OPERNRING ZWEI - OPERN NEWS
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OPERNRING ZWEI Das Monatsmagazin der Wiener Staatsoper → № 1 / September 2020 ROŠČIĆ & JORDAN BLICKEN AUF DIE KOMMENDE SAISON → 4 ASMIK GRIGORIAN IST CIO-CIO-SAN → 14 BALLETTDIREKTOR MARTIN SCHLÄPFER IM GESPRÄCH → 26 KAUFMANN & DE BILLY ÜBER DON CARLOS → 34 KUPFERS LEGENDÄRE ELEKTRA → 38
2 26 IHRE SICHERHEIT ZUM START EIN BRILLANTES TANZFEST 3 Martin Schläpfer ES GEHT WIEDER LOS! im Gespräch 4 30 DER NÄCHSTE VOM MUT ZUM TRÄUMEN KLIMMZUG Pretty Yende debütiert Bogdan Roščić & Philippe an der Wiener Staatsoper Jordan im Interview 32 9 8 TAKTE ATMOSPHÄRE DIE REISE BEGINNT Das Fagottsolo in L’elisir d’amore Das neue Opernstudio 33 10 SOLISTENKONZERT BUTTERFLY → Jonas Kaufmann Die ersten beiden Probentage EINE BESONDERE AURA → Maria Happel 14 DARSTELLERISCHE 34 VERAUSGABUNG & DER SIEG DER UTOPIE GESANGSKULTUR De Billy & Kaufmann Asmik Grigorian im Gespräch über Don Carlos mit Sergio Morabito 38 17 »ER WARF UNS DEBÜTS AN DER SICH ZUM FRASS VOR« WIENER STAATSOPER Harry Kupfer und seine legendäre Elektra 18 FREDDIE DE TOMMASO Eine Neuentdeckung 40 für Wien LIEBLINGSSTELLE MUSIK, DIE AUS EINEM KOMMT 20 Franz Welser-Mösts GEGENBESUCH Lieblingsstelle in Elektra IM WELTMUSEUM ZU GAST 42 WEGWEISER DURCH ELEKTRA 23 Eine Höranleitung von DIE MASKEN Jendrik Springer DER MADAME BUTTERFLY Essay von Sergio Morabito 44 PINNWAND GENERALSPONSOREN DER WIENER STAATSOPER
Verehrtes Publikum, ich freue mich, Ihnen das neu gestaltete und stark erweiterte Magazin der Wiener Staatsoper präsentieren zu können: »Opernring zwei« wird zehnmal pro Spielzeit erscheinen und Ihnen aus neuen Perspektiven von unseren Plänen und Ideen erzählen. Die erste Ausgabe markiert einen besonderen Moment, nämlich die Wiedereröffnung des Hauses nach fast sechs Monaten unfreiwilliger Sperre. Aber auch dieser Moment steht im Zeichen der Covid-19-Epidemie. Denn die Staats- oper will ab September den ganzen Reichtum des Musik- theaters wieder auf die Bühne bringen. Damit er sich frei entfalten kann, sind besondere Maßnahmen nötig. Seit Anfang August wurde unter strengen Sicherheits- vorkehrungen geprobt, beginnend mit Madama Butterfly, der ersten Premiere dieser Spielzeit und dem ersten Dirigat von Philippe Jordan als Musikdirektor. Hunderte von regel- mäßig wiederholten Tests wurden durchgeführt und am Haus ganz neue Regeln etabliert, unter denen die verschie- denen Gruppen der an einer Produktion Beteiligten so zu- sammenarbeiten können, dass das Risiko einer Infektion bestmöglich kontrolliert wird. Ebenso viel Energie haben wir in die Erarbeitung und Umsetzung jenes Konzeptes gesteckt, das die Staatsoper ab September zu einem sicheren Ort für alle Besucherinnen und Besucher machen soll. Nicht nur die durch Abstands- regeln reduzierte Sitzplatz-Kapazität wird das bewerkstel- ligen: Jeder Schritt Ihres Besuchs, ob vor, während oder nach einer Vorstellung wurde analysiert und die dafür nötigen Schutzmaßnahmen beschlos- sen. Sie finden in diesem Heft und auf der Homepage der Staatsoper ausführliche Informationen dazu. Dieses erste Heft von »Opernring zwei« widmet sich besonders intensiv den wich- tigen Debüts und den prominenten Rückkehrern, die unseren Spielplan im September bestimmen. Auf der einen Seite Asmik Grigorian als Cio-Cio-San und Freddie De Tommaso als Pinkerton in der Eröffnungspremiere, aber auch Pretty Yende, die mit Adina debütiert und später in der Saison die Violetta unserer Neuproduktion von La traviata sein wird. Jonas Kaufmann und Bertrand de Billy sprechen über die Wieder- aufnahme von Verdis französischem Don Carlos, Franz Welser-Möst über jene der legendären Elektra von Harry Kupfer, die wir in das Zeichen des Gedenkens an den großen Regisseur gestellt haben. Am 1. September ist die neue Direktion der Staatsoper komplett, mit dem Antritt von Martin Schläpfer als Ballettdirektor und Petra Bohuslav als kaufmännischer Ge- schäftsführerin. Feiern Sie mit uns den Beginn dieser besonderen Spielzeit – ich freue mich darauf, Sie am Haus zu sehen. Herzlich, Bogdan Roščić Bild Juuso Westerlund
SICHERHEIT FÜR IHREN BESUCH AN DER STAATSOPER Das vergangene halbe Jahr wird wohl in die Identitätskontrollen ist somit zu Geschichte des Hauses am Ring als rechnen und ein Lichtbildaus- ebenso einzigartige wie trauma- weis bereitzuhalten. »Da die tische Episode eingehen. Mit der Kontrollen am Eingang Madama Butterfly-Premiere etwas Zeit in Anspruch am 7. September wird eine für nehmen, wäre es also zu viele unerträglich lang empfehlen«, so Petra scheinende opernfreie Zeit Bohuslav, »dass man endlich beendet. So wichtig nicht zu knapp vor Vor dabei das künstlerische Erlebnis stellungsbeginn kommt und ist, so wichtig ist die Gesundheit die Karten schon vorab und, Illustration Flaticon des Publikums, der Künstler und wenn möglich, nicht erst bei der Belegschaft. Um allen Betei- der Abendkasse erwirbt«. ligten so viel Sicherheit wie Die Vorstellungen werden mit möglich zu bieten, wurde daher den gewohnten Pausen gespielt. ein Corona-Leitfaden erstellt, »Um Ansammlungen zu vermeiden den Sie auf der Website der Staats- ist einerseits der Zugang zu den deutlich häu- oper vollständig und in der jeweils aktuellsten Form figer gereinigten und vor allem desinfizierten finden. Toiletten Corona-gerecht geregelt und ander- »Wir haben alles getan, um die größtmögliche seits eine Möglichkeit geschaffen, Buffet-Bestellun- Sicherheit zu gewährleisten, daraus ergeben sich sehr gen bei der Firma Gerstner schon vorab zu tätigen«, viele einzelne Maßnahmen und Regeln. Besucherin- beruhigt Bohuslav, bittet aber, die Bezahlung bargeld- nen und Besucher dürfen zum Beispiel die Mund-Na- los abzuwickeln. Im Anschluss an jede Vorstellung sen-Schutz-Maske nur während der Aufführung ab- wird der leere Saal übrigens nicht nur gründlich ge- nehmen und müssen sie mit Verklingen des letzten reinigt, sondern auch mit einem TÜV-geprüften Tones wieder aufsetzen«, erklärt Petra Bohuslav, die Hochdruckvernebler desinfiziert. neue kaufmännische Geschäftsführerin der Staats- Auf das beliebte Autogramm-Anstellen beim oper. »Die Situation eignet sich denkbar schlecht für »Bühnentürl« muss bis auf weiteres verzichtet wer- Bravorufe, wir bitten das Publikum, seine Zustim- den. Aber allen sich an diesem traditionsreichen Ein- mung lieber mit Applaus auszudrücken.« gang regelmäßig Versammelnden sei versichert: Die Da der Sitzplan an die Corona-Verordnungen an- Künstlerinnen und Künstler sind sich der Zuneigung gepasst ist, wird nur eine reduzierte Zahl an Karten ihres Publikums in dieser Ausnahmesituation auch aufgelegt. Insgesamt können bis zu vier zusammen- durch den Applaus allein bewusst. hängende Karten gekauft werden, wenn die Personen in einem Haushalt leben oder einer Gruppe zugehö- ren. Zur nächsten Gruppe oder zum nächsten Einzel- Den vollständigen Corona-Leitfaden Sitzplatz besteht immer 1 Meter Seitenabstand. Die Karten selbst sind außerdem im Sinne des Contact der Staatsoper finden Sie unter Tracings personalisiert, mit stichprobenartigen → wiener-staatsoper.at 2
