RETAIL JOURNAL THE OLIVER WYMAN AUSGABE 5
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Editorial Nichts im Handel ist so beständig wie der Wandel. Schon immer setzten sich im wett- bewerbsintensiven Geschäft mit Endverbrauchern diejenigen Unternehmen durch, denen die Anpassung an Veränderungen am besten gelang. Daran hat sich auch 2017 nichts geändert. Was sich jedoch massiv geändert hat, ist die Geschwindigkeit und das Ausmaß des Wandels. Angesichts der disruptiven Kraft heutiger Veränderungen können sich Unternehmen nicht mehr über Jahre hinweg Schritt für Schritt anpassen. Wir befinden uns in einem tief greifenden, wenn auch manchmal nur schwer erkennbaren Wandel in atemberaubend kurzer Zeit. Das neue Umfeld bringt Chancen und Risiken für nahezu alle Aspekte des Geschäfts mit sich – und das wesentlich schneller als bei früheren Umbrüchen. Eine beschleunigte Anpassungsfähigkeit wird daher zur Überlebensfrage. Doch es geht nicht unbedingt nur darum zu überleben. Vielmehr können Einzelhändler deutlich prosperieren, wenn sie die neuen Spielregeln annehmen, gezielt investieren und von Anfang an die neuen Standards mitprägen. Die vorliegende fünfte Ausgabe unseres Retail Journals erklärt, wie das gelingen kann. Viele Veränderungen basieren auf neuen Technologien. Damit beschäftigt sich die Rubrik „Strategien“. Einzelhändler sammeln bereits große Mengen von Daten über das Verhalten ihrer Kunden und nutzen immer häufiger moderne Analysemethoden, um aus diesen Infor- mationen Wissen zu generieren und neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Einzelhändler sollten und können damit zunehmend zu Anbietern personalisierter Onlinelieferservices werden. Näheres dazu findet sich im Artikel „Die nächste Revolution im Handel“. Moderne Technologien werden auch die Ansprache von Kunden verändern und erleichtern. Hier sei auch auf die Revolution rund um den Bezahlvorgang verwiesen. Neue Zahlungs- optionen und die Nutzung von Smartphones werden die Interaktion mit dem Kunden nachhaltig verändern, bekannte Prozessabläufe aufbrechen und neue Geschäftsmodelle befeuern. 4
Ein weniger offensichtlicher, aber eventuell sehr wichtiger Wettbewerbsvorteil kann sich für Lebensmittelhändler und Nahrungsmittelhersteller mit Blick auf das wachsende Misstrauen staatlicher Institutionen gegenüber zuckerhaltigen und generell verarbeiteten Lebensmitteln ergeben. Alarmiert von den steigenden Kosten für die Behandlung ernährungsbedingter Krankheiten wie Diabetes prüfen Regulierungsbehörden staatliche Eingriffe, zumal sie Hersteller und Händler der „Komplizenschaft“ verdächtigen. Darauf sollte die Branche konstruktiv mit Innovationen reagieren. Der Artikel „Ran an den Speck“ beschreibt, wie sich Unternehmen wieder einen Vorsprung verschaffen können. Ungeachtet der rasanten und tief greifenden Veränderungen kommen einige Themen im Handel und bei Konsumgüterherstellern nie aus der Mode. In der Rubrik „Transformation“ beschäftigt sich ein Artikel mit der Expansion in Sirko Siemssen Schwellenländer, ein anderer mit Möglichkeiten für den Lebensmittelhandel, Co-European & DACH seine Abhängigkeit von Aktionen zu überwinden. In der Rubrik „Operational Retail Practice Leader Excellence“ stellen wir unter anderem neue Ansätze vor, wie sich Kosten und sirko.siemssen@oliverwyman.com Schwund reduzieren sowie die Zusammenarbeit mit Supply-Chain-Partnern +49 89 939 49 574 verbessern lassen. Schnelle und tief greifende Veränderungen sind das Thema der Stunde im Handel. Die Anbieter haben nur die Wahl, ob sie diesen Wandel vorantreiben oder selbst zu Getriebenen werden wollen. Wir würden uns freuen, wenn das vorliegende Retail Journal die Diskussion in Ihrem Unternehmen bereichert und neue Denkanstöße liefert. Ihr Sirko Siemssen 5
Inhalt Ausgabe 5 8 DIE NÄCHSTE REVOLUTION IM HANDEL Seit jeher bestimmt der Warenfluss das Geschäft im Einzelhandel. Künftig wird der Datenfluss genauso wichtig sein STRATEGIEN 14 RAN AN DEN SPECK 22 SICHER, SCHNELL, DIREKT Die Rolle des Lebensmittelhandels Überweisungen werden ab 2018 beim Kampf gegen Übergewicht den Alltag erobern TRANSFORMATION 26 WENN CHINESEN 28 EXPANSION IN EINKAUFEN SCHWELLENLÄNDER Chancen für Händler in Einkaufs- Vier Handlungsempfehlungen zentren und jenseits der Grenzen für Einzelhändler 6
34 KAMPF DER FORMATE 38 KEINE MACHT 46 DIGITALISIERUNG WIRD ENGER DEN AKTIONEN KOMMERZIELL NUTZEN Kundenzufriedenheit im deutschen In sechs Schritten kann der Handel Neue Erlösquellen in Lebensmitteleinzelhandel seine Abhängigkeit überwinden der Konsumgüterindustrie OPERATIONAL EXCELLENCE 56 ZURÜCK AUF NULL 62 VERTRAUEN IST BESSER Wie sich die Kosten im Handel um Wer mit Lieferanten kooperiert, 20 bis 40 Prozent reduzieren lassen kann Millionen einsparen 72 STOPP DER 78 RETAIL VERSCHWENDUNG LEADERSHIP CIRCLE So lassen sich Abfälle bei CEO-Event von Frischwaren vermeiden Oliver Wyman 7
DIE NÄCHSTE REVOLUTION IM HANDEL SEIT JEHER BESTIMMT DER WARENFLUSS DAS GESCHÄFT IM EINZELHANDEL. KÜNFTIG WIRD DER DATENFLUSS GENAUSO WICHTIG SEIN Nach Jahrzehnten mit mehr oder minder dem gleichen Geschäftsmodell durchläuft der Einzelhandel derzeit einen radikalen Wandel. In einer Zeit erkennbarer Sättigung vieler Verbraucher mit physischen Gütern ermöglichen es heute digitale Technologien, dem Kunden einen besseren Zugang zu einer breiteren Palette von Produkten und Dienstleistungen zu eröffnen. Dieser Wandel macht Einzelhändler zu Informationsanbietern. Ihr Wettbewerbsvorteil muss nun auch auf der Erfassung, Analyse und Nutzung von Daten beruhen.
