STANDESPOLITIK, PRAXISAPOTHEKE, EINKAUF, FORTBILDUNG - DOXMART
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Standespolitik, Praxisapotheke, Einkauf, Fortbildung Nr. 3+4 | September 2017 Arzneimittelinformationen und Tipps für Sie und Ihre Praxis Medikamentenpreise in der Schweiz – wo sind Einsparungen möglich? Menopause: Hormone oder Phytotherapie – was für wen? Kunst als Behandlungsoption d oxmart.ch Ei ne Di ens tleis tung vo n
3 + 4 • 2017 Editorial Spar-Honig Eigentlich keine schlechte Idee: Wenn das Gesundheits- geben müssen. Geben wir ihnen die Chance zu beweisen, wesen als Ganzes zu teuer wird und gespart werden dass es ihnen ernst ist mit Sparen, kürzen wir also die muss, dann … müssen alle, die in diesem Gesundheits- Löhne der Kader von Krankenkassen und Versicherungs- wesen tätig sind und von ihm profitieren, ihren Spar- konzernen, die Honorare von Chefärzten, Spitalverwaltun- beitrag leisten. Klar, allen voran die Ärztinnen und Ärzte gen, Gesundheitsbehörden, die Löhne und Boni in der mit eigener Praxis. Die haben während 20 Jahren auf Pharma- und Medtech-Industrie im gleichen Ausmass den Teuerungsausgleich verzichtet, akzeptiert, dass die wie die Einkommen der Praktiker in den vergangenen Taxpunktwerte gesenkt wurden, leben mit schwindenden 20 Jahren. Margen beim Verkauf von Medikamenten, verrechnen Im Ernst (weil obige Vorschläge in der Realität wohl eher weniger für Laboranalysen und Röntgen und last, but not als Witz erscheinen): Weder Controller noch Versicherer, least lassen sich immer mehr nicht entschädigte adminis- weder Berater noch IT-Spezialisten, weder Nationalräte mit trative Arbeiten aufhalsen. Ein bisschen spart auch die Kassenmandaten noch Gesundheitsförderer, weder Gen- Pharma-industrie, deren Medikamente nicht teurer, son- der-Health- noch E-Health-Fachleute, weder Qualitäts- dern von Jahr zu Jahr billiger werden. Und weiter? sicherer noch Netzwerkmanager, weder Gesundheitsöko- Wie weiter? Ach, genau, die Idee war ja, dass alle, die an nomen noch Gesundheitsmedien (wir gebens ja zu) tragen zur diesem Gesundheitswesen verdienen, ihr Scherflein dazu bei- «Wertschöpfung» im Gesundheitswesen bei. An den Patien- tragen, damit es ein wenig günstiger oder zumindest nicht so ten, den einzig relevanten «Objekten» in diesem System, rasend schnell teurer wird. Dabei wäre uns doch fast ent- arbeiten Ärzte, einige medizinische Fachkräfte wie zum Bei- gangen, dass von diesem Gesundheitswesen und an diesem spiel Physiotherapeuten und Pflegende. Niemand sonst. Gesundheitswesen längst nicht nur Ärzte und die Pharma- Sie allein füllen die Honigtöpfe des Gesundheitswesens. industrie profitieren und verdienen, sondern zahlreiche Ver- Alle Übrigen schwirren bloss um die Honigtöpfe herum, ver- bände, Institutionen, Spezialisten, Industrien oder einfach nur suchen allenfalls, zu deren besseren und rascheren Füllung Leute, die es geschafft haben, die Kosten des Gesundheitswe- beizutragen, vor allem aber, die wirklichen Wertschöpfer dazu sens zu beklagen, die Schuldigen zu benennen und Lösungen zu bringen (notfalls auch zu zwingen), möglichst viel vom anzubieten, die nur die andern (be)treffen. Und die für ihre Honig übrig zu lassen. Dienste selbstverständlich gut entschädigt werden wollen. Sparen müsste heissen: Wir, die Honigtopffüller, bestimmen, Dass alle diese Leute sich selber und ihre teilweise ungefragt wer wie viel erhält vom Honig. Und wer ein wenig verzichten erbrachten, manchmal überflüssigen und nicht selten nutzlo- muss. Doch leider: Es ist genau umgekehrt. Andere sichten sen Dienste bei der Suche nach Sparmöglichkeiten übersehen, das Sparpotenzial. Und sie finden fast immer welches und überrascht nicht. So bleibt nichts weiter, als sie und die Politik ausschliesslich bei uns. Dumm nur: Wir haben es zugelassen. darauf aufmerksam zu machen, dass auch ihr Beitrag gefragt Um im Bild zu bleiben: auch dass andere sich satt- und über- ist, und zudem, dass es möglicherweise ungeschickt, ja, essen – an unserem Honig. ungerecht und systemwidrig ist, wenn ausgerechnet und ausschliesslich jene, die den Kern dieses Gesundheitswesens Richard Altorfer und Peter H. Müller bilden und ohne die es ein solches gar nicht gäbe, etwas ab- –1–
3 + 4 • 2017 Inhaltsverzeichnis Impressum Standespolitik Academy on Health Care Policy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 doXmedical ist das Publikationsorgan von doXmart AG Medikamentenpreise in der Schweiz – wo sind Einsparungen möglich? Erscheinungsweise Interview mit Dr. Axel Müller, Geschäftsführer des Branchenverbands Intergenerika 5- bis 6-mal jährlich Auflage: ca. 5000 Expl. Warum Referenzpreise für die Schweiz ungeeignet sind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Herausgeber doXmart AG Geringeres Angebot, schlechtere Versorgung, weniger Wahlfreiheit Schaffhauserstrasse 13, 8212 Neuhausen Interview mit der Wirtschaftswissenschaftlerin Cornelia Wanke E-Mail: info@doxmart.ch, Internet: www.doxmart.ch Verlag Galexis – Gelebte Partnerschaft mit der Ärzteschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Rosenfluh Publikationen AG Schaffhauserstrasse 13, 8212 Neuhausen Tel. 052-675 50 60, Fax 052-675 50 61 E-Mail: info@rosenfluh.ch Thema Redaktion Hormontherapie in der Menopause – was Schweizer Gynäkologen empfehlen 10 Dr. rer. nat. Claudia M. Reinke, c.reinke@rosenfluh.ch Dr. med. Richard Altorfer Interview mit Dr. med. Christian De Geyter Dr. med. Peter H. Müller Sekretariat Und was bietet die Phytotherapie in den Wechseljahren?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Silvia Tomasi Tel. 052-675 50 60, Fax 052-675 50 61 E-Mail: info@rosenfluh.ch Serie Kunsttherapie Anzeigenverkauf Jeanine Bleiker Kunst als Behandlungsoption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Tel. 052-675 50 53, Fax 052-675 50 51 E-Mail: j.bleiker@rosenfluh.ch Teil 6: Bewegungs- und Tanztherapie bei Depression Anzeigenregie Manuela Behr Tel. 052-675 50 50, Fax 052-675 50 51 Fortbildung E-Mail: m.behr@rosenfluh.ch Broccoliextrakt senkt den Blutzucker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Layout Klinische Studie mit Typ-2-Diabetikern Manuela Bührer, Tel. 052-675 51 72 E-Mail: buehrer@rosenfluh.ch Druck, Versand Druckerei Raisch GmbH + Co. KG doXmart-Angebote Auchtertstrasse 14, D-72770 Reutlingen Pharma-Angebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Abonnementsdienst GenerX – ein generischer Röntgenfilm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 AVD GOLDACH Non-Pharma-Angebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Sulzstrasse 10/Postfach, 9403 Goldach Tel. 071-844 91 71, Fax 071-844 93 45 E-Mail: rosenfluh@avd.ch Einzelheft: Fr. 10.