ES GEHT WIEDER LOS! Ein offenes Haus soll die Wiener Staatsoper sein – und so laden wir schon vor Beginn des eigentlichen Spielbetriebs zu einer Reihe von Sonderveranstaltungen. »DAS REPERTOIRE– KLASSIK-TREFFPUNKT OPEN CLASS THEATER IST TOT!« SAMSTAG, DES WIENER 5. SEPTEMBER 2020 – ES LEBE DAS → 10.05 – 11.40 UHR, STAATSBALLETTS GUSTAV MAHLER-SAAL REPERTOIRETHEATER? SAMSTAG, Im Gespräch mit Albert Hosp reflektiert 5. SEPTEMBER 2020 FREITAG, Bogdan Roščić über die herausfordernden → 16.00 – 17.15, 4. SEPTEMBER 2020 letzten Wochen, seinen Amtsantritt sowie BALLETTAKADEMIE → 10.30 – 17.15 UHR, die Spielplanstrategie der kommenden DER WIENER STAATSOPER, GUSTAV MAHLER-SAAL Saison. Kostenlose Zählkarten sind an GOETHEGASSE 1, allen Bundestheaterkassen erhältlich. 1010 WIEN In Vorträgen, einem Reenactment und einem Streitgespräch widmet sich ein »Schnupperstunde« für alle Tanzinteres- Symposium Geschichte und Gegenwart sierten: Versuchen Sie sich unter An des Repertoiretheaters, seinen Voraus leitung der stellvertretenden Ballettdirek- setzungen und Herausforderungen. Mit torin Louisa Rachedi und zu live-Musik in u. a. Staatsoperndirektor Bogdan Roščić, Grundlagen des klassischen Balletts. Zur Ballettdirektor Martin Schläpfer, Chef Einhaltung der Covid-19-Sicherheitsauf- dramaturg Sergio Morabito, Franz lagen ist die Teilnehmerzahl auf 20 Welser-Möst, KS Brigitte Fassbaender, Personen begrenzt sowie das Tragen eines Cornelius Obonya, Peter de Caluwe, Univ. Mund- und Nasenschutzes verpflichtend. Prof. Michael Walter, Univ. Prof. Andrea Es sind weder Umkleide- noch Dusch- Amort, Bernd Feuchtner. möglichkeit vorhanden. Bitte kommen Sie Das genaue Programm finden Sie in bequemer Kleidung und bringen Ihre unter → wiener-staatsoper.at. Kostenlose eigenen Getränke mit. Zählkarten sind an allen Bundestheater- Kostenlose Zählkarten sind an allen kassen erhältlich. Bundestheaterkassen erhältlich. »MEIN TANZ, MADAMA BUTTERFLY MEIN LEBEN« → Einführungsmatinee → Buchpräsentation SONNTAG, MADAMA BUTTERFLY 6. SEPTEMBER 2020 FREITAG, → 11 UHR 4. SEPTEMBER 2020 → Generalprobe → 19.00 UHR, Die Einführungsmatinee mit musikali- GUSTAV MAHLER-SAAL schen Kostproben bietet einen umfassen- SAMSTAG, den Einblick in die Neuproduktion. Von Juli 2019 bis April 2020 hat die 5. SEPTEMBER 2020 Mit u. a. Philippe Jordan, Carolyn Choa, Kulturjournalistin Bettina Trouwborst → 13.00 – 16.15 UHR Asmik Grigorian, Freddie De Tommaso, mit Martin Schläpfer neun Gespräche Moderation: Staatsoperndirektor Bogdan geführt, die uns tiefe Einblicke in das Zuschauerinnen und Zuschauer unter 27 Roščić. Leben, Denken und die künstlerische Jahren können bereits zwei Tage vor Arbeit des neuen Direktors und Chef der Premiere einen Blick durchs Schlüs- choreographen des Wiener Staatsballetts selloch wagen und die Neuproduktion mit geben. Im Leipziger Henschel-Verlag sind u. a. Philippe Jordan und Asmik Grigorian diese nun in einem attraktiv gestalteten, (Bild oben) erleben. mit zahlreichen Abbildungen versehenen Mit der Öffnung der Generalproben für Buch erschienen, das Martin Schläpfer, alle unter 27 startet die Wiener Staatsoper Bettina Trouwborst und Dramaturgin ihr Projekt der verstärkten Öffnung des Anne do Paço in einem Gespräch mit Hauses für junges Publikum. Dieses Signierstunde präsentieren. Angebot gilt ab nun für alle Generalpro- Kostenlose Zählkarten sind an allen ben der Spielzeit. Auf → wiener-staatsoper. Bundestheaterkassen erhältlich. at registrieren und Karten buchen. WIENER STAATSOPER 3 OPERNRING ZWEI
Mit Beginn der neuen Spielzeit wird in der Geschichte der Wiener Staatsoper ein neues Kapitel aufgeschlagen: Gemeinsam mit Philippe Jordan und Martin Schläpfer will Bogdan Roščić eine auf der Tradition des Hauses aufbauende, und gleichzeitig an den Ansprüchen des 21. Jahrhunderts orientierte Opern- und Ballettprogrammierung anbieten, das neben den treuen Besucherinnen und Besuchern der Wiener Staatsoper auch neue Publika begeistern soll. Zum Auftakt ein Gespräch mit dem neuen Staatsoperndirektor und dem neuen Musikdirektor. Man erfährt als Kind und Jugendlicher zwangs- und Maazel am Pult – sondern das Werk an läufig eine kulturelle Prägung durch das Umfeld. sich, das für mich immer einer der absoluten Welche zentralen Personen und Momente können und unerreichbaren Höhepunkte bleiben wird. Sie rückblickend ausmachen, die Sie nachhaltig Zusätzlich war ich aber, anders als Philippe, beeinflusst haben? auch sehr gebeutelt von dem, was damals auf PHILIPPE JORDAN Meine Mutter ist als Ballett-Tän- der anderen Seite der Musikwelt los war, also zerin über Linz an das Zürcher Opernhaus ge- Punk und New Wave, da gab es ja auch in Ös- kommen, wo sie meinen Vater kennenlernte, terreich eine sehr lebhafte Szene. Und die dritte der auch dort ein breites Repertoire dirigierte große Entdeckung war irgendwann dann die – nicht zuletzt Ballett. Als Kind eines Künstler- Philosophie. ehepaares war ich also gewissermaßen unent- wegt mit Partituren, Musik und Theater kon- Und gab es für Sie ein Zusammenspiel der Welt frontiert. Und zumindest in den Schulferien der Musik und jener der Philosophie? durfte ich regelmäßig nicht nur Vorstellungen, BR Nicht unmittelbar. Die Liste der Philosophen, sondern sogar zahlreiche Proben meines Vaters die sich blamiert haben beim Versuch, etwas besuchen. Das alles faszinierte mich derartig, wirklich Erhellendes zur Musik zu sagen, ist dass ich stets in Richtung Musik dachte. Frei- lang. Aber ich finde es trist, wenn Menschen lich, ich hatte als Sängerknabe meine Sänger- sich in einer Nische einrichten und sonst nichts phase, später eine Pianisten-, Komponisten- an sich heranlassen. Man kann zum Beispiel und sogar Regisseurphase. Aber es blieb immer nicht sagen: Ich bin total kulturinteressiert – in demselben Biotop und spätestens mit 19 aber bitte nur Oper! entschied ich mich dafür, mit anderen gemein- PJ Das geht beim Kosmos Oper schon deshalb sam Musik zu machen, also fürs Dirigieren. nicht, weil er sich aus unzähligen Disziplinen BOGDAN ROŠČIĆ Ich will drei Erlebnisse nennen. Im zusammensetzt: Musik, Theater, Literatur, Haus meiner Eltern, beide waren Ärzte am Kunstgeschichte, Mythologie, Philosophie AKH in Linz, hatten Bücher einen großen Stel- usw … lenwert, die Welt der Musik nicht so sehr. Die BR Oper ist einerseits ein völlig umwerfendes, habe ich also auf eigene Faust erkundet, und sinnliches, existenzielles Erlebnis. Aber sie ist zwar auf Schallplatte. Zuerst eher nur Instru- auch im höchsten Maße geheimnisvoll und er- mentalmusik, irgendwann ist mir dann die Don klärungsbedürftig und will einen breiten Blick Giovanni-Aufnahme in die Finger gefallen, die auf alle Facetten der Kultur – zum Beispiel auf für den an sich eher fragwürdigen Film von die bildende Kunst, mit der ich mich recht spät, Joseph Losey gemacht wurde. Das war die Ini dafür aber umso leidenschaftlicher auseinan- tialzündung. Was mich fasziniert hat, war ja dergesetzt habe. nicht die Produktion – trotz Ruggero Raimondi 5
