Schienengüterverkehr - Vorbild Schweiz? - Die Nord-Süd-Achse: Unterwegs im wichtigsten europäischen Güterkorridor
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2 | 2013 Rubrik Das Schweizer Logistikmagazin CEO-Talk mit Thomas Amstutz, Feldschlösschen AG S. 26 Schienengüterverkehr – Vorbild Schweiz? Foto: Hans Musterann Die Nord-Süd-Achse: Unterwegs im wichtigsten europäischen Güterkorridor SBB Cargo 2 | 2013 1
Inhalt Schienengüterverkehr – Vorbild Schweiz? 4 4 Cargoland Schweiz Reportage: Von Basel nach Chiasso 12 Facts & Figures Faszination Cargo 14 Interview «Peter Füglistaler, wie wird die Güterbahn konkurrenzfähiger?» 17 Essay von Prof. Dr. Wolfgang Stölzle «Logistik trägt zum Wohlstand bei» 18 Regionale Cargo-Produktion Wie von Geisterhand bewegt Nord-Süd-Achse: Eine Reise quer durch die Schweiz. 22 Schienengüterverkehr in der Fläche «Wir benötigen mehr unternehmerischen Spielraum» 24 Schotter Neuigkeiten aus der Logistikbranche 26 CEO-Talk «Grundsätzlich kann jedes Gut auf die Schiene» 29 Cargo-Klick 12 Rollende Landstrasse Auf einen Blick: Die Dimensionen des über die Schweiz 30 Meine Logistik abgewickelten Gütertransports in bildhaften Vergleichen. Evelyne Binsack, Abenteurerin und Bergführerin Gratisabonnement auf www.sbbcargo.com/de/abonnement 2 | 2013 Das Schweizer Logistikmagazin Rubrik Abonnieren Sie das Cargo-Magazin kostenlos. Leserinnen und Leser, die in der Schweiz wohnen, wählen zwischen einer gedruckten und einer elektronischen Version. Oder bestellen beide Sorten. Wer ausserhalb der Schweiz wohnt, liest die elektronische Version. CEO-Talk mit Adresse ändern, Abonnement ändern oder löschen Thomas Amstutz, Feldschlösschen AG S. 26 Über www.sbbcargo.com/de/abonnement oder cargomagazin@sbbcargo.com Schienengüterverkehr – Vorbild Schweiz? SBB Cargo-Zug bei geben Sie uns Ihre neue Adresse, Änderungen oder die Löschung des Foto: Hans Musterann Die Nord-Süd-Achse: Unterwegs im wichtigsten europäischen Güterkorridor SBB Cargo 2 | 2013 1 Wassen am Gotthard. Abonnements bekannt.
Editorial Liebe Leserin, lieber Leser www.sbbcargo.com Weiterführende Informationen im Webportal von SBB Cargo sind mit diesem Icon markiert. blog.sbbcargo.com Weiterführende Informationen im Cargo-Blog sind mit diesem Icon markiert. S icher ist es Ihnen aufgefallen: Sie halten die erste Ausgabe des neu konzipierten Magazins von SBB Cargo in Ihren Händen. Damit möchten wir Ihnen von nun an ein Logistikmagazin bieten, das noch anschaulicher über Branchentrends, Technologien und neue Perspektiven informiert. Natürlich soll auch Überraschendes, Kontroverses und Impressum Cargo 2 | 2013 Unterhaltendes nicht zu kurz kommen. Neu ist zudem, dass wir uns mit Das Logistikmagazin von jeder Nummer ein bestimmtes Thema vornehmen und dieses ausführlich SBB Cargo erscheint dreimal pro Jahr in Deutsch, beleuchten. M Französisch und Italienisch. Gesamtauflage it «Schienengüterverkehr – Vorbild Schweiz?» ist das erste 13 000 Exemplare Themenmagazin betitelt. Als Marktführerin im schweizerischen Redaktion (SBB Cargo) Martin Radtke (Leitung), Schienengüterverkehr möchten wir Ihnen einen Einblick geben in Karin Grundböck, die Besonderheiten unseres Alpenlands. Wo liegen die Unterschiede zu den Martina Riser, Miriam Wassmer, Nachbarn, welches sind die Herausforderungen, was haben wir zu bieten Matthias Widmer und worum dreht sich bei uns die aktuelle Debatte in der Verkehrspolitik? Redaktionelle Mitarbeit (Crafft) Um das herauszufinden, haben wir kompetente Journalisten auf die Piste Roy Spring (Leitung), geschickt, Experten um ihre Meinungen gebeten und spannende Menschen Peter Krebs, Robi Wildi, Pirmin Schilliger, interviewt. Für die Premiere haben wir uns ein ganz besonderes Datum Jean-Pierre Ritler ausgesucht: Vom 4. bis 7. Juni findet in München bekanntlich die Transport Konzept, Gestaltung und Realisation Logistik statt – ein absoluter Pflichttermin unserer Branche. Auch für uns! S Crafft Kommunikation AG, Coverfoto: SBB Cargo, Fotos: Roland Tännler, Illustration: Hansjakob Fehr, 1Kilo Zürich Übersetzungen BB Cargo stellt die Weichen für die Zukunft. Zusammen mit Ihnen Traductor, Basel wollen wir neue Wege gehen, interessante Möglichkeiten erkennen, Lithografie und Druck Neidhart + Schön AG, Zürich wertvolle Potenziale ausschöpfen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen Redaktionsadresse eine anregende Lektüre. SBB Cargo «Redaktion Logistikmagazin cargo» 4065 Basel, Schweiz Martin Radtke cargomagazin@sbbcargo.com Leiter Crossmedia SBB Cargo Das Copyright für dieses martin.radtke@sbbcargo.com Magazin liegt bei SBB Cargo. Der Abdruck von Artikeln ist unter Quellenangaben erlaubt. Bitte schicken Sie uns jeweils ein Belegexemplar.
2. Rangierbahnhof Basel-Muttenz: Die wichtige Drehscheibe im europäischen Netz wird modernisiert. Cargoland Schweiz Mitten durch die Schweiz führt der wichtigste europäische Güterkorridor. Hier werden zwei Drittel der Waren auf der Schiene befördert – eine grosse Herausforderung für SBB Cargo und ihre Partner. Unterwegs auf der Strecke von Basel nach Chiasso.
