Umwelt - Bundesamt für Umwelt
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DOSSIER WASSERQUALITÄT < umwelt 1/2017 1/2017 umwelt Natürliche Ressourcen in der Schweiz Wasserqualität Dossier: Gewässerschutz: Erfolge und Defizite > Lebensader Bach > Biodiversität im Wasser > Grundwasserfassungen unter Druck Weitere Die Entwertung der Landschaft stoppen > Das Luftlabor macht Schule Themen: > Umweltfreundliche Kantinen > Die Ressourcen dreimal effizienter nutzen
umwelt 1/2017 > EDITORIAL Eine Erfolgsgeschichte wird gemeinsam weitergeschrieben Bei der Wasserqualität von Flüssen, Bächen und Seen blicken viele Länder auf die Schweiz. So auch die USA: In Boston etwa nimmt man sich das urbane Schwimmen in unseren Städten zum Vorbild – vom Rheinbad Breite in Basel über das Flussbad Oberer Letten in Zürich bis zu den Bains des Pâquis in Genf –, um dafür zu kämpfen, dass im heimischen Charles River wieder gebadet werden kann. Auch hierzulande waren viele Gewässer jahrzehntelang derart verschmutzt, dass niemand ans Baden dachte. Verbessert hat sich der Zustand erst mit dem praktisch flächendeckenden Ausbau der Abwasserrei- nigung. Und heute springen wir mit grösstem Vergnügen und ohne jegliche Bedenken hinsichtlich unserer Gesundheit ins kühlende Nass. Der Schweizer Gewässerschutz ist zweifellos eine Erfolgsgeschichte, aber noch ist sie nicht zu Ende geschrieben, denn der Schein trügt. Nicht überall ist die Wasserqualität so gut, wie sie sein müsste, damit unsere Gewässer ihre ökologischen Leistungen auch wirklich erbringen können und damit die Trinkwasserqualität einwandfrei bleibt. Wir haben es heute nämlich mit neuen Verschmutzungen zu tun, den sogenannten Mikroverunreinigungen. Rückstände von Hunderten von verschiedenen Stoffen, wie zum Beispiel von Medikamenten, Kosmetika oder Pflanzenschutzmitteln, gelangen in die Gewässer und können so die Wasserlebewesen negativ beeinflussen. Diese Belastungen sind mit ein Grund, weshalb sich auf der Roten Liste der gefährdeten Arten überdurchschnittlich viele Spezies finden, die im oder nahe am Wasser leben: Fische, Amphibien, Kleinlebewesen, Wasserpflanzen. Mit dieser Ausgabe wollen wir einen differenzierten Blick auf die Was- serqualität werfen. Wir nehmen unter anderem den aktuellen Zustand der Bäche und Seen sowie des Grundwassers unter die Lupe, denn sie bekom- men die Auswirkungen der menschlichen Aktivitäten deutlich zu spüren. Doch auch Lösungsansätze für eine Verbesserung der Wasserqualität sind Gegenstand dieses Themenschwerpunkts: Seit einem Jahr werden die ersten Abwasserreinigungsanlagen technisch aufgerüstet, um Mikroverunreinigun- gen zu eliminieren. Und wenn die vielfältigen Massnahmen des Aktionsplans «Pflanzenschutzmittel» umgesetzt werden, lassen sich die Risiken, die diese Stoffe für die Umwelt darstellen, halbieren. Dank gemeinsamer Anstrengungen werden wir die Erfolgsgeschichte einer guten Wasserqualität unserer Gewässer weiterschreiben können. Ich wünsche Ihnen eine informative Lektüre! Franziska Schwarz, Vizedirektorin BAFU 2