Bogdan Roščić und Philippe Jordan Wie groß ist die Gefahr, dass man durch die Mü- Gruppe von talentierten Menschen kompro- hen des Alltags mit der Zeit zu milde wird und misslos die Sache der Kunst verfolgen zu kön- an sich nicht mehr denselben hohen Anspruch nen, auch wenn das Ergebnis nicht allen gleich stellt wie zu Beginn? mundet. BR Groß! Die Frage ist, wie man damit umgeht. Es gibt immer die Gefahr, dass man zu früh Worin besteht für den Musikdirektor das Schöne beidreht. Aber dann muss man sich eben dis- am Repertoire-Betrieb? Es kann letztlich nicht so ziplinieren und den nächsten Klimmzug auf viel geprobt werden wie für eine Neuproduktion. die eigentliche Höhe der Aufgabe versuchen. PJ Es ist die Vielfalt, die mich beglückt. Zusam- PJ Es gibt keine einzige von mir dirigierte Auf- men mit unglaublich flexiblen Gruppen – dem führung, nach der ich mich nicht rückblickend Orchester, dem Ensemble, dem Chor – dürfen meinen zahllosen Fragen bezüglich der Quali- wir auf höchstem Niveau jeden Abend etwas tät stelle. Wie oft bin ich doch mit meinem anderes gestalten. Nicht zuletzt deshalb sehe Assistenten in Paris nach 23.00 Uhr im Büro ich mich als Operndirigenten der alten Schule zusammengesessen, um Schwachstellen aus- mit einem großen Repertoire. Ich möchte mich zumerzen, neue Lösungen zu finden. nicht spezialisieren, sondern möglichst die BR Diese Fragen sollte man sich vielleicht ganz ganze Bandbreite abdecken – schon deshalb generell stellen, und ich glaube, ein lebenswer- war es mir wichtig, gleich im ersten Jahr bei tes Leben besteht auch darin, sich in den Ant- Werken von allen fünf großen Opernkompo- worten den Fluchtweg des Nachlassens ganz nisten, also von Mozart, Strauss, Wagner, Puc- oft bewusst abzuschneiden. cini und Verdi am Pult zu stehen. BR Wahrscheinlich ist die Tatsache, dass jeden Und wie sieht es mit Kritik seitens des Publikums Abend ein anderer Kosmos aufgespannt wer- oder der Künstler aus? den kann, auch eine der Ursachen für den Pu- BR Die prüft zuerst einmal die eigene Überzeu- blikumserfolg und die damit verbundene Aus- gung, die Festigkeit der eigenen Entschlüsse, nahmeposition, die die Wiener Staatsoper Meinungen und Gedanken. Andererseits darf weltweit genießt. man sich nicht zu sehr verunsichern lassen. Und die ganze Idee eines öffentlich subven Als einen der Schwerpunkte der kommenden tionierten Kulturbetriebes ist ja, mit einer Jahre nennen Sie immer wieder Mozart. Mozart, 6
weil das Haus eine Verantwortung für dieses »Mozart ist für uns das Repertoire hat oder in einem umfassenderen Zentrum des Hauses. Sinn? BR Mir wurde öfter die Frage gestellt: Ist denn das Im Grunde ist alles auf Haus überhaupt geeignet für Mozart? Meine Antwort lautet immer: Wenn es für Mozart Mozart begründet nicht geeignet wäre, dann müsste man es ab- und ich glaube, dass man reißen. Man muss selbstverständlich Mozart spielen, alles andere kann man gar nicht ernst- nur dann einen guten haft diskutieren. Sein Werk ist für uns eine Verdi oder Wagner singen große Priorität und wir werden große Energien in die Erneuerung gerade dieses Repertoires und spielen kann, stecken. wenn man das ein Leben PJ Mozart ist für uns das Zentrum des Hauses. Im Grunde ist alles auf Mozart begründet und ich lang auch bei Mozart glaube, dass man nur dann einen guten Verdi verwirklicht.« oder Wagner singen und spielen kann, wenn man das ein Leben lang auch bei Mozart ver- wirklicht. Immer wieder frage ich Wagner- Sänger: Warum nicht auch einmal einen Gra- fen in Nozze di Figaro? Ausgehend von Mozart kann eine reiche Entwicklung stattfinden: Aus einer Gräfin wird einmal eine Tatjana oder Desdemona, aus einem Grafen ein Beckmesser oder Amfortas. Das lässt sich aber nur durch BR Man muss ja nicht nur den Mut haben, neue eine intensive und gemeinschaftliche Mozart- oder unerwartete Namen zu bringen, sondern Pflege umsetzen. man muss vor allem die Leute so einschwören, dass sie auch in den kommenden Jahren immer Stichwort Mozart-Ensemble: Dieses hat in Wien wieder für die gemeinsame Arbeit zur Verfü- eine große Tradition und wird immer an jenem gung stehen. Es braucht also eine Kontinuität legendären Ensemble-Mythos der 1950er-Jahre in der künstlerischen Arbeit! Ganz generell gemessen. Wie aber baut man ganz konkret und geht es in Bezug auf Mozart um eine Klang- fernab jeglicher Mythologisierung ein solches vorstellung, die lautet: Das, was Nikolaus Har- auf? noncourt begonnen hat, kann man auch an PJ Das ist eine der zentralen Aufgaben des Musik diesem Haus nicht mehr vor der Tür halten. Im direktors. Zunächst einmal geht es darum, sich Orchester ist das übrigens ohnedies schon als solcher regelmäßig um das Repertoire zu längst hörbar. Es geht um einen Klang mit At- kümmern, wobei natürlich auch andere Diri- tacke, ohne Angst vor Kontrasten und Extre- genten, die in einer ähnlichen Weise arbeiten, men, es geht um das Wilde, auch das Unbe- dazukommen. Zum Beispiel Antonello Mana- herrschte, das Elektrisierende. Oder, wie corda, der die Premiere der Entführung im Ok- Bruno Walter Gustav Mahlers Mozart-Sicht tober leiten wird und zukünftig auch noch überliefert hat: Er war gegen die Lüge der Zier- einiges mehr. lichkeit. Damit ist alles gesagt. BR Oder Pablo Heras-Casado, der an der Staats- oper Berlin seinen exemplarischen Zugang Sie haben in der Vergangenheit schon Premieren bewiesen hat. und Vorstellungen an diesem Haus dirigiert. In- PJ Wir haben in den letzten Jahren gemeinsam wiefern ändert sich nun als Musikdirektor Ihr ein neues Mozart-Sängerensemble zusammen- diesbezüglicher Zugang? Achten Sie auf andere gestellt, von dem wir uns viel erwarten. Wobei Details? Oder sind Sie in dem Moment, in dem Ensemble in diesem Zusammenhang nicht im Sie den Graben betreten, ganz Dirigent und nicht Sinne von lauter fix engagierten Sängerinnen Musikdirektor? und Sängern verstanden wird, sondern als ein PJ Natürlich, in diesem Augenblick zählt nur die fester Stamm aus Hausmitgliedern, Residen- Vorstellung. Der Unterschied ist, dass ich nun zen und Gästen, die man eng ans Haus bindet. hinter den Kulissen wirke, bei Besprechungen, 7