– plus Porto, inkl. MwSt. Rubriken Copyright © by Rosenfluh Publikationen AG. Alle Rechte beim Verlag. doXquiz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Nachdruck und Kopien von Beiträgen und Abbildungen in jegli- doXkultur: Ein engagierter Gestalter des Humanen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 cher Form, wie auch Wiedergaben auf elektronischem Weg und übers Internet, auch auszugsweise, sind verboten bzw. be- Der Basler Maler Karl Aegerter findet im Engadin eine neue Heimat dürfen der schriftlichen Genehmigung des Verlags. 13. Jahrgang ISSN 1660-8186 7 Fragen – 7 Antworten Hinweise Partner: Andreabal AG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Der Verlag übernimmt keine Garantie oder Haftung für Preisan- gaben oder Angaben zu Diagnose und Therapie, im Speziellen für Dosierungsanweisungen. Sonderreport Mit der Einsendung oder anderweitigen Überlassung eines Manuskripts oder einer Abbildung zur Publikation erklärt sich Schon subjektive kognitive Beeinträchtigungen ernst nehmen . . . . . . . . . . . . . . 31 der Autor/die Autorin damit einverstanden, dass der entspre- chende Beitrag oder die entsprechende Abbildung ganz oder teilweise in allen Publikationen und elektronischen Medien der Verlagsgruppe veröffentlicht werden kann. Bei einer Zweitver- Pharma News . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 öffentlichung werden der Autor informiert und die Quelle der Erstpublikation angegeben. Für unaufgefordert eingehende Manuskripte übernimmt der Verlag keine Verantwortung. Bezahlte Texte sind entsprechend gekennzeichnet. –3–
Standespolitik 3 + 4 • 2017 Academy on Health Care Policy Medikamentenpreise in der Schweiz – wo sind Einsparungen möglich? Auch 2017 sind die Krankenkassenprä- Die Interviews führte Aus Ihrer Sicht ist also die Verordnung von Ge- mien wieder um etwa 4 Prozent gestie- nerika eine Lösung des Kostenproblems? Claudia Reinke gen – «same procedure as every year» AM: Ja, das ist so. könnte man lakonisch sagen, wenn die steigenden Kosten nicht für viele Versicherte kaum Von welchen Grössenordnungen gehen Sie aus? noch tragbar wären. Eine alternde Gesellschaft, mehr AM: Schauen wir uns mal kurz Europa an. In Gesamteuropa und aufwendigere Behandlungen sowie teure Medi- hätten die Prämienzahler für ihre Medikamente ohne Gene- kamente fordern ihren Tribut. Anlässlich einer Ver- rika 100 Milliarden Euro mehr bezahlen müssen, in der anstaltung der Academy on Health Care Policy Ende Schweiz allein 1 Milliarde Franken. Der Generikamarkt in der April 2017 in Bern diskutierten die Teilnehmer über Schweiz ist noch relativ klein; ohne Spitäler liegt der Markt brauchbare Lösungsansätze, die zur Senkung der Axel Müller zu Herstellerabgabepreisen bei 577 Millionen Franken – hohen Medikamentenkosten beitragen könnten. wenn man die Publikumspreise betrachtet, waren das im Dr. Axel Müller, Geschäftsführer des Branchenver- letzten Jahr 971 Millionen Franken. Mit Generika wurden 2016 bands Intergenerika, zeigte sich in seinem Referat gemäss einer unabhängigen Studie Einsparungen von überzeugt, dass Generika hier einen nicht zu unter- 363 Millionen Franken erzielt. Und was noch wichtiger ist: schätzenden Beitrag leisten könnten. In einem per- Hätte man konsequent dort, wo es möglich gewesen wäre, sönlichen Gespräch äusserte sich der Referent zu Generika verordnet, hätte sich ein zusätzliches Einspar- brachliegenden Einsparpotenzialen, zu den Gefahren potenzial von knapp 200 Millionen Franken ergeben. des auch in der Schweiz diskutierten Referenzpreis- systems und zur Überprüfung des Margensystems. Können Sie uns Beispiele nennen? AM: Sicher, wir haben beispielsweise die unverständliche Si- doXmedical: Wer sich intensiver mit dem Gesundheitswe- tuation, dass es in der Schweiz praktisch keine generischen sen und den exorbitanten Kosten beschäftigt, gewinnt den Asthmapräparate gibt, weil Swissmedic von den entspre- Eindruck, dass das Ganze auf lange Sicht und insbesondere chenden Generikaherstellern vor der Zulassung – im Gegen- im Hinblick auf die demografische Entwicklung nicht mehr satz zur EU – zusätzliche klinische Prüfungen fordert. Das ist finanzierbar sein wird. Ist es bereits fünf vor zwölf? insofern unverständlich, als diese Generika vom BfArM (Bun- Dr. Axel Müller (AM): Wir hatten 2014 in Europa etwa desinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) in 100 Millionen Patienten, die älter waren als 65. Die demo- Deutschland und von der EMA (European Medicines Agency) grafische Entwicklung, die Sie angesprochen haben, sagt in London schon lange zugelassen sind und sich in Real-Life- voraus, dass wir 2050 mehr als 190 Millionen über 65-jährige Studien sowie im Dauereinsatz längst bewährt haben. Aber Patienten haben. Mit zunehmendem Alter steigt aber auch Swissmedic weigert sich, diesem Beispiel zu folgen. Die ver- die Inzidenz chronischer Erkrankungen. Wenn zu deren Be- schiedenen Inhalers der bekannten Pharmafirmen machen handlung nur Originalpräparate eingesetzt werden sollten, etwa 80 Millionen Franken Umsatz; würde man hier in der wird das kostenmässig aus dem Ruder laufen – insbesondere Schweiz dafür Generikapräparate abgeben dürfen, wären wenn auch neue biologische Medikamente zum Einsatz kom- Einsparungen von 25 bis 30 Millionen Franken möglich. men sollten, die bei Krebserkrankungen, Immuntherapien, rheumatoider Arthritis und Hepatitis B unverzichtbar gewor- Es gibt darüber hinaus noch ein anderes unklares Phäno- den sind. Das lässt sich in der Tat nicht mehr finanzieren, men: Wie erklärt sich die enorm hohe Preisdifferenz (+53%) wenn nicht auf der anderen Seite mehr Generika beziehungs- bei Generika in der Schweiz im Vergleich zum Ausland? weise generische biologische Arzneimittel, sogenannte Bio- AM: Es ist richtig, Generika in der Schweiz sind teurer. Das similars, verordnet werden. sind andere Produkte aber auch. Die WHO hat allerdings erst –4–
3 + 4 • 2017 Standespolitik kürzlich ein Statement herausgegeben, in dem sie sich gegen kosten durch die Krankenkassen. Wenn wir die Situation be- Auslandspreisvergleiche für generische Arzneimittel aus- kommen, wie wir sie in Deutschland haben – dort sind sie ja spricht, weil man nicht einfach nur die Preise eines anderen schon einen Schritt weiter: es gibt Referenzpreise und Ra- Landes übernehmen könne, ohne nicht fairerweise auch des- batte –, und die Krankenkassen an der Festlegung des Prei- sen Gesundheitssystem einzuführen. ses beteiligt sind und nur das Günstigste erstatten, dann geht das in Richtung Billigstmedizin. Dieser einseitige Fokus Auslandspreisvergleiche sind also nicht zielführend? auf die Medikamentenpreise führt jedoch zu schwerwiegen- AM: Das lässt sich so pauschal nicht sagen – Auslandspreis- den Problemen wie Qualitätsverlust und abnehmende Ver- vergleiche bei den Originalpräparaten halte ich für nachvoll- sorgungssicherheit. Wir haben heute schon viele Produkt- ziehbar. Hier wird das identische Originalprodukt des glei- beziehungsweise Arzneimittelengpässe – beispielsweise bei chen Herstellers verglichen. Bei Generika ist das jedoch sehr Antibiotika und Impfstoffen. Das Problem ist, dass viele Her- viel komplizierter: Es gibt unterschiedliche Anbieter, unter- steller die Medikamente nicht mehr produzieren, weil ihnen schiedliche Packungsgrössen, es gibt Hersteller mit soge- der Aufwand im Vergleich zum Verdienst zu hoch ist, und die nannten Kampfpreisen bei bestimmten Produkten, es gibt wenigen, die es noch machen, konzentrieren sich auf Zulie- Firmen, die Zusatzleistungen wie Broschüren oder zusätzli- ferer aus Billiglohnländern. Wenn dort in der Produktion al- che zum Teil compliancefördernde galeni- sche Formulierungen oder Verbesserungen anbieten und Ähnliches. Wenn wir den Forderungen des Preisüberwa- «Das Problem ist, dass viele Hersteller die Medi- chers folgen und die Kosten der Generika in kamente nicht mehr produzieren, weil ihnen der der Schweiz um 50 Prozent senken würden, läge die Einsparung bei einem Gesundheits- Aufwand im Vergleich zum Verdienst zu hoch ist, budget von 75 Milliarden Franken nur bei und die wenigen, die es noch machen, konzentrieren 0,42 Prozent. Die eigentlichen Preistreiber sind nicht die Arzneimittel und schon gar sich auf Zulieferer aus Billiglohnländern. » nicht die Generika – das sind die Kosten der stationären und der ambulanten Behandlung. Da müsste lerdings Zwischenfälle oder Qualitätsprobleme auftreten, man den Hebel ansetzen. sind Arzneimittelengpässe in der Schweiz vorprogrammiert. Ein weiterer wichtiger Grund für die Preisentwicklung bei Ge- Wenn die Preise also zu sehr in den Keller gehen, muss man nerika im Vergleich zum europäischen Ausland sind die Men- umgehend mit Engpässen rechnen. Was aber noch gravie- gen. Je länger ein Hersteller seine Hochleistungsmaschinen render ist: Die grossen Pharmafirmen werden das überleben, laufen lassen kann, um so geringer sind die Stückkosten. Die die kleinen Unternehmen aber werden verschwinden. kleine Schweiz benötigt im Vergleich zu grösseren Ländern Santésuisse macht einen Fehler: Sie ist zwar mit uns einig, sehr viel geringere Stückzahlen. Und wenn dann noch unter- dass Generika mehr gefördert werden müssen, da sie Einspa- schiedliche Dosierungen und verschiedene Packungsgrös- rungen bringen, nicht einig ist sie mit uns jedoch, was die sen dazukommen, wird das erheblich teurer. Dazu kommen Preissituation betrifft, denn sie möchte so tiefe Preise haben die zusätzlich von Swissmedic geforderten Freisetzungsun- wie im Ausland. Was sie damit jedoch bewirkt, ist letztlich die tersuchungen (Dissolutiontests), also der Nachweis im «Rea- Gefahr einer Monopolbildung. Zudem provoziert sie damit, genzglas», dass der Arzneistoff aus einem Generikum das dass gewisse Produkte in der Schweiz aus Rentabilitätsgrün- gleiche Freisetzungsverhalten aufweist wie das entspre- den gar nicht mehr angeboten werden könnten. Daraus resul- chende Originalpräparat in der Schweiz. tiert, dass die Patienten wieder auf Originalpräparate umstei- gen müssen, was die Kosten wiederum erhöht. Und das Und doch hat der Krankenkassenverband Santésuisse erst grösste Problem bei Festbeträgen beziehungsweise Referenz- kürzlich verlangt, dass gemäss dem Krankenversicherungs- preisen ist folgendes: Wenn der Patient immer das Billigste gesetz für gleiche Leistungen der günstigere Preis zu ver- akzeptieren muss, weil er den Differenzbetrag zum Referenz- güten ist. Was sagen Sie dazu? preis nicht hinzuzahlen kann oder möchte, besteht gerade bei AM: Jetzt kommen wir zu einem wichtigen Thema, nämlich Langzeittherapien die Gefahr, dass er statt des ihm vertrauten den sogenannten Referenzpreisen oder Festbeträgen, also den Höchstbeträgen für die Erstattung von Medikamenten- Fortsetzung auf Seite 7 –5–
Standespolitik 3 + 4 • 2017 Warum Referenzpreise für die Schweiz ungeeignet sind Geringeres Angebot, schlechtere Versorgung, weniger Wahlfreiheit Die Wirtschaftswissenschaftlerin und Journalistin kationsbereichen nur noch zwei oder drei Anbieter haben. Cornelia Wanke, seit Jahren in verschiedenen Spar- Damit steigt das Risiko für Lieferengpässe, was besonders ten des deutschen Gesundheitswesens tätig, bei Antibiotika ein grosses Problem darstellt. Diese Entwick- weiss, wie das Gesundheitssystem im Nachbarland lung, die zu einer Verarmung des Marktes führt, wird sich in funktioniert. In unserem Gespräch warnte die als einem kleinen Land wie der Schweiz noch verschärfen und Referentin bei der Academy on Health Care Policy die Therapie- und Wahlfreiheit der Patienten erheblich ein- geladene Expertin vor möglichen unerwünschten Cornelia Wanke schränken. Im Übrigen steht Deutschland – trotz permanen- Folgen der Einführung eines Referenzpreissystems ter Regulierung der Arzneimittelkosten – hinsichtlich der Ge- in der Schweiz. sundheitskosten heute nicht besser da als die Schweiz: Der Anteil der Gesundheitsausgaben stieg seit 1990 von 8,3 Prozent (Schweiz doXmedical: Frau Wanke, der Schweizer Bundesrat plant offenbar, 8,2%) auf 11,3 Prozent im Jahr 2015 (Schweiz 11,5%). Was die Me- mit staatlich verordneten Massnahmen wie Festbeträgen bezie- dikamentenausgaben pro Einwohner betrifft, so lagen diese 2013 hungsweise Referenzpreisen die Kosten im Gesundheitswesen zu in Deutschland (kaufkraftbereinigt) bei 678 Dollar und waren damit reduzieren. Halten Sie das für zielführend? in etwa mit der Schweiz (666 Dollar) vergleichbar. Cornelia Wanke (CW): Zunächst möchte ich vorausschicken, dass Festbeträge in Deutschland nicht durch den Gesetzgeber festgelegt, Das ist allerdings wenig überzeugend. Welches Vorgehen würden sondern auf gesetzlicher Basis von den Gremien der Selbstverwal- Sie aufgrund Ihrer Erfahrungen denn der Schweiz empfehlen? tung bestimmt werden. Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA), CW: Meine Empfehlung für die Schweiz wäre zunächst, auch einen in dem Vertreter von Ärzten, Krankenhäusern und Krankenkassen, sogenannten Pharmadialog zu organisieren, der sich in Deutsch- nicht aber Apotheker sitzen, teilt unter Beteiligung von Patienten- land ganz gut bewährt hat. Dabei kommen alle Beteiligten der Ge- verbänden Arzneimittel vergleichbarer Wirkung in sogenannte Fest- sundheitswirtschaft unter Moderation der Regierung an einen Tisch betragsgruppen ein. Dann bestimmt der Spitzenverband aller Kran- zusammen und können ihre Argumente präsentieren. Das schafft kenkassen GKV die konkreten Festbeträge. Als zweite, viel bessere Voraussetzungen für die Verständigung und setzt einen wichtigere Regulierungsmassnahme wurden die sogenannten Ra- wichtigen Diskussionsprozess in Gang, in dessen Verlauf das battverträge eingeführt, um den Wettbewerb im Generikamarkt, der Gesamtpaket für eventuelle gesetzliche Massnahmen verhandelt in Deutschland eine Verordnungsquote von fast 80 Prozent hat, wei- werden kann. ter zu fördern und die Preisspirale nach unten in Gang zu setzen. Diese Rabattverträge werden durch die gesetzlichen Krankenkassen Sie haben unter anderem auch die Nutzung von E-Health-Lösun- auf Wirkstoffebene ausgeschrieben, wobei das günstigste Präparat gen angesprochen. Damit