Cargoland Schweiz Text: Pirmin Schillinger Kleinhüningen das trimodale Terminal Fotografie: Roland Tännler Basel Nord. Es umfasst ein drittes Hafen- becken sowie Gleis- und Krananlagen für A die rund 700 Meter langen Züge. «Ein ussichtsplattform Bernoulli- Quantensprung in der Bahnproduktion», Silo in Basel-Kleinhüningen so Röthlingshöfer. Heute müssen die am Dreiländereck: Rund 50 Züge, weil die Gleise an den Piers lediglich Meter über dem Boden fällt 150 bis 200 Meter lang sind, zerlegt und der Blick steil auf die mit Lagergebäuden, mühsam wieder formiert werden. Für SBB Hallen und Gleisen bebaute Hafenanlage. Cargo bedeutet das Terminal Basel Nord Ein Kran greift sich Schrott aus einem das zweite Grossprojekt für den Güterum- Waggon und lässt ihn nach einer elegan- schlag im kombinierten Verkehr, nebst ten Drehung in einen Schiffsbauch pol- dem neuen Gateway beim Rangierbahn- tern. Der Rhein durchschneidet die Land- hof Limmattal. schaft und verliert sich im Morgendunst. Wenige Minuten nur dauert es, bis ein Am Rande des Hafenbeckens rollt ein in den Rheinhäfen beladener Güterzug mächtiger Kran hin und her; der stähler- in den Rangierbahnhof Basel-Muttenz 2. ne Koloss wirkt aus der Distanz beinahe einfährt. Ein Meer aus Schienen und Mas- spielerisch. Hapag-Lloyd, Hanjin, Maersk – ten, Bauteams verlegen neue Schienen, aus der ganzen Welt hat die Übersee- die Modernisierung der Anlage Basel I ist fracht auch in Containern ihren Weg nach im September 2013 abgeschlossen. Danach Basel gefunden. gilt das klassische Rangierprinzip weiter- Rund 320 Güterzüge verlassen den Über die Bedeutung des Hafens 1. Rangierbahnhof Basel-Muttenz an einem hin: Die von einer Rangierlok über den Ab- lässt Florian Röthlingshöfer, Projektleiter durchschnittlichen Verkehrstag. laufberg geschobenen Waggons bewegen Areale und Hafenbahnen der Schweizeri- sich wie von Geisterhand übers Areal. Rol- schen Rheinhäfen (SRH), keine Zweifel: len über Weichen in den weit sich öffnen- «Die Achse Rotterdam–Basel–Genua ist den Fächer von Richtungsgleisen, kommen der mit Abstand wichtigste europäische schliesslich mit sanftem Ruck zum Stehen. Güterverkehrskorridor. Basel bildet eine «Das Rangieren ist weitgehend automati- natürliche Schnittstelle in diesem Ver- siert, aber einen Geisterbahnhof haben wir kehrssystem, weil hier die schiffbare noch lange nicht», meint Christoph Buser, Rheinroute endet.» Was über rund 900 stellvertretender Leiter des Rangierbahn- Kilometer in vier Tagen flussaufwärts hofs Basel. Rangierarbeiter kuppeln wie eh transportiert wird und weiter südwärts und je Waggons. Verschwunden sind hinge- soll, muss am nördlichen Eingangsportal gen jene Männer, die früher die Waggons zur Schweiz umgeladen werden. Rund 40 mit Reglern und Hemmschuhen manuell Prozent der Ware gelangt auf Lastwagen, gestoppt haben. Gebremst wird nun elek‑ 60 Prozent nimmt die Bahn auf, 85 Pro- trodynamisch. Also leiser, das schätzen zent davon SBB Cargo. Rund 7500 Züge die Anwohner. mit 100 000 Waggons zirkulieren hier jährlich und verteilen die Güter, teilweise Lokführerwechsel in Goldau über Zwischenstationen, in der ganzen Basel-Muttenz ist eine internationale Schweiz. Gewisse Frachten werden auch Drehscheibe. Einerseits findet hier für in den Transitverkehr auf die Nord- Züge aus Frankreich und Deutschland der Süd-Achse eingeschleust, etwa Schrott Lokwechsel statt. Andererseits werden aus Deutschland für norditalienische Güterzüge für die lokale Verteilung der Stahlwerke. Güter in der Nordwestschweiz oder den Weil der Warenfluss auf den Weltmee- Transit nach Italien neu formiert. Rund ren wächst und der Seehafen Rotterdam 320 Güterzüge verlassen an einem durch- seine Kapazitäten massiv ausbaut, geraten schnittlichen Verkehrstag den Rangier- die Häfen im Hinterland in Zugzwang. bahnhof. In Zukunft soll die Anlage Basel Laut Prognosen wird sich der Container- I, die den Südverkehr bündelt, zusammen verkehr zwischen der Nordsee und mit der für die Nordrichtung verantwort- den Schweizerischen Rheinhäfen in den lichen Anlage Basel II zu einem der mo- nächsten zwanzig Jahren verdoppeln bis dernsten Rangierbahnhöfe im europäi- verdreifachen. «Die Nachfrage nach mehr «Basel bildet eine schen Netz werden. Umladeleistung vom Schiff auf die Bahn natürliche Schnittstelle in Anderthalb Stunden nach der Abfahrt wird massiv steigen», so Röthlingshöfer. in Basel-Muttenz erreicht ein mit Contai- Darum planen die Schweizerischen Rhein- diesem Verkehrssystem.» nern beladener, ursprünglich in Ludwigs- häfen und SBB Cargo gemeinsam in Florian Röthlingshöfer hafen gestarteter Güterzug über Bözberg– 6 SBB Cargo 2 | 2013
Cargoland Schweiz Freiamt–Rotkreuz den Bahnhof Goldau. Interview mit Daniel Marbach, Logistikchef bei AMAG Hier beginnt das Nadelöhr der Gotthard- Strecke: Alle Zugangskorridore aus dem Mittelland verschmelzen zu einer einzi- «Die Bahn ist uns ein gen Linie. Ein Lokführerwechsel 3. ist an- gesagt: Dominik Baumberger löst seinen zuverlässiger Partner» Kollegen Damian Schelbert ab. Die beiden Männer tauschen ein paar Informationen Die AMAG Automobil- und Motoren AG ist mit einem aus – und schon geht die Reise weiter. Marktanteil von 29 Prozent der grösste Autoimporteur der Baumberger, 34, seit elf Jahren ausgebilde- Schweiz. Warum sie bei der Einfuhr der Volkswagen, ter Lokführer, kennt die Nord-Süd-Route Audi, Skoda, Seat und VW-Nutzfahrzeuge mehrheitlich auf die Schiene setzt, erklärt Logistikchef Daniel Marbach. wie seine Hosentasche. Weil die Waggons schwer beladen sind, wird in Erstfeld eine SBB Cargo: Wie viele der von AMAG im letzten Jahr importierten dritte Lok angehängt. Sie sorgt für zusätz- 90 0 00 Autos gelangten per Bahn ins Zentrallager nach Birrfeld? lichen Schub. Durch Kehrtunnels gehts Daniel Marbach: Mehr als 50 000 Fahrzeuge waren es, die auf der nach oben zum Nordportal des Tunnels. Schiene importiert wurden. Die Gotthardstrecke 4. verlangt erhöh- te Aufmerksamkeit. Mit einem Auge späht Folglich wurden rund 40 000 Fahrzeuge im letzten Jahr auf der der Lokführer auf die Hänge, wo Stein- Strasse in die Schweiz gebracht. Wer oder was entscheidet über die jeweilige Transportart? schlag und Lawinen drohen, mit dem an- Diese Frage können wir wohl nicht ganz befriedigend beantworten. deren kontrolliert er die Instrumente. Die Transporte in die Schweiz werden von der Volkswagen AG in «Nach so vielen Jahren kennt man die Deutschland organisiert. Wir haben nur eine geringe Mitsprache, wie Strecke und merkt schnell, wenn etwas die Transporte in Deutschland organisiert werden. Wir setzen uns nicht stimmt», sagt Baumberger. Bei für die Lieferung per Bahn ein, jedoch entscheidet die Volkswagen AG einem Zwischenfall würde er sofort die aufgrund von Preis, Leistung und Herkunft. Leitstelle in Olten kontaktieren. Diese Eine wie lange Bahnreise legen die Autos im Schnitt zurück? plant nicht nur die Einsätze der Lokführer Die Fahrt vom jeweiligen Produktionswerk bis nach Birrfeld inklusive und Lokomotiven. Sie begleitet, steuert Pufferung in Basel beträgt im Schnitt sechs Tage. Die längste und überwacht überdies die bis zu 100 Reisezeit haben die Waggons aus Pamplona in Nordspanien. Sie Transitzüge, die an Spitzentagen von SBB sind durchschnittlich zehn Tage unterwegs. Cargo International auf der Nord-Süd- Achse gefahren werden. Warum setzt AMAG überhaupt auf die Bahn? Was sind die Vorteile Rund zwölf Stunden dauert die Fahrt gegenüber der Strasse? Die Bahn ist für uns ein zuverlässiger, preiswerter und ökologischer von Ludwigshafen nach Gallarate bei Mai- Verkehrsträger. Die Kapazitäten sind auch für grössere Mengen land. Knapp die Hälfte der Zeit entfällt auf geeignet. Zudem setzt auch unser Partner in Deutschland, die Volks- die Strecke durch die Schweiz. Schichtlei- wagen AG, wenn immer möglich auf die Schiene. ter Thomas Galliker sagt zur Herausforde- rung, die sich ihm und seinem Team stellt: Auch für die Teilelogistik, also die Auslieferung von Ersatzteilen, «Wir sind verantwortlich, dass der Zug nutzt die AMAG für längere Distanzen die Bahn. Wofür konkret? plangemäss von A nach B gelangt.» Bis zu Wir nutzen die Bahn für die Belieferung unserer regionalen Ersatz teillager im Tessin und in der Westschweiz ab unserem Teilelogistik- vier Bildschirme flimmern auf dem Tisch Center in Buchs ZH. eines Disponenten. Sie erlauben ihm den Überblick vom Güterzugs-Fahrplan bis zu Was ist bei dieser Distribution die eigentliche Stärke der Bahn? Details der Fracht in den einzelnen Wag- Der grosse Vorteil ist die Nutzung der Nachtzeit. Dank dem täglichen gons. Pünktlich trifft Baumberger nach Nachtsprung mit ein bis zwei Schiebewand-Güterwagen zwischen zweieinhalb Stunden in Bellinzona ein Buchs und Crissier-Lausanne können Kunden in der Westschweiz bis und übergibt den Güterzug an einen Tes- um 17 Uhr am Abend Ersatzteile bestellen, die sie dann am nächsten Tag ausgeliefert bekommen. siner Kollegen. In ein paar Jahren wird die Fahrzeit dank der neuen Alpentrans- Mit welcher Entwicklung rechnen Sie in Zukunft: Wird die Bahn versale (NEAT) deutlich kürzer sein. für die Logistik von AMAG noch wichtiger? Die Zukunft kündigt sich in Erstfeld Die weitere Entwicklung ist noch nicht genau absehbar. Ich gehe und Bodio vor den Eingangsportalen des davon aus, dass das Auftragsvolumen stabil bleiben wird. Jedoch Gotthard-Basistunnels an. Der Talboden muss sich auch unsere Logistik immer wieder den Anforderungen des ist überstellt mit Werkstätten, Baracken, Marktes stellen. Entsprechend werden unsere Logistikpartner aufs Neue gefordert sein, eine exzellente Leistung zu vertretbaren Lastwagen und Baggern. Im Moment wird Kosten zu erbringen. Die Bahn ist dazu gut aufgestellt – an uns soll Bahntechnik in den Berg eingebaut: Die es nicht liegen. Arbeiter verlegen die Gleise und installie- ren Sicherheits- und Leittechnik. SBB Cargo transportierte einen grossen Teil des Aushubs für den 57 Kilometer > SBB Cargo 2 | 2013 7
