Sozial verantwortlich Zukunft gestalten - Katholische Soziallehre - Katholische ...

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Sozial verantwortlich Zukunft gestalten - Katholische Soziallehre - Katholische ...
02 | 2019

          sozial verantwortlich
           Zukunft gestalten

SCHWERPUNKT     PRAXIS_NAH    PUNKT_GENAU

Katholische     Fridays For   Die ruhigen Zeiten
Soziallehre     Future        sind vorbei

                                                    1
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    ca. 40 Beiträge pro Jahr                             2/2018 Solidarische Ökonomien
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    Impressum und Offenlegung
    nach § 25 MedienG

    Medieninhaberin und Herausgeberin:
    Katholische Sozialakademie Österreichs
    Schottenring 35/DG, A-1010 Wien, vertreten durch
    Dr.in Magdalena M. Holztrattner MA, Direktorin
    Herstellerin: Medienfabrik Graz GmbH,
    Dreihackengasse 20, 8020 Graz
    Herstellungsort: 8020 Graz
    Verlagsort: 1010 Wien
    Blattlinie:
    Nachrichten und Stellungnahmen der Katholischen
    Sozialakademie Österreichs zu Fragen des
    gesellschaftlichen Lebens entsprechend dem in
    ihrem Statut definierten Auftrag und den Kriterien
    der Sozialdokumente des kirchlichen Lehramtes.
    Es werden keine Beteiligungen an Medienunter-
    nehmen oder Mediendiensten gehalten.
    Heftredaktion:
    Daniela Ebeert, Magdalena Holztrattner, Bernhard     Bildnachweis:
    Leubolt, Gabriele Lindner, Markus Schlagnitweit      Titelbild: Robert Kneschke, shutterstock
    Grafische Produktion: Konstanze Pichler              S.3, 4, 10, 11: © J. Godany
                                                         S.9, 17: Fridays for Future Wien
    Alle: Schottenring 35/DG, 1010 Wien                  S.13, 15: Mauro Mora, unsplash
    Tel. +43-1-310 51 59, redaktion@ksoe.at              S.19, 24: Grafik © Anna Egger / F: © J. Godany
    Grafikdesign: Christoph Almasy, www.almasy.at        S.21: Randy Colas, unsplash
    Papier: chlorfrei gebleichtes Biotop 3; Nachdruck    S.23: https://www.undp.org
    mit Quellenangabe (ksoe) gestattet.                  S.26: © derknopfdruecker.com

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Sozial verantwortlich Zukunft gestalten - Katholische Soziallehre - Katholische ...
ZUM DOSSIER                                     INHALT

sozial verantwortlich                           4 gestaltungs_räume
                                                    ZukunftsgestalterInnen
                                                                                 18 Gutes Leben
                                                                                    für alle - auch für

Zukunft gestalten                                   Demokratie lernen
                                                    Sichtbar werden
                                                                                    morgen

                                                6 Katholische                    20 Die Expertise der
                                                  Soziallehre -                     vielen
                                                    zukunftstauglich                Demokratisierung
Die ksoe hat heuer unter diesem
Motto ihren 60. Geburtstag gefei-
ert. Es gab dazu viele inspirierende           10 60 Jahre ksoe                  22 Zur sozialen
                                                    Alexander Van der Bellen        Dimension von
Beiträge und Grußworte.
                                                    Marianne Gronemeyer             Nachhaltigkeit
Auch wenn man grundsätzlich
diskutieren kann, ob Zukunft über-
haupt gestaltbar ist, so ist doch              12 Transformationen               24 freies_gut
                                                  zu einer solidari-                 Sozíallehre-Videos
klar: den Grundstein für unsere
                                                  schen Lebensweise                  Theologie der Befreiung
Zukunft legen wir jetzt.                                                             Christlich geht anders
Wir wünschen eine spannende
Lektüre!
                                               16 praxis_nah                     26 punkt_genau
                                                    Jesuiten für Europa              Die ruhigen Zeiten
                                                    Fridays For Future               sind vorbei - ethische
                                                                                     Standpunkte

EDITORIAL

                        Welche Zukunft erträumen wir? Für              Orientierungslinien, die aufrütteln und
                        wen wird das gute Leben in dieser              ermuntern, orientieren und zum Nach-
                        Zukunft möglich sein? Wenn wir unsere          denken anregen wollen.
                        Realitäten heute in den Blick nehmen –         Erwähnenswert ist dabei der neue
                        welche Zukunft dürfen wir dann erwar-          Lehrgang der ksoe, der für Zukunfts-
                        ten? Welche Ansatzpunkte haben wir             gestalterInnen Räume eröffnet, um ihr
                        hier und heute schon, um eine Zukunft          gesellschaftliches Handeln sozial ver-
                        zu ermöglichen, die als Ergebnis sozial        antwortlich und damit zukunftstauglich
                        verantwortlichen Gestaltens das gute           auszurichten.
                        Leben aller ermöglicht?                        Ein Schwerpunkt liegt auf der Frage
Magdalena
Holztrattner            Nachhaltigkeit wird so verstanden              nach einer nachhaltigen Gestaltung un-
Leiterin der ksoe       als Gerechtigkeit über Generationen            seres Lebens- und Produktionsstils, der
                        hinaus, die rechtliche Rahmenbedin-            unsere Mitwelt, unsere „Mutter Erde“
                        gungen und individuelles Handeln               und dadurch die Zukunft der Mensch-
                        erfordert. Denn heute geht es um die           heit direkt betrifft. Junge Menschen,
                        Zukunft aller Menschen.                        die sich z.B. bei Fridays For Future
                        Das hier vorliegende Dossier bietet            engagieren, sind dafür - auch in diesem
                        grundsätzliche Reflexionen, konkrete           Dossier - Sprachrohr und Triebkraft der
                        Handlungsorte und sozialethische               Veränderung.

                                                                                                               3
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gestaltungs_räume

SOZIALE VERANTWORTUNG

Lehrgang für ZukunftsgestalterInnen
                                                        wie die „Sustainable Development Goals“ der UNO,
                                                        Dokumente von Papst Franziskus oder auch von
                                                        VordenkerInnen einer sozial-ökologischen Transfor-
                                                        mation haben dabei Leuchtturmcharakter. Sie bieten
                                                        Ansatzpunkte für kritische Positionierung und für
                                                        konkrete Gestaltungsansätze. Dabei geht es immer
                                                        um beides: persönliches Verhalten einerseits, und
                                                        gesellschaftliche Verhältnisse andererseits.

                                                        Ermutigung durch lebbare Alternativen

                                                        Die Analysen gegenwärtiger Krisen sind weitgehend
                                                        bekannt: Klimakrise, Demokratiekrise, wachsende
                                                        Armut und soziale Ungerechtigkeit weltweit. Wer
                                                        Zukunft gestalten will, muss in der Lage sein, über
                                                        das Bestehende hinaus zu denken. Beim Lehrgang ist
                                                        es die Begegnung mit alternativen Theorien und ge-
                                                        lebten Praxen solidarischer Ökonomie und demokra-
Bernhard Leubolt und Gabriele Lindner
                                                        tischer Partizipation, die neue Einsichten verschaffen.
                                                        Eine besondere Rolle spielen dabei die Module in
Was kann ich tun, damit unsere Gesellschaft gerech-     Brüssel und Barcelona, aber auch die Diskurscafés
ter wird? Wie kann ich dazu beitragen, dass unsere      des Lehrgangs, in denen Geschichten der Hoffnung
Welt auch für zukünftige Generationen lebenswert        erzählt werden. Sie motivieren und stacheln an, auch
ist? Das sind die zentralen Fragen, die Frauen und      selbst ins Handeln zu kommen.
Männer zur Teilnahme am Lehrgang Soziale Verant-
wortung motivieren. Sie kommen mit unterschiedli-       Innovation Lab für
chen Erfahrungen und Hintergründen von nationaler       zukunftsorientierte Projekte
Herkunft, Beruf und Weltanschauung. In einem
intensiven Lernprozess erfahren sie Inspiration und     Von Beginn an geht es darum, dass die TeilnehmerIn-
Ermutigung.                                             nen zukunftsorientierte Projekte der Veränderung
                                                        entwickeln. Als Innovation Lab bietet der Lehrgang
Sozial-Ethik als Orientierung                           bewährte Methoden, damit Neues entstehen und
                                                        nachhaltig wirksam werden kann. Vielfältige Kom-
ZukunftsgestalterInnen orientieren sich bei ihrem       petenzen können dabei eingeübt werden wie Dialog
Handeln am „inneren Kompass“ ihrer Werte und            und Partizipation, Kooperation und Konfliktfähigkeit,
Überzeugungen. Im persönlichen Lebensalltag             Vermittlung und Überzeugungsfähigkeit. Im Rahmen
dominieren häufig unreflektierte Gewohnheiten und       einer Abschlussveranstaltung werden die Projekte
Sachzwänge. Der Lehrgang bietet Raum und Zeit,          präsentiert und damit einer breiten Öffentlichkeit zu-
inne zu halten und sich der Frage zu stellen, was ein   gänglich gemacht. Zukunft ist das Produkt gemein-
gutes Leben für alle Menschen heute, morgen und         samer Anstrengungen. Es geht darum, Zukunft sozial
übermorgen ausmacht. Gesellschaftliche Visionen         verantwortlich zu gestalten.

