Reisen und Abenteuer FÜR MITARBEITENDE - EKKW
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4–2018 FÜR MITARBEITENDE Reisen und Abenteuer Foto: Manfred Delpho ZU LANDE Wandern, Pilgern und Spazierengehen ZU WASSER Auf großer Kreuzfahrt und im Bauch des Frachters
INHALT | EDITORIAL Inhalt Liebe Leserinnen, THEMA liebe Leser, I ch stelle fest, meine Art zu reisen än- Foto: medio.tv/Schauderna 4 „Ich bin dann mal auf dem Weg!” dert sich mit den Jahren. Manches, 5 Interview mit Thorsten Latzel: was ich früher als Abenteuer emp- Wie Pilgern den Menschen verändert fand, muss ich heute nicht mehr ha- ben. Ich denke dabei an Erlebnisse als 6 Die bunten Farben der Gastfreundschaft jugendlicher Tramper auf kalifornischen Highways, an den Trip mit dem R4 über 7 „Das Abenteuer ist die Selbsterkenntnis” isländische Schotterpisten, an den Be- 9 Unterwegs mit dem Bordseelsorger: such im Polzeigefängnis auf Sri Lanka Wellen, Wind und wütende Warane oder an einen nächtlichen Spaziergang mit Kinderwagen durch die finsteren Basare von Ostjerusalem. 10 Oase mitten im Hafentrubel: Nach wie vor bin ich sehr gern im In- und Ausland unterwegs, Seemannsclub Duckalben aber heute sollen meine Reisen mehr anregend statt aufregend 12 Ökobilanz des Reisens sein. Genuss geht vor Gefahrenkitzel, Entspannung vor Adrenalin- schub. Weil ich nun aber kein Freund des Pauschaltourismus bin, 13 Immer wieder montags, rundherum: kommen Katalogbuchungen nicht infrage. Was also ist die Kon- Wandern auf dem Kasselsteig sequenz? Fahrrad statt Flugzeug, Komfort statt Camping, Klas- 15 Kirche als Ferienhaus zu vermieten se statt Masse, Heimat statt Exotik? Manches tendiert in diese Richtung. Auf die Idee, eine Radtour durch die Uckermark zu 16 Reisen mit behinderten Menschen unternehmen, wäre ich zumindest noch vor wenigen Jahren sicher 17 Mit Kleinkind auf Kuba nicht gekommen ... Im Internet lese ich von einem neuen Trend: „Der Slow Tra- 32 Wenn der Zufall die Wege lenkt veller befolgt die Maximen: Mach keine Fotos, kauf keinen Reise- führer, lass alle Sehenswürdigkeiten weg, vermeide gute Hotels, heiße Katastrophen willkommen. Das Abenteuer kommt dann LANDESKIRCHE ganz von allein.” Sie möchten sich lieber nicht dem Slow-Travel- Trend anschließen? Wie auch immer: Die blick-Redaktion wünscht 18 Die Frühjahrssynode tagte Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, eine angenehme Lektüre und spannende Reiseerlebnisse! 20 Aktion in Bad Hersfeld: Lothar Simmank Auf der Bank ist noch Platz Redakteur blick in die kirche 21 Kirchen öffnen sich für nichtkirchliche Jobbewerber 21 Mehr Geld für Diakonie-Beschäftigte 22 Von Personen 23 KV-Wahl 2019 24 Klangkirche auf dem Hessentag 25 Kaufunger Stiftskirche nach Sanierung wiedereröffnet SERVICE 26 Termine / Kirchenmusik Die neue Homepage der Evangelischen Kirche von Kurhessen- 28 Kirche im Radio Waldeck ist online. Die Plattform www.ekkw.de wurde an neue 29 Buchtipps technische und inhaltliche Herausforderungen im Internet angepasst und ist nun für die Nutzung mit Smartphone und Tablet optimiert. 2 blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2018
UMFRAGE | IMPRESSUM Welcher Reisetyp sind Sie? Foto: medio.tv/Schauderna Foto: medio.tv/Schauderna Foto: privat Foto: medio.tv/Schauderna Gotland, Amrum, Hiddensee: Für mich ist Urlaub eine ge- Reisen? Am liebsten zu Fuß, Strandurlaub lockt mich nicht. herrliche Erinnerungen an Ur- lungene Mischung aus Natur, entschleunigt in dem mir Die Kombination aus Land- laube im Norden. Doch mein Kultur, Erlebnis und Erholung. angemessenen Tempo, wan- schafts- und Großstadterkun- innerer Urlaubskompass weist Mein Mann und ich reisen dernd durch Wald und Flur, dung dafür umso mehr. Wan- Richtung Süden, etwa nach „individuell” – unser Stand- mich dem Weg überlassend dern in Gebirgen und Wüsten Italien. Langsam anreisen, in punkt: Man sollte alles ein- oder zu einem Ziel hinstre- des Oman, kombiniert mit mehreren Etappen: der erste mal probieren! Das Kennen- bend, im Austausch mit ande- Abu Dhabi und Dubai; oder Cappuccino in den Dolomi- lernen von Land und Leuten ren, aber auch allein – so bin Tagestouren im australischen ten, Entdeckungen in Mode- steht im Vordergrund. Meist ich am liebsten unterwegs. Regenwald und dann einige na, Bologna – Ziele am Weg. bleiben wir nur zwei, drei Ta- Dafür steht das schöne alt- Tage Sydney. Für mich sind Bevorzugte Unterkunft: ländli- ge an einem Ort und ziehen deutsche Wort „sinnan“, das Museen, Parks und Kinos be- che Familienbetriebe des Agri- dann weiter. Wir meiden gro- Bewegung ausdrückt: reisen, vorzugte Orte, um zu erleben, turismo: geräumige Zimmer, ße Hotels und versuchen pri- streben, wandern, suchen, wie Menschen in einer Region wenige Gäste, persönliche vat unterzukommen – das hat (nach-)sinnen – und das Sinn sich geben und worüber sie Atmosphäre, die Gastgeber zum Beispiel auf Kuba ganz macht. Dabei finde ich Erho- reden. Besuche in Kunstaus- kochen. Meer und Berge, dazu hervorragend geklappt. Auch lung und neue Kraft. Auch stellungen und Museumscafés Kultur, etwa im Friaul: ruhen campen wir zwischendurch andere Länder und fremde sind immer bewegend, egal und wandern in den Alpen, gerne. Der persönliche Kon- Kulturen ziehen mich an. Das ob in Teheran, Melbourne baden in der Adria. Ausflüge takt zu den Menschen in den Reisen in diesem Sinn ist mei- oder Dublin. Überall versu- ins hügelige Weinland entlang Ländern, die wir besuchen, ist ne Leidenschaft, und manch- che ich zu verstehen, welche der Grenze zu Slowenien, dazu uns wichtig. Das öffnet und mal darf ich ihr sogar in mei- Rolle Migration, Religion und Kultur seit Zeiten der Römer: ändert auch den Blick auf die nem Beruf als Pilger- oder Gender spielen. Das öffnet Zu- Triest und das Veneto laden ein. eigene Heimat und Herkunft. Reiseleiter folgen. gänge zu einer Gesellschaft. Karl Waldeck (60), Susanne Hensel (52), Dr. Manfred Gerland (64), Silvia Scheffer (56), Direktor der Evangelischen Sekretärin des Bischofsbüros Pfarrer für Meditation und Ethnologin und Sozialthera- Akademie Hofgeismar im Kasseler Landeskirchenamt geistliches Leben in der EKKW, peutin im Diakonischen Werk Herleshausen Schwalm-Eder IMPRESSUM blick in die kirche erscheint sechsmal jährlich und Redaktion: Anschrift: wird an haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen Lothar Simmank (Leitung) Heinrich-Wimmer-Straße 4 und Mitarbeiter der Landeskirche kostenlos verteilt. Telefon 0561 9307-127 34131 Kassel-Bad Wilhelmshöhe Olaf Dellit redaktion@blickindiekirche.de Direkt-Abonnement: Telefon 0561 9307-132 www.blickindiekirche.de 12,50 Euro pro Jahr inklusive Zustellkosten Redaktionsbüro / Anzeigen: Gestaltung: Lothar Simmank Herausgeber: Andrea Langensiepen Herstellung: Hesse GmbH, Fuldabrück Landeskirchenamt der Evangelischen Telefon 0561 9307-152 Auflage: 19.500 Exemplare Kirche von Kurhessen-Waldeck Daniela Denzin Pfarrerin Petra Schwermann Telefon 0561 9307-128 Mehr Informationen über die Evangelische Kirche Wilhelmshöher Allee 330 Fax 0561 9307-155 von Kurhessen-Waldeck unter www.ekkw.de 34131 Kassel-Bad Wilhelmshöhe blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2018 3
