Natur-Wunder - Ev.-Luth. Kirche in Oldenburg
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› im oldenburger land 1 › 2021 magazin evangelisch ehrenamtlich engagiert mit der agazin Das M n D Natur-Wunder Autor Jürgen Westerhoff im Gespräch mit der Oldenburger Philosophin Helena Esther Grass PI LGE R N D IG ITA LE K I RC H E E H R E NA MT So weit die Füße Hashtag De Plattsnacker tragen #Glaube in de Kark
Gott und die Welt editorial Würde ich hoch fliegen, wo das Morgenrot leuchtet, mich niederlassen, wo die Liebe Leserinnen, liebe Leser, mehr als 15 Monate hat die Corona-Pandemie Deutschland fest im Griff gehabt, hat unser aller Leben völlig verändert. Die Auswirkungen sind enorm, sie berühren uns alle und wirken bis in die Sonne im Meer versinkt: tiefsten Winkel unserer Beziehungen. Mit Blick auf die deutlich steigenden Impfzahlen wächst in uns die Hoffnung auf weitere Lockerungen – und auf einen Sommer mit einem sich langsam wieder normalisierenden Leben. Gleichzeitig stellt sich aber auch die Frage, wie Selbst dort nimmst du nachhaltig das Virus unser Leben verändert hat. Immer wieder wurde betont, dass es kein Zurück in ein Leben vor der Pandemie geben werde. Zu grund- legend habe sich die Welt gewandelt. Daher rücken alte zentrale Fragen wieder neu in unser Blickfeld. mich an die Hand Fragen nach der Bedeutung unserer Beziehung zu Gott, zu anderen Menschen, zur Natur, zu unserer Umwelt und der Schöpfung insgesamt. Eine der gravierendsten Veränderungen war der Wechsel von der analogen in die digitale Welt, denn oft genug war nur so eine Begegnung mit anderen und legst deinen starken Menschen überhaupt möglich. Die war zwar anders, aber häufig auch anders gut. Diese Entwicklung nachhaltig mitzugestalten, die sich bietenden neuen Chancen auch für Kirchengemeinden und unser Zu- sammenleben zu nutzen, das wird eine zentrale Auf- Arm um mich. gabe sein von Ehrenamtlichen wie Hauptamtlichen. Auf der Suche nach Antworten finden Sie viele Ideen und Anregungen in dieser neuen Ausgabe von horizont e. Bleiben Sie behütet. Ihr TEXT: PSA L M 13 9 ,9 + 1 0 Dirk-Michael Grötzsch BASISB I B EL Leitung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit fotografiert von Tobias Frick presse@kirche-oldenburg.de foto: Tobias Frick horizont e 3
umfrage inhalt Wann und wo haben Sie zuletzt L I N A LU STE R 21 Jahre Studentin, Oldenburg 13 Menschen ehrenamtlich engagiert 2 GOTT U N D D I E WE LT 3 E D ITO R I A L Gottes Nähe gespürt? ›Vor einigen Wochen war ich mit einer Freundin 4 UMF R AGE spazieren, die ich länger nicht mehr gesehen 5 I N HA LT hatte. Vor der Pandemie waren wir beide in der 6 E R LE B E N J EAN N I N E D I E TZE 43 Jahre Jugendarbeit sehr engagiert gewesen. Während freiberufliche Musiklehrerin 6 Geborgen im Hier und Jetzt wir uns nun miteinander unterhielten, stellten wir fest, dass wir nicht und Chorleiterin, Edewecht 10 PI LGE R N So weit die Füße tragen nur uni- und coronabedingt den Kontakt zur Gemeinde verloren hatten, sondern auch zu Gott. Doch schon das Gespräch über ihn weckte in 12 Der Weg ist das Ziel ›Zusammen mit meiner Familie und 13 ME N S C H E N E H R E N A MTLI C H E N GAG I ERT mir ein warmes Gefühl: Es tat einfach gut, über Gott zu reden. Plötzlich Freunden musiziere ich bei Gottes- war er wieder ganz präsent, nachdem er im vergangenen Jahr auf der 13 Konzerte aus der Kirche diensten, wann immer es möglich ist. Prioritätenliste weit nach hinten gerutscht war.‹ 1 7 WE ITE R B I LD U N G Das sind jedes Mal besondere Momente, wo wir uns Gott ganz verbunden fühlen. Das gilt vor allem bei den Messen 17 Lernen, um zu leiten an Weihnachten und den Weltgebetstagen. Mehrere Tage D E N IS DAH L K E 34 Jahre 18 Auf ein Wort schwingt dieses Gefühl dann noch nach. Meinem Mann Pastor, Oldenburg-Ofen 20 Gemeinde gemeinsam gestalten geht es ähnlich; die Kinder sind da zurückhaltender. Doch 2 1 KI RC H E D I GITA L auch die Zuhörenden sind nach diesen Gottesdiensten oft ›Ich lese gern in der Bibel; das ist ergriffen. Speziell die Baptisten in Jeddeloh, die ihr Herz sicher untypisch für einen Mann in 21 Die Drei von der digitalen Kanzel ohnehin eher auf der Zunge tragen, danken uns Musikerin- meinem Alter. Aber ich finde dort 24 Drehen. Schneiden. Senden. nen und Musikern manchmal geradezu überschwänglich‹ immer wieder Kraft und Zuversicht. 26 Hashtag #Glaube Kürzlich stieß ich auf eine Bibelstelle aus Jesaja 66,13: 27 F R AGE B O GE N S I L JA L I N D B E RGH 46 Jahre ›Gott spricht: Ich will dich trösten, wie eine Mutter ihr Wilhelmshaven Kind tröstet.‹ Das ging mir unter die Haut. Gerade weil meine Mutter schon lange tot ist, spürte ich in diesem 21 Kirche digital ›Wenn es bei mir mal nicht rund läuft, suche Satz einen besonderen Zuspruch. Da war Gott ganz nah. ich nach einer Möglichkeit, Gott zu spüren. Ich wusste, ich kann alle meine Ängste und Sorgen auf Besonders gut gelingt mir das in der Natur. ihn legen, so wie ich es früher bei meiner Mutter tat.‹ Dort setze ich mich dann hin und konzentriere mich auf das, was ich um mich herum höre und sehe. In diesen Momenten fühle ich ganz stark seine Nähe. Als Gleitschirmfliegerin H AN N A STAU B 18 Jahre übe ich ständig, günstige Thermiken wahrzunehmen, denn sie Auszubildende, Metjendorf sind es, die mich durch die Luft tragen. Und so ähnlich übe ich auch immer wieder, Gott wahrzunehmen. Ich brauche ihn, denn er ist ›Ich war dreieinhalb, als ich es, der mich durchs Leben trägt.‹ Leukämie bekam und monatelang im Krankenhaus lag. Im Rückblick C H R I STI NA VA N D Ü L L E N 74 Jahre erkenne ich, dass Gott in dieser Rentnerin, Edewecht Zeit bei mir gewesen sein muss und mir geholfen hat, gesund zu werden. Heute erlebe ich seine Anwesenheit ›Es ist noch gar nicht lange her, dass ich mit einem ge- auf vergleichbare Weise. Ich mache eine Ausbildung brochenen Bein ins Krankenhaus kam. Neben mir lag zur Pflegefachfrau mit Schwerpunkt Kinderheilkunde. eine ältere Dame, die immer mit den Fingern auf das Auf der Frühchenstation sehe ich jeden Tag, wie die Bett klopfte. Wegen Corona durfte uns niemand be- kleinen Menschen um ihr Leben kämpfen, aber auch, suchen. Doch eines Tages kam ihre Tochter. Tags darauf, ein Sonntag, blieb dass sie dabei nicht allein sind. Das gibt auch mir die das Klopfen aus. Ich rief den Pfleger, der mir sagte, die Frau liege im Sterben. nötige Kraft. Denn ich spüre, dass Gott bei mir ist und in Es war überhaupt nicht beängstigend, eher friedlich. Ich spürte, sie war wichtigen Augenblicken sagt: Bleib’ entspannt, komm’ 10Pilgern in Etappen auf dem Weg zu Gott – und das nahm mir selbst die Furcht vor dem Tod.‹ runter, atme tief durch.‹ fotos: Tobias Frick, Hans-Werner Kögel; illustration: Neele Jacobi AKR A M ›M A N I ZH E H ‹ E B R A H I MI 54 Jahre, Angestellte, Wilhelmshaven CARSTE N H OM AN N 65 Jahre Pensionär, Vechta IMP R ESSUM eine umfrage von michael eberstein; fotos: privat ›Ich bin Gott in jedem Moment meines Lebens nah. In sämtlichen ›Als das Kind von guten Freunden vor zwei Jahren horizont e ist das Magazin der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Oldenburg. Es erscheint dieses Jahr dreimal im Einzugsgebiet der oldenburgischen Kirche. starb, zweifelten seine Eltern an der Existenz Gottes H ERAUSGEBER: Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Ev.