Clarity on Entrepreneurs - Impulsgeber der Schweizer Wirtschaft ...

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Clarity on Entrepreneurs - Impulsgeber der Schweizer Wirtschaft ...
Clarity on
Entrepreneurs
Impulsgeber der
Schweizer Wirtschaft

Mai 2016

Praxiseinblicke
Interviews mit Unternehmern zu
Digitalisierung, globaler Mobilität,
Automatisierung, Immobilien­
entwicklung und Nachfolgeregelung

Standortagenda
Handels- und Industriekammern,
Steuerverwaltungen und
öffentlich-rechtliche Einrichtungen
über aktuelle Herausforderungen

Marktregion
Ostschweiz / Liechtenstein
KPMG stellt sich vor
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Clarity on Entrepreneurs

I N H A LT S V E R Z E I C H N I S

Clarity on
Entrepreneurs

          VO R WO R T                                    SCHWEIZER WIRTSCHAFT IM FOKUS

2         Mittelständische Unternehmen              48   Schweizer Standortagenda
          Das Fundament unserer Wirtschaft               Qualitative Umfrage bei zehn Handels- und
                                                         Industriekammern
4         Aktuelle Herausforderungen
                                                    54   Unternehmenssteuerreform III
                                                         Andreas Wurster, Steuerverwaltung Schaffhausen
16        Unser Versprechen
                                                    58   Öffentliche Verwaltung im Wandel
          INTERVIEWS                                     Philippe Burri, Strassenverkehrsamt Neuenburg
18        Digitalisierung                                (SCAN)
          Fabio Cannavale, lastminute.com group
                                                         K P M G O ST S C H W E I Z / L I E C HT E N ST E I N
24        Globale Mobilität                         60   Attraktiver Markt in der Grenzregion
          Kurt Christen, Bucherer Gruppe

28        Supply Chain Management                   64   Leistungsspektrum
          Attilio Tissi, Bobst Group SA
                                                    66   Standorte KPMG Schweiz
34        Nachfolgeregelung
          Nicole Stadelmann, Bijoux Stadelmann AG   68   Pinboard & Impressum

40        Immobilienentwicklung
          Markus Mettler, Halter AG

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Von links nach rechts: Kurt Stocker, Hans Vils, Peter Michael

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Clarity on Entrepreneurs

VO R WO R T

Das Fundament
unserer Wirtschaft

Mittelständische Unternehmen sind eine herausragende Stärke der Schweizer
Wirtschaft. Dank ihrer Innovationskraft, ihrer internationalen Vernetzung und
ihren weltweit anerkannt hohen Qualitätsansprüchen sichern sie zwei Drittel der
Arbeitsplätze und des Wohlstands in der Schweiz. Wer selber ein Unternehmen
führt, weiss wie viel Willensstärke und Kraft diese Leistungen täglich erfordern
und welche Stolpersteine einem dabei in den Weg gelegt werden.
      Wir haben die wichtigsten Fragen zusammengetragen und mit Vertretern
von Handels- und Industriekammern in zehn Kantonen über die grössten unter­
nehmerischen Herausforderungen in den betreffenden Wirtschaftsregionen
diskutiert.
      Die Ostschweiz spürt seit Langem einen Bedeutungsverlust, der sich in zwei
Anliegen manifestiert: Zum einen im Wunsch nach einer stärkeren Erschliessung
der Region dank verbesserter Verkehrsinfrastrukturen, zum anderen in einer
Änderung des schweizerischen Raumkonzeptes zu einem gesamtheitlichen
Wirtschaftsraum. Auch die mit Industrie 4.0 bezeichnete Digitalisierung stellt für
die regionale Wirtschaft eine weitere grosse Aufgabe dar.
      Neben wirtschaftlichen und regulatorischen Herausforderungen stehen
auch betriebswirtschaftliche Themen auf der Agenda eines jeden Unternehmers.
Wir haben dies zum Anlass genommen, aktuelle Themen wie Digitalisierung
und neue Technologien, fortschreitende Automatisierung, Entwicklungen im Bau-
und Immobiliengeschäft, Internationalität und globale Mobilität sowie Umgang
mit Familientraditionen während der Firmenübergabe mit CEOs und CFOs aus
der ganzen Schweiz zu durchleuchten.
      Wir bedanken uns an dieser Stelle bei unseren Interviewpartnern für ihre
Offenheit, das Vertrauen und die Einblicke, die sie uns gewährt haben. Ihnen,
liebe Leserinnen, liebe Leser, wünschen wir eine spannende Lektüre und freuen
uns darauf, mit Ihnen die diversen Themen zu erörtern.

Peter Michael                   Kurt Stocker                       Hans Vils
Leiter Marktregion Ostschweiz   Co-Leiter Marktregion Ostschweiz   Standortleiter Schaan

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A K T U E L L E H E R AU S F O R D E RU N G E N

Wenn Stärke zu
Schwäche wird
Frankenstärke

Ein gegenüber Deutschland um über 30% höheres
Preis- und Kostenniveau wird von den Unternehmen
als nicht mehr tragbar erachtet. Arbeitsplätze in
For­schung und Entwicklung sowie Produktion und
Support werden bereits seit Längerem ins Ausland
verlagert. Rahmenbedingungen, um auch künftig
alle wichtigen Elemente der Wertschöpfungskette
in der Schweiz zu erhalten, sind deshalb dringend
notwendig.

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Clarity on Entrepreneurs

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A K T U E L L E H E R AU S F O R D E RU N G E N

Balanceakt
im Arbeitsmarkt
Fachkräftemangel

Wegen der nach wie vor unklaren Umsetzung der
Massenein­wanderungsinitiative droht eine weitere
Verknappung der Verfügbarkeit ausländischer
Arbeitskräfte. Bereits heute vermögen die vom Bund
gesprochenen Kontingente die Nachfrage aus den
Kantonen nicht mehr zu decken.

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A K T U E L L E H E R AU S F O R D E RU N G E N

Steuerwettbewerb
am Wendepunkt
Unternehmenssteuerreform III

Das Schweizer Steuersystem ist international unter
Druck geraten, was bei vielen Unternehmen Rechts-
und Planungssicherheit ausgelöst hat. Zudem setzt
sich die OECD mit Nachdruck für mehr Transparenz
und neue Regeln im Steuerwettbewerb ein. Mit
der Unternehmens­­steuer­reform III hat die Schweiz die
notwen­digen Schritte für ein wettbewerbsfähiges
und international akzeptiertes Steuersystem einge­
leitet.

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Clarity on Entrepreneurs

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A K T U E L L E H E R AU S F O R D E RU N G E N

Fortschritt im
Gleichschritt
Digitalisierung

Der rasante Wandel hin zu einer wissensbasierten
Gesellschaft, der Zwang zur Innovation sowie
eine immer umfassendere Digitalisierung in vielen
Wirtschafts- und Lebensbereichen stellt die Un­ter­
nehmen vor fundamentale Herausforderungen.
Eine stär­kere Anbindung der Unternehmen an die
Uni­versitäten und Hochschulen wird zentral werden.

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Clarity on Entrepreneurs

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Mehr Ruhe –
weniger Sturm
Planungssicherheit

Das ungeklärte bilaterale Verhältnis der Schweiz
zur EU, der hohe Aussenwert der Landeswährung
und unklare Umsetzungen von Initiativen und
Steuerreformen tragen wesentlich zur allgemeinen
Verunsicherung bei. Die politischen Rahmen­
bedingungen müssen so ausgestaltet werden,
dass die Unternehmen wieder Vertrauen in den
Wirtschaftsstandort Schweiz gewinnen.

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Clarity on Entrepreneurs

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A K T U E L L E H E R AU S F O R D E RU N G E N

Wenn der Weg
zum Ziel wird
Zunehmende Regulierungsdichte

Die immer dichteren Regulierungen stellen die
Unternehmen vor wachsende Heraus­forderungen.
Nebst der Bindung von personellen und finanziellen
Ressourcen werden die Innovationskraft und die
Entwicklung der Volkswirtschaft insgesamt gehemmt.

