Erziehung, Garten, Menschenbild - Notizen zur Diskursgeschichte des Schulgartens
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Ulf Jacob Erziehung, Garten, Menschenbild. k 2/2002 - 1 Ulf Jacob Erziehung, Garten, Menschenbild. Notizen zur Diskursgeschichte des Schulgartens* Ich bin bei euch so recht vernünftig geworden, und Erziehung konnte das Prinzip «Schulgarten» im habe gründlich mich unterscheiden gelernt von dem, deutschsprachigen Raum jene historisch dauerhafte was mich umgibt, bin nun vereinzelt in der schönen Akzeptanz und Anpassungsfähigkeit erlangen, deren Welt, ideologische Dimension als Geschichte wechselnder, bin so ausgeworfen aus dem Garten der Natur, modifizierter oder stetig beibehaltener Bedeutungszu- wo ich wuchs und blühte, und vertrockne an der Mit- schreibungen hier skizziert werden soll. tagssonne. (Friedrich Hölderlin: Hyperion) Der Erzieher als Gärtner, der Schüler als Pflanze Mohammed Rassem hat das Gärtner-Gleichnis2 aus Einleitung der Perspektive kulturvergleichender Zusammenschau «Der Schulgarten ist eine Pflanzstätte für anschauliche als ein universales Paradigma schöpferischer Welta- Kenntniß der Natur, für edle Freude an derselben, für neignung gedeutet, welches nach Hans Peter Thurn in den Schönheitssinn, für den Gemeingeist, für bessere der Figur des Totengräbers3 ein destruktives (und nicht Sitten, endlich für erhöhten Volkswohlstand, überdies weniger grundlegendes) Schattenbild besitzt. Rückbe- aber ein Mittel zur Heranziehung eines körperlich kräfti- zogen auf die jeweiligen gesellschaftlichen Gegeben- gen Geschlechtes».1 heiten wurde diese Metaphorik fortwährend aufge- Mit diesen programmatischen Worten umriss Pro- frischt und angewandt. Im Sinnbild des veredelten, fessor Dr. Erasmus Schwab, Gymnasialdirektor in Wien gebundenen und beschnittenen Baumes kommt die und Protagonist der Schulgartenbewegung, noch ein- semantische Nachbarschaft von Erziehungs- und Gar- mal jene pädagogischen Absichten und Hoffnungen, tenarbeit sowie der Lehrer- und Gärtner-Profession be- welche bereits 1869 die europaweit vorbildhafte Veran- sonders augenscheinlich zum Ausdruck. Schon Se- kerung des Gartenwesens im Österreichischen Schul- neca erkor in seiner Abhandlung Über die Milde (um gesetz begleiteten. Weniger einer «Pflanzstätte» für 54/55) jene «verständige[n] Gärtner» zum Vorbild des Blumen, Obst und Gemüse galt das vornehmliche In- Weisen, «die nicht nur gut gewachsene Hochstämme teresse der Initiatoren, vielmehr wollten sie der schu- aufziehen, sondern auch die aus irgendeinem Grund lisch institutionalisierten und staatlich sanktionierten verkrümmten Stämme an Pfähle binden, die ihnen Halt Vermittlung und Reproduktion bestimmter Vorstellun- geben. Die einen beschneiden sie, damit die Seitenäste gen von Natur, Ästhetik, Volkswirtschaft, Sozialethik nicht den schlanken Wuchs hemmen, andere, die in sowie leib-seelischer Gesundheit den Boden bereiten. schlechter Lage zurückgeblieben sind, düngen sie Nicht profanes Ackergut allein, sondern kultivierte kräftig, wieder andere, die im Schatten des Nachbarn Staatsbürger sollten die Ernte sein. Geleitet von den Vi- verkümmern, schneiden sie frei».4 In einem ganz ähnli- sionen einer Raum und Bevölkerung gleichermaßen er- chen Sinne beabsichtigte auch Johann Amos Come- fassenden «Landesverschönerung» wurde dabei das nius, dem um 1650 konzipierten vierten Teil seiner All- Vermögen des Gartens und der ihm anhängigen Tätig- gemeinen Beratung über die Verbesserung der keiten vorausgesetzt, die mentale, soziale und körperli- menschlichen Dinge, der sogenannten Pampaedia (= che Ausbildung der Schüler den Forderungen eines Allerziehung), ein Titelblatt voranzustellen, auf welchem normativen Welt- und Menschenbildes gemäß zu be- in allegorischer Übertragung das Wirken des Pädago- einflussen. Nur auf der Basis dieser geradezu archety- gen durch die Kunst des Baumgärtners dargestellt wer- pischen, über Jahrhunderte zur Selbstverständlichkeit den sollte. «Dort», so kommentierte Comenius das geronnenen Verquickung von Agrikultur, Naturerlebnis Bildprogramm, «pfropfen die Gärtner vom Baum der
Ulf Jacob Erziehung, Garten, Menschenbild. k 2/2002 - 2 Pansophia (= Allweisheit), den sie zu beschneiden ha- ben, Reiser auf die Setzlinge. Sie wollen den ganzen Garten Gottes, das Menschengeschlecht, mit gleich- gearteten jungen Bäumchen bepflanzen».5 Eine andere Variation erzieherischer Gartenemblematik findet sich in Michel Foucaults Studie Überwachen und Strafen.6 Die These vom ordnungsmächtig disziplinierten Körper-Subjekt wird hier durch eine Illustration aus dem Werk L'orthopédie ou l'art de prévenir et de corri- ger dans les enfants les difformités du corps (1749) von N. Andry bebildert, welche einen verkrümmt gewach- senen, jungen Eichbaum zeigt, der zur Beseitigung seines Fehlwuchses mit einem kräftigen Seil an eine derbe, kerzengerade Stütze gebunden worden ist. Und noch in dem 1944 uraufgeführten Filmklassiker Die Feuerzangenbowle, mit einem stets fidelen Heinz Rüh- mann in der Hauptrolle, vergleicht Geschichtslehrer Dr. Brett, nach dessen Auffassung eine «neue Zeit» auch «neue Methoden» verlange, im Brustton pädagogi- schen Sendungsbewusstseins junge Menschen mit aufschießenden Bäumchen, die man anbinden müsse, «daß sie schön gerade wachsen» und «nicht nach allen Seiten ausschlagen». Disziplin sei das dafür nötige Band. Besonders kraft dieser, vom gleichnamigen Ro- man nicht vorgegebenen Sentenz,7 avancierte der for- sche Kollege (welcher in der literarischen Vorlage noch Abb.1: Arbeitsstellung beim Graben (Krüger / Millat 1978, als Mathematiklehrer auftrat) im filmischen Alltag von Schulgartenpraxis, S. 31, Bild 31/1). Paukern und Pennälern zum Sendboten nationalsozia- chung und Nutzung jedoch nichts überliefert worden listischer Bildungsideologie. ist, so setzte der Pietist August Hermann Francke ver- Im Ergebnis wechselseitiger Spiegelung und perma- mutlich kurz vor 1700 die Idee des Schulgartens in die nenter Äquivokation korrespondierte der Verschulung Tat um. Pflanzenkunde, Herbarisieren und Gartenarbeit des Gartens die Vergärtnerung der Schule: Gleich einer galten Francke als probate Techniken, Gottes Werke jungen Pflanze, die artig in ihrer Baumschule steht, wird kennen und lieben zu lernen, kam es ihm doch vor al- das Kind in der Menschenschule nunmehr wie ein lem darauf an, die Zöglinge seiner Hallenser Stiftungen Bäumchen herangezogen. Hinter der bildsprachlichen im «Stande der Gnade» zu halten oder zur Gnade hin Analogie verbarg und verbirgt sich eine mehr oder we- zu führen. Namentlich «des Sommers bei bequemem niger bewusste Tendenz zur wesenhaften Ineinssetzung Wetter» sollte es hinaus gehen, um sich in gottgefälliger des Grundverschiedenen, d. h. auf die Anthropomor- Tätigkeit und Anschauung der Schöpfung zu üben. phisierung der Pflanzenwelt antwortete die «Floralisie- Dass dieses Bestreben, welches an die gängigen Erzie- rung» der Menschenwelt als beharrlich nachklingendes hungspraktiken der Klosterschulen anknüpfte, durch Echo. gegenläufige Methoden zur Rationalisierung der Natur konterkariert wurde, verweist auf einen weiter- Das schulgärtnerische Vermächtnis der Pietisten, führenden Gesichtspunkt. Bereits in Franckes Unter- Philanthropen und romantischen Pädagogen richtspraxis deutete sich mit der Gleichzeitigkeit von Plante schon Comenius in der ersten Hälfte des 17. Lehrgarten und Naturalienkammer8 jenes moderne Jahrhunderts einen der Schule beigesellten Garten mit Spannungsverhältnis zwischen außenräumlich-ganz- Bäumen, Blumen und Kräutern, von dessen Verwirkli- heitlicher Naturerfahrung und innenräumlich-szientis-