umwelt 1/2017 Dossier Wasserqualität 4 Vom lokalen Verbot zum umfassenden Schutz Meilensteine des Schweizer Gewässerschutzes 6 Das Glas Wasser ist erst halb voll Die Wasserqualität unserer Bäche, Flüsse und Seen 11 Viel Stress für Arten unter Wasser Im Wasser ist die Biodiversität besonders gefährdet. 14 Verschmutzungsquellen Überblick über mögliche Ursachen von Wasserverunreinigungen 17 ____ Idyllisch plätschernde Lebensadern Kleine Fliessgewässer unter Druck Markus Forte, Ex-Press/BAFU 21 Ein Strauss von Massnahmen Innovative Ansätze in der Landwirtschaft 25 «Wir fühlen uns um die Früchte unserer Arbeit gebracht» Diskussion zur Zukunft der Trinkwasserinfrastruktur 28 ____ Geflutete Kathedralen Wasserreservoirs ins Bild gerückt 30 Den Schadstoffen im Rhein auf der Spur Hightech zur Überwachung der Wasserqualität 33 Trügerische Sicherheit im Wasserschloss Das Siedlungswachstum bedroht Grundwasserfassungen. Silvio Maraini Weitere Themen 39 ____ Ideen gegen die schleichende Entwertung der Landschaft Den Landschaftswandel aktiv gestalten 44 Digitales Lehrmittel lockt die Schüler aus der Reserve Sensibilisierung von Jugendlichen mit dem Luftlabor 46 Umweltschutz in der Mittagspause Gut essen – und die Umwelt schonen 50 Mit vereinten Kräften für eine nachhaltige Wirtschaft Die Früchte des Dialogs zur Grünen Wirtschaft Ruedi Helfenstein 54 Die grüne Marktmacht der öffentlichen Hand Die Schlüsselrolle der Güterbeschaffung Herausgeber: Bundesamt für Umwelt BAFU • 3003 Bern • +41 58 462 99 11 • www.bafu.admin.ch • info@bafu.admin.ch Gratisabo: umweltabo@bafu.admin.ch • Das Magazin im Internet: www.bafu.admin.ch/magazine2017-1 Titelbild: Michel Roggo/roggo.ch Rubriken 36__ Vor Ort 60__ Tipps 38__ International 61__ Impressum 57__ Bildung 62__ Intern 58__ Recht 63__ umwelt unterwegs 58__ Publikationen 3
umwelt 1/2017 > DOSSIER WASSERQUALITÄT MEILENSTEINE DES GEWÄSSERSCHUTZES Vom lokalen Verbot zum Am Anfang stand die Angst vor Seuchen und bedrohten Fanggründen. schrieben. Auch Schutzzonen bei Grundwasserfassungen zur Sicherung Erste Gesetze zum Schutz der Gewässer um 1880 verboten das Einlei- der Trinkwasserressourcen wurden Pflicht. Treibende Kraft war vielfach ten von Schmutzwasser in Fischereigründe. Als klar wurde, dass ein die Bevölkerung. Die Fischer etwa sorgten immer wieder für politischen Zusammenhang besteht zwischen versickerndem Abwasser und Krank- Druck. Die später zurückgezogene Volksinitiative «Lebendiges Wasser» heiten, die über das Trinkwasser verbreitet werden, wurden vermehrt führte 2009 zur Revision des Gewässerschutzgesetzes. Das Ziel: Flüs- Quellen abseits der grossen Siedlungen genutzt. Ab den 1950er-Jahren, se, Bäche und Seen sollen wieder naturnäher werden. Das bislang letz- als Seen durch zu viele Nährstoffe am Algenwachstum erstickten und te Kapitel in der Geschichte des Schweizer Gewässerschutzes ist eine schäumende Flüsse Irritation hervorriefen, nahm der Gewässerschutz an Strategie gegen Mikroverunreinigungen in den Gewässern, die zurzeit Fahrt auf. 1971 wurde die Reinigung von Abwasser gesetzlich vorge- umgesetzt wird. Text: Lucienne Rey Die finanzielle Unterstüt- Start der systema- zung durch den Bund tischen Erhebung fördert den Bau von ARAs, der Wasserqualität von denen zu diesem durch die «Nationale Zeitpunkt rund 60 in Dauerbeobachtung Betrieb und an welche Fliessgewässer etwa 12 Prozent der NADUF». Parallel dazu Schweizer Bevölkerung erheben auch die Kan- Zürich erlässt eine Verord- angeschlossen sind. Be- tone weiterhin Daten nung «betreffend Reinhal- ginn der systematischen zur Wasserqualität. tung der Gewässer», ausser- Im Norden der Stadt Erhebung der Wasser- 1972 dem liefert der Chemiker St. Gallen nimmt die qualität von Seen und Casimir Nienhaus-Meinau erste mechanisch-bio- Flüssen. 