Vorsingen, Planungen, Orchester-Probespie- len und so weiter viel beeinflussen kann. Und ich kann mit einer langfristigen Perspektive arbeiten, Dinge entwickeln, an einem gemein- samen Stil feilen. Als Gast kennt man ja nie alle Musikerinnen und Musiker, als Chef kennt man sie nicht nur, sondern man kennt auch alle ihre Eigenarten und spezifischen Quali- täten – und das macht die Arbeit viel berei- chernder. Es ist eben eine längere, tiefere Be- ziehung mit einem entsprechenden künst- lerischen Ergebnis. Das Haus soll mehr denn je geöffnet werden, den- noch wird man immer nur einen Teil der Bevöl- kerung erreichen. Stimmt Sie das, betreffend die Treffsicherheit Ihrer gesellschaftspolitischen The- men, nachdenklich? BR Das ist doch eine Frage, die alles und alle be- trifft: Welche Stimmen setzen sich heute, in einer vor allem medial so fragmentierten Ge- genwart, wirklich noch durch? Uns ist es sehr ernst damit, die größtmögliche Verbreitung der Leistungen dieses Theaters zu sichern. So wird, als nur eine Maßnahme unter vielen, das Streaming-Angebot innerhalb Österreichs kostenlos sein. Aber ich glaube, dass man sich Musikdirektor Philippe Jordan den Anspruch, von allen gehört werden zu wollen, ruhig erlassen soll und stattdessen nachdenken muss, welche Positionen man be- ziehen will. Positionen zur Politik, Kunst, Ökonomie, zur Frage, wofür das Haus da ist? Will man über Auslastungszahlen oder über Kunst reden? Will man Kunst als kulinari- sches Erlebnis betrachten oder auf Inhalte fokussieren? Welche Wege diese Botschaften PJ Na klar! Es gibt ja keine Vorstellung, vor der dann nehmen, wogegen ein Haus sich womög- ich nicht nervös wäre. Wäre es anders, hörte lich als Bollwerk herausstellt, das muss die ich mit dem Beruf auf. Gerade das Adrenalin Zeit weisen. Die eigentliche Frage nach dem schafft die Kreativität, die uns von der Routine Politischen, die muss anders gestellt werden. wegführt. Als Musikdirektor bin ich ebenso Ich bin überzeugt, dass es intellektuell unred- aufgeregt und kann es kaum erwarten, dass lich ist, die Grenzen zwischen Politik und die erste Probe beginnt, die erste Vorstellung Kunst verwischen zu wollen und so zu tun, als stattfindet. Und schauen, ob alles aufgeht, was ob Kultur eine direkte politische Intervention wir geplant haben. wäre. Das ist sie nie. Sie ist insofern eine Inter- BR Man weiß, dass man in einer sehr engen Gasse vention, als sie den Menschen, dem sie wider- steht, durch die einem gleich ein Stier entge- fährt, verändert. genkommt, und man kann es nicht erwarten, PJ Es geht ja im Musiktheater um Menschheits- ihn an den Hörnern zu packen. Wenn Pläne themen, nicht um Politik … auf Realität treffen, bedeutet das ja immer ir- gendeine Art von Reibung und Prüfung. In Zuletzt: Darstellende Künstler kennen die Ner- diesem Fall vielleicht besonders intensiv. Aber vosität vor einem Auftritt. Gibt es auch eine ent- wenn man von den Plänen und den Zielen be- sprechende Aufregung vor dem »Auftritt« bzw. geistert ist, dann freut man sich auf diesen Antritt als Direktionsteam? Moment. Und genau so geht es uns. 8 Die Fragen stellten Andreas Láng & Oliver Láng Bilder Tilman Wendland / Michael Pöhn / Jean Francois Leclerc
DIE REISE BEGINNT Artyom Wasnetsov, Patricia Nolz, Angelo Pollak, Michael Rakotoarivony nach einer Madama Butterfly-Probe Mit Beginn der neuen Saison wird für dreizehn junge Bei den Herren haben wir mit dem Tenor Angelo Pol- Menschen ein Abenteuer der besonderen Art begin- lak einen weiteren Österreicher im Studioensemble. nen: sie werden als Mitglieder des neugegründeten Der britisch-japanische Tenor Hiroshi Amako hat Studios der Wiener Staatsoper ihre ersten Schritte auf seine Ausbildung in London erhalten. Bariton Stefan einer professionellen Opernbühne machen. Astakhov ist mit seinen 22 Jahren der Benjamin der Dass es ausgerechnet diese dreizehn jungen Leute Truppe, hat aber bereits bei etlichen Wettbewerben sind, hat damit zu tun, dass sie jene Mischung aus Aufsehen erregt. Einen besonders weiten Weg hat Talent, Intelligenz und Disziplin erkennen lassen, Bariton Michael Rakotoarivony hinter sich: aus Ma- welche die Grundvoraussetzungen für ein langes Be- dagaskar kommend hat er gerade seinen Masterab- rufsleben in diesem Metier sind. schluss in Weimar gemacht; natürlich mit Note 1,0! Wir haben mit Aurora Marthens einen dramatischen Erik van Heyningen kommt von der renommierten Koloratursopran aus Finnland, die bereits erahnen New Yorker Juilliard School und hat bereits jetzt alle lässt, dass ihre Stimme noch viele Entwicklungsmög- Anlagen zu einem kommenden dramatischen Bariton. lichkeiten bietet. Die Schwedin Johanna Wallroth hat Und unsere beiden Bässe stammen aus Russland: Ar- nicht nur uns mit ihrem lyrischen Sopran überzeugt, tyom Wasnetsov war in Stimme und Erscheinung beim mit dem sie 2019 den 1. Preis beim renommierten Mir- Vorsingen so überzeugend, dass uns gar nichts ande- jam Helin-Wettbewerb errungen hat. Mit ihrer res übrig blieb, als ihn zu engagieren. Und Ilia Kaza- Stimme, die bis in die Stratosphären der Königin der kov beeindruckte mit der wunderbaren Weichheit Nacht geht, hat Anna Nekhames 2019 den 1. Preis beim seiner Stimme und der Musikalität seines Vortrags. Hilde-Zadek-Wettbewerb in Wien gewonnen. Die Ihnen allen werden Sie in den kommenden zwei Sai- österreichische Mezzosopranistin Patricia Nolz ist sonen auf der Bühne der Staatsoper begegnen kön- schon mehrfach als höchst talentierte Nachwuchs- nen; einigen davon bereits bei der Eröffnungspre- sängerin aufgefallen. Aus den USA kommt ein wei- miere von Madama Butterfly. Wünschen Sie ihnen terer hochbegabter Mezzo: Isabel Signoret. Und mit – und uns allen – dafür ein kräftiges toi toi toi! Stephanie Maitland bekommt die Staatsoper die heut- zutage seltene Spezies einer echten Altstimme. Text Michael Kraus Bild Michael Pöhn 9