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Clarity on Entrepreneurs

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Clarity on Entrepreneurs

B E G R Ü S S U N G D U R C H R E TO B E N Z

Unser
Versprechen

                                                                Als Unternehmerinnen bzw. Unternehmer stellen Sie
                                                                besondere Ansprüche an Wirtschaftsprüfungs- und Beratungs­
                                                                gesellschaften: Zentral sind neben Marktverständnis und
                                                                Kompetenz das Vertrauen in den Ansprechpartner und die
                                                                örtliche Nähe. Wir inves­­tie­ren daher ganz bewusst in unsere
                                                                Standorte und deren Mit­­arbeitende, um in der Region ver­
                                                                ankert zu sein und flexibel auf die Bedürfnisse unserer Kunden
                                                                eingehen zu können. Die laufende fachliche und methodi­
                                                                sche Weiterbildung unserer Mitarbeitenden stellt sicher, dass
                                                                Sie lokal Ihre kom­petenten Ansprechpartner haben. Sei es
                                                                Revisionsarbeit, Rechts-, Steuer- oder Unternehmens­beratung
                                                                – auf sie können Sie bauen! Bei Bedarf ziehen wir ­weitere
                                                                Spezialisten aus dem (internationalen) KPMG-Netzwerk für
                                                                massgeschneiderte, multidisziplinäre Lösungen bei.

                                                                Egal, ob Sie ausschliesslich Ihre Region mit Ihren Produkten
                                                                und Dienstleistungen bedienen, ein Schweizer Marktführer
                                                                sind oder in internationalen Märkten bestehen: Bei KPMG
                                                                profitieren Sie von einer zentralen Ansprechperson in Ihrer
                                                                Nähe und dem Knowhow eines global tätigen Unternehmens.
Reto Benz
Partner, Leiter Marktregionen Schweiz                           Sie zögern? Fordern Sie uns heraus – Sie werden es nicht
                                                                bereuen!
Leidenschaft ist das, was Unternehmerinnen und Unternehmer
antreibt. Erfolgreiche Firmen zeichnen sich durch eine über­    Eine gute Lektüre wünscht Ihnen
durchschnittliche Motivation, Durchhaltewille und Kreativität
aus. Sie erkennen Chancen und gehen Risiken ein, weil sie
im Innersten davon überzeugt sind, das Richtige zu tun.
Ebenso motiviert engagieren sich die Mitarbeitenden und
Partner von KPMG für ihre Kunden und begleiten sie als
kompetente Partner in den unterschiedlichsten Phasen des
Lebens­zyklus einer Unternehmung. Es freut mich, Ihnen in       Reto Benz
dieser Publikation fünf Beispiele zu präsentieren.              Partner, Leiter Marktregionen Schweiz

                                                                                                                              17
D I G I TA L I S I E R U N G

Wir leben
in einer
Ära
der Apps
Fabio Cannavale, Gründer und CEO der lastminute.com
group, spricht über die rasant fortschreitende Digitalisierung,
die Anforderungen an neue Technologien und das veränderte
Kommunikationsverhalten der Kunden.

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Clarity on Entrepreneurs

Fabio Cannavale
Gründer und CEO der
lastminute.com group

  Fabio Cannavale, 50, ist Gründer, CEO
  und Hauptaktionär der internationalen
lastminute.com group, eines führen­
  den europäischen Reise- und Freizeit­
  anbieters. Fabio Cannavale bildete
  sich am Mailänder Polytechnikum zum
  Ingenieur aus und absolvierte einen
 Master in Business Administration.
 ­Danach w   ­ ar er als Konsulent bei AT
  ­Kerney und McKinsey tätig. Nach
   ­einem längeren Aufenthalt in der Karibik
    gründete er seine erste eigene Firma,
    die Ferien­reisen auf dem Meer anbot.
  2004 k  ­ onzipierte er zusammen
  mit Marco Corradino die erste Such­
  maschine für Billigflüge, Volagratis.com;
  daraus entwickelte sich das Unter­
  nehmen Bravofly. Mit der Akquisition
    des spanischen Anbieters Rumbo
­wurde Cannavales Unternehmung zur
 Bravofly Rumbo Group, welche dann
  im April 2015 zur lastminute.com group
  wurde. Die Gruppe hat ihren Hauptsitz
  in der Schweiz, in Chiasso, und ist in
  40 Ländern aktiv.

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Clarity on Entrepreneurs

Lorenzo Job                               Dr. Peter Jankovsky
Partner, Leiter Marktregion Tessin        Korrespondent Italienische Schweiz und Graubünden der NZZ

Peter Jankovsky / Lorenzo Job             Die Gruppe ist also nicht nur gewach-             Computerprogrammen verarbeiten
Sie sind der Gründer der lastminute.com   sen, sondern auch vielfältiger geworden.          alles schneller und zuverlässiger, als
group und waren bis Mitte Dezember        Damit ist sie der Gesetzmässigkeit                Menschen es je könnten. Gleichzeitig
2015 Präsident des Verwaltungsrates.      ­unterworfen, dass die Komplexität der            brauchen wir immer mehr technisch
Dann wollten Sie Ihre aktuelle Position    Strukturen deutlich zunimmt.                     versierte Mitarbeitende: 70 Prozent von
auf diejenige des CEO wechseln.            Genau deshalb braucht es dringend                uns sind Informatiker und Ingenieure.
Fabio Cannavale: Ich wollte nicht, ich     ­einen einheitlichen operativen Über­
musste. Der Markt und mit ihm die           blick, damit ich mich mit der Koor­             Abgesehen von den Websites:
Struktur unserer Gruppe sind Verände­     dination der einzelnen Einheiten be­              Welche Aktivitäten in der Firma sind
rungen unterworfen. Früher haben ­wir       schäftigen kann.                                ohne Informatik undenkbar?
Flüge verkauft, mit den Jahren sind                                                         Das fängt schon bei der Buchhaltung
andere Produkte und Dienstleistungen      Immer komplexer und vernetzter wird               an. Wie gesagt, wir führen pro Tag
mit Bezug zu Reisen und Freizeit hin­     auch die Weltwirtschaft. Das stellt               tausende Transaktionen durch, und
zugekommen. Seit diesem Jahr möchten      auch Ihre Branche vor grosse Heraus-              da ist ein schneller und vollständiger
wir uns zusätzlich als Medienunter­       forderungen.                                      Überblick nur via Informatik möglich.
nehmen positionieren.                     Grundsätzlich gilt: Je schneller eine             Überhaupt führt Automatisierung zu
                                          Dienstleistung vollzogen werden soll,             viel grösserer Zuverlässigkeit. Wenn
Was hat sich konkret geändert?            desto komplexer gestalten sich die                ich an telefonische Buchungen denke,
Als Online-Reiseportal wickeln wir        Anforderungen. Hierbei spielt die                 so liegt bei diesen die Fehlerquote
inzwischen Buchungen kompletter           Informatik eine entscheidende Rolle.              seitens unserer Verkäufer höher als
Ferien-Pakete ab. Wir haben eine          Um adäquat auf die Bedürfnisse des                bei Buchungen über unsere Websites.
komplexe Struktur mit Verantwortli­       Marktes zu reagieren und die richtigen            Wenn Computer und ihre Algorithmen
chen im Management für die Bereiche       Entscheidungen zu treffen, ist zur                konsequent zum Einsatz kommen,
Travel, Marketing, Metasearch, IT         entsprechenden Analyse eine enorme                werden die Fehler der Nutzer auf ein
und Finanzen. Dazu kommen kleinere        Menge an Daten und Informationen                  Minimum reduziert.
Tochtergesellschaften.                    notwendig. Und die Algorithmen von

                                                                                                                                    21
D I G I TA L I S I E R U N G

Und wie kommen Algorithmen                 Wie könnte die Zukunft aussehen?           geworden. Statt ins Reisebüro gehen
beispielsweise im Marketing zum            Für mich zeichnet sich ab, dass jegliche   immer mehr online oder mobile.
Einsatz?                                   Information nicht mehr lokal, sondern      Ein zurzeit wachsendes Phänomen sind
Wichtig ist die Informatik, wenn es ums    in einer Cloud gespeichert wird. Dann      Info-Reisevideos: Sie präsentieren
Marketing bei Online-Suchmaschinen         können die Kunden mittels eines Identi­    nicht nur das Hotel, sondern auch die
geht. Passende Key-Words entscheiden       fikations-Codes über beliebige Internet-   Destination und ihre Umgebung besser.
über die erstrangige Position bei den      Portale und zufällig herumstehende         Dazu kommt, dass via Social Media ver­
Suchergebnissen. Und um die richtigen      Computer an die Informationen heran­       breitete individuelle Hotel-Rezensionen
Schlagworte zu finden, kommen Algo­        kommen. Das heisst, wir müssen die         wie Trip­advisor sehr stark beachtet
rithmen zum Einsatz. Dasselbe gilt für     verschiedenen Datenbasen und -prozes­      werden. Beide Faktoren tragen vermehrt
die Analyse des Marktverhaltens unserer    se vereinfachen, zusammenführen und        zur Entscheidungsfindung des Kunden
Konkurrenten.                              für alle möglichen Endgeräte anwend­       bei.
                                           bar gestalten – ohne dafür zusätzliche
Die Digitalisierung geht also                                                            Wie beeinflusst das Ihre Werbung?
immer rasanter voran.                                                                    Wir haben bestimmte Typen von
Im Vergleich zu traditionelleren                                                         Nutzern, und diese einzelnen Ziel­
Sektoren ist diese Dynamik in
unserer Branche sehr rasant.                    Ich bin                                  gruppen müssen wir möglichst
                                                                                         persönlich ansprechen. Das tun

