Reisen und Abenteuer FÜR MITARBEITENDE - EKKW

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Reisen und Abenteuer FÜR MITARBEITENDE - EKKW
4–2018

                                                   FÜR MITARBEITENDE

                             Reisen und Abenteuer
Foto: Manfred Delpho

                       ZU LANDE
                       Wandern, Pilgern und
                       Spazierengehen

                       ZU WASSER
                       Auf großer Kreuzfahrt und
                       im Bauch des Frachters
Reisen und Abenteuer FÜR MITARBEITENDE - EKKW
INHALT | EDITORIAL

Inhalt                                                      Liebe Leserinnen,
THEMA
                                                            liebe Leser,

                                                            I
                                                               ch stelle fest, meine Art zu reisen än-

                                                                                                                                   Foto: medio.tv/Schauderna
    4       „Ich bin dann mal auf dem Weg!”                    dert sich mit den Jahren. Manches,
    5	Interview mit Thorsten Latzel:                          was ich früher als Abenteuer emp-
       Wie Pilgern den Menschen verändert                   fand, muss ich heute nicht mehr ha-
                                                            ben. Ich denke dabei an Erlebnisse als
    6       Die bunten Farben der Gastfreundschaft          jugendlicher Tramper auf kalifornischen
                                                            Highways, an den Trip mit dem R4 über
    7       „Das Abenteuer ist die Selbsterkenntnis”
                                                            isländische Schotterpisten, an den Be-
    9	Unterwegs mit dem Bordseelsorger:                    such im Polzeigefängnis auf Sri Lanka
       Wellen, Wind und wütende Warane                      oder an einen nächtlichen Spaziergang
                                                            mit Kinderwagen durch die finsteren Basare von Ostjerusalem.
    10	Oase mitten im Hafentrubel:
                                                                Nach wie vor bin ich sehr gern im In- und Ausland unterwegs,
        Seemannsclub Duckalben
                                                            aber heute sollen meine Reisen mehr anregend statt aufregend
    12      Ökobilanz des Reisens                           sein. Genuss geht vor Gefahrenkitzel, Entspannung vor Adrenalin-
                                                            schub. Weil ich nun aber kein Freund des Pauschaltourismus bin,
    13	Immer wieder montags, rundherum:
                                                            kommen Katalogbuchungen nicht infrage. Was also ist die Kon-
        Wandern auf dem Kasselsteig
                                                            sequenz? Fahrrad statt Flugzeug, Komfort statt Camping, Klas-
    15      Kirche als Ferienhaus zu vermieten              se statt Masse, Heimat statt Exotik? Manches tendiert in diese
                                                            Richtung. Auf die Idee, eine Radtour durch die Uckermark zu
    16      Reisen mit behinderten Menschen                 unternehmen, wäre ich zumindest noch vor wenigen Jahren sicher
    17      Mit Kleinkind auf Kuba                          nicht gekommen ...
                                                                Im Internet lese ich von einem neuen Trend: „Der Slow Tra-
    32      Wenn der Zufall die Wege lenkt                  veller befolgt die Maximen: Mach keine Fotos, kauf keinen Reise-
                                                            führer, lass alle Sehenswürdigkeiten weg, vermeide gute Hotels,
                                                            heiße Katastrophen willkommen. Das Abenteuer kommt dann
LANDESKIRCHE                                                ganz von allein.” Sie möchten sich lieber nicht dem Slow-Travel-
                                                            Trend anschließen? Wie auch immer: Die blick-Redaktion wünscht
    18      Die Frühjahrssynode tagte                       Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, eine angenehme Lektüre und
                                                            spannende Reiseerlebnisse!
    20	Aktion in Bad Hersfeld:                                                                              Lothar Simmank
        Auf der Bank ist noch Platz                                                               Redakteur blick in die kirche
    21	Kirchen öffnen sich für nichtkirchliche
        Jobbewerber

    21      Mehr Geld für Diakonie-Beschäftigte

    22      Von Personen

    23      KV-Wahl 2019

    24      Klangkirche auf dem Hessentag

    25	Kaufunger Stiftskirche nach Sanierung
        wiedereröffnet

SERVICE

    26      Termine / Kirchenmusik
                                                            Die neue Homepage der Evangelischen Kirche von Kurhessen-
    28      Kirche im Radio
                                                            Waldeck ist online. Die Plattform www.ekkw.de wurde an neue
    29      Buchtipps                                       technische und inhaltliche Herausforderungen im Internet angepasst
                                                            und ist nun für die Nutzung mit Smartphone und Tablet optimiert.

2        blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2018
Reisen und Abenteuer FÜR MITARBEITENDE - EKKW
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Welcher Reisetyp sind Sie?
                               Foto: medio.tv/Schauderna

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                                                                                                                                        Foto: privat

                                                                                                                                                                                     Foto: medio.tv/Schauderna
 Gotland, Amrum, Hiddensee:                                 Für mich ist Urlaub eine ge-                         Reisen? Am liebsten zu Fuß,            Strandurlaub lockt mich nicht.
 herrliche Erinnerungen an Ur-                              lungene Mischung aus Natur,                          entschleunigt in dem mir               Die Kombination aus Land-
 laube im Norden. Doch mein                                 Kultur, Erlebnis und Erholung.                       angemessenen Tempo, wan-               schafts- und Großstadterkun-
 innerer Urlaubskompass weist                               Mein Mann und ich reisen                             dernd durch Wald und Flur,             dung dafür umso mehr. Wan-
 Richtung Süden, etwa nach                                  „individuell” – unser Stand-                         mich dem Weg überlassend               dern in Gebirgen und Wüsten
 Italien. Langsam anreisen, in                              punkt: Man sollte alles ein-                         oder zu einem Ziel hinstre-            des Oman, kombiniert mit
 mehreren Etappen: der erste                                mal probieren! Das Kennen-                           bend, im Austausch mit ande-           Abu Dhabi und Dubai; oder
 Cappuccino in den Dolomi-                                  lernen von Land und Leuten                           ren, aber auch allein – so bin         Tagestouren im australischen
 ten, Entdeckungen in Mode-                                 steht im Vordergrund. Meist                          ich am liebsten unterwegs.             Regenwald und dann einige
 na, Bologna – Ziele am Weg.                                bleiben wir nur zwei, drei Ta-                       Dafür steht das schöne alt-            Tage Sydney. Für mich sind
 Bevorzugte Unterkunft: ländli-                             ge an einem Ort und ziehen                           deutsche Wort „sinnan“, das            Museen, Parks und Kinos be-
 che Familienbetriebe des Agri-                             dann weiter. Wir meiden gro-                         Bewegung ausdrückt: reisen,            vorzugte Orte, um zu erleben,
 turismo: geräumige Zimmer,                                 ße Hotels und versuchen pri-                         streben, wandern, suchen,              wie Menschen in einer Region
 wenige Gäste, persönliche                                  vat unterzukommen – das hat                          (nach-)sinnen – und das Sinn           sich geben und worüber sie
 Atmosphäre, die Gastgeber                                  zum Beispiel auf Kuba ganz                           macht. Dabei finde ich Erho-           reden. Besuche in Kunstaus-
 kochen. Meer und Berge, dazu                               hervorragend geklappt. Auch                          lung und neue Kraft. Auch              stellungen und Museumscafés
 Kultur, etwa im Friaul: ruhen                              campen wir zwischendurch                             andere Länder und fremde               sind immer bewegend, egal
 und wandern in den Alpen,                                  gerne. Der persönliche Kon-                          Kulturen ziehen mich an. Das           ob in Teheran, Melbourne
 baden in der Adria. Ausflüge                               takt zu den Menschen in den                          Reisen in diesem Sinn ist mei-         oder Dublin. Überall versu-
 ins hügelige Weinland entlang                              Ländern, die wir besuchen, ist                       ne Leidenschaft, und manch-            che ich zu verstehen, welche
 der Grenze zu Slowenien, dazu                              uns wichtig. Das öffnet und                          mal darf ich ihr sogar in mei-         Rolle Migration, Religion und
 Kultur seit Zeiten der Römer:                              ändert auch den Blick auf die                        nem Beruf als Pilger- oder             Gender spielen. Das öffnet Zu-
 Triest und das Veneto laden ein.                           eigene Heimat und Herkunft.                          Reiseleiter folgen.                    gänge zu einer Gesellschaft.