Der technologische und gesellschaftliche Wandel löst eine Revolution im Einzelhandel aus. Er erfasst die Lieferketten, den gesamten Betrieb und wirkt sich auch auf die Größe der einzelnen Anbieter aus. Ambitionierte Unternehmen sollten sich an die Spitze der Veränderungen setzen, ansonsten geraten sie gegenüber neuen Wettbewerbern mit disruptiven Geschäftsmodellen ins Hintertreffen. Noch weiß niemand, wo die Reise genau hingeht. Die nachfolgenden fünf Prognosen umreißen jedoch, wie die Zukunft im Handel aussehen könnte. BEDÜRFNISSE BEFRIEDIGEN STATT PRODUKTE VERKAUFEN In vielen Handelszweigen steht schon heute nicht mehr der Verkauf von Waren sondern die Befriedigung von Kundenbedürfnissen im Mittelpunkt. Wer früher CDs erwarb, abonniert nun Streaming-Dienste. Bislang hinkt der traditionelle Einzelhandel diesem Wandel hinterher. Lebensmitteleinzelhändler könnten nun beispielsweise die Aufholjagd mit personalisierten Onlineeinkaufszetteln und Empfehlungen starten und so die Nachfrage nach vegetarischer oder laktosefreier Ernährung oder einem niedrigen Anteil gesättigter Fette gezielt adressieren. Im Rahmen solcher Einkaufszettel ließen sich zudem Grenzwerte festlegen und so beispiels- weise der Anteil salziger und süßer Snacks auf fünf Prozent des Gesamtwertes eines Einkaufs beschränken. Auch die Terminkalender von Konsumenten könnten einfließen – bei Kurzreisen sinken dann automatisch die Mengen für den normalen Wocheneinkauf. Zu den ersten Beispielen für Lebensmittel-as-a-Service-Modelle zählen Kochboxen, in denen sich alle Zutaten für ein Gericht befinden. Den Anfang machten hier Start-ups und einzelne Handelskonzerne. Diese Händler könnten nun durch eine clevere Nutzung von Daten das Geschäftsmodell erweitern und im Rahmen von Lebensmittelabonnements Verbrauchern den Kauf der noch fehlenden Zutaten vorschlagen, um ein neues Rezept auszuprobieren – den bestehenden Inhalt des Vorratsschranks ihrer Abonnenten kennen sie ja. Noch weiter gedacht würden Kunden bei solchen Abomodellen nur noch grobe Vorgaben darüber machen, was sie gerne essen und wie hoch ihr Budget ist. Der Supermarkt entscheidet dann, was es wann in welcher Menge dazu braucht. In einem solchen Szenario erledigen Kunden ihre Einkäufe nicht mehr in einem Laden, sondern schließen Abos bei einem Anbieter ab, der Ernährungsbedürfnisse befriedigt. Nach demselben Prinzip ließen sich auch Bedürfnisse im Textilbereich erfüllen. Kunden würden hierbei festlegen, welche Farben, Größen und Pass- formen sie bevorzugen. Der Händler liefert ihnen dann eine Mischung aus Basics und modischer Saisonware – und bei besonderen Gelegenheiten verleiht er zusätzlich Designer-Outfits. EINZELHÄNDLER WERDEN MEHR ÜBER VERBRAUCHER WISSEN ALS FACEBOOK Um Bedürfnisse effektiv befriedigen zu können, müssen Einzelhändler ihre Kunden noch besser kennenlernen. Da Kassendaten viel über den Alltag von Menschen verraten, verfügen Händler schon heute über jede Menge Informationen. Anbieter mit einem breiten Leistungs- spektrum wissen darüber hinaus zum Teil schon über den Umgang mit Festnetz- und Mobil- 10
DIE NÄCHSTE REVOLUTION IM HANDEL funkdiensten, Versorgern und Finanzdienstleistungen Bescheid. In einem entscheidenden Punkt haben Handelsunternehmen sogar aussagekräftigere Daten als selbst Facebook & Co: Einzelhändler wissen, was Konsumenten tatsächlich tun – und zudem wann und wo. Je breiter das Leistungsspektrum wird, desto mehr Informationen werden vorliegen. In der Folge könnten Einzelhändler zum Beispiel Verbrauchern, die sich offenkundig gesund ernähren, passende Dienstleistungen oder Versicherungen empfehlen. Dank Lieferservices wissen die Unternehmen zudem, wann Kunden zu Hause sind. Es handelt sich hierbei um sehr persönliche Informationen und die Anbieter müssen sicherstellen, dass die Kunden nichts gegen den Zugriff auf ihre Daten einzuwenden haben. Nach Einschätzung von Oliver Wyman werden Verbraucher tendenziell zustimmen, wenn sie im Gegenzug etwas Sinnvolles erhalten. Viele Menschen dürften beispielsweise dankbar sein, wenn sie folgende Nachricht erhalten: „Sie haben kein Abendbrot in ihrem Kühlschrank. Da wir annehmen, dass sie wie üblich um halb neun nach Hause kommen, könnten wir Ihnen zu diesem Zeitpunkt etwas Passendes liefern. Ist das in Ihrem Sinne?“ Je größer der erkennbare Nutzen solcher Services ist, desto eher werden Kunden die nötigen Informationen preisgeben. IN DEN ZENTRALEN WERDEN WENIGER, ABER BESSER AUSGEBILDETE MENSCHEN ARBEITEN Der Erfolg des neuen Geschäftsmodells hängt entscheidend von der Fähigkeit ab, riesige Datenmengen auszuwerten, Verbraucher zu verstehen und ihnen Lösungen anzubieten. Einzelhändler müssen ihr gesamtes Geschäft digitalisieren, damit Manager schnell entscheiden können und sich neue Produkte ohne Zeitverzug entwickeln lassen. Erst vor Kurzem schuf ein britischer Einzelhändler eine eigene Abteilung für die Analyse von Daten und die Digitalisierung mit dem Ziel, das Kerngeschäft zu hinterfragen und zu ändern: Die neue Abteilung bringt unternehmerischen Wind und neue Reibung in die Organisation. Bei der Arbeit und beim Selbstverständnis gleicht sie mehr einem Start-up als der klassischen Abteilung eines Konzerns. Digitale Analysen und Ansätze werden mit ihren Algorithmen darüber hinaus zahlreiche traditionelle Aufgaben wie die Produktauswahl, das Pricing und Prognosen überflüssig machen. Nur in definierten Ausnahmefällen ist hier noch menschliches Eingreifen erforderlich. Routineaufgaben wie die Verarbeitung von Rechnungen werden sogar vollständig digitalisiert. Die Kosten in der Zentrale sinken entsprechend. Zusammengenommen verändern diese Trends den Charakter der Zentrale von Grund auf. Sie wird stärker, da hier das Herz der Digitalisierung schlägt. Sie wird aber auch noch ab- hängiger von der Umsetzung in Supply Chain und an den physischen Schnittstellen zum Kunden. Zugleich steigt ihr Virtualisierungsgrad und die Zahl der Beschäftigten sinkt dem- entsprechend deutlich. Einige reine Onlineanbieter entsprechen bereits heute diesem Bild: Vergleichbare Umsatzdimensionen werden mit deutlich weniger Personal in der Zentrale realisiert. Die traditionellen Einzelhändler werden folgen. Zu einem späteren Zeitpunkt könnten Unternehmen sogar komplett auf eine Zentrale aus Beton und Glas verzichten und ihr Geschäft stattdessen mit agilen Teams an verschiedenen Standorten steuern. 11