4. Gotthard-Basistunnel: Göschenen wird durch die Neue Eisenbahn-Alpentransversale (NEAT) entlastet.
langen Tunnel. Die rund 25 Millionen Tonnen entsprechen dem fünffachen Vo- lumen der ägyptischen Cheops-Pyramide. Sauberer Strom aus den Bergen Der neue Gotthard-Basistunnel wird, wenn er im Dezember 2016 eröffnet wird, die Reisezeit um mehr als eine Stunde ver- kürzen. Davon soll nicht nur der Perso- nen-, sondern auch der Güterverkehr pro- fitieren. Beim Bundesamt für Verkehr hofft man, dank des Basistunnels die bis 2030 prognostizierte Verdoppelung des Güterverkehrs auf der Achse Rotterdam– Genua auf der Schiene auffangen zu kön- nen. Ob der neue Tunnel zum Meilenstein in der Verlagerungsstrategie wird, hängt auch von verschiedenen politischen Ent- scheiden ab. Notwendig ist etwa der Aus- bau von Zufahrtsstrecken. Unverzichtbar sind durchgehende Viermeterkorridore für den Transport der Auflieger oder Wechselbrücken von Sattelschleppern. Diese machen auf der Nord-Süd-Achse 60 Prozent der Nutzfahrzeuge aus. Mit der Eröffnung des Gotthard-Basis- 5. Cadenazzo: Das neue Umschlagterminal zwischen Bellinzona und Locarno bietet alles auch für den kombinierten Verkehr. tunnels wird die Nachfrage nach Strom deutlich steigen. Um den zusätzlichen Be- darf südlich des Gotthards abzudecken, will die SBB zusammen mit der Azienda Elettrica Ticinese (AET) das Kraftwerk Ritom erneuern. Geplant sind bis 2018 zwei neue Turbinen von je 60 Megawatt Leistung. Sie werden vier deutlich schwä- chere Turbinen ersetzen. Die entspre- chenden Druckleitungen, die eine Fall höhe von 850 Metern nutzen, sind als auffällige Schneise im Schutzwald bei Ambrì weithin sichtbar. Parallel zu den mächtigen vier grünen Röhren führt ein Bahngleis nach oben. Mit bis zu 87 Pro- zent Steigung fährt hier eine der steilsten Standseilbahnen der Welt hinauf in die Nähe des Ritomsees. Ein Stausee speist seit Jahrzehnten das Kraftwerk unten im Tal. Mit einer Leistung von 44 Megawatt gehört es zu den kleineren der insgesamt sechs Was- serkraftwerke der SBB. Mit dem geplanten Ausbau wird es aber an Bedeutung gewin- nen. Bis spätestens 2025 sollen alle Züge, so die Energiestrategie der SBB, mit Strom aus erneuerbaren Quellen fahren. Heute beträgt der Anteil nachhaltig produzierter Energie bereits 80 Prozent. Vier Gleise, drei Schotterbette, zwei Betonrampen und ein kleines Betriebs‑ gebäude: Vor einem Jahr wurde im In‑ dustriegebiet von Cadenazzo 5. das neue Umschlagterminal eröffnet. Luca Bogana 6. Chiasso: Obschon im Güterverkehr immer mehr ganze Zugskompositionen von Nord- nach Südeuropa verschoben werden, spielt der Grenzbahnhof als Rangierknoten weiterhin eine wichtige Rolle.
Cargoland Schweiz steuert den Reachstacker, der Container tungen, die für die Abwicklung des Güter- Zahlen und Fakten bis zu vierzig Tonnen zu heben vermag, an verkehrs am Grenzbahnhof Chiasso nötig einen Waggon heran. Der Koloss erinnert sind», sagt Leiter Marcelino Mantilla. Seit an einen Tintenfisch, auch wenn er nicht dem Beitritt der Schweiz zum Schengener Wettbewerbsfähig zehn, sondern nur vier Arme ausfahren Abkommen 2008 ist zwar vieles einfacher ab 100 Kilometern kann. Diese umklammern einen Contai- geworden. Davon profitieren vor allem die ner, hieven ihn in die Luft und bugsieren rund 120 Transitzüge, die hier täglich Schweizerische Rheinhäfen: ihn mit einem Viertelschwenker vorsich- durchfahren. Doch im Import-/Exportver- 12 Prozent des Warenimports in die tig auf einen Lastwagen. Die Fracht, die kehr zwischen der Schweiz und Italien Schweiz oder rund 6,2 Mio. Tonnen nun ein Chauffeur von Galliker-Logistik werden die Güter weiterhin an der Grenze wurden 2012 in den Schweizerischen im Tessin feinverteilen wird, ist am Mor- kontrolliert. Im Gebäude von SBB Cargo Rheinhäfen (SRH), umgeschlagen: gen mit einem Zug aus dem Rangierbahn- haben auch die Beamten der Guardia di Mehr als die Hälfte des benötigten Erdöls, grosse Mengen an Massen- hof Limmattal eingetroffen. Weitere Con- Finanza ihre Büros. «Wir führen stets gütern wie Nahrungs- und Futter tainer warten auf die Tentakel der mobilen Sichtkontrollen und gelegentlich Stich- mitteln, Dünger, Aluminium, Eisen, Umschlagmaschine: Gelb leuchtende von proben bei den Ladungen durch», verrät Stahl und Buntmetallen, Zellstoffen Post Logistics zum Beispiel, oder mit der italienische Zollverantwortliche. und chemischen Erzeugnissen. Zwiebeln, Käse, Tomaten und Salat deko- Aufwand verursachen an der Grenze rierte von McDonald’s. Auch die Fastfood- auch die unterschiedlichen eisenbahn- Alpenquerender Güterverkehr: kette setzt beim Transport ihrer Kühlcon- technischen Vorschriften der beiden Län- Schon heute rollen rund 65 Prozent des Güterverkehrs durch die Schwei- tainer auf die Schiene. der. Dabei geht es vor allem um Sicher- zer Alpen über die Schiene, mehr- heitsaspekte. Für den Transport von heitlich im kombinierten Verkehr, Gefahrgut etwa gelten in Italien andere ein kleinerer Teil im Wagenladungs- «Die neue Umschlags- Bestimmungen als in der Schweiz. Nicht verkehr. Der Marktanteil der Schiene zuletzt sorgt in Chiasso eine achtköpfige philosophie müssen viele Leitstelle für den möglichst reibungslosen im alpenquerenden Güterverkehr beträgt in Österreich 30 Prozent, erst noch entdecken.» Einsatz von Menschen und Maschinen. in Frankreich 10 Prozent. Das von Franz Hurschler geleitete Team Giorgio Biasca Vernünftiger Energieverbrauch: arbeitet dabei eng mit der Zentrale von Mit lediglich 4 Prozent Anteil am SBB Cargo, mit DB Schenker und anderen Energieverbrauch des Verkehrs Ein Jahr nach der Eröffnung sind die vier Bahnunternehmen sowie mit SBB Infra- transportiert die SBB 17 Prozent der je 220 Meter langen Gleise zwar noch struktur zusammen. Menschen und 38 Prozent der Güter nicht ausgelastet. Aber Giorgio Biasca, der Obschon im Güterverkehr immer in der Schweiz. Zusätzlich leisten mit einem Dutzend Leuten das neue Ter- mehr ganze Zugskompositionen von SBB und SBB Cargo dank der umweltfreundlichen Gewinnung des minal betreut, macht sich keine Sorgen. Nord- nach Südeuropa verschoben wer- Schweizer Bahnstroms aus Wasser- «Wir haben mit einer gewissen Anlaufzeit den, spielt der Grenzbahnhof als Rangier- kraft (80 12) einen erheblichen gerechnet», sagt er. Die neue Umschlags- knoten weiterhin eine wichtige Rolle. Beitrag an den Klimaschutz in der philosophie müssten viele Unternehmen Rund 60 Güterzüge, die hier neu gebün- Schweiz. eben erst noch entdecken. Cadenazzo bie- delt werden, verlassen täglich den Bahn- tet den Transporteuren und Spediteuren hof. Die Transitzüge wiederum schalten, arktführerin SBB Cargo: M jedenfalls alle für den kombinierten Ver- wenn sie nach fünf bis sechs Stunden die SBB Cargo hat einen Anteil von 23 Prozent an der gesamten Trans- kehr notwendigen Umschlagmöglichkei- Schweiz passiert haben, an der Grenze portleistung auf Schiene und ten. Und der Wirtschaftsraum zwischen zwecks Lok- und Lokführerwechsel einen Strasse. Sie ist damit das grösste Bellinzona und Locarno