Karl Waldeck (60),                                         Susanne Hensel (52),                                 Dr. Manfred Gerland (64),              Silvia Scheffer (56),
Direktor der Evangelischen                                 Sekretärin des Bischofsbüros                         Pfarrer für Meditation und             Ethnologin und Sozialthera-
Akademie Hofgeismar                                        im Kasseler Landeskirchenamt                         geistliches Leben in der EKKW,         peutin im Diakonischen Werk
                                                                                                                Herleshausen                           Schwalm-Eder

IMPRESSUM
 blick in die kirche erscheint sechsmal jährlich und                  Redaktion:                                                       Anschrift:
 wird an haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen                    Lothar Simmank (Leitung)                                         Heinrich-Wimmer-Straße 4
 und Mitarbeiter der Landeskirche kostenlos verteilt.                 Telefon 0561 9307-127                                            34131 Kassel-Bad Wilhelmshöhe
                                                                      Olaf Dellit                                                      redaktion@blickindiekirche.de
 Direkt-Abonnement:                                                   Telefon 0561 9307-132                                            www.blickindiekirche.de
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                                                                      Redaktionsbüro / Anzeigen:                                       Gestaltung: Lothar Simmank
 Herausgeber:                                                         Andrea Langensiepen                                              Herstellung: Hesse GmbH, Fuldabrück
 Landeskirchenamt der Evangelischen                                   Telefon 0561 9307-152                                            Auflage: 19.500 Exemplare
 Kirche von Kurhessen-Waldeck                                         Daniela Denzin
 Pfarrerin Petra Schwermann                                           Telefon 0561 9307-128                                            Mehr Informationen über die Evangelische Kirche
 Wilhelmshöher Allee 330                                              Fax     0561 9307-155                                            von Kurhessen-Waldeck unter www.ekkw.de
 34131 Kassel-Bad Wilhelmshöhe

                                                                                                                        blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2018                                         3
Reisen und Abenteuer FÜR MITARBEITENDE - EKKW
THEMA

                Die

                Ein

                Reisen und Abenteuer

                „Ich bin dann mal auf dem Weg!”

                A
                         ls Abenteuer und Reisen noch            ser oder zu Lande. Natürlich gab es unter      dass jenseits der oft genannten Wünsche
                         aufs Engste zusammengehörten,           den Reisenden schon immer die Entdecker        nach Erholung oder des Motivs der sozia-
                         fuhr der Homberger Hans Staden          und Pioniere. Und auch das religiöse Phä-      len Anpassung („Wenn alle verreisen, muss
                nach Brasilien. Vor fast 500 Jahren bestieg      nomen des Reisens, bei dem Wege zu Gott        ich das auch”) ein Hauptantrieb für das
                er als Landsknecht ein Schiff in Lissabon        gesucht werden, ist uralt. Aber meist ga-      Reisen darin liegt, sich aus dem Alltag aus-
                und segelte nach Recife. Was er dort erleb-      ben doch Kriege Anlass zu Ortswechseln         zuklinken und Andersartiges zu erfahren:
                                           te, hat er in der     – und natürlich der gefährliche, aber ge-      Den eigenen Körper bei der Bergwande-
                                           „Wa rh a f t i ge n   winnversprechende Handel mit Waren aus         rung wieder intensiver spüren, beim Dra-
                                           Historia und be-      fernen Ländern.                                chenfliegen den Kitzel des Abenteuers er-
                                           schreibung eyner                                                     leben, die Schönheit unberührter Natur in
                                           Landtschafft der      Was treibt Menschen in die Ferne?              sich aufsaugen oder die Energie fremder
                                           Wilden Nacke-                                                        Kulturen auf sich wirken lassen – all das
                                           ten, Grimmigen            Das hat sich geändert: Urlauber rei-       steht in starkem Kontrast zur täglichen
                                           Menschfresser-        sen heute höchst freiwillig in alle Welt       Routine zu Hause und erzeugt deshalb
                                           Leuthen in der        und bezahlen viel Geld dafür. Sofern man       ein Gefühl von Freiheit und Glück.
                                           Newenwelt             dabei Strapazen auf sich nehmen muss,              Auch bei der kirchlichen Variante des
                                           America” fest-        geschieht dies meist aus freien Stücken        Reisens, dem Pilgern, ist das nicht anders.
                                           gehalten. Sein        und mit Lust. Outdoor-Magazine locken          In der Sprache der Religion ausgedrückt,
                                           1557 erschiene-       zu Abenteuern in die freie Natur. Rein-        geht es beim Reisen also um eine „Sinnsu-
                                           nes Buch erzählt      hold Messner und Co. geben Tipps, wie          che im Unterwegssein”. Machen Sie sich
                                           davon, wie er es      man beim Klettern, in Wüsten oder in der       auf den Weg! l              Lothar Simmank
                                           schaffte, nicht       Eiswildnis letzte Grenzen überschreitet. Ge-
                                           im Kochtopf           sucht wird der „Kick” nicht nur im Extrem-     BUCHTIPP
                                           der Indianer zu       sportbereich, auch im normalen Tourismus
                                                                                                                                        Tourismusexperten
                                           landen, sondern       sind bestens durchorganisierte Angebote,
                                                                                                                                        und Theologen
                                           heil nach Euro-       die das Außergewöhnliche, kombiniert
                                                                                                                                        beleuchten
                pa zurückzukehren. In Wolfhagen, wo Sta-         mit einem kalkulierbaren Abenteuer, ver-
Foto: Fotolia

                                                                                                                                        interdisziplinär ein
                den später lebte, erfährt man im Museum          sprechen, besonders gefragt: mit dem Bus                               Phänomen: Christian
                mehr über den Abenteuerreisenden.                13.000 Kilometer über die Seidenstraße,                                Antz, Sebastian
                    Das Beispiel Hans Staden zeigt, dass         Hausboot-Ferien in den Sümpfen Floridas                                Bartsch, Georg
                das Reisen in früheren Zeiten eher etwas         oder eine Safari zu südafrikanischen Lö-                               Hofmeister (Hg.):
                für Hartgesottene war. Vom heimischen            wen, um nur einige Beispiele zu nennen.                                »Ich bin dann mal
                Herd bewegten sich nur die fort, die es              Was treibt die Menschen heute in            auf dem Weg!« Spirituelle, kirchliche und
                unbedingt mussten. Ohne Zwang begab              die Ferne? Und warum sind sie dabei auf         touristische Perspektiven des Pilgerns in
                sich kaum jemand auf große Fahrt zu Was-         Abenteuer aus? Tourismusforscher wissen,        Deutschland. UVK, 29,99 Euro

                4      blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2018
Reisen und Abenteuer FÜR MITARBEITENDE - EKKW
THEMA

                                                                                                                                                                 Grafik: Fotolia
                                                                                                                      blick-Interview mit
Wie Pilgern den Menschen verändert                                                                                    Dr. Thorsten Latzel

?   Ganz allgemein gefragt: Inwieweit verän-
    dert das Reisen den Menschen?                   ?   Wandern und Pilgern liegen im Trend: Wie
                                                        würden Sie zwischen beidem unterscheiden?                      »Der Umgang mit den
    Dr. Thorsten Latzel: Religion und Reisen            Latzel: Es geht keinesfalls um religiöses Leis-               eigenen Grenzen und mit
haben eine lange gemeinsame Geschichte – bei        tungsdenken: Wenn ich pilgere, um bei Gott gut                    den Grenzen der anderen
beiden geht es um Veränderung. Menschen un-         dazustehen, bin ich auf dem Holzweg. Die ei-
terbrechen ihren Alltag, testen Neues aus und       gentliche Pointe des Pilgerns für uns Evangeli-
                                                                                                                        ist eine Erfahrung, die
merken: Ich bin eigentlich ein ganz anderer,        sche liegt darin, mit Gott auf dem Weg zu sein.                   man beim gemeinsamen
komme aber nur selten dazu.                         Wandern mit Gott, würde ich sagen. Indem ich                           Wandern macht.«
                                                    nicht nur einfach durch die Berge wandere, son-

?   Im Besonderen: Was macht das Pilgern
    mit denen, die sich darauf einlassen?
    Latzel: In einer Gesellschaft, die unter ho-
                                                    dern mich dabei auch als Glaubenden, als geist-
                                                    liches Wesen begreife, macht das etwas mit mir.
                                                    Und dafür eine Sprache zu finden, die Erfahrung
                                                                                                                      Dr. Thorsten Latzel,
                                                                                                                      geboren 1970 in Bie-
hem Zeitdruck steht und in der vieles automati-     der Alten aufzugreifen, also auch andere Wege                     denkopf, studierte Theo-
siert ist, wurde das Pilgern im letzten Jahrzehnt   zu gehen, das kann sehr bereichernd sein. Das                     logie in Marburg. Von
als archaische Fortbewegung neu entdeckt. Die       muss nicht unbedingt immer nur auf traditio-                      2000 bis 2005 war er Vi-
                                                                                                                      kar und Pfarrer der EKKW im