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DIE NÄCHSTE REVOLUTION IM HANDEL LIEFERSERVICES WERDEN ALLGEGENWÄRTIG Auch die Bedeutung von Filialen nimmt ab. Ein Kernelement der neuen Geschäftsmodelle sind Lieferservices, die intelligente Transportlösungen nutzen. Angesichts des Fortschritts bei selbstfahrenden PKW ist der Tag nicht mehr fern, an dem ein unbemannter Lieferwagen einem Kunden eine WhatsApp-Nachricht schickt, dass er nun vor der Tür steht und man seine Einkäufe mit einem Passwort aus einer seiner Boxen abholen kann. Wenn der Kunde nicht zu Hause ist, fährt der Lieferwagen weiter zu nahegelegenen Adressen und kehrt später für einen neuen Zustellversuch zurück. Da zahlreiche Einzelhändler Pakete zustellen müssen, könnten sich Lieferservices in Zukunft zu einer weiteren Versorgungsleistung wie Strom und Gas entwickeln und vom Staat mit dem Ziel reguliert werden, den Verkehr zu reduzieren. Die Effizienz würde steigen, wenn ein einziger Lieferant für alle Bestellungen an die Stelle der heutigen Lieferwagenflotten ver- schiedener Unternehmen treten würde. Und weniger Staus sowie weniger Abgase könnten es wert sein, den Wettbewerb einzuschränken. IN ZEHN JAHREN GIBT ES NUR NOCH HALB SO VIELE LEBENSMITTELHÄNDLER Angesichts all dieser Veränderungen rücken grenzüberschreitende M&A-Aktivitäten wieder in den Fokus. Jüngster Beleg ist der Zusammenschluss der belgischen Delhaize und der nieder- ländischen Ahold. Ein offensichtlicher Treiber ist die höhere Effizienz in der Beschaffung. Doch auch Skalenvorteile bei der Entwicklung und Nutzung digitaler Technologien spielen eine Rolle. Apps und Analyse-Tools sind teuer und Amazon dominiert den Markt, da es Algorithmen nur einmal entwickeln muss und dann weltweit einsetzen kann. Um weiter mit Aldi bei den Preisen, mit Amazon bei Apps und in der Folge mit Abodiensten und Lieferservices konkurrieren zu können, wird sich der Lebensmitteleinzelhandel durch eine ganze Reihe von Übernahmen von einem nationalen hin zu einem internationalen Geschäft weiterentwickeln. Viele der überlebenden Unternehmen werden in diesem Prozess zu internationalen Giganten, die Synergien in Einkauf, Back Office und Technologie auf regionaler oder sogar globaler Ebene heben. Alternativ können etablierte Händler als flexible, lokale Anbieter überleben. Diese werden sich bestmöglich an die jeweiligen Gegebenheiten anpassen und Kunden mit genau den Eigen- schaften überzeugen, die den internationalen Giganten fehlen. Wer sich jetzt nicht genau überlegt, wo sein Platz in dieser neuen Welt ist, könnte zu keiner dieser beiden Gruppen gehören – und stattdessen von einem Wettbewerber geschluckt werden. 13
STRATEGIEN STRATEGIEN RAN AN DEN SPECK DIE ROLLE DES LEBENSMITTEL- HANDELS BEIM KAMPF GEGEN ÜBERGEWICHT Beim World Economic Forum in Davos 2016 leitete Oliver Wyman ein Panel zum Thema „Zucker, Fettleibigkeit und Diabetes – die andere globale Nahrungs- mittelkrise“. Der Tenor der Diskussion: Ein positiver Beitrag aus dem Lebensmittel- einzelhandel und der Industrie könnte einen nachhaltigen Wandel bewirken. Nach Davos analysierte Oliver Wyman, wie Lebensmittelhändler tatsächlich messbare Veränderungen herbeiführen können – nicht nur, um beim Kampf gegen das Übergewicht von Verbrauchern einen Beitrag zu leisten, sondern auch um Kunden- loyalität zu steigern und die eigene Markenpositionierung zu stärken.
Fettleibigkeit und Übergewicht verursachen weltweit jährlich Kosten in Billionenhöhe. Sie erhöhen die Wahrscheinlichkeit lebensbedrohlicher Krankheiten wie Herzinfarkt, Schlaganfall, Diabetes, Arthrose und einigen Krebsarten. In der Folge steigen die Zahl der Krankschreibungen und die Belastungen für das Gesundheitssystem. Ganz simpel gesprochen ließe sich die Adipositas-Epidemie beenden, wenn die Konsumenten das kleine Einmaleins gesunder Ernährung befolgen würden (vgl. Abbildung 1). Zahlreiche Interessenvertreter haben bereits Initiativen zur Bekämpfung der Fettleibigkeit gestartet. Doch die meisten konzentrieren sich auf einzelne Elemente. Häufig dominiert beispielsweise der Zuckerverbrauch die Schlagzeilen – das ist ohne Frage ein wichtiger Faktor. Doch solche Initiativen verpassen die Gelegenheit, im gleichen Atemzug für gesunde Lebensweisen wie mehr Sport zu werben. Abbildung 1: Das kleine Einmaleins, um Gewicht zu verlieren Simple Grundregeln für die Aufnahme von Kalorien GESÜNDER ESSEN AKTIVER LEBEN GEWICHT VERLIEREN Weniger Zucker Mehr Krafttraining Körper verbrennt Fettreserven, anstatt sie aufzubauen Weniger gesättigte Fette Mehr Ausdauertraining Kleinere Portionen Weniger Sitzen Stärkere Muskeln verbrauchen mehr Energie im Ruhezustand Genügend Wasser trinken Weniger Salz WAS SUPERMÄRKTE LEISTEN KÖNNEN Viele große Supermarktketten könnten das Verhalten ihrer Kunden in einer Weise beein- flussen, die sowohl ihr Geschäft stärkt als auch die Gesundheit der Verbraucher fördert. Durch eine Reihe simpler Serviceleistungen, beispielsweise zur Kontrolle des Gewichts und der Gesundheit, könnten sie Verbraucher motivieren, gesünder zu essen und aktiver zu leben. Der Schlüssel hierfür liegt in der Verbindung von Informationen über veränderte Verhaltens- weisen mit messbaren Fitnessfortschritten. Im Gegensatz zu vielen anderen Gesundheits- und Wellnessdienstleistern sind große Super- marktketten in der Lage, Menschen zu ermutigen, gesünder zu essen und aktiver zu leben, die entsprechenden Ergebnisse zu messen und diese Daten wiederum mit Einkaufsgewohnheiten und Aktivitäten zu verknüpfen. Mit solchen Services können Supermärkte ihren Kunden auf einfache Weise die Kontrolle des Gewichts und damit ihrer Gesundheit erleichtern, die Ver- braucher an ihre Filialen binden und so verhindern, dass sich Dritte zwischen sie und ihre Kunden drängen (vgl. dazu auch die Oliver Wyman-Studie „Die Zukunft der Kundenbindung“). 16