THEMA Die Ein Reisen und Abenteuer „Ich bin dann mal auf dem Weg!” A ls Abenteuer und Reisen noch ser oder zu Lande. Natürlich gab es unter dass jenseits der oft genannten Wünsche aufs Engste zusammengehörten, den Reisenden schon immer die Entdecker nach Erholung oder des Motivs der sozia- fuhr der Homberger Hans Staden und Pioniere. Und auch das religiöse Phä- len Anpassung („Wenn alle verreisen, muss nach Brasilien. Vor fast 500 Jahren bestieg nomen des Reisens, bei dem Wege zu Gott ich das auch”) ein Hauptantrieb für das er als Landsknecht ein Schiff in Lissabon gesucht werden, ist uralt. Aber meist ga- Reisen darin liegt, sich aus dem Alltag aus- und segelte nach Recife. Was er dort erleb- ben doch Kriege Anlass zu Ortswechseln zuklinken und Andersartiges zu erfahren: te, hat er in der – und natürlich der gefährliche, aber ge- Den eigenen Körper bei der Bergwande- „Wa rh a f t i ge n winnversprechende Handel mit Waren aus rung wieder intensiver spüren, beim Dra- Historia und be- fernen Ländern. chenfliegen den Kitzel des Abenteuers er- schreibung eyner leben, die Schönheit unberührter Natur in Landtschafft der Was treibt Menschen in die Ferne? sich aufsaugen oder die Energie fremder Wilden Nacke- Kulturen auf sich wirken lassen – all das ten, Grimmigen Das hat sich geändert: Urlauber rei- steht in starkem Kontrast zur täglichen Menschfresser- sen heute höchst freiwillig in alle Welt Routine zu Hause und erzeugt deshalb Leuthen in der und bezahlen viel Geld dafür. Sofern man ein Gefühl von Freiheit und Glück. Newenwelt dabei Strapazen auf sich nehmen muss, Auch bei der kirchlichen Variante des America” fest- geschieht dies meist aus freien Stücken Reisens, dem Pilgern, ist das nicht anders. gehalten. Sein und mit Lust. Outdoor-Magazine locken In der Sprache der Religion ausgedrückt, 1557 erschiene- zu Abenteuern in die freie Natur. Rein- geht es beim Reisen also um eine „Sinnsu- nes Buch erzählt hold Messner und Co. geben Tipps, wie che im Unterwegssein”. Machen Sie sich davon, wie er es man beim Klettern, in Wüsten oder in der auf den Weg! l Lothar Simmank schaffte, nicht Eiswildnis letzte Grenzen überschreitet. Ge- im Kochtopf sucht wird der „Kick” nicht nur im Extrem- BUCHTIPP der Indianer zu sportbereich, auch im normalen Tourismus Tourismusexperten landen, sondern sind bestens durchorganisierte Angebote, und Theologen heil nach Euro- die das Außergewöhnliche, kombiniert beleuchten pa zurückzukehren. In Wolfhagen, wo Sta- mit einem kalkulierbaren Abenteuer, ver- Foto: Fotolia interdisziplinär ein den später lebte, erfährt man im Museum sprechen, besonders gefragt: mit dem Bus Phänomen: Christian mehr über den Abenteuerreisenden. 13.000 Kilometer über die Seidenstraße, Antz, Sebastian Das Beispiel Hans Staden zeigt, dass Hausboot-Ferien in den Sümpfen Floridas Bartsch, Georg das Reisen in früheren Zeiten eher etwas oder eine Safari zu südafrikanischen Lö- Hofmeister (Hg.): für Hartgesottene war. Vom heimischen wen, um nur einige Beispiele zu nennen. »Ich bin dann mal Herd bewegten sich nur die fort, die es Was treibt die Menschen heute in auf dem Weg!« Spirituelle, kirchliche und unbedingt mussten. Ohne Zwang begab die Ferne? Und warum sind sie dabei auf touristische Perspektiven des Pilgerns in sich kaum jemand auf große Fahrt zu Was- Abenteuer aus? Tourismusforscher wissen, Deutschland. UVK, 29,99 Euro 4 blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2018
THEMA Grafik: Fotolia blick-Interview mit Wie Pilgern den Menschen verändert Dr. Thorsten Latzel ? Ganz allgemein gefragt: Inwieweit verän- dert das Reisen den Menschen? ? Wandern und Pilgern liegen im Trend: Wie würden Sie zwischen beidem unterscheiden? »Der Umgang mit den Dr. Thorsten Latzel: Religion und Reisen Latzel: Es geht keinesfalls um religiöses Leis- eigenen Grenzen und mit haben eine lange gemeinsame Geschichte – bei tungsdenken: Wenn ich pilgere, um bei Gott gut den Grenzen der anderen beiden geht es um Veränderung. Menschen un- dazustehen, bin ich auf dem Holzweg. Die ei- terbrechen ihren Alltag, testen Neues aus und gentliche Pointe des Pilgerns für uns Evangeli- ist eine Erfahrung, die merken: Ich bin eigentlich ein ganz anderer, sche liegt darin, mit Gott auf dem Weg zu sein. man beim gemeinsamen komme aber nur selten dazu. Wandern mit Gott, würde ich sagen. Indem ich Wandern macht.« nicht nur einfach durch die Berge wandere, son- ? Im Besonderen: Was macht das Pilgern mit denen, die sich darauf einlassen? Latzel: In einer Gesellschaft, die unter ho- dern mich dabei auch als Glaubenden, als geist- liches Wesen begreife, macht das etwas mit mir. Und dafür eine Sprache zu finden, die Erfahrung Dr. Thorsten Latzel, geboren 1970 in Bie- hem Zeitdruck steht und in der vieles automati- der Alten aufzugreifen, also auch andere Wege denkopf, studierte Theo- siert ist, wurde das Pilgern im letzten Jahrzehnt zu gehen, das kann sehr bereichernd sein. Das logie in Marburg. Von als archaische Fortbewegung neu entdeckt. Die muss nicht unbedingt immer nur auf traditio- 2000 bis 2005 war er Vi- kar und Pfarrer der EKKW im Foto: privat Bewegung kam übrigens eher von außen über nellen Pilgerwegen sein, sondern kann auch auf Kirchenkreis Hanau-Land, danach im die evangelische Kirche. Beim Pilgern begebe ganz normalen Wanderwegen stattfinden. Kirchenamt der EKD tätig als Referent ich mich auf einen alten Weg und entdecke Frei- für Struktur-/Planungsfragen sowie für heit in der Bindung, indem ich mich auf diesen Spuren zu festen Zeiten zusammen mit anderen bewege. Das ist eine typische evangelische Ein- ? Welche Pilgererfahrungen haben Sie per- sönlich auf welchen Wegen gemacht? Latzel: Ich bin leidenschaftlicher Wanderer Freizeit, Erholung, Tourismus. Ab 2007 leitete er das Projektbüro „Kirche im Aufbruch“. Seit 2013 ist Latzel Direktor sicht von Freiheit. Weil Glaube nicht nur Kopf- – immer wieder gern allein oder auch mit Freun- der Evangelischen Akademie Frankfurt. sache ist, sondern Freude an der Schöpfung ein- den zusammen. Etwa auf dem E5 über die Al- schließt, erfahre ich mich im Gehen als jemand, pen, auf einer Rundstrecke durch die Pyrenäen der an der Schöpfung