                                                                                                                                                                    Foto: privat
Bewegung kam übrigens eher von außen über           nellen Pilgerwegen sein, sondern kann auch auf
                                                                                                                      Kirchenkreis Hanau-Land, danach im
die evangelische Kirche. Beim Pilgern begebe        ganz normalen Wanderwegen stattfinden.
                                                                                                                      Kirchenamt der EKD tätig als Referent
ich mich auf einen alten Weg und entdecke Frei-                                                                       für Struktur-/Planungsfragen sowie für
heit in der Bindung, indem ich mich auf diesen
Spuren zu festen Zeiten zusammen mit anderen
bewege. Das ist eine typische evangelische Ein-
                                                    ?   Welche Pilgererfahrungen haben Sie per-
                                                        sönlich auf welchen Wegen gemacht?
                                                        Latzel: Ich bin leidenschaftlicher Wanderer
                                                                                                                      Freizeit, Erholung, Tourismus. Ab 2007
                                                                                                                      leitete er das Projektbüro „Kirche im
                                                                                                                      Aufbruch“. Seit 2013 ist Latzel Direktor
sicht von Freiheit. Weil Glaube nicht nur Kopf-     – immer wieder gern allein oder auch mit Freun-                   der Evangelischen Akademie Frankfurt.
sache ist, sondern Freude an der Schöpfung ein-     den zusammen. Etwa auf dem E5 über die Al-
schließt, erfahre ich mich im Gehen als jemand,     pen, auf einer Rundstrecke durch die Pyrenäen
der an der Schöpfung teilhat – in Gemeinschaft      oder auf Mallorca über den wunderschönen Tra-
mit anderen. Dabei erlebe ich eine positive Ge-     muntana-Trail. Das sind nicht unbedingt Pilger-
genwelt zu meinem Alltag, wo ich zum Beispiel       wege. Aber ich wandere und habe immer Gott
oft bewegungslos im Stau stehe.                     mit dabei, besser gesagt: Gott ist mit mir dabei.
                                                    Wenn man so auf einem Berggipfel steht und

?   Sie verstehen Protestantismus so gese-
    hen als eine große Pilgerbewegung?
    Latzel: Ja, so wie Luther es meinte: Christ-
                                                    in die Weite sieht, merkt man, wie klein manche
                                                    Alltagssorgen doch sind. Wenn man in einem
                                                    solchen Augenblick etwas von der Dimension
sein ist kein Sein, sondern ein Werden. Wir sind    der Ewigkeit spürt, bewegt mich das innerlich
noch auf dem Weg. Und so wird die Wegerfah-         doch sehr stark. l       Fragen: Lothar Simmank
rung, die ich beim Pilgern ganz körperlich ma-
chen kann, auch eine innere Aufbruchserfah-         Mehr zum Thema „Evangelisches Pilgern"
                                                                                                      Foto: Fotolia

rung, nämlich mit anderen in Gemeinschaft auf       von Dr. Thorsten Latzel lesen Sie auf unserer
dem Weg zu einem großen Ziel zu sein.               Homepage www.blickindiekirche.de

                                                                              blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2018                        5
Reisen und Abenteuer FÜR MITARBEITENDE - EKKW
THEMA

                          Die bunten Farben der Gastfreundschaft
                          Seine erste Dienstreise für die Ausbildungshilfe führte Pfarrer Bernd Kappes nach Indien

                          E
                                s kommt nicht oft vor, dass man sich                                                  dem Land, aus dem seine Frau stammt.
                                wie ein Staatsgast fühlt, oder wie                                                         Anstrengend waren die langen Auto-
                                Brad Pitt. Genau das Gefühl hatte                                                     fahrten – 2.500 Kilometer – auf schlech-
                          aber Pfarrer Bernd Kappes bei seiner ers-                                                   ten Straßen und harten Sitzen bei großer
                          ten Dienstreise in seinem neuen Amt, die                                                    Hitze. Doch wenn man Bernd Kappes nach
                          ihn nach Indien führte. Seit Anfang des                                                     seiner eindrücklichsten Erinnerung an die
                          Jahres ist der 46-Jährige Geschäftsführer                                                   Reise fragt, spricht er von Pravaham. Das
                          der Ausbildungshilfe, die – wie der Name                                                    ist ein Ort, an dem derzeit 43 junge Frau-
                          verrät – Menschen in armen Ländern Bil-                                                     en Pflegehelferinnen werden, 20 werden
                          dung und Ausbildung ermöglicht.                                                             von der Ausbildungshilfe unterstützt.
                                                                         Auf Reisen: Bernd Kappes zu Gast in Indien
                               „Total entspannt.“ So beschreibt Kap-                                                       „Bevor ich hierherkam, wurde ich wie
                          pes seinen ersten Eindruck von Indien, das     Band, wenn auch – befremdlicherweise         Staub behandelt“, hat eine Frau Kappes
                          so anders auf ihn wirkte als etwa Mittel-      für den Besucher – die Strophe „Deutsch-     erzählt. Der Besuch habe ihm noch deut-
                          amerika, wo er selbst gelebt hat. Dort wä-     land, Deutschland über alles“. Nur einen     licher gemacht, dass die Ausbildungshilfe
                          re es nicht möglich, den Reisepass beim        Tag dauerte der Besuch an der Schule —       etwas zum Positiven verändert.
                          Gang über den Flughafen mal eben in die        und doch: „Es war ein Gefühl, als würde           Denn neben den frohen Farben, dem
                          hintere Hosentasche zu stecken – in Indien     ich Freunde besuchen.“                       guten Essen und den freundlichen Men-
                          schon. Natürlich gebe es auch in Indien                                                     schen besteht Indien eben auch aus großer
                          viel Gewalt, ein Blick in die Zeitung mache      »Krasse, extreme Armut zu                  Armut. „Ein Haus für fünf, sechs Menschen
                          das klar, und strukturelle Gewalt, etwa im                                                  ist so groß wie mein Schreibtisch“, erzählt
                                                                                sehen ist hart.«
                          Kastensystem. Aber der erste Eindruck: to-                                                  er in seinem Büro im Landeskirchenamt.
                          tal entspannt.                                                                              Geschlafen wird draußen. Wie das gehe,
                               Noch etwas fiel ihm ins Auge: die vie-         Das Vertrauen war schnell gewachsen,    wenn Monsunzeit ist, wisse er auch nicht.
                          len Farben, die bunten Saris der Frauen.       dabei hatte der Pfarrer zunächst Bedenken         Kappes berichtet von mit Chemikalien
                          Nicht zu vergessen das schmackhafte Es-        gehabt, weil er natürlich auch als Geldge-   vergifteten, stinkenden Flüssen, an denen
                          sen allerorten. Und eben die große Freund-     ber unterwegs war. In seinen bisherigen      Wellblechhütten stehen, deren Bewohner
                          lichkeit. Wenn man bei uns sagt, der Kun-      Tätigkeiten, etwa für eine Menschenrechts-   ihre Wäsche in der Brühe waschen. Mit der
                          de sei König, gelte in Indien: „Der Gast ist   organisation in Honduras, war es um juris-   relativen Machtlosigkeit gegen diese Ar-
                          Gott.“ Blumenketten und Schals bekam er        tische und politische Hilfe gegangen, aber   mut klarzukommen sei eine Herausforde-
                          immer wieder umgehängt, beim Besuch            nicht um Geld. Doch die Sorgen erwiesen      rung. „Krasse, extreme Armut zu sehen ist
                          einer Partnerschule der Ausbildungshilfe       sich als unbegründet.                        hart“, sagt er. Man kann nachvollziehen,
                          aber auch eine Kopfbedeckung, die ihn               Die Unterkünfte während der Reise       dass es mit diesen Bildern im Kopf gut tut,
                          wie einen Maharadscha aussehen ließ.           waren unterschiedlich. Mal ein gutes Ho-     einer Frau zu begegnen, die dank der Hil-
                               Die Schüler standen Spalier, als der      tel, mal ein Zimmer „mit Bett und einem      fe aus Kurhessen-Waldeck nicht mehr wie
                          Gast aus Deutschland eintraf, Fotos mit        Haken an der Wand“ und einem Eimer als       Staub behandelt wird. l        Olaf Dellit
                          Kappes' Antlitz wurden hochgehalten            Dusche. Das aber war für den Theologen
Fotos: Bernd Kappes

                          und die Nationalhymne erklang vom              nicht neu, er kannte das aus El Salvador,        www.ausbildungshilfe.de

                          Farbenfrohes Indien: Blumenketten, wie es sie an vielen Ständen gibt, bekam Pfarrer Bernd Kappes immer wieder als Geste der Gastfreundschaft
                          umgehängt. Besonders beeindruckt hat ihn sein Besuch bei einem Frauenprojekt in Pravaham (Bild in der Mitte).