BUTTERFLY DIE ERSTEN BEIDEN PROBENTAGE MONTAG Im Zuschauerraum der Staatsoper begrüßt Direktor Roščić alle Mitwirkenden 3.8.2020 zum Konzeptionsgespräch und stellt Gäste und neue Mitarbeiter vor. Die im Juni → 10 UHR Corona-bedingt ausgefallenen Vorproben zur Butterfly-Premiere, die am 7. Sep- tember die Spielzeit eröffnet, sollen in diesem Monat nachgeholt werden. Direk- tor Roščić verweist auf das unendlich wichtige Signal der Salzburger Festspiele, die trotz Pandemie in der Lage gewesen seien, zwei intensive Musiktheaterauf- führungen zu stemmen. Gleichwohl sei im Zuschauerraum eine immense An- spannung spürbar gewesen. Roščić appelliert daran, die eigentliche Herausfor- derung nicht zu unterschätzen, nämlich den Gesundheitsregeln Folge zu leisten und dennoch in Kopf und Herz frei für die Kunst zu sein. Dieses Wissen um die Kunst und dieser Respekt vor der Kunst haben auch die Corona-Regularien ge- prägt, die sich das Haus erarbeitet hat. Sie sind deutlich kunstfreundlicher und weniger bürokratisch ausgefallen, als derzeit an manchem deutschen Theater- betrieb. Alle notwendigen Einschränkungen sind als Bedingung für die Ent- faltung von Kreativität in den Proben- und Bühnenbereichen ausgelegt, auch und gerade im Bewusstsein, dass dort Sicherheitsabstände und Maskenpflicht nicht immer strikt zu wahren sind. 14 UHR Musikdirektor Philippe Jordan hat zur ersten Ensembleprobe auf die Eberhard- Waechter-Probebühne geladen. Dort finden sich die beiden Butterflys ein: Asmik Grigorian, die am Samstag zuvor noch als Chrysothemis in der Salzburger Elek- tra-Premiere auf der Bühne stand und die sich dankenswerter Weise bereit erklärt hat, in Wien alternierend mit ihren weiteren Vorstellungen in Salzburg zu pro- bieren. Um die Regieproben durch die hierdurch bedingten Abwesenheiten nicht zu belasten, hat die Staatsoper Karine Babajanyan gebucht, die die Butterfly bereits weltweit verkörpert hat und als solche ein Vorbild für Grigorian darstellt, wie diese respektvoll bekennt (beide verbindet darüber hinaus eine armenische Abstammung). Neben den beiden Gästen haben die Mitglieder des Solistenen- sembles und des neugegründeten Internationalen Opernstudios Platz genommen. Auch letztere übernehmen bereits verantwortungsvolle Aufgaben in dieser Neu- produktion. 10
Asmik Grigorian und Carolyn Choa proben Madama Butterfly 11
Nachdem man sich auf das Englische als Probensprache geeinigt hat, erklärt Philippe Jordan seine Absicht, einmal gemeinsam durchs ganze Stück zu gehen und sich so eine »global view« zu verschaffen. Für viele ist es der erste Tag an neuer Wirkungsstätte, so auch für die musikalische Studienleiterin Sarah Tysman, und zudem ist der Direktor zum Zuhören erschienen. Um so wichtiger, dass es Jordan auf Anhieb gelingt, einen Austausch auf Augenhöhe zu installieren und eine konzentrierte und zugleich entspannte Atmosphäre zu schaffen, in der auch Wertschätzungs-Applaus für die Leistungen der Kolleginnen und Kollegen im- mer wieder möglich ist. Bei seinen relativ wenigen Unterbrüchen macht Jordan den Sängerinnen und Sängern vor allem Besonderheiten der Phrasierung und der pointierten rhythmischen Gestaltung bewusst. So etwa auf den Wechsel von gebunden und ungebundenen Phrasen in Pinkertons Ariette »Amore o grillo, dir non saprei« (»Ob Liebe oder Laune wüsste ich nicht zu sagen«) oder auf sein rhythmisch spanungsvolles à part »Con quel fare di bambola quando parla m’in- fiamma.« (»Ihr puppenhaftes Spiel und Sprechen entflammt mich.«) Plötzlich steht die Frage im Raum, die sich gewiss auch schon mancher Opern- besucher gestellt hat: Heißt es nun richtig »F. B.« Pinkerton oder »B. F.« Pinker- ton? Karine erzählt, beim Puccini-Festival in Torre del Lago habe man sich auf »B. F.« verbindlich festgelegt. Asmik hegt eine klanglich-stimmliche Vorliebe für die umgekehrte Artikulation der Initialen. Die Recherche zeigt, dass Pinker- ton in der Uraufführungsfassung durchgehend die Vornamen Francis Blummy trägt. Im Verlauf der Revisionen wurden diese Vornamen an den beiden Stellen, an denen sie »ausgesungen« werden, bei Verlesung des Ehevertrags durch den Kaiserlichen Kommissar und als im 2. Akt Sharpless Butterfly berichtet, er habe von ihm einen Brief erhalten, in »Benjamin Franklin« geändert – ohne aber die Reihenfolge der Initialen bei den anderen zahlreichen Nennungen anzugleichen. Da die Noten die gleichen geblieben sind, nur die Rhythmisierung geringfügig verschoben wurde, empfiehlt die Dramaturgie, sich für eine Version zu entschei- den, um beim aufmerksamen Zuhörer kein falsches Fragezeichen entstehen zu lassen. Bevor Jordan die Mitarbeiter nach dem Finalduett des 1. Aktes in die Proben- pause entlässt, vereinigen sich die Stimmen von Grigorian und Pinkerton Fred- die De Tommaso auf »one of the most difficult high c’s«, »einem der schwierigs- ten hohen C’s« der Opernliteratur, wie Grigorian anschließend erklärt. Schwierig deshalb, weil es übergangslos eingebunden sei und herauswachsen müsse aus den lang ausgesponnenen lyrischen Phrasen zuvor. Das hohe C auf »Amor!« am Ende des 1. Bildes von La Bohème sei vergleichsweise einfach, dort könne man sich voll auf die Projektion dieses Einzeltones konzentrieren, so Grigorian. Nach der Pause unterbricht sich Grigorian in der berühmtesten Arie des Stü- ckes »Eines schönen Tages sehen wir«: Das auskomponierte Verweilen auf dem »Io« in der Phrase »Io non gli scendo incontro« will ihr zunächst nicht einleuch- ten. Umso dankbarer eignet sie sich den Subtext an, den ihr Solokorrepetitor Tommaso Lepore anbietet: »Ich verhalte mich nicht so, wie Du, Suzuki, vielleicht annehmen würdest: Ich eile dem Heimkehrer nämlich nicht entgegen, oh nein!« Im weiteren Verlauf, als Butterflys Hoffnung immer brüchiger zu werden beginnt, richtet sich das Augenmerk von Dirigent und Sängerin auf den richtigen Moment des Abreißens ihres Hochtones am Ende des Satzes »Piùttosto la mia vita vo’ troncar!« (»Lieber will ich mein Leben beenden!«) – wenn der richtige Moment erwischt wird, vergegenwärtigt das Abreißen ihrer Stimme das angedrohte Ab- reißen ihres Lebensfadens mit größter Emphase. »Tutto è finito« – »Es ist alles zu Ende.« In dem Moment, in dem Butterfly verstanden hat, dass man ihr das Kind wegnehmen will, ist auch die Probenzeit zu Ende. Die finale Wendung des Stückes, Butterflys Weg in den Freitod wird man in der nächsten Probe angehen. 12
DIENSTAG Um 10 Uhr ist die erste szenische Probe für die Gesangssolisten angesetzt, am 4.8.2020 Vortag haben die Tänzer und Puppenspieler bereits das choreographische Gerüst → 10 UHR der ersten Szenen erarbeitet. Sie muss nicht auf der Probebühne im Arsenalbezirk, sondern kann gleich auf der Hauptbühne stattfinden, da der Spiel- und Reper- toirebetrieb noch nicht wieder angelaufen ist. Das Regieteam hat sich von ost- asiatischen Theatertraditionen inspirieren lassen: Kostümbildnerin Han Feng knüpft an die prächtigen Roben des feudalen Nō und des populären Kabuki, ebenso wie des chinesischen Kunqu an, aus dem sich später die Peking-Oper entwickelte. Aber natürlich tragen die Akteure heute nur Probenkostüme – bis auf die originalen Fußbekleidungen: die »Japaner« die charakteristischen Tabi- Socken, mit der Trennung des großen Zehs von den anderen vier Zehen, während die »Amerikaner« Überschuhe über ihre Lederschuhe gestreift haben. Der Grund: Das stilisierte Spielfeld, das Bühnenbildner Michael Levine geschaffen hat, ist kein realistischer Theaterraum, sondern eine Bühnenschräge mit sorgfältig be- arbeiteter Oberfläche, die an japanische Lackarbeiten gemahnt und nicht un- nötig strapaziert werden