-Luth. Kirche in Oldenburg, Anschrift: horizont e Philosophenweg 1, 26121 Oldenburg, Telefon 0441/7701-193, Stunden meiner Erinnerung, den presse@kirche-oldenburg.de, www. kirche-oldenburg.de REDAKTIONSLEITUNG: Hans-Werner Kögel, Dirk-Michael Grötzsch (V.i.S.d.P.) schweren Zeiten der Obdachlosigkeit und weigerten sich, in diesem schrecklichen Unglück TEXTCH EFI N: Gunthild Kupitz, Hamburg ART DI REKTION / PRODUKTION: Designbüro Möhlenkamp & Schuldt, Bremen BERATUNG: Ulf Grüner, Hamburg und Einsamkeit. Als einige meiner Lieben im Iran starben, einen Sinn zu sehen. Ich war plötzlich konfrontiert REDAKTION ELLE BEITRÄGE: Thomas Adomeit, Michael Eberstein, Dirk-Michael Grötzsch, Uwe Haring, Laelia Kaderas, Annette Kellin, Thomas Klaus, spürte ich Gott neben mir, der mich zur Geduld rief. Ich bin mit der Frage nach dem Sinn des Glaubens an einen Gott, dessen Existenz Hans-Werner Kögel, Annette Muschalik, Sara Mously, Robert Otto-Moog, Fabian Reinke, Doris Vogel-Grunwald, Jürgen Westerhoff, Andreas Zuch in Frieden mit ihm. Weil ich weiß, dass der lebendige Gott in solch einem schlimmen Schicksal nicht spürbar ist, und stellte fest, dass BI LDNACHWEISE: Titel: Tobias Frick // Tobias Frick, Erik Hillmer, Hans-Werner Kögel, Henning Menke, Eva Muschalik, Robert Otto-Moog und Privatfotos, mein einziger Gott in dieser Welt und im Jenseits sein das Trostspenden aus dem Glauben in unserer säkularen Welt den Illustrationen: Neele Jacobi DRUCK: Prull-Druck GmbH & Co. KG, Scheideweg 25–29, 26121 Oldenburg PAPI ER: Recycling aus 100 % Altpapier mit Adressaten meist nicht erreicht und tröstet. Doch ich selbst finde in der Umweltzeichen ›Blauer Engel‹ horizont e ist beim 11. icma International Creative Media Award mit einem Award of Excellence für das herausragende Design wird. Ich habe hier den wahren Gott gefunden. Mit jedem der Zeitschrift ausgezeichnet worden. FEEDBACK: Bei Rückfragen und Anregungen schreiben Sie uns unter presse@kirche-oldenburg.de oder nutzen Atemzug erlebe ich das Wunder seiner Existenz. Gott ist Auseinandersetzung mit diesen Gedanken einen Zugang zu Gott, der nur Sie unseren Newsletter unter www. kirche-oldenburg.de/horizonte. Dort erhalten Sie auch Informationen zu den folgenden Ausgaben und Themen. in meinem Herzen.‹ persönlich erfahrbar ist, aber nicht teilbar.‹ 4 horizont e horizont e 5
ER LEB EN D er Ort, den Helena Esther Grass für das Gespräch Ganzen bin. Denn ich fühlte mich in dieser ext- gewählt hat, beeindruckt durch seinen herben remen Naturerfahrung zugleich auch beschützt Charme. Es ist ein Ort, an dem die junge Philo- und aufgehoben. Karl Jaspers spricht in diesem sophin Ruhe und Kraft findet. Ein Ort, der ihr Zusammenhang vom ›Aufgehobensein im Um- ein Gefühl von Weite vermittelt, der sie mit der greifenden‹ oder auch vom ›Aufgehobensein in Welt verbindet und sie gleichzeitig erdet. Ein Gott‹. Ort, der nur wenige Minuten von ihrer Woh- nung entfernt liegt, ein Stück wunderbarer Na- Was bedeutet das für unseren Umgang tur mitten in Bremen, am Ufer der Weser, einen mit der Natur? Steinwurf entfernt vom Fußballstadion. Achtsamkeit ist für mich ein wichtiger Grass arbeitet an der Carl von Ossietzky Schlüsselbegriff. Auch wenn jede Kultivierung Universität Oldenburg an der Professur für von Natur immer auch ein Stück weit ihre Un- praktische Philosophie; sie ist Mitinhaberin terwerfung bedeutet, geht es doch um ihre An- der dortigen Adorno-Forschungsstelle. Mittags, erkennung und Achtung. Ich glaube, wir täten wenn sie schon einige Stunden mit Denkarbeit gut daran, uns stärker als Teil der Natur zu ver- am Schreibtisch verbracht hat, braucht sie et- stehen, als Teil eines Ganzen, das uns überdau- was um sich herum, das echt ist: Steine, Son- ert und dem wir einen respektvollen Umgang nenstrahlen, Hunde, etwas, das wildwüchsig, schulden – so stehen Naturerfahrung und Got- ein wenig rau und unkultiviert ist, ein kleines teserfahrung nah beieinander. Natur kann ei- Paradies. nerseits gewaltsam sein, gleichzeitig ernährt Ein Spaziergang ist verabredet. Und ein Ge- sie uns, lässt uns leben. Deshalb verdient sie spräch über Natur und Gotteserleben. Es soll da- Pflege und Wertschätzung. Und immer wieder rum gehen, warum die Natur so wichtig für uns zeigt sie uns große und kleine Wunder, bringt Menschen, warum sie ein guter Ort ist, um sich uns zum Staunen, wenn beispielsweise frisches selbst zu spüren und möglicherweise auch zu Grün aus morschem Holz sprießt. Gott zu finden. Und was das alles mit Immanuel Kant, Karl Jaspers und Albert Camus zu tun hat, Trotzdem schützen wir sie zu wenig. welche Rolle Achtsamkeit dabei spielt und wie Sind uns Geist und Kultur wichtiger? ein gutes Leben gelingen kann. Wir Menschen sind nach Immanuel Kant Mit dabei ist Konrad, ein zweijähriger Bürgerinnen und Bürger zweier Welten: der Riesenschnauzer. Er ist ausnahmsweise nur natürlichen und der intelligiblen Welt, also Begleiter, nicht Mittelpunkt. Ein paar Streichel- einer Welt, die nur durch den Intellekt, nicht einheiten, und dann geht es auch schon los. aber sinnlich wahrnehmbar ist. Das bedeutet, dass wir einerseits Körper und damit vergäng- Geborgen Frau Grass, wann haben Sie die Natur liche Materie sind, andererseits aber geistige hier zuletzt besonders intensiv erlebt? Wesen, denn wir verfügen über Verstand und Vor gut einem Jahr war ich während ei- Vernunft, können also unser Denken und Han- und Jetzt nes heftigen Sturms im Norden Dänemarks deln bestimmen. Diese Fähigkeit hat zu einer im am Meer. Die Wellen krachten tosend an den Abwertung des Körpers geführt, der allzu oft Strand und die Gischt peitschte in mein Ge- als bloßes Instrument des Geistes verstanden sicht. Es waren ungeheure Kräfte am Werk; es wird. Doch wir sind Körper und Geist zugleich. schien, als sei die Welt aus den Fugen geraten. Auch wenn man sie voneinander unterscheiden Für mich war es eine außeralltägliche Erfah- kann, lassen sie sich nicht voneinander trennen. rung. Und damals spürte ich deutlich: Die Welt Ähnlich verhält es sich bei der Verbindung von ist viel gewaltiger, unberechenbarer, ja, auch be- Kultur und Natur: Kultur ist ohne Natur nicht Als Menschen sind wir Teil der Natur und damit Teil eines größeren Ganzen. drohlicher, als ich sie bislang erlebt hatte. Und denkbar und umgekehrt. Es ist deshalb kurz- In ihr spüren wir uns selbst und fühlen uns beschützt. Ein Gespräch mit doch erkannte ich, dass ich Teil eines größeren sichtig, die Kultur der Natur vorzuziehen. der Oldenburger Philosophin Helena Esther Grass über Kant, Konsum und das gute Leben. TEXT J Ü RG EN WESTER H OF F F OTO S TO B I AS F R I C K 6 horizont e horizont e 7 ›››