                                               praktisch
Wir müssen sofort auf das sich                                                           wir via Social Media und über spe­
verändernde kommunikative                                                                zielle Online-Plattformen, die ­
Verhalten der Kunden reagieren.                                                          auf die Bedürfnisse der jeweiligen
Einst wurde in den Agenturen
oder telefonisch gebucht, dann             immer und überall                             Zielgruppe zugeschnitten sind.

                                               mit dem
via E-Mail sowie Internet und                                                             Welche Gefahren birgt die zuneh-
schliesslich via Mobile Device.                                                           mende Digitalisierung?
Auch erwarten die Leute, alle                                                             Wie gesagt, es gibt ein grundsätz­
Informationen so schnell und
so unmittelbar wie möglich zu                Unternehmen                                  liches Risiko: die verspätete An­
                                                                                          passung. Unsere Systeme dürfen

                                              verbunden.
erhalten.                                                                                 nicht veralten, sonst verlieren wir
                                                                                          den Anschluss. Hierbei ist es wichtig,
Welcher Kommunikationskanal                                                               dem Unternehmen immer wieder
liegt im Trend?                                                                           neue Lösungen zuzuführen: Junge
Wir leben in einer Ära der Apps.                                                          Leute entwickeln am meisten Neu­
Die sind am effizientesten, und das gilt   Gebühren zu verlangen. Diese Verein­       gier und Leidenschaft für die Neuhei­
sogar für unsere interne Firmenkom­        heitlichung dürfte auch zur Verringerung   ten in der Welt. Und so entwickeln ­
muni­kation. Was entsteht, ist ein rich­   externer betrügerischer Aktionen bei­      wir innovative Arbeitsmethoden. In
tiger WhatsApp-Kosmos. Auch das ­          tragen.                                    Sachen Digitales sollten wir ganz
ist eine Herausforderung: Die im Ver­                                                 allgemein von unseren Kindern lernen.
gleich zum Computer kleineren Bild­        Ohne die neuste digitale Technologie       Sie passen sich am schnellsten und
schirme der Smartphones erfordern          ginge demnach nichts mehr.                 natürlichsten an jegliche Innovation an.
s­ tete Anpassungen der Angebots­          Ohne sie würde unsere Firma nicht
präsentation und der Buchungsprozesse.     existieren. Punkto Markttendenz und
Die Mobile Devices sind zum Dreh­          Technologie müssen wir ständig auf
punkt aller Informationen geworden.        der neusten Entwicklungswelle reiten,
                                           denn inzwischen ist die Mehrzahl
                                           der Kunden sehr innovationsfreudig

22
Clarity on Entrepreneurs

Auch die Cyber-Kriminellen halten
sich auf dem neusten technischen Stand.
Die Freiheit im Internet ist gross, das
hat Vor- und eben auch Nachteile.
Am gefährlichsten sind die Hacker, die
unsere Daten stehlen wollen, um sie
zu verkaufen, oder die unsere Website
zum Absturz bringen möchten. Hier
orientiert sich die Bekämpfung eben­
falls an Algorithmen, die Daten für
Statistiken über die Cyber-Kriminalität
liefern. Das bedeutet auch, dass wir viel
Prävention betreiben: Wir beobachten
und registrieren sehr genau, wer mit uns
auf welche Weise interagiert.
                                             wir die entsprechenden Strukturen          In der heutigen Zeit reicht die
Digitale Transformation erfordert auch       ausbauen. Das gilt ebenso für einige       Digitalisierung wohl auch weit ins
einiges in Bezug auf die «digitale           spezifische technische Bereiche. Jede      Privatleben hinein.
Kultur» und das Teilen von Wissen im         Firma ist dem Risiko ausgesetzt, zu        Sie erleichtert mir das Privatleben sehr,
Unternehmen. Wie gehen Sie damit um?         selbstbezüglich zu werden, also helfen     weil ich keine Sekretärin habe. Wir
Wir betreiben eine stete Aus-und Weiter­     externe Stimuli sehr viel.                 teilen uns alle Firmen-Kalender, und
bildung unserer über 1 000 Mitarbeiten­                                                 diese will ich auch in meiner Freizeit
den. Denn man kann nie genug machen.           Was können wir punkto Technologie        sehr rasch abrufen. Zudem treibe ich
Der Schwerpunkt liegt natürlich auf            in Zukunft von lastminute.com group      tagsüber gerne Sport, arbeite daher viel
dem IT-Bereich. Letztes Jahr liessen           erwarten?                                abends, und auch dann muss ich steten
wir viele Mitarbeitende eine Zeitlang          Eigene Technologien haben wir viele.     Kontakt zur Firma halten können.
in unseren Firmenniederlassungen in            Wir waren eines der ersten Unternehmen   Ich bin praktisch immer und überall
anderen Ländern arbeiten, damit sie          in Europa, das eine Software für einen     mit dem Unternehmen verbunden.
ihren Horizont erweitern. So fördern         Überblick der Low-Cost-Angebote
wir auch das Knüpfen von Kontakten           entwickelt hatte. Auch unser digitales     Werden die Menschen irgendwann
sowie den Austausch der Kompetenzen          Check-In via Kunden-Smartphone             von Internet, Social Media und Apps
innerhalb des Unternehmens. Und ver­         beruht auf einer Eigenentwicklung.         übersättigt sein?
gessen wir nicht, dass Wirtschaftskrisen     Weiter haben wir unsere Website,           Ich denke, die Leute werden immer
wie jene in Italien erfinderischer machen:   Car-Sharing, Urban Mobility und ähn­       verbunden sein wollen. Aber das
Man ist zur Innovation gewissermassen        liche Dinge adressiert, in einer ein-      Kommunikationsverhalten dürfte sich
gezwungen.                                   zigen App zusammengefasst, Urbi            ändern: Man wird noch intensiver,
                                             ­genannt. Mit dieser kann man alle         schneller und vor allem noch realer
Innovative Ideen können auch externe          ­Angebote nutzen. In zehn Jahren wird     seine Erlebnisse anderen mitteilen und
Berater einbringen. Nutzen Sie diese           ohnehin alles via Apps abgewickelt,      am Leben seiner Freunde teilnehmen.
Möglichkeit?                                 was sehr viel Zeit spart.
Nicht genug, das sollten wir verstärken.                                                Haben Sie da eine konkrete Vision?
Externe liefern viele neue Inputs und                                                   Vielleicht gibt es schon in zehn Jahren
Erkenntnisse aus anderen Blickwinkeln.                                                  keine Smartphones und Tablets mehr,
Gerade für unsere HR-Abteilung und                                                      sondern ein einziges multifunktionales
das Mitarbeiter-Coaching brauchen                                                       Gerät.
wir frische Eingebungen: Hier müssen

                                                                                                                                 23
G L O B A L E M O B I L I TÄT

                                Von Kunden-
                                         und
                                 Mitarbeiter-
                                    kulturen

24
Clarity on Entrepreneurs

   Kurt Christen    Die Luzerner Traditionsfirma Bucherer
                    hat sich in den letzten fünf Jahren zum

        über die    führenden Uhren- und Schmuckanbieter
                    Europas entwickelt. Der Umsatz wur­de
                    verdoppelt, die Anzahl der Mitarbeiten­den

globale Mobilität
                    wuchs um einige Hundert auf 1 700.
                    Rund 500 arbeiten in Deutschland, Wien,
                    Paris und über die ganze Welt bis nach
                    China verstreut. Internationalität und

   bei Bucherer     Mo­bi­lität haben stark zugenommen.
                    Kurt Christen begleitet diese Entwicklungen
                    als Personaldirektor.

