Context - HeidelbergCement

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Context - HeidelbergCement
Wandelnde Größe    Großprojekte als weltweite Herausforderungen

          context
           Berliner Frauenpower   Kombilösung für Karlsruher Innenstadt
           Hoch hinaus   Sichtbeton für Feuerwache Schönefeld

                                                        Das Magazin von HeidelbergCement • Ausgabe 3 • 2011 • 6 €

Thema: Große Projekte
Etwas bewegen
Context - HeidelbergCement
„Wie geht das mit dem Beton?”
„Mit einem Anruf!”

                                  Wir liefern Werte

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Context - HeidelbergCement
context 3/2011 Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,

die Mondlandung, der Bau des Panamakanals oder die Einführung des Euro sind das,
was wir allgemein als große Projekte bezeichnen. Wegweisende Projekte wie diese ha-
ben die Welt bewegt und verändert. Möglich wurde das durch engagierte und kreative
Menschen, kluge Köpfe, die mit viel persönlichem Einsatz ein Projekt zu ihrem eigenen
machten und Visionen Realität werden ließen.

Und was schon immer so war, aber heute offensichtlicher wird denn je: Große Projekte
provozieren große Gefühle. Die Politik plant, der Bürger protestiert – nicht nur in Stutt-
gart. Hier ein neues Kohlekraftwerk, dort ein erweiterter Flughafen, im Norden eine
Mega-Brücke, im Süden eine Olympiabewerbung. Es entsteht bisweilen der Eindruck,
der Begriff „Großprojekt“ sei in Verruf geraten. Das wäre schade.

Fakt ist: Wiedervereinigung und Globalisierung haben in Deutschland die Entwicklung
neuer großer Projekte angeregt. Die Städte nutzen die Chancen des Strukturwandels,
viele Konversionsflächen werden neu entwickelt. Der Umgang mit städtischer Vielfalt,
demografischem Wandel, mit Geschichte und guter Gestaltung ist Daueraufgabe der
Stadtentwicklung und gleichzeitig Modell für künftige Lebensverhältnisse. Ihre Quali-
täten können Maßstäbe setzen, ihre Mängel aber auch nötige Lernprozesse fördern.

Es gibt jedoch auch Projekte, die eben nicht nur nach außen gigantisch aussehen, son-
dern viel Vision, Durchhaltevermögen, enorme Logistik und Weitblick erfordern. Beson-
ders in der Infrastruktur zählt, was über den Tag hinaus auch für die nächsten Jahr-
zehnte, wenn nicht gar Jahrhunderte Bestand hat. So wird etwa der Brenner Basistunnel
eine Eisenbahnstrecke durch die Alpen entlasten, die seit 1867 in Betrieb ist und dem
Verkehr nicht mehr standhält (S. 26).

Unbestreitbar ist auch, dass der Ausbau des deutschen Stromnetzes eine der größten
Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte ist. Für den Bau erdverlegter Starkstrom-
trassen hat HeidelbergCement zwei hochwärmeleitfähige Baustoffe entwickelt, die die
Verlegung wesentlich effizienter und damit wirtschaftlicher machen können. Eine Mo-
mentaufnahme lesen Sie ab Seite 36.

Übrigens: Auch diese Ausgabe von context ist diesmal größer als sonst, denn wir haben
dem Thema „Große Projekte“ zusätzlich vier Seiten mehr Platz eingeräumt.
Eine spannende Lektüre wünscht Ihnen

Andreas Kern
Mitglied des Vorstands

                                                                                                                   3
Context - HeidelbergCement
context 3/2011 Panorama

Bohren, sprengen, betonieren: Ohne Sprengmeister läuft im
Erkundungstunnel zum Brenner Basistunnel gar nichts.

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Context - HeidelbergCement
context 3/2011 Panorama

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Context - HeidelbergCement
context 3/2011 Inhalt

Thema: Große Projekte
Etwas bewegen

    16                                                                                                           22

                                                                                                                 32

    Thema                                                      Produkte und Projekte

     8          Wandelnde Größe
                Großprojekte als weltweite Herausforderungen   22     Berliner Frauenpower
                                                                      Kombilösung für Karlsruher Innenstadt

    12          Kleiner Ort ganz groß
                Identität wächst von unten                     24     Über den Wolken
                                                                      Großbaustelle Flughafen Willy Brandt

    16          Aus Ideen werden Taten
                Lebensprojekte                                 26     Hoch hinaus
                                                                      Sichtbeton für Feuerwache Schönefeld

    18          Ein Geschenk fürs Leben
                Arbeiten in einer anderen Welt                 28     Von Berlin nach Palermo
                                                                      Der Brenner Basistunnel verbindet Europa

    20          quergedacht
                Fakten zum Thema „groß“                        32     Sanfte Dynamik
                                                                      Iller-Wasserkraftwerk Kempten

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Context - HeidelbergCement
Wandelnde Größe    Großprojekte als weltweite Herausforderung

                                                                                     context
                                                                                     Berliner Frauenpower   Kombilösung für Karlsruher Innenstadt
                                                                                     Hoch hinaus   Sichtbeton für Feuerwache Schönefeld

                                                       context
                                                                                                                                                     context 3/2011 Inhalt

                                                                                                                                  Das Magazin von HeidelbergCement • Ausgabe 3 • 2011 • 6 €

                                                        2011
                                                                                                                                                                          1

                                                        Ausgabe 3
              Kleine Räder setzen größere in Bewegung.
              Auch Menschen bringen oft großartige Dinge
              ins Rollen. Tatkraft und Visionen sind ihr
              Antrieb.

                                           36
                                                        Aus dem Vollen schöpfen
                                                        Thema: Große Projekte

                                           38                                                                                                                     40

Markt und Umwelt                                                                  Kunden und Partner

36    Kulturelles Meisterstück
      Zementwerksbau in Tula                                                      40           Alle Anstrengungen für die Klimaziele
                                                                                               Interview mit Prof. Dr.-Ing. habil. Heinrich Brakelmann

38    Den Boden bereiten
      Erdverlegte Stromtrassen

                                                                                  Service
                                                                                       03 Editorial
                                                                                       04 Panorama
                                                                                       06 Inhalt
                                                                                       43 Tipps und Termine
                                                                                       43 Impressum

                                                                                                                                                                                          7
Context - HeidelbergCement
context 3/2011 Große Projekte

Wandelnde Größe                     Großprojekte als weltweite Herausforderungen

                        U    nter der üppigen Verkleidung aus Zedernholz,
                             Gold und Edelstein war kein gewöhnlicher Stein
                        mehr zu entdecken. Doch auch durch seine innova-
                                                                               des jungen 20. Jahrhunderts. Und auch sie wurde im
                                                                               großen Maßstab angegangen – mit den Siedlungen
                                                                               der Moderne in Berlin, Frankfurt oder Celle. Immer
                        tive Konstruktion überzeugte das Jerusalemer Groß-     wieder rieben sich dabei Tradition und Innovation
                        projekt: Im Steinbruch fertig behauen wurden seine     heftig aneinander. Architekten wie Le Corbusier ent-
                        Steine anschließend auf der Baustelle zusammenge-      wickelten radikale neue Stadtkonzepte, die heiß dis-
                        setzt. So ist der Bau des Tempels Salomons im Alten    kutiert wurden. Sein utopischer „Plan Voisin“ für Pa-
                        Testament überliefert (1. Buch Könige 6). Bis heute    ris erregt bis heute die Gemüter, während seine
                        beflügeln die Großprojekte des Altertums die Fanta-    „Wohnmaschinen“ – die „Unités d‘Habitation“ –,
                        sie der Menschheit: Die hängenden Gärten der Semi-     die nach 1945 zunächst in Marseille entstanden,
                        ramis, das Mausoleum von Halikarnassos und die Py-     einen Vorgeschmack auf Le Corbusiers großforma-
                        ramiden – sie alle gehörten zu den sieben              tige Stadtvision gaben, wie er sie mit dem indischen
                        Weltwundern der Antike und sind heute Bausteine        Chandigarh 1952 bis 1959 verwirklichte.
                        des kollektiven kulturellen Gedächtnisses. Doch        Zwar ist die ungebremste Fortschrittsgläubigkeit
                        Großprojekte bargen bereits in der Antike die Gefahr   längst verpufft, die einst die junge Moderne begleite-
                        des Scheiterns, wie nicht zuletzt der sagenumwo-       te. Gleichwohl entstehen weltweit immer mehr
                        bene Turmbau zu Babel bewies. Das hielt weltliche      Großprojekte im Maßstab XL und größer. Ihre Be-
                        und geistliche Herrscher jedoch nicht davon ab, sich   wertung ist jedoch durchaus unterschiedlich, und
                        im Lauf der Jahrhunderte stets aufs Neue im Bau von    häufig liegen Begeisterung und Enttäuschung dicht
                        gewaltigen Palästen und Kathedralen zu versuchen       beieinander. Etwa bei den Stadien der großen Sport-
                        oder gleich ganze Idealstädte zu entwerfen.            veranstaltungen, die weltweit eine mediale Begeiste-
                                                                               rung entfachen – und immer neue Märkte erschlie-
                        Vision und Wirklichkeit
                        Viele städtebauliche Großprojekte, die einst als ge-
                        baute Visionen starteten, sind heute vertraute Ele-
                        mente unseres Alltags. Was wäre Wien ohne die
                        Ringstraße, was Paris ohne die Boulevards des Barons
                        Haussmann? Angeschoben wurden solche Stadter-
                        weiterungen und Umbauten nicht zuletzt durch das
                        Bevölkerungswachstum und die Landflucht infolge
                        der industriellen Revolution. Dabei schwang gerade
                        bei der monumentalen Stadtbaukunst das Pendel
                        häufig zwischen Visionen und Wirklichkeit hin und
                        her. Tony Garnier etwa erdachte sich eine „Cité in-
                        dustrielle“, während der amerikanische Architekt und
                        Städteplaner Daniel Hudson Burnham das Weltaus-
                        stellungsgelände in Chicago in eine „City beautiful“
                        verwandelte, eine monumentale Gartenstadtidylle
                        mit klassizistischen weißen Bauten am Ufer des Mi-
                        chigansees.
                        In Deutschland gehörte die Lösung der Wohnungs-
                        problematik zu den wichtigsten Herausforderungen

