NATUR IM WINTER AM PULS DES WEISSEN RIESEN VORSICHT WINTERSCHLAF WINTERLICHE SPUREN - Natur+Text
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31. Jahrgang – Nr. 4 November 2017 bis Januar 2018 Natur + Text GmbH, Friedensallee 21, 15834 Rangsdorf, ISSN 0935-7602 Ausgabe 4/2017 NATUR IM WINTER AM PULS DES WEISSEN RIESEN VORSICHT WINTERSCHLAF WINTERLICHE SPUREN IM BRENNPUNKT NATUR ERKUNDEN Gemeinsame Aufgabe Herdenschutz Gamengrund Seite 18 Seite 28
EDITORIAL Reihe: Alte Buchenwälder Deutschlands Band 1 Band 2 Serrahn – Weltnaturerbe im Müritz Nationalpark Nationalpark Hainich – Weltnaturerbe in Thüringen LIEBE LESERINNEN UND LESER, Band 3 Grumsin – Weltnaturerbe im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin der Wahlkampf ist vorbei, eine Umstand angesprochen. Als Ursachen werden die Veränderungen Band 4 Nationalpark Kellerwald-Edersee – Weltnaturerbe in Hessen (erscheint im IV. Quartal 2017) schwierige Regierungsbildung der Landbewirtschaftung, der Verlust an Landschaftsstrukturen steht bevor. Was wird die neue und insbesondere der Einsatz immer wirksamerer Pestizide an- NE0U17 Der Grumsin, im Biosphärenreservat Schorf- Bundesregierung zum Schutz von gesehen. Der Schwund der Insekten ist ein dramatischer Verlust, heide-Chorin gelegen, ist die einzige Welt- Natur und Umwelt tun? Im Wahl- sie fehlen auch im vernetzten System der Natur und als Bestäuber naturerbefläche des Landes Brandenburg. kampf haben solche Zukunftsfra- und besonders als Nahrung für unsere Vögel. 2 Auf 590 Hektar bleibt ein historischer Wald- standort sich selbst überlassen. Dort laufen gen keine besondere Rolle gespielt, dabei werden Arten- und Natur- In der Agrarpolitik muss umgesteuert werden, Geld ist mehr Prozesse ab, die weit über ein Menschenle- ben hinausgehen. schutz in der Gesellschaft ernst als genug da, es muss nur anders eingesetzt werden. Allein in Eingebettet in die außerordentlich reich ge- genommen. Unter dem Titel „Der stille Sommer“ etwa setzte Brandenburg werden jedes Jahr mehr als 500 Millionen Euro gliederte, von den Gletschern der letzten sich der Spiegel Anfang September in einem mehrseitigen Arti- überwiegend als Flächenprämie an die Landwirte ausgeschüttet. Kaltzeit geformte Jungmoränenlandschaft, kel mit diesem Thema auseinander. Breit dargestellt werden die Mit diesen Mitteln müssen endlich die konkreten Leistungen der weist der Grumsin eine Reihe von Besonder- Forschungen des Entomologischen Vereins Krefeld, die durch Landwirte für das Gemeinwohl, für Natur und Umwelt honoriert heiten auf: zahlreiche kleine Seen, Moore und fundierte Erfassungen über mehr als 20 Jahre nachweisen, dass werden. Eine solche Landwirtschaftspolitik wäre der beste Beitrag Reliefunterschiede von fast 100 Metern auf die Masse der Insekten insgesamt um 80 Prozent zurückgegan- für den Natur- und Artenschutz. engem Raum. In keiner der anderen Weltna- gen ist. Viele bemerken es selbst: Ganz anders als früher blei- turerbeflächen ist die Verquickung von Wald und Wasser so ausgeprägt. Im Grumsin be- ben die Frontscheiben der Autos im Sommer fast völlig frei von Friedhelm Schmitz-Jersch findet sich der höchstgelegene See Branden- Insekten. Bei privaten Gelegenheiten werde ich oft auf diesen Vorsitzender des NABU Brandenburg burgs und dort brütet der Kranich in einer Dichte wie nirgendwo sonst in Deutschland. Beate Blahy, Martin Flade INHALT (Landesamt für Umwelt Brandenburg) 168 Seiten, Hardcover, 24 × 22 cm Grumsin – Weltnaturerbe im Biosphärenreservat zahlreiche Abbildungen, Natur+Text 2017 Schorfheide-Chorin ISBN 978-3-942062-20-6, Preis 24,90 Euro NATUR IM WINTER NATUR … RUBRIKEN Titelthema 28 … ERKUNDEN 18 IM BRENNPUNKT Gamengrund 20 PORTRAIT 4 AM PULS DES WEISSEN RIESEN 32 … OHNE GRENZEN 22 NACHGEFRAGT 8 VORSICHT WINTERSCHLAF Amorpha auf dem Vormarsch 25 REZENSIONEN 10 WINTERLICHE SPUREN artal 36 INTERVIEW . Q u 13 HÄUFIGE SPUREN IM SCHNEE 40 NACHRUF IV 17 AKTUELLES 20 14 DER WINTER AN DER ELBE 48 AUS DEN VERBÄNDEN 16 „JA“ ZUR ZWIEBEL 51 IMPRESSUM 38 LEBEN IM GROSSSTADTDSCHUNGEL 42 STILL RUHT DER SOLL VERANSTALTUNGEN 44 VON LOKAL BIS LANDESWEIT 26 BLICKE UNTER DIE OBERFLÄCHE 47 EXKURSION ALS DANKESCHÖN 27 WORKSHOP HERDENSCHUTZ Hans-Jürgen Spieß, Peter Wernicke Manfred Großmann, Siegfried Klaus, Norbert Panek Serrahn – Weltnaturerbe im Müritz- Thomas Stephan Nationalpark Kellerwald-Edersee – DIESE AUSGABE Nationalpark Nationalpark Hainich – Weltnaturerbe Weltnaturerbe in Hessen 156 Seiten, Hardcover, 24 × 22 cm in Thüringen 168 Seiten, Hardcover, 24 × 22 cm ALS eBOOK LESEN! Natur+Text 2013 156 Seiten, Hardcover, 24 × 22 cm Natur+Text, erscheint im IV. Quartal 2017 FÜR ALLE N ATURMAGAZIN-LESER ISBN 978-3-942062-07-7, Preis 24,90 Euro Natur+Text 2014 ISBN 978-3-942062-30-5, Preis 24,90 Euro KOSTENLOS ZUM DOWNLOAD UNTER: ISBN 978-3-942062-14-5, Preis 24,90 Euro naturmagazin.info/epub/04-2017.epub shop@naturundtext.dew ww.naturundtext.de/shop Foto: Roland Schulz 4 Foto: Manuela Brecht 22
4 NATUR IM WINTER Titelthema NATUR IM WINTER Titelthema 5 AM PULS DES R egiert mit eisigem Atem der Frost, wer- den offene Wasserflächen zu Magneten für überwinternde Gänse- und Entenarten wie Saat- und Blessgans, Zwergsäger oder Krickente. Gut W EISSEN RIESEN möglich, dass Gevatter Seeadler dort seine nächste Mahlzeit plant und Tauchenten vor seinen Sturz- flügen solange unter Wasser flüchten, bis die erste atemlos in seinen Fängen stirbt. Wo Weidenäste tief über das Wasser hängen, finden Eisvögel ihren An- WINTERLICHE NATURBEOBACHTUNGEN sitz. An solchen Stellen lohnt sich die Suche mit dem Fernglas nach den im Wintergrau leuchtend blau orangen Speerfischern. Was in der kalten Jahreszeit zu sehen ist, entscheidet der Winter. Legt er seine weiße Decke übers Land, können Spurensucher die Geschichten der letzten Nacht oder gar der vergangenen Tage lesen. Dachse, Rehe, Baummarder, Beachtung verdient auch der Boden entlang offener Gewässer – gut möglich, dass dort Fußspuren von Hermelin oder in den Schnee eingedrückte Flügelspitzen von Krähen oder Amseln, vielleicht sogar der schneestie- Fischottern den Weg weisen. Sie können leicht an bende Krallengriff eines Waldkauzes in eine Maus, haben sich vergänglich in Weiß geprägt. fünf nebeneinander liegenden Zehenballen, der run- den Pfotenform und ihrem auf dem Schnee immer wieder nachschleifenden Schwanz erkannt werden. an die Oberfläche. Dort drehen sie sich, schleifen Singschwäne: Liegt am Gewässerrand ein Hang, eine Böschung, sich an Nachbarschollen rund, kleine Eisschneesäu- Ihr Gesang berührt. lohnt sich in jedem Fall ein genauerer Blick. Jede me rund herum. Die Sonne glitzernd brechend trei- links: „Pfannkucheneis“. Wette, die verspielten Wassermarder haben ihn ben sie Richtung Ostsee – manchmal mit einem Kor- entdeckt und durch mehrmaliges Rutschen zu ei- moran oder einer Ente als blindem Passagier. Ruhige ner Schneerinne geformt. Wer unverschämtes Glück mehrfach bewegte Meditation, die Menschen warm hat, kann