teilhat – in Gemeinschaft oder auf Mallorca über den wunderschönen Tra- mit anderen. Dabei erlebe ich eine positive Ge- muntana-Trail. Das sind nicht unbedingt Pilger- genwelt zu meinem Alltag, wo ich zum Beispiel wege. Aber ich wandere und habe immer Gott oft bewegungslos im Stau stehe. mit dabei, besser gesagt: Gott ist mit mir dabei. Wenn man so auf einem Berggipfel steht und ? Sie verstehen Protestantismus so gese- hen als eine große Pilgerbewegung? Latzel: Ja, so wie Luther es meinte: Christ- in die Weite sieht, merkt man, wie klein manche Alltagssorgen doch sind. Wenn man in einem solchen Augenblick etwas von der Dimension sein ist kein Sein, sondern ein Werden. Wir sind der Ewigkeit spürt, bewegt mich das innerlich noch auf dem Weg. Und so wird die Wegerfah- doch sehr stark. l Fragen: Lothar Simmank rung, die ich beim Pilgern ganz körperlich ma- chen kann, auch eine innere Aufbruchserfah- Mehr zum Thema „Evangelisches Pilgern" Foto: Fotolia rung, nämlich mit anderen in Gemeinschaft auf von Dr. Thorsten Latzel lesen Sie auf unserer dem Weg zu einem großen Ziel zu sein. Homepage www.blickindiekirche.de blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2018 5
THEMA Die bunten Farben der Gastfreundschaft Seine erste Dienstreise für die Ausbildungshilfe führte Pfarrer Bernd Kappes nach Indien E s kommt nicht oft vor, dass man sich dem Land, aus dem seine Frau stammt. wie ein Staatsgast fühlt, oder wie Anstrengend waren die langen Auto- Brad Pitt. Genau das Gefühl hatte fahrten – 2.500 Kilometer – auf schlech- aber Pfarrer Bernd Kappes bei seiner ers- ten Straßen und harten Sitzen bei großer ten Dienstreise in seinem neuen Amt, die Hitze. Doch wenn man Bernd Kappes nach ihn nach Indien führte. Seit Anfang des seiner eindrücklichsten Erinnerung an die Jahres ist der 46-Jährige Geschäftsführer Reise fragt, spricht er von Pravaham. Das der Ausbildungshilfe, die – wie der Name ist ein Ort, an dem derzeit 43 junge Frau- verrät – Menschen in armen Ländern Bil- en Pflegehelferinnen werden, 20 werden dung und Ausbildung ermöglicht. von der Ausbildungshilfe unterstützt. Auf Reisen: Bernd Kappes zu Gast in Indien „Total entspannt.“ So beschreibt Kap- „Bevor ich hierherkam, wurde ich wie pes seinen ersten Eindruck von Indien, das Band, wenn auch – befremdlicherweise Staub behandelt“, hat eine Frau Kappes so anders auf ihn wirkte als etwa Mittel- für den Besucher – die Strophe „Deutsch- erzählt. Der Besuch habe ihm noch deut- amerika, wo er selbst gelebt hat. Dort wä- land, Deutschland über alles“. Nur einen licher gemacht, dass die Ausbildungshilfe re es nicht möglich, den Reisepass beim Tag dauerte der Besuch an der Schule — etwas zum Positiven verändert. Gang über den Flughafen mal eben in die und doch: „Es war ein Gefühl, als würde Denn neben den frohen Farben, dem hintere Hosentasche zu stecken – in Indien ich Freunde besuchen.“ guten Essen und den freundlichen Men- schon. Natürlich gebe es auch in Indien schen besteht Indien eben auch aus großer viel Gewalt, ein Blick in die Zeitung mache »Krasse, extreme Armut zu Armut. „Ein Haus für fünf, sechs Menschen das klar, und strukturelle Gewalt, etwa im ist so groß wie mein Schreibtisch“, erzählt sehen ist hart.« Kastensystem. Aber der erste Eindruck: to- er in seinem Büro im Landeskirchenamt. tal entspannt. Geschlafen wird draußen. Wie das gehe, Noch etwas fiel ihm ins Auge: die vie- Das Vertrauen war schnell gewachsen, wenn Monsunzeit ist, wisse er auch nicht. len Farben, die bunten Saris der Frauen. dabei hatte der Pfarrer zunächst Bedenken Kappes berichtet von mit Chemikalien Nicht zu vergessen das schmackhafte Es- gehabt, weil er natürlich auch als Geldge- vergifteten, stinkenden Flüssen, an denen sen allerorten. Und eben die große Freund- ber unterwegs war. In seinen bisherigen Wellblechhütten stehen, deren Bewohner lichkeit. Wenn man bei uns sagt, der Kun- Tätigkeiten, etwa für eine Menschenrechts- ihre Wäsche in der Brühe waschen. Mit der de sei König, gelte in Indien: „Der Gast ist organisation in Honduras, war es um juris- relativen Machtlosigkeit gegen diese Ar- Gott.“ Blumenketten und Schals bekam er tische und politische Hilfe gegangen, aber mut klarzukommen sei eine Herausforde- immer wieder umgehängt, beim Besuch nicht um Geld. Doch die Sorgen erwiesen rung. „Krasse, extreme Armut zu sehen ist einer Partnerschule der Ausbildungshilfe sich als unbegründet. hart“, sagt er. Man kann nachvollziehen, aber auch eine Kopfbedeckung, die ihn Die Unterkünfte während der Reise dass es mit diesen Bildern im Kopf gut tut, wie einen Maharadscha aussehen ließ. waren unterschiedlich. Mal ein gutes Ho- einer Frau zu begegnen, die dank der Hil- Die Schüler standen Spalier, als der tel, mal ein Zimmer „mit Bett und einem fe aus Kurhessen-Waldeck nicht mehr wie Gast aus Deutschland eintraf, Fotos mit Haken an der Wand“ und einem Eimer als Staub behandelt wird. l Olaf Dellit Kappes' Antlitz wurden hochgehalten Dusche. Das aber war für den Theologen Fotos: Bernd Kappes und die Nationalhymne erklang vom nicht neu, er kannte das aus El Salvador, www.ausbildungshilfe.de Farbenfrohes Indien: Blumenketten, wie es sie an vielen Ständen gibt, bekam Pfarrer Bernd Kappes immer wieder als Geste der Gastfreundschaft umgehängt. Besonders beeindruckt hat ihn sein Besuch bei einem Frauenprojekt in Pravaham (Bild in der Mitte). 6 blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2018
THEMA M an muss schon Glück haben, um sie zu »Man muss als Reisende Hause zu erwischen: ein Grundvertrauen in die Dr. Marianne Schneider (63), Menschen mitbringen, Kasseler Ärztin im Ruhestand, auch wenn die Sicher- ist viel unterwegs. Sehr viel, heitslage in dem Land um genau zu sein – und zwar in aller Welt. Freunde staunen, nicht so gut ist.