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Context - HeidelbergCement
context 3/2011 Große Projekte

                                                                                                                    Eines der bekanntesten
                                                                                                                    „Großprojekte“:
                                                                                                                    Die Pyramiden von Gizeh
                                                                                                                    (2620 bis 2500 v. Chr.)

ßen. Bedeutet doch der Bau neuer Sportarenen samt         nen. Und Jean Nouvel plant die Bebauung der „Île
umgebender Infrastruktur gewaltige logistische und        Seguin“ als „Insel der Künste“ – samt überdachtem
finanzielle Herausforderungen für die Ausrichter von      gläsernen botanischen Garten.
Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen. Und
nicht immer rechnen sich die Investitionen: Das ka-       Groß, größer, Mega
nadische Montreal etwa, dessen futuristische Olym-        Der Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsge-
piabauten von 1976 vom Franzosen Roger Taillibert         sellschaft hat sich längst in der Transformation un-
entworfen wurden, brauchte 30 Jahre, um die Kosten        serer Städte niedergeschlagen. Auch in Deutschland
seiner Spiele abzubezahlen. Immer stärker rücken da-      sind in den letzten Jahrzehnten gewaltige Industrie-
her die Fragen nach der Wirtschaftlichkeit, der ökolo-    areale und Hafengebiete aus der ursprünglichen Nut-
gischen Verträglichkeit und der Nachnutzung ins öf-       zung gefallen. Mit ihren riesigen Flächen bieten sie
fentliche Blickfeld. Die repräsentative Wirkung von       die Chance für innenstadtnahe Neugestaltungen. In
Großprojekten ist gleichwohl seit der Antike unge-        Hamburg wächst seit Jahren mit der HafenCity ein
brochen. In Frankreich haben die Präsidenten das mit      neuer Stadtteil in prominenter Wasserlage heran,
ihren „Grand Projets“ für Paris viele Jahre lang höchst   eines der größten und ambitioniertesten städtebau-
erfolgreich instrumentalisiert – von der Kulturmaschi-    lichen Projekte Deutschlands. Zwischen Dalmannkai,
ne des Centre Pompidou bis zum Grande Arche in La         Sandtorpark und Grasbrook wird eine Nutzungsmi-
Défense. Inzwischen sind aus den Grand Projets von        schung aus Wohnen und Arbeiten verwirklicht, eine
einst die Planungen für ein „Grand Paris“ von mor-        harmonisch-lockere Gruppierung von Solitären, mit
gen geworden: Antoine Grumbach etwa denkt über
die Vision nach, den Pariser Großraum entlang der
Seine bis nach Le Havre zur Atlantikküste auszudeh-
                                                             Drei Wohnvisionen
                                                             Hängende Gärten der Semiramis (Babylon): Eines der sieben Weltwunder der Antike
                                                             Unité d‘Habitation, Berlin: Le Corbusiers Umsetzung eines vertikalen Dorfs (1953)
                                                             Île Seguin, Paris: Modell der „Insel der Künste“ unter der Koordination von
                                                             Jean Nouvel (bis 2015)

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Context - HeidelbergCement
context 3/2011 Große Projekte

denen die Idee der Stadt der Moderne ins 21. Jahr-      durch die Einbeziehung von Bewohnern die Identität
hundert fortgeschrieben wird. Derweil entsteht in-      der Orte zu stärken, Identifikation zu stiften. Derzeit
mitten des Mammutprojektes HafenCity ein ein-           bereitet Berlin seine dritte große IBA vor, die im Jahr
zelnes Großprojekt – die neue Elbphilharmonie.          2020 stattfinden soll – und auch dort geht es unter
Solche Architekturikonen können im internationalen      den drei Rubriken „Hauptstadt“, „Raumstadt“ und
Städtewettstreit beim Kampf um Investoren und           „Sofortstadt“ darum, die Bevölkerung bei der Stadt-
Touristen als Argumente für das Stadtmarketing hilf-    entwicklung mitzunehmen. Das Thema Hauptstadt
reich sein. Als einziges Standortargument reichen sie   bietet sowohl Raum für touristenträchtige Inszenie-
jedoch bei weitem nicht aus. Denn längst erweisen       rungen als auch für die Frage nach einer sinnvollen
sich immer mehr Großprojekte als komplexe Grat-         Bespielung des geplanten Humboldt-Forums im re-
wanderungen, die um ihre öffentliche Akzeptanz in       konstruierten Stadtschloss. Mit seinen Baukosten von
den demokratischen Gesellschaften buhlen müssen.        über 500 Millionen Euro stellt es selbst ein Großpro-
Wie sehr Wohl und Weh eines Großprojektes von der       jekt dar. Bei Raum- und Sofortstadt geht es demge-
angemessenen öffentlichen Vermittlung und seiner        genüber um den Umgang mit den zahlreichen klei-
gesellschaftlichen Akzeptanz abhängen, das zeigt im     nen Freiflächen und Brachen. Sie prägen das Berliner
Gegensatz zur Erfolgsgeschichte der Hamburger Ha-       Erscheinungsbild und gehören zugleich zu den letz-
fenCity das Kommunikations-Debakel von „Stuttgart       ten Ressourcen der bettelarmen Hauptstadt. Im Rah-
21“.                                                    men der IBA soll nun geklärt werden, wie mit diesen
                                                        Arealen umzugehen ist, wie sie langfristig erhalten
IBA als Instrument                                      werden können, um wirtschaftlichen Verwertungs-
In Deutschland haben sich Internationale Bauausstel-    druck von diesem verbliebenen Stadtkapital zu neh-
lungen als erfolgreiche Instrumente erwiesen, um für    men. Dabei wird im Idealfall der Blick für den großen
die großen Herausforderungen großer Stadtareale         Raum der Stadt und ihre ökonomische wie ökolo-
gute Lösungen zu erarbeiten. Doch auch beim Ins-        gische Entwicklung auf die einzelne Baulücke und
trument IBA lassen sich deutliche Veränderungen be-     deren Bedeutung für das Quartier heruntergebro-
obachten. Mit der Interbau 1957 entstand im Berli-      chen. Solche stadträumlichen Pixel fügen sich dann
ner Hansaviertel am Rand des Tiergartens ein neuer      zu einem Gesamtbild Stadt zusammen. Dabei lehrt
Stadtteil. Er war eine programmatische Neubausied-      der Blick auf aktuelle Großprojekte, dass es unver-
lung mit Hochhäusern in lockerer Bebauung, ein          zichtbar ist, viel stärker als bisher die Öffentlichkeit in
klassisches Großprojekt. In den 1980er Jahren hatte     die Planungsprozesse mit einzubeziehen, um das
der städtebauliche Paradigmenwechsel bei der zwei-      notwendige Verständnis und die notwendige Akzep-
ten Internationalen Bauausstellung in Berlin voll       tanz zu erzielen. Die Kommunikation großer Projekte
zugeschlagen. Anstelle von Hochhäusern und neuen        wird so selbst zu einem Großprojekt. Damit sie nicht
Schlafstädten ging es nun um die „Stadtreparatur“,      scheitern wie der Turmbau zu Babel, brauchen große
um Verdichtung, Lückenschließung und Sanie-             Projekte also nicht nur großartige architektonische
rungen. Inzwischen hat sich das Instrument IBA noch     Ideen – sie brauchen ebenso große Ausdauer wie
weiterentwickelt – bei der IBA Sachsen-Anhalt wur-      Überzeugungskraft.                              Jürgen Tietz
den Antworten auf die gesellschaftlichen und archi-
tektonischen Herausforderungen der schrumpfenden
Städte und Regionen in dem ostdeutschen Bundes-
land gesucht. Anstelle großer Neubauprojekte waren
                                                             www.stadtentwicklung.berlin.de/staedtebau/bau-
minimalinvasive Maßnahmen gefragt. Ziel war es,               kultur/iba