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Sozial verantwortlich Zukunft gestalten - Katholische Soziallehre - Katholische ...
ARBEITSGRUPPE

„Demokratie braucht Bildung“
Für ein lebenslanges Lernen von Demokratie

Laut einer aktuellen Umfrage von INTEGRAL1 halten         • Katholische Frauenbewegung Österreichs
90% der ÖsterreicherInnen die Demokratie für die          • ksoe - Katholische Sozialakademie Österreichs
beste Staatsform im Land. Gleichzeitig sind 40% mit       • Transform.at
der aktuellen Umsetzung von Demokratie in Öster-          • Verein Frauenhetz – Feministische Bildung, Kultur
reich unzufrieden und sehen sie in Gefahr. Sozial- und      und Politik / Wien
BildungswissenschaftlerInnen wie Elke Gruber und          • WIDE – Entwicklungspolitisches Netzwerk für
Oskar Negt betonen, dass Demokratie gelernt und             Frauenrechte und feministische Perspektiven
immer wieder neu aufgefrischt werden muss.
                                                          Aus der AG entstehen gemeinsame Veranstaltungen
Die 2009 gegründete AG „Demokratie braucht                und Stellungnahmen, um zur Stärkung von Demokra-
Bildung“ engagiert sich für eine aktive Erwachsenen-      tie beizutragen. Inhaltlich ging es u.a. um Medienviel-
bildung zur Förderung der Demokratie in Österreich.       falt und –qualität, EU-Wahlen, notwendige demokra-
Sie besteht aus einem heterogenen Netzwerk von            tische Erneuerungen anlässlich des 100. Jahrestages
Initiativen und Einrichtungen der politischen, emanzi-    der Republik Österreich.
patorischen Erwachsenenbildung:
• arge region kultur - Arbeitsgemeinschaft für           1
                                                           Vier von zehn Befragten sehen die Demokratie in Gefahr.
  regionale Kultur und Bildung                            INTEGRAL-Studie zum Tag der Demokratie (15.9.). Online
• Joan Robinson – Verein zur Förderung frauenge-          verfügbar unter: https://www.integral.co.at/downloads/Pres-
  rechter Verteilung ökonomischen Wissens                 setext/2019/09/Pressetext_Tag_der_Demokratie_-_Sep.pdf

PLATTFORM

„Sichtbar Werden“.
Initiative von Menschen mit Armutserfahrung

Die Plattform „Sichtbar Werden“ ist ein Teil der öster-       • respektvoller Umgang auf Ämtern und Behörden
reichischen Armutskonferenz. Sie ist ein Zusammen-            • Mitwirken bei politischen Entscheidungen
schluss von Menschen und Initiativen mit Armuts-,             • gesellschaftliche Akzeptanz und Teilhabe
Ausgrenzungs- und Diskriminierungserfahrungen.                • lückenloses, barrierefreies Gesundheitssystem
                                                              • Aufzeigen des Zusammenhangs von Armut und
Die beteiligten AktivistInnen vertreten als Delegierte          Krankheit
die Interessen zahlreicher Initiativen und Vereine für        • einfacher Zugang zu Bildung, Kunst, Kultur und
Armutsbetroffene. Sie sind aufgrund ihrer täglichen             existenzsichernden Informationen
Erfahrungen mit Armut ExpertInnen und setzen sich             • freie Berufswahl
für Anerkennung und Wertschätzung der Gesell-                 • Verteilungsgerechtigkeit
schaft ein. Die Plattform entwickelt Veränderungs-
strategien gegen die Spaltung der Gesellschaft und            Die Plattform arbeitet mit der Überzeugung, dass die
zur Stärkung sozialer Rechte. Außerdem zeigt sie auf,         Verwirklichung sozialer Menschenrechte die Grund-
wie wertvoll ein soziales Netz für alle Menschen in           lage für ein demokratisches, würdevolles, gutes und
Österreich ist – besonders, weil fast jede/r Vierte in        selbstbestimmtes Zusammenleben aller ist. Konkre-
Österreich von Armut betroffen ist.                           te Aktivitäten umfassen Arbeitsgruppen in Bundes-
                                                              ministerien, internationale Vernetzung im European
In enger Zusammenarbeit mit der Armutskonferenz               Anti Poverty Network in Brüssel, öffentliche Akti-
setzt sich die Plattform „Sichtbar Werden“ ein für:           onen wie z.B. das „Parlament der Ausgegrenzten“,
• existenzsichernde Einkommen und Leistungen                  Austausch mit politischen EntscheidungsträgerIn-
• Kindergrundsicherung und Absicherung im Alter               nen, Medienarbeit und vieles mehr.
• leistbares Wohnen                                                                        www.armutskonferenz.at

                                                                                                                        5
Sozial verantwortlich Zukunft gestalten - Katholische Soziallehre - Katholische ...
SCHWERPUNKT

     Katholische Soziallehre -
                      zukunftstauglich

Sozial verantwortliche Zukunftsgestaltung ist heute ohne eine auch ökologisch nachhaltige Poli-
tik nicht mehr zu denken. In den Augen vieler Menschen hat es viel zu lange gedauert, bis dieser
Zusammenhang auch von der kirchlichen Sozialverkündigung aufgegriffen wurde. Tatsächlich gilt
in der öffentlichen Wahrnehmung erst die Enzyklika „Laudato si‘“ des gegenwärtigen Bischofs von
Rom Franziskus als erstes päpstliches Lehrschreiben, das sich dezidiert der ökologischen Verant-
wortung widmet.

