Es lebe die Biene - DAS GOETHEANUM WOCHENSCHRIFT FÜR ANTHROPOSOPHIE - Landwirtschaftliche Tagung 2014

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Es lebe die Biene - DAS GOETHEANUM WOCHENSCHRIFT FÜR ANTHROPOSOPHIE - Landwirtschaftliche Tagung 2014
Es lebe die Biene
     Landwirtschaftliche Tagung 2014

DAS GOETHEANUM                         WOCHENSCHRIFT FÜR ANTHROPOSOPHIE
                                       AUSGABE Nr. 15-16 · 11. April 2014
Es lebe die Biene - DAS GOETHEANUM WOCHENSCHRIFT FÜR ANTHROPOSOPHIE - Landwirtschaftliche Tagung 2014
takte
                                                  Sind Waldorfschüler gesünder?                   Vorhang auf!
    ››› Freie interkulturelle Waldorfschule
    Berlin – Bis Mai soll es so weit sein, dass   Die Auswirkungen von Schule und Unter-          Neue Goetheanum-Bühne
                                                  richtsmethodik auf die Gesundheit waren         Der Abbruch der alten Goetheanum-Büh-
    der Schulbetrieb nach den Sommerferien
                                                  Thema einer Veranstaltung von ‹Waldorf-         ne ist abgeschlossen. Innerhalb des orga-
    aufgenommen werden kann. Bis dahin
                                                  pädagogik aktuell› auf der diesjährigen         nischen Goetheanum-Baus wird der neue
    muss das Gründungsteam vollständig,           didacta in Stuttgart. – In der Studie, wel-     Bühnenrohbau als Kubus erkennbar. Die
    ein Gebäude gefunden, das Genehmi-            che in Zusammenarbeit mit der Berliner          Sanierung umfasst zusätzlich zur Bühne
    gungsverfahren beendet, die Rechtsform        Charité durchgeführt wurde, waren 1100          die Fassade im Süden und Westen sowie
    eingetragen und die Öffentlichkeit infor-     Absolventen von Waldorfschulen im Alter         die Terrasse des Goetheanum. Von den
    miert sein. – Es könnte gelingen! Um mit      von 20 bis 80 Jahren mit Fragebögen nach        veranschlagten Gesamtkosten in Höhe von
    mehreren Klassen beginnen zu können,          ihrem Gesundheitszustand befragt und mit        13,5 Millionen Franken sind bereits 11 Mil-
                                                  einer Kontrollgruppe von 1700 Absolventen       lionen finanziert. Nach der Sanierung wird
    werden noch weitere Lehrer und Erzieher
                                                  anderer Schulen verglichen worden. Gefragt      die Bühne auf dem neusten Stand der Tech-
    gesucht. ››› FiBL-Mitarbeiterin gewinnt
                                                  wurde nach 16 chronischen Erkrankungen          nik sein. Die Aufhängung der oberen Büh-
    Bio-Grischun-Preis 2014 – Anet Spengler       sowie zahlreichen Beschwerden. Unter-           nenstruktur ist eine Innovation: Weltweit
    analysierte 99 Bio-Milchviehbetriebe auf      schiede ergaben sich in der genannten           erstmals werden Messsonden laufend die
    ihre dem Standort angepasste Zucht. Im        Studie unabhängig vom Gesundheitsver-           Belastung am Betonträgerwerk einer Büh-
    Rahmen der großen Viehschauen anläss-         halten wie Sport, Ernährung, Rauchen und        ne messen. Die Hubpodien erlauben lokal
    lich der Landwirtschaftsausstellung ‹agri-    Alkoholkonsum und auch vom Bildungs-            unterschiedlich einstellbare Höhen ebenso
    scha - Erlebnis Landwirtschaft› präsentiert   stand des Elternhauses. Frühere Studien         wie das Einrichten einer Schrägbühne für
                                                  aus dem Ausland hatten Waldorfschü-             die Eurythmie. Neu kann außerdem der
    sie seit vier Jahren besonders standort-
                                                  lern bereits eine bessere gesundheitliche       Portalbereich weiter und flexibler geöffnet
    gerechte Biokühe. – «Die Gewinnerin hat
                                                  Verfassung attestiert. ANTROMEDIA/CC            werden. Die Wiedereröffnung des Großen
    dank ihres hohen ‹i-Kuhs› wesentlich dazu                                                     Saals ist für den 26. September geplant. Die
    beigetragen, dass auf unseren Wiesen                                                          neue Bühne mit Orchestergraben ermöglicht
    und Alpweiden wieder vermehrt bergge-         Benedictus Hardorp gestorben                    dann auch Operngastspiele. SJ
    bietsangepasste Kühe mit vernünftigen
                                                  Am 7. März ist Benediktus Hardorp im Alter
    Lebensleistungen grasen werden.» So die
                                                  von 85 Jahren in Mannheim gestorben. Pa-
    Kernaussage des Laudators anlässlich der
                                                  rallel zu seiner Tätigkeit als Steuerberater
                                                                                                  Erste Gemeinwohl-Bank
    Preisverleihung. ››› Babynahrungsher-         und Wirtschaftsprüfer war Hardorp maß-          In Innsbruck ist kürzlich ein 80-köpfiges
    steller Holle verwendet in Zukunft aus-       geblich an der Gründung der Mannheimer          Projektteam zusammengekommen, um über
    schließlich Geflügelfleisch aus der Bru-      Waldorfschule 1972 wie auch der heutigen        die Initiative Gemeinwohl-Bank zu diskutie-
    derhahn-Aufzucht. Jedes Jahr sterben bis      ‹Akademie für Waldorfpädagogik› 1978            ren. Im Gegensatz zu Deutschland gibt es
    zu 34 Millionen männliche Küken, auch in      beteiligt. In beiden Einrichtungen war er       in Österreich bisher noch kein alternatives
    Bio-Betrieben. Anders als ihre Schwes-        lange im Vorstand tätig, ebenso hat er –        Geldinstitut. Die Gemeinwohl-Bank soll
                                                  zwischen 1979 und 2007 – im Vorstand des        zugunsten der Partizipation und des En-
    tern, die Eier legenden Hennen, wurden
                                                  Bundes der Freien Waldorfschulen mitge-         gagements für regionale, ökologische und
    die Hähne bislang als nutzlos erachtet,
                                                  arbeitet. Zuletzt galt sein Engagement vor      soziale Zwecke auf Renditeausschüttung
    da sie als Masttiere den heutigen hoch-       allem der Arbeit an der Frage nach einem        und Zinszahlungen verzichten. Auch die
    gezüchteten Masthähnchen unterlegen           gerechten Steuerwesen. BDFW/CC                  Spekulation mit Währungen und maßlose
    sind. Unter dem Motto «Rette meinen Bru-                                                      Bonuszahlungen soll es nicht geben. Anfang
    der» darf pro Legehenne ein männliches                                                        2015 könnte die Bank ihren Betrieb aufneh-
    Küken mit aufwachsen. ››› Isst Waldorf        Hilfe für Hebammen                              men. TIROLER TAGESZEITUNG/CC
    besser? – Schulverpflegung spielt durch       Bundesratsinitiative fordert Lösung
    den zunehmenden Ganztagsunterricht            Eine aktuelle Bundesratsinitiative setzt sich
    eine immer größere Rolle. In einer bun-       für eine umgehende Lösung der Problematik
                                                                                                  Neue Regionalwert-AG
    desweiten Studie wurde die Schulverpfle-      freiberuflicher Hebammen ein, die durch         Am 1. Juni soll auch in der Region Hamburg
    gung an Waldorfschulen untersucht. Das        steigende Beiträge zur Berufshaftpflichtver-    eine Regionalwert-AG gegründet werden;
    Ergebnis: Waldorfschulen schneiden sehr       sicherung in ihrer Existenz gefährdet sind.     diese verbindet Bürger, Landwirte, Verar-
    gut ab, sowohl bei der Qualität des Essens    Sie schlägt unter anderem die Schaffung ei-     beiter, Gastronomen und Händler. Das Kon-
                                                  nes steuerfinanzierten Haftungsfonds für        zept ist bereits in der Region Freiburg sehr
    als auch bei der Zufriedenheit der Schüler.
                                                  Schäden vor, die über bestimmte Haftungs-       erfolgreich, hier wurde 2006 die erste Regi-
    An staatlichen Schulen dagegen hagelt es      höchstgrenzen hinausgehen. Krankenkas-          onalwert-AG von Christian Hiß gegründet.
    Kritik. Die meisten Waldorfschulen kochen     sen sollen zudem angemessene Honorare           Bundeskanzlerin Merkel zeichnete ihn dafür
    selbst und integrieren das Thema gesun-       für die Hebammen bezahlen, damit eine           mit dem Titel ‹Social Entrepreneur 2011› aus.
    de Ernährung über das Schulfach Garten-       flächendeckende Versorgung gewährleistet        Deutschlandweit gibt es zahlreiche weitere
    bau sogar praktisch in den Unterricht. ›››    werden kann. GESUNDHEIT AKTIV/CC                Gründungsinitiativen. DEMETER/CC