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    IBA BERLIN 2020
     

„Berlinerinnen und Berliner genießen die Weiträumigkeit ihrer Stadt. Sie empfin-
den die Leerstellen als besondere Qualität Berlins und belächeln liebevoll ihre
„Krautigkeit“. Diese vielen kleinen und großen Leerstellen sind das Kapital für
eine intelligente städtebauliche Strategie der IBA Berlin 2020. Sie können entwe-
der als entwicklungsfähige offene Räume gesichert oder als klimawirksame Flä-
chen genutzt werden. Und sie können für spätere, jetzt noch nicht bekannte Nut-
zungen und Aneignungen offengehalten, umgenutzt oder als potenzielle
Bauflächen vorbereitet und mit modellhaften Architekturen bebaut werden. Die
vielen kleinen Ecken und Lücken entziehen sich dem Fokus der klassischen Im-
mobilienwirtschaft. Sie wollen Ideen, neue Bauherren und eine architektonische
Haltung sowie neue Instrumente für ihre Entwicklung. Diese Orte spielen eine be-
deutende Rolle für die Entwicklung von Nachbarschaften und der Stadt im
Ganzen.“
Quelle: IBA Faltplakat, Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, www.stadtentwicklung.berlin.de/iba_2020

                                                                                                                                   11
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Kleiner Ort ganz groß                                             Identität wächst von unten

            Marihn in Mecklenburg-Vorpommern trägt weltweit als
            kleinste Ortschaft die Auszeichnung „Cittaslow“ der internati-
            onalen Vereinigung lebenswerter Städte. Mit viel Engagement
            füllen die Bewohner die Charta der Bewegung mit Leben und
            erreichen damit Großes für ihr Dorf.

                Cittaslow
                                                                    V    erzückung lässt sich in der Öffentlichkeit am
                                                                         ehesten im Gesicht von Musikern ablesen. Für
                                                                    den Zuhörer ist es da besser, die Augen zu schließen
                                                                    und sich ganz dem Klang hinzugeben, den so begna-
            Orvieto und eine ausge-                                 dete Künstler wie Lucas Imbiriba und Ulli Bögershau-
            suchte Handvoll italie-                                 sen ihren Saiten entlocken. Beim Konzert im Alten
            nischer Städte in der Tos-                              Speicher von Marihn treffen Welten aufeinander, of-
            kana brachten in den                                    fenbaren ihre Verschiedenheit und kommen doch in
            Neunzigerjahren mit ”Cit-                               einem herrlichen musikalischen Dialog zusammen.
            taslow” eine internationa-                              Der junge Imbiriba aus Belém, einer Stadt am Ama-
            le Bewegung in Gang, um                                 zonas, hat sich mit der klassischen Gitarre zu einem
            die nachhaltige Entwicklung kleinerer Städte zu         der bedeutendsten brasilianischen Gitarristen entwi-
            forcieren. Analog zur Slow-Food-Bewegung, die           ckelt. Bögershausens Zauberei mit der akustischen
            beim Bestreben nach Bewahrung und Entwicklung           Gitarre hat ihn weit über Europa hinaus auch in Asien
            von Lebensqualität auf regionale Geschmacksviel-        und Amerika bekannt gemacht. Beide haben schon
            falt und die entsprechend nachhaltigen Produkti-        als Kinder die Gitarre als Instrument für sich entdeckt
            onsweisen setzt, gehört zum Cittaslow- oder Slow-       und auch die Leidenschaft, die hinter dem unend-
            City-Bewusstsein die Erhaltung der Besonderheit         lichen Üben der Läufe und dem Ausprobieren der Ar-
            und Vielfalt der eigenen Identität im Zeitalter von     peggios stecken muss. Diese Entdeckung der Lang-
            Globalisierung und beschleunigter Lebensweise. So       samkeit hat sie nicht entmutigt, wohl ahnend, dass
            erreichen auch kleine Ortschaften große, nicht nur      ein Dilettant nur gemächlich zur wahren Größe ge-
            ideelle Ziele.                                          langen kann.
                                                                    Was bringt nun Könner ihres Fachs in ein kleines Dorf
                                                                    im Landkreis Müritz, wo sich in schöner Landschaft

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                                                          auf Kultur
                                                          Konzerte und
                                                         Veranstaltungen                                                              Auch die
                                                         alten Speicher                                                               hier ihr n
                                                                                                                                                  Freiwillige
                                                                                                                                                              Feuerweh
                                                                                                                                                 eues Dom               r
                                                                                                                                      mit einem             izil. Zusam
                                                                                                                                                  Architektu            m
                                                                                                                                           markante           rbüro w
                                                                                                                                                       Feldsteinsc urd
                                                                                                                                                                    heune

 Idylle kan
            n au
Wert auf sc ch Identität bedeute                                                                                             l wurde in
                                                                                                              und Kuhstal
auf Wand
             hmale Stra
                        ßen zur V
                                    n. In Marih
                                                n wird                               al ig e K o rnspeicher         D o rf g em einschafts-
           erw                   erkehrsber                                 Der ehem                   rb ei t zu m                   eiert.
wiesen gel eg rund ums Dorf u               uhigung,                                    namtlicher
                                                                                                     A                    tet und gef
           egt.                   nd auf Ob                                 langer ehre         . Im Fo ye r wird gefes
                                             stbaum-                                     taltet
                                                                             haus umges

      eher Fuchs und Hase und ein paar Touristen gute          nach Mecklenburg gefunden hat: Wie sonst kann
      Nacht sagen?                                             sich ein kleiner Ort entwickeln und dabei seine Iden-
      Aber der Reihe nach: Angefangen hat alles mit dem        tität wahren, seine Eigenheiten und Besonderheiten
      erfolgreichen Verkauf des ehemaligen Herrenhauses        beleben?
      mit dazugehöriger Parkanlage seitens der Gemeinde.       Finanziell ermutigt durch den Immobilienverkauf lie-
      Stilsicher haben die heutigen Besitzer, Horst und So-    ßen sich der damalige Bürgermeister Jens Kamin und
      nia Forytta, aus dem Bestand ein Landhotel mit einer     seine Mitstreiter auf das ungewohnte Entwicklungs-
      kleinen Anzahl exklusiver Suiten gemacht, nach Art       projekt ein. Nach vielen Gesprächen trieben sie die
      der Chambres d’Hotes, wie sie aus Frankreich be-         Zertifizierung zur Cittaslow-Gemeinde voran.
      kannt sind. Seitdem lockt auch der prachtvolle Gar-      Schließlich wurde Marihn als erster Ort in Ost-
      ten von Marihn mit duftenden Rosen und kulturellen       deutschland und als kleinster weltweit mit dem Prä-
      Aktivitäten Gäste ins Dorf.                              dikat „Cittaslow“, lebenswerte Stadt, ausgezeichnet.
      Kein Wunder, dass das weltgewandte Paar – Ver-           Verschiedenste Projekte haben die Verantwortlichen
      fechter naturnahen Gärtnerns, Liebhaber kultureller      seither auf den Weg gebracht. Alle helfen, den Zu-
      und kulinarischer, sprich regionaler Genüsse, des        sammenhalt, die Lebensqualität und das Bewusstsein
      Slow Foods – ein starkes Anliegen verspürte, die         für die wesentlichen Dinge im Dorf zu stärken. „Sieb-
      Nachbarschaft mit neuen Ideen zu begeistern. Viel-       zehn Jahre haben wir auf eine zentrale Entwässerung
      leicht nicht ganz uneigennützig, denn ein saniertes      gewartet“, erinnert sich Kamin, inzwischen ehren-
      Dorfgemeinschaftshaus vis-à-vis macht weit mehr          amtlicher Stadtverordneter von Marihn im Amt Penz-
      her als ein maroder Kuhstall. So wundert es nicht,       liner Land. „Plötzlich, als Cittaslow-Ort, hat sich für
      dass der Funke von Qualität und Nachhaltigkeit auf       uns in Schwerin etwas bewegt.“ So erregte die Aus-
      die Dorfbewohner übergesprungen ist. Dem neuen           zeichnung mit der Schnecke, die auch Verpflichtung
      Schlossbesitzer Horst Forytta ist zu verdanken, dass     bedeutet, als Alleinstellungsmerkmal prompt Auf-
      der Cittaslow-Gedanke seinen Weg von Italien bis         merksamkeit, wenn nicht gar Marketingeffekte, die