« wenn sie hintereinander weg Reisen nach Island, Abu Dhabi, Nizza und Japan unternimmt in einem Zeitraum, in dem Die nächste Reisephase sie selbst es gerade mal bis kam mit der Lieblingssprache: in die Rhön geschafft haben. brasilianisches Portugiesisch. „Ich interessiere mich schon In Rio bewarb sie sich gewis- immer dafür, wie Menschen in sermaßen im Vorübergehen anderen Ländern denken und in Flip-Flops beim Pionier der handeln”, erklärt sie ihre aus- plastischen Chirurgie Prof. Ivo geprägte Reiselust. Pitanguy um eine Gastarztstel- le. Es klappte, aber nach ein Sprachen lernen, Vielreisende aus Kassel: Wenn die Ärztin Dr. Marianne Schneider paar Monaten musste sie sich Menschen begreifen im Iran unterwegs ist, trägt sie Abaya und Tschador entscheiden: entweder Brasi- lien oder eine HNO-Praxis zu Geweckt wurde diese, als sie im Alter von zwölf Jahren von ihren Eltern für vier Wo- „Das Abenteuer ist Hause in Kassel. Bis 2009 ar- beitete sie als Fachärztin, die auch ambulante plastische OPs chen zu Freunden nach London geschickt wurde. Dort lernte die Selbsterkenntnis” durchführte, in der Heimat. Aus gesundheitlichen Gründen das Schulmädchen nicht nur musste Dr. Schneider die Praxis die Beatles kennen, sondern auch die bun- Ihr Ziel auf ungezählten aufgeben, ist aber als Reisende seitdem te Multikulti-Welt der quirligen Metropole. Reisen durch fremde Länder keinesfalls im Ruhestand. Mit von der Par- Ein Schüleraustausch brachte die 16-Jäh- und Kulturen: in den Alltag tie sind oft Freunde oder ihr Mann: Tet- rige dann für ein Jahr nach Kalifornien. su Kido, gebürtiger Japaner, fährt gern in Ihr Ziel: weiter Spanisch lernen! Englisch der Menschen eintauchen, warme Länder, verweigert aber bei Zielen konnte sie ja schon, in Französisch wur- sich zugehörig fühlen wie Grönland oder Island die Begleitung. de sie auch immer besser. Die Sprachen Beide interessieren sich hingegen sehr für – Grundkenntnisse in Arabisch und Farsi Fundstück aus St. Tropez: die Architektur und die politischen Verhält- kamen später noch dazu – erwiesen sich Reiseziele für alle Monate des Jahres nisse in den Reiseländern. als sehr nützlich bei Auslandsaufenthal- Gäbe es eine Liste mit ihren Trips, stün- ten, denn „nur so kann man die Mentalität den darauf noch einige Destinationen ih- der Leute unmittelbar begreifen”, betont rer „arabischen Phase”: Syrien, Libanon, Marianne Schneider. Oman, Iran und der Jemen. Überall geht Als Studentin durchlebte die Welten- es ihr darum, sich in den Alltag der Men- bummlerin eine „indische Phase”. Unter schen einzufinden. Deshalb kommen die anderem traf sie Baghwan Rajneesh in großen Touristenhotels als Unterkünfte Poona, als der noch Universitätsprofessor auch meist nicht infrage. Das Essen wird und kein berühmter Guru war. Spirituell unterwegs besorgt, sie fährt in Bussen, anregende Begegnungen gehören seit- Zügen und Taxis, gern trägt sie auch ein- dem immer wieder mal zu den Reiseerfah- heimische Kleidung, um sich – auf Zeit – rungen der Kasselerin, etwa in Nepal oder zugehörig zu fühlen. Sri Lanka. Am stärksten beeindruckte sie Was ist der innere Antrieb für das Un- eine Reise in die indische Gebirgsregion terwegssein? „Neugier, unbeschwert mit Ladakh, ein Zentrum des tibetischen Bud- wenig Gepäck reisen. Ich möchte beim dhismus. 2014 versammelten sich dort Reisen auch etwas über mich selbst lernen, Fotos: privat viele Tausend Pilger, um den Dalai Lama nämlich wie ich mit Situationen umgehe”, zu sehen – Marianne Schneider war dabei. sagt die Ärztin. l Lothar Simmank blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2018 7
THEMA Unterwegs mit dem Bordseelsorger: Aus dem Fotoalbum von Pfarrer Gerhard Zinn Fotos: Gerhard Zinn
THEMA Wellen, Wind und wütende Warane Gerhard Zinn ist Seelsorger auf Kreuzfahrtschiffen und hat viel von der Welt gesehen E s klingt wie ein Traum: aus einem Ka- talog mit Kreuzfahrten eine aussu- chen und dann losreisen. Für Pfarrer Gerhard Zinn (Foto) ist das Realität, aller- dings nicht als Tourist, sondern als Bord- seelsorger. Ein älterer Kollege, der gerade sein 170. Land bereist hatte, erzählte von dieser Möglichkeit, und Zinn bewarb sich. Die Evangelische Fotos: Gerhard Zinn Kirche in Deutschland (EKD) lud ihn zu einem intensiven Gespräch ein, um zu prüfen, ob er für die Aufgabe geeignet ist. Es habe, erzählt In der Südsee: Pfarrer Gerhard Zinn ist als Bordseelsorger auf Kreuzfahrtschiffen im Einsatz, Zinn, auch schon Bordpfarrer gegeben, die im Alltag ist er Klinikpfarrer in Bad Zwesten die Passagiere für den Luxus beschimpft hätten, den sie an Bord genossen, oder die he. Dann kann der Pfarrer zum gefragten Wenn man Gerhard Zinn fragt, was ihn auf einer Kreuzfahrt Kriegsängste geschürt Ansprechpartner werden. am meisten beeindruckt habe auf den vie- hätten. Zinn erzählt die Geschichte einer jun- len Reisen, muss er lange nachdenken und Nach dem positiven Votum der EKD gen Frau, die in einer Zeremonie mit ihrem will sich nicht auf einen Moment oder ei- hatte Zinn die Qual der Wahl und ent- Mann das Liebesgelübde erneuern wollte. nen Ort festlegen. Da waren die Hafenein- schied sich zunächst einmal für die Ost- Was der Mann nicht wissen sollte: Sie war fahrten in New York und Sydney, die Fjorde see. Das war 2005, seitdem war der heute sterbenskrank. Für den Bordpfarrer keine Islands und Neuseelands, besonders aber 62-Jährige 25 Mal per Schiff unterwegs. leichte Aufgabe. Die erste Reise nach dem der größte buddhistische Tempel der Welt „Die Kirche will Menschen auch dort errei- Tod des Mannes, der jahrelange Konflikt auf Java, der „wie ein gigantisches gestran- chen, wo sie glücklich sind“, beschreibt er mit dem Sohn – solche Probleme haben detes Ufo mitten im Dschungel“ liegt. das Anliegen der Bordseelsorge. viele Passagiere mit im Reisegepäck. Gar nicht nachdenken muss der Für Zinn hat sich inzwischen ein zwei- Kreuzfahrer, der im richtigen Leben Kli- tes Standbein ergeben, weil ein und dersel- »Der Blick auf das endlose nikseelsorger in Bad Zwesten ist, bei der be Pfarrer nicht so häufig von der EKD auf Frage nach einem echten Abenteuer. Meer bringt bedeutsame See geschickt wird. An Bord hatte er immer Es war auf der indonesischen Insel Komo- wieder auch Vorträge gehalten, unter an- Dinge ganz nahe.« do, wo die Komodo-Warane leben: zwei derem zu Kommunikation und Resilienz. bis drei Meter lang, schnell und stark und Irgendwann fragte ihn eine Reederei, ob er Doch die Arbeit an Bord ist natürlich dann auch noch mit einem tödlichen Gift auch im „Lektorat“ arbeiten und Referate auch mit Zeiten der Ruhe bei Meerblick ausgerüstet. Zinn begleitete die Touristen- über Land und Leute halten würde. Zinn verbunden, mit wunderbaren Eindrücken gruppe, die als erste im Revier der Warane sagte gerne zu und sieht darin auch eine rund um die Welt, die Zinn gerne foto- unterwegs war. Doch offenbar waren die gute Perspektive für den Ruhestand. grafisch festhält, und mit Begegnungen Tiere noch nicht auf Besuch eingestellt, Es gebe schon manchmal Neid von – darunter mit Prominenten wie Harald denn ein Waran ging in Angriffsstellung. Kollegen, räumt er ein und betont, dass er Schmidt, der auch im echten Leben so Die Wildhüter hätten nur noch geru- „demütig und dankbar“ für die Aufgabe herrlich ironisch, aber zugleich nahbar sei. fen: „Lauft! Lauft!“ Zinn schoss sogar noch sei. Zugleich sei es aber keine Urlaubsrei- Zinn ist sich bewusst, dass Kreuzfahr- ein Foto vom Waran, bei dem der Giftzahn se, sondern „manchmal auch harte Kost“. ten nicht gerade als umweltfreundlich gel- deutlich zu erkennen ist. Und als er später Beim Blick auf das endlose Meer kämen ten. Aber immerhin gebe es Bestrebungen einem Kreuzfahrt-Freund von dem Aben- den meisten Menschen die Lebensthemen, von Reedereien, das zu verbessern, etwa teuer erzählte, sagte der nur lapidar: „So die wirklich bedeutsamen Dinge, ganz na- durch Schiffe mit Hybridantrieb. werden Kabinen frei.“ l Olaf Dellit Linke Seite von oben links: Zinns Tochter in Malaysia, Myanmar, New York City, Oman, Insel Nuku Hiva im Pazifik, Island, New York City, wütender Komodo-Waran und Sonne auf hoher See blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2018 9