2   DAS GOETHEANUM Nr. 15-16 · 11. April 2014 · BLICKE
Es lebe die Biene - DAS GOETHEANUM WOCHENSCHRIFT FÜR ANTHROPOSOPHIE - Landwirtschaftliche Tagung 2014
PHILIP KOVCE

BERNHARD STEINER                                                                                           Der Lebensraum
Ein Impuls für die nächste Kulturepoche
                                                                                                            Gedanken aus Griechenland

Die Mannheimer Tagung über die Templer hatte ein eigenes Schicksal. Der Vortrag von                 Nächster Halt: Olympiastadion. So ver-
Judith von Halle wurde wegen Krankheit abgesagt und Benediktus Hardorp, der ihren                   spricht es die Stimme in der athenischen
Vortrag referieren sollte, verstarb überraschenderweise zwei Wochen vor der Tagung.                 Metro, die einen ins Zentrum der Sommer-
                                                                                                    spiele 2004 befördert. Es ist eine Zeitreise.
Eine Ausstellung mit Bildern von mittelalter- Untergang, an dem die Dominikaner nicht               Zehn Jahre sind inzwischen vergangen.
lichen Grabplatten aus Schottland, auf denen  unbeteiligt waren, auch eine gewisse welt-            Und es ist eine Reise zum Mond. Denn
Ritter mit langen Speeren, manchmal auch      historische Berechtigung sehen kann. – Mit
                                                                                                    so verlassen und leer wie er liegt sie da,
mit Zirkel und Winkel und dem Templer- dem Gegenspieler, der die Vernichtung des
                                                                                                    diese riesige Betonwüste – nicht selbst
kreuz dargestellt wurden, begleitet die Ta- Ordens einleitete, König Philipp dem Schö-
                                                                                                    leuchtend, sondern die strahlende Sonne
gung. In einem Abriss über die Geschichte     nen, trat eine Persönlichkeit auf, die auch in
der Templer durch Albert Schmelzer wurde      unsere Zeit gepasst hätte. Um seine Kriege zu         nur blassgrau spiegelnd. Die Schilder, die
deutlich, dass diese in den etwa 200 Jahren   finanzieren, verringerte er den Silbergehalt          einst den Weg zu den Sportstätten wiesen,
ihres Wirkens sehr verschiedene Phasen        der damaligen Währung über zwanzigmal,                sind mit Werbebannern überklebt; der Ka-
durchgemacht haben. Veranlasst durch den      was ihm auch den Namen ‹Falschmünzer-                 belsalat der Sicherheitskameras wurzelt
Opfertod von Jakob von Molay am 18. März      könig› einbrachte. Er ließ auch die Menschen          ausschließlich im Nichts; durch die Laut-
vor 700 Jahren war ein Schwerpunkt der        durch Spione überwachen, manipulierte                 sprecher säuselt bloß sachte der Wind; in
Tagung allerdings auf das Ende des Ordens     die öffentliche Meinung und brachte den               den Springbrunnenbecken gewinnt Ge-
gelegt, insbesondere auf sein Weiterwirken    damaligen Papst Clemens V. in eine weitge-            strüpp die Oberhand; die Stahlbögen, die
in Schottland. – Der Beitrag von Horst Biehl  hende Abhängigkeit. Die Vernichtung des               das Areal zieren, rosten ebenso vor sich
richtete den Blick auf Zukunftsimpulse. Mit   Templerordens, um an dessen Goldschätze
                                                                                                    hin wie die Fassaden des Velodrom, des
dem Opfertod durch Folter und Feuer, ging     zu kommen, war denn nur noch ein letzter
                                                                                                    Aquatic Center und der Spyridon-Lou-
ein lichter Strom in die geistige Welt. Goe- Schritt des Königs von Frankreich, dieser
                                                                                                    is-Arena. Doch halt, etwas bewegt sich!
the gelang es, etwas von dem lichten Strom    «genial-habsüchtige Mensch» bei dem die
imaginativ in dem Märchen von der grünen      Sucht nach Macht und Gold zur «welthisto-             Eine Putzfrau, Kram unter dem einen, Kind
Schlange künstlerisch zu gestalten. Mit dem   rischen Marotte» wurde – so Rudolf Steiner.           unter dem anderen Arm, schließt die Tore
Motto der Templer: ‹Non nobis domini, non     Für unser Wirtschaftsleben, das zu oft nur            auf – auf ins Olympiastadion: 70 000 Sitze
nobis, sed nomine tuo da gloriam›* ist ein    den egoistischen Vorteil als Ansporn kennt,           versammelt um ein erloschenes olympi-
Ideal angesprochen, das weit in die Zukunft   kann der selbstlose Umgang der Templer mit            sches Feuer, dessen Fackel wie ein ver-
reicht. Das selbstlose Handeln war ein Leit- dem Geld ein Vorbild sein. Ihr Impuls, der             kehrter Füllfederhalter gen Himmel ragt.
motiv der Templer und sie sind zu globalen    vor 700 Jahren durch den Tod gehen musste,            Zehn Jahre sind inzwischen vergangen –
Akteuren geworden, mit integrierten Pro- wird aber in Zukunft sicher wieder auferste-               und was vom modernen Olympia bleibt,
duktionsketten, mit einem eigenen Vertei- hen. – Die Tagung war von Versuchen beglei-               sind Rostruinen. Überhaupt ist es so im
lersystem, denn sie hatten eine eigene Flotte tet, das Thema auch künstlerisch zu gestalten.        heutigen Athen: Wunderbare Gebäude
und eigene Banken. – Aus dem Beitrag von      Einmal durch die Eurythmie von Astrid Moos
                                                                                                    verfallen leer stehend, vor ihnen sitzen
Judith von Halle (von Alfred Kon vorgelesen)  Lange, durch das von Schülern aufgeführte
                                                                                                    die Sozialgefallenen, sinnentleert. Vielen
ging hervor, dass mit dem Templerimpuls       Kurzdrama von Simon Cade Williams ‹In
ein Samen gelegt wurde, der erst in einer     Gold gefesselt› und mit dem von Christiane            Lebenden fehlt es an Häusern, vielen Häu-
zukünftigen Epoche der Bruderliebe richtig    Schwarzweller geschriebenen und angelei-              sern an Leben. Wie tragisch, wie komisch,
zum Tragen kommen wird. Mit dem Impuls        teten Schauspiel ‹Im Angesicht›, aufgeführt           in Griechenland daran erinnert zu werden,
der Dominikaner ist hingegen etwas in die     von der Hamburger Mysteriendramagruppe                dass jede Theorie des Raumes eine des Le-
Welt gekommen, was für die angehende Ent- ‹Opera Contemplativa›.                                    bensraumes, des Lebensweltraumes sein
wicklungsstufe der Bewusstseinsseele ange- *‹Nicht uns, o Herr, nicht uns, sondern Deinem           muss – ansonsten verkommt der Raum
bracht ist. Insofern waren die Templer eine   Namen gib die Ehre› / Bild: Freske aus der            zum olympischen Todesstreifen und die
Frühgeburt, sodass man in ihrem tragischen    Templerkapelle von Cressac (1170–1180)                Erde wird, anstatt zur Sonne, zum Mond.

                                                                                      DAS GOETHEANUM Nr. 15-16 · 11. April 2014 · BLICKE            3
Es lebe die Biene - DAS GOETHEANUM WOCHENSCHRIFT FÜR ANTHROPOSOPHIE - Landwirtschaftliche Tagung 2014
SEBASTIAN JÜNGEL                              RONALD RICHTER                                 MARIA JACOBI

    Klinik Arlesheim                              Viele werden                                   Neue Mythen
    Zum 1. April vereinigten sich die Ita-Weg-    Leipzig zeichnet Gisela Höhne vom inte­        «Er bekam von dem Weisen die Gaben zurück,
    man-Klinik und die Lukas-Klinik zur Klinik    grativen RambaZamba-Theater aus. – Eine        mit denen er geboren wurde und das Wissen
    Arlesheim.                                    Hotelbar wird bei Vollmond überfallen ...      darum, wie er sie verwenden sollte.»