könnten sich doch möglicherweise (häufig günstiger als der entsprechende Festbetrag) meist für zwei unnötige Rehospitalisierungen und damit wiederum hohe Spital- Jahre den Zuschlag erhält. Nachteilig ist, dass die Hersteller weder kosten vermeiden lassen. für Schrittinnovationen noch für spezielle Darreichungsformen (z.B. CW: Genau, denn bei uns wie bei Ihnen ist die Hospitalisierungsrate kleinere Tabletten für Kinder mit Epilepsie) einen finanziellen Bonus ein grosses Problem. Wenn man dagegen auf E-Health-Lösungen erwarten können. Das sind die Auswüchse eines innovationsun- setzt, lassen sich unnötige ärztliche Konsultationen oder (Re-)Hos- freundlichen Systems. pitalisierungen vermeiden und somit viel Geld einsparen. Beispiels- weise durch eine telematische Anbindung an medizinische Versor- Festbeträge, Referenzpreissysteme oder Rabattverträge halten gungszentren, eine Schulung des Patienten zum besseren Umgang Sie demnach für die Schweiz als nicht nachahmenswert? mit seiner Erkrankung und/oder eine engmaschige Betreuung via CW: Insbesondere die Rabattverträge führten in Deutschland zu ei- Homemonitoring. Das Disease-Management via Telemedizin wird in ner unglücklichen Marktkonzentration, die zur Folge hat, dass die Zukunft sicher eine grosse Rolle spielen, denn es kann dazu beitra- grossen Generikaunternehmen die kleinen aufkaufen – was ja oh- gen, die Versorgung der Patienten effizienter, besser und günstiger nehin einer globalen Entwicklung entspricht. Hinzu kommt, dass zu machen. kleinere Unternehmen ökonomisch gar nicht mehr in der Lage sind, an diesem Wettbewerb teilzunehmen, sodass wir in manchen Indi- Vielen Dank für das Gespräch. –6–
3 + 4 • 2017 Standespolitik Fortsetzung von Seite 5 für Ärzte und Apotheker wegen des erzwungenen Medika- mentenwechsels. Zudem weiss man aus Untersuchungen, Präparates jeweils zu Medikamenten anderer Hersteller wech- dass der therapeutische Effekt einer Behandlung grösser ist, seln muss, nur weil diese gerade günstiger sind. Diese er- wenn der Patient die Therapie mitbestimmen kann. Dazu zwungenen Wechsel können bei den Patienten zu Verunsiche- kommt die im Ausland vielfach bestätigte Neigung der Ärzte rungen, Nebenwirkungen und Complianceproblemen führen. und Apotheker, anstelle des preisgünstigen Generikums Dessen ist sich Santésuisse vermutlich nicht bewusst. doch oft wieder das Originalpräparat abzugeben, das nicht vom Referenzpreissystem betroffen ist, um den Patienten die Der Bundesrat hat aber seinerseits jetzt offenbar staatliche Zuzahlung zu ersparen und Diskussionen zu vermeiden. Regulierungen vor, um die Medikamentenkosten zu senken, und will dies ausgerechnet durch die Einführung von Fest- Gemäss Santésuisse liegt ein weiteres hohes Einspar- beträgen für Generika und Medikamente, deren Patent- potenzial in der Reduktion der Vertriebsmargen bei der schutz abgelaufen ist, erreichen. Medikamentenabgabe, von denen Ärzte und Apotheker pro- AM: Wir haben im Prinzip ein funktionierendes Preisfestset- fitieren – stimmen Sie dem zu? zungssystem, das der Bundesrat schon länger eingeführt AM: Das Problem ist folgendes: Ein Apotheker und/oder ein und im März 2017 nochmals verschärft hat. Wir haben drei SD-Arzt verdient mehr, wenn er ein teureres Original abgibt. Stellschrauben: Die erste Stellschraube ist ein Preisvergleich Der im Sinne der Krankenkasse denkende Apotheker oder mit dem Schweizer Originalprodukt. Das heisst, die Generika SD-Arzt wird dagegen ökonomisch bestraft, wenn er ein Ge- müssen abhängig vom Marktvolumen einen Preisabstand nerikum abgibt. Das ist genau der falsche Anreiz. Wir müssen zum Original haben, bei grossvolumigen Produkten 70 Pro- in der Schweiz ein System bekommen, bei dem der SD-Arzt zent, bei kleinvolumigen 20 Prozent. Zweitens haben wir den und der Apotheker bei Abgabe eines günstigen Generikums sogenannten dynamisierten differenzierten Selbstbehalt, keine Einbussen erleiden. Dies liesse sich zum Beispiel da- das heisst, die Patienten müssen einen Selbstbehalt von durch erreichen, dass die bislang übliche prozentuale Marge 20 Prozent der Medikamentenkosten in Kauf nehmen, wenn durch eine fixe Marge ersetzt wird. Dies wäre ein Anreiz für sie ein teureres Präparat wünschen; bei einem günstigeren Ärzte und Apotheker, vermehrt Generika abzugeben, da die Generikum beträgt der Selbstbehalt jedoch nur 10 Prozent. Margen dann nicht mehr vom Preis der Arzneimittel abhän- Und dann haben wir noch die Preisüberprüfung nach drei gen. Wenn wir das schaffen, haben wie sehr viel grössere Jahren. Das alles hat dazu geführt, dass der Preisindex der Einsparpotenziale. Der Marktanteil der Generika liegt ja men- Generika seit mehr als zehn Jahren sukzessive nach unten gen- beziehungsweise packungsmässig in der Schweiz laut ging: Ein Generikum, das 2003 noch 100 Franken gekostet IMS bei 27 Prozent – in anderen europäischen Ländern wie hat, kostet heute nur noch 57 Franken. Die Preise sind also England, Holland oder Dänemark liegt er bei etwa 80 Pro- aufgrund dieses funktionierenden Preisfestsetzungssystems zent. Je grösser der Marktanteil der Generika, desto günsti- massiv gefallen. ger werden sie. Deshalb schlagen wir vor, mehr Generika ein- Aus diesem Grund sagen wir jetzt: Lieber Bundesrat, jetzt ha- zusetzen, dann haben wir die Einsparpotenziale, die wir ben Sie das bereits eingeführte System nochmals verschärft, brauchen, ohne dass Referenzpreise eingeführt werden müs- und es funktioniert offensichtlich – lassen Sie es dabei be- sen. Dass Generika von der Qualität her mit dem Original ab- wenden, und führen Sie kein Referenzpreissystem ein, denn solut identisch sind, ist heute unbestritten – es gibt also kei- wenn nur noch das Billigste erstattet wird, haben wir Billigst- nen Grund mehr, keine Generika zu verordnen. Hier muss medizin mit gravierenden Konsequenzen: Erstens haben die sich die Politik am Ausland orientieren und den vermehrten Patienten laufend Medikamentenwechsel, zweitens werden Einsatz von Generika fördern, dann sind auch die notwendi- die kleinen, aber oft compliancerelevanten Innovationen bei gen Einsparpotenziale zu erzielen. Generika (Bruchrillen, sugar coating, zusätzliche pharmazeu- tische Formulierungen etc.) wegfallen, da sie nicht mehr fi- Besten Dank für das Gespräch. x nanzierbar sind, und drittens steigt der Beratungsaufwand –7–
