Es lebe die Biene - DAS GOETHEANUM WOCHENSCHRIFT FÜR ANTHROPOSOPHIE - Landwirtschaftliche Tagung 2014
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Es lebe die Biene Landwirtschaftliche Tagung 2014 DAS GOETHEANUM WOCHENSCHRIFT FÜR ANTHROPOSOPHIE AUSGABE Nr. 15-16 · 11. April 2014
takte Sind Waldorfschüler gesünder? Vorhang auf! ››› Freie interkulturelle Waldorfschule Berlin – Bis Mai soll es so weit sein, dass Die Auswirkungen von Schule und Unter- Neue Goetheanum-Bühne richtsmethodik auf die Gesundheit waren Der Abbruch der alten Goetheanum-Büh- der Schulbetrieb nach den Sommerferien Thema einer Veranstaltung von ‹Waldorf- ne ist abgeschlossen. Innerhalb des orga- aufgenommen werden kann. Bis dahin pädagogik aktuell› auf der diesjährigen nischen Goetheanum-Baus wird der neue muss das Gründungsteam vollständig, didacta in Stuttgart. – In der Studie, wel- Bühnenrohbau als Kubus erkennbar. Die ein Gebäude gefunden, das Genehmi- che in Zusammenarbeit mit der Berliner Sanierung umfasst zusätzlich zur Bühne gungsverfahren beendet, die Rechtsform Charité durchgeführt wurde, waren 1100 die Fassade im Süden und Westen sowie eingetragen und die Öffentlichkeit infor- Absolventen von Waldorfschulen im Alter die Terrasse des Goetheanum. Von den miert sein. – Es könnte gelingen! Um mit von 20 bis 80 Jahren mit Fragebögen nach veranschlagten Gesamtkosten in Höhe von mehreren Klassen beginnen zu können, ihrem Gesundheitszustand befragt und mit 13,5 Millionen Franken sind bereits 11 Mil- einer Kontrollgruppe von 1700 Absolventen lionen finanziert. Nach der Sanierung wird werden noch weitere Lehrer und Erzieher anderer Schulen verglichen worden. Gefragt die Bühne auf dem neusten Stand der Tech- gesucht. ››› FiBL-Mitarbeiterin gewinnt wurde nach 16 chronischen Erkrankungen nik sein. Die Aufhängung der oberen Büh- Bio-Grischun-Preis 2014 – Anet Spengler sowie zahlreichen Beschwerden. Unter- nenstruktur ist eine Innovation: Weltweit analysierte 99 Bio-Milchviehbetriebe auf schiede ergaben sich in der genannten erstmals werden Messsonden laufend die ihre dem Standort angepasste Zucht. Im Studie unabhängig vom Gesundheitsver- Belastung am Betonträgerwerk einer Büh- Rahmen der großen Viehschauen anläss- halten wie Sport, Ernährung, Rauchen und ne messen. Die Hubpodien erlauben lokal lich der Landwirtschaftsausstellung ‹agri- Alkoholkonsum und auch vom Bildungs- unterschiedlich einstellbare Höhen ebenso scha - Erlebnis Landwirtschaft› präsentiert stand des Elternhauses. Frühere Studien wie das Einrichten einer Schrägbühne für aus dem Ausland hatten Waldorfschü- die Eurythmie. Neu kann außerdem der sie seit vier Jahren besonders standort- lern bereits eine bessere gesundheitliche Portalbereich weiter und flexibler geöffnet gerechte Biokühe. – «Die Gewinnerin hat Verfassung attestiert. ANTROMEDIA/CC werden. Die Wiedereröffnung des Großen dank ihres hohen ‹i-Kuhs› wesentlich dazu Saals ist für den 26. September geplant. Die beigetragen, dass auf unseren Wiesen neue Bühne mit Orchestergraben ermöglicht und Alpweiden wieder vermehrt bergge- Benedictus Hardorp gestorben dann auch Operngastspiele. SJ bietsangepasste Kühe mit vernünftigen Am 7. März ist Benediktus Hardorp im Alter Lebensleistungen grasen werden.» So die von 85 Jahren in Mannheim gestorben. Pa- Kernaussage des Laudators anlässlich der rallel zu seiner Tätigkeit als Steuerberater Erste Gemeinwohl-Bank Preisverleihung. ››› Babynahrungsher- und Wirtschaftsprüfer war Hardorp maß- In Innsbruck ist kürzlich ein 80-köpfiges steller Holle verwendet in Zukunft aus- geblich an der Gründung der Mannheimer Projektteam zusammengekommen, um über schließlich Geflügelfleisch aus der Bru- Waldorfschule 1972 wie auch der heutigen die Initiative Gemeinwohl-Bank zu diskutie- derhahn-Aufzucht. Jedes Jahr sterben bis ‹Akademie für Waldorfpädagogik› 1978 ren. Im Gegensatz zu Deutschland gibt es zu 34 Millionen männliche Küken, auch in beteiligt. In beiden Einrichtungen war er in Österreich bisher noch kein alternatives Bio-Betrieben. Anders als ihre Schwes- lange im Vorstand tätig, ebenso hat er – Geldinstitut. Die Gemeinwohl-Bank soll zwischen 1979 und 2007 – im Vorstand des zugunsten der Partizipation und des En- tern, die Eier legenden Hennen, wurden Bundes der Freien Waldorfschulen mitge- gagements für regionale, ökologische und die Hähne bislang als nutzlos erachtet, arbeitet. Zuletzt galt sein Engagement vor soziale Zwecke auf Renditeausschüttung da sie als Masttiere den heutigen hoch- allem der Arbeit an der Frage nach einem und Zinszahlungen verzichten. Auch die gezüchteten Masthähnchen unterlegen gerechten Steuerwesen. BDFW/CC Spekulation mit Währungen und maßlose sind. Unter dem Motto «Rette meinen Bru- Bonuszahlungen soll es nicht geben. Anfang der» darf pro Legehenne ein männliches 2015 könnte die Bank ihren Betrieb aufneh- Küken mit aufwachsen. ››› Isst Waldorf Hilfe für Hebammen men. TIROLER TAGESZEITUNG/CC besser? – Schulverpflegung spielt durch Bundesratsinitiative fordert Lösung den zunehmenden Ganztagsunterricht Eine aktuelle Bundesratsinitiative setzt sich eine immer größere Rolle. In einer bun- für eine umgehende Lösung der Problematik Neue Regionalwert-AG desweiten Studie wurde die Schulverpfle- freiberuflicher Hebammen ein, die durch Am 1. Juni soll auch in der Region Hamburg gung an Waldorfschulen untersucht. Das steigende Beiträge zur Berufshaftpflichtver- eine Regionalwert-AG gegründet werden; Ergebnis: Waldorfschulen schneiden sehr sicherung in ihrer Existenz gefährdet sind. diese verbindet Bürger, Landwirte, Verar- gut ab, sowohl bei der Qualität des Essens Sie schlägt unter anderem die Schaffung ei- beiter, Gastronomen und Händler. Das Kon- nes steuerfinanzierten Haftungsfonds für zept ist bereits in der Region Freiburg sehr als auch bei der Zufriedenheit der Schüler. Schäden vor, die über bestimmte Haftungs- erfolgreich, hier wurde 2006 die erste Regi- An staatlichen Schulen dagegen hagelt es höchstgrenzen hinausgehen. Krankenkas- onalwert-AG von Christian Hiß gegründet. Kritik. Die meisten Waldorfschulen kochen sen sollen zudem angemessene Honorare Bundeskanzlerin Merkel zeichnete ihn dafür selbst und integrieren das Thema gesun- für die Hebammen bezahlen, damit eine mit dem Titel ‹Social Entrepreneur 2011› aus. de Ernährung über das Schulfach Garten- flächendeckende Versorgung gewährleistet Deutschlandweit gibt es zahlreiche weitere bau sogar praktisch in den Unterricht. ››› werden kann. GESUNDHEIT AKTIV/CC Gründungsinitiativen. DEMETER/CC 2 DAS GOETHEANUM Nr. 15-16 · 11. April 2014 · BLICKE