                      6          blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2018
Reisen und Abenteuer FÜR MITARBEITENDE - EKKW
THEMA

M
          an muss schon Glück
          haben, um sie zu
                                                                                                           »Man muss als Reisende
          Hause zu erwischen:                                                                             ein Grundvertrauen in die
Dr. Marianne Schneider (63),                                                                                Menschen mitbringen,
Kasseler Ärztin im Ruhestand,                                                                               auch wenn die Sicher-
ist viel unterwegs. Sehr viel,
                                                                                                            heitslage in dem Land
um genau zu sein – und zwar
in aller Welt. Freunde staunen,                                                                                nicht so gut ist.«
wenn sie hintereinander weg
Reisen nach Island, Abu Dhabi,
Nizza und Japan unternimmt
in einem Zeitraum, in dem                                                                                     Die nächste Reisephase
sie selbst es gerade mal bis                                                                              kam mit der Lieblingssprache:
in die Rhön geschafft haben.                                                                              brasilianisches Portugiesisch.
„Ich interessiere mich schon                                                                              In Rio bewarb sie sich gewis-
immer dafür, wie Menschen in                                                                              sermaßen im Vorübergehen
anderen Ländern denken und                                                                                in Flip-Flops beim Pionier der
handeln”, erklärt sie ihre aus-                                                                           plastischen Chirurgie Prof. Ivo
geprägte Reiselust.                                                                                       Pitanguy um eine Gastarztstel-
                                                                                                          le. Es klappte, aber nach ein
Sprachen lernen,                     Vielreisende aus Kassel: Wenn die Ärztin Dr. Marianne Schneider      paar Monaten musste sie sich
Menschen begreifen                          im Iran unterwegs ist, trägt sie Abaya und Tschador           entscheiden: entweder Brasi-
                                                                                                          lien oder eine HNO-Praxis zu
    Geweckt wurde diese, als
sie im Alter von zwölf Jahren
von ihren Eltern für vier Wo-
                                   „Das Abenteuer ist                                                     Hause in Kassel. Bis 2009 ar-
                                                                                                          beitete sie als Fachärztin, die
                                                                                                          auch ambulante plastische OPs
chen zu Freunden nach London
geschickt wurde. Dort lernte
                                  die Selbsterkenntnis”                                                   durchführte, in der Heimat.
                                                                                                          Aus gesundheitlichen Gründen
das Schulmädchen nicht nur                                                                                musste Dr. Schneider die Praxis
die Beatles kennen, sondern auch die bun-          Ihr Ziel auf ungezählten                   aufgeben, ist aber als Reisende seitdem
te Multikulti-Welt der quirligen Metropole. Reisen durch fremde Länder keinesfalls im Ruhestand. Mit von der Par-
Ein Schüleraustausch brachte die 16-Jäh-
                                                 und Kulturen: in den Alltag tie sind oft Freunde oder ihr Mann: Tet-
rige dann für ein Jahr nach Kalifornien.                                                      su Kido, gebürtiger Japaner, fährt gern in
Ihr Ziel: weiter Spanisch lernen! Englisch       der Menschen eintauchen, warme Länder, verweigert aber bei Zielen
konnte sie ja schon, in Französisch wur-             sich zugehörig fühlen                    wie Grönland oder Island die Begleitung.
de sie auch immer besser. Die Sprachen                                                        Beide interessieren sich hingegen sehr für
– Grundkenntnisse in Arabisch und Farsi                  Fundstück aus St. Tropez:            die Architektur und die politischen Verhält-
kamen später noch dazu – erwiesen sich             Reiseziele für alle Monate des Jahres      nisse in den Reiseländern.
als sehr nützlich bei Auslandsaufenthal-                                                          Gäbe es eine Liste mit ihren Trips, stün-
ten, denn „nur so kann man die Mentalität                                                     den darauf noch einige Destinationen ih-
der Leute unmittelbar begreifen”, betont                                                      rer „arabischen Phase”: Syrien, Libanon,
Marianne Schneider.                                                                           Oman, Iran und der Jemen. Überall geht
    Als Studentin durchlebte die Welten-                                                      es ihr darum, sich in den Alltag der Men-
bummlerin eine „indische Phase”. Unter                                                        schen einzufinden. Deshalb kommen die
anderem traf sie Baghwan Rajneesh in                                                          großen Touristenhotels als Unterkünfte
Poona, als der noch Universitätsprofessor                                                     auch meist nicht infrage. Das Essen wird
und kein berühmter Guru war. Spirituell                                                       unterwegs besorgt, sie fährt in Bussen,
anregende Begegnungen gehören seit-                                                           Zügen und Taxis, gern trägt sie auch ein-
dem immer wieder mal zu den Reiseerfah-                                                       heimische Kleidung, um sich – auf Zeit –
rungen der Kasselerin, etwa in Nepal oder                                                     zugehörig zu fühlen.
Sri Lanka. Am stärksten beeindruckte sie                                                          Was ist der innere Antrieb für das Un-
eine Reise in die indische Gebirgsregion                                                      terwegssein? „Neugier, unbeschwert mit
Ladakh, ein Zentrum des tibetischen Bud-                                                      wenig Gepäck reisen. Ich möchte beim
dhismus. 2014 versammelten sich dort                                                          Reisen auch etwas über mich selbst lernen,
                                               Fotos: privat

viele Tausend Pilger, um den Dalai Lama                                                       nämlich wie ich mit Situationen umgehe”,
zu sehen – Marianne Schneider war dabei.                                                      sagt die Ärztin. l         Lothar Simmank

                                                                               blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2018          7
Reisen und Abenteuer FÜR MITARBEITENDE - EKKW
THEMA

                 Unterwegs mit dem Bordseelsorger:
        Aus dem Fotoalbum von Pfarrer Gerhard Zinn

                                                     Fotos: Gerhard Zinn
Reisen und Abenteuer FÜR MITARBEITENDE - EKKW
THEMA

Wellen, Wind und wütende Warane
Gerhard Zinn ist Seelsorger auf Kreuzfahrtschiffen und hat viel von der Welt gesehen

E
      s klingt wie ein Traum: aus einem Ka-
      talog mit Kreuzfahrten eine aussu-
      chen und dann losreisen. Für Pfarrer
Gerhard Zinn (Foto) ist das Realität, aller-
dings nicht als Tourist, sondern als Bord-
seelsorger. Ein älterer Kollege, der gerade
sein 170. Land bereist hatte, erzählte von
                    dieser Möglichkeit, und
                    Zinn bewarb sich.
                        Die Evangelische

                                                                                                                                               Fotos: Gerhard Zinn
                    Kirche in Deutschland
                    (EKD) lud ihn zu einem
                    intensiven Gespräch ein,
                    um zu prüfen, ob er für
die Aufgabe geeignet ist. Es habe, erzählt     In der Südsee: Pfarrer Gerhard Zinn ist als Bordseelsorger auf Kreuzfahrtschiffen im Einsatz,
Zinn, auch schon Bordpfarrer gegeben, die      im Alltag ist er Klinikpfarrer in Bad Zwesten
die Passagiere für den Luxus beschimpft
hätten, den sie an Bord genossen, oder die     he. Dann kann der Pfarrer zum gefragten             Wenn man Gerhard Zinn fragt, was ihn
auf einer Kreuzfahrt Kriegsängste geschürt     Ansprechpartner werden.                         am meisten beeindruckt habe auf den vie-
hätten.                                            Zinn erzählt die Geschichte einer jun-      len Reisen, muss er lange nachdenken und
     Nach dem positiven Votum der EKD          gen Frau, die in einer Zeremonie mit ihrem      will sich nicht auf einen Moment oder ei-
hatte Zinn die Qual der Wahl und ent-          Mann das Liebesgelübde erneuern wollte.         nen Ort festlegen. Da waren die Hafenein-
schied sich zunächst einmal für die Ost-       Was der Mann nicht wissen sollte: Sie war       fahrten in New York und Sydney, die Fjorde
see. Das war 2005, seitdem war der heute       sterbenskrank. Für den Bordpfarrer keine        Islands und Neuseelands, besonders aber
62-Jährige 25 Mal per Schiff unterwegs.        leichte Aufgabe. Die erste Reise nach dem       der größte buddhistische Tempel der Welt
„Die Kirche will Menschen auch dort errei-     Tod des Mannes, der jahrelange Konflikt         auf Java, der „wie ein gigantisches gestran-
chen, wo sie glücklich sind“, beschreibt er    mit dem Sohn – solche Probleme haben            detes Ufo mitten im Dschungel“ liegt.
das Anliegen der Bordseelsorge.                viele Passagiere mit im Reisegepäck.                Gar nicht nachdenken muss der
     Für Zinn hat sich inzwischen ein zwei-                                                    Kreuzfahrer, der im richtigen Leben Kli-
tes Standbein ergeben, weil ein und dersel-       »Der Blick auf das endlose                   nikseelsorger in Bad Zwesten ist, bei der
be Pfarrer nicht so häufig von der EKD auf                                                     Frage nach einem echten Abenteuer.
                                                   Meer bringt bedeutsame
See geschickt wird. An Bord hatte er immer                                                     Es war auf der indonesischen Insel Komo-
wieder auch Vorträge gehalten, unter an-             Dinge ganz nahe.«                         do, wo die Komodo-Warane leben: zwei
derem zu Kommunikation und Resilienz.                                                          bis drei Meter lang, schnell und stark und
Irgendwann fragte ihn eine Reederei, ob er         Doch die Arbeit an Bord ist natürlich       dann auch noch mit einem tödlichen Gift
auch im „Lektorat“ arbeiten und Referate       auch mit Zeiten der Ruhe bei Meerblick          ausgerüstet. Zinn begleitete die Touristen-
über Land und Leute halten würde. Zinn         verbunden, mit wunderbaren Eindrücken           gruppe, die als erste im Revier der Warane
sagte gerne zu und sieht darin auch eine       rund um die Welt, die Zinn gerne foto-          unterwegs war. Doch offenbar waren die
gute Perspektive für den Ruhestand.            grafisch festhält, und mit Begegnungen          Tiere noch nicht auf Besuch eingestellt,
     Es gebe schon manchmal Neid von           – darunter mit Prominenten wie Harald           denn ein Waran ging in Angriffsstellung.
Kollegen, räumt er ein und betont, dass er     Schmidt, der auch im echten Leben so                Die Wildhüter hätten nur noch geru-
„demütig und dankbar“ für die Aufgabe          herrlich ironisch, aber zugleich nahbar sei.    fen: „Lauft! Lauft!“ Zinn schoss sogar noch
sei. Zugleich sei es aber keine Urlaubsrei-        Zinn ist sich bewusst, dass Kreuzfahr-      ein Foto vom Waran, bei dem der Giftzahn
se, sondern „manchmal auch harte Kost“.        ten nicht gerade als umweltfreundlich gel-      deutlich zu erkennen ist. Und als er später
Beim Blick auf das endlose Meer kämen          ten. Aber immerhin gebe es Bestrebungen         einem Kreuzfahrt-Freund von dem Aben-
den meisten Menschen die Lebensthemen,         von Reedereien, das zu verbessern, etwa         teuer erzählte, sagte der nur lapidar: „So
die wirklich bedeutsamen Dinge, ganz na-       durch Schiffe mit Hybridantrieb.                werden Kabinen frei.“ l         Olaf Dellit