    Historische Momente können schlicht           «Wir sind die mit der drei!», ertönt es un-    Jeder Mensch bringt einen Mythos mit sich,
    daherkommen. Im Therapie(holz)haus            ter Tiermasken hervor, während verdutzte       der erzählt werden möchte. Doch wo fin-
    der Wegman-Klinik fand der Festakt der        Gäste aus den Zimmern gezerrt werden.          den wir Räume dafür? Im Hoogpoort 25,
    neuen Klinik Arlesheim in Anwesenheit         Daraus entrollt sich ein ‹RambaZam-            mitten in Gent, gibt das ‹Aanaajaanaa›
    von Politik, zuweisenden Ärzten, umlie-       ba›-Triso-Spektakel mit Bigband, Gesang        (‹kommen und gehen›) dafür ein Jahr
    genden Spitälern und einer Patientenor-       und Tanz von sogenannten behinderten           seine Räume her. Vier Frauen wohnen
    ganisation sowie von Medienvertretern         und nicht behinderten Akteuren. – Theater      hier und bilden das ‹Fabula Collective› für
    statt. Die Wegman-Klinik geht bereits seit    und Ensembles mit Behinderten haben            einen Ort der Begegnungen und Transfor-
    Jahren aktiv Kooperationen wie mit dem        Konjunktur. Sie werden zu Festivals einge-     mation. Im Januar fand ein zehntägiges
    Kantonsspital Baselland ein; der jetzige      laden und mit Preisen überhäuft. Den Be-       Bootcamp (Intensivworkshop) zur sozia-
    Zusammenschluss mit der Lukas-Klinik ist      ginn machte 1991 das integrative Theater       len Dreigliederung statt, im Februar eine
    nach 50-jähriger getrennter Arbeit ein his-   RambaZamba in Berlin zu einer Zeit, als In-    gut besuchte Festivalwoche: ‹Neue My-
    torisches Ereignis, zumal 2008 ein ähnli-     klusion auch an den Waldorfschulen noch        then – Neue Formen›. Das Bootcamp wur-
    cher Versuch gescheitert war. Gemeinsam       ein Fremdwort war. Es wurde von Gisela         de begleitet von der Geschichte eines Jun-
    sollen in der Klinik Arlesheim die Stärken    Höhne und Klaus Erforth gegründet, die         gen, der mit seinen Gaben zur Welt kommt.
    der Anthroposophischen Medizin  – nicht       selbst Eltern eines Downsyndrom-Kindes         Die Hebamme gibt diese Gaben jedoch zur
    zuletzt im Bereich der Onkologie – ausge-     sind. Gleich ihr erstes Stück am Deutschen     Aufbewahrung an einen weisen Mann wei-
     baut werden*. Zahlenmäßig glimpflicher       Theater in Berlin war ein durchschlagen-       ter. Als der Junge beginnt sich zu fragen,
    als befürchtet, haben von den zuvor zu-       der Erfolg. – Jetzt erhielt Gisela Höhne als   warum er auf der Welt ist, wird er auf eine
    sammen 475 Mitarbeitenden 25 das ge-          Künstlerische Leiterin in Leipzig den re-      Reise geschickt, um diese Gaben wieder-
    meinsame Haus verlassen müssen, von           nommierten Caroline-Neuber-Preis. Sie          zufinden. Die Gaben, die wir mitbringen,
    der Küche bis zur Klinikleitung. Ein ‹Op-     reiste mit ihrem vielköpfigen Ensemble         sind es, die uns mit der Welt verbinden.
    fer› musste der Verein für Krebsforschung     an, darunter der heute 38-jährige Sohn, der    In dieser Arbeit steht sowohl die Wahr-
     bringen. Er hat als vormaliger Träger mit    Schauspieler und Musiker Moritz Höhne.         nehmung und Auseinandersetzung mit
    der Lukas-Klinik sein «therapeutisches        In der Laudatio von Eva Mattes im dicht be-    der Welt als auch die Beschäftigung mit
    Herz» verloren, so Michael Werner. Wei-       setzten Leipziger Schauspielhaus, in Gruß-     der Biografie im Vordergrund. Ebenso wie
    tere Aufgaben stehen an: Die Verteilung       und Dankesworten der Beteiligten werden        Steiners Dreigliederung werden Metho-
    auf vier Häuser gilt es nun – auch im Zu-     wir eingestimmt auf das Befreiende au-         den der U-Theorie, imaginative Übungen
    sammenhang der Quartierplanung  – zu          thentischer Gefühle. – Die Lebenslust des      und Körperarbeit angewendet. Vorträge
    optimieren, so Verwaltungsratspräsi-          komisch-ernsten Stücks ‹Am liebsten zu         mit Gesprächsrunden werden auch von
    dentin Annemarie Gass. Der Kantonsarzt        dritt› ist dem Motto verpflichtet: «Wir wol-   Christine Gruwez und Dirk Holemans (Oi-
    Baselland, Dominik Schorr, identifizierte     len viele werden.» Seine rundum begabten       kos) gehalten. Die Kraft und Präsenz, die
    angesichts der höheren Alterserwartung        Spieler auf der Bühne führen professionell     von den vier Initiatorinnen ausgestrahlt
    die Aufgabe, Antworten auf die Frage          weder sich noch das Theater vor. Sie leben     wird, ermöglicht den Teilnehmern ein
    ‹Was hält gesund?› zu finden, statt zu fra-   es, lassen uns teilhaben an ihrer ureignen     tiefes Erleben bewegter Momente. Man
    gen: ‹Was macht gesund?›. Und Michaela        Individualität. Indem wir gemeinsam mit        kommt an, fühlt sich wohl und kann
    Glöckler wünschte sich eine Akademie          ihnen die Grenze überschreiten, entdecken      ganz da-sein. Die Räume des ‹Aanaaja-
    für Anthroposophische Medizin in den          wir, dass ihre Welt unsere Welt ist, einen     anaa› stehen noch bis August 2014 zur
    Räumen der vormaligen Lukas-Klinik.           wunderbaren Abend lang. Dafür dankten          Verfügung, dann wird ‹Fabula Collective›
                                                  wir Gisela Höhne und den Menschen von          neue Formen annehmen.
    *‹Goetheanum› Nr. 1–2/2014
                                                  RambaZamba mit Standing Ovations!
     Foto: Sebastian Jüngel                                                                      Fotografie von Lukas Oertel
     Web: www.klinik-arlesheim.ch                 Fotografie von Rob de Vrij                     www.fabulacollective.org

4   DAS GOETHEANUM Nr. 15-16 · 11. April 2014 · BLICKE
Es lebe die Biene - DAS GOETHEANUM WOCHENSCHRIFT FÜR ANTHROPOSOPHIE - Landwirtschaftliche Tagung 2014
WOLFGANG HELD

                                         Für den festen Tritt
                Vor fünf Jahren feierte die Waldorfbewegung ihr 90-jähriges Bestehen. Nun
                 ist die biologisch-dynamische Landwirtschaft an der Reihe. Ein umfassen-
                      des Handbuch soll für diesen Blick in die Zukunft den Boden bilden.

Das neue Handbuch über den biolo-                                                                        Thomas Lüthi betont, dass die Inspira-
gisch-dynamischen Landbau hat eine                                                                       tion für den biodynamischen Impuls
quadratische Form und ist damit wie                                                                      in den geistigen Grundlagen und den
eine trittfeste Bodenplatte, Veranke-                                                                    Visionen liege, die von den Tätigen auf
rung im Raum. Der Titel verankert                                                                        dem Feld, der Verarbeitung und dem
in der Zeit, denn alle drei Ebenen der                                                                   Handel entwickelt werden. Ausserdem
Zeit sind angesprochen, das nun 90                                                                       untersucht Ueli Hurter die von Rudolf
Jahre vergangene geistige Fundament,                                                                     Steiner eingeführten Kernbegriffe
das gegenwärtige Leben des anthro-                                                                       ‹Landwirtschaftlicher Organismus›,
posophischen Landbaus und im Titel                                                                       ‹Landwirtschaftliche Individualität›
schließlich die Perspektiven.                                                                            und ‹Ich-Anlage›. So wie man als
Diese ideelle Überschau ist nicht formal,                                                                Mensch immer individueller werde,
sondern die Frucht der Jahresthemen                                                                      je mehr man die Welt in sich univer-
der letzten Jahre. So stand 2010 der                                                                     sell aufnehme, so gelte auch für den
von Rudolf Steiner gehaltene Landwirt-                                                                   Hof, dass sein universeller Charakter
schaftliche Kurs im Zentrum der Arbeit.           Ueli Hurter (Hg.) ‹Agrikultur für die Zukunft›,        ihm sein unnachahmliches Gesicht
Dann schickte der Vertreterkreis des Biolo-      288 Seiten, in deutscher und englischer Spra-           verleihe. Das eigene Ich zu erfassen,
gisch-Dynamischen Landbaus weltweit 60              che erhältlich, Verlag am Goetheanum            bedeute, zu entdecken, dass man sein eige-
‹Scouts› aus, um von allen Höfen, Händlern                                                          ner geistiger Vorfahre sei. Das ist der Blick
und Betrieben zu erfahren, wo die ‹Brenn-       übernahmen Höfe. Es entstand die Sozial-            zurück. Nach vorne gelenkt, bedeute er, aus
punkte› heute liegen. Es war einer der inten-   form der Hochgemeinschaft. Dann kamen               der Begegnung mit sich selbst zu lernen.
sivsten Momente am Goetheanum, als diese        spezialisierte Betriebe zu Wein-, Gemüse-
                                                                                                    Kosmische Rhythmen der Sozialgestalt
Kundschafter dann die Essenz dieses Ringens     oder Obstbau hinzu. Marktkalkül begegnet
                                                                                                    Dann folgen im Buch über 20 Gebiete der
den aus aller Welt versammelten Landwirten      den Aussteigerbetrieben der früheren Zeit,
                                                                                                    Landwirtschaft. Tobias Bandel schildert
vortrugen. Der weiterer Schritt galt dann den   der Biogroßhandel kommt hinzu.
                                                                                                    spezielle Komposterfahrungen in Ägypten,
Perpektiven, den oft unscheinbaren Ideen
und Initiativen Einzelner und der Frage nach    Jede Generation muss sie neu erringen               Indien oder Costa Rica. Ideellen Grundlagen
                                                Jürgen Schürholz, ehemaliger Leiter der             folgen Praxisbeispiele, wie zum Gemüse-
fruchtbaren Allianzen.
                                                Filderklinik, beschrieb kürzlich, dass jede         anbei ein Portrait der Gärtnerei Willmann
Gegen den Hochmut                               Generation von Neuem die anthroposophi-             oder zum Obstanbau ein Bericht von Niko-
Wie gelingt es dem neuen Handbuch für           schen Medikamente erobern müsse. Diese              laus Bolliger von seinem Tafelobstanbau.
die anthroposophische Zuwendung zu Erde,        Aufgabe wird auch im Buch charakterisiert.          Ob bei der Frage des Pfropfens im Weinbau
Pflanze und Tier bei über zwanzig Autorin-      Die Prinzipien des von Rudolf Steiner ge-           oder des schnellen Alterns von Saatgut,
nen und Autoren, Kontur und Charakter zu        haltenen Kurses seien über längere Zeiträu-         jeweils werden die Hinweise von Rudolf
behalten? Das beantworten die einleitenden      me relevant, sodass deren Verständnis und           Steiner mit den praktischen Erfahrungens
Kapitel von Ueli Hurter und Thomas Lüthi.       Umsetzung ins Leben von jeder Generation            ins Gespräch gebracht. Von Tierzucht und
So zeigt Hurter, wie sich der biologisch-       neu errungen werden müsse. Dazu werden              Anbau in den Tropen über den Umgang mit
dynamische Landbau seit den 50er-Jahren         drei Mittel genannt: 1. Die Vielfalt der bio-       kosmischen Rhythmen bis zur Sozialgestalt
in drei Wellen entwickelt hat: Gegen den        logisch-dynamischen Landschaft bewusst              eines Hofes werden viele Bereiche des bio-
Hochmut der sich entwickelten Agrarwis-         wahrzunehmen. 2. Die jüngere Generation             logisch-dynamischen Landbaus, vorgestellt.
senschaft bedeutete es besonderen Mut, in       zu befördern. 3. Die Fähigkeit des Einzelnen,       Wo man merkt, dass diese Spezialisten und
den frühen Jahren den eigenen Hof umzu-         «innere Sicherheit in den Stürmen des Le-           damit deren Disziplinen miteinander im
stellen. In den 1970er- und 1980er-Jahren       bens zu gewinnen» und dabei Empathie für            Gespräch stehen, wird die Gegenwärtigkeit
kamen junge Menschen aus der Stadt und          Zusammenarbeit zu entwickeln.                       des Landwirtschaftlichen Kurses spürbar.