PHILIP KOVCE BERNHARD STEINER Der Lebensraum Ein Impuls für die nächste Kulturepoche Gedanken aus Griechenland Die Mannheimer Tagung über die Templer hatte ein eigenes Schicksal. Der Vortrag von Nächster Halt: Olympiastadion. So ver- Judith von Halle wurde wegen Krankheit abgesagt und Benediktus Hardorp, der ihren spricht es die Stimme in der athenischen Vortrag referieren sollte, verstarb überraschenderweise zwei Wochen vor der Tagung. Metro, die einen ins Zentrum der Sommer- spiele 2004 befördert. Es ist eine Zeitreise. Eine Ausstellung mit Bildern von mittelalter- Untergang, an dem die Dominikaner nicht Zehn Jahre sind inzwischen vergangen. lichen Grabplatten aus Schottland, auf denen unbeteiligt waren, auch eine gewisse welt- Und es ist eine Reise zum Mond. Denn Ritter mit langen Speeren, manchmal auch historische Berechtigung sehen kann. – Mit so verlassen und leer wie er liegt sie da, mit Zirkel und Winkel und dem Templer- dem Gegenspieler, der die Vernichtung des diese riesige Betonwüste – nicht selbst kreuz dargestellt wurden, begleitet die Ta- Ordens einleitete, König Philipp dem Schö- leuchtend, sondern die strahlende Sonne gung. In einem Abriss über die Geschichte nen, trat eine Persönlichkeit auf, die auch in der Templer durch Albert Schmelzer wurde unsere Zeit gepasst hätte. Um seine Kriege zu nur blassgrau spiegelnd. Die Schilder, die deutlich, dass diese in den etwa 200 Jahren finanzieren, verringerte er den Silbergehalt einst den Weg zu den Sportstätten wiesen, ihres Wirkens sehr verschiedene Phasen der damaligen Währung über zwanzigmal, sind mit Werbebannern überklebt; der Ka- durchgemacht haben. Veranlasst durch den was ihm auch den Namen ‹Falschmünzer- belsalat der Sicherheitskameras wurzelt Opfertod von Jakob von Molay am 18. März könig› einbrachte. Er ließ auch die Menschen ausschließlich im Nichts; durch die Laut- vor 700 Jahren war ein Schwerpunkt der durch Spione überwachen, manipulierte sprecher säuselt bloß sachte der Wind; in Tagung allerdings auf das Ende des Ordens die öffentliche Meinung und brachte den den Springbrunnenbecken gewinnt Ge- gelegt, insbesondere auf sein Weiterwirken damaligen Papst Clemens V. in eine weitge- strüpp die Oberhand; die Stahlbögen, die in Schottland. – Der Beitrag von Horst Biehl hende Abhängigkeit. Die Vernichtung des das Areal zieren, rosten ebenso vor sich richtete den Blick auf Zukunftsimpulse. Mit Templerordens, um an dessen Goldschätze hin wie die Fassaden des Velodrom, des dem Opfertod durch Folter und Feuer, ging zu kommen, war denn nur noch ein letzter Aquatic Center und der Spyridon-Lou- ein lichter Strom in die geistige Welt. Goe- Schritt des Königs von Frankreich, dieser is-Arena. Doch halt, etwas bewegt sich! the gelang es, etwas von dem lichten Strom «genial-habsüchtige Mensch» bei dem die imaginativ in dem Märchen von der grünen Sucht nach Macht und Gold zur «welthisto- Eine Putzfrau, Kram unter dem einen, Kind Schlange künstlerisch zu gestalten. Mit dem rischen Marotte» wurde – so Rudolf Steiner. unter dem anderen Arm, schließt die Tore Motto der Templer: ‹Non nobis domini, non Für unser Wirtschaftsleben, das zu oft nur auf – auf ins Olympiastadion: 70 000 Sitze nobis, sed nomine tuo da gloriam›* ist ein den egoistischen Vorteil als Ansporn kennt, versammelt um ein erloschenes olympi- Ideal angesprochen, das weit in die Zukunft kann der selbstlose Umgang der Templer mit sches Feuer, dessen Fackel wie ein ver- reicht. Das selbstlose Handeln war ein Leit- dem Geld ein Vorbild sein. Ihr Impuls, der kehrter Füllfederhalter gen Himmel ragt. motiv der Templer und sie sind zu globalen vor 700 Jahren durch den Tod gehen musste, Zehn Jahre sind inzwischen vergangen – Akteuren geworden, mit integrierten Pro- wird aber in Zukunft sicher wieder auferste- und was vom modernen Olympia bleibt, duktionsketten, mit einem eigenen Vertei- hen. – Die Tagung war von Versuchen beglei- sind Rostruinen. Überhaupt ist es so im lersystem, denn sie hatten eine eigene Flotte tet, das Thema auch künstlerisch zu gestalten. heutigen Athen: Wunderbare Gebäude und eigene Banken. – Aus dem Beitrag von Einmal durch die Eurythmie von Astrid Moos verfallen leer stehend, vor ihnen sitzen Judith von Halle (von Alfred Kon vorgelesen) Lange, durch das von Schülern aufgeführte die Sozialgefallenen, sinnentleert. Vielen ging hervor, dass mit dem Templerimpuls Kurzdrama von Simon Cade Williams ‹In ein Samen gelegt wurde, der erst in einer Gold gefesselt› und mit dem von Christiane Lebenden fehlt es an Häusern, vielen Häu- zukünftigen Epoche der Bruderliebe richtig Schwarzweller geschriebenen und angelei- sern an Leben. Wie tragisch, wie komisch, zum Tragen kommen wird. Mit dem Impuls teten Schauspiel ‹Im Angesicht›, aufgeführt in Griechenland daran erinnert zu werden, der Dominikaner ist hingegen etwas in die von der Hamburger Mysteriendramagruppe dass jede Theorie des Raumes eine des Le- Welt gekommen, was für die angehende Ent- ‹Opera Contemplativa›. bensraumes, des Lebensweltraumes sein wicklungsstufe der Bewusstseinsseele ange- *‹Nicht uns, o Herr, nicht uns, sondern Deinem muss – ansonsten verkommt der Raum bracht ist. Insofern waren die Templer eine Namen gib die Ehre› / Bild: Freske aus der zum olympischen Todesstreifen und die Frühgeburt, sodass man in ihrem tragischen Templerkapelle von Cressac (1170–1180) Erde wird, anstatt zur Sonne, zum Mond. DAS GOETHEANUM Nr. 15-16 · 11. April 2014 · BLICKE 3
SEBASTIAN JÜNGEL RONALD RICHTER MARIA JACOBI Klinik Arlesheim Viele werden Neue Mythen Zum 1. April vereinigten sich die Ita-Weg- Leipzig zeichnet Gisela Höhne vom inte «Er bekam von dem Weisen die Gaben zurück, man-Klinik und die Lukas-Klinik zur Klinik grativen RambaZamba-Theater aus. – Eine mit denen er geboren wurde und das Wissen Arlesheim. Hotelbar wird bei Vollmond überfallen ... darum, wie er sie verwenden sollte.» Historische Momente können schlicht «Wir sind die mit der drei!», ertönt es un- Jeder Mensch bringt einen Mythos mit sich, daherkommen. Im Therapie(holz)haus ter Tiermasken hervor, während verdutzte der erzählt werden möchte. Doch wo fin- der Wegman-Klinik fand der Festakt der Gäste aus den Zimmern gezerrt werden. den wir Räume dafür? Im Hoogpoort 25, neuen Klinik Arlesheim in Anwesenheit Daraus entrollt sich ein ‹RambaZam- mitten in Gent, gibt das ‹Aanaajaanaa› von Politik, zuweisenden Ärzten, umlie- ba›-Triso-Spektakel mit Bigband, Gesang (‹kommen und gehen›) dafür ein Jahr genden Spitälern und einer Patientenor- und Tanz von sogenannten behinderten seine Räume her. Vier Frauen wohnen ganisation sowie von Medienvertretern und nicht behinderten Akteuren. – Theater hier und bilden das ‹Fabula Collective› für statt. Die Wegman-Klinik geht bereits seit und Ensembles mit Behinderten haben einen Ort der Begegnungen und Transfor- Jahren aktiv Kooperationen wie mit dem Konjunktur. Sie werden zu Festivals einge- mation. Im Januar fand ein zehntägiges Kantonsspital Baselland ein; der jetzige laden und mit Preisen überhäuft. Den Be- Bootcamp (Intensivworkshop) zur sozia- Zusammenschluss mit der Lukas-Klinik ist ginn machte 1991 das integrative Theater len Dreigliederung statt, im Februar eine nach 