tagsüber einen in seltsam wellenförmigem berühren mag. Meditation, eine Weile am Ufer sit- Gang über Schnee laufenden Otter schon von weitem zen, in den Bewegungen versinken – das geht. Frieren erkennen. Er ist dann auf der Suche nach einer offe- würde den Genuss aber verhindern. Deshalb Mütze, nen Wasserstelle, wo er zu klammen Fischmahlzei- dicke Jacke, lange Unterhose, warme Schuhe anzie- ten tauchen kann. Ist weit und breit alles Stein und hen und dampfenden Tee und Fernglas einpacken. Bein gefroren, verhungern Fischotter und Eisvogel. Kronenkunde Wer Rutschen auf ebenen oder nur leicht abschüssi- Der Wald dient Tieren als Schlafquartier. Er bricht gen Strecken findet, wird sich an den Otter erinnern. den Wind und damit ein Stück weit die Kälte. Dort Stimmt auch – fast. Grobe Holzspäne, so groß wie lohnen sich Blicke in die leergefegten Baumkronen. eine Zweieuromünze oder auch deutlich größer, ver- Lebende Holzschnitte gegen den Himmel. Still und raten den heimischen Wasserbaumeister: den Biber. starr, vom Wind berührt bis schwankend im Sturm. Wer genau im Schlamm oder Schnee hinsieht, fin- Jede Art hat ihre eigene Form. Die knorrigen ver- det kleine Abdrücke seiner Vorderpfoten und qua- drehten Äste der Eichen. Die silbernen Stämme und dratlatschengroße Abdrücke der hinteren Pendants. sich zum Licht nach oben reckenden Äste der Rot- buchen. Die Eschen mit ihren wie Kandelaber sich Offenes Wasser ist die Bühne für Wintersymphoni- zum Himmel streckenden Zweigen an den Enden en. Wer noch nie dem nächtlichen Geplapper von stärkerer Äste. Jede Baumart folgt einem Bauplan, Singschwänen unter frostig klarem Sternenhimmel und wer Augen hat, wird sehen, wie vielfältig die lauschen durfte, darf auf diesen Winter hoffen. Im Bäume einer Art diesen Plan auslegen und dehnen. Nationalpark Unteres Odertal, im Biosphärenreser- vat Flusslandschaft Elbe, am Gülper See. Für mich Eine weitere Eigenart in den Kronen bringt das eine der berührendsten Vorstellungen, die ein Win- Fernglas nah: Zahlreiche Äste sind seltsam bizarr ter weltweit bieten kann. miteinander verwachsen. Manchmal sogar starke Äste zweier unterschiedlicher Arten, Hainbuche und Ein letztes Mal die Oder: Ihr Pfannkucheneis ent- Kiefer etwa. Was wie gewollte Nähe oder Zuneigung steht am Grunde des Stromes und steigt in Schollen aussehen mag, ist die Folge schwerer Verletzungen. naturmagazin 4/2017 naturmagazin 4/2017
6 NATUR IM WINTER Titelthema NATUR IM WINTER Titelthema 7 Buntspechte verraten ihren Arbeitsplatz noch, wenn Gefieder, so fein wie nur wenig andere, ihr keckes sie ihn längst verlassen haben. In die grobe Borke ei- Federhäubchen, dazu eine Spur Gelb in den Hand- ner Kiefer, Eiche oder Douglasie zwängen sie Fichten- schwingen, machen diese starengroßen Flugreisen- zapfen, die sie so fixiert gut bearbeiten können und den unverwechselbar. Und doch, es bedarf wacher an die Samen zwischen den Zapfenschuppen gelan- Sinne und gespitzer Ohren, um nicht unbedacht an gen. Spechtschmiede, der Fachbegriff. Scharfe Ohren Wintergästen wie diesen vorüber zu gehen. und fallende Erlensamen verraten große Trupps von Zeisigen, zierlichen Finken, die in Erlenkronen aus feinen schwarzen Zäpfchen eiweißreiche Samen zie- Die Schlagkraft von Tänzern hen. Mächtige Ameisenhaufen sind im Winter häufig Wenig bleibt, wie es war. Einzelne Kranichtrupps blei- mit Kratern übersät. Ein andermal wirken sie kom- ben bereits ganzjährig im Land. Die in Spanien über- plett verwühlt. Auf ihrer Suche nach starrer protein- winternden Vögel kehren Jahr für Jahr früher zurück, reicher Nahrung schmieden sich Grünspechte in die um möglichst attraktive Brutplätze zu besetzen. Mitte Haufen oder graben sich Wildschweine grob hinein. Februar erreichen die ersten mit günstigen West- und Ärgerlich, verlustreich, aber keine Bedrohung für das Südwestwinden heimatliche Gefilde. Trupps von 20, ruhende Volk. Ameisenhaufen sind wie Eisberge, ihr 30, 100 und mehr dieser großen Grauen stehen auf größerer Teil ist tief im Boden geborgen. Beim ersten den Äckern. Tanzen, springen in die Höhe, breiten Frühlingsschein geht es wieder an die Arbeit, wer- die großen Schwingen aus, senken ihre langen Hälse den die Winterschäden begutachtet und ausgebessert. Richtung Boden, springen ein nächstes Mal übermü- tig in die Höhe, trennen sich von den Reisegesellschaf- Nur drei Dinge müssen sich treffen. Drei Tage um den Schnee verrät dem Kernige Imbissecken auf dem Land ten, finden ein Revier und trompeten ihre Besitzan- Vollmond, eine Schneedecke und Lust, in die weiße K undigen, was gewesen ist. Zurück in Siedlung und Flur. Wohl dem, der Brenn- sprüche weit übers Land. Und wehe, ein anderes, spät Nacht zu wandern. Zu guter Letzt die dringende Bit- nesseln, Disteln, Nachtkerzen oder Wegwarten in angekommenes Paar ignoriert diesen Besitzanspruch, te, den Winter zu entdecken, zu genießen und dabei seinem Garten weiß oder ungemähte Wegraine, Bö- landet sogar in wenigen Metern Abstand. Dann sehen immer die Tiere, die in der kalten Jahreszeit um ihr schungen und Ackersäume in naher Feldmark. An die großen Vögel des Glücks rot und kämpfen mit Überleben ringen, zu berücksichtigen. Nie zu nah kältestarr windgewiegten Hochstauden turnen Scha- ihren Schnäbeln, ihren hornspitzen Krallen, bis Blut herangehen, wofür gibt es Ferngläser. Keine Wald- ren buntgekleckster Stieglitze beim Finden von Sä- fließt. Mindestens. Gut, wenn das unterlegene Paar wege verlassen, den Wasservögeln ihre Ruhe lassen. mereien. Was für eine flatternde Augenweide in der dann wenigstens halbwegs ungerupft gerade noch das Beobachten kann nur, wer Tiere respektiert und sie winterlichen Farbenknauserei. Weite finden kann. Das Recht der Sieger: Sie posau- nicht zur Flucht treibt. Sie brauchen jetzt jede Kalorie. nen ihre Überlegenheit in die weiße Welt. Hecken sind Anziehungspunkte für Vögel aller Art. Roland Schulz, Text und Fotos Ebenso wie Futterhäuschen, hinter Fensterglas be- Zuletzt das vielleicht wunderbarste. Für jeden erleb- Naturjournalist, der sich freut, quem zu beobachten. Aus den Hecken leuchten blau bar. Im Stadtpark, auf weiter Feldflur. Ganz gleich. mit den Jahreszeiten leben zu dürfen bereift Beeren der Schlehen, rot die Hagebutte, Weiß- Anzeige Vom Wind aneinander Der Wind hatte die Äste so lange aneinander gerie- dorn- und Vogelbeeren, vielfach spiegelnd schwarz- gerieben, sind die einzelnen ben, bis deren schützende Borke und Rinde vollstän- rote Holundertrauben, orangerosa Pfaffenhütchen, Stämme nun fest mitein ander verwachsen. dig weggefegt war. Die nun aufeinanderliegenden elfenbeinstrahlende Mistelbeeren und so viele mehr. Wachstumsschichten beider Äste, das Kambium, Filigrane Augenweide für Menschen und kalorien- verwuchsen fest miteinander. reiche Lebensversicherung für Vogelarten. Das wis- sen natürlich auch Habicht und Sperber genau. Aus Den Waldvögeln hat der Winter weitgehend die der Deckung eines Obstbaumes oder einer Scheune Sprache verschlagen. Nur Kleiber schimpfen über stoßen sie jedes mal von neuem unerwartet auf brei- Eindringlinge, ein Trupp Eichelhäher mag ein- ten Schwingen hervor. Sekunden später halten sie ei- stimmen. Wer schleichen und sich langsam bewe- nen kleinen grauen, braunen oder bunten Federball gen kann, immer wieder Pausen einlegt, am bes- unentrinnbar in ihren Krallen. Leben für Leben, das ten im Schatten eines Baumstammes, der darf auf eiserne Gesetz der Natur. Gelegentlich bringt die kal- holzdurchdringenden Trommelwirbel hoffen. Einen te Jahreszeit rosafarbene Überraschungen auf sanf- rhythmisch vertieften Specht anpeilen, den Trom- ten Schwingen. Wenn leise in hohen Tönen sirrende melbaum ausmachen, in dem er emsig nach Futter Schwärme von Seidenschwänzen in Osteuropa oder sucht, sich anschleichen und das Ohr an den Stamm Skandinavien keine Vogelbeeren mehr finden, ziehen schmiegen, im Wohlklang versinken! sie auf Nahrungssuche bis zu uns. Ihr erlesenes rosa naturmagazin 4/2017 naturmagazin 4/2017