3 + 4 • 2017 Standespolitik Galexis – Gelebte Partnerschaft mit der Ärzteschaft Galexis ist Ihr Partner als führender Ärzte-Voll- grossist. Sie kennen uns als Unternehmen, wel- ches Sie im Praxisalltag verlässlich und schnell mit Medikamenten, Praxis- und Laborbedarfarti- keln, Medizintechnik sowie Dienstleistungen für die Praxisinfrastruktur beliefert. Als eng mit der Ärzteschaft verbundene Organisation tun wir aber noch mehr. So sind wir seit Jahren an Veranstal- tungen und auf Plattformen präsent, bei denen Themen und Interessen der Ärzteschaft im Mittel- Foto: mmconsult volante GmbH punkt stehen. Dabei setzt sich Galexis als Partne- rin für Sie ein. Wir unterstützen verschiedenste Veranstaltungen, die unterschiedliche Zielsetzun- gen verfolgen: Academy Ärzteforum Nordostschweiz in Schaffhausen Wir verfolgen die Entwicklungen im Schweizer Ge- sundheitswesen sehr genau. Die «Academy on Healthcare Policy» ist eine Veranstaltungsplatt- nen. Deshalb engagiert sich Galexis auch an re- Indikationsorientierte Seminare form, die zweimal jährlich gesundheits- und phar- gionalen Veranstaltungen, die auf die Themen Geht es um Ihre fachliche Weiterbildung, beteiligen mapolitische Entwicklungen in der Schweiz mit und Interessen der Ärzteschaft in den jeweiligen wir uns ausserdem in für Sie nutzbringenden und Beteiligung der Kantonalpräsidenten der Ärztege- Regionen fokussieren. So findet seit über 10 Jah- von der jeweiligen Fachgesellschaft akkreditierten sellschaften und unter Einbezug der wichtigen ren das Zentralschweizer Ärzteforum mit unserer Seminaren. Mit der in verschiedenen Regionen der Key Opinion Leader thematisiert. Die Academy ist Beteiligung statt. Das Forum setzt sich für eine Deutschschweiz stattfindenden Seminarreihe einerseits Begegnungsstätte und andererseits freie und patientennahe Arzttätigkeit ein. Eben- «Pain Management Update» haben wir einen wei- eine perfekte Plattform für den Meinungsaus- falls unterstützen wir die gemeinsame Tagung der teren Schritt in Richtung einer echten und gelebten tausch innerhalb der Ärzteschaft sowie zwischen kantonalen Gesellschaften in der Nordostschweiz, Partnerschaft mit Ihnen vollzogen. Ärzten und weiteren wichtigen Stakeholdern des wie zum Beispiel aktuell zum Thema «Selbstdis- Schweizer Gesundheitswesens wie Regierung, pensation Schaffhausen 2018». In anderen Regio- Die Zukunft: Gelebte Partnerschaft Politik, Behörden, Krankenversicherungen, Ver- nen der Schweiz wie in Bern oder in St. Gallen mit der Ärzteschaft bände und Patientenorganisationen. unterstützen wir die jeweils unter dem Patronat Sie können darauf zählen, dass Galexis sich stets Für die teilnehmenden Kantonalpräsidenten der der regionalen oder überregionalen Organisatio- für die Interessen der Ärzteschaft einsetzt. Wir Ärzteschaft und des Apothekerverbandes wie nen durchgeführten Anlässe. lassen Worten Taten folgen – spürbar, wirkungs- auch Spital- und Kantonsapotheker und die Fach- voll und zu Ihrem Nutzen. Mit unserem Engage- verbände (FMH, VEDAG, ApA, KKA, KOCH, HACH/ Ärzte-Management-Seminare: ment heute legen wir die Basis für morgen. MFE) ist mit der Academy eine einzigartige Platt- Die Zukunft der Einzelpraxis Das Verkaufsteam Ärzte der Galexis ist Ihr Partner. form entstanden. Ziel ist es, geeignete Lösungs- Das Engagement von Galexis geht aber über das Wir setzen uns nicht nur als Dienstleister mit dem ansätze zu finden, die in letzter Konsequenz für Gesundheitspolitische hinaus. Seit mehreren Jah- Motto «alles aus einer Hand» für Sie ein, sondern Ihre Arbeit in der Praxis einen positiven Beitrag ren beteiligen wir uns an der Seminarreihe «Die auch als Partner auf den verschiedensten Ebenen leisten sollen. Zukunft der Einzelpraxis», die sich an Ärztinnen des gesundheitspolitischen Umfeldes. Wir unter- und Ärzte aller Alterstufen richtet, die ihre Nach- nehmen alles, damit Sie Ihrer Tätigkeit zum Wohle Regionale Foren folge planen. Mittlerweile über 900 Teilnehmende der Patientinnen und Patienten in einem möglichst Viele auf nationaler Ebene besprochene Anliegen sind ein eindrückliches Zeichen des Erfolgs dieser guten Umfeld nachkommen können. x benötigen Jahre, bis sie umgesetzt werden kön- Veranstaltungsreihe. Marketingkommunikation, Galexis AG –9–
Thema 3 + 4 • 2017 Hormontherapie in der Menopause – Was Schweizer Gynäkologen empfehlen Die im Juli 2002 publizierte umfangreiche Das Interview führte auch andere Medikamente eingesetzt wurden amerikanische Studie der Women’s He- als heute üblich, nämlich Premarin, also konju- alth Initiative (WHI) zu Einfluss und Ri- Claudia Reinke gierte Östrogene in einer Dosis von 0,625 mg, siko der Hormonersatztherapie (HRT) auf und das synthetische Gestagen Medroxy- die Gesundheit von Frauen in den Wechseljahren progesteronacetat (MPA), 2,5 mg/Tag. Wie man heute weiss, sorgte damals mit alarmierenden Ergebnissen bei Gy- hat diese Kombination den grössten Effekt auf die Brust- näkologen und Patientinnen gleichermassen für Un- drüse. Dagegen zeigen die heute eingesetzten Gestagene ruhe. Die beobachteten Nebenwirkungen, insbeson- (z.B. natürliches Progesteron) deutlich geringere Effekte auf dere die signifikant erhöhte Brustkrebsinzidenz nach die Brustdrüse. Aber selbst bei der in der WHI-Studie einge- HRT, führte zu einem drastischen Rückgang der HRT- setzten Wirkstoffkombination wurden bei den Teilnehmerin- Anwendung. In den letzten Jahren scheint sich das nen der Verumgruppe nach 5 Jahren nur 8 Brustkrebsfälle Christian Blatt wieder zugunsten der HRT zu wenden. Prof. Dr. De Geyter mehr diagnostiziert als unter Plazebo, ein Effekt, der mit med. Christian De Geyter, Chefarzt für gynäkologi- p < 0,05 knapp statistisch signifikant war. Zu diesem Zeit- sche Endokrinologie und Reproduktionsmedizin am punkt wurde die Studie abgebrochen. Universitätsspital Basel, gibt Auskunft über die Inzwischen weiss man, dass es nicht unbedingt die Östro- Gründe und die aktuellen Empfehlungen der SGGG gene waren, die diesen Effekt ausgelöst haben, denn wie zur menopausalen Hormontherapie. später Subanalysen der WHI-Daten, unter anderem bei hys- terektomierten Frauen, zeigten, führte die alleinige Östro- doXmedical: Herr Professor De Geyter, in der letzten Zeit sind gengabe beispielsweise nicht zu einer Zunahme des Brust- verschiedene Publikationen erschienen, die einseitige krebsrisikos, sondern hatte im Vergleich zu Plazebo eher Schlussfolgerungen aus den WHI-Studiendaten kritisieren einen protektiven Effekt. Problematisch war hier also das und den Nutzen der Hormonersatztherapie bei Wechseljahr- Gelbkörperhormon. beschwerden wieder in den Vordergrund rücken. Hat sich die Auf Basis dieser Subanalysen wurde später ein sogenanntes Einstellung zur HRT heute geändert und wenn ja, warum? «Window of Opportunity» definiert, ein Bereich kurz nach Be- Prof. Christian De Geyter: In die amerikanische WHI-Studie ginn der Menopause, in dem man mit der Hormontherapie (1) wurden damals rund 16 000 Studienteilnehmerinnen ein- beginnen sollte, wenn Beschwerden vorliegen, da die Östro- bezogen, unter ihnen viele Frauen, denen wir heute norma- gene zu diesem Zeitpunkt noch eine protektive Wirkung ent- lerweise keine Hormonersatztherapie verschreiben würden. falten. Bei einem späteren Therapiebeginn, zum Beispiel Das durchschnittliche Alter, in dem die Menopause eintritt, ≥ 10 Jahre nach der Menopause, überwiegen dagegen die Ri- liegt in der Regel bei etwa 53 Jahren – das Durchschnittsalter siken, wie die WHI-Studie gezeigt hat. Ist der Östrogenman- der