50-jähriger getrennter Arbeit ein his- RambaZamba in Berlin zu einer Zeit, als In- gut besuchte Festivalwoche: ‹Neue My- torisches Ereignis, zumal 2008 ein ähnli- klusion auch an den Waldorfschulen noch then – Neue Formen›. Das Bootcamp wur- cher Versuch gescheitert war. Gemeinsam ein Fremdwort war. Es wurde von Gisela de begleitet von der Geschichte eines Jun- sollen in der Klinik Arlesheim die Stärken Höhne und Klaus Erforth gegründet, die gen, der mit seinen Gaben zur Welt kommt. der Anthroposophischen Medizin – nicht selbst Eltern eines Downsyndrom-Kindes Die Hebamme gibt diese Gaben jedoch zur zuletzt im Bereich der Onkologie – ausge- sind. Gleich ihr erstes Stück am Deutschen Aufbewahrung an einen weisen Mann wei- baut werden*. Zahlenmäßig glimpflicher Theater in Berlin war ein durchschlagen- ter. Als der Junge beginnt sich zu fragen, als befürchtet, haben von den zuvor zu- der Erfolg. – Jetzt erhielt Gisela Höhne als warum er auf der Welt ist, wird er auf eine sammen 475 Mitarbeitenden 25 das ge- Künstlerische Leiterin in Leipzig den re- Reise geschickt, um diese Gaben wieder- meinsame Haus verlassen müssen, von nommierten Caroline-Neuber-Preis. Sie zufinden. Die Gaben, die wir mitbringen, der Küche bis zur Klinikleitung. Ein ‹Op- reiste mit ihrem vielköpfigen Ensemble sind es, die uns mit der Welt verbinden. fer› musste der Verein für Krebsforschung an, darunter der heute 38-jährige Sohn, der In dieser Arbeit steht sowohl die Wahr- bringen. Er hat als vormaliger Träger mit Schauspieler und Musiker Moritz Höhne. nehmung und Auseinandersetzung mit der Lukas-Klinik sein «therapeutisches In der Laudatio von Eva Mattes im dicht be- der Welt als auch die Beschäftigung mit Herz» verloren, so Michael Werner. Wei- setzten Leipziger Schauspielhaus, in Gruß- der Biografie im Vordergrund. Ebenso wie tere Aufgaben stehen an: Die Verteilung und Dankesworten der Beteiligten werden Steiners Dreigliederung werden Metho- auf vier Häuser gilt es nun – auch im Zu- wir eingestimmt auf das Befreiende au- den der U-Theorie, imaginative Übungen sammenhang der Quartierplanung – zu thentischer Gefühle. – Die Lebenslust des und Körperarbeit angewendet. Vorträge optimieren, so Verwaltungsratspräsi- komisch-ernsten Stücks ‹Am liebsten zu mit Gesprächsrunden werden auch von dentin Annemarie Gass. Der Kantonsarzt dritt› ist dem Motto verpflichtet: «Wir wol- Christine Gruwez und Dirk Holemans (Oi- Baselland, Dominik Schorr, identifizierte len viele werden.» Seine rundum begabten kos) gehalten. Die Kraft und Präsenz, die angesichts der höheren Alterserwartung Spieler auf der Bühne führen professionell von den vier Initiatorinnen ausgestrahlt die Aufgabe, Antworten auf die Frage weder sich noch das Theater vor. Sie leben wird, ermöglicht den Teilnehmern ein ‹Was hält gesund?› zu finden, statt zu fra- es, lassen uns teilhaben an ihrer ureignen tiefes Erleben bewegter Momente. Man gen: ‹Was macht gesund?›. Und Michaela Individualität. Indem wir gemeinsam mit kommt an, fühlt sich wohl und kann Glöckler wünschte sich eine Akademie ihnen die Grenze überschreiten, entdecken ganz da-sein. Die Räume des ‹Aanaaja- für Anthroposophische Medizin in den wir, dass ihre Welt unsere Welt ist, einen anaa› stehen noch bis August 2014 zur Räumen der vormaligen Lukas-Klinik. wunderbaren Abend lang. Dafür dankten Verfügung, dann wird ‹Fabula Collective› wir Gisela Höhne und den Menschen von neue Formen annehmen. *‹Goetheanum› Nr. 1–2/2014 RambaZamba mit Standing Ovations! Foto: Sebastian Jüngel Fotografie von Lukas Oertel Web: www.klinik-arlesheim.ch Fotografie von Rob de Vrij www.fabulacollective.org 4 DAS GOETHEANUM Nr. 15-16 · 11. April 2014 · BLICKE
WOLFGANG HELD Für den festen Tritt Vor fünf Jahren feierte die Waldorfbewegung ihr 90-jähriges Bestehen. Nun ist die biologisch-dynamische Landwirtschaft an der Reihe. Ein umfassen- des Handbuch soll für diesen Blick in die Zukunft den Boden bilden. Das neue Handbuch über den biolo- Thomas Lüthi betont, dass die Inspira- gisch-dynamischen Landbau hat eine tion für den biodynamischen Impuls quadratische Form und ist damit wie in den geistigen Grundlagen und den eine trittfeste Bodenplatte, Veranke- Visionen liege, die von den Tätigen auf rung im Raum. Der Titel verankert dem Feld, der Verarbeitung und dem in der Zeit, denn alle drei Ebenen der Handel entwickelt werden. Ausserdem Zeit sind angesprochen, das nun 90 untersucht Ueli Hurter die von Rudolf Jahre vergangene geistige Fundament, Steiner eingeführten Kernbegriffe das gegenwärtige Leben des anthro- ‹Landwirtschaftlicher Organismus›, posophischen Landbaus und im Titel ‹Landwirtschaftliche Individualität› schließlich die Perspektiven. und ‹Ich-Anlage›. So wie man als Diese ideelle Überschau ist nicht formal, Mensch immer individueller werde, sondern die Frucht der Jahresthemen je mehr man die Welt in sich univer- der letzten Jahre. So stand 2010 der sell aufnehme, so gelte auch für den von Rudolf Steiner gehaltene Landwirt- Hof, dass sein universeller Charakter schaftliche Kurs im Zentrum der Arbeit. Ueli Hurter (Hg.) ‹Agrikultur für die Zukunft›, ihm sein unnachahmliches Gesicht Dann schickte der Vertreterkreis des Biolo- 288 Seiten, in deutscher und englischer Spra- verleihe. Das eigene Ich zu erfassen, gisch-Dynamischen Landbaus weltweit 60 che erhältlich, Verlag am Goetheanum bedeute, zu entdecken, dass man sein eige- ‹Scouts› aus, um von allen Höfen, Händlern ner geistiger Vorfahre sei. Das ist der Blick und Betrieben zu erfahren, wo die ‹Brenn- übernahmen Höfe. Es entstand die Sozial- zurück. Nach vorne gelenkt, bedeute er, aus punkte› heute liegen. Es war einer der inten- form der Hochgemeinschaft. Dann kamen der Begegnung mit sich selbst zu lernen. sivsten Momente am Goetheanum, als diese spezialisierte Betriebe zu Wein-, Gemüse- Kosmische Rhythmen der Sozialgestalt Kundschafter dann die Essenz dieses Ringens oder Obstbau hinzu. Marktkalkül begegnet Dann folgen im Buch über 20 Gebiete der den aus aller Welt versammelten Landwirten den Aussteigerbetrieben der früheren Zeit, Landwirtschaft. Tobias Bandel schildert vortrugen. Der weiterer Schritt galt dann den der Biogroßhandel kommt hinzu. spezielle Komposterfahrungen in Ägypten, Perpektiven, den oft unscheinbaren Ideen und Initiativen Einzelner und der Frage nach Jede Generation muss sie neu erringen Indien oder Costa Rica. Ideellen Grundlagen Jürgen Schürholz, ehemaliger Leiter der folgen Praxisbeispiele, wie zum Gemüse- fruchtbaren Allianzen. Filderklinik, beschrieb kürzlich, dass jede anbei ein Portrait der Gärtnerei Willmann Gegen den Hochmut Generation von Neuem die anthroposophi- oder zum Obstanbau ein Bericht von Niko- Wie gelingt es dem neuen Handbuch für schen Medikamente erobern müsse. Diese laus Bolliger von seinem Tafelobstanbau. die anthroposophische Zuwendung zu Erde, Aufgabe wird auch im Buch charakterisiert. Ob bei der Frage des Pfropfens im Weinbau Pflanze und Tier bei über zwanzig Autorin- Die Prinzipien des von Rudolf Steiner ge- oder des schnellen Alterns von Saatgut, nen und Autoren, Kontur und Charakter zu haltenen Kurses seien über längere Zeiträu- jeweils werden die Hinweise von Rudolf behalten? Das beantworten die einleitenden me relevant, sodass deren Verständnis und Steiner mit den praktischen Erfahrungens Kapitel von Ueli Hurter und Thomas Lüthi. Umsetzung ins Leben von jeder Generation ins Gespräch gebracht. Von Tierzucht und So zeigt Hurter, wie sich der biologisch- neu errungen werden müsse. Dazu werden Anbau in den Tropen über den Umgang mit dynamische Landbau seit den 50er-Jahren drei Mittel genannt: 1. Die Vielfalt der bio- kosmischen Rhythmen bis zur Sozialgestalt in drei Wellen entwickelt hat: Gegen den logisch-dynamischen Landschaft bewusst eines Hofes werden viele Bereiche des bio- Hochmut der sich entwickelten Agrarwis- wahrzunehmen. 