                                                                      DAS GOETHEANUM Nr. 15-16 · 11. April 2014 · ZUSAMMENHÄNGE                     5
Es lebe die Biene - DAS GOETHEANUM WOCHENSCHRIFT FÜR ANTHROPOSOPHIE - Landwirtschaftliche Tagung 2014
UELI HURTER

                             WIE HAT RUDOLF STEINER
                                  GEARBEITET?
                     Ist es möglich, Rudolf Steiner über die Schulter zu schauen bei seinem Arbeiten,
                          um zu verstehen und sich neu zu impulsieren? Von den Bienenvorträgen
                                       1923 zum Landwirtschaftlichen Kurs 1924.

    Ob nicht Rudolf Steiner selbst die Bildungsstunden halten könne,     Menschen aus Kopfkräften der übrige Organismus geformt
    fragten die Arbeiter und Handwerker beim Bau des Goetheanum.         werde, so bildeten die Bienen den Wachsbau als Leib. Die Waben
    Der Vormittag wäre am besten, weil sie abends einschlafen            entsprechten unseren Gliedmaßen.
    würden. So wurde es eingerichtet. Als er am 10. November 1923
    erstmals über das Leben der Bienen sprach, waren die Elemente        Der Landwirtschaftliche Kurs in Koberwitz 1924
    da, die noch heute orientieren und inspirieren: Erstens, die         Nach langer Bahnfahrt trifft Rudolf Steiner mit seinen Beglei-
    Bienen sind in Gefahr! Wenn wir nicht aufpassen, werden wir          tern am Abend des 6. Juni in Koberwitz ein. Wie Kurt von Wis-
    in 100 Jahren ein Bienensterben haben. Zweitens, die Bienen          tinghausen, erschrecken die Wartenden über Rudolf Steiners
    sind Schöpferinnen von Beziehungen in der Natur und können           Gesundheitszustand: «Es dunkelte schon, als das Auto endlich
    uns viel über die Geheimnisse der Natur erzählen. Drittens der       vorfuhr. Als Rudolf Steiner dem Wagen entstiegen war, erschra-
    Hinweis auf die tiefe Beziehung von Mensch und Biene. Später         ken wir alle über sein äußerst angegriffenes Aussehen. Er trug
    in den Vorträgen wird klar, dass diese Beziehung eine geistige       trotz der Sommerzeit einen Wintermantel. Eine am Griff seiner
    Verwandtschaft ist. «Geschwisterwesen» des Menschen nennt            schweren Aktentasche befestigte Tragschnur, über die Schulter
    Rudolf Steiner sie. Die Bienen bilden einen Organismus, der          geworfen, schnitt tief in den dunklen Stoff des Mantels ein.» Am
    weniger ein Erd- als vielmehr ein Sonnenorganismus sei. Der          nächsten Morgen, dem Pfingstsamstag, beginnt der Kurs. In der
    Bienenstock als Sonnenorganismus ist damit ‹Gast› auf der Erde.      Nacht, während alle anderen schlafen, arbeitet Rudolf Steiner
                                                                         schreibend im Bett. Um 5 Uhr morgens übergibt er die ersten
    Steiner spricht über das Bienengift nicht als ‹Waffe› im Sin-
                                                                         Papiere dem Boten, damit sie mit dem frühen Zug wegkommen.
    ne Darwins ‹Kampf ums Dasein› sondern beschreibt, wie aus
                                                                         Trotz der Überarbeitung jetzt das Überraschende: mit Fortgang
    gemeinsamen Ursprung sich Pflanzen- und Insektenleben ge-
                                                                         der Woche, mit Entwickeln des Landwirtschaftlichen Kurses
    gliedert haben und wie durch Insektengifte das Leben auf der
                                                                         geht es Rudolf Steiner jeden Tag besser. Die Kurstage werden
    Erde erhalten wird. «Die Gifte sind Geistsammler.» «Sie können
                                                                         wie ein Fest geschildert – eine Festlichkeit, die man noch heute
    daraus sehen, dass Gifte, wenn sie entzündlich wirken oder der-
                                                                         aus den Vorträgen ‹lesen› kann. Bedenkt man, wie vielfältig und
    gleichen, eigentlich zugleich die fortwährenden Heilmittel sind
                                                                         weltumspannend dieser Impuls dasteht, kann man ermessen, was
    gegen das Absterben. Und man kann sagen, gerade die Biene
                                                                         für eine geistige Substanz in diesen wenigen Tagen an Pfingsten
    ist in dieser Beziehung ungeheuer wichtig, damit sich alles in
                                                                         1924 geboren wurde. Wie hat Rudolf Steiner gearbeitet? Ist es
    den Blumen erhält.» 243((?)) Der Hochzeitsflug: Die Königin, so
                                                                         möglich, aus der historischen Betrachtung in die Geistesgegen-
    Rudolf Steiner, die ihr ganzes Leben nur im Stock ist, kommt
                                                                         wart des Steiner'schen Schaffens einzutauchen? Aus welchem
    nur dieses eine Mal heraus und fliegt jetzt zur Sonne. Sie will in
                                                                         Arbeitsstrom sind diese zwei ‹Werkstücke› entsprungen?
    die Sonne fliegen, sie fliegt so hoch, wie sie kann, und nur von
    den wenigen Drohnen, die sie noch begleiten können, wird sie         Erste Qualität: Der Mensch ist die Grundlage
    befruchtet – außerhalb des ‹irdischen› Stockes, möglichst nahe
                                                                         Die erste Zeichnung des Landwirtschaftlichen Kurses ist ein Bild
    der Sonne, zu der sie gehört. Ein befeuerndes Bild!
                                                                         gigantischer Dimension. Es geht bis zum Saturn. Es geht um
    Steiner beschreibt, dass die Biene als ein heiliges Tier angesehen   die großen Natur-Geistes-Darstellungen Rudolf Steiners 1923
    wurde, weil sie ein äusseres Bild sei, wie wir im Kopf organisiert   und 1924. Er spricht vom künstlehrischen Empfinden als Inst-
    seien. Dort wirken Nerven-, Blut- und Eiweißzellen zusammen.         rument, um über das Sachliche hinauszukommen. Immer gibt
    Das wird im Bienenvolk anschaulich: Wenn diese Zellarten             es den Bezug zum Menschen. Der Mensch erscheint immer als
    sich verselbständigen, werden aus Nervenzellen Drohnen, aus          der Mikrokosmos im Verhältnis zum Makrokosmos, wird als
    den Blutzellen die Arbeiterinnen und aus den Eiweißzellen            Zusammenklang der ganzen Natur Ausgangspunkt für die Kul-
    die Königin. Der vergleichende Blick geht weiter: Wie beim           tivierung der Natur: «Der Mensch wird zur Grundlage gemacht.»