darf. Regisseurin Carolyn Choa sucht in ruhiger, persönlicher Ansprache die Nähe zu ihren Akteuren und macht sie zunächst mit der imaginären Topographie der Bühne vertraut: Der Weg von Nagasaki hinauf zum Hügel wird unterhalb der hinteren Kante der Bühnenschräge angenommen, Meer und Hafen im Zuschau- erraum. Das Hauptaugenmerk gilt in dieser Eröffnungssequenz der Choreogra- phie der gleitenden Shojis – jener nur mit Reispapier bespannten Schiebewände oder Raumteiler, die hier rampenparallel über die Bühne gleiten können und die »casa a soffietto« evozieren, wie Pinkerton sie nennen wird, und was man als »Falt-« oder »Ziehharmonika-Haus«, oder auch »ausziehbares Haus« überset- zen könnte. Als er zuvor von der »dimora frivola«, der »leichtfertigen« oder »losen Behausung« sprach, spielte er wohl nur auf ihre Funktion als Liebesnest an, doch Goro, als Nakodo sein Makler und Heiratsvermittler, hat dies als Kritik an der japanischen Leichtbauweise missverstanden, und garantiert, diese stehe »fest wie ein Turm, vom Boden bis zum Dach.« Carolyn Choa vermittelt Thomas Ebenstein den richtigen Umgang mit dem Fächer, mit dem der Nakodo sein Argument unterstreicht. Entscheidend sei der Gestus, jede Andeutung müsse ganz leicht, ohne Kraftaufwand aus dem Handgelenk geführt werden. Später, wenn Pinkerton zu Sharpless sagen wird: »è una casetta che obbedisce a bac- chetta« – »ein Häuschen, das auf Kommando gehorcht«, berichtet er also nur, was Goro ihm zuvor mit dem Fächer als Kommandostab (»bacchetta«) vorgeführt hat. Auch das »assortimento«, die Galerie weiterer günstiger Ehepartnerinnen auf Zeit, die Goro Sharpless offeriert, wird als auf diesem seinem Fächer dar- gestellt angenommen. Am Ende der Probe ist man bis kurz vor den Auftritt der Butterfly gekommen und erwartet mit gespannter Vorfreude die erste szenische Probe mit Asmik Grigorian. Text Sergio Morabito Bild Michael Pöhn 13
ASMIK GRIGORIAN IM GESPRÄCH MIT SERGIO MORABITO Darstellerische Verausgabung & Gesangskultur »Das Ereignis der Aufführung ist Asmik Grigorian als Tatjana: noch nie wurde mir die Geschichte dieses unglücklichen Mädchens, das sich in seinen Büchern vergräbt und in seiner Verzweiflung keinen anderen Ausweg weiß, als an den vermeintlichen Befreier zu schreiben, so eindrücklich, mit solchem Mut zur Sprödigkeit erzählt. Ihre Briefszene zeigt das heulende Elend dieser jungen Frau, jenseits konventioneller Verklärung. Auch stimmlich bietet Grigorian weniger jugendlich-dramatischen Glamour, als dass sie jede Phrase auf das Wunderbarste führt und gestaltet. Die Tatjana des letzten Bildes werde ich nicht mehr anders denken können, als wie Grigorian und Barkhatov sie erzählen: als verwandelte, erwachsene und innerlich freie Frau, die ihre Begegnung mit Onegin unbestechlich luzide analysiert, ohne sich etwas zu vergeben, wenn sie bekennt, dass sie ihn immer noch liebt. Gerade weil über haupt nicht ›geschmerzt‹ wird, haben wir wirklich etwas über den Riss erfahren, der durch sie hindurchgeht.« Zur Vorbereitung auf mein Gespräch mit Asmik Grigorian lese ich die Zeilen, die ich im Anschluss an den Besuch der Eugen Onegin-Premiere am Staatstheater Wiesbaden im März 2017 notiert hatte. Der Regisseur der Aufführung, Vasily Barkhatov, ist ihr Mann, der derzeit einen Film in Moskau dreht. 14
Asmik Grigorian Wie schafft man es, als erfolgreiches, doch nur in Emotionen gespeichert, die mich jedes Mal wieder seltenen Fällen am gleichen Ort engagiertes Künstler- einholen, wenn ich mit ihr in Berührung komme. ehepaar, die Familie zusammenzuhalten? Ich bin glücklich, dass Carolyn Choa die Begeg- Wir machen es wie immer, ich reise mit den beiden nung von Pinkerton und Butterfly als echte Liebes- Kindern und Vassya besucht uns. Ansonsten: geschichte erzählt, und nicht, dass Pinkerton ein Arbeit ist Arbeit und Leben ist Leben. Wir reden Bastard ist, auch wenn das eine durchaus mögliche Zuhause nicht von der Arbeit und bei der Arbeit Lesart ist. Dass er für mich keine negative Figur nicht von Zuhause.« Auch Grigorian selbst ist ein darstellen kann, hängt natürlich mit der Erinne- Theaterkind. Beide Eltern waren Opernsänger, der rung an meinen Vater zusammen. Wir alle machen aus Armenien stammende Vater Tenor, die litaui- Fehler, hat Carolyn Choa gesagt, und beide sind sche Mutter Sopranistin, beide am Nationalthea- doch halbe Kinder, auch Pinkerton ist gerade mal ter in Vilnius im Festengagement: »Ich habe be- Anfang zwanzig! Und deswegen läuft die Ge- gonnen, die Butterfly zu lernen, als meine Mutter schichte schief. Trotzdem überrascht mich Butter- in dieser Rolle auf der Bühne stand und mit mir fly jedes Mal wieder durch ihre ungeheure Stärke. im achten Monat schwanger war. Später sangen Sie selbst ist es, die die Entscheidungen über ihr meine Eltern Butterfly und Pinkerton und ich Leben trifft. Ich selbst bin sehr jung Mutter ge- spielte das Kind. In dieser Musik sind so starke worden und habe die Erfahrung gemacht, dass die 15
»Ich habe vier ganz Grigorian hat ein erstaunlich breitgefächertes Re- pertoire, Tschaikowski-Rollen nehmen darin einen unterschiedliche Butterfly- prominenten Platz ein, mit einem noch erstaunliche- Produktionen gemacht. ren Schwerpunkt auf der ersten Hälfte des 20. Jahr- hundert mit Partien von Strauss, Puccini, Janáček, Auch diese fünfte wird anders Berg, Bartók, Korngold und Prokofiew. In Vorberei- tung sind, neben Bellinis Norma, die sie Corona-be- sein, einfach weil ich mich dingt zur Seite legen musste, einige Verdi- und weitere jeden Tag ändere.« Janáček-Rollen. Gibt es Rollen, für die sich noch keine Gelegenheit ergeben hat, die sie aber unbedingt ma- chen möchte? Eigentlich mache ich mir da wenig Gedanken, ich war nie auf eine bestimmte »Traumrolle« fixiert. Wahrscheinlich deswegen, weil die Rollen zu mir alle von selbst im richtigen Moment gekommen Mutterliebe noch stärker als die Liebe zum Partner sind. Die Rollen sind meine wichtigsten Lehrer werden kann. Deshalb liebe ich es, dass Butterflys gewesen, könnte man sagen. Und so hat jede ein- Mutterschaft im Verlauf der Oper immer wichtiger zelne Rolle eine große Bedeutung für mich gewon- wird und dass ich auch diese Seite ihres und auch nen. Was nicht heißt, dass mir nicht genügend meines Wesens zeigen kann. Rollen einfallen würden, die ich gern irgendwann einmal machen will. Doch, ja: An Katerina Ismai- Grigorian hat an der Litauischen Musik- und Thea- lowa in Lady Macbeth von Mzensk bin ich sehr terakademie studiert und ist zudem Gründungsmit- interessiert! glied der Vilnius City Opera. Was hat es damit auf Vielleicht wird sich das wieder ändern, aber sich? im Moment liebe ich es, in Opern aufzutreten, von Nach dem Studium war ich ein paar Spielzeiten denen die Leute annehmen, dass