STRATEGIEN GESÜNDER ESSEN DANK BESSERER LEBENSMITTELAUSWAHL Etiketten auf Lebensmitteln sind selbst in Ländern mit Ampelsystemen schwer zu verstehen. Kunden müssen meist selbständig zwischen verschiedenen Nährstoffen abwägen und ent- scheiden, ob beispielsweise ein Produkt mit wenig Fett und viel Zucker besser ist als eines mit viel Fett und wenig Zucker. Sinnvoller wäre ein System, das für jedes Produkt einen Punktwert festlegt und ihn dann für den Warenkorb aufaddiert. Dieses System ist leichter verständlich als eine Ampel auf jedem Etikett und beschränkt sich auf zwei Zahlen: einen auf dem Nährwert basierenden Gesundheitswert zwischen -2 (ungesund) und +2 (gesund) sowie die Zahl der Portionen in einer Verpackung. Ein solches Punktesystem hilft Kunden bei der Auswahl gesunder Lebensmittel, da es deutlich macht, welche Produkte besser für sie sind. An der Kasse werden die einzelnen Gesundheits- werte und Portionszahlen addiert. Daraus ergibt sich ein Gesamtwert für jeden Warenkorb (vgl. Abbildung 2). Dabei erleichtern die Produktpunkte dem Kunden die Auswahl von Lebensmitteln, die besser für ihn sind, und der Gesamtwert hilft ihnen einzuschätzen, wie gesund ihr Einkauf tatsächlich ist. Den Rahmen für solche Gesundheitswerte müssten Regierungen oder die Weltgesundheits- organisation (WHO) setzen. Wenn sich diese Richtwerte über die Zeit verändern würden, könnte dies auch Lebensmittelhersteller ermutigen, ihre Rezepturen zu verändern und gesündere Produkte anzubieten. Abbildung 2: Ein Punktesystem für gesunde Einkäufe am Beispiel eines Warenkorbs FETTFREI REGULÄR Zucker pro 100g 8,5g 6,5g 21g 17,2g 12g 10,6g Kalorien pro 100g 59 82 103 366 47 42 Kalorien pro Portion 88 123 116 213 70 139 Gesundheitswert pro Portion +1 -1 +1 -2 +2 -1 Anzahl der Portionen 6 6 4 6 8 8 Gesundheitswert +6 -6 +4 -12 +16 -8 für den gesamten Warenkorb 17
FAKTEN ZUM ÜBERGEWICHT WIE DIE WELT KILO UM KILO ZULEGT WIE DEFINIERT MAN FETTLEIBIGKEIT? GRÖSSE VERSUS GEWICHT 195 cm Untergewicht Normalgewicht Übergewicht Fettleibigkeit (Adipositas) 190 cm 180 cm 170 cm 160 cm 150 cm Tödliche Fettleibigkeit 140 cm KG 40 50 60 70 80 90 100 110 120 130 ADIPOSITAS IN AUSGEWÄHLTEN LÄNDERN ANTEIL DER FETTLEIBIGEN IN PROZENT UND IN MILLIONEN 20,1% 1,5 22,0% 25,8% 6,1 13,0 24,3% 16,0 33,3% 20,6% 78,0 10,0 20,0% 10,0 SITUATION IN DEUTSCHLAND EINER VON ZWEI ERWACHSENEN IN DEUTSCHLAND IST ÜBERGEWICHTIG1 STARK ÜBERGEWICHTIG (BMI>30) SIND IN DEUTSCHLAND 16 % DER ERWACHSENEN2 27,2% 8,9 16% 1. 62% der Männer und 43% der Frauen sind übergewichtig 2. 17% der Männer und 14% der Frauen sind stark übergewichtig 18
STRATEGIEN WO DIE ÜBERFLÜSSIGEN KALORIEN HERSTAMMEN Andere 6% 27% Zucker und Süßigkeiten Salzige Snacks 5% Milchprodukte 6% Alkoholische Getränke 11% Kekse, Süßgebäck und Kuchen 20% 25% Nicht-alkoholische Getränke WELTWEIT ZUNEHMENDE ADIPOSITAS-EPIDEMIE ANTEIL DER FETTLEIBIGEN IN PROZENT UND IN MILLIONEN 24,1% 16 28,0 375 12 266 4,4% 46,0 3,8% 8 30,0 4 71 29,2% 5,2 34 0 1975 2014 Quellen: Diabetes UK, The Lancet, The National Health Service (GB), Institute for Health Metrics and Evaluation, Statistisches Bundesamt (Mikrozensus-Zusatzbefragung 2013) 19
KUNDEN ZU MEHR AKTIVITÄTEN ERMUNTERN Zwar können Lebensmitteleinzelhändler nicht direkt kontrollieren, wie aktiv ihre Kunden sind. Aber sie können sie motivieren, indem sie ihnen bei der systematischen Erfassung ihrer Aktivitäten helfen. Schon heute nutzen viele Verbraucher Fitnessarmbänder von Marken wie Jawbone oder Fitbit. Einzelhändler könnten entweder diese Daten mit Zustimmung der Kunden nutzen oder Kunden auffordern, per App, E-Mail oder Textnachricht über ihre Aktivitäten zu berichten – und sie regelmäßige daran erinnern. Wer noch kein solches Messinstrument besitzt, könnte auf eine Technologie des Einzelhändlers zugreifen, mit der die Daten automatisch hochgeladen werden. Das ist weniger kostspielig als auf den ersten Blick vermutet, denn viele Einzelhändler geben derzeit ohnehin Rabatte im Rahmen ihrer Loyalitätsprogramme, die zum Beispiel für Familien eine Höhe von rund 50 US-Dollar pro Jahr betragen kann. Die Bereitstellung von Fitnessmessgeräten könnte sich demgegenüber als effektiver erweisen. Auch auf andere Weise könnten Einzelhändler Kunden zu mehr Aktivitäten ermutigen. Denkbar ist beispielsweise, auf nicht genutzten oder nicht produktiven Verkaufsflächen Fitnessstudios einzurichten und die Anwesenheit an Geräten und bei Kursen mithilfe einer Kundenkarte zu erfassen. Die dabei erhobenen Informationen könnten in das Punktesystem für den Waren- korb einfließen; denkbar wäre zum Beispiel für jeweils 10.000 Schritte ein Bonus von +2. GESUNDHEITSWERTE MESSEN UND MIT EINKAUFS- GEWOHNHEITEN UND AKTIVITÄTEN VERKNÜPFEN Ein wichtiger Teil dieses Konzepts besteht darin, Kunden zu zeigen, wie ihre Aktivitäten und ihr Einkaufsverhalten ihre Gesundheit beeinflussen, und ihnen so zu helfen, besser und ausgewogener zu entscheiden. Dabei könnte jeder Einkauf die Gelegenheit bieten, wichtige Gesundheitsdaten wie Gewicht, Body-Maß-Index (BMI) und Blutdruck zu messen – und Kunden dabei eine Beratung sowie spezielle Services beispielsweise für Diabetiker anzubieten. Darüber hinaus könnten Supermärkte neben Fitnessstudios auf nicht genutzten Flächen auch ambulante Praxen mit moderner Ausstattung wie intelligenten Waagen einrichten. Dort wäre binnen Minuten ein Check-up möglich, der Kunden einen weiteren Grund bietet, in den Laden zu kommen (vgl. Abbildung 3). Sie könnten dort auch individuelle Tipps auf Abbildung 3: Wie US-Verbraucher auf Wellness-Angebote in Supermärkten reagieren Kunden sind offen für ambulante Praxen in Supermärkten MIR IST BEKANNT, DASS ICH HABE EINE ICH FAND SIE EINIGE FILIALEN ÜBER SOLCHE EINRICHTUNG BESSER ALS EINE PRAXEN VERFÜGEN SCHON GENUTZT HERKÖMMLICHE PRAXIS 70% 25% 80% 20