Im Duckdalben (von links unten im Uhrzeigersinn): Diakon Jan Oltmanns, philippinische Seeleute im Hafen liegt, Blick in den multireligiösen Andachtsraum, Rettungsringe sind ein Mitbringsel der Oase mitten im Hafentrubel: Die Seemannsmission in Hamburg ist beliebter Anlaufpunkt S tille. Plötzlich Stille inmitten dieses See eine kleine Minderheit): Sie können riesigen Hafengeländes, wo es immer günstig in die Heimat telefonieren oder dröhnt und scheppert und rattert, wo – noch besser – das kostenlose W-Lan be- Container von riesigen Hebebrücken ver- nutzen. So sieht man in vielen Ecken die laden werden, wo sich ein Lastwagen am Männer sitzen, ihr Handy in der Hand oder anderen durch dreispurige Straßen quält den Laptop vor sich, im Gespräch mit Frau, und Züge vorbeidonnern. Stille auf einigen Kindern oder Geschwistern in der Heimat. Quadratmetern in den Räumen der Ham- In sehr vielen Fällen heißt die Heimat Phi- burger Seemannsmission. lippinen – mehr als ein Drittel der fast ei- Der Raum der Stille ist ein Andachts- ne Million Seeleute, die seit der Gründung raum, in dem auf wenigen Quadratme- 1986 den Club besucht haben, stammen tern die Gläubigen vieler Religionen ihre von dort. Nische haben: Taoisten, Sikhs, Hindus, Na- turreligiöse, Buddhisten, Juden, Christen »Die Seefahrt hat und Muslime. „Wenn Gott allmächtig ist, mit Romantik nie etwas und daran glaube ich, und es verschiedene Religionen gibt, dann muss das einen Sinn zu tun gehabt.« haben“, sagt Jan Oltmanns. Der Diakon ist einer der Hausherren und Urgestein des Im Duckdalben – der Begriff bezeich- Hamburger Seemannsheims Duckdalben. net eigentlich in den Hafenboden einge- Nicht nur wegen der fast völligen Stille rammte Pfähle zum Vertauen von Schiffen wirkt der Seemannsclub wie eine Oase im oder als Markierung – finden die Seemän- Trubel des drittgrößten Hafens in Europa. ner Ruhe, Spielmöglichkeiten, zu essen und Das neben den gigantischen Kränen win- zu trinken (besonders beliebt sind Pferde- zig wirkende Haus ist vor allem für täglich wurst und Bier), aber auch Rat und Hilfe mehr als 100 Seeleute ein Ort der Ruhe, durch die Haupt- und Ehrenamtlichen der der Freizeit und vor allem des Kontakts in Seemannsmission. die Heimat. Jan Oltmanns erzählt von einem ak- Denn das ist vielleicht das wichtigste tuellen Fall. „Ich kann nicht mehr“, hat- Angebot für die Männer (Frauen sind auf te ihm ein Seemann am Morgen gesagt. 10 blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2018
THEMA Die Maschine muss laufen Nur ein paar Stunden waren Marvic Fa- rabier (rechts im Bild) und Mark Dennis m. Aquino im Duckdalben, dann mussten sie wieder an Bord des Kohlefrachters Ro- bert Oldendorff. Die Arbeit sei schon hart, sagen die beiden Filipinos, 20-Stunden- Schichten keine Seltenheit. Schweißen, Reinigen, Reparieren, dafür sorgen, dass die Maschinen immer laufen, das sind die Aufgaben der beiden Filipinos. Als sie in Hamburg ankommen, haben sie schon zwei Monate an Bord hinter sich – Farabier ist seit fünf Jahren Seemann, Aquino seit drei Jahren. Ihr Ziel ist es, durch die Arbeit genug Geld zusammenzubekommen, um ir- im Club, ein Seemann hält per Laptop Verbindung in die Heimat, ein Seemann zeigt, wo sein Schiff gendwann eine eigene Familie zu gründen Besucher, Hebebühnen für Container und ein Geschäft auf den Philippinen zu eröffnen – was für eines, wissen sie noch Seemannsclub Duckdalben nicht. Viele Seeleute haben diesen Traum, weiß Diakon Jan Oltmanns. Doch längst nicht alle schafften es. Die Bezahlung sei für fast eine Million Seeleute seit der Eröffnung 1986 zwar für die Verhältnisse der Herkunftslän- der meist gut, aber die Familien stellten Der Mann sei elf Monate an Bord gewe- Und Tantzscher hat immer ein paar oft Ansprüche, und es gelinge auch nicht sen, der Vertrag habe aber nur für neun Kartenspiele dabei, um den Seeleuten jedem, das Geld beisammenzuhalten. Im Monate gegolten – seine Kräfte reichten Tricks beizubringen, das hilft gegen die Duckdalben haben die beiden Souvenirs nicht mehr. Der Reeder habe ihn am Te- Langeweile. Wenn ihn dann ein Kellner auf eingekauft: Tassen, Schlüsselringe, Kühl- lefon glatt angelogen, erzählt Oltmanns einem Kreuzfahrtschiff, den er nach zwei schrankmagnete – so reist die Wappen- entrüstet, und behauptet, der Seemann Jahren wiedersieht, umarmt, dann ist das tier-Ente aus Hamburg auf vielen Schiffen habe selbst um Verlängerung gebeten. Olt- Lohn für die Mühe. um die ganze Welt. Umgekehrt lassen die manns brachte den Mann zum Arzt, der Dignity – Würde, das ist das Schlüssel- Seeleute oft Andenken im Club, darunter ihm die Arbeitsunfähigkeit bescheinigte. wort im Seemannsheim. An Bord, erzäh- 100 Rettungsringe. Farabier und Aquino Das bedeute, dass die Reederei ihm nun len Tantzscher und Oltmanns, werden die sind unterdessen längst wieder unterwegs den Heimflug bezahlen müsse. Männer mit ihrem Rang, mit ihrer Funkti- – zwei Tage nach ihrem Stopp in Hamburg Das Leben an Bord ist hart. Wer Bilder on, angesprochen – als Oiler („Öler“), Ers- ist die Robert Oldendorff irgendwo vor der im Kopf hat, wie der Seemann nachts auf ter Offizier oder Master. Im Club sind die dänischen Nordspitze. l Olaf Dellit den Ozean blickt und seine Klampfe her- Männer wieder Individuen mit einem Na- ausholt, weiß nichts von der Realität. „Die men, mit ihrem Namen. Es rühre sie oft zu Seefahrt hat mit Romantik nie etwas zu Tränen, wenn sie so angesprochen werden. tun gehabt“, sagt Oltmanns, „aber es gibt Den ganzen Tag über flitzen die Klein- Menschen, die gerne auf See arbeiten.“ busse des Clubs durch das Hafengebiet Die Schattenseiten der Seefahrt – 80 und holen die Crews an den Schiffen ab Prozent aller Produkte des Alltags werden oder bringen sie zurück, anders würden übrigens per Schiff transportiert – kennt sie es in den oft wenigen Stunden im Ha- auch Werner Tantzscher, Ehrenamtlicher im fen gar nicht zum Duckdalben schaffen. Duckdalben. Er besucht regelmäßig See- „VIP-Shuttle“ steht auf den Bussen – und leute, die in Hamburg ins Krankenhaus das sind sie, die auf See vor allem Arbeits- müssen, und hilft ihnen dort. Er klärt mit kräfte ohne Namen sind, hier wirklich für Alle Fotos: medio.tv/Dellit dem Personal, was der Patient essen kann ein paar Stunden: very important persons – oder auch nicht („Mit Schwarzbrot und – sehr wichtige Menschen. l Kartoffeln können Sie einen Inder nicht Olaf Dellit glücklich machen“) – und sorgt dafür, dass www.duckdalben.de die Wäsche gewaschen wird. www.dsm-harburg.de blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2018 11