hat einen um- rund einstündigen Zwischenhalt ein. Gütertransportunternehmen der weltfreundlichen Anschluss an die übri- Visiteur Elvis Corti schreitet Wagen Schweiz. gen Umschlagplattformen in der Schweiz für Wagen ab, kontrolliert den techni- erhalten. schen Zustand, Bremsen und Profile. Der- Wettbewerbsfähiger Güterverkehr: Cadenazzo ist nicht nur Umschlagter- weil tauschen der Wagenkontrollbeamte Die Wahl des Transportmittels im Güterverkehr ist in hohem Masse minal für Container. Cadenazzo ist auch Sandro Brazzola und der Lokführer vorne vom relativen Preisniveau zwischen einer von 374 Bedienpunkten im Wagen bei der Lokomotive noch ein paar Worte. Schiene und Strasse abhängig. In ladungsverkehr in der Schweiz, den SBB Dann gibt Brazzola das Signal zur Ab- der kleinräumigen Schweiz muss der Cargo und die anderen Bahnen regel fahrt. Pünktlich nimmt der mit Eisen- Schienengüterverkehr bereits auf mässig anfahren. Dieses Transportsystem bahnschienen beladene Zug Fahrt auf. kurzen Strecken ab 100 Kilometern ist für die Schweiz wichtig. Das Netz ist wettbewerbsfähig sein. auch im europäischen Vergleich sehr dicht. Effizienter Transport: Ein Güterzug aus Bologna wartet vor Die effizienteste Transportart im dem Kompetenzzentrum von SBB Cargo kombinierten Verkehr ist der Contai- in Chiasso 6. auf die Weiterfahrt. Die tech- ner- und Wechselbehälterverkehr, nische Kontrolle ist eine der vielen Aufga- vor demjenigen von Sattelaufliegern ben eines Grenzbahnhofs. «Wir bieten und von kompletten Lastwagen den Bahnverkehrsunternehmen alle Leis- (Rollende Landstrasse, RoLa). SBB Cargo 2 | 2013 11
Facts & Figures Faszination Cargo Die Dimensionen des über die Schweiz abgewickelten Gütertransports sprengen oft jede Vorstellungskraft. Folgende Vergleiche helfen, sie besser zu verstehen. 425 Jumbojets Das Gewicht, das SBB Cargo jeden Tag transportiert, entspricht dem Gewicht von 425 voll beladenen Jumbojets*, nämlich 175 000 Tonnen. Jährlich bewegt SBB Cargo 43 700 000 Tonnen Güter. * Boeing 747 - 400 16 6,5 Fussballfelder Um einen Getreidewagen von 66 Tonnen zu Frachter füllen, sind 16 Fussballfelder à 6500 m 2 Getreide nötig. Daraus lassen sich über 1 300 000 Brötchen backen – damit könnte man die Bevölkerung der Containerschiffe sind die Giganten der Weltmeere. Stadt Luzern für gut zwei Wochen mit Frühstück Illustration: Hansjakob Fehr, 1Kilo Das derzeit grösste Transportschiff fasst gut versorgen. 16 000 TEU. Fast 6,5 Frachter sind nötig, um die Anzahl TEU zu transportieren, die jährlich über die Schweizerischen Rheinhäfen laufen. 12 SBB Cargo 2 | 2013
Facts & Figures 79 2 0 0 ü g e v on S B B C a rg o ru g n e l. Je d km d 79 2 0 0 K ilomete e Woche le g e r weit – n d ie Wa n d z u rü gen ck . Z o ä g li c h fa h ren d ie w e im a l d ie Erd k u r Erde bis zu m M r w e it . T it z n z v on de ilomete nden som d ie Dista illionen K u nd u m ru C a rg o Ca rgo 2 8 ,9 M v on S B B e v on S B B u nd L ok s n d ie Züg h r fa h re P ro Ja 600 km 100 000 Von Basel bis nach Venedig würde man kommen, wenn man sämtliche Container aneinanderreihen würde, die pro Jahr im Import und Export über die schweizerischen Rheinhäfen abgewickelt werden. Container Im Import und Export werden jährlich rund 100 000 Container* über die schweizerischen Rheinhäfen in Basel abgewickelt. Würde jeder Container mit einem einzelnen Lastwagen transportiert, so müsste alle fünf Minuten ein Lastwagen die Landesgrenze passieren – rund um die Uhr während 365 Tagen. * Die Masseinheit eines Standardcontainers heisst TEU. 1 TEU entspricht einer sogenannten Twenty-foot Equivalent Unit und entspricht einem Container von 20 Fuss Länge und 8 Fuss Breite ( 2,4 x 6 m ) und einem Volumen von 33 m3 . 1000 Haushalte Ein Ölwagen von ChemOil, einer Tochter von SBB Cargo, fasst 65 0 00 Liter. Um einen Öltanker zu leeren, sind drei Züge mit gefüllten Wagen mit einem Fassungsvermö- gen von 3 510 000 Litern nötig. Mit dieser Menge Öl könnte man 1000 Haushalte ein ganzes Jahr lang heizen. Sonder ausstellung - Verke SBB Cargo im Verkehrshaus Luzern h rs Lu z e r h a u s n Bis zum 20. Oktober 2013 ist SBB Cargo – zusammen mit Schulklassen und Jugendliche haben die Möglichkeit, die anderen Firmen aus dem Transport- und Logistikbereich – Berufe im Transport- und Logistiksektor kennenzulernen. Teil der Sonderausstellung «Cargo – Faszination Trans- Erwartet werden insgesamt rund 350 000 Besucher. port» im Verkehrshaus Luzern. In 40 Containern können auf spielerische Weise die Zusammenhänge und Hinter- gründe erlebt werden. Anhand konkreter Beispiele http://bit.ly/11HH3Tf wird aufzeigt, wie die globale Transportkette funktioniert. Video über die Ausstellung im Cargo-Blog. SBB Cargo 2 | 2013 13
Interview Direktor des Bundesamts für Verkehr «Peter Füglistaler, wie wird die Güterbahn konkurrenz- Foto: Peter Schneider / Keystone fähiger?» 14 SBB Cargo 2 | 2013
Interview Die Bahn hat im Güter Der Schweiz ist es als einzigem Alpen- wir dem Parlament eine Vorlage unter- land im Nord-Süd-Transit gelungen, den breiten, die diese Finanzierung beinhal- verkehr europaweit Schwerverkehr mengenmässig zu stabi‑ tet. Italien und die Schweiz haben ein einen schweren Stand lisieren. Dank der Verlagerungspolitik entsprechendes «Memorandum of Under- können wir pro Jahr rund 600 000 Last- standing» unterzeichnet. Mit dazu gehört gegenüber der Strasse. wagenfahrten durch die Schweizer Alpen der Bau eines zusätzlichen Terminals Im Transit durch die vermeiden. Der Bundesrat hat aber schon östlich von Mailand. Zusammen mit Schweizer Alpen ist sie vor zwei Jahren gesagt, dass mit den gel- den Streckenanpassungen in der Schweiz tenden gesetzlichen Möglichkeiten das geht es um ein Projekt von fast einer Mil- aber die Nummer 1. «Das Ziel von 650 000 Fahrten nicht zu errei- liarde Franken. Das zeigt den Willen der wird auch so bleiben», chen sei. Das ist jedoch keine Absage an Schweiz, die Verlagerung voranzutreiben. die Verlagerungspolitik. Deshalb planen sagt Peter Füglistaler, wir neue Impulse. Wie steht es mit dem Ausbau der Zulauf‑ Direktor des Bundesamts strecken in Deutschland? Um die Alpentransitbörse, die die Fahr– In den letzten zwei Jahren gab es deut für Verkehr. Dazu braucht tenzahl beschränken würde, ist es liche Fortschritte. Es wurde ein Projekt- es Impulse und neue aber ruhig geworden. Ist sie vom Tisch? beirat eingesetzt, der die Anliegen der Infrastrukturen. Wir sind weiterhin im Gespräch mit der Anwohner aufnimmt. Gewisse Ausbauten Europäischen Union, um solche steuern- kommen nun voran, so dass die nötigen den Instrumente umsetzen zu können. Kapazitäten schrittweise bis 2025 zur Die Akzeptanz ist aber sehr gering. Der Verfügung stehen werden. Zeitpunkt für eine mögliche Umsetzung ist nicht absehbar. Somit spielen die neuen Infrastrukturen «Wir wollen den Anteil eine umso grössere Rolle. Was verspre‑ der Schiene auf diesem chen Sie sich vom Gotthard-Basistunnel und vom Viermeterkorridor für den hohen Wert halten.» Bahngüterverkehr, die 2016 bzw. 