                                                                                                                                                        13
context 3/2011 Große Projekte

                                    sich für Marihn ausgezahlt haben. Nicht nur die Ka-           rund 250 Einwohnern so leistungswillig und auch so
                                    nalisation ist gebaut, auch ein neuer Kinderspielplatz,       leistungsfähig ist“, sagt Christian Peters, Architekt
                                    dessen Ausstattung sich vom üblichen Baumarkt-                aus Neustrelitz, der den Umbau fachlich begleitet
                                    Mobiliar unterscheidet. Besonders freut Kamin die             hat. „Immerhin musste auch schweres Gerät für den
                                    neue Streuobstwiese. Jedes Kind, das eingeschult              Rückbau massiver Teile aus der großen Stallanlage
                                    wird, erhält einen Baum, den es hegt und dessen               organisiert werden.“ Große Einbauten für die frühere
                                    Früchte es ernten darf. Am alten Gehweg wurden                Landwirtschaft, Rampen und der gesamte Boden
                                    150 Rosensträucher gepflanzt, eine grüne Hecke,               mussten raus, mehrere Hundert Kubikmeter Bau-
                                    wie früher üblich, säumt den ortsumlaufenden Wan-             schutt. „Rund zehntausend Arbeitsstunden“, resü-
                                    derweg. Ein Wäldchen mit Bäumen des Jahres, der               miert der Architekt, „sind da ehrenamtlich erbracht
                                    Artenvielfalt unterstützt, ist in Planung.                    worden.“
                                    Höhepunkt der dörflichen Aktivitäten aber ist der ge-         Das Architekturbüro hat für den Umbau des Bauein-
                                    meinschaftliche Umbau und die Bewirtschaftung des             zeldenkmals einen Maßnahmenkatalog in Kuchen-
                                    ehemaligen Kornspeichers zum Dorfgemeinschafts-               form erstellt. „Wir haben die Kuchenstücke an Laien
                                    haus. Das große Bauwerk beherbergt heute die frei-            oder Baufirmen aus der Region jeweils so verteilt, wie
                                    willige Feuerwehr, umfasst Jugendräume und einen              es zu schaffen war“, erinnert sich Peters, „nach vor-
                                    großen Festsaal. Unter dem ausgebauten Dach fin-              her abgestimmtem Plan kamen da schon mal 20 Be-
                                    den kulturelle Veranstaltungen statt, zuletzt beim            wohner zusammen, die gemeinsam in der Freizeit auf
                                    großen Sommerregen das Gitarrenkonzert.                       der Baustelle gearbeitet haben.“
                                    „Es ist schon außergewöhnlich, dass ein Dorf mit              „Man muss die Gemeindemitglieder einbeziehen”,

                                                               weltweit                                                                                 die
                                                               bekannt der                                                                                  R
                                                                                                                                                       im osenz
                                                               Gitarrist Ulli                                                                             Gar
                                                                                                                                                              ten ucht. D
                                                              Bögershausen                                                                                       und      u
                                                                                                                                                                     Som ftende
                                                                                                                                                                          me    Blü
                                                                                                                                                                             r      ten

                                                                                                                                                 ti-
 Die Speich                                                                                                                          der perspek
treten bei
            ermäuse si
                       nd                                                                                  en  Z ei t schiebt sich Marihn in
           einer der vi aktiv. Mädchen au                                          Wie aus ei
                                                                                                 ner and er                    sses von
gemeinsam              elen Festve            s dem Do                                                        n des Schlo
             im neuen              ranstaltun          rf
                                                                                      sc h an g el egte Garte        d sc h af t.
                                              gen                                  vi                             n
                       Gemeinsc
                                 haftshaus                                                          burgische La
                                            auf.                                   die Mecklen

          14
context 3/2011 Große Projekte

  meint Jens Kamin. „So hat ein Großteil der Bevölke-                              Jahrhundertprojekt Lebensqualität
  rung kapiert, um was es geht.” Auch Rainer Balzer ist
  Cittaslow-Anhänger und im Vorstand des neu ge-                               Weltweit wurden inzwischen bereits 111 Städte, wie
  gründeten Vereins Dorfgemeinschaft Marihn e.V.                               Amalfi, Chiavenna oder Überlingen am Bodensee,
  „25 Aktive sind für ein kleines Dorf enorm viel”,                            mit dem Cittaslow-Abzeichen zertifiziert. Sie alle
  meint er. Ziel des Vereins ist, die Cittaslow-Inhalte,                       setzen mit unterschiedlichen Schwerpunkten auf die
  die längst ihre eigenen geworden sind, weiterzutra-                          Stärkung ihrer Regionalkultur. Dabei verpflichten
  gen. Befürchtungen, damit als heutiger Ortsteil von                          sie sich auf Grundlage der Cittaslow-Charta, die auf
  Penzlin unterzugehen, haben sich nicht bestätigt.                            der Agenda 21 der Vereinten Nationen fußt, für eine
  Ganz im Gegenteil: Bei der letzten Stadtverordneten-                         behutsame und nachhaltige Entwicklung, die das
  sitzung hat Penzlin beschlossen, sich ebenfalls dem                          Leben in diesen Städten für Bürger und Besucher
  kontinuierlich wachsenden, internationalen Netz von                          spürbar lebenswert erhält. Ihr Augenmerk richtet
  kleineren Städten anzuschließen, die sich einer be-                          sich mit bewusstem Blick auf urbane Qualität, auf
  hutsamen Entwicklung verpflichtet fühlen.           se                       Umwelt- und Infrastrukturpolitik; die Beteiligten för-
                                                                               dern mit Nachdruck die regionalen Erzeugnisse und
   www.marihn.de                                                              ihre Vermarktung, setzen auf Artenvielfalt und land-
         www.cittaslow.info                                                    wirtschaftliche Qualität. Nicht zuletzt sind es die
         www.schlossmarihn.com                                                 „Soft Skills“ dieser Städte, wie Gastfreundschaft und
         www.dergartenvonmarihn.de                                             engagierte Bürgerschaft, die Projekte im Kleinen
         peters.architekten-neustrelitz@t-online.de                            ganz groß rauskommen lassen.

                                                                                                                                                                                ernach-
                                                                                                                                                                  t heute Üb
                                                                                                                                        ig e H  er re nhaus biete      ea  u . Si e
                                                                                                                         Das ehemal                        hohem Niv
 Ein Spielp                                                                                                                    sg äs te n K omfort auf           n  M ar ih n oder die
            latz der bes                                                                                                 tung                           arten vo
                           on                                                                                                           en Schlossg ndschaft.
 chigen Ap
            fel hat man deren Art. Auf dem                                                                               genießen d            g en d en La
                                                    wurmsti-                                                                             m lie
erst komm
             t, sitzt zuer
                            einen gute
                                       n Überblic                                                                         Idylle der u
den auch                   st oben, an             k. Wer zu
          individuel                   d ere Spielger        -
                        l gestaltet                   äte wur-
                                    .

                                                                                                      den Park. Im
                                                                                  en Wegen durch
                                                                 Auf geschwungen         fin de n Be su cher Ruhe und
                                                                                   arihn
                                                                 Schlosspark von M                 sen tlic hen Dinge: eine
                                                                                    ng auf die we
                                                                 Ausgleich. Besinnu                         Himmel.
                                                                                     ppe, ein Vogel am
                                                                 Rose, eine Baumgru

                                                                                                                                                                     15
context 3/2011 Große Projekte

Aus Ideen werden Taten                                                  Lebensprojekte

                         Was wäre das Leben ohne immer wieder neue Projekte?
                         Manche beginnen klein und wachsen wie von selbst, andere
                         scheitern, um Jahre später wieder ausgegraben zu werden –
                         und viele sind winzig und doch so bedeutend für das eigene
                         Weiterkommen.