6   DAS GOETHEANUM Nr. 15-16 · 11. April 2014 · ZUSAMMENHÄNGE
Es lebe die Biene - DAS GOETHEANUM WOCHENSCHRIFT FÜR ANTHROPOSOPHIE - Landwirtschaftliche Tagung 2014
Stets zwischen 33° und 36°, der Bienenstock ist eine Wärmeinsel der Natur. Fotografie von Kerry Jehanne

Zweite Qualität: Der Flug in die Sonne                                  Arbeiter ist ein Mensch, der nichts hat, nichts ist als das was er
                                                                        tut, aus sich selbst, denkend, fühlend, wollend. Als Arbeiter sind
Wie kommt Steiner aus diesen großen Imaginationen zur Hand-
                                                                        wir alle auf Augenhöhe, jeder steht frei in seiner individuellen
lung, wieso sagt er jetzt: «Nehmen Sie die Blüten der Schafgarbe?»
                                                                        karmischen Situation – aber wir stehen als Schwestern und Brü-
Aus der Perspektive des Vergangenen, als die wundervolle Schaf-
                                                                        der in der Welt und vor der Welt. Und diese Geschwisterlichkeit
garbe geschöpft und entwickelt wurde, hat es keinen Sinn, noch
                                                                        (im Geiste) ist die moderne soziale Form, die verschiede Gestalt
etwas ‹nachbessern› zu wollen. Die Schafgarbe ist auf ihre Weise
                                                                        hat im Geistesleben, im Rechtsleben und im Wirtschaftsleben.
Spitzenwerk der Natur, mehr geht nicht! Der Antrieb, über das Ge-
wordene hinauszugehen und verwandelnd einzugreifen, kommt               Drei Orientierungslinien
aus der Zukunft, allerdings nicht aus der Zukunft, die Fortsetzung
                                                                        Drei Orientierungslinien möchte ich aus dem Gesagten in den
des Vergangenen ist, dem ‹Futurum›, sondern aus der Zukunft, die
                                                                        Zukunftsraum der nächsten zehn Jahre legen: Die erste Orien-
auf uns zukommt, und die in der Gegenwart schon anwesend ist,
                                                                        tierung möchte ich nennen: ‹Der Mensch wird zur Grundlage
dem ‹Adventus›. Rudolf Steiner hat an der Begründung der Anth-
                                                                        gemacht.› Die Natur ist in ihrer geistigen Dimension größer und
roposophischen Gesellschaft deren Vorsitz übernommen. Das war
                                                                        weiter als wir ahnen. Es ist möglich, mit dieser Geistdimension
vom Gesichtspunkt der Vergangenheit etwas ‹Verbotenes›: Der
                                                                        zu arbeiten und sie nicht auf eine materialistische Dimension
Initiierte darf nicht der Organisation vorstehen, die diesem Er-
                                                                        herunterzuschrauben, wenn man den Menschen als Zusam-
kenntnisstrom einen irdischen Ort im Kulturleben ermöglicht.
                                                                        menklang, als Mikrokosmos mitbedenkt. Ich glaube, diese Ori-
Steiner tut es mit vollem Risiko und springt in den Strom, der aus
                                                                        entierung ist fruchtbar und zeitgemäß auch für die Fragen der
der Zukunft kommt. Er springt in eine neue Dimension seiner
                                                                        ganzen Erde, wie das Bienensterben oder die Klimaveränderung.
Bestimmung, die er noch nicht kennen, sondern nur wollen kann.
Rudolf Steiner nennt das, was da vollzogen wurde am Schluss             Die zweite Orientierung möchte ich nennen: ‹Den Flug in die Son-
dieser Tagung, einen ‹Welten-Zeitenwende-Anfang›. Man muss              ne›. Als Forschender wie Handelnder wird man dann befruchtet,
hineinspringen durch die Tat, in den Strom, der aus der Zukunft         wenn man abspringt vom alten Planeten und in den Zukunfts-
kommt, aus der Zukunft, wo die Erde selbst Sonne sein wird.             strom eintaucht, der als Sonne, als Leuchtpunkt entgegenstrahlt.
‹Hineinspringen in das Karma, das mir aus der Zukunft entgegen-         Das ist unser Willensstrom, in der inneren und in der äußeren
kommt›, möchte ich diese zweite Qualität seines Schaffens nennen.       Arbeit. Pflegen wir ihn! Er geht schnell unter neben allem kon-
                                                                        zeptuellen und ‹klugen› Denken. Aber dieses Wachhalten der
Dritte Qualität: Geschwisterlichkeit                                    Impulsqualität macht uns jung und wird uns ermöglichen, in
Die dritte Qualität Steiners Schaffen ist sozial. Jeder ist auf         unseren Biografien, in unseren Gemeinschaften und in unserer
seinem Hof König, und wehe, der Nachbarkönig würde im                   Zeit am Puls zu bleiben. Die dritte Orientierung möchte ich nen-
ungeschickten Moment seine Sicht über den Mist, über die                nen: ‹Geschwisterlichkeit›. Es kann eine Orientierung sein, uns
Präparate auf ‹königliche Art› verlauten lassen, da fliegen die         unterschiedlich, divers und individuell zu empfinden, aber im
Fetzen – und trotzdem: Wir arbeiten zusammen und haben eine             spirituellen Sinne zusammengehörig, gegenüber dem Impuls
biodynamische Bewegung. Das Erlebnis der Tiefe und Größe des            für eine Landwirtschaft der Zukunft. Wir sind da gut unterwegs
Impulses für eine Landwirtschaft der Zukunft ist stärker als die        mit einer Dialogkultur, die wir als Lebensform unserer Sektion zu
divergierenden Kräfte. Das geht, wenn der König auch Hirte ist.         entwickeln versuchen, durch das Entwickeln neuer Ansätze zur
Wir schaffen das, weil wir mehr arbeiten als denken. Als tätiger        Anerkennung der Höfe und Produkte im Rahmen von Demeter
Landwirt erlebe ich täglich, wie ich mit aller Anstrengung der          International und, das Wichtigste, durch einen neuen Schub,
Größe der Natur, den Ansprüchen der Gesellschaft, meinen                den wir jetzt lancieren müssen, für ein assoziatives Wirtschaften.
eigenen Zielen gegenüber klein dastehe. Steiners Liebe zum
Proletariat war nicht affektiv, sondern vielmehr ‹objektiv›. Der        Ueli Hurter ist Coleiter der Sektion für Landwirtschaft.

                                                                   DAS GOETHEANUM Nr. 15-16 · 11. April 2014 · ZUSAMMENHÄNGE                      7
Es lebe die Biene - DAS GOETHEANUM WOCHENSCHRIFT FÜR ANTHROPOSOPHIE - Landwirtschaftliche Tagung 2014
THOMAS RADETZKI

                                         ES LEBE DIE BIENE
                   Sie ist eines der kleinsten und zugleich das größte Lebewesen in der Landwirtschaft.
                   Sie ist vielfältig bedroht und stellt dabei drei Fragen an uns. Es sind Schlüsselfragen,
                            weil an ihrer Beantwortung die gesamte Ökologie zu hängen scheint.