                                                                     25
G L O B A L E M O B I L I TÄT

              Kurt Christen
              Personaldirektor Bucherer Guppe

                                                vertraglich und steuerlich bedeutet,        anders funktioniert als in der Schweiz,
                                                wenn wir Mitarbeitende in ein anderes       dass man zum Beispiel die Küche
                                                Land schicken. Weil die Rechtslage in       manch­mal selber einbauen muss. Auf
                                                allen Ländern unterschiedlich ist, müssen   diesen Prozess müssen sich die Leute
                                                wir viel Knowhow aufbauen. Dabei ist        einlassen.»
                                                es wichtig, dass wir pro­fessionelle
                                                Berater zur Seite haben, die uns auf        Gründe für die Entsendungen sind der
                                                Stolpersteine aufmerksam machen.»           Austausch von Knowhow, die Über­
Markus Vogel, Director, Steuerberatung                                                      brückung von Personalengpässen und
KPMG Zentralschweiz, im Gespräch                Neu gibt es bei Bucherer Leitlinien für     die Motivation der Mitarbeitenden.
mit Kurt Christen, Personaldirektor
Bucherer Gruppe                                 Entsendungen. Darin erfahren die            Für Letztere bedeutet ein Ausland­
                                                Mitarbeitenden, was auf sie zukommt,        einsatz mehr als eine willkommene
                                                zum Beispiel beim Arbeitsvertrag,           Abwechslung; dank der Internationalität
So richtig zum Thema geworden sei               bei den Versicherungen oder bei den         können sie nun in der eigenen Firma
die Internationalität, nebst den bereits        Steuern. Und sie erfahren auch, in          Ausland­erfahrung sammeln und ihre
bestehenden Verkaufsgeschäften                  welchen Bereichen sie Unterstützung         Sprachkompetenz erweitern. Wie
in Deutschland, mit der Eröffnung der           erwarten dürfen und welche Bereiche         wichtig Sprachen für Bucherer sind,
neuen Geschäftsstelle 2013 in Paris,            sie selber regeln müssen. «Wichtig ist,     zeigt das Beispiel der Filiale am
wo Bucherer mit 110 Mitarbeitenden              dass die Mitarbeitenden eine Grund­         Schwanenplatz in Luzern: Die rund 180
startete. «Sofort kam die Frage auf,            beratung bekommen, damit sie sich           Mitarbeitenden beraten die Kun­dinnen
wie man den Bucherer-Spirit da                  orientieren können, zum Beispiel            und Kunden in 26 Sprachen. «Dass
hineinbringen kann», sagt Kurt Christen.        bei der Wohnungssuche. Sie müssen           wir als Schweizer Firma internationale
«Und wir haben gemerkt, was es                  wissen, dass das in anderen Ländern         Perspektiven anbieten können,

26
Clarity on Entrepreneurs

ist im Uhren-Schmuck- Retail-Geschäft      die Fachkräfte an der Bucherer-Academy
fast einmalig», ergänzt Christen.          selber ausbildet. Das sei ein Vorteil.
«Darauf sind wir stolz. Wir merken         «Wir bilden zum Beispiel pro Jahr ein
das, wenn wir mit Kandidatinnen und        bis zwei Juwelenfasser aus, ein aus­
Kandidaten sprechen. Die nehmen            sterbender Beruf. Wir bieten auch
uns anders wahr als vor zehn Jahren.       Weiterbildungen an um sicherzustellen,
Sie haben auch eine andere Erwartungs­     dass wir genug Spezialisten haben. Auch
haltung an die Offenheit, die eine         bei den Uhrmachern gibt es Spezialisie­
international tätige Firma ausstrahlt.»    rungsgrade, die man auf dem Markt
                                           nicht findet. Zum Beispiel Uhrmacher,
Für die Nachwuchskräfte verfügt            die auch im Verkauf tätig sind.»
Bucherer neuerdings über ein eigenes                                                    Kurt Christen
Entwicklungsprogramm. Wer es absol­        Die Internationalisierung hat bei Bucherer   Dipl. Personalleiter ZGP / Ausbilder SVEB I
viert, muss an einem ausländischen         spürbare Folgen. «Die Mitarbeitenden
Standort, nach Möglichkeit in einem        merken, dass es morgen anders sein           Kurt Christen ist seit 2000 in der Bucherer
fremden Sprachraum, einen Kurz­            wird, als es gestern und heute war»,         ­Gruppe tätig. Bucherer ist Schweizer
aufenthalt von drei Monaten absolvieren.   sagt Christen. «Wir schauen das aber als      Marktführer im Detailhandel hochwertiger
                                                                                         Uhren und Schmuckkreationen und in ­
«Wir sind gespannt, wie das ankommt»,      Chance an, sonst würden wir es nicht          der Herstellung und Vermarktung der Carl
sagt Kurt Christen, der die Entsen­        machen. Aber es ist sehr anspruchs­           F. Bucherer Uhren. Er ist Mitglied der
dungen mit seinem Team managt und          voll. Wir haben eine Kultur, die sehr auf     Gruppenleitung und Departementsleiter
                                                                                         Personal/Sicherheit und Logistik.
dabei von Compliance-Spezialisten          die Menschen eingeht und bei der es
unterstützt wird. Einen Global Mobility    die Führungskräfte interessiert, wie es      Das Unternehmen beschäftigt rund 1 600
Manager gibt es bei Bucherer nicht,        den Mitarbeitenden geht.»                    Mitarbeitende in den Märkten Schweiz,
                                                                                        Deutschland, Österreich und Frankreich
obschon im Zusammenhang mit                                                             mit total 52 Verkaufsgeschäften.
Entsendungen auch komplexe Fragen          Neu gebe es verschiedene Kulturen mit
auftauchen, zum Beispiel wenn ein          verschiedenen Ansprüchen, die mit der        1995 – 2000
                                                                                        Leiter Personal/Dienste bei der Cablecom
nach Peking entsendeter Mitarbeiter        Firma verbunden werden müssen.               Holding AG
die ganze Familie nachzieht.               «Bisher haben wir uns mit verschiede­
                                           nen Kundenkulturen auseinanderge­            1990 – 1995
                                                                                        Leiter Personal/Dienste bei der Fischer
Mitarbeitende, die länger als ein Jahr     setzt, jetzt haben wir auch verschiedene     Holding AG
im Ausland bleiben, erhalten vertraglich   Mitarbeiterkulturen.»
die Zusicherung, dass sie wieder                                                        1980 – 1990
                                                                                        Projektleiter und Assistent der Unter­
zurückkommen können, wenn etwas            Eine weitere Herausforderung sei die         nehmensleitung bei der Fischer Holding
nicht so läuft, wie sie sich das vor­      Globalisierung. «Wir in der Schweiz          AG (Kabelfernsehkommunikation)
gestellt haben. «Wir können allerdings     müssen aufpassen, dass wir nicht zu
                                                                                        1977 – 1980
nicht garantieren, dass sie wieder         stark zu einer Insel werden.» Das            Betriebsleiter der Kinobetriebe «EMIL»
die gleiche Funktion haben werden.         Schweizerische sei nicht das allein          Steinberger in Luzern
Man geht von beiden Seiten ein             Seeligmachende. Andererseits geniesse
gewisses Risiko ein. Es ist klar, dass     die Swissness einen hohen Stellen­
man nach einer gewissen Zeit nicht         wert, den man mehr nutzen sollte.
alles wieder so vorfindet wie vor der      «Swissness ist eine gute Marke, die
Entsendung», ergänzt Christen.             den Leuten Sicherheit und Kontinuität
                                           gibt.» Bucherer wolle eine Luzerner
In letzter Zeit sei die Anstellung         Firma mit familiärer Tradition sein. Bei
von Mitarbeitenden aus dem Ausland         vielen globalisierten Unternehmen sei
auch wegen der Masseneinwande­             das verloren gegangen. «Bei uns sind
rungsinitiative noch anspruchsvoller       die Reisekosten auf GL-Stufe relativ hoch,
­geworden. Schwierig zu finden sind        weil wir glauben, dass das persönliche
gemäss Christen vor allem Leute mit        Gespräch für die Wertschätzung wichtig
chinesischer Sprachkompetenz.              ist. Bei Ereignissen wie Raubüberfällen
«Das Migrationsamt will, dass wir die      beispielsweise bin ich immer innerhalb
Leute im EU-Raum oder in der Schweiz       von Stunden vor Ort. Damit die Leute
finden. Aber das ist oft Wunschdenken.»    merken, dass es uns nicht egal ist,
Der Fachkräftemangel hingegen              wenn ihnen etwas passiert. Das ist der
sei weniger ein Thema, weil Bucherer       Luxus, der zu uns passt.»