1971 dem Schweizerischen Han- logische Abwasserreini- dels- und Landwirtschafts- gungsanlage (ARA) in Departement einen «Bericht 1963 der Schweiz den Betrieb Erlass des zweiten Gewäs- über die Verunreinigung auf. serschutzgesetzes, das die 1953 des Rheines durch Abfall- Sanierung aller verunreinigen- stoffe der Fabriken im Basler den Einleitungen und Versi- 1917 Industrie-Bezirk». Die Bundesverfassung wird ckerungen bis 1987 verlangt. durch Artikel 24 quater er- Rund 35 Prozent der Schweizer 1888 gänzt, der den Bund befugt, «gesetzliche Bestimmungen Bevölkerung sind an eine ARA angeschlossen. Grundwasser- 1881 zum Schutz der ober- und unterirdischen Gewässer schutzzonen werden zur Pflicht, damit Trinkwasserfassungen gegen Verunreinigung zu richtig geschützt werden. erlassen». Vier Jahre später tritt das erste Gewässer- schutzgesetz in Kraft, zeigt zunächst aber wenig Wirkung. Das «Bundesgesetz betreffend die Fischerei» wird erlassen. In Artikel 21 hält es fest, Fa- brikabwässer seien «in einer dem Fischbestand unschädli- chen Weise abzuleiten». 4
DOSSIER WASSERQUALITÄT < umwelt 1/2017 umfassenden Schutz Bund und Kantone starten das koordinierte Im dritten Gewässerschutzgesetz Programm «Nationale Beobachtung der wird der Umgang mit Hofdün- Oberflächengewässerqualität NAWA». In Mit der Verordnung über gern zum Schutz der Gewässer Spezialkampagnen werden auch Mikrover- den Schutz der Gewässer geregelt. Zu den Bestimmungen unreinigungen untersucht. vor wassergefährdenden gehören eine ausgeglichene 2016 Flüssigkeiten wird ganz besonders das Grundwas- Düngerbilanz sowie eine maxi- ser besser vor Verunrei- mal zulässige Düngermenge pro nigungen durch lecke Hektare. 2011 Die revidierte Gewässer- Tankanlagen oder Unfälle beim Benzin- und Heizöl- 1998 schutzverordnung nennt die Kriterien für die Aufrüstung 1991 umschlag geschützt. der ARAs mit einer zusätz- lichen Reinigungsstufe 1986 gegen Mikroverunreini- gungen. Zudem schafft die 1981 Verordnung die Basis für die Aufnahme von öko- 1975 toxikologischen Quali- tätskriterien in Bezug auf Mikroverunreinigungen in Oberflächengewässern. Die Gewässerschutzverord- Zur Minderung des durch nung legt ökologische Ziele für den Einsatz von Pflanzen- Gewässer fest und verankert schutzmitteln verursachten neu numerische Anforderungen. Risikos wird ein Aktions- Brand einer Lagerhalle des Es gelten nun verbindliche plan erarbeitet. Chemiewerks Sandoz in Höchstkonzentrationen für Schweizerhalle (BL). Das problematische Substanzen verschmutzte Löschwasser wie etwa Nitrat, Kupfer und führt zu einem grossen organische Pestizide in den Fischsterben im Rhein. Oberflächengewässern sowie Fünf Jahre später wird im als Trinkwasser genutzten Die Verordnung über Abwasserein- die Störfallverordnung Grundwasser. leitungen setzt für verschiedene erlassen, die Betrieben mit Schad- und Nährstoffe numerische Gefahrenpotenzial stren- Anforderungen als Qualitätsziele ge Kontrollen auferlegt. für Fliessgewässer und Flussstaue sowie Anforderungen an die Einlei- tungen in ein Gewässer und in die Kanalisation fest. Einige Kantone beginnen, das Grundwasser – unsere wichtigste Trinkwasser- ressource – auf Menge und Qualität hin zu untersuchen. Ab 1997 wird die nationale Grundwasser- beobachtung NAQUA aufgebaut. Bilder von links: Die Kanalisation in Zürich Stadelhofen geht auf das Jahr 1861 zurück; Ausschnitt aus dem Gesetzes- Erst jetzt zeigt sich der schweiz- text 1888; heutige mechanisch-biologische Abwasserreinigung (Archiv BAFU); Plakat von Hans Erni 1961; schäumende weite Zustand des Grundwassers. Wasser in den1970er-Jahren; Protestmarsch nach dem Brand von Schweizerhalle (Keystone); durch Pestizide verur- sachtes Fisch sterben; Ozondiffusor in der ARA Neugut (ARA Neugut). Bilder: aus Bundesbroschüren, ausser angegeben 5
