden-Rot, Villa Rot litisch. Während auf den Straßen der Haupt- der Herstellung von Garn aus einzelnen Fa- 23. Februar bis 20. September 2020 stadt die Barrikadenkämpfe des Spartakus- sern und deren Weiterverarbeitung zu Texti- aufstandes toben, schließen sich die Künstler lien bestand die Möglichkeit, das Aussehen der Der Wolf kehrt zurück in unsere Wälder. Das in ganz Deutschland zu neuen Vereinigungen Kleidung weitgehend selbst zu bestimmen. Bundesamt für Naturschutz zählt aktuell zusammen: in Berlin zur Novembergruppe, in Seit dieser Zeit haben sich die einzelnen Ar- mehr als 100 Wolfsrudel in Deutschland. Was Dresden zur Gruppe 1919, in Düsseldorf zum beitsschritte zur Herstellung von Textilien als positives Zeichen eines sich erholenden Jungen Rheinland. Sie fühlen sich als Revolu- nicht wesentlich verändert. Nur übernehmen Ökosystems gelesen werden könnte, schürt in
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