                                                    Ursula Sladek
                                                    Gründerin der Elektrizitäts-
                                                    werke Schönau (EWS)

                                                                   N    eu, zeitlich begrenzt und mit einem klaren
                                                                        Ziel – das charakterisiert ein Projekt. Zumindest
                                                                   in der Theorie. Dass die Realität oftmals anders aus-
                                                                   sieht, erfahren wir nicht nur im Beruf, sondern auch
                                                                   im Privatleben. Trotzdem: Auch wenn ein persön-
                                                                   liches Projekt länger dauert als angenommen oder
                                                                   sich das Ziel mittendrin verschiebt, auch wenn es kei-
                                                                   ne Erfolgsgarantie gibt – wir gehen immer wieder
                                                                   neue Projekte an, manchmal mit kleinen, manchmal
                                                                   mit recht großen Zielen.
                                                                   Oft sind es Schlüsselereignisse, die uns den Anstoß
                                                                   geben, ein Projekt in Angriff zu nehmen. Das mag für
                                                                   einen Schüler die Fünf im Zeugnis sein, die ihn dazu
                                                                   bringt, das Projekt Schule mit etwas mehr Fleiß anzu-
                                                                   gehen. Für einen Erwachsenen kann der Wille, beruf-
                                                                   lich weiterzukommen, den Anstoß geben, mit der
                                                                   ganzen Familie ins Ausland zu gehen (siehe Interview
                                                                   Seite 18). Manchmal sind es Katastrophen, die
                                                                   Menschen dazu animieren, weitaus größere Projekte
                                                                   anzugehen, die über die persönliche Ebene hinaus-
                                                                   wachsen.
                                                                   So war es das Reaktorunglück von Tschernobyl, das
                                                                   Ursula Sladek – Mutter von fünf Kindern – zu ihrem
                                                                   inzwischen sehr erfolgreichen Projekt brachte: Als
                                                                   1986 durch den GAU eine radioaktive Wolke über
                                                                   Deutschland hinwegzog, gründete sie zusammen mit
                                                                   ihrem Mann und anderen Eltern aus dem Städtchen

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context 3/2011 Große Projekte

Schönau im Schwarzwald die Initiative „Eltern für        Meinungsverschiedenheiten mit einem der Mitbe-
eine atomfreie Zukunft“. Ihr Kampf gegen verkruste-      gründer. Erst spät, 1901, wenige Jahre vor seinem
te Strukturen und für den ausschließlichen Einsatz re-   Tod, erhielt Dunant als Anerkennung für seinen uner-
generativer Energien mündete in der Übernahme des        müdlichen Einsatz den Friedensnobelpreis.
Stromnetzes der Stadt und gleichzeitig der Gründung      Es sind diese Grundüberzeugungen der Menschlich-
der Elektrizitätswerke Schönau (EWS) im Jahr 1994.       keit und des Umgangs mit der Natur, die einzelne
Ein echtes Erfolgsprojekt: Konnte die frischgebackene    Menschen dazu bringen, große Projekte in Angriff zu
Geschäftsführerin im Gründungsjahr lediglich 1.700       nehmen, Lösungen für verfahrene Situationen zu su-
Kunden verbuchen, sind es heute über 100.000. Die        chen. Manchmal kann es aber auch nur eine ver-
„Stromrebellen“, wie sie von den Zeitungen genannt       rückte Idee sein, die in einem Projekt mündet. So
wurden, sind inzwischen fest etabliert, über die Gren-   schlug im Jahr 1993 der Internet-Pionier Rick Gates

                Henry Dunant (1828-1910)                                                 Jimmy Wales (2008)
                Gründer des Internationa-                                                Mitbegründer von
                len Komitees vom Roten                                                   Wikipedia
                Kreuz (IKRK)

zen Deutschlands hinaus bekannt und geachtet. Für        in einer Newsgroup vor, eine Online-Enzyklopädie zu
ihren Einsatz wurde Ursula Sladek im April dieses Jah-   entwickeln. Doch sein Projekt mit dem Namen Inter-
res in San Francisco der international bekannte Um-      pedia kam über das Planungsstadium nicht hinaus.
weltpreis „Goldman Environmental Prize“ überreicht.      Erst 2000 gingen der Internet-Unternehmer Jimmy
Eine ganz andere Katastrophe brachte vor rund 150        Wales und der damalige Philosophie-Doktorand Lar-
Jahren einen Schweizer dazu, sich ebenfalls für ein      ry Sanger das Projekt erfolgreicher an: Zunächst ent-
Projekt zu engagieren und sich vehement für huma-        wickelten sie noch eine klassisch angelegte Enzyklo-
nitäre Hilfe in Kriegsgebieten einzusetzen: Henry        pädie im Internet. Aus dem Projekt „Nupedia“ wurde
Dunant war auf Geschäftsreise in Italien und kam am      dann jedoch ein Jahr später die heute weltweit be-
Abend des 24. Juni 1859 zufällig zum Schlachtfeld        kannte, in 260 Sprachen bereitgestellte offene On-
von Solferino, wo sich Truppen Sardiniens und Frank-     line-Enzyklopädie Wikipedia, die in der deutschen
reichs mit der österreichischen Armee einen der blu-     Version bereits mehr als eine Million Artikel enthält.
tigsten Kämpfe seit Waterloo geliefert hatten. 38.000    Doch es sind nicht immer große, viele Menschen be-
Verwundete, Sterbende, Tote lagen auf dem Feld.          treffende Projekte, die unser tägliches Leben beein-
Niemand half – außer Dunant, der spontan mit Frei-       flussen. Gerade die kleinen Projekte können uns
willigen die verwundeten Soldaten versorgte, unab-       einen großen Schritt weiterbringen. So erreicht der
hängig von ihrer Nationalität. Tief beeindruckt von      Schüler, der sich nach der Fünf in Englisch vornimmt,
diesen Erlebnissen schrieb Dunant schließlich ein        endlich regelmäßig Vokabeln zu lernen, wahrschein-
Buch, in dem er Ideen entwickelte, wie zukünftig lei-    lich nicht nur eine bessere Note. Er macht auch die
denden Soldaten geholfen werden könne – auf Basis        wertvolle Erfahrung, dass sich Büffeln lohnt und er zu
von Neutralität und Freiwilligkeit. Noch heute sind      einem Großteil selbst verantwortlich für seinen Erfolg
dies die Grundgedanken des „Internationalen Komi-        ist.                                        Anke Biester
tees vom Roten Kreuz“ (IKRK), das Dunant im Jahr
1863 mitbegründete. Doch während sein Lebenspro-
jekt der humanitären Hilfe sich weltweit verbreitete,
wurde er selbst aus dem IKRK ausgeschlossen, verur-
                                                          www.ews-schoenau.de
sacht durch Konkurs seiner Unternehmen und tiefe             www.icrc.org

                                                                                                                                      17
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Ein Geschenk fürs Leben                                                         Arbeiten in einer anderen Welt

                         Gideon Apponsah entschied sich vor sechs Jahren, seinen Job
                         als Senior Audit Manager bei Ghacem Ltd. in Ghana, einer
                         Tochtergesellschaft von HeidelbergCement, aufzugeben.
                         Stattdessen nahmen er und seine Familie die Herausforderung
                         an, nach Deutschland zu gehen und hier zu arbeiten und zu
                         leben.

                       context: Was hat Sie bewogen, ins Ausland zu          großzuziehen‘. Du erhältst von jedem Hilfe. Die Ge-
                      gehen?                                                  sellschaft ist die Versicherung für den Einzelnen. Von
                      Gideon Apponsah: Damals war ich an einem Punkt,         Deutschland wusste ich, dass die Menschen individu-
                      an dem ich dachte, beruflich wie familiär läuft alles   eller sind und sich persönlich nicht so eng an die Fa-
                      sehr gut. Andererseits hatte ich nach zehn Jahren in    milie und die Gesellschaft gebunden fühlen.
                      der gleichen Firma das Gefühl, in einer Sackgasse zu
                      stecken. Die Frage kam auf, ob ich die Firma verlasse    Und was war dann tatsächlich Ihr größter Kultur-
                      oder eine andere Herausforderung annehme. Zu dem        schock?
                                           Zeitpunkt kam dann ein Stellen-    In Bezug auf die Arbeit war es nur ein kleiner Schock,
            „Als ich ausgewählt
                                           angebot im Group Controlling       weil ich bereits mein gesamtes Arbeitsleben in inter-
            wurde, war ich zuerst
                                           bei HeidelbergCement in Hei-       nationalen Unternehmen tätig war und die Denk-
            nicht so erfreut, son-
                                           delberg, und ich bewarb mich.      und Arbeitsweise der Europäer kannte. Ich musste
            dern dachte: Will ich
                                           Als ich ausgewählt wurde, war      mich jedoch erst daran gewöhnen, mehr auf mich
            das wirklich?“
                                           ich komischerweise zuerst nicht    selbst angewiesen zu sein und unabhängiger zu
                      so erfreut, sondern dachte: ‚Will ich das wirklich?‘    arbeiten.
                      und zögerte mit meiner Zusage bis zur letzten Minu-     Gesellschaftlich war die Umgewöhnung schwerer.
                      te. Aber meine Frau sagte: ‚Du hast keine andere        Unglücklicherweise hatte ich gleich zu Beginn ein
                      Wahl. Geh!‘ Für mein berufliches Weiterkommen           einschneidendes Erlebnis. Ich war sehr erschrocken,
                      entschied ich mich dann, den Job anzunehmen.            als ich während meiner ersten Tage in Deutschland
                                                                              plötzlich einige Kinder auf den Bahngleisen spielen
                         Also haben Sie sich nicht aktiv für Deutschland     sah und keiner der anwesenden Erwachsenen die
                        entschieden?                                          Kinder aufforderte, von den Schienen zu gehen. Das
                        Nein, das Angebot, das mich interessierte, war ein-   war für mich fremd. In Afrika fühlen sich die Men-
                        fach in Deutschland. Ich komme aus einem Entwick-     schen irgendwie mehr füreinander verantwortlich –
                        lungsland und hoffte, es würde aufregend sein, in     auch Fremden gegenüber.
                        einem entwickelten Land wie Deutschland zu leben.     Was mich aber freute, war, dass meine direkten
                        Als ich jedoch meinen Freunden von meinem Plan        Nachbarn gleich am ersten Abend unserer Ankunft
                        berichtete, war die spontane Reaktion: ‚Warum aus-    uneingeladen auftauchten und uns spontan Bettwä-
                        gerechnet Deutschland?‘                               sche anboten, da wir zu diesem Zeitpunkt noch keine
                                                                              hatten.
                         Was waren Ihre größten Befürchtungen?               Auch für meine Familie waren die ersten Wochen
                        Am meisten Angst hatte ich vor dem kulturellen        sehr hart. Wir kamen an einem Sonntag in Deutsch-
                        Schock. In Ghana versteht sich die Gesellschaft als   land an und am Montag gingen drei meiner vier Kin-
                        großes Team. Zum Beispiel sagen wir in Ghana: ‚Es     der bereits in die Schule und mussten direkt mit der
                        braucht eine ganze Gesellschaft, um deine Kinder      neuen Sprache zurechtkommen. Und für meine Frau