                                                                                                                    Wie atmet die Biene?
    Weltweit gibt es nur zwei Arten Honigbienen, die in Hohlräumen      mark, es gibt kein Rückenmark. Das Sie wird geatmet. Es
    im Wabenbau ihr Nest bauen: die westliche und die östliche          entspricht einem völlig anderen Be- gibt keine Lunge, kein
    Honigbiene, Apis mellifera und Apis cerana. Die Cerana-Biene        wusstsein als das bei Säugetieren oder zentrales Organ für den
    ist in Asien verbreitet und lebt seit Urzeiten im Gleichgewicht     gar beim Menschen. Es scheint kein Gaswechsel. Sie öffnet
    mit der Varroa-Milbe. Diese Milbe ernährt sich ausschließlich       Zentrum zu geben. Und wie atmet die sich für den Luftraum,
    vom Blut der erwachsenen Biene und ihrer Brut. Unsere Biene         Biene? Sie wird geatmet. Es gibt keine der sie umgibt
    kennt die Milbe nicht und hat deshalb keinerlei Abwehrstrategie.    Lunge, kein zentrales Organ für den
    Unsere Biene kann also nicht für ein Gleichgewicht sorgen und       Gaswechsel. Sie öffnet sich für den Luftraum, der sie umgibt;
    bringt dadurch sich und die Milbe in die Lage, beim Zusammen-       die Außenluft gelangt über eine Reihe Öffnungen in Luftsäcke
    brechen der Völker miteinander zu sterben.                          und fein verzweigte Röhren, sogenannte Tracheen, bis an die
     Wir haben in Europa eine enge Korrelation zwischen sterben-        Orte, wo der Sauerstoff gebraucht wird. Die Antennen sind mit
     den Bienenvölkern während der Überwinterung und ihrem              Tausenden Sinneszellen für Geruch, Geschmack und Tastsinnes-
     Parasitierungsgrad. Man muss sagen: Die Milbe steht bei den        zellen besetzt – Bienen riechen räumlich! Die Facettenaugen
     Ursachen für das Bienensterben im Winter im Vordergrund.           schaffen keine kreuzenden Sehachsen, dafür eine Hingabe an
     Aber sie steht in dem Sinne im Vordergrund, dass sie die anderen   den Himmelsraum und die Landschaft. Die ganze Konstitution
     Belastungsfaktoren verdeckt. Dabei handelt es sich um Faktoren,    der Biene zeigt ein peripheres Bewusstsein, dem Umkreis, dem
     die der Intensivierung der Landwirtschaft geschuldet sind. Die     Kosmos hingegeben. Sie ist in unvergleichlicher Weise offen.
     imkerlichen Betriebsweisen und der Einsatz von Arzneimitteln       Das Bienenvolk
    – seien sie ökologisch oder nicht – sind mehr oder weniger Teil
                                                                        Es gibt etwas Gewaltiges und Wunderschönes zu entdecken, wenn
     dieser Entwicklung. Der Weg für die Praxis besteht aus meiner
                                                                        wir Bienen im Volksganzen betrachten. Was bei der Staatenbil-
     Sicht darin, sich klarer zu werden, was organische und was
                                                                        dung geschieht, ist ein Quantensprung, eine Umstülpung der Na-
     mechanische Elemente in unseren Betriebsweisen sind. Ein
                                                                        tur des Individuums. Ein ganz anderes Wesen tritt uns entgegen:
     Beispiel: Ich hatte vorletztes Jahr praktische Prüfungen von
                                                                        Eines mit kraftvollem Zentrum, erfüllt von seelischer Wärme, mit
     zukünftigen Imkern abzunehmen. Als Erstes wurde ich von
                                                                        einem innenliegenden Skelett, dem Wabenwerk, das vom Himmel
     den Prüflingen gefragt: Wie alt ist die Königin? Falls sie ‹zu
                                                                        aufrecht herunterwächst. Ein Schlüssel dazu, dieses Lebewesen
     alt› wäre, sollte man sie gleich austauschen! Das Bienenvolk
                                                                        zu verstehen, ist die Gliederung seines Organismus in die drei
     ist in der konventionellen Imkerei zu einem Baukastensystem
                                                                        Bienenwesen: Königin, Drohne und Arbeitsbiene. ‹Die› Biene
     verkommen. Bei der Bienenhaltung gehen wir mit konkreten
                                                                        gibt es nicht. Das Bienenwesen, der Bien, verkörpert sich in drei
     Erscheinungen um, die von einem Wesen hervorgebracht wer-
                                                                        Tieren und zwei davon wurden noch nie auf einer Blüte gesehen.
     den. Ich bin überzeugt, dass es immer mehr auf unsere innere
     Haltung ankommen wird, wie gesund unsere Bienen sind.              Eine einzige Königin lebt im dunklen Zentrum des Volkes, im
                                                                        ‹stockdunklen› Bienenstock. Sie stiftet den individuellen Cha-
    Die einzelne Biene                                                  rakter des Volkes über ihren Duft und Erbstrom. Alle Individuen
    Die Biene in ihrem feinen Haarkleid ist gegliedert in Kopf, Brust   stammen von ihr ab. Mit einer ungeheuren Stoffwechselleistung
    und Hinterleib mit den glänzenden vier Flügeln, die wie die         legt sie am Tag 1500 Eier. Das ist mehr als ihr Körpergewicht,
    sechs Beine vom Thorax, der Brust, abgehen. Nur die Fühler,         und sie wird – wenn der Imker sie lässt – fünf bis sechs Jahre alt.
    die ‹Antennen› gehen vom Kopf ab. Ihr Körper hat wie bei allen      Eine unglaubliche Vitalität! Die Drohnen hingegen verkörpern
    Insekten seinen Halt durch ein Außenskelett, dem Chitin-Pan-        in ihrem Leib und ihrem Verhalten den Nerven-Sinnes-Pol des
    zer. Die Biene hat kein zentrales Gehirn, im Kopf ist lediglich     Volkes. Sie können sich nicht selbst ernähren und sind emp-
    eine gewisse Konzentration an Nervenzellen. Ein dezentrales         findlich, ein wenig Kälte, und sie sind schlapp. Sie sind so wenig
    Strickleiter-Nervensystem ist vorhanden, vor allem als Bauch-       vital, dass sie sterben, wenn sie der Königin bei der Begattung

8   DAS GOETHEANUM Nr. 15-16 · 11. April 2014 · ZUSAMMENHÄNGE
Es lebe die Biene - DAS GOETHEANUM WOCHENSCHRIFT FÜR ANTHROPOSOPHIE - Landwirtschaftliche Tagung 2014
Fotografie von Günther Hauk ‹Honeybee Sanctuary›. Siehe Seite 14

ihr Sperma geben. Zu dieser geringen Vitalität gehört der große      Bestäubung, Biene und Landschaft
Sinnensapparat. Sie tragen ein Vielfaches an Sinnesorganen auf
                                                                     Jeder hat von der wichtigen Bestäubungsleistung der Bienen, dem
den Fühlern und ihre Augen umspannen den ganzen Kopf. Sie
                                                                     großen volkswirtschaftlichen Nutzen und dem unverzichtbaren
nehmen den Umraum wahr und vagabundieren von Volk zu Volk.           Stellenwert für die Biodiversität gehört. Die volle Wirklichkeit der
Sie verbinden die Bienenstöcke der Landschaft.                       Blütenbestäubung erschließt sich aber erst im Kontext dessen,
Die Imme steht zwischen beiden. Sie wird auch in andere Völ-         was Rudolf Steiner ‹kosmische Befruchtung› nennt: Die Bienen
ker hineingelassen, aber nur, wenn sie mit vollem Honigmagen         helfen, das kosmische Urbild der Pflanzen immer wieder in die
kommt. Im Tages- und Jahresrhythmus verbindet sie die taghelle       Frucht- und Samenbildung einzuweben und so der Erde die Saat
Landschaft mit dem Stockdunkel. Sie sammelt Harz der Knospen,        zu bereiten. In diesem Prozess verbinden sie Himmel und Erde,
Blütenstaub, Nektar und verwandelt all diese Stoffe. Aus dem         und so ist natürlich die Liebe der Bienen zu den Blumen ein wei-
Pollen macht sie das Bienenbrot, aus dem Nektar den Honig.           terer Schlüssel zum Verständnis des Bienenwesens.
All das geschieht in einem großen Konzentrationsprozess, was         Ich habe einen Freund, der hat nicht nur einen Hof und Bienen,
besonders schön am Honig zu sehen ist. Er ist zuerst flüssig und     sondern ein eigenes Flugzeug, das ist doch ziemlich selten. Er
wird eingedickt bis zum Kristallinen. Diese fleißigen Immen          hatte mich eingeladen, den Flugradius seiner Völker mal von
lassen sich vom Geist des Bienenstockes in unterschiedlichste        oben zu bestaunen. Die Fläche ist gewaltig, viele Quadratkilo-
Organprozesse hinein organisieren.                                   meter. Unfassbar, dass unsere Völker diesen Raum erfüllen und
Organprozesse                                                        durchdringen. Dieser enormen Ausbreitung steht die Konzentra-
                                                                     tion des Volkes im Bienenstock gegenüber. Bei Tageslicht atmet
Der Bienenstock ist ein Organismus, der vielfältige Organe funk-
                                                                     das Volk seine Bienen aus, nachts zieht es sich zusammen ins
tioneller Natur ausbildet. Bestimmte Tätigkeiten werden konti-
                                                                     Dunkle des Stockes. Diese Urpolarität lebt das Bienenvolk im
nuierlich ausgeführt. Die einzelnen Bienen aber wechseln dabei.
                                                                     Tag-Nacht-Rhythmus und in den Höhepunkten des Jahreslaufes,
Ein Teil dieser Tätigkeiten ist an eine bestimmte Drüsenaktivität
                                                                     in Winter- und Schwarmtraube. Der Bien atmet im Einklang mit
gebunden. Jede Biene macht einen ‹biografischen› Reifungspro-
                                                                     der Erdennatur. Im Winter ist das Volk still zurückgezogen in den
zess durch, in dem Futtersaftdrüsen, Wachs erzeugende Drüsen,
                                                                     Schoß der Erde. Zu Johanni wirkt es in der innigen Durchdringung
Giftdrüsen usw. nacheinander einen Höhepunkt an Aktivität
                                                                     der Elemente und der Entfaltung alles Lebendigen. Diese große
entfalten. Nacheinander tut dabei jede Biene zwar alles, aber was,
                                                                     Gebärde können wir draußen miterleben und sie ist ein ideales
wie viel, ... wie lange und wann sie etwas macht, das geschieht
                                                                     Motiv für eine bienenfreundliche Meditation. Den landwirtschaft-
ohne Arbeitspbesprechung. Es läuft auch kein festes genetisches
                                                                     lichen Betrieb sollen wir als Hoforganismus verstehen und die
‹Programm› ab. Was mich am meisten beeindruckt ist, dass sie
                                                                     Bienen sind ein Organ darin. Dieses Lebewesen ergießt sich über
sogar ihr Lebensalter nach dem richten, was nötig ist! Bei der
                                                                     den Hof, nimmt ihn in sich hinein mit allem: mit Blüten, Tieren
grandiosen Leistung des Bienenvolkes braucht es uns nicht zu
                                                                     und Menschen. Die Bienen fragen uns Menschen heute etwas.
wundern, das wohl kaum an einem andern Tier weltweit so viel
                                                                     Ihre Fragen werden immer lauter Sie fragen:
geforscht wird wie an den Bienen. Hier stößt die Naturwissen-
schaft an offenkundige Erkenntnisgrenzen.                            Erkennst du mich? Fühlst du mich? Willst du mich?