                                                                                                                                  27
S U P P LY C H A I N M A N AG E M E N T

                                          «Automatisierung
                                          ist in
                     Attilio Tissi
               CFO Bobst Group SA
                                          unserer
                                          Branche
                                          ein
                                          altbekanntes
                                          Thema»            Interview
                                                       mit Attilio Tissi
                                                   CFO Bobst Group SA

28
Clarity on Entrepreneurs

                       Als Technologieführer in der Verpackungsindustrie
                       steht Bobst vor immer komplexer werdenden
                       Herausforderungen. Die globale Wettbewerbs­fähigkeit,
                       der starke Schweizer Franken sowie regulatorische
                       Einschränkungen beeinflussen die Weiterentwicklung
                       des Geschäftsmodells. Attilio Tissi, CFO bei Bobst,
                       im Gespräch mit Luc Oesch, Director bei KPMG
                       Schweiz.

                       Luc Oesch Die zunehmende Globali-          Wie sehr stehen Sie unter dem Druck
                       sierung stellt die Unternehmen             Ihrer Kunden, aufgrund des starken
                       vor zahlreiche Herausforderungen.          Schweizer Frankens die Preise
                       Welche sind dies für Sie?                  anzupassen? Welche Massnahmen
                       Attilio Tissi Die Verpackungsindustrie     haben Sie ergriffen?
                       bewegt sich heute in einem sehr wett­     Unsere hochwertigen Produkte waren
                       bewerbsintensiven Umfeld. Aufgrund        schon vor der Aufhebung der Wech­sel­
                       des technologischen Fortschritts ver­     kursuntergrenze oft teurer als die
Luc Oesch
Director, Audit KPMG   ringern sich zudem die Produktlebens­     unserer Mitbewerber. Als die SNB diese
Suisse Romande         zyklen, sodass der Druck auf die          Massnahme ankündigte, haben wir uns
                       Hersteller, neue Produkte ein­zuführen,   einige Tage Zeit genommen, um die
                       stetig steigt.                            Lage zu analysieren. Wir haben uns
                                                                 dann entschieden, unsere Preise in der
                       Welchen Einfluss haben neue regulato-     Euro-Zone unverändert zu belassen.
                       rische Anforderungen auf Bobst?           Um unsere Einnahmen in Schweizer
                       Die Komplexität dieser Vorgaben zwingt    Fran­ken auf dem bisherigen Niveau zu
                       uns zu einem ständigen Balanceakt         halten, hatten wir zwei Alternativen:
                       zwischen betrieblichem Management         entweder höhere Verkaufszahlen oder
                       und Risikomanagement. Gleichzeitig        höhere Verkaufspreise in Euro zu er­
                       stehen wir unter Druck, neue Produkte     zielen. Die hohe Nachfrage in unserer
                       im Markt einführen zu müssen. Durch       Branche ermöglichte uns, bei unverän­
                       die OECD-Richtlinie BEPS wird die         derten Euro-Preisen die Verkaufszahlen
                       Transparenz im Steuerbereich erhöht.      zu steigern. Ausserdem kaufen wir
                       Zahlreiche Länder sehen sich gezwun­      jetzt verstärkt in Euro ein. Wir haben
                       gen, höhere Steuereinnahmen zu er­        auch Gespräche mit unseren Lieferanten
                       zielen, sodass wir mit zusätzlichen       in der Schweiz geführt, die auch bereits
                       Belastungen rechnen müssen. Da unsere     von sich aus auf uns zu­kamen, um
                       Entscheidungen und Investitionen          ­Lösungen vorzuschlagen. Weder die
                       langfristig ausgelegt sind, dürften wir    Arbeitszeiten noch die fixen Saläre
                       diese Herausforderungen aber ganz          wurden angetastet. Nur den variablen
                       gut bewältigen.                            Saläranteil unserer Kader haben wir
                                                                  weltweit um 10% gekürzt. Auch einige
                                                                  Investitionen und nicht-strate­gische
                                                                  Projekte wurden verschoben, j­ edoch
                                                                  nicht die bereits bewilligten Ausgaben
                                                                  im Bereich Forschung ­und Entwicklung.

                                                                                                         29
S U P P LY C H A I N M A N AG E M E N T

Evaluieren Sie regelmässig die be­          Worin liegen für Bobst die grössten           Die Verpackungsindustrie sieht sich
triebliche und die strategische Leistung    Herausforderungen in der Steuerung            zunehmend gezwungen, umwelt-
Ihrer direkten Lieferanten und Ihrer        der Zulieferkette?                            freundliche Verpackungsmaterialien
wichtigsten Partner in der Zulieferkette?   Ganz sicher in der Entwicklung der            herzustellen. Wie reagiert Bobst
Produktqualität und Liefertreue haben       Wechselkurse. Wir sind zwar nicht             auf diese Anforderungen?
für uns absolute Priorität. Um diese si­    besonders abhängig von der Entwick­          Kartonagen sind ja an sich ökologisch,
cherzustellen, haben wir unser Auswahl­     lung der Rohstoffpreise, dennoch             da sie wiederverwertet werden. Ausser­
verfahren um Besuche bei unseren            sichern wir die erwarteten ein- und aus­     dem besitzen die grossen Papierhersteller
Lieferanten und Testbestellungen klei­      gehenden Zahlungsströme ab. Mit der           heute schon eine integrierte Produktion
nerer Mengen erweitert. Wenn uns die        Absicherung der Beschaffungsvolumen           und beziehen ihre Rohstoffe aus eigener,
Ergebnisse nicht überzeugen, infor­         gewährleistet der Treasurer der Gruppe,       nachhaltiger Forstwirtschaft. ­Zudem
mieren wir den jeweiligen Lieferanten.      dass die Margen oder die Preise den           sind Verpackungen heute so optimiert,
Sehen wir auch nach einer zweiten           budgetierten Werten entsprechen.              dass sie die Produkte mit möglichst ge­
Rückmeldung unsererseits keine Ver­                                                      ringem Rohstoffeinsatz schützen. Dank
besserung, klären wir in einem persön­          Haben Sie ein Innovationsmanagement      unserer langjährigen Erfahrung können
lichen Gespräch, wie der Lieferant die          eingeführt, das für die gesamte Gruppe   wir technisch anspruchsvollere und
gesetzten Ziele erreichen kann.             gilt?                                        ­umweltfreundlichere Produkte anbieten,
                                            Wir investieren jedes Jahr zwischen           da unsere Maschinen weniger Energie
Wie stellen Sie sicher, dass die Unter-     CHF 65 und 70 Millionen in For­               verbrauchen, und können dadurch den
nehmen und Zulieferer in Ihrer              schung und Entwicklung, bei einem             Ressourcenverbrauch senken.
Wertschöpfungskette die Ethik- und          Umsatz von CHF 1,3 Milliarden. In
Rechtsgrundsätze von Bobst beachten?        ­unserem Unternehmen in der Schweiz          Die «disruptiven Technologien»
Unsere neuen Verträge enthalten eine         gibt es ein Innovationsteam, das an         (Di­gitalisierung, Robotik, 3D-Druck)
Seite, die sich auf die Beachtung der        verschiedenen Themen forscht, ohne          haben grossen Einfluss auf die Verpa-
Menschenrechte, des Mindestlohns             direkt vermarktungs­fähige Produkte         ckungsindustrie. Welche Chancen und
und des Verbots von Kinderarbeit             entwickeln zu müssen. Unsere kriti­         Risiken sehen Sie hier für Ihre Gruppe?
bezieht. Ausserdem haben wir einen           sche Grösse und unser Ergebnis              Automatisierung ist in unserer Branche
globalen Verhaltenskodex, der das            ­ermöglichen uns, an Innovationen zu        ein altbekanntes Thema. Das war in
Verhalten unserer Mitarbeitenden und          ­arbeiten, die wir nicht zwingend          Asien vor einigen Jahren noch anders,
die Geschäftstätigkeit von Bobst gegen­        ­veröffentlichen oder zum Patent an­      als die Lohnkosten dort noch sehr
über unseren Anspruchsgruppen regelt.           melden und vermarkten. Bobst führt       niedrig waren. Inzwischen nimmt die
Wir tun unser Möglichstes, um die               auch Forschungs- und Entwicklungs­       Automatisierung auch auf dem asiati­
Einhaltung unserer Ethik- und Rechts­           abteilungen an den Stand­orten in        schen Kontinent zu, insbesondere in
grundsätze sicherzustellen, etwa indem          Deutschland, Frankreich, Italien und     China. Teure Produktionsflächen und
wir unsere wichtigsten Lieferanten              im Vereinigten Königreich. Vor eini­     die gestiegenen Qualitätsansprüche
mindestens einmal pro Jahr besuchen.            gen Jahren haben wir zudem begonnen,     tragen dazu bei, dass sich diese Entwick­
Die Kontrolle der gesamten Zuliefer­            Entwicklungsabteilungen in China         lung weiter fortsetzt. Wir beobachten
kette, insbesondere der Auftragnehmer           und Indien aufzubauen, für die wir       die Entwicklung des 3D-Drucks,
unserer Lieferanten, ist allerdings             tech­nische Zeichner und Inge­nieure     sehen jedoch noch keine unmittelbaren
nicht einfach.                                  vor Ort rekrutieren. Zurzeit haben       Auswirkungen auf unsere Branche.
                                                wir in Indien im Bereich Forschung       Kartonagen oder Folien werden in einer
Können Sie in diesem volatilen und              und Entwicklung mehr als dreissig        komplexen Massenproduktion her­
unbeständigen Marktumfeld die                   ­Ingenieure und Projektleiter, die für   gestellt. Das können die heutigen 3D-
Versorgungssicherheit gewährleisten?             Bobst arbeiten. Damit reagieren wir     Drucker noch nicht herstellen. Dagegen
Wir beziehen nur wenige Artikel von              auf die Notwendigkeit, für die von ­    ermöglicht die Digitalisierung einen
einem einzigen Lieferanten und die               uns in Indien oder China produzierten   höheren Grad an Kreativität, etwa bei
Preise hängen von unterschiedlichen              Maschinen direkt vor Ort einen War­     der Gestaltung von Schachteln. Die
Faktoren ab, sodass unser Markt rela­tiv         tungsservice anbieten zu können.        «Brand Owner» profitieren dank dieser
beständig ist. Die Herausforderung liegt                                                 Technologie von schnelleren und flexi­
für uns im Wesentlichen in der Qualitäts­                                                bleren Abläufen; beispielsweise sind
sicherung für Komponenten, die wir aus                                                   Modifikationen während der Produkt­
China und Indien beziehen. In jedem                                                      einführung jetzt einfacher zu realisieren.
dieser Länder evaluieren wir mindestens                                                  Die Digi­talisierung ermöglicht auch
zwei Lieferanten und fertigen parallel                                                   kleinere Druckserien und der Bedarf
dazu auch einige Teile direkt vor Ort.                                                   an Werkzeugen sinkt. Das wirkt sich
                                                                                         positiv auf die Kosten aus.