2020 eröffnet werden sollen? Der Gotthard-Basistunnel wird zusam- Der Bundesrat erhöht die Schweizer men mit dem Ceneri-Basistunnel die Trassenpreise in zwei Schritten. Er Flachbahn durch die Alpen realisieren. verteuert damit den Bahngüterverkehr. Das wird die Wettbewerbsfähigkeit der Ein Widerspruch zur angestrebten Text: Peter Krebs Schiene steigern. Dank des Korridors Verkehrsverlagerung? Im alpenquerenden Transitgüterver‑ werden ab 2020 Lastwagen bis vier Meter Auch für die Bahn gilt die Kostenwahr- kehr gilt die Schweiz als Vorbild. Eckhöhe und 700 Meter lange Güterzüge heit. Die ungedeckten Infrastruktur Die Schiene hat einen Marktanteil von von Rotterdam bis in die Terminals nach kosten der Bahn betrugen 200 Millionen über 60 Prozent. Warum ist der Modal Mailand verkehren können. Davon ver- Franken. Der Güterverkehr musste davon Split deutlich höher als von Frankreich sprechen wir uns einen weiteren deutli- nur 20 Millionen Franken tragen. Zudem und Österreich nach Italien? chen Produktivitätsfortschritt. haben wir die Trassenpreise differen- Peter Füglistaler: Das ist eine Folge der ziert. Wer ausserhalb der Spitzenzeiten konsequenten schweizerischen Verlage- Wie wird sich das auf den Modal Split fährt und lärmarmes Rollmaterial ver- rungspolitik. Verschiedene Elemente tra- auswirken? wendet, kommt günstiger weg. Zu erwäh- gen dazu bei, insbesondere die leistungs- Wir gehen davon aus, dass wir die Last- nen ist auch, dass das Bundesamt für abhängige Schwerverkehrsabgabe (LSVA), wagenfahrten bei etwa 1,2 Millionen Fahr‑ Verkehr den Bahnstrom für den Güter- das Nacht- und Sonntagsfahrverbot auf zeugen pro Jahr stabilisieren können und und Regionalverkehr per Anfang 2013 um der Strasse, die Förderung des Kombi- dass die Schiene den grössten Teil des 10 Prozent reduziert hat. nierten Verkehrs und die Marktöffnung zu erwartenden Wachstums übernehmen auf der Schiene. Wir wollen den Anteil kann. Für Lärmschutz im Bahnverkehr hat der Schiene weiter auf diesem hohen der Bund viel Geld in die Hand Wert halten. Der Bundesrat will auch den Ausbau genommen. Hat die Schweiz auch hier der beiden Zulaufstrecken in Italien eine Vorreiterrolle inne? Laut Gesetz sollen bis 2018 höchstens mitfinanzieren: zwischen Mailand und Wir sind weit voraus. Den nationalen Wa- 650 000 Lastwagen über die Schweizer Chiasso sowie auf der Luino-Linie. genpark haben wir schon weitgehend auf Alpenpässe fahren. Letztes Jahr waren Macht Italien da mit? lärmarmes Material umgestellt. Ab dem es immerhin noch über 1,2 Millionen. Italien sieht die Bedeutung von guten Jahr 2020 wollen wir als erstes Land Die Schiene hat sogar Verkehrsanteile Bahnlinien in seinem Hauptmarkt nach lärmige Güterwagen verbieten. Davon verloren. Welche neuen Impulse braucht Deutschland. Es verfügt aber nicht über werden auch die Anwohner nördlich und die Verlagerung? ausreichend Geldmittel. Deshalb werden südlich der Schweiz gratis profitieren. > SBB Cargo 2 | 2013 15
Interview Die fünf Säulen im Güterverkehr 1. 2. 3. 4. 5. Der Auftrag LSVA Die Neat Viermeter- Nacht- und Laut der Bundesverfas- Die Schweiz erhebt die Die neuen Eisenbahn- korridor Sonntags- sung, dem Schweizer leistungsfähige Schwer- verkehrsabgabe LSVA Alpentransversalen bestehen aus zwei Auf der Gotthardachse fahrverbot Grundgesetz, muss der ist es bisher nicht Gütertransitverkehr von seit dem Jahr 2001. Sie Achsen mit zwei langen In der Schweiz existiert möglich, die immer der Strasse auf die wurde in Absprache mit Basistunneln. Jener für den Güterverkehr auf beliebteren Sattelauf Schiene verlagert der EU eingeführt, wobei durch den Lötschberg ist der Strasse ein Nacht- lieger und Container mit werden. Das Verlage- die Schweiz gleichzeitig seit 2007 in Betrieb. Der und Sonntagsfahrverbot. vier Metern Eckhöhe zu rungsgesetz konkretisiert die Gewichtslimite Gotthard, der längste Das schont den Schlaf transportieren. Ein diesen Auftrag. Es von 28 auf 40 Tonnen er- Tunnel der Welt (57 km), und die Gesundheit der durchgehender Korridor limitiert die Anzahl der höhte. Die LSVA gilt auch wird 2016 eröffnet. Die Anwohner von stark soll für 940 Millionen Lastwagenfahrten durch im Binnenverkehr. Schweiz finanziert die befahrenen Strassen und Franken realisiert werden, die Alpen. Neat alleine. ist für die Bahn ein wenn das Parlament die Finanzierung gutheisst. wichtiger Wettbewerbs- vorteil. Wir erachten das für die Akeptanz der Die Interoperabilität ist ein altes gen. Wir unterstützen diese Absicht. Eine Verlagerungspolitik als sehr wichtig. Der Sorgenkind. Warum gibt es in Europa Machbarkeitsstudie wird zeigen, wie rea- Lärm bedeutet das grösste Umweltpro immer noch kein einheitliches Zug listisch sie tatsächlich ist. Es handelt sich blem der Schiene. sicherungssystem? um ein System mit relativ kleinen Palet- Nachdem sich auch Deutschland entschie- ten, die auch vergleichsweise langsam un- Am Gotthard will der Bundesrat eine den hat, das internationale Zugkontroll- terwegs sein werden. zweite Strassentunnelröhre, damit die system ETCS einzuführen, naht der Zeit- erste saniert werden kann. Die Gegner punkt, an dem Züge und Lokomotiven mit Ab dem Fahrplanwechsel 2013/2014 befürchten einen Wettbewerbsvorteil für nur noch einer Sicherung quer durch wird SBB Cargo im alpenquerenden die Strasse. Wie beurteilen Sie das? Europa fahren können. Das war ein lan- Verkehr einen grossen Kundenauftrag Die Verlagerungspolitik hängt nicht da- ger, schwieriger Weg, aber er ist absolut übernehmen, den bisher die BLS Cargo von ab, wie man diesen Strassentunnel notwendig. ausführte. Wie beurteilen Sie diese saniert. Wir konnten das Verkehrsauf- Entwicklung? kommen stabilisieren, obschon es im Meine persönliche Haltung ist zwiespäl- Strassentunnel meistens freie Kapazitä- «Der Gotthardtunnel ist tig. Grundsätzlich herrscht freier Wett ten hat. Der Gotthardtunnel ist nicht der bewerb, das ist politisch so gewollt. Mir Engpass auf der Nord-Süd-Achse. Er ist nicht der Engpass auf der wäre es aber lieber, wenn man die Güter nur zu den Ferienzeiten überlastet. Nord-Süd-Achse.» von der Strasse auf die Schiene holen könnte, statt dass sich zwei Schweizer Welchen Beitrag können die Bahnen Bahnunternehmen mit sehr harten finan- leisten, damit sie konkurrenzfähiger Das neueste Schweizer Projekt heisst ziellen Bandagen bekämpften. Ich hoffe, werden? «Cargo sous terrain». Experten dass dieser Wechsel sich für beide Bahn- Am wichtigsten sind die Kundenorientie- schlagen vor, den Güterverkehr auf unternehmen auch langfristig finanziell rung und die Verlässlichkeit. Die Angebo- den Hauptstrecken unter die Erde rechnet. te im Güterverkehr müssen die Bedürf- zu verlegen: auf eine vollautomatische nisse der Kunden erfüllen und zuverlässig Autobahn. Ein Pionierprojekt oder abgewickelt werden. Vor allem im grenz- eine Utopie? überschreitenden Verkehr gibt es noch zu Es ist im Moment eine Idee, um den wach- viele Probleme und Unzulänglichkeiten. senden Binnengüterverkehr zu bewälti- 16 SBB Cargo 2 | 2013