STRATEGIEN Basis ihrer Einkaufs- und Sportgewohnheiten erhalten. Und da alle Daten in einer einfach handhabbaren App oder Internetplattform erfasst sind, können die Kunden zudem auf einen Blick ihre jüngsten Einkäufe und Aktivitäten mit ihren Check-up-Ergebnissen in Verbindung bringen. Schon heute sammeln Lebensmittelhändler enorme Datenmengen und verfügen über umfassende Erfahrung beim Aufbau ausgefeilter Datenbanken und Schutz sensibler Daten. Deren Daten könnten, vor allem wenn es um Vorsorgethemen geht, auch in Modelle von Regierungen oder Gesundheitssystemen einfließen. Die Nutzung der Informationen müsste nicht auf die individuelle Ebene beschränkt bleiben. Auch der Aufbau einer Community ist eine Option. Denkbar wäre beispielsweise, dass Freunde mit der gleichen Einkaufsstätte ihre Fortschritte vergleichen. Es entstünde ein Wettbewerb um höhere Gesundheitswerte. Communities würden die Attraktivität solcher Programme erhöhen und die Kundenbindung vertiefen. Als Ausgleich für die entstehenden Kosten wäre schließlich auch denkbar, dass Regierungen oder einzelne Anbieter Services erwerben – vorausgesetzt ihre Qualität ist gut und der Preis vernünftig. FAZIT Wenn sich Supermärkte neu als Gesundheits- und Wohlfühlmarken erfinden und die Kunden- bindung durch Gesundheitsprogramme vertiefen, können sie ein einzigartiges Angebot schaffen und dabei ihren Zugriff auf die wichtige Kundenschnittstelle festigen sowie in andere, angrenzende Kundenökosysteme ausdehnen. Unterstützen sie Verbraucher bei einer ge- sünderen Lebensweise, leisten sie zudem einen Beitrag zur Kostenreduzierung im Gesundheits- wesen (vgl. Abbildung 4). Ein solcher Ansatz nutzt allen Beteiligten und könnte letztlich den Taillenumfang der gesamten Bevölkerung positiv verändern. Abbildung 4: Supermärkte können die Basis für eine gesündere Gesellschaft schaffen REGIERUNGEN UND ANBIETER SUPERMÄRKTE KONSUMENTEN IM GESUNDHEITSMARKT •• Höhere Kundenloyalität •• Ständige Ermunterung, eine bessere •• Besserer Zugang •• Bessere Markenpositionierung Auswahl beim Lebensmitteleinkauf zu zu Gesundheitsdienstleistern treffen und daran festzuhalten •• Möglichkeit, eine aussagekräftige •• Größerer wirtschaftlicher Nutzen •• Niedrigschwellige, hilfreiche nationale Datenbank aufzubauen −− Eigenmarken für gesunde Produkte Unterstützung in Gesundheitsfragen wahrscheinlich höhermargig1 •• Kostenersparnisse •• Bessere Lebensqualität •• Auf lange Sicht ein gesellschaftlich −− Billiger als Loyalitätsprogramme mit Rabatten •• Einfacher Zugang zu eigenen Daten besseres Bildungsniveau beim Thema Ernährung −− Kunden kaufen mit höherer Wahrscheinlichkeit in einer einzigen Filiale −− Möglichkeit, Kunden mit gezielteren Angeboten und Coupons zu erreichen 1. Die Herstellung von Lebensmitteln mit weniger oder keinem Fett sowie weniger Zucker ist tendenziell kostengünstiger. 21
SICHER, SCHNELL, DIREKT ÜBERWEISUNGEN WERDEN AB 2018 DEN ALLTAG EROBERN 22
STRATEGIEN Bislang kaum bemerkt von der Öffentlichkeit wird in Europa ab 2018 eine neue Regulierung greifen: das Update der EU-Richtlinie für den Zahlungsverkehr – oder kurz PSD2. Sie wird sich erheblich auf das Einzelhandelsgeschäft auswirken, da sie den Weg für Überweisungen als Zahlungsoption auch im Alltag ebnet. Nach Einschätzung von Oliver Wyman werden künftig 20 Prozent der Verbraucherausgaben direkt von Konto zu Konto und damit ohne Einsatz von Kredit- oder Girokarten bezahlt. Dieses Mal könnte es funktionieren – die Etablierung von Über- weisungen als Zahlungsoption für Verbraucher auch im Alltag. Denn die neue EU-Richtlinie schreibt einen direkten, sicheren und schnelleren Zugriff auf Kontendaten vor. Banken müssen eine entsprechende Schnittstelle bereitstellen, mit der sich Kontendaten einsehen und Zahlungen initiieren lassen. Danach müssen sich Verbraucher nicht mehr länger auf verschiedenen Websites und Apps anmelden, um Kontostände zu überprüfen oder Einkäufe zu bezahlen. Dies beschleunigt und vereinfacht Transaktionen. Zudem werden alle Finanzinformationen an einem Ort verfügbar sein, selbst wenn eine Privatperson unterschiedliche Banken für seine Girokonten, Spargut- haben und Kredite nutzt. Überweisungen zwischen diesen Konten lassen sich schnell und einfach erledigen. HÖCHSTE ZEIT FÜR DEN HANDEL SICH VORZUBEREITEN Gemäß der PSD2-Richtlinie kann zugleich jede Anlaufstelle von Ver- brauchern mit entsprechender Technologie und damit auch der Einzelhandel zu einem sogenannten Zahlungsauslösedienst werden, einem Payment Initiation Service Provider (PISP), und künftig Über- weisungen initiieren. Im Wesentlichen bilden diese PISPs das neue Scharnier zwischen den Konten der Verbraucher und den konkreten Informationen bei Zahlungsvorgängen. Dies lockert die Beziehung der Verbraucher zu ihren Banken und erlaubt es PISPs und damit auch dem Einzelhandel, ihre Beziehung zum Kunden zu vertiefen. Einzelhändler sollten Verbraucher daher ermutigen, die neue Zahlungs- option zu nutzen. Überweisungen sind für Händler schon aus wirt- schaftlichen Gründen von Vorteil, da damit Transaktionsgebühren für Kartenzahlungen entfallen. Wenn Unternehmen selbst eine Zahlung vom Konto des Kunden auslösen können, reduzieren sie auch die Schritte und die Gefahr von Fehlermeldungen während einer Transaktion. In der Folge verbessert sich das Kundenerlebnis. Aus strategischer Sicht noch wichtiger ist der damit mögliche Zugriff auf Daten eventuell auch über andere Einkäufe der Kunden, da auf dieser Basis gezielte Marketingaktionen möglich sind. 23
Bei größeren Einkaufsummen könnten Einzelhändler Kunden mit einem einmaligen Rabatt motivieren, auf den Karteneinsatz zu verzichten. Dieser Nachlass finanziert sich aus den Ersparnissen bei den sonst fälligen Gebühren. Ansonsten könnte die neue Zahlungsoption schlicht nur diejenige sein, die am einfachsten und schnellsten funktioniert. Abbildung 1 zeigt, bei welchen Einkäufen und in welchen Kanälen direkte Überweisungen wahrscheinlich am häufigsten und am seltensten zum Einsatz kommen werden. Abbildung 1: Der Einsatz direkter Überweisungen hängt von der Art des Einkaufs und der genutzten Zahlungsform ab GROSSE EINKÄUFE/BEKANNTE MARKEN KLEINE EINKÄUFE/UNBEKANNTE MARKEN Hohe Niedrige Hohe Niedrige Transaktions- Transaktions- Transaktions- Transaktions- volumina volumina volumina volumina Beispiele: Urlaubsbuchung Regelmäßige Buchung einer Mobile Bezahlung Online- und bei einer führenden Zahlungen in Ferienwohnung in einem Kiosk mobile Kanäle Website einem App-Store oder bei einem Onlinehändler Beispiel: Kauf eines PKW in Zahlung mit Kauf eines Zahlung einer Offlinekanäle einem großen kontaktloser Luxusartikels Taxifahrt mit einer am Point of Sale Autohaus Karte bei einer in einer Boutique kontaktlosen Karte Supermarktkette Viele Möglichkeiten, von PSD2 zu profitieren Chancen und Risiken von PSD2 gleichen sich aus Geringste Wahrscheinlichkeit, von PSD2 zu profitieren Bei Onlinehändlern wird es einfach sein, mit der neuen Methode zu bezahlen. Im stationären Handel dagegen dürfte es länger dauern, da zuerst die Kassen entsprechend aufgerüstet werden müssen. Treiber der Akzeptanz bei den Verbrauchern werden vor allem größere Unternehmen mit bekannten Marken sein, die ein hohes Maß an Vertrauen genießen. In jedem Fall sollten sich Einzelhändler an die Spitze der Bewegung setzen, da Vorreiter einen Zugriff auf das Portemonnaie von Kunden erhalten, so eine Menge über diese erfahren und über die Zeit zu einem unverzichtbaren Begleiter im Alltag werden können. 24