2. Die jüngere Generation logisch-dynamischen Landbaus, vorgestellt. senschaft bedeutete es besonderen Mut, in zu befördern. 3. Die Fähigkeit des Einzelnen, Wo man merkt, dass diese Spezialisten und den frühen Jahren den eigenen Hof umzu- «innere Sicherheit in den Stürmen des Le- damit deren Disziplinen miteinander im stellen. In den 1970er- und 1980er-Jahren bens zu gewinnen» und dabei Empathie für Gespräch stehen, wird die Gegenwärtigkeit kamen junge Menschen aus der Stadt und Zusammenarbeit zu entwickeln. des Landwirtschaftlichen Kurses spürbar. DAS GOETHEANUM Nr. 15-16 · 11. April 2014 · ZUSAMMENHÄNGE 5
UELI HURTER WIE HAT RUDOLF STEINER GEARBEITET? Ist es möglich, Rudolf Steiner über die Schulter zu schauen bei seinem Arbeiten, um zu verstehen und sich neu zu impulsieren? Von den Bienenvorträgen 1923 zum Landwirtschaftlichen Kurs 1924. Ob nicht Rudolf Steiner selbst die Bildungsstunden halten könne, Menschen aus Kopfkräften der übrige Organismus geformt fragten die Arbeiter und Handwerker beim Bau des Goetheanum. werde, so bildeten die Bienen den Wachsbau als Leib. Die Waben Der Vormittag wäre am besten, weil sie abends einschlafen entsprechten unseren Gliedmaßen. würden. So wurde es eingerichtet. Als er am 10. November 1923 erstmals über das Leben der Bienen sprach, waren die Elemente Der Landwirtschaftliche Kurs in Koberwitz 1924 da, die noch heute orientieren und inspirieren: Erstens, die Nach langer Bahnfahrt trifft Rudolf Steiner mit seinen Beglei- Bienen sind in Gefahr! Wenn wir nicht aufpassen, werden wir tern am Abend des 6. Juni in Koberwitz ein. Wie Kurt von Wis- in 100 Jahren ein Bienensterben haben. Zweitens, die Bienen tinghausen, erschrecken die Wartenden über Rudolf Steiners sind Schöpferinnen von Beziehungen in der Natur und können Gesundheitszustand: «Es dunkelte schon, als das Auto endlich uns viel über die Geheimnisse der Natur erzählen. Drittens der vorfuhr. Als Rudolf Steiner dem Wagen entstiegen war, erschra- Hinweis auf die tiefe Beziehung von Mensch und Biene. Später ken wir alle über sein äußerst angegriffenes Aussehen. Er trug in den Vorträgen wird klar, dass diese Beziehung eine geistige trotz der Sommerzeit einen Wintermantel. Eine am Griff seiner Verwandtschaft ist. «Geschwisterwesen» des Menschen nennt schweren Aktentasche befestigte Tragschnur, über die Schulter Rudolf Steiner sie. Die Bienen bilden einen Organismus, der geworfen, schnitt tief in den dunklen Stoff des Mantels ein.» Am weniger ein Erd- als vielmehr ein Sonnenorganismus sei. Der nächsten Morgen, dem Pfingstsamstag, beginnt der Kurs. In der Bienenstock als Sonnenorganismus ist damit ‹Gast› auf der Erde. Nacht, während alle anderen schlafen, arbeitet Rudolf Steiner schreibend im Bett. Um 5 Uhr morgens übergibt er die ersten Steiner spricht über das Bienengift nicht als ‹Waffe› im Sin- Papiere dem Boten, damit sie mit dem frühen Zug wegkommen. ne Darwins ‹Kampf ums Dasein› sondern beschreibt, wie aus Trotz der Überarbeitung jetzt das Überraschende: mit Fortgang gemeinsamen Ursprung sich Pflanzen- und Insektenleben ge- der Woche, mit Entwickeln des Landwirtschaftlichen Kurses gliedert haben und wie durch Insektengifte das Leben auf der geht es Rudolf Steiner jeden Tag besser. Die Kurstage werden Erde erhalten wird. «Die Gifte sind Geistsammler.» «Sie können wie ein Fest geschildert – eine Festlichkeit, die man noch heute daraus sehen, dass Gifte, wenn sie entzündlich wirken oder der- aus den Vorträgen ‹lesen› kann. Bedenkt man, wie vielfältig und gleichen, eigentlich zugleich die fortwährenden Heilmittel sind weltumspannend dieser Impuls dasteht, kann man ermessen, was gegen das Absterben. Und man kann sagen, gerade die Biene für eine geistige Substanz in diesen wenigen Tagen an Pfingsten ist in dieser Beziehung ungeheuer wichtig, damit sich alles in 1924 geboren wurde. Wie hat Rudolf Steiner gearbeitet? Ist es den Blumen erhält.» 243((?)) Der Hochzeitsflug: Die Königin, so möglich, aus der historischen Betrachtung in die Geistesgegen- Rudolf Steiner, die ihr ganzes Leben nur im Stock ist, kommt wart des Steiner'schen Schaffens einzutauchen? Aus welchem nur dieses eine Mal heraus und fliegt jetzt zur Sonne. Sie will in Arbeitsstrom sind diese zwei ‹Werkstücke› entsprungen? die Sonne fliegen, sie fliegt so hoch, wie sie kann, und nur von den wenigen Drohnen, die sie noch begleiten können, wird sie Erste Qualität: Der Mensch ist die Grundlage befruchtet – außerhalb des ‹irdischen› Stockes, möglichst nahe Die erste Zeichnung des Landwirtschaftlichen Kurses ist ein Bild der Sonne, zu der sie gehört. Ein befeuerndes Bild! gigantischer Dimension. Es geht bis zum Saturn. Es geht um Steiner beschreibt, dass die Biene als ein heiliges Tier angesehen die großen Natur-Geistes-Darstellungen Rudolf Steiners 1923 wurde, weil sie ein äusseres Bild sei, wie wir im Kopf organisiert und 1924. Er spricht vom künstlehrischen Empfinden als Inst- seien. Dort wirken Nerven-, Blut- und Eiweißzellen zusammen. rument, um über das Sachliche hinauszukommen. Immer gibt Das wird im Bienenvolk anschaulich: Wenn diese Zellarten es den Bezug zum Menschen. Der Mensch erscheint immer als sich verselbständigen, werden aus Nervenzellen Drohnen, aus der Mikrokosmos im Verhältnis zum Makrokosmos, wird als den Blutzellen die Arbeiterinnen und aus den Eiweißzellen Zusammenklang der ganzen Natur Ausgangspunkt für die Kul- die Königin. Der vergleichende Blick geht weiter: Wie beim tivierung der Natur: «Der Mensch wird zur Grundlage gemacht.» 6 DAS GOETHEANUM Nr. 15-16 · 11. April 2014 · ZUSAMMENHÄNGE