Ulf Jacob Erziehung, Garten, Menschenbild. k 2/2002 - 3 tischer Naturbeschreibung an, das noch heute zum ideologischen Horizont des Schulgartendiskurses ge- hört. Auch die Herrnhuter Brüderunität des durch Francke beeinflussten Grafen Nikolaus Ludwig von Zinzendorf, die sich 1727 als Nachfolgerin der Böhmischen Brü- dergemeine konstituierte und daher namentlich dem geistigen Erbe Comenius' verpflichtet sah, nutzte das Verfahren praktischer Gartenarbeit zur Vermittlung ihrer Welt- und Herzensfrömmigkeit. So beschrieb noch Her- mann Fürst von Pückler-Muskau, der ab 1792 mehrere Jahre «in religiös-sinnlichen Entzündungen»9 bei den Herrnhutern in Uhyst verbrachte und trotz aller späte- ren, anti-herrnhutischen Dementi von pietistischen Le- bens- und Glaubensgrundsätzen tief durchdrungen blieb, «das kleine Gärtchen, wo Jeder sein Beet hat». Zurückgekehrt an diese Stätte seiner Kindheit, erinnerte er sich, «wie dort meine Gartenpassion zuerst erwachte, und ich stets darauf sann: meinem Beete eine neue Form und ein andres Aussehen zu geben».10 Doch das Initiationserlebnis des angehenden Parkgestalters, der ab 1811 die Muskauer Residen- Abb.2: Arbeitsstellung beim Grubbern (Krüger / Millat 1978, zlandschaft auch im Sinne eines allumfassenden Schulgartenpraxis, S. 32, Bild 32/1). Schul-Gartens zur Bildung und Veredelung seiner unverdorbenen Menschen richteten sich ihr pädagogi- standesherrschaftlichen Untertanen in ein Gartenreich verwandelte, liess bereits den düsteren Doppelsinn sches Engagement im Spannungsfeld von Emanzipa- dieser Passion erahnen. «Einmal», so der Fürst in sei- tion und Integration auf die Formierung funktions- ner freilich literarisch dramatisierten Darstellung, «hatte fähiger Glieder für den Organismus des Staates. ich das Unglück, in der Hast einen meiner Mitschüler, Charakterbildung, Körperertüchtigung und die Vermit- der sich eben bückte, mit der Hacke so schwer in den tlung spezifischer Fertigkeiten waren das Ziel, die Hin- Kopf zu hauen, daß sein Blut auf meine Blumen wendung zu den Realien der Welt der Weg ihrer strömte und mir die Gärtnerei lange verleidete».11 Menschenfreundlichkeit - und der Schulgarten ein ge- Eingedenk eines tief verinnerlichten Schuld-und- eignetes Medium. Neben den entsprechenden Einrich- Sühne-Traumas, das sich in der erinnernden Ver- tungen im Dessauer Philanthropin unter Johann Bern- schmelzung von herrnhutischer Gartenandacht und hard Basedow und seinen Nachfolgern machten ab blutigen Blumen effektvoll auszusprechen schien, ge- 1784 besonders die Schnepfenthaler Unternehmun- mahnte dieses Kontrasterlebnis nachdrücklich an die - gen des Pädagogen Christian Gotthilf Salzmann von in Pückler-Muskaus Selbstzeugnissen immer wieder sich reden. Der Thüringer Reformer wirkte darauf hin, melancholisch reflektierte - Bedrohung aller individu- «vielen Krankheiten durch die Lebensart, die wir führen, ellen wie sozio-kulturellen Ordnungsentwürfe durch vorzubeugen. [...] Außerdem, daß wir unsere Spiel- Aus- und Einbrüche anomischer Gewalt. 12 stunden haben, haben wir noch eine Menge Geschäfte Vor dem Hintergrund von europäischer Aufklärung, zu besorgen, die nicht anders als in freier Luft gesche- reformorientiertem Absolutismus und fortschreitender hen können. Es hat jeder von uns ein Gärtchen, daß Verbürgerlichung der Gesellschaft agierten die deut- doch notwendig bearbeitet werden muß, wenn wir da- schen Philanthropen. Orientiert an der sensualistischen ran unsere Lust sehen und Vorteil davon haben wol- Erfahrungsphilosophie eines John Locke und inspiriert len».13 Im Verbund von Naturbeobachtung (mit einem á durch Jean Jacques Rousseaus Ideal des natürlichen, la Linné systematisierenden und klassifizierenden
Ulf Jacob Erziehung, Garten, Menschenbild. k 2/2002 - 4 Blick), Arbeitserziehung, Frischlufthygiene und körperli- cher Übung dienten die Schnepfenthaler Gärten als in- tegraler Bestandteil einer auf ganzheitliche Menschen- bildung angelegten Umgebung. Die im Gefolge der napoleonischen Kriege ein- setzende Phase der Restauration gewährte kein förder- liches Klima für pädagogische Neuerungen. Das Ver- mächtnis der Philanthropen geriet in Vergessenheit, blieb auf modellartige Lehranstalten beschränkt und wurde im allgemeinen Schulwesen kaum rezipiert. Damit stagnierte zwar auch die Weiterentwicklung der Schulgartenidee, doch lebte sie eingenischt und auf Umwegen fort. In der Schweiz wertschätzte Johann Heinrich Pestalozzi, der während einer Hausrede 1818 die Verwandtschaft von Gärtner und Pädagoge aus- drücklich hervorhob,14 die Wirkungen der Gartenarbeit und Friedrich Fröbel reimte in Thüringen: «Komm, wir wollen in den Garten, All' die Pflänzchen dort zu warten»,15 führte die ihm anvertrauten Kinder auch re- aliter ins umfriedete Grün und gebrauchte 1840 zur Le- gitimation seines Kindergartens ebenfalls das alte Gleichnis vom Erzieher als Gärtner und vom Kind als Pflänzlein: «Wie in einem Garten unter Gottes Schutz Abb.3: Arbeitsstellung beim Harken (Krüger / Millat 1978, und unter der Sorgfalt erfahrener einsichtiger Gärtner Schulgartenpraxis, S. 32, Bild 32/2). im Einklange mit der Natur die Gewächse gepflegt wer- den, so sollen hier die edelsten Gewächse, Menschen, Arbeitspathos, Gesundheit, Heimat: Schulgärten Kinder als Keime und Glieder der Menschheit in Über- zwischen industrieller Revolution und Erdsegen einstimmung mit sich, mit Gott und Natur erzogen [...] Jene eingangs zitierte Proklamation des Wiener Profes- werden».16 Im romantischen Geist der Identität von Mi- sors Schwab markierte also keineswegs die Stunde krokosmos und Makrokosmos erweiterte sich der Gar- Null des Schulgartens, doch hatten sich die sozio- ten zum Ort transzendentaler Selbst- und Welterfah- ökonomischen und kulturellen Rahmenbedingungen rung. mittlerweile entscheidend verändert. Die moderne Mit der Gartenpraxis und -theorie von Pietisten, Phil- Schulgartenbewegung, changierend zwischen Affirma- anthropen und