Probandinnen lag in dieser Studie jedoch bei 63 Jahren, gel bereits über einen längeren Zeitraum vorhanden, fehlt das heisst, die meisten Probandinnen hatten die Menopause beispielsweise der östrogenbedingte Blutgefässschutz, so- längst hinter sich. Ausserdem bestanden bei zahlreichen dass sich vermehrt atherosklerotische Plaques bilden. Setzt Frauen bedeutende Risikofaktoren oder Vorerkrankungen die Medikation erst zu diesem Zeitpunkt ein, überwiegen die wie Adipositas, Hypertonie oder Rauchen. Mit dieser Studie nachteiligen Effekte des Hormons, und es kommt zu einem hat man also unfreiwilligerweise die Risiken einer fehlappli- Anstieg des kardiovaskulären Risikos, das zu Herzinfarkten zierten Hormonersatztherapie aufgezeigt, und dies mit aller oder Schlaganfällen führen kann. Deutlichkeit. Daraus ergab sich eine gewisse Relativierung ihres therapeutischen Nutzens. Die Konsequenz, die heute Wann ist aus Sicht der Schweizer Fachgesellschaften wie daraus gezogen wird, ist, dass die HRT nur eingesetzt werden der Schweizerischen Menopausengesellschaft und der sollte, wenn erhebliche klimakterische Beschwerden vorlie- Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Ge- gen, und zwar in einer deutlich geringeren Dosis als jene, die burtshilfe (SGGG) der Einsatz einer HRT indiziert? damals, also in den Siebziger- und Achtzigerjahren, üblich Die Hauptindikation für eine HRT ist das klimakterische Syn- war. Dazu kommt, dass in der Verumgruppe der WHI-Studie drom, also die häufig unerträglichen Beschwerden, die auf – 10 –
3 + 4 • 2017 Thema den chronischen Östrogenmangel nach der Menopause zu- trogene konditioniert. Wenn Sie also nach Östrogengabe be- rückzuführen sind. Für die SGGG haben wir 2015 eine der schwerdefrei sind, und Sie setzen daraufhin die Therapie ab, heutigen Lehrmeinung entsprechende, ausführliche Stellung- und die Beschwerden treten wieder auf und sollen durch er- nahme mit aktuellen Empfehlungen zur HRT erarbeitet (2). Für neute Östrogenzufuhr wieder therapiert werden, dann wird manche Frauen können beispielsweise die Hitzewallungen das Gehirn möglicherweise so geprägt, dass es quasi östro- und unvermittelt auftretenden Schweissausbrüche sehr be- genabhängig wird – die Verdrahtung, also die Synapsenbil- lastend sein, und es hat sich gezeigt, dass die HRT hier lin- dung, wird verändert. Letzteres führt dazu, dass das Gehirn ir- dernd helfen kann. Voraussetzung ist, dass der Beginn der gendwann so konditioniert wird, dass es nicht mehr ohne die Menopause nicht zu lange zurückliegt. Es gibt heutzutage ja Hormonzufuhr auskommt (2). Wenn man sich also für eine noch keine wirksamen Alternativen. Die pflanzlichen Hor- Therapie entscheidet, sollte man sie eine gewisse Zeit, zum mone haben zwar einen gewissen Effekt, der auch belegt ist; Beispiel bis zu 5 Jahre, durchführen, wobei jährliche Kontrollen mit der Wirkung einer Hormonersatztherapie ist er allerdings durchgeführt werden sollten. In der WHI-Studie zeigte sich das nicht vergleichbar. erhöhte Brustkrebsrisiko erst nach 5-jähriger Hormonein- nahme, daher diese zeitliche Begrenzung. Danach wird lang- Ist die Osteoporose heute noch eine Indikation für die HRT? sam versucht, die Dosis zu reduzieren. Früher hatte man nur die HRT zur Osteoporoseprävention, Ausnahmen hiervon sind beispielsweise Patientinnen, die, be- dafür gibt es inzwischen jedoch eine Vielzahl von Alternati- dingt durch Krankheit und/oder Chemotherapie, vorzeitig in ven. Die Osteoporose allein ist also kein ausreichender die Menopause kommen. Hier kann die östrogenfreie Zeit- Grund mehr für eine Hormonbehandlung. spanne deutlich länger dauern als normalerweise – unter Um- ständen sogar bis zu 40 Jahre. Diesen Patientinnen raten wir Die Risiken der Hormontherapie lassen sich ja trotz aller in der Regel, bis zu dem Zeitpunkt Hormone einzunehmen, an Vorsichtsmassnahmen nie völlig ausschliessen … dem sie normalerweise in die Menopause gekommen wären. … natürlich nicht. Das Problem ist: Die Hormonersatztherapie wird in einem Lebensalter verabreicht, in dem statistisch die Welchen Patientinnen raten Sie von einer Hormontherapie ab? meisten Brustkrebsfälle diagnostiziert werden. Allen Frauen, die Risikofaktoren aufweisen; dazu gehören eine familiäre Brustkrebsanamnese sowie aufgetretene Wie beraten Sie also eine Patientin, für die eine HRT indi- Thrombosen oder Embolien. Bei starken Wechseljahrbe- ziert wäre, die hier jedoch eher ängstlich reagiert? schwerden kann man noch versuchen, eine transdermale Der erste Schritt ist immer eine ausführliche Familienana- Darreichungsform zu wählen, die weniger Nebenwirkungen mnese, danach folgt eine gründliche klinische Untersuchung und geringere Auswirkungen auf die Gefässe und auf die Le- mit einer Mammografie, eventuell in Kombination mit einem ber hat. Transdermale Arzneiformen haben zudem den Vor- Ultraschall, um vorhandene Risiken frühzeitig zu erkennen. teil, dass sich ein relativ konstanter Wirkstoffspiegel ausbil- Wenn beispielsweise die Mutter und/oder die Schwester an det, der sich auch im Blut kontrollieren lässt. Die oralen Brustkrebs oder anderen verwandten Krebsarten erkrankt Arzneimittel müssen dagegen in der Leber metabolisiert wer- sind, wird es diffizil. Dann muss man abwägen. Wenn die Vor- Literatur: den; aus diesem Grund ist es hier wichtig, mögliche Wech- untersuchungen allerdings keine negativen Befunde ergeben 1. Rossouw JE, Anderson GL, selwirkungen mit anderen einzunehmenden Medikamenten Prentice RL, LaCroix AZ et haben und das Beschwerdebild zudem gravierend ist, gibt al.: Risks and benefits of zu beachten. Letztlich gilt jedoch: Wer nicht unter starken kli- estrogen plus progestin in man eine HRT, wobei man mit einer möglichst niedrigen Dosis makterischen Beschwerden leidet, der sollte auch nicht un- healthy postmenopausal einsteigen sollte, die dann nach Bedarf erhöht werden kann. women: principal results bedingt eine Hormontherapie beginnen. Man sollte im Auge from the Women’s Health Initiative randomized con- behalten, dass es sich hier um ein Medikament und nicht um Was empfehlen Sie im Hinblick auf die Therapiedauer? trolled trial. JAMA 2002; 288 ein Nahrungsergänzungsmittel handelt. (3): 312–333. Hier muss man sich darüber im Klaren sein, dass die Wirkung 2. www.sggg.ch/filead- min/user_upload/Doku- einer Hormontherapie immer an die Einnahme der Medikation Eine HRT eignet sich also auch nicht als Anti-Aging-Mass- mente/3_Fachinformatio- gebunden ist. Für viele Patientinnen ist das nicht unbedingt nen/1_Expertenbriefe/de/4 nahme? Vor der WHI-Studie hatte man gelegentlich den 2_Menopausale_Hormon- ersichtlich. Man muss sie also bei Therapiebeginn bereits dar- Therapie_2015.pdf Eindruck, der Trend gehe in diese Richtung. über informieren, dass es sich hier um eine Dauermedikation 3. De Geyter Ch, Raggi A, Richtig, aber wir machen in erster Linie Medizin und nicht Setimann S: Konditionie- handelt, bei der häufigere Auslassversuche gefährlich sein rung durch die langfristige Lifestyle. Einnahme von Östrogenen? können. Denn Östrogene wirken im Gehirn auf die Synapsen- Schweiz Arch Neurol Psychi- bildung, das heisst, das Gehirn wird auf die zugeführten Ös- atr 2003; 154: 453–457. Besten Dank für das Gespräch! x – 11 –