Stets zwischen 33° und 36°, der Bienenstock ist eine Wärmeinsel der Natur. Fotografie von Kerry Jehanne Zweite Qualität: Der Flug in die Sonne Arbeiter ist ein Mensch, der nichts hat, nichts ist als das was er tut, aus sich selbst, denkend, fühlend, wollend. Als Arbeiter sind Wie kommt Steiner aus diesen großen Imaginationen zur Hand- wir alle auf Augenhöhe, jeder steht frei in seiner individuellen lung, wieso sagt er jetzt: «Nehmen Sie die Blüten der Schafgarbe?» karmischen Situation – aber wir stehen als Schwestern und Brü- Aus der Perspektive des Vergangenen, als die wundervolle Schaf- der in der Welt und vor der Welt. Und diese Geschwisterlichkeit garbe geschöpft und entwickelt wurde, hat es keinen Sinn, noch (im Geiste) ist die moderne soziale Form, die verschiede Gestalt etwas ‹nachbessern› zu wollen. Die Schafgarbe ist auf ihre Weise hat im Geistesleben, im Rechtsleben und im Wirtschaftsleben. Spitzenwerk der Natur, mehr geht nicht! Der Antrieb, über das Ge- wordene hinauszugehen und verwandelnd einzugreifen, kommt Drei Orientierungslinien aus der Zukunft, allerdings nicht aus der Zukunft, die Fortsetzung Drei Orientierungslinien möchte ich aus dem Gesagten in den des Vergangenen ist, dem ‹Futurum›, sondern aus der Zukunft, die Zukunftsraum der nächsten zehn Jahre legen: Die erste Orien- auf uns zukommt, und die in der Gegenwart schon anwesend ist, tierung möchte ich nennen: ‹Der Mensch wird zur Grundlage dem ‹Adventus›. Rudolf Steiner hat an der Begründung der Anth- gemacht.› Die Natur ist in ihrer geistigen Dimension größer und roposophischen Gesellschaft deren Vorsitz übernommen. Das war weiter als wir ahnen. Es ist möglich, mit dieser Geistdimension vom Gesichtspunkt der Vergangenheit etwas ‹Verbotenes›: Der zu arbeiten und sie nicht auf eine materialistische Dimension Initiierte darf nicht der Organisation vorstehen, die diesem Er- herunterzuschrauben, wenn man den Menschen als Zusam- kenntnisstrom einen irdischen Ort im Kulturleben ermöglicht. menklang, als Mikrokosmos mitbedenkt. Ich glaube, diese Ori- Steiner tut es mit vollem Risiko und springt in den Strom, der aus entierung ist fruchtbar und zeitgemäß auch für die Fragen der der Zukunft kommt. Er springt in eine neue Dimension seiner ganzen Erde, wie das Bienensterben oder die Klimaveränderung. Bestimmung, die er noch nicht kennen, sondern nur wollen kann. Rudolf Steiner nennt das, was da vollzogen wurde am Schluss Die zweite Orientierung möchte ich nennen: ‹Den Flug in die Son- dieser Tagung, einen ‹Welten-Zeitenwende-Anfang›. Man muss ne›. Als Forschender wie Handelnder wird man dann befruchtet, hineinspringen durch die Tat, in den Strom, der aus der Zukunft wenn man abspringt vom alten Planeten und in den Zukunfts- kommt, aus der Zukunft, wo die Erde selbst Sonne sein wird. strom eintaucht, der als Sonne, als Leuchtpunkt entgegenstrahlt. ‹Hineinspringen in das Karma, das mir aus der Zukunft entgegen- Das ist unser Willensstrom, in der inneren und in der äußeren kommt›, möchte ich diese zweite Qualität seines Schaffens nennen. Arbeit. Pflegen wir ihn! Er geht schnell unter neben allem kon- zeptuellen und ‹klugen› Denken. Aber dieses Wachhalten der Dritte Qualität: Geschwisterlichkeit Impulsqualität macht uns jung und wird uns ermöglichen, in Die dritte Qualität Steiners Schaffen ist sozial. Jeder ist auf unseren Biografien, in unseren Gemeinschaften und in unserer seinem Hof König, und wehe, der Nachbarkönig würde im Zeit am Puls zu bleiben. Die dritte Orientierung möchte ich nen- ungeschickten Moment seine Sicht über den Mist, über die nen: ‹Geschwisterlichkeit›. Es kann eine Orientierung sein, uns Präparate auf ‹königliche Art› verlauten lassen, da fliegen die unterschiedlich, divers und individuell zu empfinden, aber im Fetzen – und trotzdem: Wir arbeiten zusammen und haben eine spirituellen Sinne zusammengehörig, gegenüber dem Impuls biodynamische Bewegung. Das Erlebnis der Tiefe und Größe des für eine Landwirtschaft der Zukunft. Wir sind da gut unterwegs Impulses für eine Landwirtschaft der Zukunft ist stärker als die mit einer Dialogkultur, die wir als Lebensform unserer Sektion zu divergierenden Kräfte. Das geht, wenn der König auch Hirte ist. entwickeln versuchen, durch das Entwickeln neuer Ansätze zur Wir schaffen das, weil wir mehr arbeiten als denken. Als tätiger Anerkennung der Höfe und Produkte im Rahmen von Demeter Landwirt erlebe ich täglich, wie ich mit aller Anstrengung der International und, das Wichtigste, durch einen neuen Schub, Größe der Natur, den Ansprüchen der Gesellschaft, meinen den wir jetzt lancieren müssen, für ein assoziatives Wirtschaften. eigenen Zielen gegenüber klein dastehe. Steiners Liebe zum Proletariat war nicht affektiv, sondern vielmehr ‹objektiv›. Der Ueli Hurter ist Coleiter der Sektion für Landwirtschaft. DAS GOETHEANUM Nr. 15-16 · 11. April 2014 · ZUSAMMENHÄNGE 7
THOMAS RADETZKI ES LEBE DIE BIENE Sie ist eines der kleinsten und zugleich das größte Lebewesen in der Landwirtschaft. Sie ist vielfältig bedroht und stellt dabei drei Fragen an uns. Es sind Schlüsselfragen, weil an ihrer Beantwortung die gesamte Ökologie zu hängen scheint. Wie atmet die Biene? Weltweit gibt es nur zwei Arten Honigbienen, die in Hohlräumen mark, es gibt kein Rückenmark. Das Sie wird geatmet. Es im Wabenbau ihr Nest bauen: die westliche und die östliche entspricht einem völlig anderen Be- gibt keine Lunge, kein Honigbiene, Apis mellifera und Apis cerana. Die Cerana-Biene wusstsein als das bei Säugetieren oder zentrales Organ für den ist in Asien verbreitet und lebt seit Urzeiten im Gleichgewicht gar beim Menschen. Es scheint kein Gaswechsel. Sie öffnet mit der Varroa-Milbe. Diese Milbe ernährt sich ausschließlich Zentrum zu geben. Und wie atmet die sich für den Luftraum, vom Blut der erwachsenen Biene und ihrer Brut. Unsere Biene Biene? Sie wird geatmet. Es gibt keine der sie umgibt kennt die Milbe nicht und hat deshalb keinerlei Abwehrstrategie. Lunge, kein zentrales Organ für den Unsere Biene kann also nicht für ein Gleichgewicht sorgen und Gaswechsel. Sie öffnet sich für den Luftraum, der sie umgibt; bringt dadurch sich und die Milbe in die Lage, beim Zusammen- die Außenluft gelangt über eine Reihe Öffnungen in Luftsäcke brechen der Völker miteinander zu sterben. und fein verzweigte Röhren, sogenannte Tracheen, bis an die Wir haben in Europa eine enge Korrelation zwischen sterben- Orte, wo der Sauerstoff gebraucht wird. Die Antennen sind mit den Bienenvölkern während der Überwinterung und ihrem Tausenden Sinneszellen für Geruch, Geschmack und Tastsinnes- Parasitierungsgrad. Man muss sagen: Die Milbe steht bei den zellen besetzt – Bienen riechen räumlich! Die Facettenaugen Ursachen für das Bienensterben im Winter im Vordergrund. schaffen keine kreuzenden Sehachsen, dafür eine Hingabe an Aber sie steht in dem Sinne im Vordergrund, dass sie die anderen den Himmelsraum und die Landschaft. Die ganze Konstitution Belastungsfaktoren verdeckt. Dabei handelt es sich um Faktoren, der Biene zeigt ein peripheres Bewusstsein, dem Umkreis, dem die der Intensivierung der Landwirtschaft geschuldet sind. Die Kosmos hingegeben. Sie ist in unvergleichlicher Weise offen. imkerlichen Betriebsweisen und der