8 NATUR IM WINTER Titelthema NATUR IM WINTER Titelthema 9 VORSICHT lustig hat’s die Forstpartie – der Wald, der wächst auch ohne sie“ immer wieder bewahrheitet. regelrechten Aktionismus ausgesetzt, der mittler- weile Kultstatus erlangt hat. Gemeint ist das Einsam- meln vermeintlich untergewichtiger Jungtiere und Eichhörnchen halten nur Winterruhe. Zur Nahrungs- aufnahme müssen sie hin und wieder ihr Winter WINTERSCHLAF Wer nicht schläft, muss fressen deren Unterbringung in sogenannten Igelstationen, quartier verlassen. Eichhörnchen gehen die Winterzeit eher ruhig an wo sie mehr oder weniger fach-, aber ganz bestimmt und machen es sich in einem ihrer Kobel bequem. nicht artgerecht, über den Winter gebracht werden. Wie Dachs und Maulwurf verfallen sie nicht in ei- Igel, die in freier Natur überwintern konnten, su- nen Winterschlaf, sie halten Winterruhe. Ihre Kör- chen sich im späten Herbst ein geeignetes Quartier, STÖRUNGEN IM WINTERQUARTIER KÖNNEN perfunktionen sind zwar etwas gedrosselt, aber hin beispielsweise in größeren Reisig-, Laub- oder Kom- und wieder werden sie wach, um dann Nahrung zu posthaufen. Dort verschlafen sie dann den Winter bis LEBENSBEDROHLICHE FOLGEN HABEN sich zu nehmen. Während das Eichhörnchen dazu zum Frühjahr, wobei sie ihre Körperfunktionen auf sein Quartier verlassen muss, hat es der Maulwurf etwa zwei Prozent reduzieren. in seiner Unterwelt äußerst bequem. Er hat gewis- sermaßen immer Frischfleisch zur Verfügung. Das Noch extremer überwintern wechselwarme Arten, Nahrungsdepot des fleißigen Erdarbeiters ist mit Re- also die Amphibien und Reptilien sowie Insekten. genwürmern gefüllt, denen er die vorderen Segmente Ihre Körpertemperatur ist abhängig von der jewei- entfernt hat, um sie am Leben zu halten, aber den- ligen Umgebungstemperatur und kann von den Tie- noch an der Flucht zu hindern. ren nicht reguliert werden. Den Winter verbringen sie kältestarr in frostfreien Erdhöhlen, Totholz oder Auf Sparflamme durch den Winter Komposthaufen, manche Frösche auch auf dem Scheinbar gut haben es jene Spezies, die den Win- Gewässergrund. ter in geeigneten Quartieren einfach verschlafen. Zu den Tieren, die in einen festen Winterschlaf fallen, Gefahr durch Störung gehören unsere allbekannten Igel sowie die Sieben- Störungen jeglicher Art können für Winterschläfer schläfer, Haselmäuse, Fledermäuse und Feldhams- fatale Folgen haben. Jedes Erwachen bedeutet zu- ter. Unterbrochen von gelegentlichen kurzen Auf- sätzlichen Energieverbrauch, geht an die Fettreser- wachphasen, in denen sie Kot und Urin absetzen, ven und kann letztlich den Tod für das betreffende schlafen diese Tiere von Herbst bis Frühjahr. Ihre Tier bedeuten. Selbstredend, dass im Winter mögli- Körperfunktionen sind auf ein Minimum reduziert, che Quartiere wie Totholz und Reisighaufen nicht be- gleiches gilt für ihre Körpertemperatur. Mit Ausnah- treten, weggeräumt oder gar verbrannt werden dür- me des in Brandenburg inzwischen ausgestorbenen fen. Auch das Umsetzen von Komposthaufen muss Feldhamsters, zehren diese Tiere während des Win- im Interesse winterschlafender Bewohner bis zum ters ausschließlich von ihren Fettpolstern. Hamster Frühjahr unterbleiben, ebenso, das „Aufräumen“ un- greifen während der Wachphasen auf ihre Vorräte ter Sträuchern und Hecken. Die Unsitte, im Herbst zurück, die sie in speziellen Kammern ihrer unter- oder Frühjahr zusammengeharktes Laub und Rei- irdischen Bauten eingebunkert haben. Dort verbrin- sig zu verbrennen, ist bei vielen Gartenbesitzern lei- gen die bunten Nager ab Ende August das nächste der noch immer weit verbreitet. Abgesehen von der halbe Jahr. Kurz nach ihnen beginnen die Sieben- damit einhergehenden Luftverunreinigung können schläfer ihren Winterschlaf. In sorgfältig angelegten solche brennenden Gebilde rasch zu Scheiterhaufen Quartieren verbringen sie in Erd- und Baumhöhlen werden. Viel besser ist es, Reisig und Laub an einer – wie könnte es anders sein – gute sieben Mona- geschützten Stelle im Garten abzulagern und es dort Wenn das Jahr sich seinem Ende nähert, die Tage deutlich kürzer werden und die Temperaturen zunehmend im te. Auch für Fledermäuse ist die insektenarme Zeit Igel und Co. als Winterquartier anzubieten. Wer das einstelligen Bereich verharren, beginnt für die heimische Tierwelt eine harte Zeit. Nahrungsknappheit, Kälte und des Winters die Periode des Winterschlafs. Je nach Zündeln nicht lassen kann, sollte, sofern dies über- Art ziehen sie sich dafür in frostfreie Höhlen, Keller haupt erlaubt ist, zumindest das zu verbrennende Gut winterliche Witterungsunbilden verlangen ihnen alles ab, um in der kalten Jahreszeit zu überleben. oder alte Bunkeranlagen, aber auch in Mauerspal- kontrollieren und vor dem Anzünden umschichten. S ten oder Zwischenräume von Holzstapeln zurück. Das gilt einmal mehr für das Abbrennen sogenann- eit dem Spätsommer sind Eichhörnchen em- Verstecke allerdings nicht wieder, was wiederum den Vorraussetzung ist allerdings stets eine relativ ho- ter Herbst- und Osterfeuer, die in nahezu jeder Ge- sig dabei, sich für den Winter zu bevorraten. Förster freut. Aus den vergessenen Samen erwach- he Luftfeuchtigkeit im Fledermaus-Winterquartier. meinde zu einem jährlichen Ritual geworden sind. In Bäumen – aber auch im Boden – legen sie sen ohne sein Zutun neue Bäume. Den hübschen ihre Nahrungsdepots an, um für die kommenden Nagern gleich macht es übrigens der Eichelhäher. Unser wohl bekanntester Winterschläfer dürfte aber Wolfgang Ewert kargen Monate gerüstet zu sein. Oft finden sie ihre Auch er trägt dazu bei, dass sich der alte Spruch „Gar der Igel sein. Seit einigen Jahren ist die Art einem Text und Foto naturmagazin 4/2017 naturmagazin 4/2017