Thema 3 + 4 • 2017 Und was bietet die Phytotherapie in den Wechseljahren? Die Belastung der Schweizer Gewässer trächtigt. Die Bandbreite zwischen einer leich- Gesa Otti-Rosebrock, Dorin Ritzmann mit Östrogenen und Xenoöstrogenen ten Befindlichkeitsstörung und einem ausge- hat ein so hohes Ausmass erreicht, dass prägten Krankheitsgefühl ist gross. Bestand Östrogenfilter in den Abwasseranlagen notwendig zum Beispiel bereits vorgängig ein prämenstruelles Syn- wurden (1). Wie können wir diese Belastung für drom, kann sich dieses perimenopausal verstärken und in Mensch und Natur reduzieren? Phytotherapeutische eine Depression übergehen. Hitzewallungen können den Methoden können aus eigener Erfahrung bei etwa nächtlichen Schlafrhythmus so sehr stören, dass Konzentra- 80 bis 90 Prozent der Betroffenen zu einer deutli- tionsstörungen, Müdigkeit und Leistungsabfall den Alltag chen Verbesserung der Lebensqualität beitragen, deutlich erschweren. Dieser ganze Prozess findet zwischen sodass auf hormonaktive Substanzen verzichtet Gesa Otti- dem 45. und dem 55. Lebensjahr statt. Rosebrock werden kann. Neben einigen gezielten Fragen und Unterschieden wird eine Prämenopause von einer Postme- dem Grundwissen über pflanzliche Mittel benötigt nopause. Der Begriff Menopause definiert lediglich die letzte die Phytotherapie meist wenig Aufwand. Der Artikel reguläre Blutung, der während 12 Monaten keine weitere gibt anhand von Beispielen einen Einblick in diese folgt. Die Prämenopause wird zusammen mit der 12-monati- Methode. Wer themenspezifisch an der Phytothera- gen blutungsfreien Zeit als Perimenopause (frühe und späte) pie in der Gynäkologie interessiert ist, wende sich bezeichnet. Danach beginnt die Postmenopause (Tabelle). bitte an die am Artikelende angegebenen Home- Neben den Zyklusveränderungen können – ähnlich wie in der pages. Pubertät – emotionale Schwankungen, Unruhezustände, ver- mehrte Reizbarkeit, Traurigkeit, Wut und Ärger auftreten. Dorin Ritzmann Wechseljahre – eine Zeit der Umbrüche Und ebenso wie in der Pubertät ist alles eines Tages plötzlich (Gesa Otti-Rosebrock) vorbei, und wir befinden uns in einem neuen Gleichgewicht. Die Wechseljahre (Klimakterium) der Frau sind ein natürli- Nehmen wir uns also Zeit und finden über eine ausführliche cher Vorgang. Am Ende stellt sich normalerweise ein hormo- Anamnese und im Einzelfall ergänzende Laboruntersuchun- nelles Gleichgewicht ein. Dennoch sind 2 von 3 Frauen in die- gen heraus, in welchem Stadium des Wechsels sich die Frau ser Phase über einen mittleren Zeitraum von 2 bis 7 Jahren befindet und wie wir sie am besten unterstützen können. in ihrer Lebensqualität in unterschiedlichem Ausmass beein- Vorteile der Phytotherapie Die Phytotherapie (pflanzliche Arzneimittelheilkunde) arbei- Tabelle: Reproduktionsphasen der Frau tet regulativ und versucht, die natürlichen Defizite/Dysba- lancen entsprechend dem Zyklusgeschehen und dem Status der Wechseljahre durch ein Vielstoffgemisch auszugleichen. Hierbei bedient sie sich unter anderem hormonähnlicher Pflanzenwirkstoffe, ohne die Risiken und Nebenwirkungen einer klassischen menopausalen Hormonersatztherapie (MHT) einzugehen. Durch die Kombination verschiedener Pflanzenwirkstoffe entstehen zusätzlich synergistische Wir- kungen (2). Mittlerweile bietet die Phytotherapie ein weites evidenzba- siertes Spektrum, basierend auf herkömmlichen traditionel- len pflanzlichen Arzneimitteln. Neben den Evidenzlevels I Modifiziert nach Harlow SD et al., Menopause 2012 und II möchten wir betonen, dass dem sorgsamen Umgang – 12 –
Thema 3 + 4 • 2017 Achillea millefolium Cimicifuga racemosa Dioscorea villosa Hamamelis virginiana Hypericum perforatum mit den Evidenzlevels III und IV (Vergleichsstudien, Exper- spannen, Stimmungsschwankungen, erhöhte Reizbarkeit tengruppen/«evidenzbasiertes Wissen») im Praxisalltag eine Pathophysiologie: späte Prämenopause, Follikelreifungsstö- wesentliche Rolle zukommt (Kasten). rungen mit Anovulation, ungehinderter Aufbau des Endome- Anhand von drei typischen Fallbeispielen stellen wir die pa- triums, Durchbruchsblutungen mit zum Teil starken und lang thophysiologischen Zusammenhänge in den Wechseljahren anhaltenden Blutungen und ein jeweils individualisiertes phytotherapeutisches Kon- Therapieansatz: Stabilisierung der Zykluslänge und der Blu- zept praxisnah vor. tungsstärke, Behandlung der prämenstruellen Symptome Therapieoption: Fallbeispiel 1 • Vitex agnus-castus (Mönchspfeffer) (3–6) 48-jährige, perimenopausale Patientin: • Passiflora, Melisse, Pestwurz (7, 8). Symptome: Zyklusunregelmässigkeit in Form einer Tendenz zu selteneren, aber langen und starken Blutungen, Brust- Kommentar (Dorin Ritzmann) In der Prämenopause ist es wichtig, einen einigermassen Kasten: regelmässigen Zyklus zu erhalten. Damit verringert sich das Evidenzlevel Empfehlungsgrad Risiko starker und lang anhaltender Blutungen ebenso wie progredientes Myomwachstum und prämenstruelle Be- Ia Evidenz durch die Metaanalyse von randomisierten, kontrollierten Untersu- chungen. schwerden. Dies kann mit den Hauptpflanzen Daucus carota Ib Evidenz durch mindestens eine randomisierte, kontrollierte Untersuchung. Flos et Fructus (Wilde Möhre), Vitex agnus-castus Fructus Es ist in der Literatur, die gesamthaft von guter Qualität und Konsistenz sein (Mönchspfeffer), Achillea millefolium Herba (Schafgarbe) muss, mindestens eine randomisierte, kontrollierte Untersuchung vorhanden, die sich auf die konkrete Empfehlung bezieht (Evidenzlevel Ia, Ib). und Hamamelis virginiana Folium (Zaubernuss) gut erreicht IIa Evidenz durch mindestens eine gut angelegte, kontrollierte Studie ohne Ran- werden. domisierung. Eine typische Urtinkturmischung (1-mal täglich 10 Tropfen IIb Evidenz durch mindestens eine gut angelegte andere, quasiexperimentelle Studie. oral) kann so aussehen: III Evidenz durch gut angelegte, beschreibende Studien, die nicht experimentell • 30 ml Daucus carota Flos et Fructus (9, 10) sind, wie Vergleichsstudien, Korrelationsstudien oder Fallstudien. • 30 ml Hamamelis virginiana Folium (11, 12) Es sind zum Thema der Empfehlung gut kontrollierte, klinische Studien vor- handen, aber keine randomisierte, klinische Untersuchungen (Evidenzlevel • 20 ml Achillea millefolium Herba (13, 14) IIa, IIb, III). • 20 ml Vitex agnus-castus Fructus. IV Evidenz durch Expertenberichte oder Meinungen und/oder klinische Erfah- In diese Zeit fällt der Beginn der Gewichtszunahme, die als rung anerkannter Fachleute. Vorbereitung auf das Alter physiologisch ist. In der prä- Es ist Evidenz vorhanden, die auf Berichten oder Meinungen von Experten- kreisen basiert und/oder auf der klinischen Erfahrung von anerkannten Fach- menopausalen Zeit produziert der weibliche Körper viel leuten. Es sind keine qualitativ guten, klinischen Studien vorhanden, die direkt Östrogen und nimmt gleichzeitig an Körperfett zu, um das anwendbar sind (Evidenzlevel IV). Östrogen einzulagern. Dadurch kann die Frau zwischen dem Übersetzt aus dem Englischen (Quelle: RCOG Guidelines Nr. 44, 2006) 45. und 55. Lebensjahr um bis zu 10 kg zunehmen. Dies dient – 14 –