ER LEB EN Die Natur ist die beste Umgebung für gute Gespräche – Die wildbewachsenen Ufer der Weser unweit des finden Philosophin Grass und Autor Westerhoff – Fußballstadions sind für Helena Esther Grass ein mit sich und miteinander. guter Ort zum Nachdenken. Gibt es denn guten oder richtigen Konsum? prinzipiell unmöglich. Wir müssen die Zu- Schwierige Frage. Fest steht, dass der versicht bewahren, dass wir etwas verändern Mensch ein Wesen ist, das konsumieren muss, können. Dabei ist es wichtig, im ständigen Aus- sei es Wasser, Nahrung oder Kleidung. Wir kön- tausch mit anderen zu stehen. Wir sind keine In- nen nicht nicht konsumieren. Doch wenn die seln, wir brauchen einander, um Mensch zu sein. Menschen nur noch das kauften, was sie wirk- Und wenn wir das christliche Gebot ernst neh- lich benötigten, und dies lange verwendeten, men, den Nächsten so zu lieben wie uns selbst, wäre das ein großer Schritt in die richtige Rich- dann könnte Solidarität dabei herauskommen: tung. Was wir als Gesellschaft wirklich brau- Sie ist ein menschliches Grundbedürfnis, das chen, ist mehr Gemeinschaftsgefühl. Schließlich letztlich gleichbedeutend ist mit christlicher können wir als Individuen nur in Gesellschaft, Nächstenliebe. mit Gesellschaft und durch Gesellschaft funkti- onieren. Und unser Handeln macht etwas mit Am Ende des Spaziergangs sind noch so viele der Welt: Jede Plastiktüte, die im Meer landet, Fragen offen: Wie ist das richtige Verhältnis zu steckt irgendwann im Bauch eines Fisches. Aber mir selbst? Wie gehe ich mit den Dingen um, die natürlich ist es schwer, globale Probleme durch mich umgeben? Wie mit den Menschen? Wie individuelles Handeln lösen zu wollen. Das positioniere ich mich zur Gesamtgesellschaft? überfordert jeden und jede. Wie beantworte ich die Fragen nach dem Sinn des Lebens? Nach Gott? Aber was folgt daraus? Resignation? Konrad, der robuste Riesenschnauzer, ist W Auf keinen Fall. Nur weil wir Probleme nicht zufrieden. Er steht beim Abschied endlich im alleine lösen können, bedeutet das nicht, dass Mittelpunkt. Es gibt Streicheleinheiten. Und wir so handeln sollten, als wäre eine Lösung Leckerli. e enn Grass über Gott und die Welt nachdenkt, weil durch die kleinschrittige Verbreitung des sitzt sie üblicherweise am Schreibtisch, wo Virus‘ von Mensch zu Mensch ein globales Prob- sie schwarzen Tee in rauen Mengen trinkt, lem entstehe, zum anderen, weil es durchaus ei- Mit der Yogaübung ›Kriegerin‹ trainiert Helena am liebsten Assam, extra lange gezogen, mit nen Unterschied mache, wer was tue oder eben Esther Grass Kraft, Mobilität und Beweglichkeit. etwas Sojamilch. Dass sie keine Kuhmilch unterlasse. Die Weser schenkt ihr die Ruhe dazu. nimmt, hängt mit einer Entscheidung zusam- Doch die Pandemie eröffne bei allen negati- men, die sie im Alter von zehn Jahren getroffen ven Begleiterscheinungen auch einen Möglich- hat. Damals sah sie in einer Fernseh-Dokumen- keitsraum, findet Grass. So könne man verstärkt tation, wie ein Schwein geschlachtet wurde, darüber nachdenken, was einem wirklich wich- und beschloss, kein Fleisch mehr zu essen. Nie tig sei, zum Beispiel: Was macht mir Freude? mehr. Und sie blieb dabei. Heute verzichtet sie Welche Tätigkeiten bedeuten mir etwas und fast gänzlich auf Tierprodukte, hat ein Paten- welche Rituale? Was gibt mir Halt? Was Sinn? schwein auf einem Gnadenhof und vor einiger Zeit einen Hund beim Sterben begleitet. Diese Welche Konsequenzen ziehen Sie für sich vorsichtige Haltung Tieren und der Natur ge- selbst aus der Krise? genüber hilft ihr, einen Gegenakzent zu mensch- Ich versuche, ein gutes Leben zu führen – lichen Allmachtsphantasien zu setzen. und zwar nicht im Sinne von angenehm oder Hier draußen am Weserufer hält sie inne gar luxuriös, sondern im Sinne eines richtigen und betrachtet das frische Grün, das so zart und Lebens. Ein gutes Leben ist für mich ein einfa- verletzlich wirkt, dennoch aber kraftvoll wächst. ches Leben. Ich glaube, wir leiden heute an ei- Sie erzählt, dass sie in diesem rauen Idyll der nem Zuviel: zu viele E-Mails, zu viele Bücher, zu Natur gelegentlich ganz nahe kommt. Beispiels- viele Kleider, zu viel dies und zu viel das. Um weise bei Yoga-Übungen wie dem ›Krieger‹, um nicht in einem Meer von Möglichkeiten un- die eigenen Kräfte zu mobilisieren. Natürlich terzugehen, müssen wir aussortieren, was wir drängt sich bald auch Corona ins Gespräch. Die nicht mehr benötigen. Was wir hingegen brau- Krise zeige, wie begrenzt unsere individuellen chen, ist eine Logik der Angemessenheit – oder und gesamtgesellschaftlichen Handlungsmög- wie Albert Camus sagt, eine Ethik der Mitte und lichkeiten seien. Gleichzeitig aber werde die zen- des Maßes, die uns in der jeweiligen Situation trale Rolle des Einzelnen deutlich: Zum einen, entspricht. 8 horizont e horizont e 9
PI LG E R N P I LGER N Seit neun Jahren pilgert der heute 65-jährige Dieter Stahl aus Stuhr- Vom Mut, Neues zu wagen Varrel mit einer Gruppe Richtung Vor 25 Jahren wurde bei mir ein Melanom entdeckt, ganz knapp bin ich Santiago de Compostela – jeden dem Tod von der Schippe gesprungen. Die Krankheit hat mich Gott näher- Sommer ein Stück weiter. Sie eint gebracht: Sie war sein Wink, dass ich mein Leben ändern sollte. Ich gehe die Freude, unterwegs zu sein. Denn heute achtsamer mit mir um und engagiere mich im Gemeindekirchenrat. überall begegnen sie Gott. Auch beim Pilgern begegne ich Gott – in der Natur und in unseren Ritualen. Dazu gehören eine Morgen- und eine Abendandacht. Und die tägliche E I N P ROTO KOL L VO N SAR A MO US LY Schweigezeit: Jeden Tag gehen wir 45 Minuten lang jede und jeder für I L LU STRATI ON N E E LE JACO B I sich. Anfangs ist mir das schwergefallen, inzwischen habe ich es gelernt. Wenn man den Mut hat, etwas Neues zu wagen, dann schafft man es auch. Daran glaube ich fest, denn das Leben ist voll positiver Über- raschungen. Zum Beispiel, wenn, wie geschehen, eine Unterkunft Der Start plötzlich ausfällt und sich spontan eine neue auftut. Oder, wie auf Treffpunkt am 6. Juni 2012, einem Mittwoch, um unserer bislang letzten Etappe, als wir in Taizé an einem Gottesdienst viertel vor sieben Uhr morgens vor unserem teilnehmen, wo uns die rituellen, warmen Gesänge tief beeindrucken. Gemeindehaus in Stuhr. Der Himmel ist bedeckt, Beseelt, wie wir sind, beschließen wir, in unserer Gemeinde ebenfalls diese es ist kühl, Aufregung und Neugier liegen in meditativen Gottesdienste anzubieten. So wirkt sich das Pilgern auch auf der Luft. Wir sind 16 Männer und Frauen, die das Leben unserer Heimatgemeinde aus. Füße in Wanderstiefeln verschnürt. Unsere erste Etappe wird uns rüber nach Wildeshausen führen, wo wir auf den Jakobsweg treffen. Im Kilometer um Kilometer Gepäck Luftmatratzen, Schlafsäcke und Franz- Jedes Jahr ist die Gruppe etwas anders zusammengesetzt. branntwein für unsere Füße. In unseren Ich gehöre zu denen, die immer dabei sind. Wir lau- Köpfen ein Ziel: Santiago de Compostela. fen pro Tag 2 0 bis 24 Kilometer. Durchhalten ist mir wichtig, auch wenn es regnet oder der Frust steigt, weil wir uns schon wieder verlaufen haben. Ich habe es auch schon mal etwas übertrieben und bin trotz Husten und Kniebeschwerden weitergelaufen. Das Der Plan würde ich künftig allerdings nicht mehr machen. Man wird ja auch weiser und erfahrener. Zur Not können wir Genau 3002 Kilometer sind es bis Santiago. Unsere immer die Reißleine ziehen: Für alle Fälle haben wir ein Pfarrerin Eike Fröhlich hatte die Idee, einfach mal Begleitfahrzeug dabei. loszulaufen. Anfangs waren wir jeweils eine Woche unterwegs, inzwischen sind es zwei. 1600 Kilometer haben wir bislang geschafft. Dabei ist die sportliche Herausforderung nicht das Wichtigste. Vielmehr geht es Lebenslange Leidenschaft beim Pilgern um innere Einkehr. Vorläufiger Zwischen- stopp: Montbrison. Wegen Corona mussten wir im vergangenen Sommer in Deutschland bleiben, aber Längst ist das Pilgern zu einem festen Bestand- auch hier gibt’s zum Glück viele Jakobswege. Entschleunigung teil meines Lebens geworden. Wenn ich mir den Rucksack aufsetze, und sei es nur für Tagesaus- Unsere erste Etappe endet nach 170 Kilometern in Osnabrück. Mit dem Auto brauche ich dorthin keine flüge im Oldenburger Land alleine oder mit zwei Stunden; zu Fuß sind wir sieben Tage unterwegs. anderen, fühle ich mich ›on tour‹. Auf- Ich genieße diese Entschleunigung. Sie erlaubt mir, tief hören kommt für mich nicht infrage, in mich hineinzuspüren. Auch das macht für mich auch dann nicht, wenn wir in Santiago einen wichtigen Teil des Pilgerns aus. Für den Notfall angekommen sind. Wer weiß, vielleicht laufe haben wir ein Handy dabei, aber meist steckt es tief ich dann einfach wieder zurück? im Rucksack. Ich höre jedes Knacken unter meinen Füßen, fühle jeden Sonnenstrahl auf der Haut. 10 horizont e horizont e 11