10 NATUR IM WINTER Titelthema NATUR IM WINTER Titelthema 11 WINTERLICHE SPUREN Nester verschiedener Grasmücken-Arten angelegt. Diese kleinen Singvögel sind allesamt Zugvögel, die den Winter im Süden verbringen. hinterlassen werden. Die Nagespuren verschiedener Nagetiere können der jeweiligen Art anhand der Grö- ße (Breite der Zähen) zugeordnet werden, zusätzlich hilft dabei aber auch der von den Tieren hinterlassene MEHR ALS EIN FUSSABDRUCK Meistens etwas höher gebaut sind die größeren Napf- Kot. Dieser ist bei Mäusen sehr klein und länglich, nester der Drosseln. Das der Amsel ist weich mit bei Kaninchen rundlich und sehr dunkel und beim feinen Würzelchen und Pflanzenfasern gepolstert. Hasen ebenfalls rundlich, aber deutlich größer und Der Winter ist für viele Tiere auch Zeit des Mangels. Andere wiederum finden ausreichend oder sogar Das Nest der Singdrossel hingegen hat keine Pols- meistens graugrün oder bräunlich gefärbt. Regelmä- reichlich Nahrung. Die Überreste dieser Nahrungssuche, aber auch vielerlei andere Tierspuren lassen sich terung. Dafür ist es innen mit einer festen Lage aus ßig sind aber auch Kotspuren von Räubern wie Fuchs verklebten Pflanzenfasern, Holzresten etc. ausgeklei- oder Marder zu finden. Besonders bei hoher Schnee- im Winter besonders gut entdecken. det. Diese Schicht fühlt sich an wie ein derber Eier- lage nagen Hasen und Kaninchen, aber auch Mäuse, karton und ist so beständig, dass sie oft noch gut zu die nahrhafte Rinde von Zweigen und Stämmen ab. erkennen ist, wenn der Rest des Nestes schon zerfällt. Lage und Größe der Fraßstellen oder Zahnspuren Wo solche Nester in Rosensträuchern angelegt sind, können helfen, sie zuzuordnen. die Hagebutten tragen, werden die Bauten gern von Nachmietern genutzt. In größeren Feldgehölzen oder am Waldrand wach- sen Haselnusssträucher. Auch sie ziehen viele Tiere Nachmieter im Vogelnest an, denn diese haben es auf die sehr energiereichen Manche Mäuse, wie etwa Gelbhalsmäuse, können Nüsse abgesehen. Kleiber und Buntspecht klem- Spechtschmiede. besonders gut klettern. Sie nutzen die alten Nester, men die Nüsse am Holz ein und brechen sie mit Foto: Frank Leo um dort die geernteten Hagebutten gut geschützt zu fressen. Doch sie fressen nicht die ganzen Butten: Zuerst nagen sie die rote Schale (die wir Menschen wegen des hohen Vitamin C-Gehaltes nutzen) ab, um an die Samen zu kommen. Auf diese kleinen Nüss chen haben sie es abgesehen. Jedes Nüsschen wird einzeln aufgenagt, und geleert. Die Reste dieser Mahl- zeiten sammeln sich im Drosselnest an. Häufiger fin- det man zernagte Hagebutten am Boden im Schutze der stacheligen Büsche. Nicht selten bilden sie einen Ring um ein Mauseloch herum, wo die kleinen Na- ger – ständig fluchtbereit – gefressen haben. Schon ab Spätsommer haben auch verschiedene Vögel die Ha- gebutten genutzt. Nicht nur die heimischen Wildro- sen, auch die dicken Butten der aus Asien stammen- den Kartoffelrose werden regelmäßig von Grünfinken D geöffnet. Auch Spatzen sind daran oft zu beobachten. Foto: Frank Derer/NABU er Begriff „Tierspur“ ist hier weit gefasst Folgenden können nur ein paar Anregungen gege- /Stunde der Wintervögel zu betrachten. Es sind nicht nur Abdrücke ben werden, aus dem reichen Spurenschatz, den uns Auf Fraßspuren achten von Füßen gemeint, sondern es geht um die Natur offenbart. Sehr hilfreich beim Erkennen Während manche Früchte schnell abgeerntet werden, alles, was auf die Tätigkeit oder auch nur die An- und Deuten der Spuren ist ein gutes Buch (oder auch hängen andere länger am Busch. Die leuchtend ro- wesenheit von Tieren hinweist. Dazu gehören auch mehrere). Im Buchhandel sind verschiedene Spuren- ten (und für uns giftigen) Schneeballfrüchte bleiben Fraßspuren. Da alle Tiere eine für sie typische Er- führer erhältlich, die einzelne Bereiche unterschied- meistens den ganzen Winter über hängen und wer- nährungsweise haben, hinterlassen sie auch typische lich vertiefen. den sehr spät oder gar nicht gefressen. Sollte unsere Spuren, die in der Regel sehr genau zuzuordnen sind. Hecke noch einen Apfelbaum enthalten, so ziehen die Die Spuren lassen erkennen, wie das jeweilige Tier Tierspuren in der Hecke Äpfel im Winter verschiedenste Tiere an, die alle i hre seine Zähne, Krallen, Schnabel oder sonstige Hilfs- Beginnen wir an einer Hecke, vielleicht zwischen Dorf Spuren hinterlassen. Vögel hinterlassen ihre Pick mittel eingesetzt hat. Wer diese Spuren lesen und und Wald. Dort finden wir, wenn das Laub der Büsche spuren in den mehr oder weniger gefrorenen Äpfeln. verstehen kann, dem erschließt sich auch in einer gefallen ist, verschiedene Vogelnester, die den Som- Besonders im Schnee sind dann auch die vielfälti- vermeintlich „ausgestorbenen“ Winterlandschaft mer über gut versteckt waren: Relativ bodennah sind gen Fußspuren von Vögeln und Säugetieren zu sehen, eine Fülle von Leben und tierischer Aktivität. Im die kleinen, aus Grashalmen zusammengesteckten die oft sternförmig um solche ergiebigen Futterplätze naturmagazin 4/2017 naturmagazin 4/2017
12 NATUR IM WINTER Titelthema NATUR IM WINTER Titelthema 13 HÄUFIGE SPUREN IM SCHNEE Kleiber hingegen sucht sich für jedes Stück eine neue Stelle zum Bearbeiten. Rötel- oder Gelbhalsmaus? Eichhörnchen öffnen Haselnüsse mit ihren kräfti- gen Nagezähnen, indem sie jede Nuss von der Spitze bis zur Basis aufspalten. Das kann bei unerfahrenen FUCHS Jungtieren noch etwas unsauber aussehen, aber rou- Ca. 5 cm lange und 4–4,5 cm breite Abdrücke mit einer Schrittlänge von 25–35 cm (Schritt) tinierte Nussknacker machen das sehr schnell und bzw. 70–80 cm (Trab). Vorder- und Hinterfuß hinterlassen Abdrücke von jeweils vier Zehen sauber. Sehr häufig findet man Nüsse, die von Mäusen und vier Zehenballen sowie einem großen Hauptballen. Spur ist symmetrisch, eine Unter- ausgefressen sind. Auch hier gibt es ganz verschiede- scheidung zwischen linkem und rechtem Fuß nicht möglich. Leicht mit Hundespur zu ver- ne Methoden: Wald- und Gelbhalsmäuse nagen ein wechseln, Fuchsballen sind jedoch kleiner und stehen weniger dicht beieinander. Auf festem Loch, das am Außenrand viele Zahnspuren aufweist, Boden im Trab schräg gestellte Spurenpaare, im Schnee und auf weichem Boden: Abdrücke während Rötelmäuse so nagen, dass das Loch außen in einer Linie („Schnüren“). am Rand glatt ist. Mäuse legen im Herbst Vorräte an. Dabei können sie große Mengen an Haselnüssen, Ei- cheln, etc. horten. Manchmal stopfen sie Vogelnist- kästen bis unter das Dach voll, so dass diese für Vögel, aber auch Fledermäuse unbenutzbar werden. Solan- IGEL ge noch kein Schnee liegt, sind unter den Büschen Etwa 2,5 cm lange und 2,8 cm breite Abdrücke von Vorder- und Hinterfüßen. Sohlengän- auch immer Nüsse zu finden, die nur ein sehr kleines ger mit fünf Zehen und langen Krallen, vor allem am Hinterfuß. Innenzehen hinterlassen rundes Loch aufweisen. Dort hat sich die Larve eines oft keine oder nur schwache Abdrücke. Zehen des Vorderfußes stark gespreizt, Hinterfuß kleinen hochspezialisierten Rüsselkäfers entwickelt. schlanker. Hinterfußspur meist hinter die Vorderfußspur gesetzt, bei schnellerer Gangart Es ist der Haselnussbohrer. Das Weibchen legt im aber auch in oder sogar vor die