THEMA Ökobilanz des Reisens Unterwegs mit Kreuzfahrtschiff, Flugzeug, Auto, Zug, Bus, Fahrrad und zu Fuß – ist es egal, wie wir das Reiseziel erreichen? Pfarrer Stefan Weiß, Klimaschutzbeauftrager der Landeskirche, sagt: „Es spielt eine Rolle, wie wir reisen.” D eutschland hat von Jahresbeginn Emissionen sogar unter das bis Ende März 2018 so viel klima- Niveau von Reisebussen schädliche Treibhausgase ausge- oder Zügen. Grafik: www.nachhaltiger-warenkorb.de/themen/fliegen-mit-gutem-gewissen/ stoßen, wie nach dem Pariser Klimaab- Kreuzfahrtschiffe sorgen für Schlag- ist das Gegenteil zu beobachten: Wandern, kommen für das ganze Jahr erlaubt wäre zeilen wie „Ein Schiff verursacht so viel Pilgern und Radreisen liegen im Trend. Das – nämlich 217 Millionen Tonnen. Es droht Luftschadstoffe wie 20 Millionen PKW“. ist gut. Fahrräder und Wanderschuhe ver- ein Bild wie 2017: Da wurden 904,7 Mil- Dies betrifft in erster Linie den Ausstoß ursachen keinen Lärm und keine gesund- lionen Tonnen Treibhausgase freigesetzt. von Stickoxiden und Feinstaub, aber auch heits- und klimaschädlichen Emissionen. Während die Emissionen im Energiebe- wegen der Treibhauswirkung ist eine Laufen und Radfahren sind die fortschritt- reich zurückgingen, stiegen sie im Ver- Schiffsreise nicht zu empfehlen. Dies zeigt lichsten und gesündesten Arten, Urlaub zu kehrssektor um 2,3 Prozent an. die Grafik (unten), die mit dem Emissions- machen. Und es gibt keineswegs mitleidi- Es spielt eine Rolle, wie wir reisen: Im rechner von atmosfair.de erstellt wurde. ge Blicke, wenn man erzählt, was man auf Gegensatz zur Flugreise kann man die Kli- Zusammengefasst könnte man sagen, dass einer Radreise oder einem Pilgerweg erlebt mawirkung des Autos beeinflussen. In der man seine Klimabilanz am gründlichsten hat. Da werden auch Vielflieger nachdenk- Grafik (oben) ist ein PKW mit einem CO2- durch eine Kombination von Anreise mit lich und fragen sich: Bei welcher Art Ur- Ausstoß von 140 g/km zu Grunde gelegt. dem Flugzeug zu einer Kreuzfahrt ruiniert. laub zu machen spüre ich mehr, begegne Ist eine Person mit einem großen Auto ich ehrlicher, bin ich verantwortlicher? mit einem CO2-Ausstoß von 210 g/km un- Neue Sesshaftigkeit als Lösung? Dennoch wird nicht jeder auf Flugrei- terwegs, ist sie auf gleicher Strecke nicht sen verzichten. Auch die kirchliche Arbeit klimafreundlicher als das Flugzeug. Fah- Der Siegener Volkswirt Nico Paech mit ihren Partnerschaften, Missions- und ren Sie umgekehrt in einem mit vier Per- sagt in diesem Zusammenhang: „Die Welt Hilfswerken verursacht eine Fülle von Flug- sonen besetzten Elektro- oder Erdgasauto stirbt an Heuchelei! Wer die Flugreisen reisen. Wird der Klimawandel als größtes mit Ökoenergie, drücken Sie die Pro-Kopf- nicht angeht, soll nicht über globale Ge- Zukunftsproblem in den Mittelpunkt rechtigkeit und Klima- gestellt, darf dies nicht so bleiben. Jede schutz reden.“ Auf die Flugreise muss auf den Prüfstand gestellt Frage, wie das in einer werden: Ist sie notwendig? Kann ich die globalisier ten Welt CO2-Belastungen, die neben der Anreise denkbar sei, fordert er entstehen, gering halten? auf, die Klimafragen Die Evangelische Kirche von Kurhes- persönlich ernst zu sen-Waldeck kompensiert seit Jahren die Kreuzfahrtschiffe nehmen. Dazu kann CO 2-Belastungen durch die Flugreisen eine neue Sesshaftig- über die Klima-Kollekte, den CO2-Kom- keit ebenso gehören pensationsfonds christlicher Kirchen. Die wie die bewusste Ab- Zahlungen werden in Entwicklungsländern lehnung immer wei- investiert und verringern den CO2-Ausstoß terer und exotischerer durch Klimaschutzprojekte kirchlicher Or- Reiseziele. Menschen, ganisationen. Aber die Klima-Kollekte die konsequent anders weist selbst darauf hin, dass hier kein handeln, hätten ei- neuer Ablasshandel entstehen darf: „CO2 ne unschätzbar große kompensieren reicht bei Weitem nicht, um Wirkung als „Kommu- die schlimmen Folgen des Klimawandels nikatoren und leben- abzuwenden. Es ist höchste Zeit, unseren de Beweise für einen hohen Energieverbrauch gezielt und syste- kulturellen Wandel“. matisch zu reduzieren.“ l Stefan Weiß Neben der Vielfliegerei Infos: www.klima-kollekte.de 12 blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2018
GLOSSE Immer wieder montags, rundherum ... Wandern in der Dauerschleife: Zu zweit zum siebten Mal auf dem Kassel-Steig Z um wievielten Mal??”, fragen sie immer nach. Zum siebten, sagen wir möglichst neutral. Man staunt ... Es stimmt, mei- »Wie ein altes Ehepaar, ne Freundin und ich laufen seit Jahren die immer gleichen das Jahr für Jahr Wandertouren auf dem Kassel-Steig. Der KS, wie er auf den weiß- an den Wörthersee fährt ...« blauen Schildchen abgekürzt wird, ist 160 Kilometer lang, führt rund um das Kasseler Be- cken, also um die Stadt Kassel und seine umlie- ein singendes Schulkind genden Gemeinden und auf dem Heimweg, eine verbindet sie als Region freundliche Reiterin, ein auf einem Panoramaweg. rauchender Anwohner, Bei vielen nordhessi- der unsere Wasserfla- schen Naturfreunden und schen auffüllt. weit darüber hinaus be- Und immer wieder die kannt, bei anderen noch grandiose Weitsicht, Kas- immer eine blinde Strecke, sel mittendrin: Wir ma- ist der KS für uns inzwi- chen Mini-Reiseanekdoten schen vertraut, geliebt, daraus. In fünf Jahren ha- erkämpft. Ja, er ist eine ben wir kleine Dorfmetz- kleine Lebensader gewor- gereien verschwinden den: Immer montags früh sehen, bestimmte Bäcke- starten wir, wenn es der rei-Verkäuferinnen lieb Kalender zulässt, mit Bahn gewonnen und über voll- oder Bus. verkachelte Einfamilien- Am Herkules geht es haus-Vorgärten gegrinst, los mit Abschnitt eins, haben unseren tausends- und hier beginnen auch Zeichnung: Reinhild Kassing ten KS-Kilometer mit ei- die Traditionen. Vor jeder nem Piccolo gefeiert und neuen Runde muss der Busfahrer der Linie 22 ein Startfoto von den ersten Advent mit einer Kerze im Moos. Wir haben uns Ge- uns schießen – von zwei grauhaarigen Rucksack-Frauen in Wan- schichten von heute und früher erzählt und waren manchmal so derschuhen und mit meist unglaublich guter Laune. Denn da