sie die Geschichte an der Nationaloper engagiert, an der auch meine kennen. Dabei können diese Geschichten aber Eltern gesungen hatten. Dann brachte die Regis- auch sehr anders erzählt und verstanden werden, seurin Dalia Ibelhauptaitė einige junge talentierte als man es vielleicht gewohnt ist. Mich reizt es, Sänger zusammen, um im Konzerthaus eine Bo- den Leuten die Möglichkeit zu geben, in vermeint- hème zur Aufführung zu bringen. Wir dachten, ein lich bekannten Stücken neue Erfahrungen zu paar Vorstellungen kriegen wir vielleicht voll, aber machen. Tatjana ist so eine Rolle – obwohl ich sie kamen dann auf über hundert Abende! Das war in zwei wunderbaren und zudem vollkommen der Startschuss für weitere zwanzig Opern in mo- unterschiedlichen Produktionen gesungen habe, dernen Inszenierungen. Nach zehn Jahren wurden in der von Barkhatov und in der von Tcherniakov, wir als Vilnius City Opera staatlich anerkannt und die in Wien demnächst zu sehen sein wird, und institutionalisiert. Wir sind dort eine echte Marke, diese Produktionen zwei ganz unterschiedliche denn wir haben ein neues Publikum erreicht und Geschichten von ganz anderen Menschen erzäh- sehr, sehr junge Leute für die Oper gewonnen. Es len, habe ich das Gefühl, dass ich selbst mit ihr war ja zunächst alles privat finanziert. Um weiter- noch nicht am Ende bin. machen zu können, waren wir auf den Ticketver- Hinzukommt, dass meine Technik sehr in Ent- kauf wirklich angewiesen, und so war ich auch zu wicklung begriffen ist. Vor einigen Jahren ist mein Interviews und Fotoshootings gezwungen – Sa- Vater verstorben und seither arbeite ich wieder chen, die ich eigentlich hasse, denn ich bin ein verstärkt an meiner Technik. Er und meine Mut- eher verschlossener Mensch. Aber ich muss sagen, ter waren technisch perfekt geschulte Sänger. auch dafür bin ich dankbar für die zehn Jahre Vil- Diese Gesangskultur möchte ich nicht verlieren nius City Opera, denn ich habe gelernt, das als und sie mit meiner Freude am Schauspiel und der Teil meiner Arbeit zu verstehen. Ich und das ganze physischen Verausgabung in Einklang bringen. Team hatten viele junge Follower und heute haben Auch daher ist das italienische Repertoire und eine wir ein wunderbares junges Publikum, das die Rolle wie die Butterfly so wichtig für mich. Oper liebt. Und ich habe kein Problem mehr damit, Interviews zu geben, mittlerweile mache ich das sogar gern, denn ich kann über Dinge reden, die Die Premiere von Madama Butterfly wird am 7. September live auf Radio Ö1 mir wichtig sind. und live zeitversetzt (ab 20.15 Uhr) auf ORF III übertragen. 16 Text Sergio Morabito Bild Lukas (»L’Officiel Lithuania«)
DEBÜTS Igor Golovatenko Malin Byström Giacomo Sagripanti Claudine Schoch HAUSDEBÜTS DON CARLOS L’ELISIR D’AMORE AM 27. SEPTEMBER 2020 AM 14. SEPTEMBER 2020 MADAMA BUTTERFLY Igor Golovatenko → Rodrigue Nicola Alaimo → Dulcamara AM 7. SEPTEMBER 2020 Malin Byström → Elisabeth Eve-Maud Hubeaux → Eboli Asmik Grigorian → Cio-Cio-San ELEKTRA Patricia Nolz* → Kate Pinkerton AM 19. SEPTEMBER 2020 Freddie De Tommaso → Pinkerton JEWELS Stefan Astakhov* → Yamadori AM 24. SEPTEMBER 2020 Alexander Soddy → Dirigent Evgeny Solodovnikov → Onkel Bonzo Michael Rakotoarivony* Claudine Schoch → kaiserlicher Kommissär → 2. Pas de deux in Emeralds LA FILLE DU RÉGIMENT AM 20. SEPTEMBER 2020 ELEKTRA Giacomo Sagripanti → Dirigent AM 8. SEPTEMBER 2020 ROLLENDEBÜTS Jane Archibald → Marie Javier Camarena → Tonio Derek Welton → Orest IM HAUS Anna Nekhames* → Vertraute Stephanie Maitland* → Schleppträgerin DON CARLOS Robert Bartneck → Junger Diener MADAMA BUTTERFLY AM 27. SEPTEMBER 2020 Noa Beinart → 2. Magd AM 7. SEPTEMBER 2020 Vera-Lotte Boecker → 5. Magd Ildar Abdrazakov → Philippe II. Philippe Jordan → Dirigent Jonas Kaufmann → Don Carlos Virginie Verrez → Suzuki Roberto Scandiuzzi → Grand Inquisiteur SIMON BOCCANEGRA Boris Pinkhasovich → Sharpless Virginie Verrez → Thibault AM 9. SEPTEMBER 2020 Carlos Osuna → Graf von Lerme, Herold Attila Mokus → Paolo ELEKTRA Najmiddin Mavlyanov → Gabriele Adorno AM 8. SEPTEMBER 2020 JEWELS Aurora Marthens* → Dienerin AM 24. SEPTEMBER 2020 Franz Welser-Möst → Dirigent Doris Soffel → Klytämnestra Francesco Costa L’ELISIR D’AMORE KS Ricarda Merbeth → Elektra → Pas de trois in Emeralds AM 14. SEPTEMBER 2020 KS Camilla Nylund → Chrysothemis Masayu Kimoto Regine Hangler → 4. Magd → Pas de deux in Diamonds Giacomo Sagripanti → Dirigent Pretty Yende → Adina Liparit Avetisyan → Nemorino SIMON BOCCANEGRA Sergey Kaydalov → Belcore AM 9. SEPTEMBER 2020 Günther Groissböck → Fiesco LA FILLE DU RÉGIMENT Hibla Gerzmava → Amelia AM 20. SEPTEMBER 2020 * Mitglied des Opernstudios Maria Happel → Herzogin von Crakentorp Operndebüts / Ballettdebüts WIENER STAATSOPER 17 OPERNRING ZWEI
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FREDDIE DE TOMMASO Konzeptionsgespräch zur Neuproduk- terung des Opern-Horizonts nahm Meine Persönlichkeit treibt mich vor- tion Madama Butterfly, Anfang Au- ihn seine Mutter regelmäßig ins Royal wärts, ich bin keiner, der sich behut- gust. In einer Gesprächspause greift er Opera House Covent Garden und nach sam vortastet. Meine Agentin nennt zu einer beschlagenen Wasserflasche, Glyndebourne mit, in der Schule trat mich daher Tiger und versucht mich trinkt ohne Zögern und zügig das kal- er in den Chor ein. Noch ohne erklär- einzubremsen. Es ist fast schon ein te Wasser. Darauf angesprochen lacht te Berufs-Absicht, nur aus Freude am Spiel: Ich sage »Das will ich als nächs- er herzlich: Nein, keine Angst vor ei- Gesang. Aber: »Chor und singen, das tes singen« und sie ruft dazwischen: ner Verkühlung, schließlich komme er war schön. Doch wirklich interessiert »Nein, in fünf Jahren! In zehn Jah- aus England, da sei es die meiste Zeit hat mich damals, neben dem Sport, ren!« des Jahres kalt. Und auch kein über- das Darstellen im Schultheater! Ich So direkt und rasant seine bisheri- triebener Einsatz von halswärmenden wollte auf die Bühne, in einen Charak- ge Karriere verlief, so eindeutig ging Schals das Jahr über. Mit diesen Sa- ter schlüpfen, seine Welt erkunden, auch sein Vorsingen für die Wiener chen müsse man nicht übertreiben … ich wollte ein Publikum unterhalten, Staatsoper aus. Dieses fand in Paris, Da ist es, das Fröhlich-Unerschro- berühren, packen, kurz: einfach nur an der Opéra Bastille statt, und schon ckene, Komplikationsfreie, Herzerfri- theaterspielen!