Essay «Logistik trägt zum Wohlstand bei» Essay von Prof. Dr. Wolfgang Stölzle über die rosigen Zukunftsaussichten B is vor wenigen Jahren erahnten nur Experten das Potenzial des Schweizer Logistikmarkts. In der Bevölkerung hingegen wurde dieser kaum oder nur negativ wahrgenommen, Letzteres vor allem in Gestalt des Güterverkehrs mit seinen Schadstoff- zent des gesamtschweizerischen Transportaufkom- mens entspricht. Insgesamt betrug Letzteres in der Schweiz im Jahr 2011 454 Millionen Tonnen (inklusive Import-, Export-, Transit- und Binnenverkehren). Die Strasse stellt mit einem Anteil von 78 Prozent den be- und Lärmemissionen oder als Belastung für die Infra- deutendsten Verkehrsträger dar, gefolgt von der Schie- struktur. Heute gilt eine leistungsfähige Logistik als ne mit einem Anteil von 14 Prozent. Rohrleitungs- und Garant für die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft Schiffsverkehre haben einen Anteil von 4 Prozent bzw. und als wichtiger Standortfaktor für den Werk- und 3 Prozent, Luftverkehre unter 1 Prozent. Z Handelsplatz Schweiz. Der Material- und Warenaus- tausch wird national ebenso wie international mass- unehmende Kapazitätsengpässe im schweize- geblich von der Logistik bewältigt. Insofern stellt die rischen Strassen- und Schienennetz sind eine Logistik das Blut im Wirtschaftskreislauf dar – und Herausforderung, der sich sämtliche Akteure der Logistikmarkt den Blutkreislauf. Denn letztlich des Schweizer Logistikmarkts stellen müssen. Diese profitieren alle Konsumenten von vollen Regalen. Lo- lassen sich einerseits auf das in den vergangenen Jah- gistik trägt ohne Zweifel zum Wohlstand bei und ren ständig gewachsene Transportvolumen zurück- übernimmt damit eine wertschöpfende Funktion in führen, andererseits ist der Strassengüterverkehr auf- der Schweizer Wirtschaft. In der Schweiz sind derzeit grund des Nachtfahrverbots auf den Tag beschränkt. rund 172 600 Mitarbeiter in der Logistik beschäftigt. Hinsichtlich Nachttransporte besitzt die Schiene ge- B genüber der Strasse einen klaren Vorteil, jedoch steht asierend auf der jüngsten Logistikmarktstudie der Schienengüterverkehr in zunehmender Konkur- Schweiz 2013 wies die Schweizer Logistik 2011 renz zum Personenverkehr auf der Schiene. Aufgrund ein wertmässiges Marktvolumen von 37,1 Mil unterschiedlicher Geschwindigkeitsprofile und Takt- liarden Franken auf, was gemessen am Bruttoinland- zeiten sowie der Priorisierung von Personen- gegen- produkt (BIP) der Schweiz 6,3 Prozent ausmacht. über Güterzügen sind künftige Engpässe absehbar. Z Berücksichtigt sind dabei Gütertransporte im Bin- nenverkehr, im Import und Export sowie im Transit. wei Megatrends sorgen dafür, dass die Zukunft Massgeblich für die Erfassung ist, dass eine Logistik für den Logistikmarkt und speziell für den leistung auf Schweizer Territorium erbracht wird. Güterverkehr rosig aussieht. Erstens wird der Zudem werden die Kernleistungen Umschlagen und Logistikmarkt im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung Lagern, ergänzt um Kommissionieren und Ver durch weiterhin abnehmende Wertschöpfungstiefen packen, sowie die Mehrwertdienstleistungen pro und die damit einhergehende zunehmende Arbeits- Marktsegment ermittelt. Nicht berücksichtigt sind teiligkeit in der Schweiz überproportional steigen. hingegen aufgrund von Abgrenzungsproblemen Zweitens bedarf es eines breit abgestützten Konsen- produktionslogistische Aktivitäten seitens der Indus- ses, um auch die Wohlfahrtsbeiträge der Logistik kla- trie, so dass das gesamte Marktvolumen gar noch hö- rer zu kommunizieren und eine Priorisierung knap- her liegen dürfte. per öffentlicher Mittel vornehmen zu können. Dies W würde ein «Masterplan Mobilität Schweiz 2050» ertmässig stellt die Stückgutlogistik den leisten: ein integrierter Gesamtverkehrsplan unter grössten Teilmarkt dar. Ein anderes Bild Berücksichtigung des Personenverkehrs, der die zeigt sich bei mengenmässiger Betrach- Verkehrsträger gemeinsam als Verkehrssystem be - tung: Demnach entfallen etwa 190 Millionen Tonnen leuchten und die Bundes-, Kantons- sowie Gemeinde- auf den Teilmarkt der Massengutlogistik, was 42 Pro- ebene mit einbeziehen müsste. Prof. Dr. Wolfgang Stölzle ist seit 2004 Inhaber des Lehrstuhls für Logistikmanagement an der Universität St. Gallen. Er erforscht komplexe Problemstellungen der Logistik, Foto: zVg des Supply Chain Management und des Verkehrs. Wissenschaftliche Mitarbeit: Kerstin Lampe. SBB Cargo 2 | 2013 17
Reportage Michael Schildknecht, Der Joystick, der per Funk mühelos Spezialist regionale Cargo-Produktion 2000 PS dirigiert, das neue iPad im Führerstand und ein Handy, das im Wie von Notfall selbständig die Ambulanz alarmiert – auf Schweizer Rangierbahn- höfen kommt modernste Elektronik Geisterhand zum Einsatz. Ein Besuch bei RCP-Spezialist Michael Schildknecht in Romanshorn zeigt die Gegenwart bewegt und Zukunft des Rangierens. 18 SBB Cargo 2 | 2013
Reportage Text und Fotografie: Jean-Pierre Ritler Ein kühler Dienstagmorgen auf dem Ran- gierbahnhof von Romanshorn. Es regnet, der nahe Bodensee liegt träge unter dem Nebel. Michael Schildknecht schiebt lang- sam den Joystick seiner Fernbedienung nach vorne. Die blau-rote Lokomotive er- wacht brummend zum Leben, setzt sich wie von Geisterhand geführt in Bewegung und schiebt zwei Güterwagen sanft zu- sammen. Was klingt wie das Spiel eines kleinen Jungen mit seiner Eisenbahn, hat in Wahrheit ganz andere Dimensionen: Michael Schildknecht ist 33 Jahre alt und die Lokomotive ist eine Am 843 – 80 Ton- nen schwer und über 2000 PS stark. Doch der kleine Joystick bewegt den Koloss prä- zise wie eine Spielzeuglok. Die Funkfernsteuerung ist nur eines der elektronischen Geräte, die immer mehr Einzug in die vormals rein manuelle Welt des Rangierens Einzug gehalten haben. Wenn Michael Schildknecht im Führerstand sitzt, liegt vor ihm ein iPad, auf dem sämtliche Sicherheitsdokumente abgespeichert ist. In der Tasche hat Schildknecht ein Notfallhandy, das ihm automatisch das Leben retten kann, und die Daten der Güterwaggons erfasst er mit einem mobilen Eingabegerät. Der Stolz des Lokführers Als Michael Schildknecht vor 16 Jahren seine Lehre als SBB-Betriebsangestellter abschloss, konnte man von solchen Ent- wicklungen nur träumen. Die Zukunft be- gann im Juli 2004 mit der Einführung der Links: Mit einem Fingerdruck steuert RCP-Spezialist Schildknecht die 80 Tonnen schwere Am 843. Am 843, die standardmässig mit einer Oben: Die Daten jedes Waggons werden mobil erfasst und per Handynetz an die Zentrale übermittelt. Fernsteuerung ausgerüstet war; danach kamen laufend weitere elektronische Ge- räte dazu. «Zum Glück wurde die neue Technik langsam und stufenmässig eingeführt», erklärt Schildknecht. «So konnten auch ältere Kollegen mit der Entwicklung gut Schritt halten.» Allerdings gibt er zu: «Von nichts kommt nichts. Man muss schon hinter die Bücher und sich da rein- knien.» Doch das Erreichte befriedigt auch. «Vor allem die Fernsteuerung, das kann nicht jeder. Man muss viel lernen und abschliessend eine Prüfung beste- hen. Dazu braucht es eine hohe Eigen verantwortung – und natürlich ist man dann auch stolz darauf», sagt Schildknecht zufrieden. Die Vorteile der neuen Technik liegen auf der Hand: «Heute macht man vieles alleine, wozu früher zwei oder drei > SBB Cargo 2 | 2013 19