PI LG E R N menschen Der Weg ist das Ziel EH R EN A MTLIC H EN GAGI ERT Pilgern erdet und himmelt. Egal, ob zu Fuß oder ›720 Klicks auf Youtube – so viele Zuhörende mit dem Rad, ob 20 Kilometer oder 2000, ob hätten niemals in die Kirche gepasst.‹ allein oder in Gemeinschaft, ob in der Nähe oder weit weg. Es ist das Erleben von Wäldern, Wiesen, mich nicht nur darüber, dass gut 80 Prozent Wolken und Wasser, von Stille und Sonne, das uns der Mitglieder unter diesen deutlich schwieri- ankommen lässt – bei uns selbst. Vier Strecken, geren Bedingungen dabeigeblieben sind, son- die Klarheit und Kraft schenken. dern vor allem auch, dass das virtuelle Üben Von Annette Muschalik richtig viel gebracht hat. Mitte Mai haben wir nämlich auf dem Kirchplatz bei Nieselregen Stadt, Land, Meer und mit Abstand zum ersten Mal seit Monaten h Ökumene – ganz sportlic 2019 machte der Kirchenkreis Friesland-Wilhelms- wieder miteinander gesungen: eine Messe des haven der Marinestadt zum 150. Geburtstag ein zeitgenössischen amerikanischen Komponisten Der Wangerländische Pilgerweg ist eigentlich eine besonderes Geschenk: Er entwickelte gemeinsam Bernard Wayne Sanders. Und es klang schon Rundtour für Radler, doch einzelne Etappen eige- mit dem Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club ziemlich gut. Irgendwann werden wir damit nen sich auch gut zum Wandern. Was ihn so be- den Stadtpilgerweg GeZeitenweg. Die Strecke auch ein Konzert geben – wann immer das sonders macht? Außer der Nähe zum UNESCO führt an zwölf zwischen dem 13. und sein wird Weltkulturerbe Wattenmeer sind es vor allem die 20. Jahrhundert erbauten Kirchen vorbei und lässt Auch als Organist der Kirchengemeinde, vielen imposanten Kirchen, evangelische wie ka- sich entweder mit dem Rad abfahren oder für die ich als Kirchenmusiker im Nebenamt tholische. Die meisten sind im 13. Jahrhundert in drei Teiletappen zu Fuß gut bewältigen. tätig bin, waren die vergangenen Monate eine erbaut und thronen auf den als Warften bezeich- S C HWI ER I GKEITS GR AD: leicht L ÄNGE: 35,7 Kilometer ziemliche Herausforderung. Weil ich möglichst neten Siedlungshügeln mit Blick über die Dörfer HAU PTO RTE: Wilhelmshaven sowie die Dörfer viele Menschen auch in Corona-Zeiten an der des Wangerlands. Sengwarden und Fedderwarden MER KM ALE: Kirchenmusik teilhaben lassen wollte, bin ich SC H WI E R I GKE ITSGR A D : mittel bis schwer L Ä N G E: knapp 70 Städtisches Leben im Wechsel mit ländlicher bereits im März 2020 dazu übergegangen, Kilometer H AU PTORTE: Hohenkirchen als Verwaltungssitz Umgebung I N FO RM ATI O N EN: bit.ly/3bVaY6g mich und auch andere, befreundete Organisten der Gemeinde Wangerland sowie die Küstenorte Schillig se beim Orgelspielen per Fernbedienungs-Funk- (Horumersiel) und Hooksiel mit touristischer Infrastruktur Etappenweise Erlebnis foto: Tobias Frick tion mit der Kamera zu filmen und die Videos Konzerte aus der Kirche ME R KM A LE : Flache Wegstrecken, die insgesamt 700 Kilometer ist die Via Baltica lang. Als Teilstre- später auf den Youtube-Kanal der Johannes- zwölf evangelische und zwei katholische Kirchen mit- cke des Jakobswegs führt sie von Usedom über kirche zu stellen. In den ersten zehn Wochen einander verbinden I N FO RM ATIO N EN : bit.ly/3xcCzbL und die Dammer Berge bis nach Osnabrück. Von allen des vergangenen Jahres habe ich auf diese bit.ly/3xkRAIC M ATTH IAS P ROBST 53 JAH R E hier vorgestellten Wegen bietet sie das bergigste Weise rund 50 Orgelstücke quer durch die ist Chorleiter und Organist in Oldenburg-Osternburg Der Mix macht‘s Profil. Die 31. Etappe im Oldenburger Münster- Jahrhunderte veröffentlicht – von J.S. Bach F land führt durch den Naturpark Dümmer, vorbei über Johannes Brahms bis zu zeitgenössischen Und noch ein ökumenischer Pilgerwander- oder am Dammer Bergsee, und bietet an vielen Stellen › ür Kirchenchöre ist die Corona-Pandemie Komponistinnen und Komponisten. Und -radweg: Knapp 70 Kilometer führt Ochtum, schattenspendenden Wald. Wer ein Wochenende besonders herausfordernd. Sich wie früher seitdem kamen zahlreiche Beiträge dazu. Marsch und Moor durch die unterschiedlichsten Zeit hat, kann seine Wanderung bereits in Au- üblich zu Proben zu treffen, war ja lange nicht Der Aufwand hielt sich dafür in Grenzen: Landschaften, streckenweise auf Tuchfühlung mühle beginnen und auf den Etappen 29 und 30 möglich. Deshalb hat der Johanneschor der Für das Filmen mit verschiedenen Einstellun- mit dem Nebenfluss der Weser. Große Land- unter anderem den Naturpark Wildeshauser Geest Evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde gen habe ich für jedes Stück etwa eine Stunde schaftskreuze weisen den Weg und kennzeich- durchqueren und die Kreisstadt Vechta besuchen. Oldenburg-Osternburg, den ich seit 2016 eh- gebraucht, fürs anschließende Schneiden eine nen zugleich besonders schöne Orte, die zu einem S C HWI ER I GKEITS GR AD: mittel L ÄNGE: 20,8 Kilometer renamtlich leite, die Videokonferenz-Plattform weitere halbe Stunde. Im Laufe der Zeit bin ich Zwischenstopp einladen. Kleine Kapellen sowie HAU PTO RTE: Steinfeld, Damme, Vörden MER KM ALE: Bergiges Microsoft Teams genutzt, damit wir zumindest in Sachen Bild und Ton immer besser gewor- zum Teil sehr alte Kirchen bieten überdies Ruhe Profil mit dem Signalberg als höchstem Punkt (146 Meter). virtuell regelmäßig zusammenkommen konn- den. Und auch mit der Resonanz bin ich durch- und Besinnung. Auf dem Weg finden sich unter anderem ein Waldlehr- ten. Diese Übungsweise ist wesentlich anstren- aus zufrieden: Die Klickraten der Videos sind SC H WI E R I GKE ITSGR A D : leicht L Ä N G E: Rund 70 Kilometer pfad, ein Wassererlebnissteg sowie ein Moorerlebnispfad gender und, ehrlich gesagt, auch unbefriedigen- meist dreistellig. Bisheriges Lieblingsstück ist Bremen, Lemwerder M ER K M A L E: 16 Stationen illustration: Neele Jacobi HAU PTORTE : I N FO RM ATI O N EN: bit.ly/3dHG5TJ, bit.ly/3dFDJED und bit. der. Wegen der asynchronen Übertragung habe ein komplettes Orgelkonzert von Tjark Pinne, mit 7 Wegkreuzen aus Stahl, Holz oder Stein sowie 8 Kapel- ly/3esutTy ich nämlich den Ton immer stumm geschaltet – das wir an zwei Tagen im Dezember aufge- len und Kirchen markieren den Pilgerweg I N FO RM ATIO N EN: Weitere Anregungen unter ich konnte also nur sehen, wie sich die Münder nommen haben. Es hat derzeit 720 Klicks. So bit.ly/3gyft9h www.urlauberkirchen.de/pilgerwege bewegten. Trotzdem war diese Vorgehensweise viele Zuhörende hätten niemals in die Kirche sehr viel besser als nichts. Und jetzt freue ich gepasst.‹ AU FGES C H R I EB EN VO N TH OMAS K L AU S 12 horizont e horizont e 13