3 + 4 • 2017 Thema Lavandula angustifolia Melissa officinalis folium Passiflora incarnata Follium Salvia officinalis Vitex agnus-castus Fructus als Depot, das dann zwischen dem 55. und 65. Lebensjahr medical smoothie» (Grünsaft) in flüssiger Form eingenom- langsam wieder abgebaut wird, was sich in einer durch- men werden können. Zusätzlich hat sich eine Kombination schnittlichen Gewichtsabnahme von etwa 8 kg äussert. von folgenden drei Ölen als Nahrungszusatz bewährt: je ein Östrogen ist ein Elastizitätshormon, das Herz, Hirn, Knochen Teelöffel Leinöl (Linum usitatissimum), Hanföl (Cannabis sa- und Gefässe anpassungsfähig hält. Daher ist dieser Ge- tiva) und Leindotteröl (Camelina sativa). Sie alle sind reich wichtsbogen von grosser Bedeutung für ein gesundes Altern. an antiphlogistisch wirksamen Omega-3-Fettsäuren. Bei akuten Beschwerden, wie in obigem Fall, liegt der Fallbeispiel 2 Schwerpunkt auf einer Verminderung der Wallungen, da 50-jährige, postmenopausale Patientin diese meist die Hauptursache der Schlafstörungen und da- Symptome: permanente Hitzewallungen am Tag und in der mit indirekt von Erschöpfung und Unruhe sind. Eine Nacht, Schlafstörungen, Herzrasen, Gewichtszunahme und Wallungsabnahme kann mithilfe der nordamerikanisch-in- Hypercholesterinämie dianischen Heilpflanze Cimicifuga racemosa Radix (Trauben- Pathophysiologie: frühe Postmenopause; Abnahme der silberkerze) in Kombination mit Ribes nigrum Folium Ovarfunktion, überaktiver hypothalamischer GnRH-Puls- (Schwarze Johannisbeere) (21, 22) und Salvia officinalis Fo- generator durch ungenügende negative Rückkopplung der lium (Salbei) angestrebt werden. Noch wirksamer sind Kom- ovariellen Hormone. Neurotransmitter synchronisieren den binationen mit Nervina wie Humulus lupulus Fructi (Hopfen), Pulsgenerator und stimulieren weitere hypothalamische Hypericum perforatum Herba (Johanniskraut) und/oder Me- Neurone, die zum Beispiel die Herzaktivität und die Körper- lissa officinalis Folium (Zitronenmelisse) (23–25). Herzrasen, temperatur regulieren. eine weitere typische Beschwerde des Klimakteriums, Therapieansatz: Stabilisierung des hypothalamischen Puls- spricht gut auf Crataegus oxyacantha Folium et Flores generators, Verbesserung der Blutfettwerte, Reduktion des (Weissdorn) an (Urtinktur direkt auf die Zunge gegeben). Gewichts Weissdorn kann ergänzend auch als Nahrungsmittel täglich Therapieoption: eingenommen werden, zum Beispiel als junges Blatt in Salat • Cimifuga racemosa (Traubensilberkerze) (15–17) und Gemüse. • Salvia officinalis (Salbei) (18) • Crataegus oxyacantha (Weissdorn) (19) Fallbeispiel 3 • Humulus lupulus (Hopfen) (20) 57-jährige, postmenopausale Patientin Symptome: Depressionen, Gelenkschmerzen, Osteopenie Kommentar (Dorin Ritzmann) Pathophysiologie: späte Postmenopause Menopausale Beschwerden kommen meistens wellenartig Therapieansatz: Stimmungsaufhellung und Antriebsteige- und pendeln zwischen hochakut bis zu kaum mehr wahr- rung, antiphlogistisch, immunstabilisierend, Erhalt der Kno- nehmbar. Grundsätzlich lohnt sich eine Ernährung mit viel chenmasse frischem Blattgemüse und Blattsalaten, die auch als «green – 15 –
Thema 3 + 4 • 2017 Fazit (Gesa Otti-Rosebrock) Eine Basismedikation mit einem phyto- therapeutischen Arzneimittel (Fertigpro- dukt) kann durch eine individuell zu- sammengestellte Urtinkturmischung (Ma- gistralrezept) ergänzt oder auch ersetzt werden. So lässt sich die Einnahme meh- rerer Einzelprodukte reduzieren und die Compliance erhöhen. Die Wechseljahre möglichst natürlich zu begleiten und in dieser Übergangszeit in- Daucus carota Humulus lupulus dividuell unterstützt zu werden, ent- spricht zunehmend dem Wunsch der Frauen in unserer Gesellschaft. Dabei ist es hilfreich, den Ratsuchenden die phy- siologischen Prozesse zu erklären und sie zu motivieren, ihren Lebensstil diesen Ver- änderungen anzupassen. Ergänzend zu den vorgestellten Möglichkeiten phyto- therapeutischer Behandlung gehören dazu Themen wie Ernährung, körperliche Bewegung, die Beziehungspflege sowie der sorgsame Umgang mit sich selbst. Das schützende Östrogen und die Orien- Ribes nigrum Folium Crataegus oxyacantha tierung am «Wir» lassen nach, und das Therapieoption: bleibende «Ich» muss sich erst neu finden und Vertrauen fas- • Hypericum perforatum (Johanniskraut) (26, 27) sen. Achtsamkeitsbasierte Übungsverfahren zur Verbesse- • Trifolium-pratense-Isoflavon-Extrakt (Rotklee) (28) rung der Selbstwahrnehmung und der Selbstfürsorge sind für Frauen dieser Altersgruppe besonders hilfreich. Sie er- Kommentar (Dorin Ritzmann) möglichen eine Neudefinition der Haltung gegenüber den Wie bleiben wir gesund und munter im Alter? Depressionen, körperlichen und gesundheitlichen Veränderungen und Gelenkschmerzen und Osteopenie betreffen nicht aus- schaffen Spielräume für die Neuorientierung für den kom- schliesslich Frauen. Drei Bereiche sind mit Wohlbefinden im menden Lebensabschnitt. Alter korreliert: eine gute Paarbeziehung, körperliche Bewe- Korrespondenzadressen: gung und eine kleine geistige Herausforderung wie Schach- Dr. med. Gesa Otti-Rosebrock Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe spielen, Kreuzworträtsellösen oder Schreiben. Daneben hilft Rebenweg 34 2503 Biel eine gesunde Ernährung mit den oben erwähnten drei Ölen E-Mail: g.or@praxisfrauenmedizin-biel.ch sowie viel Blattgemüse und Blattsalat. Leichte bis mittel- Dr. med. Dorin Ritzmann schwere Depressionen sprechen sehr gut auf Hypericum per- Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe foratum Flos (Johanniskraut) an. Eine Kombination mit La- Medizin Feminin AG Austrasse 35a vandula angustifolia Flos (Lavendel) (29, 30) und Passiflora 8953 Dietikon E-Mail: dorin.ritzmann@medizinfeminin.ch incarnata Folium (Passionsblume) kann zusätzlich angstlö- send wirken. Gelenkschmerzen und die Abnahme der Kno- Gerne verweisen wir auf folgende Links: www.smgp.ch (Schweizerische Gesellschaft für Phytotherapie) chendichte sprechen meist gut auf eine lokale antiphlogisti- www.herbadonna.ch sche Behandlung an. Dies kann phytotherapeutisch mittels www.phytogyn.ch (praktische Phytotherapie in der Gynäkologie, D. Ritzmann) der indianischen Heilpflanze Dioscorea villosa Radix (Wilder alle Bilder © Dorin Ritzmann Yams) (31–34) als Emulsion erreicht werden. Eine Kombina- tion mit Larix decidua Terebintha (Lärche) erhöht die analge- tische Wirkung deutlich. – 16 –
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