Linke Seite von oben links: Zinns Tochter in Malaysia, Myanmar, New York City, Oman, Insel Nuku Hiva im Pazifik, Island, New York City,
wütender Komodo-Waran und Sonne auf hoher See

                                                                               blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2018            9
Reisen und Abenteuer FÜR MITARBEITENDE - EKKW
Im Duckdalben (von links unten im Uhrzeigersinn): Diakon Jan Oltmanns, philippinische Seeleute
                                                im Hafen liegt, Blick in den multireligiösen Andachtsraum, Rettungsringe sind ein Mitbringsel der

                                               Oase mitten im Hafentrubel:
                                               Die Seemannsmission in Hamburg ist beliebter Anlaufpunkt

                                               S
                                                     tille. Plötzlich Stille inmitten dieses   See eine kleine Minderheit): Sie können
                                                     riesigen Hafengeländes, wo es immer       günstig in die Heimat telefonieren oder
                                                     dröhnt und scheppert und rattert, wo      – noch besser – das kostenlose W-Lan be-
                                               Container von riesigen Hebebrücken ver-         nutzen. So sieht man in vielen Ecken die
                                               laden werden, wo sich ein Lastwagen am          Männer sitzen, ihr Handy in der Hand oder
                                               anderen durch dreispurige Straßen quält         den Laptop vor sich, im Gespräch mit Frau,
                                               und Züge vorbeidonnern. Stille auf einigen      Kindern oder Geschwistern in der Heimat.
                                               Quadratmetern in den Räumen der Ham-            In sehr vielen Fällen heißt die Heimat Phi-
                                               burger Seemannsmission.                         lippinen – mehr als ein Drittel der fast ei-
                                                   Der Raum der Stille ist ein Andachts-       ne Million Seeleute, die seit der Gründung
                                               raum, in dem auf wenigen Quadratme-             1986 den Club besucht haben, stammen
                                               tern die Gläubigen vieler Religionen ihre       von dort.
                                               Nische haben: Taoisten, Sikhs, Hindus, Na-
                                               turreligiöse, Buddhisten, Juden, Christen              »Die Seefahrt hat
                                               und Muslime. „Wenn Gott allmächtig ist,
                                                                                                   mit Romantik nie etwas
                                               und daran glaube ich, und es verschiedene
                                               Religionen gibt, dann muss das einen Sinn               zu tun gehabt.«
                                               haben“, sagt Jan Oltmanns. Der Diakon ist
                                               einer der Hausherren und Urgestein des              Im Duckdalben – der Begriff bezeich-
                                               Hamburger Seemannsheims Duckdalben.             net eigentlich in den Hafenboden einge-
                                                   Nicht nur wegen der fast völligen Stille    rammte Pfähle zum Vertauen von Schiffen
                                               wirkt der Seemannsclub wie eine Oase im         oder als Markierung – finden die Seemän-
                                               Trubel des drittgrößten Hafens in Europa.       ner Ruhe, Spielmöglichkeiten, zu essen und
                                               Das neben den gigantischen Kränen win-          zu trinken (besonders beliebt sind Pferde-
                                               zig wirkende Haus ist vor allem für täglich     wurst und Bier), aber auch Rat und Hilfe
                                               mehr als 100 Seeleute ein Ort der Ruhe,         durch die Haupt- und Ehrenamtlichen der
                                               der Freizeit und vor allem des Kontakts in      Seemannsmission.
                                               die Heimat.                                         Jan Oltmanns erzählt von einem ak-
                                                   Denn das ist vielleicht das wichtigste      tuellen Fall. „Ich kann nicht mehr“, hat-
                                               Angebot für die Männer (Frauen sind auf         te ihm ein Seemann am Morgen gesagt.

10   blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2018
THEMA

                                                                                                        Die Maschine muss laufen
                                                                                                        Nur ein paar Stunden waren Marvic Fa-
                                                                                                        rabier (rechts im Bild) und Mark Dennis
                                                                                                        m. Aquino im Duckdalben, dann mussten
                                                                                                        sie wieder an Bord des Kohlefrachters Ro-
                                                                                                        bert Oldendorff. Die Arbeit sei schon hart,
                                                                                                        sagen die beiden Filipinos, 20-Stunden-
                                                                                                        Schichten keine Seltenheit. Schweißen,
                                                                                                        Reinigen, Reparieren, dafür sorgen, dass
                                                                                                        die Maschinen immer laufen, das sind die
                                                                                                        Aufgaben der beiden Filipinos. Als sie in
                                                                                                        Hamburg ankommen, haben sie schon
                                                                                                        zwei Monate an Bord hinter sich – Farabier
                                                                                                        ist seit fünf Jahren Seemann, Aquino seit
                                                                                                        drei Jahren. Ihr Ziel ist es, durch die Arbeit
                                                                                                        genug Geld zusammenzubekommen, um ir-
im Club, ein Seemann hält per Laptop Verbindung in die Heimat, ein Seemann zeigt, wo sein Schiff        gendwann eine eigene Familie zu gründen
Besucher, Hebebühnen für Container                                                                      und ein Geschäft auf den Philippinen zu
                                                                                                        eröffnen – was für eines, wissen sie noch

   Seemannsclub Duckdalben                                                                              nicht. Viele Seeleute haben diesen Traum,
                                                                                                        weiß Diakon Jan Oltmanns. Doch längst
                                                                                                        nicht alle schafften es. Die Bezahlung sei
    für fast eine Million Seeleute seit der Eröffnung 1986                                              zwar für die Verhältnisse der Herkunftslän-
                                                                                                        der meist gut, aber die Familien stellten
      Der Mann sei elf Monate an Bord gewe-             Und Tantzscher hat immer ein paar               oft Ansprüche, und es gelinge auch nicht
      sen, der Vertrag habe aber nur für neun       Kartenspiele dabei, um den Seeleuten                jedem, das Geld beisammenzuhalten. Im
      Monate gegolten – seine Kräfte reichten       Tricks beizubringen, das hilft gegen die            Duckdalben haben die beiden Souvenirs
      nicht mehr. Der Reeder habe ihn am Te-        Langeweile. Wenn ihn dann ein Kellner auf           eingekauft: Tassen, Schlüsselringe, Kühl-
      lefon glatt angelogen, erzählt Oltmanns       einem Kreuzfahrtschiff, den er nach zwei            schrankmagnete – so reist die Wappen-
      entrüstet, und behauptet, der Seemann         Jahren wiedersieht, umarmt, dann ist das            tier-Ente aus Hamburg auf vielen Schiffen
      habe selbst um Verlängerung gebeten. Olt-     Lohn für die Mühe.                                  um die ganze Welt. Umgekehrt lassen die
      manns brachte den Mann zum Arzt, der              Dignity – Würde, das ist das Schlüssel-         Seeleute oft Andenken im Club, darunter
      ihm die Arbeitsunfähigkeit bescheinigte.      wort im Seemannsheim. An Bord, erzäh-               100 Rettungsringe. Farabier und Aquino
      Das bedeute, dass die Reederei ihm nun        len Tantzscher und Oltmanns, werden die             sind unterdessen längst wieder unterwegs
      den Heimflug bezahlen müsse.                  Männer mit ihrem Rang, mit ihrer Funkti-            – zwei Tage nach ihrem Stopp in Hamburg
          Das Leben an Bord ist hart. Wer Bilder    on, angesprochen – als Oiler („Öler“), Ers-         ist die Robert Oldendorff irgendwo vor der
      im Kopf hat, wie der Seemann nachts auf       ter Offizier oder Master. Im Club sind die          dänischen Nordspitze. l           Olaf Dellit
      den Ozean blickt und seine Klampfe her-       Männer wieder Individuen mit einem Na-
      ausholt, weiß nichts von der Realität. „Die   men, mit ihrem Namen. Es rühre sie oft zu
      Seefahrt hat mit Romantik nie etwas zu        Tränen, wenn sie so angesprochen werden.
      tun gehabt“, sagt Oltmanns, „aber es gibt         Den ganzen Tag über flitzen die Klein-
      Menschen, die gerne auf See arbeiten.“        busse des Clubs durch das Hafengebiet
          Die Schattenseiten der Seefahrt – 80      und holen die Crews an den Schiffen ab
      Prozent aller Produkte des Alltags werden     oder bringen sie zurück, anders würden
      übrigens per Schiff transportiert – kennt     sie es in den oft wenigen Stunden im Ha-
      auch Werner Tantzscher, Ehrenamtlicher im     fen gar nicht zum Duckdalben schaffen.
      Duckdalben. Er besucht regelmäßig See-        „VIP-Shuttle“ steht auf den Bussen – und
      leute, die in Hamburg ins Krankenhaus         das sind sie, die auf See vor allem Arbeits-
      müssen, und hilft ihnen dort. Er klärt mit    kräfte ohne Namen sind, hier wirklich für
                                                                                                                                                         Alle Fotos: medio.tv/Dellit

      dem Personal, was der Patient essen kann      ein paar Stunden: very important persons
      – oder auch nicht („Mit Schwarzbrot und       – sehr wichtige Menschen. l
      Kartoffeln können Sie einen Inder nicht                                         Olaf Dellit
      glücklich machen“) – und sorgt dafür, dass        www.duckdalben.de
      die Wäsche gewaschen wird.                        www.dsm-harburg.de