Vorderfußspur. Schrittlänge 20–25 cm. Hagebutten werden nicht dem Schnabel auf. Wo saubere Schnabeleinschläge Frühjahr ein Ei in die gerade erst entstehende Nuss, nur von Feldsperlingen zu sehen sind, kann man erkennen, dass sie beim von der sich die Larve später ernährt. Wenn sie aus- g eschätzt. Am Boden zeugen ihre Reste von so Kleiber queroval sind und beim Specht hochforma- gewachsen ist, knabbert sie sich durch die Schale, um manchem Mäusemal. Foto: Frank Leo tig – eben so, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Beide haben aber noch einen grundsätzlichen Un- sich an einer geschützten Stelle zu verpuppen. So ha- ben wir auf unserer kurzen Wanderung entlang der EICHHÖRNCHEN terschied in ihrer Vorgehensweise: Der Specht fertigt Hecke schon viele Spuren gefunden und der Winter Vorderfußspur: etwa 4 cm lang und 2 cm breit. Hinterfuß: 5 cm lang und 2,5–3,5 cm breit. sich ein Loch, das er immer wieder nutzt. Unter einer hält noch weitere Entdeckungen bereit. Vorderfußabdruck: vier schlanke, stark gespreizte Zehen mit deutlichen Krallenabdrü- solchen Spechtschmiede können sich große Mengen cken. Der Daumen ist stark verkümmert und hinterlässt kaum Abdrücke, dafür jedoch der an Nussschalen (oder auch Zapfen) ansammeln. Der Walter Wimmer Daumen-Ballen. Hinterfuß: fünf Zehen mit Krallen, die mittleren drei sind lang und etwa Anzeige gleich groß und stehen in eng zusammen, die äußeren sind kürzer und etwas nach außen gerichtet mit schwächerem Abdruck. Wegen der stets sprunghaften Fortbewegung stehen Saubere Energie die Fußabdrücke in Vierergruppen zusammen. Abdrücke der Hinterfüße befinden sich au- ßerhalb und vor denen der Vorderfüße. Spur beginnt und endet meistens an Baum. 25 € + 25 € HASE UND WILDKANINCHEN je Wechsel je Wechsel für Gas für Strom Hase: Spur Vorderlauf: ca. 5 cm lang und 3 cm breit. Hinterlauf: ca. 6 cm lang und 3,5 cm breit, in Schnee auch deutlich länger und auch breiter. Charakteristisch regelmäßi- ge Spurengruppen mit vier separaten Fußabdrücken: vorne die beiden fast nebeneinander Jetzt wechseln und 25 € Startguthaben je Strom- bzw. Gaszähler erhalten: www.naturstrom.de/umwelt stehenden Hinterfußspuren, dahinter fast in einer Linie die kürzeren Vorderlaufspuren. Häufig auch Spuren in Sitzstellung mit langen Hinterlaufspuren hinten, direkt davor die • Strom aus Wasser- und Windkraft, empfohlen vom NABU kleinen Spuren der nebeneinander stehenden Vorderläufe. • Biogas aus Rest- und Abfallstoffen • Anbieter unabhängig von Kohle- und Atomindustrie Wildkaninchen: Spur ähnelt stark der des Hasen, nur kleiner. Hinterlaufspur: 4 cm lang • Bau und Förderung neuer Öko-Kraftwerke und 2,5 cm breit. • fairer Preis, keine Mindestvertragslaufzeit, einfacher Wechsel, ausgezeichneter Kundenservice naturmagazin 4/2017 NATURSTROM AG, Düsseldorf, Tel 0211 77 900 - 300, www.naturstrom.de naturmagazin 4/2017
14 NATUR IM WINTER Titelthema NATUR IM WINTER Titelthema 15 DER WINTER AN DER ELBE D Frühes Aufstehen entlohnt er November bleibt sich treu und geht son- Zwischenruhe. Am Horizont taucht ein Seeadler auf. Wie also machen sie das? Wintervögel verfügen melancholischen Rufen. Dann ein weiterer Trupp. Der Winter hält ganz mit einmaligen Momenten. nenscheu durch seine Zeit. So sagt man je- Wieder ist der Luftraum von schnatternden Gänsen über einen körpereigenen Wärmetauscher, der bes- Ohne Gesang mit lautem Flügelschlag. Höcker- b esondere „Blüten“ bereit. denfalls. Kein farbenfroher Blättertanz im erfüllt. So geht es eine Weile, dann wird es still. Der tens funktioniert. Warmes und kaltes Blut laufen so schwäne im Anflug. Allmählich verschwindet die Rampenlicht, dafür graue Nebelschleier. Und doch junge Adler sitzt entspannt auf dem Eis, dreihundert dicht nebeneinander, dass ein Energieaustausch pro- Sonne hinter dem Horizont und der Mond klettert zeigt er dann und wann, was er wirklich kann und Singschwäne in offenen Wasserstreifen dahinter. Ge- blemlos möglich ist. Das warme Blut zu den Füßen an ihre Stelle. Zeit für den Biber. Erst am Nachmit- lässt sein Finale ein Goldenes sein. Vielleicht wer- mächlich Flügel schlagend beim Morgenbad oder bei gibt dem kalten in Richtung Körper seine Energie. tag habe ich das Resultat seiner Nachtschicht be- den wir belohnt mit einem grandiosen Supermond. der Gefiederpflege. Hier droht heute keine Gefahr. Außerdem haben Bläss- und Saatgänse, Sing- und trachtet, gleich wird Meister „Bockert“ es fortset- Längst haben gelborange Laubteppiche ihr Antlitz Zwergschwäne ziemlich kurze Beine. Achten Sie ein- zen. Eine Pappel zur Sanduhr geformt und ich bin in Ockerfarben getaucht und am Fuße alter Buchen Einer wie der andere? mal darauf. gespannt, wann sie fallen wird. Familie Nutria labt leuchtet es kupferrot. Vielleicht verzaubert schon Ihre melodischen Rufe machen Singschwäne zur sich an Uferpflanzen. Schwimmend sehen die gleich- bald ein Winterwald und über die Landschaft legt stimmungsvollen Winterkulisse an Flüssen und Schöne Schwärmerei großen Tiere Bibern zum Verwechseln ähnlich. Ein sich ein wärmendes weißes Band. Zeit für Beson- Seen. Heute hält es sie lange am Moor, erst spät bre- Mit der kargen Jahreszeit halten Vogelschwärme Ein- Ententrupp zieht zügig vorbei, im Schilf verrät sich nenheit. Wer der Natur behutsam über die Schul- chen die anmutigen Vögel zur Tagesrast auf. Wer ge- zug in unsere Dörfer und Städte. Putzmunter bele- die Wasserralle mit lautem Quieken. Ein Zaunkönig ter schaut und nicht laut sondern leise durch die nau hinsieht, entdeckt vielleicht einige Zwergschwä- ben sie winterliche Ruheräume. Eben noch in der präsentiert beim Abendkonzert eine Strophe seines Ruhezeit geht, wird in seiner Besinnlichkeit einen ne, die nur schwer von ihren größeren Verwandten Krone einer Birke, stieben sie zwitschernd ausein- Könnens. Dann wird es still. Nur die Schwäne singen Kraftquell finden. Direkt vor der Haustür, in unse- zu unterscheiden sind. Das Schnabelgelb ist beiden ander, um sogleich in der Pappel gegenüber zu lan- die ganze Nacht und wachen über unseren Schlaf. ren Brandenburger Naturlandschaften. eigen, bei Singschwänen ist mehr Farbe im Spiel. den. Kaum hat das Auge den neuen Rastplatz erfasst, Wussten Sie, dass nordische Schwäne an ihrem in- geht es zurück in die Birke. Dort gibt es Nahrung. Ricarda Rath Dezembermorgen dividuellen Schnabelmuster zu erkennen sind? Die Wer jetzt zusammenrückt hat`s leichter. In der Ab- Text und Fotos Dampfender Atem verrät die frostklare Nacht und schwarz-gelbe Verteilung macht jeden Vogel einzig- wehr von Feinden, bei der Futtersuche, im Schutz Rangerin und Gebietsleiterin im Biosphären gefrorene Grashalme brechen wie Glas unter den artig, ähnlich einem Fingerabdruck. Die Sonne steht vor Kälte. Sperlinge und Meisen turnen in Garten- reservat Flusslandschaft Elbe-Brandenburg Singschwäne Füßen. Mit jedem Schritt zum Wasser wird es ein am königsblauen Himmel, als die letzten Vögel den hecken, Wacholderdrosseln landen in Parkanlagen wenig