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Sozial verantwortlich Zukunft gestalten - Katholische Soziallehre - Katholische ...
Viele von dieser Frage bewegte ChristInnen          von jedweden Diskriminierungsmerkmalen.
halten deshalb dafür, den klassischen Prinzi-       Häufig bleibt dabei jedoch der Blick auf die
pienkanon der Katholische Soziallehre (KSL),        Gesamtheit aller aktuell lebenden Menschen
ausgehend von „Laudato si‘“, einfach um ein         (und in konkreten Fällen sogar nur innerhalb
Prinzip „Nachhaltigkeit“ zu erweitern.              einer sozialen Einheit) beschränkt. Müssten
                                                    unter Einbeziehung des Prinzips Nachhaltigkeit
Prinzip „Nachhaltigkeit“?                           hier aber nicht auch die legitimen Lebens- und
                                                    Entwicklungsinteressen künftiger, noch gar
Nun ist gegen eine solche Erweiterung per se        nicht lebender Generationen mit im Blick sein
noch nichts einzuwenden. Es fragt sich aller-       und in politischen Prozessen sogar Anspruch
dings, ob eine solche, bloß additive Verlänge-      auf entsprechende Anwaltschaft und politisch
rung ihres Prinzipienkanons schon alles ist, was    gleichberechtigte Vertretung haben? Wie so
die Kirche der zeitgemäßen Weiterentwicklung        eine „Beteiligung“ künftiger Generationen am
ihrer Sozialverkündigung schuldet. Bleiben die      politischen Interessenausgleich ohne pater-
anderen Prinzipien – ihre Formulierung, ihr         nalistische Bevormundung konkret umgesetzt
Verständnis und ihre Anwendung – von dieser         werden und gelingen kann, muss hier offen
Erweiterung etwa unberührt?                         bleiben. Am ehesten kommen dafür regelmäßig
                                                    wiederkehrende demokratische Vorgänge zur
Zunächst trifft die Annahme, die kirchliche Sozi-   Festlegung verbindlicher Entwicklungsziele
alverkündigung hätte das Prinzip Nachhaltigkeit     in Betracht (analog zu den UN-Sustainable
erst jetzt für sich „entdeckt“, so gar nicht zu.    Development Goals), denen gegenüber alle
Führende Vertreter der KSL entwickelten etwa        politischen Entscheidungen und Maßnahmen
schon vor Jahrzehnten eine bis heute wegwei-        der Gegenwart unbedingt rechenschaftspflich-
sende Definition des Gemeinwohlprinzips, die        tig sind.
sich keineswegs nur auf die Gegenwart bezieht,
sondern auch auf die legitimen Lebensinteres-       ... Gemeinwohl
sen künftiger Generationen. Das Gemeinwohl
ist demnach „das größte Glück aller einzel-         Diese Priorisierung einer „Zukunftstauglichkeit“
nen in Gegenwart u. Zukunft mit vorrangiger         lässt sich aus einer Analogie zum Gemeinwohl-
Beachtung vitaler Lebensbedürfnisse für alle.“1     begriff der Katholischen Soziallehre begründen:
– Bleibt angesichts solcher Formulierungen          Dem zufolge werden die individuellen Interes-
die Frage, wie der Eindruck einer „Zukunftsver-     sen einer Person klar dem Gemeinwohlinteres-
gessenheit“ seitens der KSL entstehen konnte.       se untergeordnet (ohne deshalb deren unbe-
Hier mag ein gewisses Versäumnis eingeräumt         dingte Personenwürde zugunsten des Kollektivs
werden, insofern die Sorge um das „größte           zu beschneiden!). Beschränkt wird die Legitimi-
Glück aller Einzelnen in der ( jeweiligen) Gegen-   tät dieser Einzelinteressen überdies durch die
wart“ die Aufmerksamkeit möglicherweise zu          „vorrangige Beachtung vitaler Grundbedürfnis-
sehr auf sich gezogen haben mochte, als dass        se für alle“. Diese Unterordnung von Einzelinte-
die Ansprüche einer nachhaltigen Zukunft für        ressen ist aber eigentlich deren Einordnung in
alle in gleicher Weise berücksichtigt worden        das Gemeinwohl als das größtmögliche Glück
wären. Hier scheint es zu Recht Nachholbedarf       aller Einzelnen, weil davon ausgegangen wird,
zu geben. Notwendig erscheint mir deshalb eine      dass das Glück einer einzelnen Person letztlich
Neubuchstabierung der klassischen Sozialleh-        im so verstandenen Gemeinwohl aufgehoben
re-Prinzipien unter Einbeziehung der Erfor-         ist; das individuelle Glücksstreben kann also –
dernisse ökologischer Nachhaltigkeit. Einige        zumindest in einer längerfristigen Betrachtung
Anregungen dazu will dieser Artikel geben.          und im Rahmen seiner Legitimität – gar nicht
                                                    mit dem Gemeinwohl in Konflikt geraten. Wenn
Personalität ...                                    also das Glücksstreben einer sozial kleineren
                                                    Einheit faktisch im größtmöglichen Glück der
Das Personalitätsprinzip als Mitte der kirchli-     sozial jeweils größeren Einheit aufgehoben und
chen Sozialverkündigung beansprucht univer-         verwirklicht ist, dann folgt daraus, dass auch
sale Gültigkeit für alle Menschen, unabhängig       das größtmögliche Glück aller Einzelnen in

                                                                                                       7
Sozial verantwortlich Zukunft gestalten - Katholische Soziallehre - Katholische ...
der Gegenwart im größtmöglichen Glück aller        ... Solidarität
       Einzelnen in Gegenwart und Zukunft (als der
       noch größeren Gesamtheit) aufgehoben und           Die wohl größte Herausforderung und zugleich
       verwirklicht ist. Daraus lässt sich logisch eine   Bedingung für die Durchsetzung einer zu-
       klare Priorisierung von Nachhaltigkeitserforder-   kunftstauglichen Politik bildet die Darstellung
       nissen gegenüber kurzfristigeren politischen       der solidarischen Verbundenheit gegenwärtiger
       Zielen ableiten.                                   und zukünftiger Generationen. Solidarität ist für
                                                          die KSL ja nicht in erster Linie ein moralischer
       Subsidiarität ...                                  Gesinnungsappell, sondern „Seinsprinzip“. Es
       Diese Argumentation könnte nun freilich als        gibt keine funktionierende humane Gesellschaft
       Widerspruch zum Subsidiaritätsprinzip der          ohne Solidarität. Sie ist die notwendige Konse-
       KSL aufgefasst werden: Dieses priorisiert ja       quenz und Ausdruck der gegenseitigen Ver-
       die Selbstregelungskompetenz und Eigenver-         bundenheit der einzelnen Menschen und ihrer
       antwortung kleinerer sozialer Einheiten und        sozialen Gruppen im gesellschaftlichen Zusam-
       verteidigt sie gegen die Einmischung größe-        menleben. Solidarität ist im Sinne der Katho-
       rer sozialer Instanzen; diese haben sich auf       lischen Soziallehre zumal immer universal zu
       rein subsidiäre Leistungen zur Ermöglichung        verstehen, wenngleich man von konzentrischen
       und Förderung von Eigenverantwortung zu            Kreisen der Solidarität sprechen kann: So liegt
       beschränken. Dieser Widerspruch ergibt sich        Solidarität etwa innerhalb der eigenen Familie
       aber nicht notwendigerweise: Die vorange-          naturgemäß näher als die Solidarität mit Unbe-
       hende Argumentation schreibt lediglich eine        kannten oder gar mit noch gar nicht Geborenen.
       Vorrangigkeit von Nachhaltigkeitsinteressen        Dennoch darf sich Solidarität niemals nur auf
       gegenüber kurzfristigen Interessen fest. Sie       eine bestimmte Gruppe beschränken, weil sie
       unterstellt aber keineswegs, dass kleinen          sonst ihre spezifische Qualität verliert und zum
       sozialen Einheiten im Vergleich zu größeren in     Gruppenegoismus verkommt. Nur eine auch mit
       jedem Fall auch ein kurzfristigerer bzw. egois-    zukünftigen Generationen solidarische Gesell-
                                                          schaft ist demnach auch eine zukunftstaugliche
                                                          Gesellschaft. Dabei stellt sich aber eine gleich

Es gibt keine funktionierende                             doppelte Herausforderung: Wie ist diese Gene-
                                                          rationen übergreifende, überzeitliche Solidarität
                                                          als Seinsprinzip verständlich, greifbar, fassbar
humane Gesellschaft ohne                                  zu machen? Und wie ist diese Solidarität auch
                                                          institutionell zu organisieren und zu verankern?
Solidarität                                               Eine befriedigende Antwort auf diese Fragen
                                                          kann an dieser Stelle ehrlicherweise nicht gege-
                                                          ben werden – zumal es bereits in der aktuellen
       tischerer Interessenshorizont eignet. Freilich     Weltgesellschaft Herkules-Aufgabe genug zu
       ist eine gewisse Gefährdung in diese Richtung      sein scheint, internationale Solidarität in der
       gegeben, weil kleinen Gruppen möglicherweise       Gegenwart als Seinsbedingung hinreichend
       Einsicht und Wissen über die langfristigen und     darzustellen und wirksam zu organisieren bzw.
       entfernten Folgen ihres Handelns fehlen. An        zu installieren.
       diesem Punkt wäre dann aber von einer Über-
       forderung dieser kleinen Einheiten zu reden        Vorrangige Option für
       und damit die Legitimation für ein subsidiäres     die künftigen Generationen
       Eingreifen größerer sozialer Instanzen gegeben.
       Dieses hat dann freilich nicht im Sinne einer      Bleibt noch ein spezifischer Hinweis für das
       totalitären Regulierung und Bevormundung zu        christliche Publikum dieses Artikels: Die
       erfolgen, sondern im Sinne des Absteckens von      klassischen Prinzipien der KSL (Personalität /
       Handlungsrahmen, der Aufklärung und Bildung        Gemeinwohl / Subsidiarität / Solidarität) erhe-
       sowie der Initiierung von Kommunikationspro-       ben ja den Anspruch auf Gültig- und Nachvoll-
       zessen zwischen einzelnen Interessensgrup-         ziehbarkeit für „alle Menschen guten Willens“
       pen. Dass die (demokratische) Festlegung von       auf Basis des bloßen Vernunftgebrauchs. Die
       verbindlichen Entwicklungszielen nur auf der       Sozialverkündigung Papst Johannes Pauls II.
       Ebene großer sozialer Einheiten (EU, UNO, …)       hat diesen klassischen Prinzipienkanon noch
       geschehen kann, liegt aufgrund der Komplexität     erweitert um ein Prinzip, dessen universaler
       der Materie auf der Hand. Die Festlegung und       Geltungsanspruch auf reiner Vernunftbasis
       Umsetzung konkreter Schritte zur Erreichung        zwar umstritten ist; zumindest für ChristInnen
       dieser Ziele hat aber gestuft auf kleineren Ebe-   sollte es aber zur unverzichtbaren „DNA“ ihres
       nen zu erfolgen.                                   sozialen und politischen Handelns gehören:

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Sozial verantwortlich Zukunft gestalten - Katholische Soziallehre - Katholische ...
Die Rede ist von der „vorrangigen Option für              hätten sich alle politischen Entscheidungen und
die Armen“, wonach in allen Entscheidungen                Maßnahmen der Gegenwart ausnahmslos einer
und Maßnahmen das Wohl und die Teilhabe                   Zukunftstauglichkeitsprüfung zu unterziehen.
von durch Armut und Benachteiligung betrof-               Die Lasten des gegenwärtigen Lebens-, Politik-
fenen Menschen zu priorisieren sind. In der               und Wirtschaftsstils dürfen nicht länger jenen
Verfolgung dieses Prinzips stellt sich immer              aufgebürdet werden, welche in der Gegenwart
wieder erneut die Frage, wer in einer konkreten           noch gar keine Teilhabe- und Mitbestimmungs-
sozialen (Konflikt-)Situation die jeweils Armen,          möglichkeiten haben!
Schwachen, Stimmlosen und Benachteiligten                 1
                                                              V. Zsifkovits, Gemeinwohl, in: Katholisches Sozial-
sind. Im Kontext der Nachhaltigkeitsdebatte                   lexikon (hg. v. A. Klose/W. Mantl/V. Zsifkovits), Inns-
halte ich dafür, dass dies allen anderen voran                bruck-Graz (Tyrolia/Styria) 21980, 855.
jene sind, die noch gar nicht geboren und in                  [Hervorhebung M.S.]
zweiter Linie jene sind, die – obzwar schon
geboren – in den politischen Prozessen der
Gegenwart (noch) keine Möglichkeit der Mit-
wirkung haben, also Kinder und Jugendliche.
Auf dieser Grundlage ließe sich in der Nachhal-
tigkeitsdebatte die „vorrangige Option für die
Armen“ als „vorrangige Option für die Noch-Un-
geborenen und die Jugend“ formulieren. Auch
auf Grundlage einer solchen Option erscheint
die Entwicklung von demokratischen Verfah-
ren als ein vordringliches Anliegen, die auf
die regelmäßig zu überprüfende verbindliche
Festlegung von langfristigen, „enkeltauglichen“
Politikzielen hinauslaufen; diesen gegenüber

                      Markus Schlagnitweit, Theologe, Sozial- & Wirtschaftsethiker
                      Kooperationspartner der ksoe, Tätigkeiten in der politisch-sozialen Erwachsenbildung sowie in
                      der Hochschul- und AkademikerInnen-Seelsorge; Mitarbeit in div. Ethik-Beiräten, in Vorständen
                      kirchlicher und zivilgesellschaftlicher Organisationen sowie in Institutionen der wissenschaftlichen
                      Begabten- und der Kunstförderung

                                                                                                                             9
Sozial verantwortlich Zukunft gestalten - Katholische Soziallehre - Katholische ...
60 JAHRE KSOE - ALEXANDER VAN DER BELLEN

     Grussworte Bundespräsident Van der
     Bellen zum 60 Jahre ksoe-Jubiläum

     Mit der Katholischen Sozialakademie Österreichs verbindet mich eine lange
     gemeinsame Geschichte. Mitte der 1970er Jahre wurde ich erstmals als Berater
     zum Thema Wirtschaft im damaligen ksoe-3-Monatskurs angefragt.

     „Zukunft gestalten“ war schon damals das Motto. Die ksoe hat seither mitge-
     holfen, eine aktive Zivilgesellschaft heranzubilden, die sich für unterschied-
     lichste Belange einsetzt, z.B. für die Gleichstellung von Frauen, für Ökologie, für
     Menschenrechte, für Arme, Marginalisierte, arm gemachte Menschen.

     Für mich als kirchlichen Außenseiter war auch interessant, dass die ksoe dazu
     beigetragen hat, die Neutralität der Kirche gegenüber den politischen Parteien
     zu befördern. Heute kooperiert die ksoe mit allen Parteiakademien in verschie-
     denen Formen. Dass es katholische Institutionen gibt, die parteipolitisch nicht
     eindeutig zuordenbar und „einfach anders“ sind, ist auch für mich persönlich
     wichtig.

     Die ksoe war immer eine gesellschaftspolitische Kraft – wegweisend, wenn es
     um das gute Zusammenleben in einer pluralen Gesellschaft geht. Demokra-
     tie ist wichtig, aber nicht alles. Denn die Herrschaft der Mehrheit kann leicht
     degenerieren zu einer Tyrannei der Mehrheit, wenn sie individuelle Grund- und
     Freiheitsrechte oder die Rechte von Minderheiten nicht ausreichend respektiert
     und schützt.

     60 Jahre ksoe, das sind auch 60 Jahre Eintreten für Solidarität. Solidarität
     meint hier aber nicht nur individuelle Empathie, persönliche Hilfsbereitschaft,
     sondern „organisierte Solidarität“ im Rahmen eines gut entwickelten Sozi-
     alstaates, der für alle da ist und nicht nur für die, die schon lange eingezahlt
     haben oder einzahlen konnten.

     In Zusammenhang mit der Klimakrise wird viel über „Intergenerational Fairness“
     gesprochen. Es sind die jungen Leute, die die Kosten unseres Nichts- oder
     Zuwenigtuns gegen die Klimakrise zu tragen haben. Die Bewegung „Fridays For
     Future“ und ihre Botschaften werden wahrgenommen – quer durch die Natio-
     nen, die Altersschichten, die politischen Bekenntnisse.

     Wenn wir die Zukunft solidarisch, gerecht, demokratisch gestalten wollen,
     müssen wir über neue Lebensweisen nachdenken, über neue Produktions- und
     Konsumgewohnheiten. Wir müssen die Zukunft „enkeltauglich“ machen. Und da
     sind wir alle verantwortlich, Druck zu machen.

     Ich gratuliere noch einmal zu 60 Jahren ksoe, ich persönlich habe sehr, sehr viel
     profitiert von der Arbeit. Und ich wünsche Ihnen alles Gute für die nächsten 60
     Jahre!

     Die Vorträge von Alexander Van der Bellen und Marianne Gronemeyer sind
     ungekürzt als Videobeiträge zu sehen unter: https://www.ksoe.at/60jahre

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60 JAHRE KSOE - MARIANNE GRONEMEYER

Die Zukunft gibt es nicht.
Aber was sollen wir dann gestalten?

Dass es die Zukunft nicht geben solle, mag Ihnen, die Sie sich vorgenommen
haben, sie demokratisch, solidarisch und gerecht zu gestalten, als eine abwegi-
ge, geradezu verrückte oder unverantwortliche oder katastrophile Behauptung
erscheinen.
Augustinus sprach vor 1.600 Jahren von dreierlei Arten der Zeit: Gegenwart des
Vergangenen, Gegenwart des Gegenwärtigen und Gegenwart des Künftigen.
Die Vorstellung, dass wir Herrschaft über die Zeit in ihrer dreierlei Art gewinnen
könnten, dass wir die Zeit also haben, gestalten, sparen, verschwenden, vertrei-
ben oder sogar totschlagen könnten, ist vielleicht die Triebkraft der Moderne.
Und zugleich das Dogma, das uns in das Verhängnis gestürzt hat, in dem wir
heute festsitzen. Diese Vorstellung hat uns dazu verführt, unser Heil in der
Flucht nach vorn, zukunftswärts, zu suchen. Das nennen wir den Fortschritt.
Die Zukunft wird buchstäblich hereingezerrt in unsere Gegenwart. „Morgen“
soll schon heute sein. Und gleichzeitig, drücken wir uns vor der Gegenwart und
vertagen wir das, was heute ansteht, auf die Zukunft, bürden es den Nachkom-
men auf.
Wer ist aber das „Wir“, das die Zukunft gestalten will? Das ist in erster Linie
eine Generationenfrage. Und noch nie zuvor in der Geschichte hat sich die
amtierende Generation so unbedenklich und ohne alle Rücksicht an dem, was
der nachfolgenden zusteht, bereichert wie heute. Wir haben die Spielräume
der kommenden Generation für die ihr eigene Weltgestaltung fast vollständig
aufgebraucht.