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context 3/2011 Große Projekte

             Gideon Apponsah arbeitet heute als
             Senior Auditor bei HeidelbergCement in
             Deutschland mit Sitz in Heidelberg.

war das Einkaufen am Anfang ein Alptraum. Aber wir
erhielten gute Unterstützung vom Relocation Ser-
vice. Glücklicherweise hat uns HeidelbergCement
Sprachunterricht angeboten, und das hat eine Men-
ge geholfen. Eine weitere Umstellung war, dass wir
mit vier Kindern in Ghana zwei Haushaltshilfen hat-
ten. Hier in Deutschland ist dies so nicht üblich und
wir mussten auf diese Unterstützung verzichten. Ne-
benbei: Meine größte negative Überraschung war
die Autoversicherung. Ich musste bei 125 Prozent
beginnen – meine gesammelte Erfahrung als Fahrer
zählte gar nicht. Das war teuer.

 Was gefällt Ihnen am meisten in Deutschland?
Sie werden es nicht glauben, aber es ist das Wetter!
Der Wechsel der Jahreszeiten ist wunderbar und ich
mag sogar die Winter – jedoch nicht die besonders
extremen. Ein anderer Aspekt ist, dass ich nicht
mit dem Auto zur Arbeit fahren muss, sondern die
S-Bahn nehmen kann. Das ist um einiges entspannter
als der Stau auf dem Weg zur Arbeit in Ghana.

 Was vermissen Sie aus Ghana?
Einige Lebensmittel. Doch wir haben uns leicht an
das europäische Essen gewöhnen können und acht-
zig Prozent unseres Essens ist europäisch.

 Meinen Sie, dass es ein großes Projekt war, nach
Deutschland zu gehen, oder gibt es andere Dinge in
Ihrem Leben, die eher diesen Titel verdienen?
Bis jetzt war es das größte Projekt für meine Familie    Vierzig Jahre lang in einem Teil der Welt zu leben und
und mich. Und ein sehr erfolgreiches dazu – eine         dann zu einem ganz anderen Teil des Globus zu
durchweg gute Lebenserfahrung, etwas, das ich wie-       wechseln, ist zudem eine Chance, die sich nur weni-
der tun würde.                                           gen bietet. Wir haben nun zwei komplett unter-
                                                         schiedliche Kulturen, Denk- und Lebensweisen ken-
 In welchem Umfang hat Ihre Entscheidung Ihr            nengelernt – jede hat ihre Vor- und
Leben und das Leben Ihrer Familie verändert?             Nachteile, keine ist besser, nur anders. Die „Gleichwohl bin ich
Ich bin nicht sicher, ob mein Aufenthalt in Deutsch-     einzige Befürchtung, die ich heute habe, froh, diesen Umzug in
land mich als Person verändert hat, aber er hat zwei-    ist, dass meine Kinder diesen Vorteil eines eine neue Welt gewagt
fellos meinen persönlichen und beruflichen Horizont      derart weiten Blickes auf die Welt und des zu haben. Ich fühle
erweitert – wie es bei Reisen normalerweise üblich       erweiterten Horizonts verlieren könnten. mich in meinem Leben
ist. Wenn man dann in einem Land wohnt, das man          Denn unwillkürlich fühlen und benehmen bereichert.“
zuvor nur aus den Nachrichten im Fernsehen kannte,       sie sich mittlerweile sehr deutsch, und lei-
werden einige Vorstellungen, die man von dem Land        der sprechen sie ihre Muttersprache kaum noch – Twi,
hat, bestätigt, andere werden über Bord geworfen.        eine von vierzig Sprachen in Ghana.
Alles in allem, sowohl in beruflicher wie in privater    Gleichwohl bin ich froh, diesen Umzug in eine neue
Hinsicht, ist es bis jetzt eine lohnende Erfahrung ge-   Welt gewagt zu haben. Ich fühle mich in meinem Le-
wesen – auch für meine Familie.                          ben bereichert.             Das Gespräch führte Anke Biester

                                                                                                                             19
context 3/2011 Große Projekte

                                       Damit fing alles an: Der „Big
                                       Bang“ ereignete sich vor ca.
                                       13.700.000.000 Jahren.

quergedacht                       Fakten zum Thema „groß“

           D    amit sich etwas „groß“ nennen darf, braucht es
                keine überdimensionierten Ausmaße. Manch-
           mal reicht auch nur das Mystische. Das Wort „groß“
                                                                   Architekt Rem Koolhaas, Verfasser desselben, ging
                                                                   später dazu über, Bigness zu proklamieren.
                                                                   Blickt man von den USA aus gesehen über den Groß-
           hat viele unterschiedliche Bedeutungen, je nach         en Teich in Richtung Osten, begegnet man häufiger
           Standpunkt des Betrachters. Fakt ist, dass „groß“ in    dem Wort „groß“ – big, great, grande. So zum Bei-
           vielen Sprachen und häufig im Zusammenhang mit          spiel in London dem Big Ben, in Venedig dem Canal
           geografischen topoi genannt wird.                       Grande oder der Großen Freiheit in Hamburg. Ge-
           Etwas wirklich „Großes“ passierte vor 13,7 Milliar-     schichtlich gesehen sind die Franzosen La Grande
           den Jahren: Das Universum entstand. Der Big Bang        Nation. Zu verdanken haben sie dies einem Mann
           hatte weitreichende Folgen: Eine ist die Entstehung     kleineren Ausmaßes, dafür aber mit Größenwahn.
           des Homo sapiens vor etwa 200.000 Jahren. Im Un-        Auch die Chinesen können mit großen Projekten auf-
           terschied zu anderen Lebewesen hat der Homo sapi-       warten. Das bekannteste Großprojekt in der chine-
           ens ein ausgeprägtes Großhirn, mit dem sich „große      sischen Geschichte ist die Große Mauer. Mit ihren
           Taten“ vollbringen lassen. Es wären zu viele, um alle   Dimensionen zeugt sie selbst im Weltall noch von
           aufzuzählen. Allerdings dürfte das Fresko das Jüngste   den großen Plänen menschlichen Handelns. Eigent-
           Gericht von Michelangelo wohl als eine unter ihnen      lich als Schutzwall gegen feindliche Übernahmen ge-
           gelten. Auch heute noch versetzt der Anblick seines     baut, avancierte die Große Mauer im Zuge der Wie-
           Opus magnum aus dem Jahre 1541 die Menschheit           derentdeckung der eigenen „großen Vergangenheit“
           in großes Staunen.                                      zu einem nationalen Symbol Chinas. Heute wandern
           Später dann, als die Welt der Aufklärung noch in den    große Massen von chinesischen und ausländischen
           Kinderschuhen steckte, geschah es, dass ein kleines     Touristen tagtäglich auf der Mauer, um große Ge-
           Mädchen mit einer erdbeerfarbenen Kopfbedeckung         schichte leibhaftig zu erfahren. Umrundet man mit
           in den Wald ging, um der geschwächten Großmutter        dem Zeigefinger den Erdball, lassen sich noch weitere
           Essen zu bringen. Doch ein Tier mit extrem großen       Orte herauskristallisieren, die mit dem Attbribut
           Augen hatte etwas anderes mit dem Mädchen vor…          „groß“ versehen sind. Da wären der Grand Canyon,
           Das große Fressen wurde es für den Haarigen aber        der Rio Grande und auch die Großen Seen. Das Lied
           nicht und die Geschichte ging im Großen und Ganzen      Big in Japan von Alphaville hingegen meint nicht das
           gut aus.                                                Land. Vielmehr erzählt es von einem Ort, an dem je-
           Im Jahre 1977 und damit 280 Jahre später entstand       der „groß“ sein kann, ganz so wie „ein König in einer
           unweit des Big Apple ein retroaktives Manifest. Der     anderen Welt“. Das ist großartig!           Insa Meyer

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context 3/2011 Große Projekte

                                                                             Die ersten Spuren des „Homo
                                                                             sapiens“ sind ca. 200.000
                                                                             Jahre alt.