Reportage Personen nötig waren», sagt der Lokfüh- um seinen Besitzer im Notfall automa- Die klugen Helferlein rer aus Oberaach (TG). «Zuvor war es ab- tisch lokalisieren zu können. Bleibt der solut nicht möglich, alleine Züge zu ver- Bewegungssensor im Gerät zwei Minuten schieben. Da musste immer mindestens lang regungslos, schickt das Handy per einer bei den Wagen sein und ein anderer SMS automatisch einen Alarm an die Not- die Lokomotive steuern.» Heute steht der fallzentrale in Zürich-Kloten. Gleichzeitig Lokführer mit seiner Fernbedienung dort, wird eine Telefonverbindung aufgebaut. von wo er den Fahrweg am besten be Antwortet der Besitzer nicht, wird sofort Funkfernsteuerung obachten kann. die Ambulanz losgeschickt. Zudem kann Der Traum jedes Jungen: der Mitarbeiter per einfachen Knopfdruck Mit der Funkfernsteuerung werden Hohe Sicherheitsanforderungen auch manuell den Alarm losschicken. tonnenschwere Lokomotiven Die neue Technik stellt hohe Anforderun- per Fingerdruck bewegt. gen an die Sicherheit. Wenn ein Mensch Mobil statt Büro ganz alleine tonnenschwere Züge bewegt, Michael Schildknecht hat inzwischen meh- muss jedes Risiko ausgeschaltet werden. rere Güterwaggons angekoppelt, verscho- So darf die Funkfernsteuerung nur an ben, wieder neu zusammengestellt. Die Standorten benutzt werden, die einen um- Daten jedes neuen Wagens erfasst er mit fassenden Sicherheitscheck bestanden ha- einem mobilen Gerät. Das sogenannte ben. Unübersichtliche Bahnübergänge, zu Wobo sendet die Daten per Handynetz an Wobo viele Zugsbewegungen oder enge Gleis einen zentralen Rechner. So kennen alle Mobiles Büro: Mit dem elektronischen radien stellen ein Risiko dar und verhin- Beteiligten bei SBB Cargo in Echtzeit die Eingabegerät werden die Daten dern den Einsatz. Details der Zugsformationen, deren Länge, jedes Waggons in Echtzeit an den Auch für die Sicherheit der Mitarbeiter wo Gefahrengut gelagert ist und welche zentralen Computer übermittelt. mussten neue Lösungen gefunden wer- Rangiervorschriften für die einzelne Wag- den. Wer alleine unterwegs ist, muss sich gons gelten. «Das musste ich früher von regelmässig melden oder ein Notfallhandy Hand aufschreiben und dann später im bei sich tragen. Der elektronische Lebens- Büro im Computer eintippen. So ein mobi- retter verfügt über einen empfindlichen les Gerät erleichtert die Arbeit enorm», Bewegungssensor und eine GPS-Ortung, freut sich RCP-Spezialist Schildknecht. iPad Elektronik statt Papierberge: Im persönlichen iPad sind sämtliche Sicherheitsdokumente gespeichert, die man für das Fahren auf einer Lokomotive braucht. Die Vorschrift verlangt, dass die Sicherheits- dokumente in zweifacher Ausführung verfügbar sind. Daher gibt es im Führerstand zusätzlich einen Laptop mit den gleichen Daten. Notfallhandy Der kleine Lebensretter: Ist das Notfallhandy zwei Minuten lang regungslos, ruft es automatisch nach Hilfe und zeigt dank eingebauten GPS den genauen Standort des Besitzers an. LEA Cargo Immer auf dem aktuellen Stand: Dank des «Lokführer Electronic Assistant» mit Online-Zugang hat der Lokführer Dank der Funkfernsteuerung kann Michael Schildknecht die Züge alleine zusammenstellen. Zugriff auf alle nötigen Daten Früher brauchte es dafür mindestens zwei Personen. wie Fahrpläne oder Streckenhinweise. 20 SBB Cargo 2 | 2013
Reportage Trotz aller Elektronik werden immer noch Weichen auf Nebengleisen von Hand gestellt. Noch mehr freut er sich aber über das iPad, das ihn immer begleitet. «Früher mussten wir seitenweise Reglemente rum- schleppen; diese Zeiten sind zum Glück vorbei.» Der Clou ist, dass er das iPad auch privat nutzen darf. Dadurch sind die Geräte besser gepflegt, die Apps werden von den Mitarbeitern selber aktualisiert, das Handling verbessert sich und vor al- lem: Es motiviert ungemein, sich noch mehr in die neue Technik einzuarbeiten. Dank des persönlichen iPads kann der Lokführer alle Reglemente und Informationen bequem abrufen. Neben dem iPad steht dem Lokführer auch noch ein Laptop zur Verfügung. Dank des LEA Cargo (Lokführer Electro- nic Assistant) von Dell und eines Online- zugangs hat Schildknecht unterwegs Zugriff auf alle nötigen aktuellen Daten wie etwa Fahrpläne oder Streckenhinwei- se. Das LEA ist dabei besonders kosten- günstig, da auf eine speziell angefertigte Software verzichtet wurde und ein Stan- dardprodukt ohne überflüssige Zusatz- funktionen verwendet wird. Es gibt noch viel zu tun Doch trotz aller Elektronik: Manchmal ist noch immer die gute alte Muskelkraft ge- fragt. Michael Schildknecht steht jetzt zwischen den Puffern von Lokomotive und Waggon, wuchtet die 35 Kilo schwere Kupplung auf die Halterung und trennt die Bremsschläuche. Laut zischend ent- weicht die Druckluft. Eine vollautomati- sche Zugskopplung wäre der nächste gros se Schritt in der Rangiertechnik. Doch dafür müsste das gleiche System europa- weit eingeführt werden, was mindestens noch 10 bis 15 Jahre dauern wird. Die Zu- kunft muss da noch etwas warten. http://bit.ly/12MA8JA Ein Video über Michael Schildknecht und das Berufsbild Rangierspezialist finden Sie im Der nächste grosse Schritt im Güterverkehr wäre die automatische Zugskopplung. Cargo-Blog. Heute ist es noch schwere Handarbeit. SBB Cargo 2 | 2013 21
Politik Bernhard Adamek von SBB Cargo über Schienengüterverkehr in der Fläche Text: Pirmin Schilliger Illustration: Jörn Kaspuhl «Wir benötigen mehr Unter Schienengüterverkehr in der Fläche versteht der Laie nur Bahnhof. Was ist genau gemeint? unternehmerischen Bernhard adamek: Es geht sowohl um den schweizerischen Binnen- als auch um den Import- und Exportschienengüter- Spielraum» verkehr. Ausgenommen ist einzig der al- penquerende Transitgüterverkehr, der be- kanntlich länger schon verkehrspolitisch geregelt ist. Überdies sind alle Angebote angesprochen, insbesondere der Einzel- Das Parlament hat den Bundesrat beauftragt, wagenladungsverkehr, aber auch die Ganzzüge und der Kombinierte Verkehr. eine Gesamtkonzeption für den schweizerischen Schienengüterverkehr in der Fläche auszuarbeiten. Um welches Marktvolumen geht es? Welche Chancen und Herausforderungen lassen Der Schienengüterverkehr in der Fläche verzeichnet heute einen Marktanteil von sich daraus für den Wagenladungsverkehr ableiten? über 25 Prozent an der gesamten Güterver- kehrsleistung im schweizerischen Binnen-, Import- und Exportverkehr. Er entlastet das Schweizer Strassennetz um jährlich über drei Millionen Lastwagenfahrten. Die Wahl des Gütertransportmittels wird heute primär über den Preis entschieden. Ist er das einzige Kriterium? In der Logistik werden unternehmerische Kaufentscheidungen getroffen. Dabei be- stimmt der Preis in hohem Mass die Wahl des Verkehrsträgers, aber nicht aus- schliesslich. Was angesichts der sich wan- delnden Logistikbedürfnisse auch immer wichtiger wird, sind intermodale Lösun- gen, Laufzeit der Transporte, Flexibilität, Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit des Angebots. Ausserdem gewinnen «Green Logistics» an Bedeutung. Der Druck auf die Transportbranche steigt, um welt freundliche Lösungen anzubieten. Kann SBB Cargo das von den Kunden gewünschte Angebot nicht ohne politische Massnahmen auf die Beine stellen? Ein leistungsfähiger Schienengüterverkehr in der Fläche muss sich auf einen kohären- ten und langfristig stabilen verkehrspoli tischen Rahmen abstützen können. Sonst kann er die Erwartungen der Kunden nicht erfüllen und wird zunehmend seine Wett- bewerbsfähigkeit gegenüber der Stras se verlieren. Was will SBB Cargo zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit unternehmen? SBB Cargo muss ihre Hausaufgaben ma- chen, das betrifft insbesondere Kosten- senkungen. Dazu sanieren wir den Wa- 22 SBB Cargo 2 | 2013