                                                                                          blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2018         11
THEMA

  Ökobilanz des Reisens
  Unterwegs mit Kreuzfahrtschiff, Flugzeug, Auto,
  Zug, Bus, Fahrrad und zu Fuß – ist es egal, wie
  wir das Reiseziel erreichen? Pfarrer Stefan Weiß,
  Klimaschutzbeauftrager der Landeskirche, sagt:
  „Es spielt eine Rolle, wie wir reisen.”

 D
         eutschland hat von Jahresbeginn         Emissionen sogar unter das
         bis Ende März 2018 so viel klima-       Niveau von Reisebussen
         schädliche Treibhausgase ausge-         oder Zügen.

                                                                                                                                             Grafik: www.nachhaltiger-warenkorb.de/themen/fliegen-mit-gutem-gewissen/
  stoßen, wie nach dem Pariser Klimaab-              Kreuzfahrtschiffe sorgen für Schlag-      ist das Gegenteil zu beobachten: Wandern,
  kommen für das ganze Jahr erlaubt wäre         zeilen wie „Ein Schiff verursacht so viel     Pilgern und Radreisen liegen im Trend. Das
  – nämlich 217 Millionen Tonnen. Es droht       Luftschadstoffe wie 20 Millionen PKW“.        ist gut. Fahrräder und Wanderschuhe ver-
  ein Bild wie 2017: Da wurden 904,7 Mil-        Dies betrifft in erster Linie den Ausstoß     ursachen keinen Lärm und keine gesund-
  lionen Tonnen Treibhausgase freigesetzt.       von Stickoxiden und Feinstaub, aber auch      heits- und klimaschädlichen Emissionen.
  Während die Emissionen im Energiebe-           wegen der Treibhauswirkung ist eine           Laufen und Radfahren sind die fortschritt-
  reich zurückgingen, stiegen sie im Ver-        Schiffsreise nicht zu empfehlen. Dies zeigt   lichsten und gesündesten Arten, Urlaub zu
  kehrssektor um 2,3 Prozent an.                 die Grafik (unten), die mit dem Emissions-    machen. Und es gibt keineswegs mitleidi-
      Es spielt eine Rolle, wie wir reisen: Im   rechner von atmosfair.de erstellt wurde.      ge Blicke, wenn man erzählt, was man auf
  Gegensatz zur Flugreise kann man die Kli-      Zusammengefasst könnte man sagen, dass        einer Radreise oder einem Pilgerweg erlebt
  mawirkung des Autos beeinflussen. In der       man seine Klimabilanz am gründlichsten        hat. Da werden auch Vielflieger nachdenk-
  Grafik (oben) ist ein PKW mit einem CO2-       durch eine Kombination von Anreise mit        lich und fragen sich: Bei welcher Art Ur-
  Ausstoß von 140 g/km zu Grunde gelegt.         dem Flugzeug zu einer Kreuzfahrt ruiniert.    laub zu machen spüre ich mehr, begegne
  Ist eine Person mit einem großen Auto                                                        ich ehrlicher, bin ich verantwortlicher?
  mit einem CO2-Ausstoß von 210 g/km un-         Neue Sesshaftigkeit als Lösung?                    Dennoch wird nicht jeder auf Flugrei-
  terwegs, ist sie auf gleicher Strecke nicht                                                  sen verzichten. Auch die kirchliche Arbeit
  klimafreundlicher als das Flugzeug. Fah-           Der Siegener Volkswirt Nico Paech         mit ihren Partnerschaften, Missions- und
  ren Sie umgekehrt in einem mit vier Per-       sagt in diesem Zusammenhang: „Die Welt        Hilfswerken verursacht eine Fülle von Flug-
  sonen besetzten Elektro- oder Erdgasauto       stirbt an Heuchelei! Wer die Flugreisen       reisen. Wird der Klimawandel als größtes
  mit Ökoenergie, drücken Sie die Pro-Kopf-      nicht angeht, soll nicht über globale Ge-     Zukunftsproblem in den Mittelpunkt
                                                                    rechtigkeit und Klima-     gestellt, darf dies nicht so bleiben. Jede
                                                                    schutz reden.“ Auf die     Flugreise muss auf den Prüfstand gestellt
                                                                    Frage, wie das in einer    werden: Ist sie notwendig? Kann ich die
                                                                    globalisier ten Welt       CO2-Belastungen, die neben der Anreise
                                                                    denkbar sei, fordert er    entstehen, gering halten?
                                                                    auf, die Klimafragen            Die Evangelische Kirche von Kurhes-
                                                                    persönlich ernst zu        sen-Waldeck kompensiert seit Jahren die
Kreuzfahrtschiffe                                                   nehmen. Dazu kann          CO 2-Belastungen durch die Flugreisen
                                                                    eine neue Sesshaftig-      über die Klima-Kollekte, den CO2-Kom-
                                                                    keit ebenso gehören        pensationsfonds christlicher Kirchen. Die
                                                                    wie die bewusste Ab-       Zahlungen werden in Entwicklungsländern
                                                                    lehnung immer wei-         investiert und verringern den CO2-Ausstoß
                                                                    terer und exotischerer     durch Klimaschutzprojekte kirchlicher Or-
                                                                    Reiseziele. Menschen,      ganisationen. Aber die Klima-Kollekte
                                                                    die konsequent anders      weist selbst darauf hin, dass hier kein
                                                                    handeln, hätten ei-        neuer Ablasshandel entstehen darf: „CO2
                                                                    ne unschätzbar große       kompensieren reicht bei Weitem nicht, um
                                                                    Wirkung als „Kommu-        die schlimmen Folgen des Klimawandels
                                                                    nikatoren und leben-       abzuwenden. Es ist höchste Zeit, unseren
                                                                    de Beweise für einen       hohen Energieverbrauch gezielt und syste-
                                                                    kulturellen Wandel“.       matisch zu reduzieren.“ l Stefan Weiß
                                                                    Neben der Vielfliegerei    Infos:   www.klima-kollekte.de

  12     blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2018
GLOSSE

        Immer wieder montags, rundherum ...
        Wandern in der Dauerschleife: Zu zweit zum siebten Mal auf dem Kassel-Steig