EH R EN A MTLI C H E NGAG I E RT EH R ENA MTLIC H EN GAGI ERT A uf Heimweh hatte Julia Zimmer sich einge- stellt, als sie im August 2019 für das geplante Jahr nach Ghana aufbrach. Schließlich war die ›Schon in der elften Klasse war ich mir sicher, dass ich mich nach dem Abitur erst mal in der Welt umschaue.‹ Und als ihre Tante, damals ›Gott sien Hart sleiht för Platt‹, also ›Gottes Herz schlägt für Platt‹ damals 19-Jährige bis dahin nie länger als vier Pröbstin von Nord-Nassau, sie auf die Freiwil- Wochen von ihrer Familie getrennt gewesen. ligenprogramme der Vereinten Evangelischen Doch von Anfang an war sie so erfüllt von den Mission sowie der Norddeutschen Mission auf- neuen Eindrücken, von der offenen Art der merksam machte, bewarb sich Zimmer spon- Menschen im Land, von der Herzlichkeit ihres tan für verschiedene Projekte. Afrika oder Jahren Gottesdienste in plattdeutscher Sprache. Mentors und seiner Familie, von den Aufgaben Asien? Das war ihr egal. Nur irgendetwas mit Damit sie innerhalb der Kirche einen höheren in Kindergarten, Schulen und Straßenprojekt Menschen sollte es sein. ›Nicht ich habe mir Stellenwert bekommt, engagiere ich mich in – da konnte Sehnsucht nach Deutschland gar Ghana ausgesucht, sondern Ghana mich‹. dem Verein Plattdüütsch in de Kark als Vor- nicht aufkommen. Nach einem zehntägigen Vorbereitungs- sitzender. Vor drei Jahren in Loccum gegründet, seminar kam sie in Ho an, einer Stadt mit hat er mittlerweile rund 110 Mitglieder, da- J U L IA Z I M ME R 2 0 JA H R E 100.000 Einwohnerinnen und Einwohnern, runter mehrere Kirchengemeinden. Wir setzen stammt aus der Kirchengemeinde Ofenerdiek und war mit die bis zum Ersten Weltkrieg Teil der deut- uns dafür ein, dass die Bibel ins Plattdeutsche dem Freiwilligendienst in Ghana schen Kolonie Togoland war. Schon nach übersetzt wird, aber eben auch, dass Platt in Die Welt entdecken. wenigen Tagen unterstützte sie Kindergärt- Broschüren verwendet wird – sei es für Gottes- nerinnen und Lehrerinnen und übte mit den dienste, Fortbildungen oder für Veranstaltun- Und sich selbst. jüngeren Kindern Buchstaben und Zahlen, gen für kleine und große Leute. Denn wir assistierte in höheren Klassen bei Physik- möchten das Plattdeutsche in unseren Kirchen experimenten. Völlig freie Hand hatte die lang- erhalten. Erfreulicherweise stellt die Ev.-luth. foto: Tobias Frick jährige Teamerin bei einem Hausprojekt, in Landeskirche Hannovers dafür auch eine halbe dem Kinder mit nur einem Elternteil lebten. Pfarrstelle bereit, die wir als Verein mitfinan- ›Da habe ich zum Beispiel Ball- und Gruppen- zieren. Außerhalb der Kirche fördere ich die spiele gezeigt, die ich von der ejo kannte‹, plattdeutsche Sprache in meinem Ehrenamt foto: Tobias Frick De Plattsnacker erzählt sie. als Plattdeutsch-Beauftragter der Gemeinde Sie lernte schnell, fand Freunde. Englisch Hude. fiel ihr nicht schwer, nur in der lokalen Spra- Woher meine Vorliebe für diese Sprache che Ewe blieb es bei Floskeln. Eigentlich, sagt CAR STEN MÖH LEN B RO C K 6 3 JAH R E kommt? Ich bin Muttersprachler, also mit Platt Zimmer, sei sie ein zurückhaltender Mensch. setzt sich in Hude für die plattdeutsche Sprache aufgewachsen. In der Schule war das allerdings ›Aber dadurch, dass ich allein in Ghana war, in der Kirche ein nicht gewünscht. Ich bin Jahrgang 1958. Und musste ich mich öffnen.‹ zu meiner Zeit war es noch üblich, dass die Bald begann sie, neu auf Gewohntes zu Lehrerinnen und Lehrer den Schülerinnen und G schauen. Auf den Tod zum Beispiel, der in Schülern das Hochdeutsche im wahrsten Sinne Ghana eher freudig gefeiert wird. Oder darauf, › ott sien Hart sleiht för Platt, also ‚Gottes Herz des Wortes einprügeln wollten. Das konnte hellhäutig zu sein. Und dass sie erst nach schlägt für Platt‘, sage ich immer. Deshalb meiner Freude am Platt aber nichts anhaben. Monaten von Yevu, der Weißen, zu Julia wurde, mache ich mich schon seit vielen Jahren für Sie ist geblieben und hat mir das Leben oft einem Menschen mit einem Namen. das Bewahren der plattdeutschen Sprache stark leichter gemacht. Zum Beispiel während Doch dann, plötzlich, im März 2020, war – und natürlich auch innerhalb der evangelisch- meiner Tätigkeit in der freien Wirtschaft. Da alles vorbei: Corona. Zimmer musste nach lutherischen Kirche. Plattdeutsch ist für mich wirkte es wie eine Art Türöffner, wenn ich bei nur sieben Monaten zurück nach Deutschland. eine sehr warme und farbige Sprache, vor Verhandlungen Platt gesprochen habe. Ähnli- Heute studiert die 20-Jährige Internationale allem auch deshalb, weil sie so viele interessan- ches stelle ich in der Kommunalpolitik fest. Beziehungen an einer privaten Universität in te Dialekte enthält. Wer platt spricht, ist näher In der Gesellschaft allgemein, aber eben Karlsruhe – mit einem Stipendium von an den Menschen dran und erreicht sie ganz auch in der Kirche, beobachte ich eine Renais- Weltwärts, der Organisation ihres Freiwilligen- direkt: mitten ins Herz. Und in Platt wird sance des Plattdeutschen, was mich freut. Vor dienstes in Ghana. Ihr Ziel: Sobald wie möglich einfach weniger um den heißen Brei geredet. allem jüngere Pastorinnen und Pastoren sowie will sie wieder dorthin reisen, um ihre Freun- Dass die Europäische Union die plattdeut- die Vikarinnen und Vikare stehen dieser dinnen und Freunde sowie die Familie ihres sche Sprache als Regionalsprache anerkannt Sprache aufgeschlossen gegenüber. Dat lett Mentors zu treffen. L AEL I A KADE RAS hat und sie für schützenswert hält, finde ich höpen, dat se in uns Kultur un uns Kark blifft.‹ gut. Ohne das Plattdeutsche wäre unsere AU FGES C H R I EB E N VO N TH OMAS K L AU S ›Dadurch, dass ich allein in Ghana war, Kultur ärmer. Als Lektor halte ich seit rund 20 Info: www.plattduetsch-in-de-kark.de 14 horizont e musste ich mich öffnen.‹ horizont e 15
EH R EN A MTLI C H E NGAG I E RT WEITER B I LDU NG ›Dass ich einmal in 25 Jahren keine Lust _ LzuER N E N N hatte, hierherzukommen, daran I TE kann ich mich nicht erinnern. Das liegt LE auch am Team. ‹ _ um Das Schulungsprogramm LEIV professionalisiert die Ehrenamts- dest vor der Corona-Pandemie. Das sind auch arbeit von jungen Erwachsenen – und benutzt dafür eine einfache, die Momente, in denen ich besonders gern hier aber bewährte Methode: vormachen, nachmachen. G bin. Mit den Kindern gibt es immer etwas zu lachen, vor allem mit den kleinsten. Die haben VON AN N ETTE MUSC HALI K immer eine Menge zu erzählen. Und zu mei- nem Nachnamen fällt irgendwem immer etwas ut ein Jahr ist es her, da hatte Kreisjugenddia- und auch sonst stellt die Pandemie die Jugend- Lustiges ein. Darüber können sich die Kinder kon Björn Kraemer kurz nach Antritt seiner arbeit vor ganz neue Herausforderungen. Gab es köstlich amüsieren. Dass ich einmal in 25 Jah- halben Stelle als Ehrenamtsmanager im Landes- im Herbst noch vereinzelte Aktivitäten mit Anwe- ren keine Lust hatte, hierherzukommen, daran jugendpfarramt im Podcast der Evangelischen senheit, findet inzwischen fast alles digital statt. kann ich mich nicht erinnern. Das liegt auch Jugend Oldenburg (ejo) erklärt: ›Ohne ehren- Dass das auch Vorteile haben kann und sogar am Team. Alle kommen aus dem Ort, wir amtliches Engagement könnte es die Vielfalt der Chancen bietet, zeigt sich unter anderem in ei- tauschen uns aus, nicht nur über Bücher. Es Angebote in der Jugendarbeit gar nicht geben.‹ ner deutlich höheren Teilnehmerzahl bei Gremi- foto: Robert Otto-Moog passt einfach. Heute, angesichts des fortschreitenden Abbaus ensitzungen und Onlineprojekten. Kraemer: ›Für Während der Pandemie haben wir auf hauptamtlicher Stellen, betont der 31-Jährige die viele Jugendliche ist die Einstiegshürde über die- Bücherlieferungen für die Grundschule um- gewachsene Bedeutung erfahrener Ehrenamtli- sen Weg niedriger.