Wollen wir die Zukunft besser machen? Das Besser-Machen ist immer nur
eine Variante dessen, was sowieso im Gange ist. Es ginge aber darum, es nicht
besser, sondern ganz anders zu machen. Und das finge wohl damit an, dass
wir aufhörten, die Zukunft gestalten zu wollen. Die einzig mögliche Haltung ihr
gegenüber wäre die, uns überraschen zu lassen, uns in der Kunst des Unter-
lassens zu üben, was ungefähr dasselbe ist, wie hoffen zu lernen. Wenn wir die
Zukunft planen und unseren Absichten gefügig machen wollen, dann schränken
wir den Horizont des Möglichen ungemein ein.
Politik ist längst nicht mehr an der Frage des guten Lebens aller orientiert.
Wir verpulvern gerade die Zukunft derer, die nach uns kommen. Denn so müs-
sen wir sie nicht darum beneiden, dass sie qua Geburtsdatum Anteil an einer
Zeitspanne haben, die „wir“ nicht mehr erleben werden.
Kein Wunder, dass die junge Schwedin Greta Thunberg den Repräsentanten
der amtierenden Generation in Davos die Panik an den Hals gewünscht hat.
Eine todverleugnende Gesellschaft, in der das bloße Leben zum Fetisch gewor-
den ist, ist gnadenlos in ihrem Selbstbehauptungsdrang. Und sie ist zwingend
auf das fortgesetzte Wachstum angewiesen, das zugleich ruinös ist für den
Fortbestand unserer Lebenswelt.
Was wäre aber, wenn wir uns die Versuchung, die Zukunft der Welt nach un-
seren Plänen zu gestalten, aus dem Kopf schlügen und uns stattdessen in der
liebevollen Hinwendung zur Welt übten? Was wäre, wenn wir den beständigen
Optimierungszwang einbremsen und die Zukunft als das gut-leiden-lernen, was
sie ist: das Ungeplante, Ungemachte, Überraschende, das wir entspannt auf
uns zukommen lassen?

Fest-Vortrag anlässlich „60 Jahre ksoe“, 29.3.2019, Kardinal König Haus, Wien

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Transformationen hin zu einer
solidarischen Lebensweise

     Wir leben in einer paradoxen Situation. Auf       anderer Güter und Dienstleistungen leisten
     der einen Seite wissen wir ziemlich gut, dass     können. Das führt dazu, dass Menschen mit
     sich in der Welt einiges ändern müsste. Unsi-     weniger Geld umso mehr ausgeschlossen
     cherheit, soziale Spaltung und eine unzurei-      werden.
     chende Existenzsicherung für viele Menschen
     hierzulande. Offene Gewalt, Kriege und            Unbehagen an der
     Verelendung in vielen Ländern des globalen        imperialen Lebensweise
     Südens, ökologische Zerstörung heute und
     weitere in der Zukunft. Eine scheinbar kaum       In dieser Situation stellt sich verstärkt die
     aufhaltbare politische Rechtsentwicklung          Frage nach einer lebenswerten Zukunft. Die
     macht wütend – und führt bei manchen gar          SchülerInnen im Klimastreik von Fridays For
     zu Resignation. Wie auch die kaum bewäl-          Future beleben seit einigen Monaten die
     tigbar scheinende Jahrhundertaufgabe einer        Diskussion um Zukunft. Ihnen und anderen
     sozial-ökologischen Transformation hin zu         Menschen wurde und wird deutlich, dass es
     Gesellschaften, in denen gutes Leben für alle     sehr grundlegender Alternativen bedarf, um
     möglich ist.                                      drängende Zukunftsfragen anzugehen: Ne-
                                                       ben den genannten Dimensionen der ökolo-
     Auf der anderen Seite soll es dann doch           gischen Krise sind das etwa der Umgang mit
     irgendwie so bleiben, wie es ist. Es lebt sich    Einwanderung und angemessene Integrati-
     für viele hierzulande nicht schlecht unter        onspolitik statt Ausgrenzung und die Vermei-
     Bedingungen der „imperialen Lebensweise“.         dung kommender Krisen durch den weiterhin
     Wir greifen in unserem Alltag recht selbst-       dominanten Finanzmarktkapitalismus.
     verständlich auf Produkte zurück, die unter
     naturzerstörenden und ausbeuterischen Be-         Das Unbehagen an der imperialen Lebens-
     dingungen anderswo hergestellt wurden. Das        weise wird deutlicher. Es stellt sich die Frage:
     geschieht meist unbewusst, bzw. so genau          Wie können wir in der nächsten Zeit die
     wollen es viele gar nicht wissen. Es ist aber     politischen und gesellschaftlichen Bedingun-
     nicht nur das individuelle Handeln, das diese     gen erzeugen, um die imperiale Lebensweise
     un-nachhaltige und alles andere als solida-       einzudämmen und eine solidarische Produk-
     rische Lebensweise am Laufen hält. Es sind        tions- und Lebensweise stärken?
     auch machtvolle Produktionsstrukturen, die
     in der kapitalistischen Konkurrenz Handys,        Leitend ist dabei das Prinzip, dass Menschen
     Autos und Nahrungsmittel produzieren, Pro-        und Gesellschaften möglichst nicht auf
     fite und Wachstum generieren. Die imperiale       Kosten anderer und der Natur leben. Eine
     Lebensweise steht für den zunehmenden             Debatte um solidarische Zukunft schließt
     Zugriff des Kapitalismus auf die Lebens-          Ausgrenzung aus. Doch dieses Prinzip muss
     verhältnisse, ist mit globaler wie nationaler     konkretisiert werden. Aus meiner Sicht ist
     Ausbeutung und Ungleichheit verbunden,            es eine entscheidende Aufgabe – und so
     verschärft Ressourcenkonflikte und zerstört       verstehe ich auch die Themenstellung dieses
     die Umwelt.                                       ksoe-Dossiers – attraktive Zukunft wieder
                                                       vorstellbar und lebbar zu machen.
     Die imperiale Lebensweise, wie sie in Europa
     gelebt wird, ist eine statusorientierte Lebens-   Politische Gestaltung
     weise, die auch auf sozialer Ungleichheit ba-
     siert und diese verlängert. Die Mittelschich-     Das Zerbrechen der türkis-blauen Koalition
     ten grenzen sich gegen die unteren Schichten      im Mai 2019 könnte einen Wendepunkt dar-
     bewusst ab, indem sie zeigen, dass sie sich       stellen. Angesichts der politischen Rechts-
     aufgrund ihres hohen Einkommens etwa ein          entwicklung der letzten Jahre aktiviert sich
     größeres Auto, viele Reisen und mehr Konsum       die Zivilgesellschaft noch stärker in Bereichen