          Die „Große Mauer“ entstand über-
          wiegend während der
          Ming-Dynastie von 1368 bis 1620
          n. Chr. in China.

                                             1697 n. Chr. schrieb der Franzose
                                             Charles Perrault das Märchen „Le
                                             Petit Chaperon rouge“. Es gilt als

Big
                                             Vorlage für das Märchen
                                             „Rotkäppchen und der Wolf“.

1909 n. Chr. tauchte die Bezeichnung
„Big Apple“ für New York erstmals im
Roman „The New Wayfarer“ von Ed-
ward S. Martin auf.

                                                                                  Bei der Generalprobe
                                                                                  1857 n. Chr. bekam die
                                                                                  Glocke „Big Ben“ im
                                                                                  „The Clock Tower“ in
                                                                                  London wegen unpräzi-
                                                                                  ser Berechnungen ei-
                                                                                  nen Riss und musste
                                                                                  neu gegossen werden.

                                                                                                             21
context 3/2011 Produkte und Projekte

Berliner Frauenpower                                               Kombilösung für Karlsruher Innenstadt

                         In Karlsruhe stößt die Untertunnelung der Innenstadt auf
                         Zustimmung. Am Marktplatz wird der Spezialtiefbau von
                         Jenny Kröning geleitet. Die junge Bauingenieurin bringt
                         Hauptstadterfahrung in die badische Metropole.

                        P   ralle Sonne, blondes Haar, Standort: Saint-Tro-
                            pez? Falsch geraten! Wir befinden uns Kaiserstra-
                        ße, Ecke Lammstraße mitten in der Karlsruher Innen-
                                                                                  rufswahl. Projektmanagement gehört zum Bauinge-
                                                                                  nieurstudium, sicher auch Qualitätssicherung und
                                                                                  Monitoring, aber Mitarbeiterführung? „Ich habe
                        stadt und lassen uns von Bauleiterin Jenny Kröning        meist wechselnde Mannschaften von jeweils vier bis
                        die komplexen Abläufe im Spezialtiefbau erklären.         sechs Männern“, sagt sie, „das klappt gut.“ Beim
                        Ihr Thema ist die Baugrubenumschließung mit Bohr-         Tunnelbau in Tirol habe sie erkannt, dass sie Potenzi-
                        pfahlwänden und temporären Spundwänden. Um                al zur Leitung habe, so Jenny Kröning, die unter
                        eine dichte Baugrube als Basis für das größte Infra-      Schwestern, also nicht gerade in einer Männerdomä-
                        strukturprojekt der Stadt zu schaffen, wird vor Ort       ne aufgewachsen ist. Als ihr ein Projektleiter in Berlin
                        auch die Sohle mit Hochdruckinjektionen stabilisiert,     zum Geburtstag vor zwei Jahren einen Stadtplan von
                        die in zwanzig Metern Tiefe bis zu drei Meter in den      Karlsruhe in die Hand drückte, war gleich klar, wel-
                        Boden reichen. „Hohe Umweltauflagen und Sicher-           cher Aufgabe sie sich künftig stellen würde. Heute
                        heitsbestimmungen fordern bei diesem Bauvorhaben          begleitet die Bauingenieurin Kröning nicht selten
                        eine ganz besondere Zementgüte“, meint die Bauin-         Bauherrenvertreter der KASIG, der Karlsruher Schie-
                        genieurin von der GSB Grund- und Sonderbau                neninfrastruktur-Gesellschaft, zu Terminen mit den
                        GmbH, „insgesamt 100.000 Tonnen Zement bauen              gewerblichen Anwohnern, um fachlich aus erster
                        wir im Stadtbahntunnel ein.“ Hier darf sich beim          Hand direkt die unmittelbar anstehenden Bauabläufe
                        Aushub und auch später kein angrenzendes Haus             zu erläutern.
                        signifikant bewegen, das wird kontinuierlich an           Kommunikation mit allen Beteiligten gehört mit zum
                        Messgeräten verfolgt. Für das Vermörtelungsverfah-        Geschäft und ist in Karlsruhe wohl auch das Geheim-
                        ren mit Zementsuspension liefert das Heidelberg-          nis für das konstruktive Klima zwischen Anrainern
                        Cement-Werk Schelklingen Zement der Güte CEM I            und Baubeteiligten. Bereits vor neun Jahren entschie-
                        42 5R just in time, sprich fast rund um die Uhr auf die   den sich die Karlsruher Bürger in einer Abstimmung
                        Baustelle. Die Baugrube ist einer der ersten Bauab-       für das weitreichende Infrastrukturprojekt, das ihnen
                        schnitte des unterirdischen Stadtbahntunnels und der      einen reibungslosen Verkehrsfluss, ein noch leis-
                        jeweiligen Haltestellen, also weiterer Ingenieur-         tungsfähigeres Nahverkehrsnetz und zusätzlich eine
                        bauten. Sie läuft direkt an den Eingängen der ortsan-     attraktive, verkehrsberuhigte Flaniermeile verspricht.
                        sässigen Kaufhäuser und Ladengeschäfte vorbei. Da         Denn tatsächlich hat sich das Verkehrsaufkommen
                        ist manche Nachtschicht gefordert, damit am nächs-        im Karlsruher Verkehrsverbund seit 1985 mehr als
                        ten Morgen wieder ein provisorischer Zugang über          verdreifacht. Mehr als 170 Millionen Fahrgäste nut-
                        die gesicherte Grube in die Warenhäuser führt.            zen das Netz pro Jahr. Das spricht für die hohe Ak-
                        Erfahrung hat die junge Frau schon während ihres          zeptanz des öffentlichen Nahverkehrs, der über die
                        Bauingenieurstudiums in Leipzig gesammelt. Am             Stadtgrenzen hinaus einen guten Ruf hat. Gleichzei-
                        Hackeschen Markt in Berlin übernahm sie nach dem          tig hat das Karlsruher Verkehrsaufkommen inzwi-
                        Diplom vor drei Jahren ihre erste Bauleitung. „Ich ar-    schen die Grenzen der Belastbarkeit erreicht. Künftig
                        beite gerne unter freiem Himmel“, erklärt sie ihre Be-    sorgt die Kombilösung in der Innenstadt – sprich die

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context 3/2011 Produkte und Projekte

Bauleiterin Jenny Kröning bringt die komplexen
Abläufe des Spezialtiefbaus locker an den Mann.

Verlegung der Stadtbahn unter die Erde, der durch-
gängige Autotunnel sowie eine neue Straßenbahn-
trasse zwischen Radwegen und Baumalleen – für den
reibungslosen und stressfreien Verkehrsfluss in der
Innenstadt. Wie das aussehen wird, kann dank inter-       Objektsteckbrief
aktivem Streckenplan auf einer Website genau ver-
                                                          Gesamtprojekt: Die Kombilösung Karlsruhe: Stadtbahn-
folgt werden. Mit wenigen Mausklicks lässt sich er-       tunnel, Straßenbahntrasse, Autotunnel, Karlsruhe
fahren, wie der Streckenverlauf aussieht, wann            Bauherr: Schieneninfrastruktur-Gesellschaft mbH, Karls-
welche Baumaßnahme erfolgt und wie lange sie dau-         ruhe
ert. Selbst Lage und Aussehen der jeweiligen Halte-       Bauweise: Kombination aus moderner Tunnelbauweise
stellen werden transparent vermittelt, fast so, als ob    und offener Bauweise
alles schon fertig wäre, zumindest in der eigenen         Spezialtiefbau: Arge Stadtbautunnel Karlsruhe, GSB
                                                          Grund- und Sonderbau GmbH, Berlin, zusammen mit
Fantasie. Was sich der Bürger vorstellen kann, schafft
                                                          Alpine Bau Deutschland GmbH
weniger Vorbehalte. Hinzu kommt, dass die Kombi-
                                                          Produkt: Zement CEM I 42 5R, Lieferwerk Schelklingen,
nation aus offener Bauweise und modernster Tunnel-        100.000 Tonnen
bohrtechnik tatsächlich eine möglichst geringe Be-        Fertigstellung: 2019
einträchtigung der Karlsruher mit sich bringt. Viele
der künftigen Bauarbeiten werden sich unbemerkt
von Anliegern und Geschäftskunden unter der Erde
                                                           klaus.felsch@heidelbergcement.com
abspielen.                                           se       www.diekombiloesung.de

                                                                                                                                        23
context 3/2011 Produkte und Projekte

Über den Wolken                               Großbaustelle Flughafen Willy Brandt

                        Der Flughafen Berlin Brandenburg ist ab 2012 Dreh- und
                        Angelpunkt des gesamten Flugverkehrs der Region Berlin-
                        Brandenburg. Kurze Flugzeiten nach Osteuropa und Asien
                        sind sein strategischer Vorteil. Die Bauten werden mit großen
                        Mengen Kalksandstein, Easycrete SF, Leichtbeton und Mörtel
                        von HeidelbergCement realisiert.