STRATEGIEN Andere Länder sind in Sachen offener Zugang zu Bankkonten bereits erheblich weiter. In China deckt Alibaba mit einer einzigen App bereits verschiedene Bedürfnisse von Verbrauchern im Alltag ab. Das Spektrum reicht von Einkauf und Bestellservice bis hin zu Bezahlung und Vermögensmanagement. Die App enthält sämtliche Finanzinformationen der Nutzer, lässt sich einfach verwalten und erleichtert es, mobil und online zu bezahlen. Dieses Konzept kommt bei Verbrauchern sehr gut an. 2015 vereinten Alipay von Alibaba sowie TenPay von Tencent mehr als 90 Prozent aller mobilen Bezahlvorgänge in China auf sich. Bloomberg zufolge entspricht dies einem Anstieg von 134 Prozent auf 3,4 Billionen US-Dollar innerhalb nur eines Jahres. Alipay allein verfügt mittlerweile über 300 Millionen Nutzer und verzeichnet 80 Millionen Transaktionen pro Tag. Das US-Magazin Forbes schätzt, dass chinesische Banken im Jahr 2015 Guthaben in Höhe von 22,2 Milliarden US-Dollar an Alibaba und Tencent verloren haben. Darüber hinaus können die beiden Unternehmen auf große Mengen werthaltiger Transaktions- daten zugreifen und damit unterschiedliche Produkte und Services gezielt vermarkten. Neue Zahlungsoptionen verändern weltweit die Einzelhandelslandschaft. Damit kein Einzel- händler in Europa von einem Alipay-Pendant auf dem falschen Fuß erwischt wird, sollte sich jeder mit den kurz- und mittelfristigen Auswirkungen von PSD2 auf Zahlungsvorgänge im Handel beschäftigen. Mehr noch: Einzelhändler sollten selbst zum Payment Initiation Service Provider werden oder eine Partnerschaft eingehen und so die neuen Zahlungsoptionen zum eigenen Vorteil nutzen. FAZIT Mit der neuen EU-Richtlinie für den Zahlungsverkehr eröffnen sich dem europäischen Einzelhandel in den kommenden Jahren zahlreiche Chancen. Ohne Frage werden nun Innovationen auf den Markt kommen, die den Wettbewerb weiter anheizen. Je nachdem wann die einzelnen Unternehmen welche Maßnahmen einleiten, kann daraus eine Existenzbedrohung erwachsen. Angesichts des Konkurrenzdrucks ist damit jetzt die Zeit gekommen, sich auch unangenehmen Fragen über sein Geschäftsmodell und die eigene technische Kompetenz zu stellen. 25
WENN CHINESEN EINKAUFEN CHANCEN FÜR HÄNDLER IN EINKAUFS- ZENTREN UND JENSEITS DER GRENZEN Das Wachstum des Onlinehandels in China ist atemberaubend. Seit 2011 hat sich das Volumen laut iResearch Global versiebenfacht – von 0,5 auf 3,8 Billionen Yuan. Doch auch ohne direkt mit den chinesischen Internetgiganten zu konkurrieren, können lokale und internationale Einzelhändler an der Konsumfreude der Chinesen partizipieren. Möglichkeiten eröffnen sich zum einen angesichts der wachsenden Bedeutung von Einkaufszentren im Land und zum anderen mit Blick auf die Konsumbedürfnisse chinesischer Urlauber im Ausland. EINKAUFEN IM EIGENEN LAND Eine Untersuchung von Einkaufszentren in 50 chinesischen Städten hat gezeigt, dass Einkaufszentren – trotz des rapiden Wachstums des Onlinehandels – erfolgreich sein können. Und zwar immer dann, wenn sie Einkaufen, Gastronomie und Unterhaltung unter einem Dach vereinen. Einzelhändler sollten ihre Investitionen auf solche Einkaufszentren konzentrieren. 1.705 > 120 MIO. Die Anzahl der Auslandsreisen 832 von Chinesen im Jahr 2015 40% aller Einkaufszentren 2011 2015 befinden sich in den sieben größten Städten Chinas Die Zahl der Einkaufszentren in China hat sich mehr als verdoppelt – von 832 im Jahr 2011 auf 1.705 im Jahr 2015 80% der Einkaufszentren beheimaten Händler aus dem Niedrigpreissegment 3 JAHRE Die durchschnittliche Vertragslaufzeit in einem chinesischen Einkaufszentrum 26
STRATEGIEN EINKAUFEN AUF REISEN Wir haben zudem 1.750 Chinesen, die im vergangenen Jahr mindestens einmal ins Ausland gereist sind, zu ihrem Einkaufsverhalten auf Reisen befragt. Die Befragten gaben im Durchschnitt 1.200 US-Dollar pro Kopf für Einkäufe aus. Wenn Händler an diesen Ausgaben teilhaben möchten, sollte ihr Marketing potenzielle Kunden bereits vor Abreise erreichen, um die Qualität und ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis ihrer Produkte näherzubringen. Wo Chinesen auf Reisen einkaufen … Läden in Hotels 7% 31% Warenhäuser/Einkaufszentren Outlets 8% Duty-Free-Läden in China 9% 165 MRD. $ Ausgaben von Duty-Free-Läden in 11% chinesischen Innenstädten Reisenden Duty-Free-Läden an 17% 17% Sonstiger Einzelhandel/Markenhändler ausländischen Flughäfen … und wofür sie ihr Geld in verschiedenen Ländern ausgeben 100% Elektronik und Küchenzubehör Reiseartikel Schuhe 80% Alkohol Säuglingsnahrung und Nahrungsergänzungsmittel 27% Souvenirs Wachstum der Ausgaben von 60% chinesischen Reisenden im Jahr 2015 Lebensmittel Uhren, Schmuck und Accessoires 40% Handtaschen und Reisegepäck 20% Bekleidung Kosmetika, Pflegeprodukte und Parfüm 51% 0% Anteil dieser Ausgaben für Dritte – als FRANKREICH UK USA Geschenke oder für den Weiterverkauf 27
TRANSFORMATION EXPANSION IN SCHWELLEN- LÄNDER VIER HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN FÜR EINZELHÄNDLER Die Einzelhandelsexpansion hat im größten Teil Westeuropas und in Teilen Nordamerikas heute die Sättigungsgrenze erreicht. Die Eröffnung weiterer Filialen führt nicht mehr automatisch zu besseren Ergebnissen. Unter diesen Umständen müssen Einzelhändler neue Wege finden, um auch weiterhin Jahr für Jahr Umsatz und Gewinn zu steigern. Dies lässt sich durch eine höhere Kosteneffizienz und damit höhere Gewinne bei gleich- bleibendem Absatz erreichen, aber auch durch Investitionen in kaufmännische Fertigkeiten, die den flächenbereinigten Umsatz erhöhen. Darüber hinaus können wachstumsstarke Märkte in Schwellenländern interessant werden.