Romantikern wurde ein Grundkanon tion und Kritik der gesellschaftlichen Verhältnisse, or- vorgegeben, dessen Topoi auch im weiteren stets aufs ganisierte sich im Reflex auf Industrialisierung, Verwis- Neue reanimiert und anverwandelt werden sollten: Der senschaftlichung, Urbanisierung und Nationalstaat- im Schulgarten realisierbare Konnex zwischen Außen- lichkeit. Ihr Menschenbild war dem volkswirtschaftlich raum und Tätigkeit bewährte sich als institutionalisierte nützlichen und patriotisch gesonnenen Bürger in Stadt Form von Wissen (Naturerkenntnis), Spiritualität (Erleb- und Land verschrieben. Nicht von ungefähr präsentier- nis des Schöpfers in seinen Werken), Sozialität (Einglie- ten im Jahre 1873 sowohl Österreich als auch Preußen derung in die jeweilige Gemeinschaft bzw. in das Ganze ihre schulischen Mustergärten auf der Wiener der Menschheit), Wirtschaftlichkeit, Arbeit und körperli- Weltausstellung und ordneten sie dort zwischen cher Ertüchtigung (individuelle und gesellschaftliche Maschinenkult und kolonialer Exotik in das Tableau des Reproduktion), d. h. als Medium einerseits zur idealen kapitalistischen Zeitalters ein. Das staatliche Bildungs- Formung des Einzelnen sowie andererseits zur Stiftung wesen nahm die mit der industriellen Revolution ein- von funktionaler Einheit und sinnhaltiger Ordnung im hergehende Revolution der Naturwissenschaften zum Miteinander aller. Anlass einer durchgreifenden Reform des naturkundli-
Ulf Jacob Erziehung, Garten, Menschenbild. k 2/2002 - 5 chen Unterrichts (in Österreich 1869 und in Preußen 1872). Dem Schulgarten fiel dabei zunächst die Rolle des «Liefergartens» für botanisches Anschauungsma- terial zu. Sukzessive entstanden derartige Einrichtun- gen in vielen deutschen Städten. Doch verlangte das Selbstverständnis der Industriegesellschaft nicht nur eine bestimmte Art von pragmatisch verwertbarem Wissen, sondern auch eine angepasste Konditio- nierung der Schüler in Moral und Ethik. Dabei stand im gründerzeitlichen Tugendkatalog an erster Stelle die Ar- beit. Schon Schwab intonierte ihr Hohelied: «Groß und nachhaltig ist der erziehende Einfluß der Arbeit. Die Ar- beit, richtig geleitet und mit Lust und Verständniß betrieben, ist die Mutter des sittlichen Ernstes im Den- ken und Handeln. Denn sie lehrt Aufmerksamkeit, Ein- sicht, Unverdrossenheit, Ausdauer, Ordnung, Pünkt- lichkeit, ohne welche Eigenschaften überhaupt eine Arbeit gar nicht zustande gebracht werden kann; sie erzieht zu Pflichtgefühl, zur Lust am Schaffen, zu Mut und Selbstüberwindung, gleichzeitig aber auch zur Anerkennung fremder Thätigkeit und Tüchtigkeit; [...]».17 So nimmt auch die verstärkte Hinwendung vom «Liefergarten» und «Lehrgarten» zum «Arbeitsschulgar- Abb.4: Arbeitsstellung beim Hacken mit der Schlaghacke (Krüger / ten» nicht wunder, eine Entwicklung, die im Kontext der Millat 1978, Schulgartenpraxis, S. 33, Bild 33/1). von Georg Kerschensteiner angeregten Arbeitsschul- tigt, es gewöhnt sich die Haut an Sonnenstrahlen und bewegung18 nach der Jahrhundertwende weiteren Schweißtropfen, und der ganze Körper wird gekräf- Auftrieb erhielt. Schon frühzeitig durchklang die em- tigt».21 pirischen Erfahrungen der Schulgartenreformer ein Nach diesem Verständnis bildeten die Schulgärten agrarromantischer, auf Bodenbindung und bäuerliche heilkräftige Implantate im Corpus der kulturkritisch pa- Lebensart gestimmter Unterton. Bereits im Jahre 1903 thologisierten Stadtgesellschaft, eine milde Therapie, bezog der Dresdner Schuldirektor B. Breull in Auswer- die unter Ausblendung der sozialen Ursachen von Ar- tung der I. Deutschen Städte-Ausstellung die für Gemüt und Persönlichkeit des Kindes gedeihlichen Re- mut und Verelendung bspw. die «in gesundheitlicher, sultate von Blumenpflege und schulischer Gartenarbeit moralischer und wirtschaftlicher Hinsicht so verderbli- auf das «herrliche Wort» Peter Roseggers: «Aus der che Alkoholseuche»22 durch vermehrten Obstgenuss Scholle sprießt Kraft für die ganze Welt und Segen für zurückdrängen sollte. Neben der Beförderung von den, der sie berührt - Erdsegen».19 Noch ein knappes «Volksgesundheit, Volkswohlfahrt und Volksgesit- Jahrzehnt später nahm Schuldirektor Dietel aus Leipzig tung»23 war der schulische Gartenbau dazu berufen, auf den «Erdsegen» des steiermärkischen Bauern- einem aus erzieherlicher Warte namentlich in der Groß- schriftstellers Bezug. 20 stadt diagnostizierten «Mangel an Naturanschauung» Außer der nötigen fachlichen Qualifikation und Ar- entgegenzu-wirken. Auf der 2. Internationalen Garten- beitsbereitschaft sollte die mustergültig sozialisierte bau-Ausstellung Dresden 1896 widmete sich der Produktivkraft Mensch auch über einen gesunden, leis- «Deutsche Lehrerverein für Naturkunde» dieser Aufga- tungsfähigen Körper verfügen. Schulische Gartenarbeit be mit einem 1500 m2 umfassenden Mustergarten. empfahl sich aus medizinischer Sicht als Prophylaxe Dessen Naturinszenierung berücksichtigte die am gegen «die Einseitigkeit des Stubensitzens»: «[...]; alle «meisten verbreiteten Gesteins- und Bodenarten der Muskeln regen sich, die Sinne werden lebhaft beschäf- Heimat» und vereinigte «in kleinen Gruppen charakte-
Ulf Jacob Erziehung, Garten, Menschenbild. k 2/2002 - 6 ristische Vertreter natürlicher Pflanzengemeinschaften aus Laub- und Nadelwald, von Hügel, Feldrain und Wiese, von Teich und Moor in sich.24 «Echt märkische Heimatklänge [...] in unserer Brust»25 hingegen er- weckten die Landschaftsbilder des ab 1909 vor den To- ren Berlins angelegten Städtischen Schulgartens bei Blankenfelde. Hier konnte die im «steinernen Meer» der Metropole naturentwöhnte Schülerschaft Misch- und Kiefernwaldungen, Sandheide, einen Bachlauf, fennar- tige Moorwiesen und andere standorttypische Biotope erleben. Flankierend bemühte sich der Ehrenvorsitzen- de der «Naturwissenschaftlichen Vereinigung des Berli- ner Lehrervereins», Rektor H. Schmidt, mit seinem Lehrbuch Die Unterrichtspflanzen aus dem Schulgarten Berlin (1914) «dem botanischen Unterricht einen bo- denständigen Charakter zu verleihen» und durch die übergreifende Darstellung von Orts- und Lebensge- meinschaften «überall die besonderen Verhältnisse der Stadt Berlin sowie der Provinz Brandenburg»26 zu ver- gegenwärtigen. Über die Schulung einer biologisch ausgerichteten Naturerfahrung hinaus appellierte die prononcierte Darstellung regionaler «Lebensgemein- schaften» an die Heimatverbundenheit der jungen Gar- Abb.5: Arbeitsstellung beim Hacken mit der Zughacke (Krüger / Millat 1978, Schulgartenpraxis, S. 33, Bild 33/2). tenbesucher, sensibilisierte sie für die Unterschiede im landschaftlichen Nationalhabitus und reproduzierte in Kriegs-Schülergärten idealer Typisierung geographische Formationen mit ho- Als die Soldaten des Ersten Weltkrieges ins «Feld der hem