Z
      um wievielten Mal??”, fragen sie immer nach. Zum siebten,
      sagen wir möglichst neutral. Man staunt ... Es stimmt, mei-                   »Wie ein altes Ehepaar,
      ne Freundin und ich laufen seit Jahren die immer gleichen                        das Jahr für Jahr
Wandertouren auf dem Kassel-Steig. Der KS, wie er auf den weiß-
                                                                                  an den Wörthersee fährt ...«
blauen Schildchen abgekürzt wird, ist 160 Kilometer lang, führt
rund um das Kasseler Be-
cken, also um die Stadt
Kassel und seine umlie-                                                                                       ein singendes Schulkind
genden Gemeinden und                                                                                          auf dem Heimweg, eine
verbindet sie als Region                                                                                      freundliche Reiterin, ein
auf einem Panoramaweg.                                                                                        rauchender Anwohner,
    Bei vielen nordhessi-                                                                                     der unsere Wasserfla-
schen Naturfreunden und                                                                                       schen auffüllt.
weit darüber hinaus be-                                                                                           Und immer wieder die
kannt, bei anderen noch                                                                                       grandiose Weitsicht, Kas-
immer eine blinde Strecke,                                                                                    sel mittendrin: Wir ma-
ist der KS für uns inzwi-                                                                                     chen Mini-Reiseanekdoten
schen vertraut, geliebt,                                                                                      daraus. In fünf Jahren ha-
erkämpft. Ja, er ist eine                                                                                     ben wir kleine Dorfmetz-
kleine Lebensader gewor-                                                                                      gereien verschwinden
den: Immer montags früh                                                                                       sehen, bestimmte Bäcke-
starten wir, wenn es der                                                                                      rei-Verkäuferinnen lieb
Kalender zulässt, mit Bahn                                                                                    gewonnen und über voll-
oder Bus.                                                                                                     verkachelte Einfamilien-
    Am Herkules geht es                                                                                       haus-Vorgärten gegrinst,
los mit Abschnitt eins,                                                                                       haben unseren tausends-
und hier beginnen auch                                                            Zeichnung: Reinhild Kassing ten KS-Kilometer mit ei-
die Traditionen. Vor jeder                                                                                    nem Piccolo gefeiert und
neuen Runde muss der Busfahrer der Linie 22 ein Startfoto von        den ersten Advent mit einer Kerze im Moos. Wir haben uns Ge-
uns schießen – von zwei grauhaarigen Rucksack-Frauen in Wan-         schichten von heute und früher erzählt und waren manchmal so
derschuhen und mit meist unglaublich guter Laune. Denn da            ins Gespräch vertieft, dass wir uns noch in Runde fünf verliefen.
liegt sie vor uns, die herrliche Strecke: mal im grünen Mai, mal     Wir haben gewettet, ob hinter der nächsten Kehre diese oder jene
im heißen August, gern im milden September, oft aber auch im         Aussicht kommt – und manchmal beide verloren.
nasskalten November oder bei Schnee. Es fing zufällig mit einer          Spannend, oder? Wer hier nickt, wird verstehen, welch großen
Test-Tour an und lässt uns nun nicht mehr los.                       Spaß wir hatten, Runde sieben „andersrum” zu laufen, gegen den
    Manchmal karikieren wir uns: „Wie ein altes Ehepaar, das         Uhrzeigersinn: Alles wie neu! Bald beginnt Runde acht. Und kein
Jahr für Jahr an den Wörthersee fährt.” Aber viel öfter rufen wir:   Ende abzusehen ... l
„Ich beneide mich selbst!” – wenn wir mal wieder keine Men-                                                         Anne-Kathrin Stöber
schenseele im Wald getroffen haben, wenn unsere Lieblingsbank
noch steht, wenn wir schon heute dorthin sehen können, wo wir
                                                                     KASSEL-STEIG
nächste Woche weiterwandern werden, und natürlich wenn der
Supermarkt am Ende der Tour ein kühles Bier bereithält.                                   Der Kassel-Steig wurde 2013 zum 1.100.
    Tatsächlich gibt es auch Minuspunkte bei unserem Dauerhob-                            Jubiläum der Stadt und zum 130. Geburtstag
by: Montags haben die wenigen Gaststätten zu, die es auf den                              des Hessisch-Waldeckischen-Gebirgsvereins
Dörfern noch gibt. Bis auf kulturhistorische Hinweistafeln, Aus-                          eingerichtet. Er ist auf allen zwölf Etappen mit
sichtspunkte, Windkraftanlagen und Grillplätze könnte der Weg                             dem ÖPNV erreichbar. Es gibt ein Handbuch
                                                                                          und eine Wanderkarte.
Unwissenden streckenweise als reizarm erscheinen. Aber nicht
                                                                                              www.kassel-steig.de
so uns: Wir finden abenteuerlich, was uns begegnet, und sei es

                                                                             blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2018            13
THEMA

Schöner tagen
Mit einem übergreifenden Konzept will die Landeskirche ihre Tagungshäuser neu aufstellen

M
         it ein wenig Abstand von zu Hau-      und das Kloster Germerode. Darüber hin-         Internet deutlich gemacht und so die Kun-
         se lässt es sich besser tagen. Von    aus gibt es noch eine Reihe Tagungshäu-         den für unterschiedliche Destinationen be-
         dieser alten Weisheit lebt der Ta-    ser und Freizeitheime von anderen kirchen-      geistert werden – nach dem Werbeprinzip
gungstourismus landauf, landab. Auch in        nahen Trägern wie etwa dem CVJM.                des „AIDA-Effekts”, wie Hungerland erläu-
der Evangelischen Kirche von Kurhessen-            Unter dem Motto „Tagen ist nett” sol-       tert: „A wie Attention, I wie Interest, D wie
Waldeck reisen Gruppen, Gremien und            len die drei erstgenannten Häuser jetzt         Desire und A wie Action.”
Teams zu mehrtägigen Arbeitstreffen,           mit einer gemeinsamen Dachmarke in Er-              Wichtig ist für den neuen Geschäfts-
Seminaren oder Freizeiten gern in kirchli-     scheinung treten. Als neuer Geschäftsfüh-       führer die gelingende Zusammenarbeit mit
che Häuser, die ansprechende Räume und         rer will Rüdiger Hungerland die Standorte       Partnern vor Ort: Tourismusbüros, Natur-
gute Verpflegung in schöner Umgebung           Bad Hersfeld, Elbenberg und Brotterode          parkzentren, Veranstaltern von Rad-, Wan-
bieten.                                        bündeln und für die Zukunft fit machen.         der-, Bus- und Kanureisen – sie alle sollen
    Nachdem sich die Kirche in der Vergan-     „Dabei stehen besonders unsere Mitarbei-        mit ihren Angeboten auch den kirchlichen
genheit meist aus finanziellen Gründen         tenden sowie die bauliche Infrastruktur im      Tagungsgästen zur Verfügung stehen, da-
von einigen ihrer Freizeitheime getrennt       Mittelpunkt”, sagt der Betriebsmanager,         mit der Aufenthalt für Kinder, Jugendliche,
                                                                         der die bislang       Erwachsene, Familien und Senioren attrak-
                                                                         meist ehrenamt-       tiver wird. Der Wandel vom Freizeitheim
                                                                         lich arbeitende       zur Tagungsstätte soll nicht nur im Na-
                                                                         regionale Füh-        men stattfinden, sondern der Imagewan-

Unter einer Dachmarke sollen die kirchlichen Tagungshäuser der EKKW (v. l.) Jugendbildungsstätte Frauenberg in Bad Hersfeld, Ev. Freizeit-
heim Elbenberg Haus Waldeck-Marburg und Ev. Familienerholungs- und Bildungsstätte Haus am Seimberg in Brotterode verwaltet und
vermarktet werden. Präsentiert werden sie auf einer neuen Homepage, die demnächst freigeschaltet werden soll:    www.tagen-ist.net

hat, bleiben für Buchungsinteressenten         rungsstruktur ersetzt. Ein Ziel dabei: Die      del müsse erlebbar werden, wünscht sich
kirchliche Häuser in Bad Hersfeld, Elben-      Belegung der Häuser soll verbessert wer-        Hungerland, der auch an neue Verpfle-
berg und Brotterode (s. Fotos) sowie die       den, eine Auslastung von mindestens 70          gungsmodelle denkt. Nach dem Vorbild
Fort- und Ausbildungsstätte Kifas in Kas-      Prozent werde angestrebt. Hungerland will       der deutschen Jugendherbergen könne
sel-Bad Wilhelmshöhe, die Evangelische Ta-     die Objekte professionell bewerben und          der Wandel zu einem zeitgemäßen Über-
gungsstätte Hofgeismar, die Kirchenmusi-       für neue Zielgruppen öffnen. Die Stärken        nachtungskonzept gelingen. l
kalische Fortbildungsstätte in Schlüchtern     und Besonderheiten der Häuser sollen im                                Lothar Simmank

                                                                                               20 JAHRE HAUS AM SEIMBERG
              Rüdiger Hungerland (54) ist seit Angang 2018 im Kasseler Landes-
              kirchenamt als neuer Geschäftsführer für die Tagungshäuser der EKKW                Am Samstag, 23. Juni, feiert das Haus
              zuständig. Der technische Betriebsmanager war zuvor Leiter eines                   am Seimberg in Brotterode sein 20-jähri-
              ÖPNV-Verkehrsunternehmens. Bei der strategischen Neuausrichtung                    ges Bestehen als Familienerholungs- und
              geht es um die Zukunft der Mitarbeitenden, die bauliche Infrastruktur              Bildungsstätte. Um 11 Uhr geht’s los mit
                                                                                                 einem Festgottesdienst, nachmittags steht
  der Objekte und um die Vermarktung an vorhandene und neue Kundengruppen.
                                                                                                 „Familie in Bewegung” auf dem Programm.
  Kontakt: T 0561 9378-303, ruediger.hungerland@ekkw.de
                                                                                                 Infos:    www.haus-am-seimberg.de

14     blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2018
THEMA

                                                    Ungewöhnliche Urlaubsunterkunft

                                                   Kirche als Ferien-
                                                   haus zu vermieten
                                                     Der Holländer Paul de Cock rettete
                                                   zwei alte Kirchen im Nordwesten von
                                                    Friesland vor dem Verfall und führte
                                                     sie einer touristischen Nutzung zu
                          Vermieter Paul de Cock                                                             Das ehemalige reformierte Kirchengebäude in Oosterbierum
Fotos: medio.tv/Simmank