In vielen Schwellenländern sind Unternehmen bereits in die Fußstapfen etablierter Einzel- händler aus Industrieländern getreten und folgen dort dem bekannten Muster des schnellen Wachstums durch Expansion. Innovationen und eine Anpassung an lokale Gegebenheiten prägen Märkte wie China und Indien, aber auch weniger im Rampenlicht stehende Märkte wie Kasachstan und Tschechien. Doch die Welt hat sich verändert, seitdem Vorreiter wie Tesco, Carrefour und Walmart ihre ersten Milliarden machten. Im Zeitalter der Globalisierung und Digitalisierung reifen Märkte in einem anderen Umfeld und mit einer anderen Geschwindigkeit. Das Internet, der internationale Wettbewerb sowie Partnerschaften machen es Einzelhändlern einfacher und schwieriger zugleich. Mit Blick auf diese Rahmenbedingungen finden sich nachfolgend vier Handlungsempfehlungen für Einzelhändler, die in Schwellenländern aktiv sind und solche, die in neue Märkte expandieren wollen. GRÖSSER IST NICHT IMMER BESSER – DER CHARME KLEINER FORMATE In Ländern wie Frankreich und Großbritannien trieben Einzelhändler ihr Wachstum voran, indem sie zuerst in der Peripherie der Städte Hypermärkte eröffneten und so ein großes Immobilienportfolio aufbauten, um sich häufig erst danach in den Zentren mit Convenience- Formaten breit zu machen. In den Schwellenländern gibt es zwar auch einen gewissen Bedarf für Super- und Hypermärkte. Doch die am schnellsten wachsenden Formate sind häufig kleinere Convenience-Stores mit weniger als 300 Quadratmetern. In Russland setzen Pyaterochka (ein Teil des Einzelhandelskonzerns X5), Magnit und Dixy auf diesen Trend. Ihre auf Discount ausgerichteten Läden wenden sich mit niedrigen Preisen an Kunden, die zwar wenig, aber dafür regelmäßig einkaufen. Ihr Convenience-Konzept eignet sich für eine rasche Expansion, da die einzelnen Filialen klein sind, nur geringe Investitionen benötigen und mit einem Basissortiment leicht zu eröffnen sind. Zwischen 2012 und 2016 eröffneten die drei Unternehmen zusammen mehr als 13.000 neue Filialen. Dies entspricht mehr als einer Verdoppelung der Zahl modern organisierter Lebensmittelgeschäfte in Russland. Kleine Formate sind beispielswiese auch in Indien enorm erfolgreich; hier decken lokale Anbieter den Großteil der Nachfrage nach Lebensmitteln ab. Und in Polen ist das Discount- Format Biedronka – eine Marke des portugiesischen Einzelhändlers Jeronimo Martins – Marktführer. All diese kleineren Formate sind flexibel genug, um Marktanteile von den globalen Hypermarkt-Kolossen zu gewinnen. Sie konzentrieren sich häufig auf den lokalen Bedarf und haben anpassungsfähige Lieferketten. 30
TRANSFORMATION ONLINE IST KEINE KÜR MEHR – SONDERN PFLICHT In den Industrieländern besaßen die meisten großen Einzelhändler bereits eine starke Präsenz in der Fläche, bevor sie einen Onlinekanal aufgebaut haben. Diesen Luxus können sich Handelsunternehmen in vielen Schwellenländern nicht leisten und müssen entsprechend handeln. In China beispielsweise haben Alibaba, JD und Yihaodian eigene Logistiknetzwerke für ihr Onlinegeschäft – eine kostspielige Variante, die ihnen aber die vollständige Kontrolle über das gesamte Kundenerlebnis ermöglicht. Auch in Kasachstan sind Verbraucher außerhalb der großen Städte daran interessiert, online einzukaufen, wenn es Technologie und Infrastruktur erlauben. Kasachische Einzelhändler haben dem Rest der Welt gezeigt, dass es bei Onlinebestellungen sinnvoll sein kann, eine Barzahlung bei Lieferung anzubieten. Fehlende flexible Zahlungsmöglichkeiten führen häufig dazu, dass Konsumenten nicht online einkaufen. Sie haben entweder keinen Zugang zu Bankdienstleistungen oder bevorzugen aus unterschiedlichen Gründen Bargeld, beispielsweise aus Misstrauen gegenüber Onlinebezahldiensten. Der Internetzugang selbst erfolgt in Schwellenländern häufiger über Smartphones und Tablets als über PCs und Laptops. Auch in Industrieländern gehen gerade Menschen mit geringerem Einkommen immer häufiger über mobile Endgeräte online. Erfolgreiche Einzelhändler investieren daher in mobile Websites, die darauf ausgelegt sind, auf einem kleinen Bildschirm zu surfen und einzukaufen. Der Onlinehandel kann in einigen Ländern auch helfen, noch bestehende regulatorische Hürden zu überwinden. So umfasst allein der indische Lebensmittelmarkt ein Volumen von mehr als 650 Milliarden US-Dollar. Die Regulierung dieses gigantischen Marktes verfolgt das Ziel, den Wettbewerb durch internationale Anbieter zu beschränken. Es ist ausländi- schen Unternehmen jedoch erlaubt, Onlinemarktplätze zu betreiben und so Konsumgüter an abgelegene Orte zu bringen. Einige Unternehmen ziehen hieraus bereits Vorteile. Der britische Textilhändler MISSguided zählt ebenso dazu wie die US-Marke The North Face. Sie machen Verbraucher mit ihren Marken vertraut und sind damit gut positioniert, Markt-anteile zu gewinnen, wenn die Onlinenutzung steigt und die Infrastruktur besser wird. Wer dagegen den Markt nur beobachtet und auf Gesetzesänderungen wartet, ist bereits im Rückstand. 31
AUCH M&A-AKTIVITÄTEN IN ERWÄGUNG ZIEHEN Traditionell ist Konsolidierung ein wichtiges Thema für den Einzelhandel. Sie kann lokal und kleinteilig erfolgen, wie das Beispiel der indischen Future Group zeigt. Das Unter- nehmen integriert kleine familiengeführte Betriebe (Kiranas), die derzeit 98 Prozent des Lebensmittelhandels abdecken, in ihre beiden Franchise-Ketten Aadhaar für ländliche und KB’s Fair Price für städtische Regionen. Die Konsolidierung kann aber auch auf nationaler Ebene wie in Polen erfolgen. Diesen hoch- kompetitiven und fragmentierten Markt – bislang decken die fünf größten Lebensmittel- einzelhändler weniger als 50 Prozent des Marktes ab – formen nun teilweise Unternehmen mit einer Strategie der Integration von Franchise-Konzepten und lokalen Marken. Die Konsolidierung in Polen wird in den kommenden Jahren weitergehen und den Zentra- lisierungsgrad sowie die Effizienz erhöhen. In einem solchen Umfeld gewinnen voraussichtlich diejenigen Unternehmen, die aktiv und frühzeitig die Konsolidierung vorantreiben und schnell sowie effizient Wettbewerber integrieren und damit ihr operatives Geschäft vom Category Management über den Einkauf bis hin zur Logistik straffen. Auch in reifen Märkten wird sich die Konsolidierung weiter fortsetzen, wie das Beispiel der Niederlande zeigt. Zuerst erwarb Jumbo C1000. Dann schlossen sich Albert Heijn und die belgische Supermarktkette Delhaize zusammen. Über die nationale und internationale Konsolidierung innerhalb ihres Sektors hinaus sollten Einzelhändler auch offen für sektorübergreifende M&A-Aktivitäten sein. Ein Beispiel hierfür ist die Übernahme der britischen Argos mit ihrem Warenhaussortiment durch den Lebensmittelhändler J Sainsbury‘s. Dies könnte sich als geschickter Schachzug erweisen, um die Zukunft in einem Markt zu sichern, der durch fallende Margen bei Lebensmitteln, den Verlust von Marktanteilen an Discounter sowie unbeständiges Verbrauchervertrauen geprägt ist. DAS KLEINE EINMALEINS IMMER IM BLICK BEHALTEN Am Ende resultiert Erfolg im Handel immer aus der Zufriedenheit der Kunden mit Angebot und Preisen. Es braucht einen hervorragend geführten Betrieb, um diese Erwartungen zu erfüllen. Entscheidend ist insbesondere die Reduzierung der Komplexität und Kosten. Aktionen können sich in diesem Zusammenhang zu einer „Seuche“ entwickeln. Sie plagt beispielsweise den Handel in Tschechien. In den vergangenen Jahren kam es hier im Kampf um Kunden und Marktanteile zu einer wahren Aktionsflut, an der sich nahezu alle Supermärkte beteiligten. Die Hälfte der Umsätze entfällt nun auf Aktionswaren. 32