Identifikationspotenzial. Im Dienste der «Hei- Ehre» zogen, mag manches Innenbild des zu verteidi- matspflege» bot der «mustergültige Schulgarten» nach genden Vaterlandes ein kindliches Gartenidyll mit Män- Fritz Hasselberg «dem Kinde im engsten Rahmen ein nertreu und Eichengrün gewesen sein. Während die Bild der heimatlichen Natur», welches «es mit tausend Dauerkanonaden des Stellungskampfes komplette Banden an die so lieb gewordene Heimat [fesselt]».27 Landschaften umpflügten, kettenrasselnde Tanks den Mit diesen Ambitionen gab sich die Schulgartenbe- Boden planierten und Gasschwaden über Drahtver- wegung als ein Seitenthema des seit 1904 bündisch or- haue und Trichterfelder trieben, trat auch die Lehrer- ganisierten «Heimatschutzes» zu erkennen. In eigenwil- zunft treu ein ins Glied. An der pädagogischen Heimat- liger Querstellung wandte sich dessen Unbehagen an front sorgte sie sich um die «Frage der nationalen, der der Moderne weniger gegen die Industriegesellschaft staatsbürgerlichen Erziehung, die Bewertung der Ar- und deren bürgerliche Eliten, als vielmehr gegen die in- beit, insbesondere auch der körperlichen Arbeit, im ternationalistischen, proletarischen Massen der Städte, Sinne der Arbeitsschulbewegung» sowie um «das die es zu missionieren galt.28 Gleich der Schriftenreihe ganze große Gebiet der körperlichen Erziehung, na- Kulturarbeiten von Paul Schultze-Naumburg oder der mentlich ihre Bedeutung für die Wehrhaftmachung un- Heide-Literatur eines Hermann Löns zählte dabei die seres ganzen Volkes». Der dem Gegner unterstellte Bilderwelt des Schulgartens zu jenen Medien, in denen «teufliche Plan, ein ganzes Volk dem Hungerelend zu die sozio-kulturellen Vorstellungsgehalte von «Heimat» überantworten», gab nicht zuletzt dem «Aschenbrödel erst generiert werden mussten, bevor sie als allgemein- der deutschen Pädagogik, dem Schülergarten, die verbindliche, kollektiv emotionalisierende Sinnzusam- Gelegenheit [...], aus seinem bescheidenen Dasein her- menhänge eine eigene Wirkungsgeschichte zeitigen vorzutreten und an seinem Teil mitzuhelfen, die Pläne konnten. unserer Feinde zu schanden zu machen».29 Unter Her-
Ulf Jacob Erziehung, Garten, Menschenbild. k 2/2002 - 7 vorhebung seiner volkswirtschaftlichen Bedeutung bahnte sich im «Kriegs-Schülergarten»30 die endgültige Durchsetzung des Schülerarbeitsgartens an. Damit geriet der Krieg zum Katalysator längst aufgestauter Reformen. Im Ausnahmezustand der nationalen Mobil- machung wurde die Gartenarbeit einmal mehr zur Schule patriotischer Tugenden und zum Elixier einer geistig-körperlichen Neugeburt verklärt. Ein Hang zum Antiintellektualismus war dabei nicht zu überhören: «Gottlob», so stellte der Schulrektor und Gartenbefür- worter Heinrich Förster mit Genugtuung fest, «daß in unserer Zeit, da durch den Krieg die Wertung der Körperarbeit eine so große Umwandlung erfahren, da gar mancher ’Kopfarbeiter’ als gemeiner Schipper dem Vaterlande die größten Dienste leistet, die bisher von manchem mit Geringschätzung behandelt körperliche, die Handarbeit, wieder zu Ehren gekommen ist».31 Das reaktionäre Gedankensyndrom aus Stadtfeindschaft, Bauern- und Siedlertum, Erde und familiärer Gemein- schaft marschierte. «Unser Volk lernt wieder», so zi- tierte Förster an gleicher Stelle aus einem Artikel von Abb.6: Arbeitsstellung beim Häufeln (Krüger / Millat 1978, Walter Classen in der Thüringer Lehrerzeitung, «daß Schulgartenpraxis, S. 34, Bild 34/1). das Paradies nicht ist, am Sonntag für Tingeltangel und Kämpfende Jugend im Schülerarbeitsgarten: hundert Betäubungen 20 Mk. ausgeben zu können, Reform und Reaktion sondern das Paradies ist Gartenland und Hühner und Futter für die Schweine und der Geruch der umgegra- Im Anschluss an die Kriegsjahre nahm die Schulgarten- benen Ackerscholle! [...] Deutsches Volk, auf der Feld- bewegung in der reform- und experimentierfreudigen, von politischen Differenzen und Extremen geprägten flur erwachsen, braucht den Boden des Feldes unter Atmosphäre der Weimarer Republik einen kräftigen sich - [...]; aber die Urzelle unseres Volkes ist die Fami- Aufschwung. Davon zeugte nicht zuletzt die Institutio- lie. Und die Familie bedarf des Bodens».32 Die obligate nalisierung entsprechender Bestrebungen in der «Ar- Kriegs-Euphorie korrumpierte den alltäglichen Sprach- beitsgemeinschaft deutscher Schulgärtner» und der gebrauch; der Garten wandelte sich zum (rhetorischen) «Arbeitsgemeinschaft für Arbeitsschulgärten». Neben Schlachtfeld. Mit der Diktion eines Frontberichterstat- pragmatischen, auf Selbstversorgung und Subsistenz- ters notierte Rektor Förster, dass in der Weidenborn- wirtschaft abhebenden Erwägungen in den Hunger- Mittelschule zu Frankfurt am «18. April 1915 [...] die jahren von Nachkriegszeit, Inflation und Welt- Feindseligkeiten gegen den starren, struppigen Boden wirtschaftskrise schrieben sich auch die ideologischen eröffnet [wurden]».33 Auch Professor E. Beyer meldete Motivlinien des Schulgartendiskurses fort. Dabei korre- 1916 aus der Oberrealschule Fulda einen kleinen lierte das auf Selbsttätigkeit und Erfahrungswissen Stellvertreterkrieg; da sich die Pflanzen in den nach ausgerichtete Arbeitsschulprinzip hinsichtlich der Herkunft und Standort parzellierten Einrichtungen nicht Schulgartenfrage zusehends mit heimattümelnden, an das vorgegebene Ordnungsschema halten wollten agrarromantischen, letztendlich kulturpessimistischen und die gezogenen Grenzen überwanden, musste, «be- und modernitätsmüden Strömungen. Auf die Irrita- ständige Jagd auf diese Eindringlinge helfen, den ein- tionen und Widernisse ihrer als chaotisch und unüber- zelnen Teilen ihr natürliches Aussehen zu erhalten».34 schaubar erfahrenen, sich jeder allgemein verbindli- chen Ordnungsidee verweigernden Gegenwart
Ulf Jacob Erziehung, Garten, Menschenbild. k 2/2002 - 8 antworteten viele Verfechter einer lebensreformerisch inspirierten Kulturkritik mit der Propagierung bäuerli- cher, d. h. im Kern antistädtischer Gegenwelten. Apolo- geten der verschiedensten weltanschaulichen Schat- tierungen stilisierten den ländlichen Raum zum Ort der Erlösung von den Gebrechen urbaner Entartung. So wählte der Schweizer Autor Joh. Hepp 1919/20 für den in Deutschland nachhaltig rezipierten Aufsatz Schulgärten und Schülergärten35 ein weiteres Mal das bekannte «Erdsegen»-Zitat Roseggers als Motto. Im Rückgriff auf die Gedankenwelt seiner Vorgänger lie- ferte Hepp einen manifestartigen Referenztext der ar- beitsorientierten Schulgartenbewegung. Von der Na- turentfremdung des Stadtkindes, über den Niedergang der Familie «zur reinen Konsumtionsgemeinschaft» bis hin zur Diffamierung der «städtischen Bildung» als einem «grosse[n] Vorrat an Wörtern» und «oberflächli- che[n] Wissen ohne gestaltende Kraft» waren alle we- sentlichen Argumentationsfiguren