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wie Armutsbekämpfung, Integration, Anti-           Zukunftsfragen
Rassismus, solidarische Ökonomie oder
Umweltpolitik. Insbesondere steht die              Debatten und Erfahrungen in solidarische
sozial-ökologische Transformation von              Zukunft müssen aber auch aus der Gesellschaft
Wirtschaft und Gesellschaft an, inklusive          kommen und dort verankert werden. Wie stelle
des Rückbaus der Automobilindustrie; gute          ich mir solidarische Zukünfte vor?
Arbeit für alle statt Prekarisierung vieler; die   Ein paar Gedanken und Ansatzpunkte.
umsichtige politische Gestaltung der Digita-
lisierung anstatt dass sie von Konzernen vo-       Der Zusammenhang zwischen der vorherr-
rangetrieben wird. Politische Bündnisse sind       schenden Lebensweise in Österreich – die sich
notwendig, die nicht auf die weitere Spaltung      konkret durchaus unterschiedlich ausprägt
Europas setzen, sondern auf eine politisch         – und den sozial-ökologischen Katastrophen
und wirtschaftlich attraktive Europäische          andernorts, aber auch der immer unsinniger
Union.                                             werdenden Fixierung auf Wachstum und Status
                                                   wird in solch einer Zukunft nicht länger verleug-
Die politischen Parteien müssten Zukunfts-         net. Die Monsterautos SUVs werden für immer
fragen ernst nehmen und sie über die Orien-        mehr Menschen zum Symbol von umweltpoliti-
tierung an Wahlkämpfen und Koalitions-Kal-         scher Ignoranz und albernem Statusdenken der
kulationen stellen. Das ist nicht trivial, denn    Eliten oder jener, die gern dazugehören wollten.
eine Partei, die ins Parlament oder sogar          Eltern organisieren sich gegen Feinstaubbe-
regieren möchte, orientiert sich rational am       lastung und Lärm, soziale Bewegungen de-
„Willen“ der WählerInnen. Doch das ist kurz-       monstrieren für autobefreite Städte, und Kinder
sichtig, zumal es diesen eindeutigen Willen so     erobern sich den jahrzehntelang zugeparkten
gar nicht gibt. Zwar sollten wir davon ausge-      öffentlichen Raum zurück.
hen, dass viele Menschen in Österreich ihre
Lebens- und Arbeitsverhältnisse verteidigen        Die Lügen der Manager und deren sprich-
wollen. Doch das legitime Interesse an einer       wörtliche Besoffenheit an den hohen Profiten,
gut bezahlten und sinnerfüllten Erwerbsar-         die Engstirnigkeit der Anteilseigner erzeugen
beit muss nicht per se in ökologisch un-nach-      Unmut. Immer mehr wird im Lichte von Diesel-
haltigen Branchen realisiert werden. Und           skandal und den Tricksereien von Autoindustrie
es ist die ethische Verpflichtung politischer      und Staat deutlich, dass es hier gründlicher Ver-
Akteure, auch das Unbehagen der Menschen           änderungen bedarf – die nicht auf dem Rücken
an den aktuellen Foren von Ungerechtigkeit,        der Beschäftigten ausgetragen werden dürfen.
Ausbeutung und Umweltzerstörung zu sehen           Der Ausbau des öffentlichen Verkehrs und der
und politische Angebote zu machen.                 Fahrradinfrastruktur wird aus der Gesellschaft

                                                                                                       13
heraus verlangt. Viele kommunale Regierungen       Die wachstumsfixierte und konservative
        machen mit und damit werden die Städte nicht       Gegenseite und ihre medialen Unter-
        nur lebenswerter, sondern die Menschen mo-         stützer kontern natürlich. Diese Debatte
        biler und gesünder. Auch die Mobilität auf dem     um ein „gutes Leben für alle“ würde, so
        Land wird zunehmend öffentlich und gemein-         ihr Argument, ohnehin nur mit Verboten
        schaftlich mit hoher Qualität organisiert.         hantieren. Ja mehr noch: Eine besserwis-
                                                           serische „Öko-Elite“ will der Gesellschaft
        Der autofreie Sonntag, zunächst wüst von den       vorschreiben, wie sie zu leben habe, damit
        Gegnern beschimpft, wird in den Innenstädten       Klimawandel und andere Umweltprobleme
        von Berlin, Hamburg, München, Wien und an-         eingedämmt werden. Das, so der scharfe
        derswo zu wahren selbstorganisierten Volks-        Tenor, sollten sich die Leute nicht gefallen
        festen. Schwere Zeiten für die Diesel-Befür-       lassen. Klima- und Umweltthemen können
        worter. Aber auch die Fassade des angeblichen      nur angegangen werden, wenn Wachstum
        umweltfreundlichen Elektroautos bröckelt.          und Wettbewerbsfähigkeit (notfalls zu Las-
                                                           ten anderer Länder) gesichert seien.
        Welches gute Leben?
                                                           Doch diese Argumente wirken irgendwie
        Es wird produktiv gestritten, unter welchen        schal. Viele Menschen erleben eine enorme
        gesellschaftlichen Bedingungen eigentlich ein      Arbeitsverdichtung, gleichzeitig erleben
        gutes und auskömmliches Leben für alle mög-        Menschen Prekarisierung und gesellschaft-
        lich ist, das nicht zu Lasten der Natur und den    lichen Spaltung. Sie sehen die zuneh-
        Menschen im globalen Süden geht, aber auch         mende Vermögenskonzentration, wobei
        nicht die gemeinen Zumutungen hierzulande für      den Ärmeren gesagt wird: „Ihr müsst den
        die Schwächeren aufrecht erhält.                   Gürtel enger schnallen.“ Weiters konnten
                                                           wir in den letzten Jahren feststellen, dass
        Klar, „gutes Leben“ heißt für die meisten heute:   in Krisensituationen die Politik autoritärer
        Ein Eigenheim zu haben, Zugang zu den Pro-         wird: Ein Großteil der Eliten versucht sich
        dukten, die über den Weltmarkt bereit gestellt     schadlos zu halten, notfalls ohne Rücksicht
        werden; Dinge, die man möglichst schnell           auf Verluste und zulasten von Teilhabe.

                                                           Regeln statt Verbote!

     Was ist ein „gutes                                    Statt dem viel zu pauschalen Vorwurf der
                                                           Verbote wird deutlich, dass es vielmehr
                                                           um angemessene Regeln für gutes gesell-

     Leben“ für alle?                                      schaftliches Miteinander geht. Es domi-
                                                           nieren nicht mehr die Regeln, wie etwa die
                                                           gesetzlich ermöglichte Ausweitung des
                                                           Arbeitstages, von denen die Mächtigen und
                                                           Privilegierten profitieren.
        erneuern kann, weil sie so günstig sind. „F+F“ –
        Fleisch und Fliegen als Sinnbild für materiellen   Solche Regeln betreffen die Erwerbsarbeit,
        Wohlstand. Dazu auch der selbstverständliche       von der Menschen weniger abhängig sein
        Zugriff auf günstige Pflegekräfte aus dem be-      sollten. Irgendwann ist es vielleicht für alle
        nachbarten osteuropäischen Ausland.                okay, 20 oder 25 Stunden pro Woche zu ar-
                                                           beiten, nicht nur für jene in oft erzwungener
        Doch nach und nach brechen Selbstverständ-         Teilzeit. Die bisherige Hierarchie zwischen
        lichkeiten auf. Die „Ende Gelände!“-Bewegung       anerkannter Erwerbsarbeit und weitgehend
        erreicht eine breite gesellschaftliche Debatte     von Frauen geleisteter Reproduktionsarbeit
        um den raschen Kohleausstieg. „Zurück zum          könnte verändert werden, wenn alle mehr
        Sonntagsbraten“, wenn überhaupt noch Fleisch,      Zeit für andere, für gesellschaftspolitisches
        wird zum Motto verantwortlicher Ernährung.         Engagement und für sich selbst hätten.
        Die Aktionen von „Ende Geländewagen“ führen        MigrantInnen, die etwa in der Pflege tätig
        zu breiten Diskussionen und politischen Akti-      sind, werden ordentlich bezahlt. Und die
        vitäten, um das auto- und flugzeugzentrierte       Menschen bräuchten weniger Geld. Die
        Verkehrssystem umzubauen. Österreich wird          Leute müssen nicht ihre 400 Euro mehr im
        noch stärker zum Vorreiter des öffentlichen        Monat verdienen fürs Auto, weil sie kein
        Verkehrs, die ÖBB zum wichtigen Akteur einer       Auto mehr brauchen. Sie können sich in den
        nachhaltigen europäischen Verkehrspolitik.         Städten und am Land gut bewegen, aber