Politik genladungsverkehr und reduzieren unsere Der Bund strebt für den Güterverkehr in Umfrage: Strukturkosten. Daneben muss es uns ge- der Fläche ein nachhaltiges Miteinander lingen, gemeinsam mit den Kunden die der Verkehrsträger an. Die SBB begrüsst Das sagen Experten Ressourcen besser auszulasten und sie fle- diese Stossrichtung. Nach unserem Ver- Ulrich Weidmann xibler zu dimensionieren. Durch eine brei- ständnis hat Nachhaltigkeit eine ökonomi- Professor am Institut für tere Positionierung in der logistischen sche, ökologische und soziale Dimension. Verkehrsplanung und Transport- Wertschöpfungskette und im Aufbau neu- Vorstellungen, denen zufolge einzig wett- systeme (IVT) ETH Zürich er marktfähiger Produkte mit unseren bewerbliche Aspekte die Aufgabenteilung Kunden wollen wir uns zudem gezielt stär- zwischen Strasse und Schiene bestimmen, «Die leistungsabhängige Schwerver- ken. Primär ausschlaggebend für die Kon- greifen ebenso kurz wie die Idee, in der kehrsabgabe (LSVA) fliesst derzeit zu zwei Dritteln an den Bund. Dieser kurrenzfähigkeit der Schiene gegenüber Fläche eine Verlagerungspolitik genau verwendet die Mittel hauptsächlich für der Strasse sind jedoch die verkehrspoliti- nach dem Vorbild des alpenquerenden Gü- die Bahn 2000, die NEAT, für Lärm schen Rahmenbedingungen. terverkehrs zu verfolgen. Richtig ist, dass sanierung und Anschlüsse ans Hoch die Strasse und die Schiene in Zukunft im geschwindigkeitsnetz. Dabei profitiert Welche Punkte stehen im Vordergrund? Binnenverkehr jeweils gemäss ihrer Stär- vor allem der Personenverkehr, während Um auf die Herausforderungen des Markts ken eingesetzt werden und noch enger ab- gleichzeitig dem Güterverkehr Mittel für gestimmt in kombinierten Lösungen Gü- dringend nötige Erweiterungen fehlen. richtig reagieren zu können, benötigen wir Ein gelebtes Verursacherprinzip würde mehr unternehmerischen Spielraum. Ein- ter transportieren werden. bedeuten, die LSV-Abgaben konse- seitige Auflagen an SBB Cargo aufgrund quent und gezielt für den Güterverkehr strategischer Ziele des Bunds lehnen wir Das heisst zum Beispiel? auf der Schiene zu verwenden.» ab. Das führt zu ungleichen Wettbewerbs- Angesichts des enormen Verkehrsaufkom- bedingungen für die verschiedenen Ak- mens und der vielen Staustunden auf der Ueli Stückelberger teure. Zentral ist weiter, die Kapazitäten A1 denke ich zum Beispiel an einen Ausbau Direktor des Verbands öffentlicher und die Qualität im Infrastrukturzugang von Angeboten des Kombinierten Ver- Verkehr (VöV) zu steigern und zu verbessern. Nicht zu- kehrs auf der Ost-West-Achse. letzt müssen die in der Schweiz für den «Ich setze mich dafür ein, dass der Transport auf der Strasse geltenden Re- Im Import- und Exportgüterverkehr ist Wagenladungsverkehr (WLV) in der geln beibehalten werden. für die Schweiz eine mit dem europä Schweiz eine Zukunft hat. Dafür sind ischen Raum abgestimmte Lösung Errungenschaften wie dichtes An- Konkret? zentral. Allerdings ziehen am Horizont schlussgleisnetz, Nacht- und Sonntags- Unbedingt beizubehalten sind das Nacht- dunkle Wolken auf . . . fahrverbot zu erhalten. Von der Politik braucht es ein Bekenntnis zum WLV, fahr- und Kabotageverbot, die leistungs- Es sind natürlich schlechte Signale, wenn zudem sind die nötigen Rahmenbedin- abhängige Schwerverkehrsabgabe und die Länder wie Frankreich und Italien gungen zu schaffen. Gerade weil die Gewichtslimiten für Lastwagen. den Einzelwagenladungsverkehr teilweise Herausforderungen gross sind, müssen oder gar vollständig einstellen. Anderer- wir zu einem nachhaltigen WLV Sorge Welche Aufgabenteilung zwischen seits führt auch für die EU-Länder kein zu tragen.» Schiene und Strasse ist wünschenswert? Weg an einem Ausbau des Schienengüter- Paul Wittenbrink verkehrs mitsamt dem Wagenladungs Professor für Transport und verkehr vorbei. Sonst können sie ihre Logistik an der Dualen Hochschule Politische Agenda verkehrspolitisch festgelegten Verlage Baden-Württemberg 14. Oktober 2010 rungsziele und die angepeilte Reduktion Die Verkehrskommission des Ständerats der Treibhausgase nicht erreichen. Aller- «Der Einzelwagenladungsverkehr reicht die Motion «Zukunft des Schienengüter- dings warten im europäischen Raum noch (EWLV) wird sein Potenzial nur aus- verkehrs in der Fläche» ein. etliche grössere Aufgaben. So etwa im Be- schöpfen, wenn auch neue Ansätze zum reich einer güterverkehrsorientierten In Zuge kommen. Hierzu zählen der 24. November 2010 verstärkte Aufbau und die Einbeziehung Der Bundesrat begrüsst die Stossrichtung der frastrukturpolitik, beim Abbau von Hür- von Speditionen, die Überprüfung der Motion und empfiehlt deren Annahme. Am den im grenzüberschreitenden Verkehr hohen Fertigungstiefe, eine stärkere, 30. November 2010 (Ständerat) bzw. 11. April oder bei der weiteren Ausgestaltung der auch relations- und regionenbezogene 2011 (Nationalrat) stimmt das Parlament der politischen Rahmenbedingungen für die Verantwortung, Innovationen und mehr Motion zu und beauftragt den Bundesrat, eine Strasse und Schiene.» Wettbewerb um die besten Lösungen. Gesamtkonzeption zu erstellen. Der EWLV braucht effiziente Rahmenbe- http://bit.ly/10loVxt dingungen, Planungssicherheit und 13. Dezember 2012 Das Positionspapier der SBB zum Schienengüterverkehr in der Fläche realistische Ziele. Nicht zuletzt sind die Die SBB legt in einem Positionspapier zur Kunden gefragt, langfristig auf das Motion ihre Vorstellungen zum Schienengüter- System zu setzen, mehr feste Kapazitä- verkehr in der Fläche dar. ten zu buchen und auch unkonven April bis August 2013 tionelle Lösungen zu entwickeln.» Bernhard Adamek Offizielle Vernehmlassung zur Gesamtkonzeption. verantwortet bei SBB Cargo die politischen und regulativen Themen Fotos: zVg 2014 (voraussichtlich) und somit auch das Dossier «Schie- Beratung und Abstimmung im Parlament. nengüterverkehr in der Fläche». SBB Cargo 2 | 2013 23
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