gärtnerischer Fort- Abb.7: Arbeiten mit dem Reihenzieher (Krüger / Millat 1978, schrittsskepsis versammelt. Der allgemein beklagten Schulgartenpraxis, S. 46, Bild 46/1). Dekadenz wurde die Kur im Schülergarten ent- schutzes» wurden mit der Tätigkeit im Garten unmittel- gegengesetzt. Auch nach Hepp konnte es «für den so- bar in Verbindung gebracht. Die Förderung des Ge- genannten Kopfarbeiter [...] nur heilsam sein, wenn er meinsinns sah Hepp besonders dort gewährleistet, «wo auf irgend einem Wege die schöpferische, neue Werke der Garten als Ganzes bebaut wird und wo neben den schaffende Kulturarbeit der Hand kennen, achten und Einzelgärten noch gemeinsames Land vorhanden ist». lieben gelernt hat». Mit Hinweis auf die Mediziner Der Schülergarten stellte demnach «eine Arbeitsge- Custers, Schulthess sowie den Leipziger Heilpraktiker meinschaft dar, wie sie Dr. Kerschensteiner so lebhaft Daniel Gottlieb Moritz Schreber schilderte er den befürwortet».36 Schülergarten als Jungborn und Hort der Gesundheit: Durch den Vorsatz, im Schulgarten angesichts zuse- «Die Gartenarbeit ist so mannigfaltig, dass sich die jun- hends atomisierter Sozialbeziehungen ein neues Ge- gen Körper dabei nach Herzenslust bewegen, drehen meinschaftsgefühl einzuüben, wurde die Wahl zwischen und strecken, bücken und wieder recken dürfen. Es rie- Gruppen- und Einzelbeet in den Rang einer sozialphi- selt das Blut schneller durch die Adern und erzeugt ein losophisch motivierten Entscheidung erhoben. Adolf Gefühl gesteigerten Wohlseins und wachsender Teuscher, der 1926 unter Beibehaltung der bewährten Lebenskraft». In der Absicht, mit der Arbeit im Garten Parolen und ausdrücklicher Bezugnahme auf Hepp das zugleich «Luft- und Sonnenbäder» zu ermöglichen, Prinzip des Arbeitsschulgartens vertrat, proklamierte empfahl Hepp, während der gärtnerischen Verrichtun- die «Erziehung zu hingebender Pflichterfüllung im Dien- gen die Oberkleider abzulegen, wobei nach seinem ste der Gemeinschaft als oberstes Ziel der Schule». Der Dafürhalten in den «Knabenabteilungen [...] sogar in Schulgarten schien ihm als Proberaum für die «Arbeits- den Badhosen gearbeitet werden» konnte. gemeinschaft» und «Klassengemeinschaft» überaus Wie schon Professor Schwab stellte er der körperli- praktikabel: «Indem der Garten so zum Kollektiveigen- chen Konditionierung und Abhärtung des Schülers die tum der Klasse wird, wird eine starke Verbindung der moralisch-ethische Menschenbildung zur Seite: Aus- Gesamtklasse mit diesem Stück Erde geschaffen. Ein- dauer, Pflichtgefühl, Arbeitsfreude, Ehrgefühl, Sau- zelkind und Klasse haben ein Stück Land, das ihnen ge- berkeit, Ordnung und Sparsinn, aber auch Freiheit so- hört, ihnen anvertraut ist, auf dem sie Wurzel schlagen. wie die gemütvolle Sensibilisierung für das So wird der Garten der Arbeit ihnen zur Heimstätte».37 «Naturleben» und die «Bestrebungen des Heimat- Sollte der Schulgarten jener von Teuscher avisierten
Ulf Jacob Erziehung, Garten, Menschenbild. k 2/2002 - 9 «Arbeit an der Lebenserneuerung unseres Volkes» «Ausdauer [zu] üben», «körperliche Anstrengung [zu] genügen, «forderte er Raum, viel Raum». Unterschwel- überwinden» sowie den «Wert und Sinn der Arbeit über- lig bot bereits die im Arbeitsschulgarten mit «Landhun- haupt und gärtnerischer Arbeit insbesondere [zu] ver- ger» und «Landsuche» 38 verbundene Entwicklung des stehen», den Gesetzen der Schöpfung selbst, derweil er Gemeinschaftsgedankens einen Vorgeschmack auf den doch im emsigen Zwiegespräch mit «Wasser und Erde, Expansionismus der nur wenig später installierten, un- Licht und Luft, Tiere[n] und Pflanzen» lediglich sozio- ter notorischer Raumnot leidenden «Volksgemein- kulturell konstruierte und legitimierte Verhaltensweisen schaft» des Dritten Reiches. übernahm. Die suggestive Imagination einer den Im Krisenjahr 1931 begründete Gartenbaurat Heyer Schülern sich rein und ungetrübt mitteilenden Natur veranlasste die Autorin schließlich zu dem Fazit, dass aus Frankfurt am Main die Aktualität der Schülerarbeits- mit der Schulgartenpraxis ein Gebiet gegeben und aus- gärten «historisch»: Orientiert am Vorbild mittelalterli- zubauen sei, «auf dem das uralte Gleichnis vom Gärtner cher Klosterschulen, erkannte er in der Gartenarbeit ein als Erzieher und vom Erzieher als Gärtner sich buch- geeignetes Instrument, um «die dem Landbau entfrem- stäblich verwirklicht».42 deten Menschen»39 - womit vor allem die arbeits- und perspektivlosen Milieus der Großstädte gemeint waren - wieder zu Siedlern zu erziehen. Zeitgleich wurde das Schulgärten der Volksgemeinschaft Arsenal der pädagogischen Pflanzen- und Gärtner-Me- Eingebunden in den Eklektizismus nationalsozialisti- taphorik reaktiviert. Ilse Dieckmann, Leiterin der Garten- scher Ideologie trieb die pädagogische Metaphysik der bauschule Düsseldorf-Kaiserswerth, stellte in derselben Ackerkrume braune Blüten. Nach der «Machtergrei- Ausgabe der Zeitschrift Gartenkunst die Frage, ob es fung» wurde die Schulgartenfrage Gegenstand der zen- nicht «einleuchtend» sei, «daß Kinder und Jugendliche tralistischen Volksbildung des neuen Führerstaates. im Garten die Stätte finden, wo sie sich auseinander- Bereits im November 1934 betonte ein Erlass des setzen können mit kosmischem Werden und Vergehen; Reichs- und Preußischen Ministers für Wissenschaft, wo sie, ungestört durch die Stellungnahmen der Er- Erziehung und Volksbildung, dass den «erziehlichen wachsenen, erleben die Gesetze der Wandlungen und und unterrichtlichen Einflüssen, die vom Schulgarten Verwandlungen des Organischen, so daß die natürliche ausgehen, [...] im Rahmen einer bodenverwurzelten und sittliche Metamorphose sich einleitet infolge der Schularbeit eine herausgehobene Bedeutung Erkenntnis natürlicher Lebensvorgänge in ihrer zu[kommt]».43 Nur fünf Monate später bekräftigte ein Gesetzmäßigkeit?»40 Erinnerte die Überblendung von Folgeerlass die ministeriale Wertschätzung des Schul- «natürlicher» und «sittlicher» Entwicklung zunächst an gartens und formulierte die Zielvorgabe, «möglichst je- Fröbels Rede vom «Einklange mit der Natur» und damit der Schule einen eigenen Schulgarten anzugliedern».44 an ihrerseits traditionsreiche Überzeugungen des 19. Im Jahre 1937 folgten aus dem selben Hause die Jahrhunderts, so war diese Argumentationsfigur Richtlinien für die Einrichtung und Bewirtschaftung von darüber hinaus in das schillernde Geflecht zeitgenös- Schulgärten an Volks- und mittleren Schulen. Darin wur- sischer Ideologeme verwoben. Ausgehend von der em- de u. a. die Debatte über Einzel- oder Gruppenbeete phatischen Verkündung einer neuen Jugendkultur («Ihr gemäß der herrschenden Leitideologie entschieden: Weg ist Kampf.») und unter Hinweis auf die ver- «Der Schulgarten soll ein Gemeinschaftsgarten sein; er brauchte, dem «Leben» entfremdete