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sie müssen dafür nicht so viel Geld                  gleichzeitig viele andere Menschen auf der
verdienen.                                           Welt auch ein gutes Leben haben wollen,
                                                     ob in China oder Brasilien. Die Diskurse und
Unter gutem Leben für alle im Sinne von              politischen Initiativen sind nicht moralisie-
Wohlstand und Lebensqualität wird zuneh-             rend nach dem Motto: „Hast Du immer noch
mend ein sinnerfülltes Leben verstanden,             einen un-nachhaltigen Lebensstil?“, sondern
das materiell abgesichert ist. In Notfällen,         kombinieren Eigenverantwortung, die Lust
wie Krankheit und Arbeitslosigkeit, kann             am Ersetzen (wie gesagt, die Gegner sagen:
man auf gesellschaftliche Unterstützung              „Verzicht“) mit politischen Forderungen. Das
zurückgreifen. Ein transparenter und demo-           Ersetzen des Autos muss eben mit gutem
kratisch organisierter öffentlicher Sektor,          öffentlichem Verkehr und einem Umbau der
der sich nicht am Profitprinzip orientieren          Automobilindustrie einhergehen, die Reduk-
muss, aber mit den finanziellen Ressourcen           tion von Fleischkonsum mit der Schließung
sorgfältig umgeht, wird wichtiger. Insbeson-         von Tierfabriken.
dere die in vielen Ballungszentren drän-
gende Wohnungsfrage kann nicht nur den               Das Billig-T-Shirt ist kulturell nicht mehr
Privaten überlassen werden, sondern bedarf           „geil“ und wird über erkämpfte Umwelt- und
neben starken Regeln auch öffentlichen               Sozialstandards in den Produktionsländern
bzw. öffentlich geförderten Wohnungsbau              auch nicht mehr möglich sein. Das ist der
und intelligente Lösungen, damit wertvol-            transformative Dreischritt: Rahmenbedin-
ler Wohn- und Arbeitsraum angemessen                 gungen, sich verändernde Bedürfnisse der
genutzt wird.                                        Menschen, sowie andere gesellschaftliche
                                                     Diskurse und gesellschaftliche Selbstver-
Gestärkt wird ein Bewusstsein, dass die              ständlichkeiten. In den kommenden Jahren
ökologische Krise sich zuspitzt und dass             bekommt das klarere Konturen.

                     Ulrich Brand, Professor für Internationale Politik an der Universität Wien, ist Mitherausgeber der
                     „Blätter für deutsche und internationale Politik“ und Redakteur bei „mosaik-blog.at“. Er veröffent-
                     lichte 2017 mit Markus Wissen das Buch „Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch
                     und Natur im globalen Kapitalismus“ (oekom-Verlag), das es im Sommer auf die Spiegel-Best-
                     seller-Liste schaffte. Anfang 2020 erscheint sein Buch „Post-Wachstum und Gegen-Hegemonie.
                     Klimastreiks, Krise der imperialen Lebensweise und Alternativen zur autoritären Globalisierung“ im
                     Hamburger VSA-Verlag.

                                                                                                                           15
praxis_nah

         SOZIALZENTRUM

         Jesuiten für Europa
         Das europäische Sozialzentrum der Jesuiten (JESC) setzt sich für „Visio-
         nen und Werte“ in Europa ein. Der Grundentscheidung des Jesuitenordens
         für Glaube und Gerechtigkeit und der vorrangigen Option für die Armen
         entsprechend möchte JESC die Stimme derjenigen sein, die in Europa
         keine Stimme haben. Nach den offiziellen Statistiken leben in der Europä-
         ischen Union mehr als 100 Millionen Menschen in Armut, 36 Millionen in
         extremer Armut. JESC steht in einem engen Kontakt mit der interfraktio-
         nellen Arbeitsgruppe des europäischen Parlaments zu extremer Armut und
         Menschenrechte.

         Eine weitere Dimension der Arbeit von JESC ist es, Gruppen zusammenzu-
         bringen und zu begleiten, die sich für die Zukunft der Europäischen Union
         einsetzen. Eine dieser Gruppen heisst „Passion for Europe“ - „Leiden-
         schaft für Europa“ (http://www.passionforeurope.com/). Ausgehend von
         der Rede von Papst Franziskus anläßlich der Verleihung des Karlspreises
         2016 haben ihre Mitglieder einen programmatischen Text unter dem The-
         ma „Das europäische Gemeinwohl wiederentdecken“ verfaßt. Auf dieser
         Grundlage fand im November 2018 in der Chapel for Europe eine wichtige
         Debatte statt, an der der frühere Präsident des Europäischen Rates
         Herman Van Rompuy und Erzbischof Jean-Claude Hollerich SJ, der protes-
         tantische Pastor Christian Krieger und Marie de Saint-Chéron als führende
         Vertreter der Kirchen auf europäischer Ebene teilnahmen.

         Ein neues Programm von JESC bietet einen fünfmonatigen Kurs zur Aus-
         bildung zukünftiger europäischer Führungspersonen an (www.jesc-elp.eu).
         Bestandteile sind politische Bildung in Verbindung mit den EU-Institu-
         tionen, Gemeinschaftsleben, Führungstraining, geistliche Begleitung und
         ein sozialer Einsatz bei Bedürftigen. Die ersten AbsolventInnen stammen
         aus Polen, Italien, Österreich und Aserbaidschan. In Zukunft wird dieses
         Programm in Kooperation mit europäischen Jesuitenuniversitäten einen
         Mastergrad verleihen.

         In einer seiner Ansprachen über Europa hat Papst Franziskus aus einem
         frühchristlichen Brief zitiert, in dem die Aufgabe der Christen in der Welt
         mit der Bedeutung der Seele im menschlichen Körper verglichen wird. Das
         erinnert an die Jacques Delors zugeschriebene Metapher von der „Seele
         Europas“. Die Arbeit der Jesuiten in Brüssel ist von der Hoffnung getragen,
         in diesem Sinn einen Beitrag für die Erneuerung der Europäischen Union
         leisten zu können.

         Autor: Martin Maier SJ, ist deutscher Jesuit, Theologe und Publizist

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FRIDAYS FOR FUTURE

Klimanotstand

               „Ihr wollt ja nur Schule schwänzen!“ und       eine Organisationsstruktur mit Arbeits- und
               „Ihr seid ja nur Kinder, euch kann man nicht   Strategiekreisen, in denen sich derzeit rund
               ernst nehmen!“ hört man öfters, und zwar       300 Menschen beteiligen. Auch die nationale
               von Menschen, die die inzwischen riesige       und internationale Vernetzung ist bereits im
               Bewegung „Fridays For Future“ als Gruppe       Aufbau.
               von Jugendlichen, die nicht in die Schule
               gehen wollen, abstempeln. Diese Menschen       Viele Menschen sagen auch: „Ihr geht jede
               sind häufig die, die Fakten rund um die Kli-   Woche auf die Straße und sagt, wo es
               makrise abstreiten oder nicht ernst nehmen     Probleme gibt, bringt aber keine konkreten
               wollen. Sie wollen nicht sehen, dass wir nur   Lösungsvorschläge“. Lösungen vorzuschla-
               noch ungefähr 18 Monate haben, um unsere       gen ist aber nicht der Sinn dieser Bewegung.
               Emissionskurve steil nach unten zu lenken      Es gibt sogar ein paar konkrete Forderungen,
               (Stand: August 2019). Wenn wir dies nicht      zum Beispiel der Klimanotstand und die
               schaffen, haben wir keine Chance mehr, das     Ökosoziale Steuerreform. Wir sehen es aber
               1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens       nicht als unsere Verantwortung, als Jugend
               einzuhalten - und das hätte katastrophale      den erwachsenen Politikerinnen und Poli-
               Folgen, die kein Mensch mehr kontrollieren     tikern vorzukauen, was sie tun oder lassen
               kann.                                          sollten. So gibt es die zentrale Forderung
                                                              der Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels, die
               Viele Menschen sehen auch nur viele junge      Lösungen, wie man dort hinkommt, hat die
               Menschen auf der Straße Sprüche rufen.         Wissenschaft schon seit langem. Die meisten
               Was sie nicht wissen: wie viel Arbeit im       Menschen, die bei den Streiks von Fridays
               Hintergrund geschieht. Vertreter und Vertre-   For Future dabei sind, haben Angst um ihre
               terinnen der Bewegung sind seit Monaten        eigene Zukunft, die Zukunft ihrer Geschwis-
               mit allen Österreichischen Parteien im Ge-     ter, die Zukunft ihrer Kinder und die Zukunft
               spräch, mit dem bisher größten Erfolg, dass    ihrer Enkelkinder. Und keiner von ihnen wird
               in der Nationalratssitzung am 3. Juli 2019     aufhören zu streiken, bis diese Zukunft für
               ein Vier-Parteien-Antrag für die Erklärung     alle auf dieser Welt gesichert ist.
               des Nationalen Klimanotstands gestellt wur-
               de, der am 25. September abgestimmt wur-       Autorin: Tabea Kletzer (15), Schülerin und
               de. Die Regionalgruppe Wien hat inzwischen     Fridays For Future Aktivistin

                                                                                                           17
Gutes Leben für alle -
auch für morgen
Eine sozial-ökologische Transformation braucht neue Produktions- und Lebensweisen,
„Laudato si’“ zeigt unsere Verantwortung hierbei auf.