ins Gespräch vertieft, dass wir uns noch in Runde fünf verliefen. liegt sie vor uns, die herrliche Strecke: mal im grünen Mai, mal Wir haben gewettet, ob hinter der nächsten Kehre diese oder jene im heißen August, gern im milden September, oft aber auch im Aussicht kommt – und manchmal beide verloren. nasskalten November oder bei Schnee. Es fing zufällig mit einer Spannend, oder? Wer hier nickt, wird verstehen, welch großen Test-Tour an und lässt uns nun nicht mehr los. Spaß wir hatten, Runde sieben „andersrum” zu laufen, gegen den Manchmal karikieren wir uns: „Wie ein altes Ehepaar, das Uhrzeigersinn: Alles wie neu! Bald beginnt Runde acht. Und kein Jahr für Jahr an den Wörthersee fährt.” Aber viel öfter rufen wir: Ende abzusehen ... l „Ich beneide mich selbst!” – wenn wir mal wieder keine Men- Anne-Kathrin Stöber schenseele im Wald getroffen haben, wenn unsere Lieblingsbank noch steht, wenn wir schon heute dorthin sehen können, wo wir KASSEL-STEIG nächste Woche weiterwandern werden, und natürlich wenn der Supermarkt am Ende der Tour ein kühles Bier bereithält. Der Kassel-Steig wurde 2013 zum 1.100. Tatsächlich gibt es auch Minuspunkte bei unserem Dauerhob- Jubiläum der Stadt und zum 130. Geburtstag by: Montags haben die wenigen Gaststätten zu, die es auf den des Hessisch-Waldeckischen-Gebirgsvereins Dörfern noch gibt. Bis auf kulturhistorische Hinweistafeln, Aus- eingerichtet. Er ist auf allen zwölf Etappen mit sichtspunkte, Windkraftanlagen und Grillplätze könnte der Weg dem ÖPNV erreichbar. Es gibt ein Handbuch und eine Wanderkarte. Unwissenden streckenweise als reizarm erscheinen. Aber nicht www.kassel-steig.de so uns: Wir finden abenteuerlich, was uns begegnet, und sei es blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2018 13
THEMA Schöner tagen Mit einem übergreifenden Konzept will die Landeskirche ihre Tagungshäuser neu aufstellen M it ein wenig Abstand von zu Hau- und das Kloster Germerode. Darüber hin- Internet deutlich gemacht und so die Kun- se lässt es sich besser tagen. Von aus gibt es noch eine Reihe Tagungshäu- den für unterschiedliche Destinationen be- dieser alten Weisheit lebt der Ta- ser und Freizeitheime von anderen kirchen- geistert werden – nach dem Werbeprinzip gungstourismus landauf, landab. Auch in nahen Trägern wie etwa dem CVJM. des „AIDA-Effekts”, wie Hungerland erläu- der Evangelischen Kirche von Kurhessen- Unter dem Motto „Tagen ist nett” sol- tert: „A wie Attention, I wie Interest, D wie Waldeck reisen Gruppen, Gremien und len die drei erstgenannten Häuser jetzt Desire und A wie Action.” Teams zu mehrtägigen Arbeitstreffen, mit einer gemeinsamen Dachmarke in Er- Wichtig ist für den neuen Geschäfts- Seminaren oder Freizeiten gern in kirchli- scheinung treten. Als neuer Geschäftsfüh- führer die gelingende Zusammenarbeit mit che Häuser, die ansprechende Räume und rer will Rüdiger Hungerland die Standorte Partnern vor Ort: Tourismusbüros, Natur- gute Verpflegung in schöner Umgebung Bad Hersfeld, Elbenberg und Brotterode parkzentren, Veranstaltern von Rad-, Wan- bieten. bündeln und für die Zukunft fit machen. der-, Bus- und Kanureisen – sie alle sollen Nachdem sich die Kirche in der Vergan- „Dabei stehen besonders unsere Mitarbei- mit ihren Angeboten auch den kirchlichen genheit meist aus finanziellen Gründen tenden sowie die bauliche Infrastruktur im Tagungsgästen zur Verfügung stehen, da- von einigen ihrer Freizeitheime getrennt Mittelpunkt”, sagt der Betriebsmanager, mit der Aufenthalt für Kinder, Jugendliche, der die bislang Erwachsene, Familien und Senioren attrak- meist ehrenamt- tiver wird. Der Wandel vom Freizeitheim lich arbeitende zur Tagungsstätte soll nicht nur im Na- regionale Füh- men stattfinden, sondern der Imagewan- Unter einer Dachmarke sollen die kirchlichen Tagungshäuser der EKKW (v. l.) Jugendbildungsstätte Frauenberg in Bad Hersfeld, Ev. Freizeit- heim Elbenberg Haus Waldeck-Marburg und Ev. Familienerholungs- und Bildungsstätte Haus am Seimberg in Brotterode verwaltet und vermarktet werden. Präsentiert werden sie auf einer neuen Homepage, die demnächst freigeschaltet werden soll: www.tagen-ist.net hat, bleiben für Buchungsinteressenten rungsstruktur ersetzt. Ein Ziel dabei: Die del müsse erlebbar werden, wünscht sich kirchliche Häuser in Bad Hersfeld, Elben- Belegung der Häuser soll verbessert wer- Hungerland, der auch an neue Verpfle- berg und Brotterode (s. Fotos) sowie die den, eine Auslastung von mindestens 70 gungsmodelle denkt. Nach dem Vorbild Fort- und Ausbildungsstätte Kifas in Kas- Prozent werde angestrebt. Hungerland will der deutschen Jugendherbergen könne sel-Bad Wilhelmshöhe, die Evangelische Ta- die Objekte professionell bewerben und der Wandel zu einem zeitgemäßen Über- gungsstätte Hofgeismar, die Kirchenmusi- für neue Zielgruppen öffnen. Die Stärken nachtungskonzept gelingen. l kalische Fortbildungsstätte in Schlüchtern und Besonderheiten der Häuser sollen im Lothar Simmank 20 JAHRE HAUS AM SEIMBERG Rüdiger Hungerland (54) ist seit Angang 2018 im Kasseler Landes- kirchenamt als neuer Geschäftsführer für die Tagungshäuser der EKKW Am Samstag, 23. Juni, feiert das Haus zuständig. Der technische Betriebsmanager war zuvor Leiter eines am Seimberg in Brotterode sein 20-jähri- ÖPNV-Verkehrsunternehmens. Bei der strategischen Neuausrichtung ges Bestehen als Familienerholungs- und geht es um die Zukunft der Mitarbeitenden, die bauliche Infrastruktur Bildungsstätte. Um 11 Uhr geht’s los mit einem Festgottesdienst, nachmittags steht der Objekte und um die Vermarktung an vorhandene und neue Kundengruppen. „Familie in Bewegung” auf dem Programm. Kontakt: T 0561 9378-303, ruediger.hungerland@ekkw.de Infos: www.haus-am-seimberg.de 14 blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2018