Hinter dieser Zusammenarbeit des Volkes steht ein geistiges          Wenn wir uns am Duft und Klang der Bienen freuen, werden
Wesen, es bringt sich in all dem zum Ausdruck, hat diese Er-         wir die Fragen beantworten können im Sinne der Bienen. Und
scheinungen hervorgebracht und tritt durch sie hinein in unsere      damit – wie könnte es anders sein: – im Sinne des Ganzen. Und
physische Welt. Dieses Wesen nennen wir den ‹Bien›. Das Wort         so mag ich mit dem Motto der Stiftung ‹Aurelia› schließen, die
bekam seinen Stellenwert durch Ferdinand Gerstung, einen der         wir gerade gründen. Es lautet: «Es lebe die Biene!»wir gerade
Großmeister der Bienenzucht, durch sein bahnbrechendes Werk          gründen. Es lautet: «Es lebe die Biene»!
mit dem Titel ‹Der Bien und seine Zucht› Auss dem Jahr 1901.         Thomas Radetzki Vorstand des Bienenvereins ‹Melifera›

                                                                 DAS GOETHEANUM Nr. 15-16 · 11. April 2014 · ZUSAMMENHÄNGE                   9
Es lebe die Biene - DAS GOETHEANUM WOCHENSCHRIFT FÜR ANTHROPOSOPHIE - Landwirtschaftliche Tagung 2014
JEAN-MICHEL FLORIN

                                          IN BEZIEHUNGEN
                                          DENKEN LERNEN
                          Die Bienen sind gefährdet, aber noch mehr sind wir Menschen ge-
                         fährdet. Die Bienen als Beziehungswesen verstehen und unterstüt-
                          zen lernen bedeutet deshalb, als Mensch in die Sphäre der Bezie-
                          hungen zu treten. Nicht wir retten die Bienen, die Biene rettet uns.

                                                                                                                Nachdem ich die Biene
     Dieses Jahr wurde an der Landwirtschaftlichen Tagung ein bren-    noch bleibt man unbewusst mit dem durch meine Vorstellung
     nendes Fachthema mit den bisher erarbeiteten interaktiven,        Sein der Welt verbunden. Wenn ich aus ihrem Zusammen-
     dialogischen Methoden bearbeitet. Der Titel der Tagung «Die       zum Beispiel eine Biene bestimme, sie hang getrennt habe,
     Bienen, Schöpferinnen von Beziehungen» gab den roten Faden        zum Ding reduziere, kann ich spüren, muss ich sie wieder be-
     für die inhaltliche Arbeit. Ein zweiter roter Faden war mit der   dass ich sie damit kognitiv ‹töte›. Dies wusst in ihren Zusam-
     angewandten Methode verknüpft: Wie kann man in Bezug auf          schenkt mir Freiheit, trennt mich aber menhang einfügen.
     konkrete ‹landwirtschaftliche› Maßnahmen zu einer inneren         von der Welt. Solange wir mit dem
     Gewissheit kommen, anstatt sich auf eine äußere Ansicht oder      Sein der Welt verbunden waren, hatten wir ein intimes Ver-
     Autorität zu stützen? Eine existenzielle Betroffenheit über die   ständnis der Wesen, aber es war nicht frei: das Wesen ‹sagte›,
     weltweite Gefährdung der Bienen war für viele Teilnehmer Aus-     was man tun sollte. Ganz anders heute: Vorstellungen des
     gangspunkt, sich mit den Bienen zu beschäftigen. Die Betroffen-   Gewordenen kann ich beliebig kombinieren. So z.B. kann
     heit führte zu einem Erwachen und dadurch entstanden Fragen       ich anhand dieser Vorstellungen überlegen, wie die Bienen
     wie: Was hat das Bienensterben zu bedeuten? Was können wir        dazu gebracht werden können, mehr Honig zu produzieren.
     tun? Ziel der Landwirtschaftlichen Tagung war es, zu versuchen,   Dabei werden Vorstellungen kombiniert, die nur dem toten
     nicht nur auf die äußeren Aspekte zu schauen, sondern auch        Teil der Wirklichkeit entsprechen, und das Ergebnis dieses
     die inneren, geistigen Aspekte, die zu dieser erschütternden      Kombinierens bringt unerwartete Nebenwirkungen, die das
     Tatsache gehören, zu beleuchten.                                  Leben schwächen. Wird die Biene als Ding, ohne auf die viel-
     Die auf Produktion orientierten Handlungen, wie künstliche        fältigen feineren Wechselbeziehungen zu achten, arbeitet man
     Königinnenzucht, Einsatz von Pestiziden, aber auch zahlreiche     mit einer Halbwirklichkeit und es muss unweigerlich zu den
     negative Umweltwirkungen führen gemeinsam zur Katastrophe.        heute sichtbaren Problemen führen.
     Die Art des Denkens, die zu dieser Problematik geführt hat,       Das Unsichtbare sehen lernen
     wird kaum die Lösung bringen können. Bei bedrohten oder
                                                                       Ein Wesen ist ein Werdendes, nichts Fertiges. Wie kann man
     kranken Tier- und Pflanzenarten kann die Ursache des Problems
                                                                       dieses Werdende, Lebendige erkennen? Dazu, schreibt R. Steiner,
     ergründet werden, indem wir das einzelne Tier- oder Pflanzen-
                                                                       muss man eine «imaginative» Erkenntnis der Welt entwickeln.
     wesen tiefer verstehen, indem wir von der Erkenntnis äußerer
                                                                       Das führt in das Gebiet der lebendigen Kräfte. Nachdem ich
     Tatsachen, der Erscheinung und dem Verhalten eines Wesens,
                                                                       die Biene durch meine Vorstellung aus ihrem Zusammenhang
     zu einer tiefen Erkenntnis dieses lebendigen Wesens kommen.
                                                                       getrennt habe, muss ich sie wieder bewusst in ihren Zusammen-
     Der Abgrund zur Wirklichkeit                                      hang einfügen. Versuchen wir es! Eine große Hilfe dazu ist das
     Im Leitsatz ‹Die Freiheit des Menschen und das Michaelzeit-       Staunen, um einen neuen Blick auf die Welt zu erlangen. Sich
     alter› (GA 26) beschreibt Rudolf Steiner, wie wir aus Sinnes-     Fragen Stellen, Beobachten und Staunen dienen der Verleben-
     wahrnehmungen Vorstellungen der Welt bilden; es sind Bilder       digung unserer Beziehungen zur äußeren Welt.
     der Welt, wo wir das Gewordene, nicht aber das Lebendige          Keine Biene kann für sich allein leben. Allein verliert sie alle
     erfassen: Ein Abgrund trennt uns von der Wirklichkeit. Bleibt     Intelligenz und Wandlungsfähigkeit. Sobald sie im Volke ist,
     man an der sinnlichen Wahrnehmung haften, trennt man das          wird sie weise und plastisch: Sie kann verschiedene Aufga-
     beobachtete Objekt von seinem Lebenszusammenhang. Den-            ben übernehmen und spontan neue Dienste leisten. Ist das

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Kosmische Ordnung, die auf
 der Erde Wirklichkeit wird,
   so erscheint der Wachs-
      bau des Bienenvolkes.