‹ Nachteil der digitalen Treffen: gestellt. Weniger zu tun gibt es für uns also cher. Denn zu deren Aufgaben gehöre es mitt- Es entsteht nur schwer ein Gruppengefühl, weil A wie ausleihen nicht. Bei mir kommen rund 170 Stunden im lerweile, den eigenen Nachwuchs auszubilden. der Austausch in den Pausen fehlt. Jahr zusammen, manchmal auch mehr – alles Deshalb haben ejo und der Christliche Verein So überwiegt nach einem Jahr Pandemie neben dem Teilzeitjob. Zurzeit machen wir Junger Menschen (CVJM) Ostfriesland und Ol- auch bei den digital-affinen Jugendlichen der R ITA NAS E BAN DT 6 2 JA H R E auch gelegentlich Überstunden, damit alle ihr denburg unter Trägerschaft des Landesjugend- Wunsch nach persönlichen Kontakten und ana- arbeitet in der Bücherei Petersfehn Buch bekommen. Denn da nur zwei Besuchen- pfarramts Oldenburg das Schulungsprogramm loger Gemeinschaft. Auf der anderen Seite aber de gleichzeitig zu unseren Öffnungszeiten in Leiv entwickelt. hat die Krise auch Lösungen hervorgebracht, die die Bücherei dürfen, bilden sich regelmäßig Leiv steht für ›Leitung und Verantwortung‹. zukunftsfähig und -weisend sind. Zum Beispiel A Schlangen vor der Tür. Selbst, als wir im Als skandinavischer Vorname bedeutet Leiv aber das digitale ›ejo-Café‹. Es verbindet mittlerweile › lles hat mit einer Krabbelgruppe angefangen vergangenen Frühjahr komplett dicht machen auch Nachkomme oder Erbe, was für das Prin- mehr als 500 Nutzende über Kirchenkreisgren- – und mit einer Idee, von der heute keiner mehr mussten, war ich jede Woche mehrere Stunden zip des ›Voneinander-Lernens‹ steht. An vier über zen hinweg. ›Das sollte auf jeden Fall auch nach weiß, wer sie eigentlich hatte. Wir waren sechs hier und habe neue Bücher eingearbeitet. Ein das Jahr verteilten Wochenenden geben Haupt- der Pandemiezeit weiter gepflegt werden‹, sagt Frauen mit gleichaltrigen Kindern. Und wir Karton mit Neubestellungen ist immer span- und Ehrenamtliche ihr Wissen an junge Men- Kraemer. e wollten, dass die Kinder bei uns im Ort Bücher nend: der Geruch, die Haptik – das ist immer schen zwischen 16 und 27 Jahren weiter, die sich Infos: ejo.de, https://leiv.info, https://blog.laju-oldenburg.de/ ausleihen können. Das ist jetzt 25 Jahre her; wieder schön. Wenn wir neue Bücher bestellen, bereits in der Leitung von Jugendgruppen enga- und drei von uns sind noch immer ehrenamt- beteiligen sich viele aus unserem Team. Sonst gieren und dementsprechend die JuleiCa besitzen. A n n et te M u sch alik lich dabei. Angefangen haben wir in einem würden hier nur Bücher stehen, die ich selbst ›Ohne ehren- ›Mein Ziel ist es, ehrenamtliches Engagement in- Dass sich im Ehrenamt einiges bewirken lässt, habe ich schon kleinen Raum mit nur einer Bücherkiste und lesen möchte; die Bandbreite bei 14 Leuten ist amtliches nerhalb der Jugendarbeit zu professionalisieren‹, früh bei meinen Eltern erlebt. einem Hängeregal. Heute haben wir fast 3500 zum Glück groß genug. Wir stellen auch regel- Engagement sagt Kraemer. ›Wir verhelfen damit den jungen Und als ich später im In- und Bücher im Angebot; seit kurzem auch Literatur mäßig Bücher öffentlich vor: Jeder aus dem könnte es die Ehrenamtlichen zu einem besseren Rollenver- Ausland umhergezogen bin, für Erwachsene. Selbst gelesen habe ich davon Team übernimmt eines. Das sind sehr beliebte Vielfalt der ständnis und zu mehr Eigenständigkeit. Das er- war ehrenamtliches Engage- alles, was mich auch nur im Ansatz interessiert. Veranstaltungen – die allerdings in diesem Angebote in höht am Ende nicht nur die Qualität, sondern ment ein wichtiger Zugang zur Gemeinschaft. In Sillenstede, der Jugend- foto: Eva Muschalik Die Grundidee ist bis heute geblieben: Die Jahr alle ausfallen müssen. Dabei hatten wir ermöglicht es vielleicht auch, neue Zielgruppen wo wir heute leben, hat das En- Kinder stehen im Mittelpunkt. Die Grundschü- zum Jubiläum so viel geplant. Das können wir arbeit gar zu erreichen.‹ gagement für die Dorfgemein- ler kommen einmal in der Woche, auch der hoffentlich alles nachholen.‹ nicht geben.‹ Der Startschuss für Leiv musste coronabe- schaft schließlich dazu geführt, Kindergarten besucht uns regelmäßig – zumin- ROB ERT OTTO- MO O G dingt um ein Jahr auf 2022 verschoben werden dass wir uns zu Hause fühlen. 16 horizont e horizont e 17
WEITER B I LDU NG ren Dingen beschäftigt als damit, dass Glaube dadurch dem Wildwuchs Tür und Tor öffneten, wichtig ist. und doch sehe ich das anders. Gerade jetzt in ›Denn war- Ist es dann fair, dass Sie kein Geld bekommen diesen Zoom-Zeiten erlebe ich es als große Be- um sollte ich für eine Tätigkeit, die andere hauptamtlich freiung, zu sehen, dass es auch anders geht. Und als Prädikant leisten? dass wir uns gar nicht so viele Gedanken machen nicht auch das FW: Mich stört’s nicht. sollten – vielleicht auch gar nicht müssten. Aber Abendmahl Hat das nicht mit Geringschätzung zu tun? womöglich bin ich auch naiv ... einsetzen? Das FW: Nein. Das käme mir vielleicht dann in FW: Wir könnten doch schon jetzt Schindlu- wird in den den Sinn, wenn ich tatsächlich als Lückenbüßer der treiben … Anfängen nicht gelten würde. Aber die Kirchen leben ja davon, B B : Natürlich. So darf zum Beispiel jeder anders gewe- dass viele ihrer Mitglieder einfach machen … Mensch nottaufen. Doch wer stellt denn die sen sein.‹ B B: Bei uns im Oldenburgischen ist es aber Not fest? Wenn da jemand einen Besuch macht FRA N K WA LTE R sehr sichtbar, ob jemand hauptberuflich Theo- bei einer bettlägerigen Seniorin, die das Gefühl loge ist oder nicht. In anderen Landeskirchen hat, ihre Kräfte schwinden immer mehr. Und werden Prädikantinnen und Prädikanten ordi- Du, Frank, liest dann die Einsetzungsworte, Ihr niert. Das gibt’s bei uns nicht. habt Brot und Saft und feiert das Abendmahl ... Das klingt jetzt wertfrei... Ganz ehrlich: Es aus rechtlichen und theologi- B B: Also, ich könnte inzwischen der Ordina- schen Gründen Agapemahl zu nennen, weil man tion durchaus etwas abgewinnen. Weil das auch das heilige Wort Abendmahl nicht im Mund hal- Ehrenamtliche noch mal anders in die Pflicht ten darf – das halte ich für Augenwischerei. e nimmt – sie aber gleichzeitig auch mehr schätzt. Auf ein Wort Wie passt es dann zu Verantwortung und Wert- B a r b a ra B oc kenti n schätzung, dass die Mittel für die Ausbildung 59, hat wie Pfarrer Cornelius Grohs eine halbe für den Prädikantendienst gekürzt werden? Stelle in der Ausbildung von Ehrenamtlichen im B B : Diplomatisch muss ich sagen, das ist Verkündigungsdienst. Sie hat unter anderem auch Frank Walter zum Prädikanten ausgebildet. Mit eine Entscheidung, die die Synode so gefällt einer weiteren halben Stelle ist sie Gemeindepfar- Was sollen Laien in der Kirche dürfen? Nur predigen – oder mehr? Und was spricht eigentlich dagegen, hat. Punkt. Persönlich finde ich das sehr schade. rerin in Delmenhorst. sie wie die Hauptamtlichen zu ordinieren, wie es einige Landeskirchen bereits tun? Ein Gespräch Weil es dem nicht gerecht wird, was diese Kirche zwischen Pfarrerin Barbara Bockentin und Prädikant Frank Walter, moderiert von Uwe Haring. braucht – nämlich Ehrenamtliche, die wahrzu- nehmen und wahrnehmbar sind. Es wäre fa- Fra n k Wa l ter horizont e: Herr Walter, wie lange schreiben Sie Gemeinde, weil ich wie alle Prädikantinnen und tal, wenn wir uns diese Ausbildung irgendwann 55, war im Justizvollzug tätig und ist nun Ruhe- an einer 20-Minuten-Predigt? Prädikanten einen anderen Hintergrund habe als vielleicht gar nicht mehr leisten könnten. Nein, ständler. Seit vergangenem Jahr engagiert er sich als ehrenamtlicher Prädikant. Er hält jeden Monat BA R BA R A B O C K E N T I N (lacht): … oh, ich hoffe, die Hauptamtlichen. Denn obwohl ich nicht stu- wir müssen weiterdenken. Und ich bin da etwas ein oder zwei Gottesdienste mit selbst geschriebe- dass er überhaupt keine 20 Minuten predigt ... diert habe, darf ich sonntags im Gottesdienst eine revolutionär: Was spräche denn dagegen, Prädi- nen Predigten in der Ev.