lauter. Spannung liegt in der Luft. Wie vie- Schlafplatz verlassen. Mit der Dämmerung werden und weit gereiste Wintergäste tummeln sich in ho- le werden es heute sein? Auf dem Beobachtungs- sie wiederkehren, und es beginnt eine melancholisch hen Bäumen. Zweckgemeinschaften, die das Über- turm bietet sich ein fantastisches Bild. Im rosaroten singend klingende Nacht. leben sichern. Morgenlicht zeigen sich die Silhouetten unzähliger Gänse, dazwischen leuchten Schwäne in strahlen- Kalte Füße Winterabend dem Weiß. Wintergäste aus dem hohen Norden, die Wer nicht warm eingepackt ist, zu dünne Socken Feuerrote Wolkenschleier bilden die Kulisse zie- hier ihren Süden finden. Plötzlich ein Donnergroll, trägt und keinen heißen Tee im Rucksack hat, wird hender Gänseketten auf ihrem Weg an die Schlaf- ein Geräusch, das kaum zu beschreiben ist. Tausen- schnell vor Kälte zittern. Und bibbernd fragt man gewässer. Pausenlos, ein Trupp nach dem anderen. de Gänse erheben sich zugleich, kreisen, rufen, flie- sich, wie es Vögel eigentlich aushalten, nächtelang Bis in die Dunkelheit sind die Nordischen auf dem gen von links nach rechts und umgekehrt, ein Spek- in eisigem Wasser zu schwimmen, stundenlang auf Flug und erfüllen den Luftraum mit nasalen Rufen. takel ohne Gleichen. Wer da wohl das Kommando dem Eis zu stehen und sich dennoch wohlzufühlen. Aus Osten erklingt Schwanengesang. Langsam kom- hat? Manche ziehen ab, andere setzen sich wieder. Ihre nackten Füße sind kaum vor Kälte geschützt. men sie näher und überfliegen ihre Beobachter mit naturmagazin 4/2017 naturmagazin 4/2017
16 NATUR IM WINTER Titelthema NATUR IM WINTER Titelthema 17 „JA“ ZUR ZWIEBEL Beschaffenheit äußern. Es lohnt sich unter Umstän- wasserabweisend. Kombiniert mit einer darunter ge- den, mehrere Hersteller auszuprobieren! tragenen Leggings oder langen Unterhose – am bes- ten aus Merino-Wolle – sind auch tiefe Temperatu- Wolle jeglicher Art eignet sich auch für die weiter au- ren kein Problem. ßen liegenden Kleidungsschichten. Wärmende Zwi- EIN PLÄDOYER FÜR schenschichten, gestrickt oder als Fleece verarbeitet, Mein absoluter Geheimtipp kommt aber den Fü- gibt es in hochwertigen Ausführungen. Hier sind ßen zu gute: Gummistiefel gehen immer! Sie sind M ULTIFUNKTIONALE KLEIDUNG aber auch Kunstfasern eine gute Alternative. Diese für mich vom Herbst bis zum Frühling das perfekte können zwar kaum Wasser aufnehmen, trocknen da- Schuhwerk für Spaziergänge und Wanderungen bei für aber schnell. Zudem sind sie leicht und günstig. jedem Wetter. Mit übergroßen Botten aus dem Bau- Der Winter steht vor der Tür – und mit ihm stellt sich die Frage nach der richtigen Bekleidung für Erlebnisse markt geht das allerdings nicht. Im Jagd- und Out- in Eis und Schnee. Für Jäger oder Naturfotografen gelten beim Ansitz andere Maßstäbe, doch wer in Bewegung Ich trage Shirts und Leggings aus Merinowolle doorbedarf gibt es jedoch Gummistiefel, in denen von Icebreaker und Dilling. der Fuß so gut sitzt, dass mit ihnen auch längere Stre- bleibt, braucht in Brandenburg eher keine Alpin-Ausrüstung. Bei der ganzjährigen Arbeit in freier Natur, bei der cken kein Problem sind. Besonders im Winter sind täglichen Runde mit dem Hund und bei Winterwanderungen vom Flachland bis ins Mittelgebirge konnte ich Der Wetterschutz Stiefel mit flexibler Sohle günstig, da sich in ihnen erproben, was für mich sinnvoll und nützlich ist. Schutz vor Regen, Schnee und Wind bietet die äu- die Füße beim Gehen stärker bewegen. Das fördert ßerste Bekleidungsschicht. Da bereits die inneren die Durchblutung und beugt kalten Zehen vor. Ist Schichten die Thermoregulation übernehmen, reicht im Schuh noch Platz für dicke Socken oder Füßlin- an dieser Stelle eine ungefütterte Jacke. Gut geeig- ge aus Schafwolle, die gut wärmen und die zwangs- net sind solche mit einer atmungsaktiven Membran, läufig anfallende Feuchtigkeit absorbieren (deshalb die Feuchtigkeit von innen nach außen lässt, aber keine Kunstfaser!), kann nichts mehr passieren. Als nicht umgekehrt. Wer auf Naturmaterialien setzt, Alternative gibt es auch Gummistiefel mit integrier- findet in Loden- oder gewachsten Baumwolljacken ter Fütterung. Die sind dann aber nicht mehr so uni- universelle Klassiker, die allerdings nur bei kurzen versell einsetzbar. Naturkautschuk ist für den Winter Schauern oder Schneefall wasserdicht bleiben. Einen das beste Material, im Gegensatz zu PVC wird er bei großen Vorteil haben sie aber: Kein Rascheln, das tiefen Temperaturen weder spröde noch hart. Aller Tiere vertreibt und leise Geräusche übertönt. Nicht dings schlagen sich diese Eigenschaften in einem hö- umsonst werden solche Jacken vor allem im Jagd- heren Preis nieder. Doch die Investition kann sich bedarf angeboten. lohnen: Meine Gummistiefel sind seit sechs Jahren meine treuen Begleiter. Von Kopf bis Fuß Über den Kopf verliert der Mensch die meiste Wär- Wer sich mit Gummistiefeln nicht anfreunden kann, me – bei kalter Witterung ist eine Kopfbedeckung schon robuste Wanderstiefel besitzt oder Winterstie- daher unverzichtbar. Zwar schützt auch eine wind- fel mit Fütterung vorzieht, kann diese auch mit Ga- dichte Kapuze vor Wärmeverlust, sie schränkt aber maschen kombinieren. Sie schützen zuverlässig in Sichtfeld und Hörvermögen ein. Eine Mütze – ob aus nassem Gras und tiefem Schnee oder auf schlam- Wolle, Baumwolle oder Kunstfaser ist Geschmacks- migen Wegen. In einfacher Ausführung gibt es sie B sache – ist die bessere Wahl. schon für wenig Geld, sie sind robust und leicht zu Stiefel aus echtem Gummi esonders auf längeren Touren sollte man ge- absorbieren als auch weiterleiten können. Altbe- säubern. und eine Hose aus Misch- nügend Kleidung mitnehmen, um in den Pau- währt ist das Naturmaterial Wolle, vor allem die des Beim Schutz der Beine kommt man in der nasskal- gewebe eignen sich bestens für Aktivitäten in Herbst sen noch eine zusätzliche wärmende Schicht Merino-Schafes. Deren besonders weiche Wollfaser ten Jahreszeit mit Jeans nicht allzu weit: Robust sind Ich trage eine Hose von Fjällräven mit Leggings und Winter. anziehen zu können. Nach schweißtreibender Bewe- kann bis zu 35 Prozent ihres Gewichts an Feuchtig- sie zwar, doch einmal nass, werden sie so bald nicht von Dilling, Gummistiefel von Aigle und Gama- gung friert man sonst schnell in der nassen Kleidung. keit aufnehmen, ohne sich feucht anzufühlen. Da- wieder trocken. Besser sind Hosen aus dünnerem schen von Sea to Summit. Mit Mütze, Schal und einer Kombination aus wärmen- Besser als dicke Daunenjacken sind daher mehrere mit behält sie ihre thermoregulierende Funktion län- Stoff geeignet, der im Idealfall Nässe schnell wieder dem Fleece und regendichter dünnere Schichten im Zwiebel-Prinzip. Am besten ger als vergleichbare Kunstfasern und auch länger abgibt. Besonders robust und seit Jahrzehnten be- Meine Erfahrung hat gezeigt, dass man nicht un- Jacke ist der Oberkörper gut bewährt hat sich Kleidung, die sich schnell an- und