TRANSFORMATION In einigen Sortimentsbereichen wie Geflügelfleisch und Bier steigt dieser Anteil zu bestimmten Zeiten sogar auf 80 Prozent. Die Betreiber mögen glauben, dass sie sich so als Niedrigpreis- anbieter positionieren. Doch im Ergebnis untergraben sie das Vertrauen der Kunden in die Normalpreise und verleiten sie, nur Aktionsware zu kaufen. Dies löst einen Teufelskreis aus und die ständig steigende Zahl von Aktionen beeinträchtigt letztendlich das Geschäft. Aktionen, generell Preise und das Sortiment zählen zu den wichtigsten Stellhebeln, um die Ertragskraft im Einzelhandel zu steigern. Es ist daher essenziell, diese Größen aktiv zu steuern und sicherzustellen, dass die Geschäftsführung den Überblick und Kontrolle über die wichtigsten Entscheidungen behält. Jeden Tag stehen Millionen auf dem Spiel, wenn Dutzende Einkäufer handeln. Wenn eine Unternehmensstrategie bis auf die einzelnen Warengruppen heruntergebrochen wird und der Einkauf zudem über die notwendigen Werkzeuge verfügt, um die richtigen Entscheidungen zu treffen, kann sich die Ertragskraft eines Einzelhändlers deutlich verbessern. FAZIT Der Erfolg im Lebensmitteleinzelhandel basiert auf der Fähigkeit der Anbieter, sich an neue und wechselnde Rahmenbedingungen anzupassen und zugleich kosteneffizient die richtigen Formate und Fertigkeiten zu entwickeln. Für den Erfolg in Schwellenländern sollten einheimische wie internationale Anbieter daher nicht nur das eigene Geschäfts- modell auf die spezifischen Herausforderungen und Chancen der jeweiligen Region zuschneiden, sondern sich auch mit neuen Konzepten und Erfahrungen in anderen Märkten auseinandersetzen – selbst wenn sie auf der anderen Seite des Globus liegen. 33
KAMPF DER FORMATE WIRD ENGER KUNDENZUFRIEDENHEIT IM DEUTSCHEN LEBENSMITTELEINZELHANDEL 34
TRANSFORMATION Über die Preise keines Lebensmitteleinzelhändlers äußern sich die deutschen Verbraucher so zufrieden wie die von Aldi Süd. Bei der Leistung, gemessen an Auswahl, Qualität und Service, favorisieren sie Globus. Auch bei der Kombination aus Preis- und Leistungs- wahrnehmung sind die Saarländer neben Kaufland Branchensieger. In einer Umfrage von Oliver Wyman im Mai 2016 gaben mehr als 3.000 Konsumenten in Deutschland Auskunft über ihre Zufriedenheit mit den 16 größten Lebensmitteleinzelhändlern in den beiden Dimensionen „Leistung“ und „Preis“. Seit Jahren quantifiziert Oliver Wyman anhand dieser Preis- und Leistungszufriedenheits- matrix, in welchem Maß einzelne Elemente des Angebots wie Preis, Sortiment, Qualität und Service die Gesamtzufriedenheit von Kunden beeinflussen und zeigt so, welche deutschen Lebens- mitteleinzelhändler aus Sicht der Konsumenten punkten und in welchen Bereichen es noch Handlungsbedarf gibt. Noch können die SB-Warenhäuser mit den Branchenbesten mit- halten. Hinter den drei Discountern Aldi Süd, Aldi Nord und Lidl belegen Kaufland und Globus im aktuellen Branchenranking der Preiswahrnehmung die Plätze vier und fünf. In der Kategorie „Qualität und Service“ liegt Globus auf Platz eins, gefolgt von E-Center, Edeka, Rewe und Lidl. In ihrer ureigenen Domäne „Auswahl“ punkten die Großformate besonders: Hinter Globus platzieren sich hier Marktkauf, Kaufland, E-Center und Real. 35
AUFHOLJAGD DER SUPERMÄRKTE Ein Vergleich zu früheren Erhebungen von Oliver Wyman zeigt, in welchem Maß sich die Kundenzufriedenheit verändert hat: Vor allem die Großflächenformate verlieren und die Supermärkte legen zu. Die Großfläche muss künftig mehr investieren, um Mankos wie lange Anfahrtzeiten und längere Laufwege zu kompensieren. Auch bei Qualität und Service – hier vor allem bei frischen Produkten – gibt es der jüngsten Umfrage zufolge Verbesserungsbedarf. Die Großfläche muss sich weiter neu erfinden, um im Wettbewerb zu bestehen. Die lange erfolgsverwöhnten Discounter sehen sich ebenfalls Herausforderungen gegen- über. Sie modernisierten zwar in den vergangenen Jahren ihre Verkaufsflächen, erweiterten ihr Angebot und nahmen Markenprodukte in ihr Sortiment auf. Dadurch verstärkte sich in Folge der umfassenden Investitionsprogramme von Aldi und Lidl die „Zweiklassengesellschaft“ bei den Discountern. Mittlerweile konkurrieren die führenden Discounter immer stärker mit den Supermärkten. Lidl hat hier aus Sicht der Verbraucher momentan die Nase vorn und konnte sich in der Leistungswahrnehmung spürbar von Aldi absetzen. Die Supermärkte reagierten jedoch, investierten weiter in ihr Angebot und stärkten so ihre Position als starker Nahversorger im deutschen Lebensmitteleinzelhandel. Die Konsumenten honorieren diese Anstrengungen: Die Zufriedenheitswerte vor allem von Rewe aber auch Edeka steigen. Das gilt auch für das bislang wichtigste Differenzierungsmerkmal der Discounter, den Preis. Der Abstand zwischen Discountern und Supermärkten schrumpfte im Vergleich zu früheren Erhebungen. Die Supermärkte haben in den vergangenen Jahren vieles richtig gemacht und damit in den Augen der Verbraucher deutlich gewonnen. Dagegen zeigte Tengelmann in der aktuellen Erhebung wieder die schwächste Preiswahrnehmung und konnte trotz Entwicklung in der Leistungswahrnehmung nicht zu Rewe und Edeka aufschließen – das Ergebnis ist bekannt. RÜCKLÄUFIGE ZUFRIEDENHEIT IST WARNSIGNAL Die Oliver Wyman-Matrix mit der Zufriedenheit bei Preis und Leistung ist ein aussagekräftiger Indikator für das Geschäftspotenzial im Lebensmitteleinzelhandel. Wenn ein Einzelhändler weiß, wie gut er in der Wahrnehmung der Kunden im Vergleich zum Wettbewerb dasteht, hat er erheblich bessere Chancen, seinen Umsatz zu steigern – und Marktanteile zu gewinnen. Die beispielsweise in den letzten Jahren rückläufigen Marktanteile von Tesco in UK hatten sich in den regelmäßigen Oliver Wyman-Befragungen bereits seit 2008 klar abgezeichnet. Darin zeigte sich, dass Tesco den Konsumenten aus den Augen verlor und die Zufriedenheit mit dem Service und Preis-Leistungs-Verhältnis kontinuierlich nachließ. Kein Lebensmittel- händler darf sich mit hohen Zufriedenheitswerten oder Besucherfrequenzen begnügen. Um den Vorsprung zu erhalten oder weiter auszubauen, bedarf es kontinuierlicher Investitionen. 36
TRANSFORMATION KLARE GEWINNER UND VERLIERER AUS SICHT DER KUNDEN KUNDENZUFRIEDENHEIT IM DEUTSCHEN LEBENSMITTELHANDEL 2009 VS. 2016 LEISTUNGSWAHRNEHMUNG Stark E-Center Globus Edeka real,- Kaufland Kaiser‘s Rewe Tengelmann Rewe Center Lidl Aldi Süd Aldi Nord Netto Nord Penny Netto MD Norma Schwach Schwach PREISWAHRNEHMUNG Stark 2009 2016 Supermarkt Großfläche Discounter ENTWICKLUNG IM ÜBERBLICK •• Globus und Kaufland sind rückläufig bei Leistung und auch Preis. •• Discounter verlieren spürbar in der Preiswahrnehmung. Aldi und Lidl setzen sich aber von übrigen Anbietern ab. •• Lidl ist stärkster Discounter in punkto Leistung. Netto und Norma bilden das Schlusslicht. •• Rewe verkürzt den Abstand zu Edeka: Leistung seit 2009 doppelt so stark verbessert wie Edeka. Quelle: Oliver Wyman „Customer Perception Map Deutschland 2016“ (exklusive Marktkauf wegen fehlender 2009er Werte) 37
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