                            U
                                     mgeben von Äckern steht die kleine    ßenterrasse wurden eingebaut, und gemüt-     besonders über den Billiardtisch aus dem
                                     Kirche eher unscheinbar im hollän-    lich möbliert steht bis zu sieben Gästen,    Jahr 1888, dem Baujahr der Kirche. Und
                                     dischen Oosterbierum. Anders als      die seit über zehn Jahren buchen können,     der Denkmalschutz? „Der ist bei uns sehr
                             die große Sint-Joris-Tsjerke, die ein paar    nun ein Feriendomizil der ganz besonderen    streng”, sagt de Cock, „aber diese Kirche
                             Schritte weiter ihren hohen Turm in den       Art zur Verfügung.                           ist kein Denkmal.”
                             Himmel reckt, wurde das Versammlungs-             „Ich habe Respekt vor dem Gebäude”,           Inzwischen hat der Ferienhaus-Vermie-
                             haus der reformierten Gemeinde nicht          sagt de Cock, „es ist etwas Besonderes –     ter eine zweite Kirche in Easterwierrum
                             mehr gebraucht, seit die protestantische      und es bleibt auch nach dem Umbau die        gekauft, einige Kilometer weiter südlich.
                             Kirche in den Niederlanden 2004 ihr his-      Kirche von Oosterbierum.” Vielen Dorfbe-     Diese ist rollstuhlgerecht, hat einen Trep-
                             torische Spaltung überwand. Eine Kirche       wohnern, insbesondere solchen, die nach      penlift und ist auch aufgrund ihrer Größe
                             für die 550 Dorfbewohner musste reichen                                                    besonders für Behindertengruppen geeig-
                             – und eine blieb ungenutzt übrig.                                                          net, berichtet Paul de Cock.
                                  Als Paul de Cock (55), Inhaber eines          »Diese alten Kirchen                         Die Touristen, unter ihnen viele Deut-
                             Kommunikationsbüros, die Kirche kaufte,        zu vermieten ist geschäftlich               sche, schlafen entspannt in „de Kraak van
                             übernahm er ein renovierungsbedürftiges           aber auch menschlich                     van Dam”. Und im Pfarrgarten finden sie
                             Gebäude, in dem alles enthalten war, was                                                   sogar ein Hühnerhaus, aus dem sie frische
                             eine Kirche zur Kirche macht: Unter der
                                                                                    interessant.«                       Frühstückseier holen können. Nachts kann
                             prächtigen Gewölbedecke stand die Kan-                                                     man von der Kirche aus den Leuchtturm
                             zel, auf der Empore eine nicht mehr funk-     USA oder Kanada ausgewandert sind            der Insel Ameland sehen. Leeuwarden, in
                             tionierende Van Dam-Orgel. Sogar die an       und als Heimaturlauber ihre alte Kirche      diesem Jahr europäische Kulturhauptstadt,
                             langen Stäben befestigten Klingelbeutel       besichtigen wollen, gewährt der neue         ist eine halbe Stunde entfernt, Amsterdam
                             und die Liedanzeigetafel standen noch im      Besitzer gern Zugang zu dem Sakralbau.       eine Stunde. Die meisten Gäste aber su-
                             Raum. Der neue Besitzer ließ alles drin und   Regelmäßig veranstaltet er sogar größere     chen Ruhe: „Schön, wenn das Wetter
                             beschloss, in einem kleinen abgetrennten      Treffen für ehemalige Gemeindemitglie-       schlecht ist”, schrieb eine deutsche Fami-
                             Teil sein Büro einzurichten und den größe-    der in ihrer alten Kirche – vor zwei Jah-    lie ins Gästebuch, „dann können wir hier in
                             ren Teil der Kirche als Ferienhaus an zah-    ren wurde hier Santa Claas gefeiert, und     der Kirche bleiben!” l Lothar Simmank
                             lende Gäste zu vermieten. Ein modernes        die Besucher staunten nicht schlecht über
                             Bad, Küche, Schlafzimmer sowie eine Au-       die wohnliche Atmosphäre im „Kerksaal”,      Infos:    dekraakvanvandam.nl      ievers.nl
Fotos: de Cock

                               So wird gewohnt: Kanzel, Empore und Orgel sind noch drin und teilen sich den Kirchenraum mit Sofas, Tischen, Betten und Einbauküche

                                                                                                         blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2018        15
THEMA

                                                   Am liebsten an die See
Reisen mit behinderten Menschen: bdks-Beratungsbüro für Teilhabe und Freizeitgestaltung

K
       ein Zweifel – es gibt flotter klingen- „Möglichkeiten und Gefahren des Inter- ten Ziele, aber auch nach Bayern, an den
       de Namen für Reisebüros als die- nets” sind nur einige der Kurstitel.                  Bodensee, nach Bulgarien oder Kroatien
       sen: „Beratungsbüro für Teilhabe             Die Angebote gehen über ein bis drei können Menschen mit geistiger (und kör-
und Freizeitgestaltung”. Der Titel an der Tage, finden in der Region statt oder sind perlicher) Behinderung mit dem Veranstal-
Tür im ersten Stock der Adresse Markt 5 mit kleinen Fahrten nach Eisenach („Auf ter Kochsberg Reisen in die Ferien fahren.
im Haus der Begegnung in Baunatal liest den Spuren Luthers”) oder nach Dortmund                    Dieser Veranstalter der „Werraland
sich zwar ungewöhnlich, aber das hier ist verbunden („Sicherheit und Hygiene an Ambulanten Dienste” in Eschwege arbei-
auch ungewöhnlich: ein Raum mit beson- der Arbeitsstelle und im Haushalt”). Stets tent mit dem bdks-Büro zusammen und
derer Dienstleistung für besondere Men- wird in kleinen, überschaubaren Gruppen ist spezialisiert auf Reisen mit Begleitung.
schen – angeboten                                                                                                 „Das bedeutet bei uns
von einem Menschen                                                                                                immer: mit Fachper-
mit besonderem En-                                                                                                sonal”, betont Büro-
gagement. Konkret:                                                                                                leiter Klaus Stephan.
Hier sitzt Klaus Bert-                                                                                            So ist die Betreuung
ram (62), gelernter                                                                                               der Reisenden durch
Erzieher mit Zusatz-                                                                                              geschultes und erfah-
ausbildung Sozialma-                                                                                              rene Helfer gesichert;
nagement, der viele                                                                                               etwa 40 Untertützer
Jahre Wohnheimlei-                                                                                                hat Stephan dafür zur
ter bei der Baunata-                                                                                              Verfügung. Da hier
ler Diakonie Kassel                                                                                               ebenfalls in kleinen
(bdks) war. Seit eini-                                                                                            Gruppen von sechs bis
gen Jahren aber küm-                                                                                              sieben Personen ver-
mer t er sich quasi                                                                                               reist wird mit je zwei
im Ein-Mann-Betrieb                                                                                               bis drei Begleitern pro
                          Foto: Kochsberg-Reisen

um etwas, das die                                                                                                 Fahrt, kann man „vor
Heimbewohner und                                                                                                  Ort flexibel sein” und
Mitarbeiter in den                                                                                                viel unternehmen.
Werkstätten der bdks                                                                                                  Ziele sind oft Or-
in ihrer Freizeit tun                                                                                             te und Häuser, „wo
können: Reisen und                                                                                                wir uns frei entfalten
                                     In der Gemeinschaft einer begleiteten Gruppe zu reisen macht Spaß
Weiterbildung.                                                                                                    können”, erklärt er –
                                                                                                                  also etwa Feriendör-
Smartphone,                                     verreist (6 bis 14 Teilnehmer) – und bei fer oder Jugendherbergen auf Städterei-
Kochen, Umwelt                                  80 Prozent davon ist Klaus Bertram selbst sen. Seit zweieinhalb Jahren wächst der
                                                als Begleitperson dabei. Hier können Teilnehmerkreis ständig an, zuletzt bis auf
    Alle 1.350 Werkstätten-Mitarbeite- Menschen mit psychischen und geistigen 250 im Jahr. Neben einem Grundpreis
rinnen und -Mitarbeiter mit Handicap – Behinderungen gemeinsam mit anderen müssen die Teilnehmer je nach Betreu-
und in Ausnahmen auch andere, die mit- etwas erleben, von in- und externen Do- ungsstufe weitere Kosten tragen, die in
machen wollen – können sich bei Klaus zenten lernen und einmal einige Tage mit manchen Fällen (wie etwa bei Verhinde-
Bertram dazu beraten lassen. Fünf Tage anderen unterwegs sein. Bertram: „Lebens- rungspflege) von den Krankenkassen über-
Bildungsurlaub stehen jedem Arbeitneh- langes Lernen ist wichtig!”                            nommen werden.
mer jährlich zu; Bertram hat ein Jahres- Infos: www.bdks.de                                        Beratung rund um die Reisen gibt es
programm mit fast 40 Angeboten dazu                                                           bei Klaus Bertram in Baunatal (klaus.bert-
entwickelt, das 2017 von 450 Menschen                                                         ram@bdks.de). Der „Reiselust”-Katalog ist
genutzt wurde, und das die Teilhabe in Be- Reisen mit Begleitung                              erhältlich über Klaus Stephan.           l
ruf und Leben erleichtern soll. „Wie benut-
ze ich mein Smartphone richtig?”, „Kochen           Wenn es weiter weg gehen soll, kann            www.kochsberg-reisen.de
und Backen mit Profis”, „Freundschaft, Klaus Bertram auch helfen: nach Mallorca,
Partnerschaft, Liebe und Sexualität” und an die Ost- oder Nordsee, so die beliebtes-                                 Anne-Kathrin Stöber

16     blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2018
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