als andere Naturmaterialien. Die Eigenschaften der währt ist das Kunstfaser-Baumwoll-Mischgewebe bedingt für jede Jahreszeit eine eigene Garnitur an vor Kälte geschützt. ausziehen oder über Reißverschlüsse regulieren lässt. Merino-Wolle kommen besonders dann zum Tra- „G1000” des Herstellers Fjällräven, das inzwischen Kleidung braucht. Wer geschickt kombiniert und auf Fotos: David Nöggenrath gen, wenn man in der Bewegung schwitzt, anschlie- viele Nachahmer gefunden hat. Es ist geräuscharm, universell einsetzbaren Wetterschutz setzt, kann sich Universaltalent Merino-Wolle ßend aber länger stehen bleibt. Wichtig für Men- haltbar und schnell trocknend. Alle Stoffe ab einem auch bei Schnee und Eis nach draußen wagen. Schichten, die nah am Körper getragen werden, schen mit sensibler Haut: Es gibt große Unterschiede Baumwoll-Anteil von etwa 30 Prozent lassen sich mit sollten atmungsaktiv sein und Feuchtigkeit sowohl in der Materialqualität, die sich in teils kratziger Wachs imprägnieren und werden dann zumindest Anne Nöggerath naturmagazin 4/2017 naturmagazin 4/2017
18 IM BRENNPUNKT IM BRENNPUNKT 19 Flächenkonkurrenz durch den Anbau von Kulturen Herdenschutzhunde bieten GEMEINSAME wirksamen Schutz vor wie Mais und Raps zur Energieerzeugung in Bran- Wolfsübergriffen. Ihr Unter- denburg massiv zugenommen hat. halt verursacht allerdings erhebliche Kosten. In der Landschaftspflege trägt die Schafsbeweidung Weidetiere leisten einen AUFGABE HERDEN- beispielsweise dazu bei, artenreiche Wiesen offen zu wichtigen Beitrag zur halten, die ansonsten in Folge einer natürlichen Ent- L andschaftspflege. wicklung mit der Zeit zuwachsen und sich schluss Fotos: Wolfgang Ewert endlich zu Wald entwickeln würden. Nur durch ein SCHUTZ adäquates Beweidungsmanagement können Tro- ckenrasen, Feuchtwiesen, Niedermoore, Heideflä- chen und Orchideenwiesen sowie ihre oft einmali- bisherigen Lösungsansätze der Politik seien zu kurz gen Tier- und Pflanzenarten erhalten werden. Das gedacht. Beispielsweise werde die Anschaffung eines betrifft die Oderhänge bei Mallnow oder Lebus mit Herdenschutzhundes subventioniert – jedoch nicht ihren berühmten Adonisröschen genauso wie die dessen Unterhalt wie Futter, Tierarzt und Betreuung. Reicherskreuzer Heide oder die Wiesen bei Altlands- Hier sei erheblich nachzubessern. An mangelnden berg mit den größten Vorkommen des seltenen Wie- finanziellen Mitteln könne es allerdings nicht liegen, senknopfes in Brandenburg. betrachte man so manche Ausgabe des Landes. Bei der bis 2020 anstehenden Überarbeitung der Richt- Durch eine naturschutzgerechte, mosaikartige Be- linien zur Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik weidung entwickelt sich ein vielseitiges Landschafts- (GAP) könnte die Politik nun zeigen, dass sie die Pro- bild. Durch die unterschiedlichen Entwicklungssta- bleme der Weidetierhalter und deren enormen Bei- dien der Flächen verwischen oftmals die Grenzen trag zum Erhalt einer attraktiven Landschaft und der zwischen Wald- und Offenlandbiotopen. Bei Hei- Artenvielfalt verstanden hat, indem sie deren Leis deflächen ergibt sich beispielsweise durch die vor- tungen künftig angemessen honoriert. handenen Gehölze, Wald- und Totholzreste eine beeindruckende Strukturvielfalt, die viele verschie- Der weitverbreiteten Wahrnehmung, dass Natur- dene ökologische Nischen und damit eine hohe Ar- schützer und Weidetierhalter beim Thema Wolf auf tenvielfalt ermöglicht. Es ist daher nur folgerichtig, unterschiedlichen Seiten stehen, will der NABU Bran- dass der NABU das Wirken der Schäfer und Weide- denburg mit einer Kampagne zum Herdenschutz be- NABU BRANDENBURG FORDERT STÄRKERE tierhalter unterstützt und sich für den Erhalt dieses gegnen. In Kooperation mit der Arbeitsgemeinschaft Berufes stark macht. Der Vorsitzende des NABU- Herdenschutzhunde e.V. und WikiWolves, einer eh- U NTERSTÜTZUNG VON WEIDETIERHALTERN Landesverbands Brandenburg, Friedhelm Schmitz- renamtlichen Plattform zur Unterstützung von Wei- Jersch, sagt dazu: „Es ist ein ganz wichtiger Aspekt, detierhaltern, soll es noch in diesem Jahr losgehen. die Weidetierhalter, die zumeist schon vor der Rück- Vordergründig geht es allen Beteiligten darum, so- kehr des Wolfes nach Deutschland unter immensem wohl die Öffentlichkeit als auch die Politik für die Der Wolf hat sich in Brandenburg etabliert. Für die extensive Weidetierhaltung als besonders wirtschaftlichem Druck standen, nicht weiter finan- Probleme der Weidetierhalter und deren Leistungen naturverträgliche Form der Landnutzung bedeutet dies eine besondere Herausforderung. ziell zu belasten. Die Weidetierhaltung benötigt drin- zu sensibilisieren. Durch vielseitige Informationsan- gend zukunftsfähige Perspektiven – auch unabhän- gebote und das Sammeln von Spenden für betroffene D gig von der Wolfsdebatte.“ Schäfer soll ein klares Signal an die Politik gesendet ie Rückkehr des Wolfes nach Deutsch- Zum Erhalt der strukturreichen Kulturlandschaft werden. Darüber hinaus sind für das erste Quartal land ist ein hoch emotionales und dem- Brandenburgs ist die extensive Beweidung der da- Fraglos bedeutet die Rückkehr des Wolfes für viele 2018 Schulungen für Ehrenamtliche geplant, bei de- entsprechend viel diskutiertes Thema. Mit für infrage kommenden Landschaftsteile unerläss- Weidetierhalter zunächst ein Problem. Zusätzliche nen Wissen über Schafhaltung in Wolfsgebieten ver- den bundesweit meisten Wölfen befindet sich Bran- lich. Umso mehr ist es alarmierend, dass die Weide- Belastungen müssen deswegen dringend durch die mittelt und das fachkundige Aufstellen von wolfsab- denburg politisch und naturschutzfachlich in einer tierhaltung in Brandenburg, vor allem die Schaf- und Politik vermieden oder aufgefangen werden. „Es wäre weisenden Weidezäunen trainiert wird. Ziel dieser besonders exponierten Position. Zur Zeit leben in Ziegenhaltung, seit Jahren stark rückläufig ist. Wur- mehr recht als billig, wenn es aufwandsbezogene An- Weiterbildungen ist es, die bisherige Unterstützung märkischen Gefilden 21 Wolfsrudel und zwei Paare. den im Jahr 2000 noch rund 170.000 Schafe in Bran- reize für die ökologischen und gesellschaftlichen Leis- von Weidetierhaltern durch freiwillige Helfer beim Nunmehr ist insbesondere die Politik gefragt, prak- denburg gehalten, betrug der Bestand 2016 nur noch tungen der Weidetierhalter geben würde, die sie für Zaunbau zu qualifizieren und zu stärken. Weitere In- tikable Rahmenbedingungen zu schaffen, die ein knapp 75.000. Dies liegt in erster Linie daran, dass im den Erhalt und die Pflege der Kulturlandschaft Bran- formationen unter www.nabu-brandenburg.de. Zusammenleben von Weidetierhaltern und Wolf Jahr 2005 die Haltungsprämie für Schafe in Form der denburgs erbringen“, erklärt auch Christiane Schrö- ermöglichen. Mutterschafprämie weggefallen ist und zusätzlich die der, die Geschäftsführerin des Landesverbandes. Die Wolfgang Ewert naturmagazin 4/2017 naturmagazin 4/2017