Einsatz von Arzneimitteln Das Bienenvolk – seien sie ökologisch oder nicht – sind mehr oder weniger Teil Es gibt etwas Gewaltiges und Wunderschönes zu entdecken, wenn dieser Entwicklung. Der Weg für die Praxis besteht aus meiner wir Bienen im Volksganzen betrachten. Was bei der Staatenbil- Sicht darin, sich klarer zu werden, was organische und was dung geschieht, ist ein Quantensprung, eine Umstülpung der Na- mechanische Elemente in unseren Betriebsweisen sind. Ein tur des Individuums. Ein ganz anderes Wesen tritt uns entgegen: Beispiel: Ich hatte vorletztes Jahr praktische Prüfungen von Eines mit kraftvollem Zentrum, erfüllt von seelischer Wärme, mit zukünftigen Imkern abzunehmen. Als Erstes wurde ich von einem innenliegenden Skelett, dem Wabenwerk, das vom Himmel den Prüflingen gefragt: Wie alt ist die Königin? Falls sie ‹zu aufrecht herunterwächst. Ein Schlüssel dazu, dieses Lebewesen alt› wäre, sollte man sie gleich austauschen! Das Bienenvolk zu verstehen, ist die Gliederung seines Organismus in die drei ist in der konventionellen Imkerei zu einem Baukastensystem Bienenwesen: Königin, Drohne und Arbeitsbiene. ‹Die› Biene verkommen. Bei der Bienenhaltung gehen wir mit konkreten gibt es nicht. Das Bienenwesen, der Bien, verkörpert sich in drei Erscheinungen um, die von einem Wesen hervorgebracht wer- Tieren und zwei davon wurden noch nie auf einer Blüte gesehen. den. Ich bin überzeugt, dass es immer mehr auf unsere innere Haltung ankommen wird, wie gesund unsere Bienen sind. Eine einzige Königin lebt im dunklen Zentrum des Volkes, im ‹stockdunklen› Bienenstock. Sie stiftet den individuellen Cha- Die einzelne Biene rakter des Volkes über ihren Duft und Erbstrom. Alle Individuen Die Biene in ihrem feinen Haarkleid ist gegliedert in Kopf, Brust stammen von ihr ab. Mit einer ungeheuren Stoffwechselleistung und Hinterleib mit den glänzenden vier Flügeln, die wie die legt sie am Tag 1500 Eier. Das ist mehr als ihr Körpergewicht, sechs Beine vom Thorax, der Brust, abgehen. Nur die Fühler, und sie wird – wenn der Imker sie lässt – fünf bis sechs Jahre alt. die ‹Antennen› gehen vom Kopf ab. Ihr Körper hat wie bei allen Eine unglaubliche Vitalität! Die Drohnen hingegen verkörpern Insekten seinen Halt durch ein Außenskelett, dem Chitin-Pan- in ihrem Leib und ihrem Verhalten den Nerven-Sinnes-Pol des zer. Die Biene hat kein zentrales Gehirn, im Kopf ist lediglich Volkes. Sie können sich nicht selbst ernähren und sind emp- eine gewisse Konzentration an Nervenzellen. Ein dezentrales findlich, ein wenig Kälte, und sie sind schlapp. Sie sind so wenig Strickleiter-Nervensystem ist vorhanden, vor allem als Bauch- vital, dass sie sterben, wenn sie der Königin bei der Begattung 8 DAS GOETHEANUM Nr. 15-16 · 11. April 2014 · ZUSAMMENHÄNGE
Fotografie von Günther Hauk ‹Honeybee Sanctuary›. Siehe Seite 14 ihr Sperma geben. Zu dieser geringen Vitalität gehört der große Bestäubung, Biene und Landschaft Sinnensapparat. Sie tragen ein Vielfaches an Sinnesorganen auf Jeder hat von der wichtigen Bestäubungsleistung der Bienen, dem den Fühlern und ihre Augen umspannen den ganzen Kopf. Sie großen volkswirtschaftlichen Nutzen und dem unverzichtbaren nehmen den Umraum wahr und vagabundieren von Volk zu Volk. Stellenwert für die Biodiversität gehört. Die volle Wirklichkeit der Sie verbinden die Bienenstöcke der Landschaft. Blütenbestäubung erschließt sich aber erst im Kontext dessen, Die Imme steht zwischen beiden. Sie wird auch in andere Völ- was Rudolf Steiner ‹kosmische Befruchtung› nennt: Die Bienen ker hineingelassen, aber nur, wenn sie mit vollem Honigmagen helfen, das kosmische Urbild der Pflanzen immer wieder in die kommt. Im Tages- und Jahresrhythmus verbindet sie die taghelle Frucht- und Samenbildung einzuweben und so der Erde die Saat Landschaft mit dem Stockdunkel. Sie sammelt Harz der Knospen, zu bereiten. In diesem Prozess verbinden sie Himmel und Erde, Blütenstaub, Nektar und verwandelt all diese Stoffe. Aus dem und so ist natürlich die Liebe der Bienen zu den Blumen ein wei- Pollen macht sie das Bienenbrot, aus dem Nektar den Honig. terer Schlüssel zum Verständnis des Bienenwesens. All das geschieht in einem großen Konzentrationsprozess, was Ich habe einen Freund, der hat nicht nur einen Hof und Bienen, besonders schön am Honig zu sehen ist. Er ist zuerst flüssig und sondern ein eigenes Flugzeug, das ist doch ziemlich selten. Er wird eingedickt bis zum Kristallinen. Diese fleißigen Immen hatte mich eingeladen, den Flugradius seiner Völker mal von lassen sich vom Geist des Bienenstockes in unterschiedlichste oben zu bestaunen. Die Fläche ist gewaltig, viele Quadratkilo- Organprozesse hinein organisieren. meter. Unfassbar, dass unsere Völker diesen Raum erfüllen und Organprozesse durchdringen. Dieser enormen Ausbreitung steht die Konzentra- tion des Volkes im Bienenstock gegenüber. Bei Tageslicht atmet Der Bienenstock ist ein Organismus, der vielfältige Organe funk- das Volk seine Bienen aus, nachts zieht es sich zusammen ins tioneller Natur ausbildet. Bestimmte Tätigkeiten werden konti- Dunkle des Stockes. Diese Urpolarität lebt das Bienenvolk im nuierlich ausgeführt. Die einzelnen Bienen aber wechseln dabei. Tag-Nacht-Rhythmus und in den Höhepunkten des Jahreslaufes, Ein Teil dieser Tätigkeiten ist an eine bestimmte Drüsenaktivität in Winter- und Schwarmtraube. Der Bien atmet im Einklang mit gebunden. Jede Biene macht einen ‹biografischen› Reifungspro- der Erdennatur. Im Winter ist das Volk still zurückgezogen in den zess durch, in dem Futtersaftdrüsen, Wachs erzeugende Drüsen, Schoß der Erde. Zu Johanni wirkt es in der innigen Durchdringung Giftdrüsen usw. nacheinander einen Höhepunkt an Aktivität der Elemente und der Entfaltung alles Lebendigen. Diese große entfalten. Nacheinander tut dabei jede Biene zwar alles, aber was, Gebärde können wir draußen miterleben und sie ist ein ideales wie viel, ... wie lange und wann sie etwas macht, das geschieht Motiv für eine bienenfreundliche Meditation. Den landwirtschaft- ohne Arbeitspbesprechung. Es läuft auch kein festes genetisches lichen Betrieb sollen wir als Hoforganismus verstehen und die ‹Programm› ab. Was mich am meisten beeindruckt ist, dass sie Bienen sind ein Organ darin. Dieses Lebewesen ergießt sich über sogar ihr Lebensalter nach dem richten, was nötig ist! Bei der den Hof, nimmt ihn in sich hinein mit allem: mit Blüten, Tieren grandiosen Leistung des Bienenvolkes braucht es uns nicht zu und Menschen. Die Bienen fragen uns Menschen heute etwas. wundern, das wohl kaum an einem andern Tier weltweit so viel Ihre Fragen werden immer lauter Sie fragen: geforscht wird wie an den Bienen. Hier stößt die Naturwissen- schaft an offenkundige Erkenntnisgrenzen. Erkennst du mich? Fühlst du mich? Willst du mich? Hinter dieser Zusammenarbeit des Volkes steht ein geistiges Wenn wir uns am Duft und Klang der Bienen freuen, werden Wesen, es bringt sich in all dem zum Ausdruck, hat diese Er- wir die Fragen beantworten können im Sinne der Bienen. Und scheinungen hervorgebracht und tritt durch sie hinein in unsere damit – wie könnte es anders sein: – im Sinne des Ganzen. Und physische Welt. Dieses Wesen nennen wir den ‹Bien›. Das Wort so mag ich mit dem Motto der Stiftung ‹Aurelia› schließen, die bekam seinen Stellenwert durch Ferdinand Gerstung, einen der wir gerade gründen. Es lautet: «Es lebe die Biene!»wir gerade Großmeister der Bienenzucht, durch sein bahnbrechendes Werk gründen. Es lautet: «Es lebe die Biene»! mit dem Titel ‹Der Bien und seine Zucht› Auss dem Jahr 1901. Thomas Radetzki Vorstand des Bienenvereins ‹Melifera› DAS GOETHEANUM Nr. 15-16 · 11. April 2014 · ZUSAMMENHÄNGE 9