        So wie bisher kann es nicht weitergehen. Die        Überdenken von Lebensstil
        Menschheit lebt auf der Erde, als ob es einen       und Konsum
        zweiten Planeten gäbe, der uns zur Verfügung
        stünde. Unser bisher auf grenzenloses Wachs-        Zweitens geht es nicht um eine bloße Änderung
        tum ausgelegtes Alltagsleben stößt jedoch           des individuellen Lebensstils, sondern um das Um-
        an seine Grenzen, darin sind sich zahlreiche        gestalten der Produktions- und Konsumbeziehun-
        ExpertInnen einig. Der Ruf nach einer sozial-       gen. LS erwähnt hierbei, dass durch eine Änderung
        ökologischen Transformation im Sinne eines          des Lebensstils ein heilsamer Druck (LS 206) auf
        zukunftsgerechten Lebens wird ebenso in der         die Mächtigen zum Beispiel mittels Boykott aus-
        Gesellschaft immer lauter. Auch die 2015 publi-     geübt werden könne: „Es ist eine Tatsache, dass
        zierte päpstliche Enzyklika „Laudato si’“1 betont   die Unternehmen, wenn die Gewohnheiten der
        die Notwendigkeit einer neuen Ausrichtung und       Gesellschaft ihre Rendite gefährden, sich genötigt
        Umstrukturierung unserer herrschenden Produk-       sehen, ihre Produktionsweise zu ändern.“ (LS 206)
        tions- und Lebensweisen.                            Ein Aufbrechen der individuellen Konsummuster
                                                            allein reicht jedoch nicht aus. Denn insbesondere
        Wie können neue Produktions- und Lebens-            vermeintlich umweltbewusste KonsumentInnen
        weisen im Sinne einer sozial-ökologischen           verfügen über einen größeren ökologischen
        Transformation in Verbindung mit „Laudato si’“      Fußabdruck als andere, denen weniger Einkom-
        verstanden werden? Dazu lassen sich anhand der      men zur Verfügung steht. Ein klassisches Beispiel
        Enzyklika fünf Punkte herausarbeiten.               hierfür wäre, dass trotz alltäglichem ökologischen
                                                            (Kauf)verhalten der alljährliche Langstreckenflug
        Nachhaltig ist Gerechtigkeit                        die CO2-Bilanz der jeweiligen Person zutiefst
        über die Generationen hinaus                        negativ beeinflusst. Das impliziert, dass ein solch
                                                            vermeintlich umweltbewusster Lebensstil dennoch
        Erstens müssen neue Produktions- und Le-            äußerst ressourcenintensiv sein kann. Verände-
        bensweisen nachhaltig gestaltet werden, wobei       rungen müssen aus diesem Grund weitreichender
        nachhaltig als inter- sowie intragenerationelle     sein und dürfen nicht bei Konsumentscheidungen
        Gerechtigkeit zu verstehen ist, d.h. als Gerech-    haltmachen. Daher ist es notwendig, Produkti-
        tigkeit, die innerhalb wie auch zwischen den        onsprozesse demokratischer zu gestalten und
        Generationen gültig sein muss. „Ohne Solidarität    die Beziehungen zwischen Produzierenden und
        zwischen den Generationen kann von nachhal-         Konsumierenden neu zu definieren.
        tiger Entwicklung keine Rede mehr sein.“ (LS
        159). Ebenso betont „Laudato si’“ „die dringen-     Grenzen des Wachstums
        de moralische Notwendigkeit einer erneuerten
        Solidarität innerhalb einer Generation“ (LS 162).   Drittens ist es unabdingbar, mit dem ökonomi-
        Gerechtigkeit muss gleichzeitig sozial und ökolo-   schen Wachstum als Ziel zu brechen. Kapitalisti-
        gisch gedacht werden. Diese Zielsetzungen sind      sches Wachstum darf nicht länger als Paradigma
        miteinander verbunden und vereinbar. Sie stehen     dienen wie es beispielsweise eine „Green Eco-
        nicht im Widerspruch zueinander. Eine boomen-       nomy“ über das Umweltprogramm der Vereinten
        de Wirtschaft kann zwar Arbeitsplätze schaf-        Nationen propagiert. Ein vermeintlich „Grünes
        fen, wenn das aber zu Lasten der Umwelt geht,       Wirtschaften“ über grünes Wachstum und „grü-
        profitieren weder zukünftige Generationen noch      ne(s) ‚Reden‘“ (LS 49) fördert weltweit herrschen-
        die Armutsbetroffenen: Sie sind es, die in ver-     de soziale und ökologischen Ungerechtigkeiten
        schmutzten und heißen Gegenden leben müssen         anstatt diese auszuräumen. Wachstumskritik
        und daher am meisten unter den Auswirkungen         wird in „Laudato si’“ vor allem in Verbindung mit
        der Klimakrise und Umweltbelastungen leiden.        der Kritik am vorherrschenden technokratischen

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Paradigma geäußert: „Wenn in einigen Fällen               strebt mit einer Genügsamkeit „die unbefangen
die nachhaltige Entwicklung neue Formen des               und bewusst gelebt wird“ und dadurch „befrei-
Wachstums mit sich bringen wird, muss man                 end“
immerhin in anderen Fällen angesichts des uner-           (LS 223) wirken kann.
sättlichen und unverantwortlichen Wachstums,
das jahrzehntelang stattgefunden hat, auch                Nachhaltigkeit muss
daran denken, die Gangart ein wenig zu verlang-           institutionell verankert sein
samen, indem man einige vernünftige Grenzen
setzt und sogar umkehrt, bevor es zu spät ist.“           Fünftens ist eine institutionelle Verankerung nötig,
(LS 193)                                                  um wirklich langlebig und nicht nur nischenhaft
                                                          wirken zu können. Es stellt sich die Frage nach
Welche Werte haben wir?                                   einer Verankerung der nachhaltigen Produktions-
                                                          und Lebensweisen, nach ihrer Absicherung und
Viertens ist dafür ein Umdenken notwendig, das            der Integration in gesamtgesellschaftliche Ent-
auf anderen Werten und Tugenden basiert. Nicht            wicklungen. Hierbei ist es wichtig, diese Veranke-
materielle Werte sind zu fördern, wie Werte, die          rung, wie auch den Staat selbst3 als umkämpftes
das Gemeinschaftliche in den Vordergrund stel-            Terrain zu betrachten und zu analysieren, welche
len. Dafür gibt es Konzepte wie Konvivialität, das        sozialen Kräfteverhältnisse sich wie im Staat
besagt, die Zeit in Gemeinschaft mit FreundInnen          (nicht) durchsetzen: „Einen privilegierten Platz in
oder Familie zu verbringen,. Konvivialität wird           der Diskussion müssen jedoch die Einwohner vor
besonders in der wachsenden „Degrowth“-Be-                Ort haben, die sich fragen, was sie für sich und für
wegung hervorgehoben2. Aber auch Suffizienz,              ihre Kinder wollen, und die auch Ziele in Betracht
Genügsamkeit, Achtsamkeit und Solidarität sind            ziehen können, die das unmittelbare wirtschaftli-
wichtige Tugenden. So fordert die Enzyklika               che Interesse übersteigen.“ (LS 182)
„eine neue universale Solidarität“ (LS 14) für die        1
                                                              Papst Franziskus (2015): Enzyklika Laudato si’. Über die
Gestaltung der Zukunft unseres Planeten ein.                  Sorge für das gemeinsame Haus. Vatikan,
Sie thematisiert, dass es eine Umkehr braucht,                24. Mai 2015
„dass man Verzicht übt, ohne eine Gegenleistung
                                                          2
                                                               Kallis, G., Demaria, F., D’Alisa, G. (2016): Degrowth,
                                                              in: dies. (eds.): Degrowth: A vocabulary for a new era.
zu erwarten, und großzügig handelt, auch wenn                 Routledge, 1-17.
niemand es sieht oder anerkennt“ (LS 220). Eine           3
                                                              Poulantzas, N. (1978/2000): State, power, socialism.
„Kultur der Achtsamkeit“ (LS 231) wird ange-                  London.

          Christina Plank ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Soziale Ökologie der Universität
          für Bodenkultur, Wien und war Schasching-Fellow der ksoe zwischen 2016/2017 und Lehrende am
          Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien.

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