30
Clarity on Entrepreneurs

Attilio Tissi
Lic. oec. HSG, Universität St. Gallen

Seit 2011
Chief Financial Officer
Bobst Group SA

2008 – 2011
Bei Bobst als Controller Group
Supply Production and Logistics,
Managing Director Bobst SA und
Chief Financial Officer ad interim
von Mai bis Oktober 2011

2002 – 2007
Mitglied der MCC Management
Consulting & Coaching, Schaffhausen

1998 – 2001
SIG Positec International AG,
Neuhausen, nacheinander als
Head Mergers & Acquisitions, CFO

1994 – 1997
Mitarbeiter des Group CFO bei der
SIG Holding AG, Neuhausen

Board Memberships
Mitglied verschiedener Boards inner­
halb der Bobst Group

                                     31
S U P P LY C H A I N M A N AG E M E N T

32
Clarity on Entrepreneurs

Wie bereiten Sie sich selbst und die      Wie gewährleisten Sie den optimalen        ermöglichte Zugriff auf Produktions­
Mitarbeitenden von Bobst auf diese        Einsatz Ihrer Betriebsmittel?              daten wirft viele Rechtsfragen auf,
Zukunftstechnologien vor?                 Wir haben unser Umlaufvermögen in          für die wir in den nächsten Jahren
Wir stehen in einem ständigen Dialog      den letzten Jahren auf einen Viertel       Antworten finden müssen.
mit unseren Kunden und mit deren          zurückgefahren. Das war möglich, weil
Kunden. So erfahren wir mehr über die     wir unsere Bestandsführung verbessert      Bei welchen Fragen wenden Sie sich
Bedürfnisse dieser Zielgruppen und        und beispielsweise die automatischen       an externe, unabhängige Berater?
können neue Entwicklungen in unserer      Bestellungen bei Minimalbestand            Wir greifen bei ganz speziellen Fragen
Branche antizipieren. Dabei stellen wir   abgeschafft haben. Ausserdem haben         auf externe Berater zurück – vor allem,
uns natürlich auch die Frage, welchen     wir unsere Produktion nach dem Prinzip     wenn wir die jeweiligen Spezialisten
Platz unser Unternehmen zu­künftig in     des «Lean Management» neu organisiert.     nicht selbst im Haus haben. Das wird
der Wertschöp­fungskette einnimmt.                                                   bei uns auf lokaler Ebene entschieden.
Heute verkaufen wir Maschinen,
Dienstleistungen und Lösungen.                                                           Mit welchen Themen wird sich
In Zukunft werden wir dieses                                                             Bobst in Zukunft beschäftigen?
Angebot sicher erweitern kön­
nen, indem wir die Vorbereitung
der zu druckenden Medien so­
                                              Wir wollen                                 Wir wollen Technologieführer in
                                                                                         unserer Branche bleiben und werden
                                                                                         weiterhin in neue Dienstleistungen
wie den Einsatz von Grafik und
Druckfarben verbessern. Und
                                          Technologieführer                              investieren. Dazu müssen wir vor
                                                                                         allem gute Fachkräfte rekrutieren
wir werden noch mehr Beratung
anbieten. Natürlich bauen wir
auch weiterhin auf unsere tradi­
                                              in unserer                                 und binden. Wir brauchen Talente
                                                                                         und gut ausgebildete Mitarbeitende.
                                                                                         Mit derzeit 200 Auszubildenden
tionellen Produkte, die wir durch
innovative Module ergänzen.
                                           Branche bleiben.                              sind wir immer noch der wichtigste
                                                                                         Ausbildungsbetrieb in der Region.
                                                                                         Ausser gutem Personal brauchen
Welchen Stellenwert haben                                                                wir aber auch zuverlässige Partner
Kosten­einsparungen derzeit in            Welche steuerlichen und rechtlichen        für den Bereich Digitalisierung und
Ihrem Unternehmen?                        Aspekte sind für Bobst besonders           die Entwicklung neuer Technologien.
Sie sind ein wichtiger Aspekt, haben      wichtig?                                   Die Wechselkurse und eine mögliche
aber nicht die höchste Priorität. Wir     BEPS und die Unternehmenssteuer­           Schwächung der grossen Währungen
wollen Technologieführer in unserer       reform III sind für uns wichtige Themen.   werden uns auch in Zukunft beschäf­
Branche bleiben und investieren           Wir haben noch nie eine aggressive         tigen, insbesondere im Zusammen­
beträchtliche Summen in dieses Ziel.      Steueroptimierung betrieben und freuen     hang mit einem möglicherweise
Im vergangenen Jahr haben wir acht        uns, dass das Modell, welches              beschleunigten Rückzug der Industrie
neue Maschinenmodelle eingeführt und      Innovationen in der Schweiz fördert,       aus der Schweiz und einer eventuellen
das gleiche Ziel haben wir uns auch       grundsätzlich angenommen wurde.            Verlagerung von Produktionsstandorten.
für 2016 gesteckt. Mit unserem Service    Was die juristischen Aspekte betrifft,
wollen wir der Massstab in unserer        so wird es durch die Digitalisierung
Branche sein. Uns ist bewusst, dass wir   und die erweiterte Nutzung des Internets
dazu unter anderem die richtigen Fach­    schwieriger, die Schnittstelle zwischen
leute zur rechten Zeit brauchen – und     Lieferanten und Kunden klar zu
zwar weltweit. Daher werden wir auch      definieren. Heute kann auf jede unserer
in Zukunft noch mehr Techniker vor        neuen Maschine über das Internet
Ort ausbilden.                            zugegriffen werden. Dieser somit

                                                                                                                             33
N AC H F O L G E R E G E L U N G

          Nachfolge
                                   nur in der Chefetage
                                   darf sich nicht
                                   abspielen
                                    Nicole Stadelmann hat Bijoux Stadelmann AG
                                    vor zehn Jahren von ihrem Vater übernommen.
                                    Hans Jürg Steiner, Leiter Marktregion Bern-
                                    Mittel­­land von KPMG, spricht mit der erfolgreichen
Die

                                    Geschäftsfrau über das Schmuckgeschäft und
                                    über die Nachfolgeregelung, die er als Berater
                                    begleitet hat.