20 PORTRAIT PORTRAIT 21 BLÜHENDE LANDSCHAFTEN Was für ein regionaler Schatz! Ein Sack voll W iesenkerbel-Samen. WÖRTLICH GENOMMEN Nicht so schön wie im Freien, aber notwendig: Schreibtischarbeit für C hristina Grätz. CHRISTINA GRÄTZ GRÜNDETE EIN BREIT AUFGESTELLTES, E RFOLGREICHES U NTERNEHMEN IN DER LAUSITZ Energieindustrie fügt, ist eine der erfolgreichsten Gründungen der vergangenen Jahre in Brandenburg. Es produziert viel Einzigartiges und schafft republik- weit Maßstäbe bei der Renaturierung verschiedens- ter Arten von Flächen. Christina Grätz ist mit Bun- des-, Landes- und regionalen Preisen ausgezeichnet worden. Wenn sie in ihrem kühlen Lagerraum mit Christina Grätz gehörte zu den Besetzern des Sied- artenvielfältiges Biotop, das Samen in der gebietsty- dem markanten Geruch steht, die Hand prüfend in lungsplatzes. Die Abbaggerung konnte sie nicht ver- pischen Zusammensetzung enthält. Auf Düngung einen der großen Papiersäcke steckt und feine Samen hindern. Doch das Unternehmen, das diesen Schritt kann verzichtet werden, die Keimlinge trocknen im durch ihre Finger rinnen, huscht ein zufriedenes Lä- veranlasste, brachte Christina Grätz 2009/2010 auf Mulch nicht aus, es gibt kaum Wind- und Wasserero- cheln über ihr Gesicht. Dafür hat sie hart gearbeitet: die Idee, die Renaturierung ehemaliger Tagebauflä- sion und auch Mikroorganismen und Sporen werden Etwa 800 Kilo Samen verschiedener regionaler Wild- chen natürlich, hochwertig und effektiv in die Tat für den gesunden Boden mit übertragen. „So einfach, pflanzen, darunter seltene Arten und Erhaltungskul- umzusetzen. Sie arbeitete für ein Eberswalder Inge- effektiv und natürlich ist das“, ist Christina Grätz bis turen, stehen sofort versand- und verwendungsfähig nieurbüro in den Bereichen Bodenschutz und Land- heute begeistert. Und an diese Erkenntnis schlossen bereit. Sie entstanden aus ihrer Idee, aus Kraft, Mut, schaftsplanung. Ihr Einsatzgebiet war die Lausitz, sich weitere an: Der Vertragsnaturschutz, bei dem ge- Fleiß, Zeit und Geld. Vor allem die Liebe zur Natur, sie befasste sich als Botanikerin mit Monitoring und mäht und die Mahd kostenpflichtig entsorgt wird, ist die Verbundenheit mit der oft verwundeten heimat- Gutachtertätigkeiten. Als das Bergbauunternehmen nicht optimal. „Mahdgut ist doch kein Müll, sondern lichen „Scholle“ ist ihr stetiger Motor. ein Konzept suchte, um wertvolle Biotope auf Re- wertvoll“, sagt die Praktikerin überzeugt. Außerdem naturierungsflächen eines ehemaligen Tagebaus zu muss sie kein Saatgut mehr in anderen Bundeslän- W Achtung vor allen Tieren und Pflanzen wurde der schaffen, begab sich Christina Grätz tief in Litera- dern kaufen, das Geld bleibt vor Ort und sie kann lo- Wiesenmargeriten und er unvermittelt über die schmale As- dreifachen Mutter schon als Kind besonders vom tur und Forschung. Ihre Diplomarbeit hatte „Berg- kale Kooperationen mit Eigentümern, Nutzern und Rauer Löwenzahn wachsen phaltstraße kommt, zwischen reifen Vater vermittelt. Sie ist mit ihren Geschwistern in baufolgelandschaften“ (BFL) zum Thema. Doch aus Dienstleistern zum gegenseitigen Nutzen anstoßen. zur Samengewinnung. Maisfeldern mit dampfenden Kühltür- der Lausitz, in Radeweise, aufgewachsen. „Wir wa- der Vergangenheit lagen nur Erfahrungen und An- men im Hintergrund, reibt sich wahrscheinlich ver- ren eigentlich immer draußen“, sagt sie. Ihren ei- leitungen zu land- und forstwirtschaftlicher Renatu- Dass die Samenübertragung mit der Mahd nicht aus- wundert die Augen. Vor einem einsamen Hof liegen genen Kindern kann sie die schöne Umgebung des rierung vor. Nie zuvor wurde die planmäßige Her- reicht, war bald klar. Wollte Nagola Re der steigen- lange Beete mit seltsamen Anpflanzungen. Unregel- Elternhauses nicht mehr zeigen. An Radeweise er- stellung von Naturschutzflächen in BFL praktiziert. den Nachfrage gerecht werden, musste man selbst mäßig scheinen die Reihen, viele verschiedene Arten innert nur noch ein Gedenkstein. Mitte der 1980er Das interessierte sie so sehr, dass sie über die theore- Samenproduzent werden. Die Novellierung des Bun- wachsen auf relativ kleiner Fläche. Ein Versuchsan- Jahre mussten Christina und ihre Familie umziehen, tische Beschäftigung mit dem Thema in den Vollzug desnaturschutzgesetzes 2010 passte da gut: Bei der bau? Beim Näherkommen erkennt man, dass hier weil ihr Dorf für den Braunkohletagebau abgebag- der Aufgabe ging. Doch das war kein Arbeitsfeld für Begrünung freier Landschaft musste fortan heimi- Pflanzen gedeihen, nach denen der Unkrautstecher gert wurde. Ein Schicksal von vielen in der Regi- ein Ingenieurbüro und auch nicht für sie als Ange- sches Saatgut verwendet werden. Und weil Christina des Kleingärtners allzu gern ausrückt: Rotklee, Sau- on. Doch obgleich die Eltern an anderer Stelle ein stellte. Ohne Scheu vor dem Schritt in die Eigenver- Grätz frühere Kernkompetenzen nicht brachliegen erampfer, Wegeriche, Kerbel, verschiedenste Grä- Haus bauten, es ringsum Natur gab, kam die Heran- antwortlichkeit gründete sie ihr Unternehmen. 2011 lässt, sind sie und ihr 18-köpfiges Mitarbeiterteam ser und letztes Blühendes wie Wiesenmargerite oder wachsende mit diesem Einschnitt schlecht klar. Ih- stand die Idee, Mahdgut- und Oberbodenübertra- auch bei der Umsiedlung von Ameisennestern, beim Rauer Löwenzahn. Die Feldecken kommen „wüst“ re Heimatscholle bleibt Radeweise. Sie begann, sich gung bekannt zu machen und auszubauen, auf ih- Monitoring und als Gutachter tätig. Sie schreibt Be- daher. Dort lässt die Hofherrin stehen, was wächst, für Umweltschutz zu interessieren, engagierte sich rer Agenda. Auf diese Weise konnte sie ihren Beitrag richte und Förderanträge, dreht Imagefilme, sammelt denn wenn ringsum alles abgeerntet ist, brauchen schon als Abiturientin gegen den Braunkohleabbau. leisten, die naturräumliche Identität der vom Berg- wertvolle Samen per Hand und hat noch Ideen in der Insekten einen Überwinterungsplatz. Der Berufswunsch, Ärztin zu werden, war irgend- bau beeinflussten Heimat wiederherzustellen und zu Schublade: Es soll gekocht werden. Wildpflanzen als wann vom Tisch. Stattdessen begann sie 1993 an der erhalten: Durch das Mähen einer kompletten, heilen Nahrungsmittel könnten in einer weiteren Firma auf Die Frau, die solches im Sinn hat, ist Christina Berliner Humboldt-Uni ein Biologie-Studium. Sie Naturfläche (Parentalfläche) und die Übertragung dem Speisezettel stehen. Grätz, Biologin und seit 2011 Inhaberin der Firma pendelte in die Hauptstadt und wohnte zu dieser Zeit der gesamten Mahd auf eine geobotanisch und klima- „Nagola Re“. Ihr Unternehmen, das sich so natür- in Lakoma, einem Ort, den das gleiche Schicksal wie tisch ähnliche Filialfläche (z.B. Bergbau- oder Aus- Andrea von Fournier lich in die Lausitzer Wiesen neben Jänschwaldes Radeweise ereilen sollte. gleichsfläche, Deich) entsteht auf der Filialfläche ein Text und Fotos naturmagazin 4/2017 naturmagazin 4/2017
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