-luth. Kirchengemeinde Vier F R A N K WA LT E R : Mittlerweile fange ich mitt- Predigt halten, die ich selbst geschrieben habe. kantinnen und Prädikanten auch die Einsetzung Kirchen Ovelgönne im Kirchenkreis Wesermarsch. wochs an. Manchmal verwerfe ich aber alles wie- Auch deshalb bin ich der Ansicht, dass wir grund- des Abendmahls zu erlauben? der und starte samstags neu. Insgesamt kann das sätzlich einen Mehrwert darstellen können. Herr Walter, Sie heben gerade Ihre Hände Infos fünf Stunden dauern oder auch mal 15. Weiß die Gemeinde das auch zu würdigen? hoch. Was bedeutet das? Jubeln Sie oder schla- Vor fünf Jahren hat die Synode der Ev.-Luth. Kirche in Oldenburg mit dem B B: Fang am Montag mit dem Text an und geh Oder denkt sie: Oh, da steht nur ein Laie gen Sie sie über dem Kopf zusammen? Kirchengesetz über die Beauftragung von Gemeindegliedern mit Aufgaben der mit ihm spazieren. Das verkürzt die Arbeitszeit. im Anzug und mit weißer Krawatte und nicht FW: Ich fände das gut! Denn warum sollte ich öffentlichen Verkündigung die Arbeit von Ehrenamtlichen im Gottesdienst Wer hört oder liest Ihre Predigt, bevor Sie ein Profi im Talar? als Prädikant nicht auch das Abendmahl einset- neu strukturiert. Seitdem gilt: sonntags auf der Kanzel stehen? ›Ich bilde aus, B B : Schon den Ausdruck Laie kann ich gar zen? Das wird in den Anfängen nicht anders ge- Lektorin bzw. Lektor übernimmt in Gottesdiensten beispielsweise biblische weil ich es F W: Außer mir niemand. Ich spreche sie nicht leiden. Auch den Begriff Lückenbüßer mag wesen sein. Lesungen oder Gebete. Die Qualifizierung erfolgt über einen Kurs an vier Samstagnachmittagen. richtig finde, höchstens vorher mal laut, um die Zeit einschät- ich überhaupt nicht. Ich bilde nicht aus, weil ich B B : Das stimmt. Spätestens in der Pfingst- Predigtlektorin bzw. Predigtlektor darf einen Gottesdienst leiten und auf dass nicht nur zen zu können. weiß, dass es weniger Hauptamtliche gibt. Nein! geschichte. Sie haben einen Kurs im Ev. Bildungszentrum Wie entkräften Sie Gegenargumente? Grundlage einer Lesepredigt predigen. Voraussetzung ist der erfolgreiche die studierten Ich bilde aus, weil ich es richtig finde, dass nicht Abschluss des Kurses Ausbildung zur Predigtlektorin/-lektorin. in Rastede gemacht: zwölf Wochenenden im Theologinnen nur die studierten Theologinnen und Theologen B B: Das ist ganz schwierig. Da kommen wir Prädikantin bzw. Prädikant darf einen Gottesdienst nicht nur leiten, son- Verlauf von zwei Jahren. Wer profitiert mehr und Theologen auf der Kanzel stehen. Ich finde es richtig und in kirchenrechtliche und theologische Diskussi- dern auch eine selbst verfasste Predigt halten. Voraussetzung sind mindes- davon – Sie oder die Gemeinde? auf der Kanzel wichtig, dass wir Ehrenamtliche haben. onen, die ich gar nicht führen möchte. Ich sage fotos: Tobias Frick tens zwei Jahre Tätigkeit als Predigtlektor bzw. -lektorin sowie der erfolg- Warum? stehen.‹ F W: Das ist schon eine Win-win-Situation. dann immer: Dem lieben Gott ist das egal, ob je- reiche Abschluss der Ausbildung zur Prädikantin/zum Prädikanten. Ich habe viel Neues kennengelernt, aus dem ich B B : Sie sind eine ungeheure Bereicherung. mand ordiniert wurde oder nicht. Ich kann zwar Weitere Infos: www.kirche-oldenburg.de/themen/bildung/lektoren BAR BARA B O C K ENTI N schöpfen kann. Es ist aber auch wichtig für die Sie haben sich in ihrem Leben noch mit ande- nachvollziehen, wenn Kollegen sagen, dass wir 18 horizont e horizont e 19
WE ITE R B I LDU NG KI RC H E DIGITAL E I N D E G E M T A LT E N _ GES _ e i n s a m g e m Damit Kirchenälteste und ehrenamtliche Vorsitzende der Gemeinde- kirchenräte ihre Aufgaben bestmöglich wahrnehmen können, werden für sie auch künftig zahlreiche Weiterbildungen angeboten. D TEXT D OR IS VO G EL- G R U NWALD, AN DR EAS ZUC H ie Arbeitsstelle für Gemeindeberatung, Orga- und Hygieneregeln, Gemeinde und Kirche DIE DREI nisationsentwicklung und Kirchenältestenfort- wieder miteinander zu gestalten, sondern bildung trägt ihre Aufgaben bereits im Namen. eben auch ortsflexibel. Denn abgesehen von den immer umfangreicher Für die ehrenamtlichen Vorsitzenden der Ge- werdenden Beratungsaufgaben ist sie auch für meindekirchenräte und der Bezirksausschüsse die Aus- und Fortbildung der Kirchenältesten bieten wir darüber hinaus ein eigenes, zusätzli- von der DIGITALEN in der oldenburgischen Kirche zuständig. Für ches Format an: Viermal im Jahr laden wir diese diese Gruppe gab es vor der Pandemie die Fort- Zielgruppe zu einem Abend ein, an dem Fragen bildungsreihe Fundamente praktisch in allen und Anforderungen der Gemeindeleitung im sechs Kirchenkreisen. In Zusammenarbeit mit Vordergrund stehen. Diese Fortbildungen ha- KANZEL den Regionalen Dienststellen vor Ort und der ben Anteile von kollegialer Beratung und Fach- Zentralen Dienststelle wurden unter anderem fortbildung zu Themen, die durch die Gruppe Veranstaltungen zu Themen wie Finanzen und selbst eingebracht bzw. eingefordert werden. Der Personal, aber auch zu Friedhof, Bau und Liegen- nächste Termin wird sobald wie möglich über schaften sowie sakrale Bauten angeboten. Auch den Newsletter der Gemeindeberatung bekannt- für das vergangene Jahr waren zahlreiche Semi- gegeben (Abonnement unter bit.ly/3wexQVk). nare geplant, doch pandemiebedingt mussten sie Zudem organisiert die Gemeindeberatung erst verschoben, dann komplett abgesagt werden. alle zwei Jahre einen Tag für Kirchenälteste aus Lars Löwensen, Markus Löwe und Beatrix Konukiewitz von der Nun starten wir mit dem Forum Fundamente der gesamten oldenburgischen Kirche. Durch Evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Wildeshausen probieren eine neue Fortbildungsreihe – und zwar kom- seine unterschiedlichen und gemeinderele- seit dem ersten Lockdown immer wieder neue Onlineformate aus. Und ihre Erfahrungen? Sind überaus positiv. W plett digital. Das Format: vanten Workshops ist er ebenfalls eine Fortbil- ein Thema pro Abend mit einem Referen- dungsplattform, dient aber auch dem Knüpfen TEXT THOM AS KL AUS ten oder einer Referentin oder einem Gast, von Kontakten. Der nächste Kirchenältesten-Tag 90 Minuten Dauer, wird ebenfalls im Newsletter veröffentlicht. as ihm derzeit am meisten fehlt? Pfarrer Lars Gleich im ersten Lockdown im März 2020 rich- alle zwei Monate jeweils am letzten Überdies werden regelmäßig Schulungen Löwensen von der Evangelisch-lutherischen tete die Kirchengemeinde in Wildeshausen einen Donnerstag, beginnend am 20. Mai 2021, für die Visitationsteams von der Gemeinde- Kirchengemeinde Wildeshausen muss nicht Youtube-Kanal ein. Sofort war sich Löwensen immer von 17:30 bis 19 Uhr, beratung abgehalten. Neben der sogenannten lange nachdenken: ›Dialog und Austausch, und mit seiner Kollegin Pfarrerin Beatrix Konukie- klare Struktur: kurzes inhaltliches Refe- Grundschulung geht es vor allem darum, den zwar ganz direkt, von Angesicht zu Angesicht – witz und seinem Kollegen Pfarrer Markus Löwe rat, anschließend Fragen aus dem Plenum, sechs Visitationsteams einmal im Jahr die Mög- eben das, was uns als Kirche auszeichnet.