THEMA Ungewöhnliche Urlaubsunterkunft Kirche als Ferien- haus zu vermieten Der Holländer Paul de Cock rettete zwei alte Kirchen im Nordwesten von Friesland vor dem Verfall und führte sie einer touristischen Nutzung zu Vermieter Paul de Cock Das ehemalige reformierte Kirchengebäude in Oosterbierum Fotos: medio.tv/Simmank U mgeben von Äckern steht die kleine ßenterrasse wurden eingebaut, und gemüt- besonders über den Billiardtisch aus dem Kirche eher unscheinbar im hollän- lich möbliert steht bis zu sieben Gästen, Jahr 1888, dem Baujahr der Kirche. Und dischen Oosterbierum. Anders als die seit über zehn Jahren buchen können, der Denkmalschutz? „Der ist bei uns sehr die große Sint-Joris-Tsjerke, die ein paar nun ein Feriendomizil der ganz besonderen streng”, sagt de Cock, „aber diese Kirche Schritte weiter ihren hohen Turm in den Art zur Verfügung. ist kein Denkmal.” Himmel reckt, wurde das Versammlungs- „Ich habe Respekt vor dem Gebäude”, Inzwischen hat der Ferienhaus-Vermie- haus der reformierten Gemeinde nicht sagt de Cock, „es ist etwas Besonderes – ter eine zweite Kirche in Easterwierrum mehr gebraucht, seit die protestantische und es bleibt auch nach dem Umbau die gekauft, einige Kilometer weiter südlich. Kirche in den Niederlanden 2004 ihr his- Kirche von Oosterbierum.” Vielen Dorfbe- Diese ist rollstuhlgerecht, hat einen Trep- torische Spaltung überwand. Eine Kirche wohnern, insbesondere solchen, die nach penlift und ist auch aufgrund ihrer Größe für die 550 Dorfbewohner musste reichen besonders für Behindertengruppen geeig- – und eine blieb ungenutzt übrig. net, berichtet Paul de Cock. Als Paul de Cock (55), Inhaber eines »Diese alten Kirchen Die Touristen, unter ihnen viele Deut- Kommunikationsbüros, die Kirche kaufte, zu vermieten ist geschäftlich sche, schlafen entspannt in „de Kraak van übernahm er ein renovierungsbedürftiges aber auch menschlich van Dam”. Und im Pfarrgarten finden sie Gebäude, in dem alles enthalten war, was sogar ein Hühnerhaus, aus dem sie frische eine Kirche zur Kirche macht: Unter der interessant.« Frühstückseier holen können. Nachts kann prächtigen Gewölbedecke stand die Kan- man von der Kirche aus den Leuchtturm zel, auf der Empore eine nicht mehr funk- USA oder Kanada ausgewandert sind der Insel Ameland sehen. Leeuwarden, in tionierende Van Dam-Orgel. Sogar die an und als Heimaturlauber ihre alte Kirche diesem Jahr europäische Kulturhauptstadt, langen Stäben befestigten Klingelbeutel besichtigen wollen, gewährt der neue ist eine halbe Stunde entfernt, Amsterdam und die Liedanzeigetafel standen noch im Besitzer gern Zugang zu dem Sakralbau. eine Stunde. Die meisten Gäste aber su- Raum. Der neue Besitzer ließ alles drin und Regelmäßig veranstaltet er sogar größere chen Ruhe: „Schön, wenn das Wetter beschloss, in einem kleinen abgetrennten Treffen für ehemalige Gemeindemitglie- schlecht ist”, schrieb eine deutsche Fami- Teil sein Büro einzurichten und den größe- der in ihrer alten Kirche – vor zwei Jah- lie ins Gästebuch, „dann können wir hier in ren Teil der Kirche als Ferienhaus an zah- ren wurde hier Santa Claas gefeiert, und der Kirche bleiben!” l Lothar Simmank lende Gäste zu vermieten. Ein modernes die Besucher staunten nicht schlecht über Bad, Küche, Schlafzimmer sowie eine Au- die wohnliche Atmosphäre im „Kerksaal”, Infos: dekraakvanvandam.nl ievers.nl Fotos: de Cock So wird gewohnt: Kanzel, Empore und Orgel sind noch drin und teilen sich den Kirchenraum mit Sofas, Tischen, Betten und Einbauküche blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2018 15
THEMA Am liebsten an die See Reisen mit behinderten Menschen: bdks-Beratungsbüro für Teilhabe und Freizeitgestaltung K ein Zweifel – es gibt flotter klingen- „Möglichkeiten und Gefahren des Inter- ten Ziele, aber auch nach Bayern, an den de Namen für Reisebüros als die- nets” sind nur einige der Kurstitel. Bodensee, nach Bulgarien oder Kroatien sen: „Beratungsbüro für Teilhabe Die Angebote gehen über ein bis drei können Menschen mit geistiger (und kör- und Freizeitgestaltung”. Der Titel an der Tage, finden in der Region statt oder sind perlicher) Behinderung mit dem Veranstal- Tür im ersten Stock der Adresse Markt 5 mit kleinen Fahrten nach Eisenach („Auf ter Kochsberg Reisen in die Ferien fahren. im Haus der Begegnung in Baunatal liest den Spuren Luthers”) oder nach Dortmund Dieser Veranstalter der „Werraland sich zwar ungewöhnlich, aber das hier ist verbunden („Sicherheit und Hygiene an Ambulanten Dienste” in Eschwege arbei- auch ungewöhnlich: ein Raum mit beson- der Arbeitsstelle und im Haushalt”). Stets tent mit dem bdks-Büro zusammen und derer Dienstleistung für besondere Men- wird in kleinen, überschaubaren Gruppen ist spezialisiert auf Reisen mit Begleitung. schen – angeboten „Das bedeutet bei uns von einem Menschen immer: mit Fachper- mit besonderem En- sonal”, betont Büro- gagement. Konkret: leiter Klaus Stephan. Hier sitzt Klaus Bert- So ist die Betreuung ram (62), gelernter der Reisenden durch Erzieher mit Zusatz- geschultes und erfah- ausbildung Sozialma- rene Helfer gesichert; nagement, der viele etwa 40 Untertützer Jahre Wohnheimlei- hat Stephan dafür zur ter bei der Baunata- Verfügung. Da hier ler Diakonie Kassel ebenfalls in kleinen (bdks) war. Seit eini- Gruppen von sechs bis gen Jahren aber küm- sieben Personen ver- mer t er sich quasi reist wird mit je zwei im Ein-Mann-Betrieb bis drei Begleitern pro Foto: Kochsberg-Reisen um etwas, das die Fahrt, kann man „vor Heimbewohner und Ort flexibel sein” und Mitarbeiter in den viel unternehmen. Werkstätten der bdks Ziele sind oft Or- in ihrer Freizeit tun te und Häuser, „wo können: Reisen und wir uns frei entfalten In der Gemeinschaft einer begleiteten Gruppe zu reisen macht Spaß Weiterbildung. können”, erklärt er – also etwa Feriendör- Smartphone, verreist (6 bis 14 Teilnehmer) – und bei fer oder Jugendherbergen auf Städterei- Kochen, Umwelt 80 Prozent davon ist Klaus Bertram selbst sen. Seit zweieinhalb Jahren wächst der als Begleitperson dabei. Hier können Teilnehmerkreis ständig an, zuletzt bis auf Alle 1.350 Werkstätten-Mitarbeite- Menschen mit psychischen und geistigen 250 im Jahr. Neben einem Grundpreis rinnen und -Mitarbeiter mit Handicap – Behinderungen gemeinsam mit anderen müssen die Teilnehmer je nach Betreu- und in Ausnahmen auch andere, die mit- etwas erleben, von in- und externen Do- ungsstufe weitere Kosten tragen, die in machen wollen – können sich bei Klaus zenten lernen und einmal einige Tage mit manchen Fällen (wie etwa bei Verhinde- Bertram dazu beraten lassen. Fünf Tage anderen unterwegs sein. Bertram: „Lebens- rungspflege) von den Krankenkassen über- Bildungsurlaub stehen jedem Arbeitneh- langes Lernen ist wichtig!” nommen werden. mer jährlich zu; Bertram hat ein Jahres- Infos: www.bdks.de Beratung rund um die Reisen gibt es programm mit fast 40 Angeboten dazu bei Klaus Bertram in Baunatal (klaus.bert- entwickelt, das 2017 von 450 Menschen ram@bdks.de). Der „Reiselust”-Katalog ist genutzt wurde, und das die Teilhabe in Be- Reisen mit Begleitung erhältlich über Klaus Stephan. l ruf und Leben erleichtern soll. „Wie benut- ze ich mein Smartphone richtig?”, „Kochen Wenn es weiter weg gehen soll, kann www.kochsberg-reisen.de und Backen mit Profis”, „Freundschaft, Klaus Bertram auch helfen: nach Mallorca, Partnerschaft, Liebe und Sexualität” und an die Ost- oder Nordsee, so die beliebtes- Anne-Kathrin Stöber 16 blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2018
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