JEAN-MICHEL FLORIN IN BEZIEHUNGEN DENKEN LERNEN Die Bienen sind gefährdet, aber noch mehr sind wir Menschen ge- fährdet. Die Bienen als Beziehungswesen verstehen und unterstüt- zen lernen bedeutet deshalb, als Mensch in die Sphäre der Bezie- hungen zu treten. Nicht wir retten die Bienen, die Biene rettet uns. Nachdem ich die Biene Dieses Jahr wurde an der Landwirtschaftlichen Tagung ein bren- noch bleibt man unbewusst mit dem durch meine Vorstellung nendes Fachthema mit den bisher erarbeiteten interaktiven, Sein der Welt verbunden. Wenn ich aus ihrem Zusammen- dialogischen Methoden bearbeitet. Der Titel der Tagung «Die zum Beispiel eine Biene bestimme, sie hang getrennt habe, Bienen, Schöpferinnen von Beziehungen» gab den roten Faden zum Ding reduziere, kann ich spüren, muss ich sie wieder be- für die inhaltliche Arbeit. Ein zweiter roter Faden war mit der dass ich sie damit kognitiv ‹töte›. Dies wusst in ihren Zusam- angewandten Methode verknüpft: Wie kann man in Bezug auf schenkt mir Freiheit, trennt mich aber menhang einfügen. konkrete ‹landwirtschaftliche› Maßnahmen zu einer inneren von der Welt. Solange wir mit dem Gewissheit kommen, anstatt sich auf eine äußere Ansicht oder Sein der Welt verbunden waren, hatten wir ein intimes Ver- Autorität zu stützen? Eine existenzielle Betroffenheit über die ständnis der Wesen, aber es war nicht frei: das Wesen ‹sagte›, weltweite Gefährdung der Bienen war für viele Teilnehmer Aus- was man tun sollte. Ganz anders heute: Vorstellungen des gangspunkt, sich mit den Bienen zu beschäftigen. Die Betroffen- Gewordenen kann ich beliebig kombinieren. So z.B. kann heit führte zu einem Erwachen und dadurch entstanden Fragen ich anhand dieser Vorstellungen überlegen, wie die Bienen wie: Was hat das Bienensterben zu bedeuten? Was können wir dazu gebracht werden können, mehr Honig zu produzieren. tun? Ziel der Landwirtschaftlichen Tagung war es, zu versuchen, Dabei werden Vorstellungen kombiniert, die nur dem toten nicht nur auf die äußeren Aspekte zu schauen, sondern auch Teil der Wirklichkeit entsprechen, und das Ergebnis dieses die inneren, geistigen Aspekte, die zu dieser erschütternden Kombinierens bringt unerwartete Nebenwirkungen, die das Tatsache gehören, zu beleuchten. Leben schwächen. Wird die Biene als Ding, ohne auf die viel- Die auf Produktion orientierten Handlungen, wie künstliche fältigen feineren Wechselbeziehungen zu achten, arbeitet man Königinnenzucht, Einsatz von Pestiziden, aber auch zahlreiche mit einer Halbwirklichkeit und es muss unweigerlich zu den negative Umweltwirkungen führen gemeinsam zur Katastrophe. heute sichtbaren Problemen führen. Die Art des Denkens, die zu dieser Problematik geführt hat, Das Unsichtbare sehen lernen wird kaum die Lösung bringen können. Bei bedrohten oder Ein Wesen ist ein Werdendes, nichts Fertiges. Wie kann man kranken Tier- und Pflanzenarten kann die Ursache des Problems dieses Werdende, Lebendige erkennen? Dazu, schreibt R. Steiner, ergründet werden, indem wir das einzelne Tier- oder Pflanzen- muss man eine «imaginative» Erkenntnis der Welt entwickeln. wesen tiefer verstehen, indem wir von der Erkenntnis äußerer Das führt in das Gebiet der lebendigen Kräfte. Nachdem ich Tatsachen, der Erscheinung und dem Verhalten eines Wesens, die Biene durch meine Vorstellung aus ihrem Zusammenhang zu einer tiefen Erkenntnis dieses lebendigen Wesens kommen. getrennt habe, muss ich sie wieder bewusst in ihren Zusammen- Der Abgrund zur Wirklichkeit hang einfügen. Versuchen wir es! Eine große Hilfe dazu ist das Im Leitsatz ‹Die Freiheit des Menschen und das Michaelzeit- Staunen, um einen neuen Blick auf die Welt zu erlangen. Sich alter› (GA 26) beschreibt Rudolf Steiner, wie wir aus Sinnes- Fragen Stellen, Beobachten und Staunen dienen der Verleben- wahrnehmungen Vorstellungen der Welt bilden; es sind Bilder digung unserer Beziehungen zur äußeren Welt. der Welt, wo wir das Gewordene, nicht aber das Lebendige Keine Biene kann für sich allein leben. Allein verliert sie alle erfassen: Ein Abgrund trennt uns von der Wirklichkeit. Bleibt Intelligenz und Wandlungsfähigkeit. Sobald sie im Volke ist, man an der sinnlichen Wahrnehmung haften, trennt man das wird sie weise und plastisch: Sie kann verschiedene Aufga- beobachtete Objekt von seinem Lebenszusammenhang. Den- ben übernehmen und spontan neue Dienste leisten. Ist das 10 DAS GOETHEANUM Nr. 15-16 · 11. April 2014 · ZUSAMMENHÄNGE
Kosmische Ordnung, die auf der Erde Wirklichkeit wird, so erscheint der Wachs- bau des Bienenvolkes. Wesen nun die einzelne erfährt man das Biene oder vielmehr die Wesen nicht mehr Einheit des Volkes? Das ‹draußen› als vor- Wesen scheint in den vielfäl- gestelltes Ding ist, tigen Beziehungen zwischen sondern es öffnet sich den einzelnen Bienen zu liegen. ein innerer Raum, wo Das heißt, es ist ein unsichtbares ich das Wesen in mir Wesen aus tausenden Einzeltei- empfangen kann. Dadurch len, ein Wesen, das sich im Winter entsteht ein erster Ansatz zu im Kasten verdichtet und im Sommer einer inneren Gewissheit. Ich sich kilometerweit in die Landschaft entscheide nicht mehr aus äuße- verbreitert – es ist ein breit atmendes We- ren Überlegungen heraus, sondern sen. Schon am Anfang des 20. Jahrhunderts aus innerer Verbundenheit, die den hat der Imker Ferdinand Gerstung (1860–1925) Keim zur Verantwortlichkeit enthält. Es betont, das Wesen der Biene, der Bien, komme ist der Anfang eines Weges zu einem tieferen, nicht in der einzelnen Biene, sondern in dem ganzen intimeren Verständnis des Wesens. Bienenvolk zum Ausdruck. Die Wärmesubstanz entdecken Eigentlich ist jedes Wesen unsichtbar: Beim Bien wird das be- sonders deutlich, da er keinen einheitlichen physischen Kör- ‹Beziehungsdenken› nennt die heutige Philosophie dieses per hat. Das ist eine Herausforderung für unser Denken, das ‹wesensgemäße› Nachdenken. Der Philosoph Gilbert Simon- immer ein materielles Ding vor sich braucht, um das Wesen don (L'individuation psychique et collective, 1989) schreibt: erfassen zu können. Um sich dem Wesen zu nähern, ist es not- «Das Wesen ist Beziehung» und