‹ Doch einig, dass die Gottesdienste aufgezeichnet und dann Austausch oder Diskussion in kleine- lichkeit zum Erfahrungsaustausch zu bieten als es freue ihn, dass das Digitale längst mehr als ins Netz gestellt werden sollten. Eventfilmer ren Gruppen, schließlich Zusammentragen auch zu verschiedenen Fortbildungsangeboten nur ein schlechter Ersatz dafür sei. Auch nach Klaus Tschorr versprach Unterstützung. der Ergebnisse im Plenum und Reflexions- zusammenzukommen. Corona sollte und müsste es eine wichtige Rolle Doch wer sich in der digitalen Welt be- runde. Allerdings: Mit dem Auslaufen einer Projekt- spielen. Denn: ›Durch die digitalen Formate wegt, muss sich ständig weiterentwickeln, auf Dies macht es nicht nur möglich, unabhän- stelle zum Jahresende ist gegenwärtig ungewiss, werden altersübergreifend andere Menschen Lob und Kritik reagieren, experimentieren. gig von einem Lockdown und Einschrän- in welchem Umfang dieses Angebotsportfolio angesprochen.‹ Das zeigten die zahlreichen Reak- Das wissen auch die drei aus dem Landkreis kungen durch Inzidenzzahlen, Abstands- künftig aufrechterhalten werden kann. e tionen. Oldenburg – und halten sich dran. Ein Beispiel? ››› 20 horizont e horizont e 21
K I RC H E DI G ITAL KI RC H E DIGITAL Beatrix Konukiewitz erinnert sich: ›Am An- Online-Wege beschreitet ferner die Singschule fang waren unsere digitalen Gottesdienste zu an der Alexanderkirche: Die verantwortlichen lang. Inzwischen haben sie sich bei einer hal- Mitarbeitenden, die Musikpädagogin Dagmar ben Stunde eingependelt.‹ Außerdem, so Pfarrer Grössler-Romann und Kantor Ralf Grössler, Löwe, unterscheide sich die theologische Aus- haben von ihrem Studio daheim verschiedene einandersetzung im Vorfeld zu einem Gottes- Aktionen gestartet; unter anderem haben sie seit dienst. Er werde nun im Zweierteam gestaltet Jahresbeginn 15 neue Lieder komponiert und und sei so offener, diskussionsfreudiger, inten- getextet – und natürlich sind auch sie auf You- siver. Eben anders. tube zu finden. Diese Videos, produziert unter Und ›anders‹ – diese Beschreibung passt der Regie der Wildeshauser Kirchengemeinde, auch gut zu einer der jüngsten Online-Innovatio- werden nicht nur innerhalb der Kirchen- nen unter dem Dach der Wildeshauser Kirchen- gemeinde geschaut, merkt Pfarrerin Konuk- gemeinde. Im März dieses Jahres organisierte iewitz an: ›Aufgrund unserer persönlichen Pfarrer Löwe zusammen mit Diakonin Eva Freundschaften und Kontakte zu Menschen in Brunken als Beauftragter für Kindergottesdienst anderen europäischen Ländern werden diese der Evangelisch-lutherischen Kirche in Olden- Beiträge auch dort gesehen und weiter geteilt.‹ burg sowie Pfarrerin Gesa Schaer-Pinne aus der Dank der Corona-getriebenen Digitalisie- Kirchengemeinde Oldenburg-Osternburg einen Video-Kindergottesdienst. Der wurde zusätzlich rung findet auch der Konfirmandenunterricht längst per Zoom-Videokonferenz statt. Tech- ›Prüft aber alles und das Gute behaltet‹ vom Oldenburger Lokalsender oeins übertragen. nisch klappt das nach Löwensens Erfahrung Die Besonderheit: Der Gottesdienst begann in ei- gut. Trotzdem fehle vor allem eines: die persön- Der Vers aus Paulus’ Brief an die Thessaloni- ner Bäckerei mit der Übergabe einer Torte. Denn liche Begegnung. ›Immer wieder‹, so der Pfarrer, cher weist 2000 Jahre nach seiner Nieder- das Thema lautete Teilen – das der Torte und werde von den meisten Konfirmandinnen und schrift in die Zukunft der digitalen Kirche. und die neu erworbenen Kompetenzen sollten das von Macht. Konfirmanden der gleiche Wunsch übereinstim- Doch die persönliche Begegnung wird trotz- wir sichern, denn die Digitalisierung der Gesell- Doch nicht nur Gottesdienste werden ein- mend geäußert: ›Wir möchten uns so schnell dem wichtig bleiben, ist Bischof Thomas schaft und der Kirche wird weitergehen. Welche mal pro Monat auf Youtube veröffentlicht, son- wie möglich wieder richtig treffen.‹ e Adomeit überzeugt. Kommunikationsformen werden von den Men- dern auch die wöchentlichen Kerzenandachten. schen genutzt, die wir erreichen wollen – und die Außerdem Online-Themenelternabende sowie Im Frühjahr 2020, mit dem ersten Corona-Lock- uns erreichen wollen? Wo wird die Entwicklung digitale Treffen mit Jugendlichen wie beispiels- down, war plötzlich alles anders und Gewohn- hingehen? Hier müssen wir lernfähig bleiben weise der wöchentliche Gottesdienst Alex An(ge) tes nicht mehr möglich: Gottesdienste mit großer und die Möglichkeiten zur Interaktion ausbauen. dacht, Spieleabende und der ›Empfang der Eh- Nähe, Abendmahl in vertrauter Form, der Kir- Deshalb haben sich in unserer Kirche erste Foren renamtlichen‹. Pfarrer Löwe weiß: ›Bei diesen chentee danach. Auch Besuche am Krankenbett gebildet, in denen wir betrachten und auswerten, Aktionen sind oft Ehemalige dabei, die bei uns oder zum Geburtstag waren schwierig, wenn sie welche der vielen Ideen bleibenden Wert haben. lange ehrenamtlich aktiv waren und nun an- denn überhaupt gestattet waren. Kurz: Es war Beispielsweise Sitzungen auch in Nach-Corona- derswo in Deutschland eine Ausbildung absol- eine Situation, für die niemand eine Blaupause Zeiten mal digital abhalten. Oder Seminare in vieren oder studieren.‹ hatte. guter Qualität online anbieten, das erschließt Doch sofort wurde in unseren Kirchenge- vielleicht sogar neue Zielgruppen. Und auch meinden unglaublich viel Energie und Kreati- geistliche Angebote sollten wir in neuen Forma- vität für alternative Wege aufgewandt, um die ten in den digitalen Medien weiterentwickeln. ›… und Action!‹: Pfarrerin Beatrix Menschen zu erreichen. Fast vergessene Ideen Allerdings kann und will ich mir nicht vor- Konukiewitz ist in ihrem Element wurden reaktiviert: Briefe wurden geschrieben, stellen, dass sich Gemeinde künftig nur noch (Foto oben). Teamwork ist alles: Telefonate geführt, gute Worte an Wäscheleinen digital versammelt. Beziehungen, die so sehr in Lars Löwensen (li.) prüft seine Notizen, Markus Löwe assistiert. aufgehängt. Und erinnern Sie sich noch an die die Tiefe der Existenz reichen wie es bei den Oster-›Zeitansage‹ vor gefühlt einer Ewigkeit? Lebens-Fragen nach Sinn, Schuld, Vergebung, Im vergangenen Jahr konnte man sich ja die Pas- Gemeinschaft und einem Leben nach dem Tod sionsgeschichte am Telefon vorlesen lassen. Zu- zu erwarten ist, diese Beziehungen können letzt- dem wurden viele digitale Formate entwickelt, endlich nur von Mensch zu Mensch gelingen. Es ›Am Anfang waren unsere Gottes- Webseiten mit Audio- und Videoelementen be- wird also künftig darum gehen, das eine nicht dienste für den Bildschirm zu lang. stückt und Gottesdienste im Internet gefeiert. zu lassen und das andere zu tun. So können wir fotos: Tobias Frick foto: Tobias Frick Inzwischen haben sie sich bei So ist aus der Not heraus eine Beweglichkeit gleichermaßen als analoge und digitale Kirche in einer halben Stunde eingependelt‹ entstanden, die auch für den Weg in die Zukunft Erscheinung treten – und damit nah am Alltag B EATR I X KON U KI EWI TZ unserer Kirche wichtig ist. Die neuen Formate von uns allen bleiben. e THOMAS A DOME I T 22 horizont e horizont e 23
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