« nach der ersten Arie warfen sich die schende, das er mit seinen erst 27 Jah- Die Zeit verging, Freddie De Tom- Anwesenden der Direktion vielsagen- ren vom ersten Moment an in die maso schloss die Schule ab, nahm de Blicke zu: das ist er, der neue Butter- Probe mitbringt: Freddie De Tomma- mehr aus Jux ein paar Gesangsstun- fly-Tenor, dieser jugendliche, begeis- so, halb Italiener, halb Engländer, den, sang ein bisschen Jazz und Musi- terte, so direkte und überzeugende neues Ensemblemitglied des Hauses cals, studierte Sprachen. Bis ihn eines Sänger! Eben noch ein Sänger, über und Premieren-Pinkerton. Und eben- Tages ein Freund der Familie, ein Mu- dessen besondere Qualitäten in so vom ersten Moment an sind alle siker, singen hörte und ihn sogleich Opernkreisen gemunkelt wird und Anwesenden nicht nur vom direkten weiterempfahl. De Tommaso landete schon ein Ensemblemitglied der Charme, sondern auch von seiner an der Academy of Music in London, Staatsoper, mit Ausblick auf Auftritte markanten, schönen Stimme hingeris- stellte sich dem dortigen Gesangs-Ab- in Nabucco, Macbeth, Rosenkavalier sen. »Ein bisschen wie der junge Co- teilungsleiter Mark Wildman vor, der und eben Butterfly. relli«, meint Casting-Direktor Robert das improvisierte Vorsingen nach ei- Und gerade auch aufgrund seiner Körner. Und tatsächlich: Franco Co- ner Minute abbrach, den Klavierde- Jugend ist er eine Idealbesetzung für relli, das erzählt der Tenor später, Co- ckel schloss und trocken meinte: »Wir den Pinkerton dieser Neuproduktion, relli ist das große Vorbild. »Ihn habe sehen uns am Montag, beim Unter- der ja kein in die Jahre gekommener ich auf mein persönliches Podest ge- richt.« Verführer, sondern ein noch unbedarf- stellt!« Wie er überhaupt eine Vorliebe Von da an war die Richtung vor- ter junger Leutnant sein soll. Einer, für Tenöre der Vergangenheit hat. gegeben. Der vermeintliche Bariton der Schuld nicht aus Berechnung, son- »Man hört eine Leidenschaft, eine entpuppte sich nach anderthalb Jah- dern aus Unüberlegtheit auf sich lädt. Männlichkeit, eine Intensität. Man- ren, als die Stimme stetig nach oben De Tommaso: »Ich sehe ihn nicht als che sagen, sie verharrten etwas zu lang wuchs, als Tenor, besuchte Meister- einen, der grundböse ist. Er denkt ein- auf den Spitzentönen. Aber wen küm- klassen bei Christa Ludwig, Plácido fach nicht an die Folgen seines Han- mert das? Wenn doch der Ausdruck Domingo, Gwyn Hughes Jones, Bar- delns und begreift erst später, zu spät, stimmt! Da ist eine Kraft des Instru- bara Frittoli oder Richard Bonynge, was er angerichtet hat. Auch, dass er ments spürbar, ein Ferrari in der Keh- gewann bald prominente Wettbewer- seinen Sohn zuletzt an sich nimmt – le. Von ihnen habe ich durchs reine be wie den Viñas-Bewerb in Barcelo- das ist gut gemeint, er will ihm eine Zuhören viel gelernt. Und vielleicht«, na, war Mitglied der Young Singer Zukunft bieten, eine sichere, amerika- meint er, »habe ich gerade darum ein Academy bei den Salzburger Festspie- nische Zukunft, vergisst aber, dass er bisschen einen altmodischen Ge- len und 2018/2019 im Studio der Bay- damit Cio-Cio-San das Wertvollste sangsstil.« erischen Staatsoper. Nach seinen ers- nimmt. Dieser Mangel an Einsicht ist Mit einem der ganz Großen der Ver- ten Produktionen und Rollen hat sich stark seiner Jugend geschuldet, denn gangenheit hat es auch angefangen. die schon in der Schulzeit manifestier- er ist ja kaum über 20!«. Sein Vater, so erzählt De Tommaso, sei te Freude am unmittelbaren Bühnen- Dass De Tommaso trotz seiner Ju- nicht nur ein großer Opernliebhaber leben noch verstärkt, aus ihr schöpft gend, der Begeisterung und bei allem gewesen, sondern auch Inhaber eines er seine Kraft und den Antrieb für Vorwärtsdrall es der Bühnenfigur italienischen Restaurants in Tunbrid- seine Auftritte. Das Glück fokussiert nicht gleichtut, sondern Vernunft und ge Wells. Und dort sei tagaus tagein sich bei ihm, bei aller Begeisterung für Bedacht walten lässt, zeigt eine kleine im Hintergrund »La donna è mobile« die Probenarbeit, auf den Moment des Nach-Proben-Episode: Denn was gelaufen, gesungen von Pavarotti. »Es Auf-der-Bühne-Stehens, ihn beflügelt machte der junge Tenor unmittelbar wurde nie zu viel«, lacht De Tommaso, das Gefühl der Spannung, des Adre- nach seiner ersten Probe? Er rief so- »und für mich ist diese Arie, gesungen nalinstoßes. Damit verbunden auch fort, eben in seiner Garderobe ange- von Pavarotti, für immer mit der dort sein positiver Hunger auf mehr, auf kommen, seinen Lehrer an, um Be- servierten Pasta verbunden. Eine neue Rollen: »Es ist ein bisschen wie richt zu erstatten und zu vermelden: schöne Erinnerung – und das nicht im Sport. Ich brauche Herausforde- »Ja, alles in Ordnung und alles gut nur wegen des Essens, sondern vor rungen, ich will den nächsten Level gegangen!« allem: wegen der Stimme!« Zur Erwei- erreichen, plane den nächsten Schritt. Text Oliver Láng Bild Julian Baumann 19
IM WELTMUS Im Rahmen des neugeschaffenen Formats »Gegen- besuch« geht die Staatsoper auf andere Wiener Kul- tur- und Bildungsinstitutionen zu, mit denen sich spannende Themen-Überschneidungen ergeben. Sergio Morabito begleitet am 5. August Butterfly- Regisseurin Carolyn Choa bei ihrem Besuch der Aus- stellung »Japan zur Meiji-Zeit« im Weltmuseum, zu dem Kuratorin Dr. Bettina Zorn geladen hat. Wir er- fahren, dass man als Meiji-Zeit jene von 1868 bis 1912 währende Umbruchperiode bezeichnet, in der Japan sich in wenigen Dekaden aus einer mittelalterlich- ständischen Gesellschaft, die sich ab Mitte des 17. Jahrhunderts hermetisch abgeriegelt hatte, in die Neuzeit katapultierte. Vor diesem Hintergrund spielt das Geschehen in Puccinis Oper. Und es gibt noch eine weitere ganz konkrete Verbindung, nämlich in der Familiengeschichte Heinrich von Siebolds, des Gründers der historischen Sammlung, die im Welt- museum gezeigt wird. Dessen Vater, dem Arzt Philipp Franz von Siebold, war auf einer Nagasaki vorgela- gerten Inselkolonie zwischen 1823 und 1830 be- schränktes Aufenthaltsrecht gewährt worden, wo er eine Ehe auf Zeit mit einer Japanerin einging und Vater ihres Kindes wurde. »Hatte es hellblaue Au- gen?« fragt Carolyn schelmisch, denn natürlich denkt sie dabei an das Kind von Butterfly und Pinkerton. In der Tat sieht der Forscher Jan van Rij in Philipp Franz von Siebolds Geschichte das reale Urbild für das Butterfly-Narrativ und stellt sie an den Anfang seiner Spurensuche »Japonisme, Puccini & the Search for the Real Cho-Cho-San«. Nach seiner Rückkehr nach Europa ging Philipp Franz von Siebold eine »echte« Ehe mit einer Deutschen ein, zwei seiner Söhne, Alexander und Heinrich, traten in die Fuß- stapfen des Vaters, waren als Dolmetscher tätig und legten bedeutende natur- und kunsthistorische Japan- Sammlungen an. Die Oper kontaminiert die Institution der »Ehe auf Zeit« mit dem Geisha-Mythos – in Wirklichkeit standen die hochqualifizierten »Personen der Künste« (dies die Wortbedeutung von Geisha) für erotische GEGENBESUCH 20
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