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Clarity on Entrepreneurs

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N AC H F O L G E R E G E L U N G

         Nicole Stadelmann                                                               Hans Jürg Steiner
         Geschäftsführerin Bijoux Stadelmann                                             Partner, Leiter Markt­region
                                                                                         Bern-Mittelland

Hans Jürg Steiner Eine Nachfolge-              fülle diese Rolle auf meine eigene Art,   Hintergrund, damit alles reibungslos
planung ist ein langfristiger Prozess.         anders als mein Vater. Sein Arbeits­      abläuft. Das war für mich und meine
Sie haben die Freude an Ihrem Beruf            platz war oben im ersten Stock, ich bin   Eltern sehr hilfreich.
früh entwickelt und jetzt zehn erfolg-         die meiste Zeit unten im Verkauf di­
reiche Jahre als Inhaberin von Bijoux          rekt bei den Kunden.                      Nach der Übernahme haben Sie auch
Stadelmann hinter sich. War der                                                          die ersten eigenen Budgets erstellt.
Druck am Anfang nach der Übernahme             Sie sprechen nicht von steuerlichen       Haben Ihnen diese ersten Budgets
des Geschäfts gross?                           oder rechtlichen Themen oder von          Sorgen gemacht?
Nicole Stadelmann Ich bin seit 25              Buchhaltung, sondern vom Vertrauen        Zu Beginn haben wir CHF 100 herum­
Jahren in unserem Geschäft tätig. Ich          der Mitarbeitenden, das Sie sich als      gewälzt und gemeint, wir könnten
war also bereits 15 Jahre hier, als            Chefin erwerben mussten.                  ein zuverlässiges Budget erstellen.
ich es übernommen habe. Einen Druck,           Ja, die Ablösung darf sich nicht nur      Heute sehe ich das etwas anders. Ich
dass ich das Geschäft verstehe, habe           auf der Chefetage abspielen. Man          verlasse mich auf die Regel meines
ich deshalb nie verspürt. Herausfordernd       muss das ganze Team mitnehmen, da­        Vaters und überwache die Liquidität.
war aber die neue Rolle als Chefin.            mit das Geschäft weiterläuft. Und         Dann weiss ich, wo wir gerade stehen.
Früher war immer mein Vater der Chef           um Themen wie Steuern und Buchhal­        Wenn mich Kreditgeber nach einem
und dann war ich plötzlich in dieser           tung musste ich mich nicht im Detail      Budget fragen, sage ich: Ich weiss
Rolle. Es war für mich zuerst komisch,         kümmern, weil KPMG uns in diesen          heute nicht, was ich morgen verkaufe
dass Goldschmiede, die zum Teil län­           Fragen optimal beraten hat. Auch          oder welche schönen Steine ich
ger da sind als ich, sagen: Das ist unsere     meinen Vater hat KPMG über 30 Jahre       ­einkaufen kann. Budgetieren kann
Chefin. Das hat Zeit gebraucht. Seit­          begleitet. Bei der Übernahme arbeite­      ich deshalb lediglich die Fixkosten,
her hat sich einiges geändert und ich          ten die Berater wie Heinzelmänner im       das andere nicht.

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Clarity on Entrepreneurs

Sicher gab es bei der Übernahme auch        ger weiter mitentscheidet. Ich habe ein   Handwerkskunst pflegen. Nicht zuletzt
Emotionen: Der Vater musste los­lassen      paar Berufskollegen, deren Eltern im­     wurde auch dem Laden ein moderner
und Sie durften übernehmen. Wie lief        mer noch mitreden. Manche entschei­       Look verpasst. Oft kommen die Leute
das ab?                                     den sich dann zu gehen und der Betrieb    in den Laden, einfach nur, weil sie sich
Zu Beginn hat die persönliche Bezie­        wird liquidiert. Das ist natürlich sehr   angesprochen fühlen.
hung im Geschäft etwas gelitten.            schade. Auch die Finanzierung ist
Das Loslassen war auch für meinen           ein Thema. Nicht alle wollen wie ich      Ist der Webshop erfolgreich?
Vater schwierig, obwohl er es wollte.       Schulden auf sich nehmen, deren           Wir können im Web vermitteln, wer
Er hat gemerkt, dass man in diesem          ­Abzahlung 12 bis 15 Jahre dauert.        wir sind und was wir herstellen. Viele
Geschäft sehr schnell weg vom Fenster                                                 Leute kommen deswegen zu uns ins
ist und nicht mehr genau weiss, wel­        Sie haben für Bijoux Stadelmann           Geschäft. Aber viele Kunden möchten
che Ware noch in den Schubladen liegt       ein neues Image kreiert. Was hat sich     die Schmuckstücke weiterhin vor dem
 und was den Kunden interessiert. So        verändert?                                Kauf in den Händen halten. Schmuck
kann man selber nicht mehr verkaufen.       Wir haben den neuen Geschäftsteil         ist ein emotionales Geschäft und
Das hat er sehr schnell auch selber         «Trouvaille» kreiert, wo wir bereits      wird es auch bleiben.
­gemerkt.
                                                                                             In der Branche gibt es einen
Wie viele Mitarbeitende                                                                      Trend zu globalen Brands
beschäftigt Bijoux Stadelmann                                                                wie Szabo oder Pomellato. Wie
zurzeit?                                                                                     beschäftigt Sie dieses Thema?
Wir haben 12 Vollzeitstellen mit                                                             Unser Brand ist unser Familien­
15 Mitarbeitenden, davon drei                                                                unternehmen. Wir sind ein
Lernende.                                                                                    Nischen-KMU und deshalb sehr
                                                                                             flexibel. Die globalen Brands
Wie viele sind im Verkauf,                                                                   hingegen sind oftmals sehr
wie viele in der Produktion?                                                                 starr. Wir arbeiten mit Ateliers,
In der Produktion arbeiten drei                                                              die sich auf einzelnen Produkte
Goldschmiede, eine Gold­                                                                     spezialisieren, zum Beispiel auf
schmiedin und ein Lernender.                                                                 Ohrringe, Ketten oder Armreifen.
Alle anderen sind im Verkauf                                                                 Die grossen Brands dagegen
und in der Administration.                                                                   produzieren in riesigen Mengen
                                                                                             im Nahen oder Fernen Osten.
Ist es schwierig für Sie, Nach-                                                              Das ist etwas ganz anderes, das
wuchs zu finden?                                                                             wollen wir nicht. Einen Namen
Wir bilden seit 35 Jahren Mit­                                                               machen sie sich mit weltweiter
arbeitende aus und hatten                                                                    Werbung. Das kann sich ein
noch nie eine Stelle unbesetzt.             getragenen Schmuck günstiger ver­         kleines Unternehmen nicht leisten. Wir
                                            kaufen. Zudem sind wir mit dem Atelier    sind jedoch sicher, dass die Tradition
Sie sind im Berufsverband aktiv.            in den ersten Stock gezogen. Die          als Familienunternehmen dies ersetzen
Wie wird dort über Nachfolgeregelung        ursprüngliche Idee meines Vaters war,     kann. Die Leute kennen uns, weil wir
diskutiert?                                 dass man das Handwerk den Kunden          immer hier waren und man vielleicht
Wenn es um die Abläufe im Detail geht,      zeigen muss. Ich bin jedoch der Mei­      meinen Vater oder Grossvater kannte.
erfährt man wenig. Das Schwierigste         nung, dass heute eine Verkaufsfläche      Deshalb ist es auch wichtig, regel­
bei einer Nachfolgeregelung ist jedoch,     zu teuer ist, um darauf zu produzieren.   mässig an regionale Anlässe zu gehen,
grundsätzlich eine Nachfolgelösung zu       Weiter haben wir einen Webshop            egal, ob an den Hockey-Match oder
finden. Zum Beispiel, weil man sich in      entwickelt und die Präsenz im Internet    ins Hotel Bellevue. Es ist wichtig, dass
der Familie nicht einig ist oder weil die   ausgebaut. Dabei ist uns wichtig, auch    wir am gesellschaftlichen Leben
Nachfolger alleinige Verantwortung su­      in den neuen Medien zu vermitteln,        teilnehmen, denn dort können wir uns
chen und nicht wollen, dass der Vorgän­     dass wir eine Familientradition und       vermitteln. Das ist unsere Werbung.