                        E   igentlich ist man an die provisorischen Abflughal-
                            len der Billigflieger gewöhnt. Vorbei an Plakaten
                        mit digital verjüngten „Babyfaces“ bekannter Politi-
                                                                                 des holländischen Architekten E. F. Groosman für den
                                                                                 sinnvollsten Entwurf: „Fliegen ist das Scheußlichste,
                                                                                 was es gibt“, hieß es darin. „Die Luftfahrtgesell-
                        ker schiebt sich der Fluggast in aller Herrgottsfrühe    schaften wissen das genau und versuchen mit schö-
                        durch improvisierte Gänge, um nach Dublin oder in        nen Mädchen und gutem Essen dem ‚gekäfigten‘
                        den Rest der Welt zu fliegen. Nun, zwanzig Jahre         Menschen das Leben ertragbar zu machen.“ Sein
                        nach der Wende, sind die Zeiten des anheimelnden         Weckruf ermutigte zum Bau eines futuristisch anmu-
                        Provinzflughafens vorbei. Ab 2012 haben Berlin und       tenden Flughafens, der nun, knapp 40 Jahre nach
                        Brandenburg einen Großflughafen, der den Anforde-        Fertigstellung, den Anforderungen der modernen
                        rungen künftiger Mobilitätserwartungen entspricht.       Luftfahrt nicht mehr genügt. Ursprünglich für fünf
                        Die Anlage wurde um über 900 Hektar auf 1.470            Millionen Passagiere geplant, beförderte er 2010 zu-
                        Hektar erweitert: Das entspricht, um eine Größen-        letzt 15 Millionen.
                        vorstellung zu haben, rund 2.000 Fußballfeldern. Al-     So wird ab 2012 der gesamte Flugverkehr der Region
                        lein am Hauptpier entstehen über sechzehn Flug-          über den Flughafen BER abgewickelt. Das Konzept
                        gastbrücken. Bis zu 6.500 Fluggäste können in einer      sieht einen „Flughafen mit kurzen Wegen vor, bei
                        „Spitzenstunde“ zeitgleich starten oder landen.          dem das Terminal zwischen den beiden parallel ange-
                        Vorgreifend wurde 2008 bereits der legendäre Flug-       legten Start- und Landebahnen liegt, (…) ein Flugha-
                        hafen Tempelhof geschlossen. Und pünktlich zur Ein-      fen der neuen Generation: kostengünstig, funktional,
                        weihung des neuen Großflughafens Willy Brandt im         weltoffen mit moderner Architektur. Geschäftsrei-
                        nächsten Jahr werden auch die letzten Maschinen          senden, Touristen und Unternehmen wird die Haupt-
Die Airport City des
BER bietet Hotels,      über den Wedding fliegen. Der ringförmig angeord-        stadtregion mit dem BER einen Airport mit besten
Einzelhandels-,         nete Flughafen Tegel wird dann endgültig geschlos-       Verbindungen anbieten können, mit internationalen
Gastronomie- und        sen. Diesen – zwischen 1965 und 1975 von Gerkan,         Flügen, eigenem Autobahnanschluss und einem
Serviceflächen,         Marg und Partner als Drive-in-Flughafen erbaut –         Bahnhof direkt unter dem Terminal“, so die Flugha-
zugeschnitten auf
die Bedürfnisse
                        hatte damals der „Spiegel“ als einen der „mo-            fengesellschaft über das Jahrhundertprojekt.
einer internationalen   dernsten Europas“ angekündigt. Im März 1966 be-          Öffentliche Bauvorhaben dieser Größenordnung
Klientel.               richtete das Nachrichtenmagazin von einem Appell         werden von der Öffentlichkeit kritisch begleitet. Bei

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context 3/2011 Produkte und Projekte

Objektsteckbrief
Projekt: Flughafen Berlin Brandenburg Willy Brandt
Bauherr: Flughäfen, Flughafen Berlin-Schönefeld GmbH                                     Beteiligte Unternehmen:
                                                                                          
HeidelbergCement: Fluggastterminal, Frachtgebäude,                                        (Partner von HC beim Bau)
Fluchttunnel, Gepäckabfertigung, Energie- und Not-
stromzentrale, Lufthansa Trainingszentrum, diverse La-
                                                                                     BAM Deutschland AG, die BSS Beton-Sys-
gerhallen und Bürogebäude sowie Intercity-Hotel
                                                                                     tem-Schalungsbau GmbH, Berlin, Ed. Züb-
Betonproduzent : Zentrale Betonmischanlage BBI (ei-
gens für das Bauvorhaben errichtet)                                                  lin AG, NCC Deutschland GmbH, Max Bögl
Beratung: Betotech GmbH & Co. KG Bereich Berlin                                      Bauunternehmung GmbH & Co. KG, DIW
Brandenburg, eine Beteiligung von Heidelberger Beton                                 Dresdner Industrie- u. Wohnungsbauge-
GmbH                                                                                 sellschaft mbH, IMHO Bau GmbH, RDH
Kosten: 4 Mrd. EUR, inkl. Drittinvest                                                Bauservice GmbH, die Stuck-Metzke GmbH
Fertigstellung: 2012                                                                 oder die Märkische Ingenieur Bau GmbH
                                                                                     und andere mehr.

der konkreten Umsetzung stehen Lärmschutz, Brand-         Nach Fertigstellung werden von den 27 Millionen
schutz und energetische Aspekte an vorderer Stelle.       Passagieren, die künftig auf dem Flughafen Willy
Viele der beteiligten Unternehmen realisieren ihre je-    Brandt starten und landen, nur wenige die Planungs-
weiligen Projekte vor Ort mit Bauprodukten von            und Arbeitsleistung der unzähligen Architekten, In-
HeidelbergCement, die dem hohen technischen und           genieure und Bauarbeiter erkennen, geschweige
wirtschaftlichen Anspruch gerecht werden. Sie setzen      denn die einzelnen Produkte wahrnehmen, die im
etwa auf kompetente Beratung seitens der Betotech,        gesamten Baukomplex stecken.
der Betonprüfstelle in Berlin, die als Schnittstelle      Heute deckt ein Flughafen neben den Flugverbin-
zwischen Baustoffproduktion und Baustoffverwen-           dungen auch das weite Feld der „Non-Aviation“ ab.
dung zum passgenauen Einsatz adäquater Produkte           Marktplatz BER, Airport City und Business Park Berlin
beiträgt.                                                 sind die Stichworte, die das gesamte Dienstleistungs-
So stecken im massiven Rohbau des gesamten Flug-          und Wirtschaftspektrum anreißen, das hier angesie-
hafenkomplexes 2.000 Kubikmeter Leichtbeton ver-          delt und mit Leben gefüllt werden will. So hat sich
schiedener Güten von LC 25/28 bis LC 40/44, für           das riesige Areal um den neuen Hauptstadtflughafen
weitere Bauteile wurde der Lieferauftrag erweitert.       auf Berliner wie auf Brandenburger Gebiet zu einem
Rund 600 Kubikmeter des fließfähigen Betons Easy-         gigantischen Investitionsstandort entwickelt, der – so
crete SF wurden bisher im Bereich der Gepäckabferti-      eine Presseverlautbarung – „nahezu alle Nutzergrup-
gung verbaut sowie etwa 800 Kubikmeter Mörtel der         pen, Handel, Logistik, Büro, Hotellerie, Freizeit, Kon-
Güten M 5 und M 10 aus dem Lieferwerk des MDB             gress und Konferenz, Gewerbe und Light Manufac-
Mörteldienst GmbH & Co. KG Berlin-Brandenburg.            turing“ umfasst.                                     se
Im Passagier- und Verwaltungsbereich stecken bisher
2.000 Kubikmeter Kalziumsulfatestrich, die bisher
ebenfalls der MDB geliefert hat. Außerdem wurden
und werden im Flughafenareal auch 5.000 Kubikme-
ter Kalksandstein für Trennwände verbaut, teils als
                                                           www.berlin-airport.de
Industriesichtsteine für Sichtmauerwerk, teils als Hin-        www.heidelberger-kalksandstein.de
termauerwerk für verputzte Innenwände.                         www.betotech.de

                                                                                                               se

                                                                                                                                       25
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