Welt der Alten («ein dient der Erziehung zum Gemeinschaftsgedanken. Das müdes Geschlecht»)41 erschien der Schulgarten nicht Schüler- oder Eigenbeet ist abzulehnen».45 Schulgarten mehr als ein absichtsvolles, den Kindern und Jugendli- und Gartenarbeit boten eine ideale Projektionsfläche für chen von ideologisierten Erwachsenen nahegebrachtes die Agitatoren nationalsozialistischer Blut-und-Boden- Medium zivilisationsfeindlicher Hingabe an das «Orga- Mythologie, die, zum Teil in personaler und professio- nische», sondern - getaucht in den Schein der Natur- neller Kontinuität, die relevanten Stereotypen des bis- wüchsigkeit - als kosmische Offenbarung. Betrachtet herigen Diskurses aufgriffen und dem gleichgeschalte- durch diesen Schleier vermeintlicher Authentizität, ten Welt- und Menschenbild des Dritten Reiches entstand der Eindruck, als folge der gärtnernde Schüler, einpassten. So forderte etwa Max Müller, bereits seit indem er lernt, «eigene Unlustgefühle [zu] bezähmen», Mitte der zwanziger Jahre für das Fach engagiert,
Ulf Jacob Erziehung, Garten, Menschenbild. k 2/2002 - 10 schulgärtnerische Bestrebungen «im Zeichen der Volks- nötige Anschauungsmaterial. «Wir modernen Men- erhebung 1933» unter stärkerer Betonung der werktäti- schen», so behauptete von Gellersen in seinem Aufsatz gen und körperlichen Erziehung zu forcieren,46 und Geschichte im Garten (1936), «brauchen Linde, Esche, Adolf Teuscher reformulierte seine «Arbeit an der Le- Mistel nur zu nennen, so tauchen in uns die Erinnerun- benserneuerung des deutschen Volkes» (1926) zur Teil- gen an Götter und Helden unserer Vorfahren auf». Fol- habe des Arbeitsschulgartens an der «völkischen Er- gerichtig schlug er die Zusammenstellung bestimmter neuerung» 47 (1936). «Pflanzen von geschichtlicher Bedeutung», wie bspw. Im Propagandagewitter der sogenannten «Erzeu- «Getreide, Kraut und Unkraut des Steinzeitbauern»,52 gungsschlacht» und des «Vierjahresplanes» wurde der zu einzelnen, repräsentativen Gruppen vor. Im schuli- schulische Gartenraum einerseits als Kampfplatz einer schen Gartenflor sollte sich das nordisch-germanophile militanten, auf Autarkie verpflichteten Wirtschaftspolitik Raunen der Ahnenforscher zur vegetabilen Form ver- besetzt, der zufolge ein jeder seinen persönlichen Anteil sinnlichen. am Produktionsheroismus der Volksgemeinschaft zu leisten hatte, und andererseits zur Keimzelle einer «not- Nach-Chaos und Vor-Ordnung: Zum Beispiel Karl wendige[n] Entstädterung» 48 und Verbäuerlichung des Foerster gesamten Sozialgefüges bestimmt. Auch Geschlech- Durch Karl Foersters Aufsatz Schülergärten wichtiger terrollen und Brauchtum, Heimatgefühl und Gefolg- als Schulgärten!53 (1947), mit dem Hepps Arbeit schaftstreue sollten mit Hilfe des gärtnerischen Unter- Schulgärten und Schülergärten (1919/20) nochmals richtes vermittelt werden. Die Leibesertüchtigung der einen (unausgesprochen) deutlichen, in einigen Pas- heranwachsenden Krieger und Mütter stand dabei sagen nahezu plagiierenden Widerhall fand, ist ein dis- obenan. Zudem bewährte sich der Schulgarten auch kursives Bindeglied für die Zeit der gesellschaftlichen «im Dienste der Rassenkunde».49 So erhielt «gerade Transformation nach 1945 gegeben. Am Beispiel der das erbkundliche Pensum» durch die zielgerichtete von ganzheitlicher Ordnungspoesie durchdrungenen Auswahl geeigneter Pflanzen «eine schöne Anschau- Persönlichkeit des Bornimer Staudengärtners, Schrift- lichkeit». 50 Modellartig leistete die kategorische Unter- stellers und Gartenphilosophen, 1932 bis 1933 scheidung von Nützlingen und Schädlingen, jener in deutschnational organisiert, NSDAP-Mitglied seit 1940 den Richtlinien dekretierte «Kampf dem Verderb», der und in der DDR mit Nationalpreis und Vaterländischem Einübung einer biologistischen Vernichtungsmentalität Verdienstorden hoch geehrt, konkretisierte sich die his- Vorschub. Um ideologische Rückversicherung bemüht, torische Dialektik von Kontinuität und Wandel zur indi- berief sich die Gartenpädagogik immer wieder auf Äu- viduellen Biographie.54 Die Zerstörungen und Zerrüt- ßerungen Adolf Hitlers. «Für was wir zu kämpfen ha- tungen des Krieges als Chance begreifend, knüpfte ben», so wurde bspw. im Buch Der Schulgarten in der Foerster nahtlos an die Gewissheiten der vergangenen Unterrichtspraxis (1937) aus der Führerschrift Mein Jahrzehnte an und zog die verschiedenen Register der Kampf zitiert, «ist die Sicherung des Bestehens und die lebensreformerischen und kulturkritischen Gartenideo- Vermehrung unserer Rasse und unseres Volkes, die Er- logie: Wieder wurden das heilsame Leben mit Pflanzen nährung seiner Kinder und Reinhaltung des Blutes, [...]. und Tieren beschworen und die kleinteiligen Liebes- Jeder Gedanke und jede Idee, jede Lehre und alles Wis- und Familienbande der Gemeinschaft im Gartengrün sen haben diesem Zweck zu dienen». Ohne Umschwei- begründet. Erneut fanden sich die pflanzenden, pfle- fe münzte der Verfasser, Studienrat Dr. Albert Höfner, genden und erntenden Mädchen in Einübung ihrer das Hitler-Wort auf den Gegenstand seiner Überlegun- Rolle als Hausfrau und Familienmutter wieder. Und gen und gelangte zu der Schlussfolgerung: «Von ganz noch einmal sollten «Abenteurerdrang», «Schönheits- besonderer Bedeutung für die Erreichung obiger Ziele gefühl», «Bodenständigkeitsbedürfnis», der Zusam- ist der Schulgarten, der heute für jede Schule unent- menhang von «Heimatgefühl und Erdbearbeitung» behrlich ist». 51 Die Fokussierung auf Abstammung und sowie die «Herzensverbundenheit mit deutschem rassebiologische Vererbung ging mit der Frage nach Boden»55 auf der schulischen Garteninsel gedeihen. den Ahnen des neuen nationalsozialistischen Men- Unbeeindruckt von den Ruinenwüsten der geschun- schen einher. Auch dafür lieferte der Schulgarten das denen Städte wurde die antiurbane Trommel ge-