sogar «jede Wirklichkeit ist wendig, die Beziehungen lebendig zu denken, denn sichtbar ist Beziehung». Weiter zeigt er, wie die Beziehung weder vor es nicht. Zugleich berührt uns das Wesen des Bien besonders, noch nach der Individuation entsteht, sondern gleichzeitig. da es uns nahe ist: durch seine erstaunlich vielfältigen Leis- Diese Annahme ändert viele Erkenntnisfragen. Die Bienen tungen, die vom Wärmehaushalt bis zu sozialen Fähigkeiten helfen uns, eine Methode zu lernen, um jedes Wesen nicht reichen. Wärme und Liebe sind zu spüren, aber Liebe als eine nur als ein Individuum, sondern gleichzeitig durch seine viel- elementare Kraft, die überwältigen kann. Die Wirklichkeit fältigen Beziehungen kennenzulernen, wie R. Steiner es vor- dieses Wesens verdichtet sich, wenn man die Beziehungen schlägt, wenn er von den «naturintimen Wechselwirkungen» jeder einzelnen Biene zu dem Bien und die Beziehungen des spricht (GA 327, 7. Vortrag). Bien zur Mitwelt zu erleben beginnt. Das bedeutet, dass nicht wir Menschen die Bienen retten, sondern Wenn man so für die Beziehungen aufmerksam ist, wird man umgekehrt, die Bienen uns Menschen beibringen können, in Be- auch seine eigene Beziehung zu dem Wesen beachten und ent- ziehungen zu leben, zu bemerken, dass Beziehungen eine geisti- decken, dass diese Beziehung auch eine Wirklichkeit ist, die ge Substanz bilden, eine Wärmsubstanz, eine Liebesubstanz, die wirkungsvoll sein kann. In der tagtäglichen Arbeit lohnt es man entdeckt, sobald man sich wollend mit der Welt verbindet. sich, rückblickend auf die Beziehungen zu schauen. Dadurch Jean-Michel Florin ist Coleiter der Sektion für Landwirtschaft DAS GOETHEANUM Nr. 15-16 · 11. April 2014 · ZUSAMMENHÄNGE 11
MICHAEL WEILER LEBENSPROZESSE DER BIENE Rudolf Steiners Appell vor hundert Jahren, sich für die Bienen zu engagieren, ist hochaktuell. Dieses Engagement beginnt mit dem Staunen vor diesen Geschöpfen. Michael Weiler lädt dazu ein. Im ersten Arbeitervortrag von Rudolf Steiner zu den Bienen Die Höhle gehört aber nicht zu ihm. Ich denke, das ist einer der gibt es die Aufforderung: «Für die Bienenzucht muss eigentlich wichtigsten Punkte, weswegen wir die Kulturbeziehung zu den jeder Mensch das allergrösste Interesse haben, weil von der Bienen haben können, dass wir ihnen eine Hülle bieten können. Bienenzucht wirklich mehr als man denkt im menschlichen Da geht die Kultur, im Sinne der Begegnung, auch schon los: Leben abhängt.» Als Imker, der sich über 30 Jahre mit diesem Die Höhle ist für die Bienen, und der Bienenkasten ist für den Thema und den Arbeitervorträgen beschäftigt, kann ich sagen, Imker. Es liegt an uns, wie wir die Begegnung gestalten: Ob wir dass in jedem Lebensgebiet die Bienen zu finden sind, wenn den Bienen einen quadratischen und praktischen Kasten geben, man sie nur sucht. Bienenzucht ist Kultur. Kultur ist, dass etwas sodass wir möglichst leicht an den Honig kommen, oder ob wir entsteht, wenn Menschen anderen Wesen begegnen. Sie ist die Höhle dem Wesen angepasst gestalten, wie den Weißensei- davon bestimmt, wie sie ihre Beziehung pflegen und gestalten. fener Hängekorb. Wenn der Schwarm in die Höhle eingezogen Die Begegnung gestaltet sich aus dem, was die, welche sich ist, kann man erleben, dass er die Wärme verdichtet. Es werden begegnen, zu der Begegnung bringen. Das Bild ‹Der Bienen- Temperaturen von 41° bis 43°C erreicht. Aber das ist nur die freund› von Hans Thoma drückt die Stimmung aus, die in der physische Wärme, innerlich bekommt man den Eindruck, dass Begegnung mit den Bienen wichtig ist, weil aus dieser Stimmung der Schwarm Wärme verdichtet. Er verdichtet sie so weit, dass Imaginationen entstehen. Man kann die Imagination nicht so sie fast zur Substanz wird. Das ist schwer denkbar. Aber wenn wie eine Erinnerung aus unserem Lebenskräfteleib holen, weil man diesen Weg verfolgt, scheint es, dass die Bienen etwas aus die Imagination immer etwas Kosmisches ist. Was ich üben dem dunklen ihres Stockes zur Hilfe rufen, damit aus der Wärme kann, ist, eine Stimmung herzustellen, in der die Imagination Substanz werden kann. Sie rufen das Licht zur Hilfe. Licht ist das, zum Bewusstsein kommen kann. was allem Gestalt gibt. Sie fangen, an Wachs auszuschwitzen und aus diesem Wachs bauen sie den Ort, auf dem sie fortan Bienenvölker individualisieren sich im Duft leben werden. Die Waben. Und alles hängt von oben herunter. Bienen schaffen mehr als Honig. Das Wesentliche, was die Bie- Dieses Bild kann man erweitern auf alles, was man mit den nen leisten in dieser Welt ist, dass sie beleben, befeuern und Bienen erlebt: Die Bienen kommen vom Himmel zur Erde. Alle beseelen und dass sie begeistern. Das ist das Wichtigste, bei all anderen Lebensformen, die wir auf der Erde studieren können, dem, was uns heute belastet. Man kann viel über das Katastro- kommen von der Erde und wachsen zum Himmel. Erst in der phenszenario sprechen und dabei vergessen, was die Bienen Höhle wird der Schwarm zum Bienenstock. Die Bienenvölker uns eigentlich sind. Sie sind Lebensstifter, so wie sie sich dem individualisieren sich im Duft. Jedes Bienenvolk hat ein eige- Leben auch hingeben. nes Duftmuster, an dem sich die Bienen auch erkennen und Am Anfang ist der Schwarm. Wenn man erlebt, wie ein Schwarm unterscheiden. Der Moment, in dem der Schwarm in die Beute aus dem Bienenstock auszieht, dann kann man das Bild gewin- einzieht, ist einer der wenigen, in denen man als Imker den Duft nen: «Dieser Schwarm wird ‹ausgesprochen›» vom Bienen- wahrnehmen kann. stock. Mit dem Schwarm geht alles neu los. Eine Sache, die einen berühren kann, ist, dass der Bien sich einen Wärmeraum als Holz und Aromen riechen Lebensraum sucht. Steiner sagte: «... daher bezeichnet der Ok- Wenn die Bienen erst einmal im Kasten drinnen sind, dann riecht kultist die Biene als aus der Wärme heraus geboren». So schafft man alles Mögliche: Propolis und Holz und Aromen, aber nicht sich der Bienenstock eine Wärmesphäre, in der er lebt und aus mehr das Bienenvolk. Bienenwachs und Wabenbau bestehen der er alles leistet. Wenn wir mit einem Thermofühler in einen aus substantiierter Wärme mit Lichtcharakter. Das wird deut- Schwarm hinein fühlen, dann sehen wir, dass es im Schwarm lich, wenn wir aus dem Wachs eine Kerze gemacht haben und etwa 35 °C hat. Die herumfliegenden Bienen sind Wärmepunkte. diese anzünden. Dann löst sich die Kerze auf und wird wieder Es berührt mich auch immer merkwürdig, dass das Bienenvolk zu dem, aus was sie ist: zu Wärme und zu Licht und zu sonst sich keine Hülle geben kann. Ein Wesen, das immer offen ist nichts. Der feine Duft, den wir verspüren, der stammt aus den und sich selber nicht einhüllen kann. Es braucht eine Höhle. Lebensprozessen der Bienen. Im Bienenstock leben die Bienen 12 DAS GOETHEANUM Nr. 15-16 · 11. April 2014 · ZUSAMMENHÄNGE
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