                                                                                                                              37
N AC H F O L G E R E G E L U N G

Ihr Geschäft ist emotional und am Puls      zum Beispiel Steigbügel und Trensen        Waren Sie als Reiterin auch
der Wirtschaft. Wenn es der Wirtschaft      in Schmuck umgewandelt oder einen          erfolgreich?
gut geht, läuft es auch bei Ihnen gut.      Rosskopf in Gold geschmiedet, ziseliert    Ja, im Amateurbereich. Das war eine
Auf der anderen Seite hat aber auch         und an der Mähne mit Diamanten             schöne Zeit. Als mein Vater noch das
die Entwicklung des Goldpreises einen       ausgefasst. Das Reiten ist eine Leiden­    Geschäft führte, konnte ich das Sport­
Einfluss.                                   schaft, die zu uns gehört und die im       reiten ausleben. Ich bin dankbar,
Als kleiner Nischenproduzent sind wir       Geschäftsleben wichtig ist. In Reit­       dass meine Eltern mir dies ermöglicht
sehr flexibel und können auf solche         kreisen ist unsere Familie schweizweit     haben. Mit der Aufgabe, die ich heute
Entwicklungen reagieren. Als das Gold       bekannt. Das ist sehr wertvoll. Wir        habe, ist das leider nicht mehr vereinbar.
sehr teuer war, haben wir anderes           können in angesagten Reitmagazinen
Material verwendet. Statt Weissgold zum     Werbung platzieren und wissen, dass        Gibt es noch weitere Traditionen in
Beispiel Palladium, das halb so teuer       wir dort bereits einen Namen haben,        ­Ihrer Familie?
ist wie Gold. Am Puls des Geschehens        obschon wir nur ein kleines Berner          Ja, die Liebe zu den Edelsteinen. Schon
wollen wir unsere Einzig­artigkeit          Geschäft sind. Wir stellen auch an          mein Grossvater war Gemmologe und
vermitteln und Trends aufgreifen. Bei       internationalen Turnieren Schmuck           ich bin bereits die dritte Generation mit
den Jungen zum Beispiel ist Tradition       aus und durften für die Fédération          einer Edelsteinausbildung. Gemmologie
wieder wichtiger geworden. So war           equestre internationale (FEI) sogar         ist eine Leidenschaft zur Natur und zu
eine traditionelle Verlobung jahrelang      Pokale gestalten, zum Beispiel für den      den Edelsteinen, die mein Vater mir
kein Thema mehr. Jetzt werden Ver­          Weltcup im Springreiten.                    weitergege­ben hat. Schon als Kind
lobungsringe plötzlich wieder vermehrt                                                  konnte ich mich dafür begeistern und
nachgefragt, ob von Schreinern oder         Haben Sie persönlich noch Zeit zum          trage das in unseren Schmuckstücken
Bankern, ob für CHF 1 200 oder für          Reiten?                                    heute gerne nach aussen.
CHF 5 000. Auch auf solche Trends sind      Unser Geschäft ist sechs Tage offen und
wir vorbereitet.                            ich bin sehr viel präsent. Als Ausgleich   Wissen Sie schon, ob es eine vierte
                                            ist das Reiten aber sehr wichtig für       ­Generation Stadelmann im Schmuck-
Nicht nur das Geschäft, sondern auch        mich. Ich habe Freude an meinen Tieren      geschäft geben wird?
das Hobby Ihres Vaters ist auf Sie über-    und am Freizeitsport im Wald. Bei den       Das steht noch in den Sternen. Ich bin
gegangen, das Reiten. Welche Rolle          Tieren im Stall kann ich zudem gut          46 und noch voll aktiv und will auch
spielt das für Sie?                         abschalten, Kraft und Ideen tanken.         noch ein paar Dinge umsetzen. Ich habe
Das gehört seit jeher zu unserer Familie.                                               zwei Söhne, die momentan in Aus­
Mein Vater hat als Goldschmied jung                                                     bildung sind. Das Geschäft liegt ihnen
damit angefangen, Schmucksachen                                                         sicher am Herzen. Es steht aber nirgends,
zum Thema Reiten herzustellen. Er hat                                                   dass es zu einer familieninternen

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Clarity on Entrepreneurs

 «Seit dem Entscheid
   der Nationalbank
fordert die Kundschaft
 vermehrt Rabatt für
    die Leistungen
 aus dem Euroraum.»

Nachfolge kommen wird. Der ältere          Deshalb ist es wichtig, dass auch die    Viele fragen sich, ob sie mehr im
Sohn hat mir mal gesagt, wenn er bei       Mitarbeitenden regelmässige Schulun­     Ausland produzieren sollen. Stellt sich
den Bachelor-Prüfungen durchfalle,         gen für den Verkauf erhalten.            diese Frage bei Ihnen auch?
studiere er Gemmologie. Da habe ich                                                 Wir haben klare Ansprüche an die
gemerkt, dass mich das sehr freuen         Der 15. Januar im letzten Jahr war       Fertigung unseres Schmuckes und
würde. Ich wünsche ihm aber, dass er       auch für den Detailhandel ein Stich­     arbeiten deshalb mit ganz bestimmten
die Prüfungen besteht. Ich könnte auch     datum. Haben Sie den Entscheid der       Partnern in Europa zusammen. Daran
mit einer anderen Lösung leben. Aber       Schweizer Nationalbank gespürt?          möchten wir auch in Zukunft nichts
ich sehe bei anderen Betrieben, dass       Wir arbeiten mit Ateliers in den Euro­   ändern und möglichst viel in unserem
sich das Geschäft völlig verändert,        ländern zusammen, zum Beispiel           Atelier produzieren.
wenn die Familie aufhört. Meinen           mit Steinschleifern in Süddeutschland.
Söhnen wünsche ich, dass sie einmal        Seit dem Entscheid der Nationalbank      Welches sind aus Ihrer Sicht die Erfolgs-
den Beruf ausüben können, der ihnen        fordert die Kundschaft vermehrt Rabatt   faktoren bei einer Nachfolgeplanung?
jeden Tag Freude bereitet.                 für die Leistungen aus dem Euroraum.     Der Preis muss stimmen, und zwar für
                                           Da muss man aufzeigen können, dass       beide Seiten, für den Verkäufer und
Welches sind für Sie die grössten          man fair kalkuliert. Wir haben eine      den Käufer. Ich wollte sicher sein, dass
Herausforderungen für die Zukunft?         klare Strategie: Wir verrechnen jedes    ich den Kaufpreis, den ich meinem
Die Betreuung der Mitarbeitenden und       Schmuckstück als Momentaufnahme          Vater entschädigte, innerhalb nützlicher
eine angemessene Führungstechnik           und geben die Rabatte an unsere Kunden   Frist zurückzahlen kann. Und ich ­woll­-
sind mir sehr wichtig. Deshalb werde       weiter. Im Vergleich zu Deutschland      te die Verantwortung alleine tragen,
ich dieses Jahr wieder eine Führungs­      und Frankreich haben wir in der          damit ich Neues angehen konnte. Mein
schulung absolvieren. Eine weitere         Schweiz eine teure Produktion und        Vater hat in Absprache mit meiner
Herausforderung ist sicherlich die tech­   müssen uns im Wettbewerb behaupten.      Schwester entschieden, dass er beim
nische Entwicklung, zum Beispiel in        Wir haben aber eine starke und treue     Preis nicht das Maximum will, damit
Form einer Software für eine einfachere    Kundschaft aus der Schweiz.              das Unternehmen in der Familie blei­
Lagerverwaltung oder zur Reduktion                                                  ben kann. Bei uns entwickelte sich die
von gedruckten Quittungen. Diese                                                    Nachfolgeregelung so zur Win-win-
Entwicklungen bedingen auch Ver­                                                    Situation.
änderungen bei den Mitarbeitenden.

                                                                                                                             39
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