Ulf Jacob Erziehung, Garten, Menschenbild. k 2/2002 - 11 schlagen und der Passivität städtischer, innenräumli- Blickfeld der Öffentlichkeit»61 vorgesehen. Allerdings cher Bildungsideale der freie ländliche Aktionsraum als wurde dieser, Anfang 1951 vom Ministerium für Volks- großer «Rosenbringer» entgegengesetzt, eine Geistes- bildung in den Richtlinien und Anregungen zur Arbeit haltung, die sich vergleichbar auch in den aufgelösten im Mitschurin-Schulgarten publizierte Ansatz per Minis- Stadtlandschaften eines Hans Scharoun nachweisen terentscheid alsbald zurückgenommen und im Rekurs lässt. (Schon Adolf Teuscher sah 1926 die «künftige auf das «humanistische Kulturerbe» sowie unter Rück- Großstadt [...] durchsetzt von Grünstreifen und besinnung auf die Erfahrungen des reformpädagogis- Grüngürteln, die sich organisch dem Stadtbilde chen Arbeitsschulunterrichtes ein eigenständiger Weg eingliedern».) 56 Und wieder bemühte Foerster die wan- eingeschlagen. Bereits im Jahre 1955/56 wies das Mi- dervogelige Antinomie von rational zergliedernder nisterium die Einrichtung von Schulgärten an allen all- Stubengelehrsamkeit und ganzheitlichem «Leben mit gemeinbildenden Schulen an.62 Integriert in das der Jahreszeit». Belehrt durch das Desaster des völki- Konzept der polytechnischen Einheitsschule, stand die schen «Gemeinschaftsgartens», rehabilitierte er aller- praktische Arbeit der Schüler im Mittelpunkt des Unter- dings die kleinbürgerlich betriebsamen Ideale von richts. Dabei sollten sie «Kenntnisse, Fähigkeiten und «Eigentumsfreude», «Vorlegeschloß», «Wetteifern und Fertigkeiten erwerben, [...] ihr mathematisch-naturwis- Unterscheidungsdrang», «Ordnung, Sauberkeit» sowie senschaftliches und gesellschaftswissenschaftliches «Schenk- und Tauschfreude», 57 also die Praxis des Wissen und Können aus den anderen allgemeinbil- Einzelbeetes. «Naturnähe», «Himmelsnähe» und «Men- denden Fächern anwenden, vertiefen und erweitern schennähe» 58 waren ihm frei nach Fröbel identische sowie zu sozialistischen Persönlichkeiten erzogen wer- Anliegen. den».63 Erfahrungsberichte beglaubigten die Sinnfäl- ligkeit der schulgärtnerischen «Verbindung von Unter- Die sozialistische Persönlichkeit geht jäten richt und produktiver Arbeit». Demzufolge wurden «die Schüler unmittelbar in den gesellschaftlichen Umwäl- Doch die Zeichen der Zeit deuteten zunächst in eine zungsprozeß einbezogen und an der revolutionären andere Richtung. In der DDR hieß es in den frühen fünf- Tätigkeit der Werktätigen beteiligt». Individuum und so- ziger Jahren auch auf dem Gebiet des Schulgartens, ziale Umwelt sollten sich in dialektischer Wechselbezie- vom «Großen Bruder» Sowjetunion zu lernen. Das hung entfalten: «Indem die Schüler helfen, die Verhält- Zauberwort lautete «Mitschurin-Garten». In Erinnerung nisse zu verändern, verändern sie sich selbst, [...]».64 an den sowjetischen Biologen und Pflanzenzüchter Auf diesem Weg wurde dem Schulgarten als Pflanz- Iwan Wladimirowitsch Mitschurin, der bereits 1932 die stätte allseitig entwickelter, sozialistischer Menschen «kommunistischen Kinder» im Namen Lenins zur Mit- einmal mehr das Potenzial zugesprochen, eine sys- wirkung an der «Verbesserung der Pflanzenwelt»59 temkonforme Synthese von intellektueller, körperlicher aufrief, war damit eine Form des Unterrichts gemeint, und weltanschaulich-moralischer Bildung leisten zu die, entsprechend der angestrebten Einheit von Theorie können. Dem Leitbild der sozialistischen Menschenge- und Praxis, biologische Forschungstätigkeit und Gar- meinschaft gemäß, war die Schulgartenpraxis der DDR tenarbeit miteinander verband. Außerdem sollten die dabei auf «gesellschaftlich nützliche Tätigkeit», ge- schulischen Aktivitäten direkt an die Maßgaben der meinschaftliche Nutzung der Anlagen und Einrichtun- Planwirtschaft angekoppelt und damit als Lehrstück gen sowie auf das «Verantwortungsgefühl des sozialistischer Ökonomie in Szene gesetzt werden. Schülerkollektivs» 65 ausgerichtet. Pädagogen, Fachbiologen und Funktionäre der Freien Deutschen Jugend waren angehalten, in kollektivem Schulterschluss das sowjetische Experiment zum Er- Love and Peace and Schulgarten. Die ökologische folg zu führen, wobei an dessen Umsetzung auch die Renaissance eines pädagogischen Evergreens Arbeitsgemeinschaften von Jungen Pionieren und FDJ Wurde der Schulgartenunterricht in der DDR ideolo- beteiligt werden sollten. 60 Zur Sicherstellung einer gisch durch den historisch-materialistischen Optimis- volkspädagogischen Breitenwirkung waren für die not- mus einer fortschreitenden Versöhnung der Wider- wendigen Demonstrations-, Übungs- und Sonder- sprüche zwischen Kopf- und Handarbeit, Stadt und flächen Standorte «in der Nähe der Schule und im Land, Natur und Technik legitimiert, so erhielt die
Ulf Jacob Erziehung, Garten, Menschenbild. k 2/2002 - 12 Schulgartenbewegung des Westens erst angesichts zelbeet dem unterdrückten Selbstbewusstsein förder- der Krisenszenarien einer an ihre Grenzen stoßenden lich sein, die Gartenarbeit im allgemeinen der «sozialen Wachstumsgesellschaft neuen Auftrieb. Ölschock, Um- Formung» des Gemeinsinns dienen sowie zum schöp- weltzerstörung, Atomkriegsgefahr, durch Alarmmeldun- ferischen Gleichgewicht zwischen Kopf, Herz und Hand gen von Publizistik und Wissenschaften ins kollektive hinführen, das Naturerlebnis ein innigliches Verantwor- Bewusstsein gerückt, evozierten ein Gefühl des tungsgefühl für Pflanze und Tier hervorrufen, kurz, es Verknappung, der Begrenztheit, des Endes. In diesem ging darum, der zivilisationskritisch verurteilten «Beute- Zustand apokalyptischer Gestimmtheit wurde die macher-Gesellschaft» den Modus «pflegenden Verhal- Schulgartenidee als konkreter Ansatz zur ökologischen tens» entgegen zu setzen.67 Als neues, übergesell- Neubesinnung wiederbelebt. Der als Mängelwesen schaftliches Ordnungs-Paradigma galt dabei der konzeptualisierte Mensch, von den eigenen Kreationen ökologische Kreislauf, das Ökosystem, für dessen Ver- wie weiland der Zauberlehrling übermannt, wollte sich anschaulichung und Verinnerlichung das «Übungsfeld» in neuer Unschuld seiner Mutter Erde anschmiegen. Schulgarten besonders gut geeignet schien. «Wir gehen in den Wald. [...] Wir werden naß und schmutzig, lehmbedeckt von oben bis unten. Welch ein Chillout im Rübenbeet oder Umgraben im Zeitalter Gefühl! [...] Eine Woche lang nur erscheinen Arbeiter der technischen Klonierbarkeit mit Trax und Schaufeln, Lastwagen mit Kies und Schot- Im Laufe der Jahre ist die Umwelt-Rhetorik der Ökolo- ter, ein Architekt, der leitet und führt. Der Trax, der für giebewegung in den operativen Wortschatz jeder poli- einmal nicht zerstört, schüttet Hügel auf und baggert tisch korrekt justierten Partei- und Unternehmenspro- Tälchen aus, wühlt eine tiefe Mulde für den Teich. Der paganda eingegangen. Währenddessen hat sich ihr Facharbeiter, mit wachsender Begeisterung, zerkleinert utopischer, auf revolutionären (oder evolutionären) Schollen, glättet die Erde, kämmt die Hügel. Das war Wandel zielender Mehrwert im etablierten Tagesge- im Frühjahr 1975. [...] Zwei Monate später erstrahlen schäft der Aktivisten von einst längst verflüchtigt. die Humushügel in Gold».66 Nichtsdestotrotz werden die lieb gewonnenen Sprach- Die hier an einem Schweizer Beispiel beschriebene regelungen der Aufbruchszeit unverdrossen beibe- Vergemeinschaftung von Schuljugend, Facharbeitern halten. Wie ein Blick in die Informationsbroschüre Un- und führendem Architekten durch das Erlebnis ihres zu ser Schulgarten (1996) lehrt, gilt dies auch für die guter Letzt änigmatisch aufflammenden Heimatbodens ökologisch inspirierte Schulgartenbewegung. Der in transponierte - ob bewusst oder unbewusst - die im der Bundesrepublik bisher nur fakultativ erteilte