      Wesen nun die einzelne                                                                                       erfährt man das
      Biene oder vielmehr die                                                                                     Wesen nicht mehr
      Einheit des Volkes? Das                                                                                    ‹draußen› als vor-
      Wesen scheint in den vielfäl-                                                                             gestelltes Ding ist,
      tigen Beziehungen zwischen                                                                               sondern es öffnet sich
      den einzelnen Bienen zu liegen.                                                                        ein innerer Raum, wo
      Das heißt, es ist ein unsichtbares                                                                    ich das Wesen in mir
      Wesen aus tausenden Einzeltei-                                                                      empfangen kann. Dadurch
      len, ein Wesen, das sich im Winter                                                                entsteht ein erster Ansatz zu
      im Kasten verdichtet und im Sommer                                                              einer inneren Gewissheit. Ich
      sich kilometerweit in die Landschaft                                                          entscheide nicht mehr aus äuße-
      verbreitert – es ist ein breit atmendes We-                                                 ren Überlegungen heraus, sondern
      sen. Schon am Anfang des 20. Jahrhunderts                                                aus innerer Verbundenheit, die den
      hat der Imker Ferdinand Gerstung (1860–1925)                                          Keim zur Verantwortlichkeit enthält. Es
      betont, das Wesen der Biene, der Bien, komme                                     ist der Anfang eines Weges zu einem tieferen,
      nicht in der einzelnen Biene, sondern in dem ganzen                         intimeren Verständnis des Wesens.
      Bienenvolk zum Ausdruck.
                                                                       Die Wärmesubstanz entdecken
      Eigentlich ist jedes Wesen unsichtbar: Beim Bien wird das be-
      sonders deutlich, da er keinen einheitlichen physischen Kör-     ‹Beziehungsdenken› nennt die heutige Philosophie dieses
      per hat. Das ist eine Herausforderung für unser Denken, das      ‹wesensgemäße› Nachdenken. Der Philosoph Gilbert Simon-
      immer ein materielles Ding vor sich braucht, um das Wesen        don (L'individuation psychique et collective, 1989) schreibt:
      erfassen zu können. Um sich dem Wesen zu nähern, ist es not-     «Das Wesen ist Beziehung» und sogar «jede Wirklichkeit ist
      wendig, die Beziehungen lebendig zu denken, denn sichtbar ist    Beziehung». Weiter zeigt er, wie die Beziehung weder vor
      es nicht. Zugleich berührt uns das Wesen des Bien besonders,     noch nach der Individuation entsteht, sondern gleichzeitig.
      da es uns nahe ist: durch seine erstaunlich vielfältigen Leis-   Diese Annahme ändert viele Erkenntnisfragen. Die Bienen
      tungen, die vom Wärmehaushalt bis zu sozialen Fähigkeiten        helfen uns, eine Methode zu lernen, um jedes Wesen nicht
      reichen. Wärme und Liebe sind zu spüren, aber Liebe als eine     nur als ein Individuum, sondern gleichzeitig durch seine viel-
      elementare Kraft, die überwältigen kann. Die Wirklichkeit        fältigen Beziehungen kennenzulernen, wie R. Steiner es vor-
      dieses Wesens verdichtet sich, wenn man die Beziehungen          schlägt, wenn er von den «naturintimen Wechselwirkungen»
      jeder einzelnen Biene zu dem Bien und die Beziehungen des        spricht (GA 327, 7. Vortrag).
      Bien zur Mitwelt zu erleben beginnt.                             Das bedeutet, dass nicht wir Menschen die Bienen retten, sondern
      Wenn man so für die Beziehungen aufmerksam ist, wird man         umgekehrt, die Bienen uns Menschen beibringen können, in Be-
      auch seine eigene Beziehung zu dem Wesen beachten und ent-       ziehungen zu leben, zu bemerken, dass Beziehungen eine geisti-
      decken, dass diese Beziehung auch eine Wirklichkeit ist, die     ge Substanz bilden, eine Wärmsubstanz, eine Liebesubstanz, die
      wirkungsvoll sein kann. In der tagtäglichen Arbeit lohnt es      man entdeckt, sobald man sich wollend mit der Welt verbindet.
      sich, rückblickend auf die Beziehungen zu schauen. Dadurch       Jean-Michel Florin ist Coleiter der Sektion für Landwirtschaft

                                                                   DAS GOETHEANUM Nr. 15-16 · 11. April 2014 · ZUSAMMENHÄNGE              11
MICHAEL WEILER

     LEBENSPROZESSE DER BIENE
     Rudolf Steiners Appell vor hundert Jahren, sich für die Bienen zu engagieren, ist hochaktuell.
     Dieses Engagement beginnt mit dem Staunen vor diesen Geschöpfen. Michael Weiler lädt dazu ein.

     Im ersten Arbeitervortrag von Rudolf Steiner zu den Bienen          Die Höhle gehört aber nicht zu ihm. Ich denke, das ist einer der
     gibt es die Aufforderung: «Für die Bienenzucht muss eigentlich      wichtigsten Punkte, weswegen wir die Kulturbeziehung zu den
     jeder Mensch das allergrösste Interesse haben, weil von der         Bienen haben können, dass wir ihnen eine Hülle bieten können.
     Bienenzucht wirklich mehr als man denkt im menschlichen             Da geht die Kultur, im Sinne der Begegnung, auch schon los:
     Leben abhängt.» Als Imker, der sich über 30 Jahre mit diesem        Die Höhle ist für die Bienen, und der Bienenkasten ist für den
     Thema und den Arbeitervorträgen beschäftigt, kann ich sagen,        Imker. Es liegt an uns, wie wir die Begegnung gestalten: Ob wir
     dass in jedem Lebensgebiet die Bienen zu finden sind, wenn          den Bienen einen quadratischen und praktischen Kasten geben,
     man sie nur sucht. Bienenzucht ist Kultur. Kultur ist, dass etwas   sodass wir möglichst leicht an den Honig kommen, oder ob wir
     entsteht, wenn Menschen anderen Wesen begegnen. Sie ist             die Höhle dem Wesen angepasst gestalten, wie den Weißensei-
     davon bestimmt, wie sie ihre Beziehung pflegen und gestalten.       fener Hängekorb. Wenn der Schwarm in die Höhle eingezogen
     Die Begegnung gestaltet sich aus dem, was die, welche sich          ist, kann man erleben, dass er die Wärme verdichtet. Es werden
     begegnen, zu der Begegnung bringen. Das Bild ‹Der Bienen-           Temperaturen von 41° bis 43°C erreicht. Aber das ist nur die
     freund› von Hans Thoma drückt die Stimmung aus, die in der          physische Wärme, innerlich bekommt man den Eindruck, dass
     Begegnung mit den Bienen wichtig ist, weil aus dieser Stimmung      der Schwarm Wärme verdichtet. Er verdichtet sie so weit, dass
     Imaginationen entstehen. Man kann die Imagination nicht so          sie fast zur Substanz wird. Das ist schwer denkbar. Aber wenn
     wie eine Erinnerung aus unserem Lebenskräfteleib holen, weil        man diesen Weg verfolgt, scheint es, dass die Bienen etwas aus
     die Imagination immer etwas Kosmisches ist. Was ich üben            dem dunklen ihres Stockes zur Hilfe rufen, damit aus der Wärme
     kann, ist, eine Stimmung herzustellen, in der die Imagination       Substanz werden kann. Sie rufen das Licht zur Hilfe. Licht ist das,
     zum Bewusstsein kommen kann.                                        was allem Gestalt gibt. Sie fangen, an Wachs auszuschwitzen
                                                                         und aus diesem Wachs bauen sie den Ort, auf dem sie fortan
     Bienenvölker individualisieren sich im Duft
                                                                         leben werden. Die Waben. Und alles hängt von oben herunter.
     Bienen schaffen mehr als Honig. Das Wesentliche, was die Bie-       Dieses Bild kann man erweitern auf alles, was man mit den
     nen leisten in dieser Welt ist, dass sie beleben, befeuern und      Bienen erlebt: Die Bienen kommen vom Himmel zur Erde. Alle
     beseelen und dass sie begeistern. Das ist das Wichtigste, bei all   anderen Lebensformen, die wir auf der Erde studieren können,
     dem, was uns heute belastet. Man kann viel über das Katastro-       kommen von der Erde und wachsen zum Himmel. Erst in der
     phenszenario sprechen und dabei vergessen, was die Bienen           Höhle wird der Schwarm zum Bienenstock. Die Bienenvölker
     uns eigentlich sind. Sie sind Lebensstifter, so wie sie sich dem    individualisieren sich im Duft. Jedes Bienenvolk hat ein eige-
     Leben auch hingeben.                                                nes Duftmuster, an dem sich die Bienen auch erkennen und
     Am Anfang ist der Schwarm. Wenn man erlebt, wie ein Schwarm         unterscheiden. Der Moment, in dem der Schwarm in die Beute
     aus dem Bienenstock auszieht, dann kann man das Bild gewin-         einzieht, ist einer der wenigen, in denen man als Imker den Duft
     nen: «Dieser Schwarm wird ‹ausgesprochen›» vom Bienen-              wahrnehmen kann.
     stock. Mit dem Schwarm geht alles neu los. Eine Sache, die einen
     berühren kann, ist, dass der Bien sich einen Wärmeraum als          Holz und Aromen riechen
     Lebensraum sucht. Steiner sagte: «... daher bezeichnet der Ok-      Wenn die Bienen erst einmal im Kasten drinnen sind, dann riecht
     kultist die Biene als aus der Wärme heraus geboren». So schafft     man alles Mögliche: Propolis und Holz und Aromen, aber nicht
     sich der Bienenstock eine Wärmesphäre, in der er lebt und aus       mehr das Bienenvolk. Bienenwachs und Wabenbau bestehen
     der er alles leistet. Wenn wir mit einem Thermofühler in einen      aus substantiierter Wärme mit Lichtcharakter. Das wird deut-
     Schwarm hinein fühlen, dann sehen wir, dass es im Schwarm           lich, wenn wir aus dem Wachs eine Kerze gemacht haben und
     etwa 35 °C hat. Die herumfliegenden Bienen sind Wärmepunkte.        diese anzünden. Dann löst sich die Kerze auf und wird wieder
     Es berührt mich auch immer merkwürdig, dass das Bienenvolk          zu dem, aus was sie ist: zu Wärme und zu Licht und zu sonst
     sich keine Hülle geben kann. Ein Wesen, das immer offen ist         nichts. Der feine Duft, den wir verspüren, der stammt aus den
     und sich selber nicht einhüllen kann. Es braucht eine Höhle.        Lebensprozessen der Bienen. Im Bienenstock leben die Bienen

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