Schulgartendiskurs unter wechselndem Vorzeichen Schulgartenunterricht wird - wie gehabt - zur Einübung überdauernde Erdromantik in die Realität der siebziger sozialer und ökologischer Kompetenzen empfohlen, Jahre. Wieder wurde der «Lernbereich Grün» ex nega- eröffnet Räume für eine «intensive Naturerfahrung», tivo als eine Oase des Abwesenden, als Abglanz des gewährt dem um «Lebensnähe» bemühten Unterricht Verlorenen oder Vorschein des Erträumten definiert. didaktische Hilfen, vermittelt zwischen «Hand und Hier sollte und durfte man kreativ sein, fühlen und spü- Kopf», bietet Möglichkeiten für fächerübergreifende ren, sich gestalterisch erproben, den Zwängen oktroy- Lernerlebnisse und regt «wichtige Identifikationspro- ierter Ordnungen, namentlich der (innenräumlichen) zesse» der Schüler an.68 «Neue Aufgaben und Ziele» «Verschulung des Intellekts» entkommen. Dem vom verbinden sich vor allem mit dem Wunsch, über kleine Homo oeconomicus zum Homo ludens zu läuternden Parzellen hinaus mehr und mehr das gesamte Menschenkind galt es, in Gestalt des Schulgartens ei- Schulgelände in die Gartenarbeit einzubeziehen. An- nen Freiraum nichtentfremdeten Selbst- und Welterle- geregt von dem «Leitgedanken der Perma-Kultur», eine bens zu eröffnen. Noch einmal verband sich mit dem «zweite Natur» zu schaffen, die das «Zusammenleben Schulgarten die Erwartung, durch die Wirkmächtigkeit der Wildarten mit dem Menschen» ermöglicht, wird das von Umwelt und selbstvollzogener Tätigkeit den ganzen Schulareal «zunehmend als zu gestaltender Lebens- Menschen erreichen und dauerhaft beeinflussen zu raum für Tier- und Pflanzenarten gesehen».69 Dem können: Die Erfahrung des Gartens sollte «Störungen, Ansinnen, die Schule in eine ökologische Arche zu ver- Aggressionen, Ängste» schonend therapieren, das Ein- wandeln, sekundieren kulturskeptische Befunde über
Ulf Jacob Erziehung, Garten, Menschenbild. k 2/2002 - 13 die «Kinder in der heutigen Zeit». Im Reflex auf Leis- monie, den es in Rückbesinnung auf vergessene Wahr- tungsdruck, Reizüberflutung und naturferne Verhäusli- heiten einfach wieder herbeizubilden gilt. Die Garanten chung bietet sich Kindheit als eine kontinuierliche Ver- der Konsistenz sind auf dem Rückzug. Suburbane Ag- lustgeschichte dar. Ausgehend von dieser bis auf glomerationen verwischen die Grenzen zwischen Stadt Rousseau zurückdatierenden Nachauflage eines defi- und Land, die Manipulierbarkeit der Erbinformationen zitären Menschenbildes, werden Schul- und Fami- nimmt dem pflanzlichen und tierischen Leben die Aura liengärten «als ein schlichter und ehrlicher Versuch» be- des Gottgegebenen, Natur und Landschaft werden zum griffen, «unsern Kindern etwas von dem zurück- Operationsgebiet profitabler Interventionen und gehen zugeben, was wir ihnen weggenommen haben». 70 der Ursprünglichkeit einer Conditio sine qua non verlu- Handlungs- und Utopiebedarf besteht, doch stellt stig. Ist damit das auf Ordnungswissen über Natur und sich vor dem Hintergrund der aktuellen Kontroversen Gesellschaft, also auf kontrollierte Orientierungssicher- über Globalisierung, Individualisierung, Multikulturalität, heit der Heranwachsenden, ausgerichtete Modell Life sciences oder Virtualisierung die Frage nach der ’Schulgarten’ in Zeiten der Unsicherheit am Ende? Hat Angemessenheit und Tragfähigkeit von Konzepten, de- der Gen-Ingenieur den Erzieher-Gärtner überrundet und ren Grundannahmen in Auseinandersetzung mit einem zum Abstieg ohne Wiederkehr ins «cultural lag» des Typus der Industriegesellschaft entwickelt wurden, des- Abendlandes verdammt? Ein Nachruf wäre verfrüht, sen Demontage wir gerade zu beobachten haben. Kann denn Totgeglaubte leben bekanntlich länger. Doch nicht es im Sturmwind des entfesselten «Turbokapitalismus» in der exklusiven Imaginierung einer Insel des anderen, gelingen, der vielfach beklagten «Entzauberung» mit ei- vorgeblich wahren Daseins, so zeichnet es sich ab, be- nem gärtnerischen Gegenzauber zu begegnen? Ist die steht die neue Herausforderung, sondern in der Öffnung Generation der «kids», sind die Kinder im Bann von der schulischen Gartenwelt für die Dissonanzen der Ge- SMS und Chatroom, Hip Hop und Graffiti, Techno und genwart. Nicht allein die verdrängte «Natürlichkeit» des Harry Potter, Skateboard und kleinen bunten Pillen, tat- Menschen heißt es in der Begegnung mit Flora und sächlich noch für eine therapeutische Heilung auf dem Fauna körperlich, gefühlsmäßig und gedanklich zu er- fahren, sondern die sozial und kulturell kodierte Mutterboden des Schulgartens zu gewinnen? Welche Menschlichkeit der Gartennatur vor Augen zu führen: Chancen hat der selbstgezogene Kohlrabi gegen Fast als ein Gleichnis des Menschenmöglichen und Men- Food und koffeinhaltige Getränke aus Übersee? schengemachten, zur Sensibilisierung für die Probleme Schützt die Pflege von Kräuterbeet und Blumenrabatte einer letztlich nicht naturwüchsigen, vielmehr nach wi- vor den Gemetzeln der Spielkonsolen und Splatter Mo- derstreitendem Interesse und Ermessen so oder so zu vies? Lassen sich jene geschwindigkeitsverwöhnten, im gestaltenden Zukunft mit offenem Ausgang. Sollte es Zugriff von Ökonomie und Massenmedien beizeiten auf gelingen, von der eingehegten Trauerarbeit am verlore- Sinnkonsum, Werbebotschaft und Verbrauch getrimm- nen Paradies zu einer (selbst-)kritisch Anteil nehmen- ten Wettbewerber in spe (oder künftigen «Verlierer» der den, für die Differenzen im Hier und Jetzt aufgeschlos- neoliberalen Auslese), vom Gartenglück mit Pflanzen senen Grün-Kultur zu gelangen, dann könnte man und Tieren wirklich noch beeindrucken? Spüren sie hin- vielleicht sagen: Der Schulgarten ist tot. Es lebe der ter dieser friedlichen Anmutung gar die Zumutung einer Schulgarten! scheinheiligen Doppelmoral? Schlussendlich, wie rele- vant, glaubhaft und wirkungsvoll ist die Idee des Schul- gartens - verfügt sie noch über emanzipatorische Ener- Resümee gien oder liefert sie nur das ökologische Feigenblatt Vorbereitet von Pietisten, Philanthropen und Romanti- einer machtlosen Pädagogik? Angesichts der erodie- kern, ist die «klassische» Kulturvorstellungen variie- renden Dekonstruktion und polykulturellen Relativie- rende Institutionalisierung des Schulgartens als ein rung einstmals unveränderlich gedachter Werte und Phänomen gesellschaftlicher Modernisierung ohne das Axiome wie Gemeinschaft, Arbeit, Leben, Heimat oder Wachstum der Städte, die Ausbreitung industrialisierter Raum werden die scheinbaren Gewissheiten ungewiss, und technisierter Lebenswelten sowie den Progress schwindet die Hoffnung auf die heilenden Kräfte ewiger der Wissenschaften gar nicht zu denken. Ihr Pen- Natur, mithin auf einen unschuldigen Zustand der Har- delschwung zwischen Systemflucht und Rationa-
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