umwelt 1/2017 > DOSSIER WASSERQUALITÄT ÜBERBLICK Das Glas Wasser ist erst halb voll Die Schweiz hat beim Schutz ihrer Gewässer einiges erreicht. Jetzt gilt es, neue Herausforderun- gen anzugehen. Vor allem in den kleinen Fliessgewässern besteht noch grosser Handlungsbedarf; ihre Situation ist kritisch. Das Problem ist jedoch erkannt, und auf politischer Ebene werden Massnahmen zur Sicherung oder Verbesserung der Wasserqualität diskutiert. Manche davon sind bereits angelaufen. Text: Kaspar Meuli Zwei Dutzend Medienleute, vom Reporter der Wasserforschungsinstituts Eawag zeigt, ein allzu «Tagesschau» bis zur Journalistin des «Journal du positives Bild des Gewässerzustands. Über 80 Pro- Jura», reisten im Sommer 2016 an den Fluss Lim- zent der Befragten erachten die Wasserqualität pach im bernisch-solothurnischen Grenzgebiet, in der Schweiz als uneingeschränkt «sehr gut» um über das Wohlergehen von Schweizer Flüssen oder als «gut». Erstaunlich ist diese Einschätzung und Bächen zu berichten. An einer der Messstel- nicht, denn die Bilder von schäumenden Bächen len der Nationalen Beobachtung Oberflächenge- und algenverseuchten Seen, welche die Schweiz wässerqualität NAWA präsentierte das BAFU die noch in den 1980er- Jahren aufrüttelten, sind Resultate einer grossangelegten Untersuchung längst verschwunden. Die schweizerische Ge- zum Gewässerzustand. Die Bilanz war durchzo- wässerschutzpolitik ist eine Erfolgsgeschichte. gen: Erfreulicherweise habe die Belastung mit Dank grosser Investitionen, mit denen ab 1950 Phosphat und Nitrat abgenommen, erfuhren ein praktisch flächendeckendes Netz von Abwas- die Medien, doch die Mikroverunreinigungen in serreinigungsanlagen (ARAs) entstand, werden den Gewässern würden an Bedeutung gewinnen, heute viele Schmutz- und Schadstoffe von den und deren biologischer Zustand weise zum Teil Gewässern ferngehalten. «erhebliche Defizite» auf. «Diese Leistungen sind unbestritten, und wir Dementsprechend war das Echo in den Medien. können stolz darauf sein», sagt Yael Schindler «20 Minuten» etwa titelte: «Den Schweizer Bächen von der Sektion Wasserqualität des BAFU. «Doch und Flüssen geht es schlecht». Der Artikel löste obwohl der schweizerische Gewässerschutz das in der Online-Ausgabe der Gratiszeitung eine Ziel möglichst naturnaher Bäche und Flüsse Lawine von zum Teil heftigen Kommentaren verfolgt, sind heute viele Gewässer weit von aus. Die Tonlage schwankte zwischen genervt diesem Zustand entfernt.» Bei der Analyse des («Dieses Gejammer haben wir langsam satt!») Gewässerzustands sei deshalb ein «differenzierter Quelle: Bundesamt für Landestopografie bis zu analytisch («Das hat auch mit verfehlten Blick» gefragt, so die Gewässerspezialistin. Viele politischen Anreizen zu tun»). Wasserlebewesen reagieren beispielsweise auf die Belastung mit Mikroverunreinigungen viel emp- Schäumende Bäche sind verschwunden findlicher als wir Menschen. Die Bedingungen für Das Interesse der Öffentlichkeit am Zustand diese Tiere und Pflanzen sind schlecht, und ihr der Gewässer zeigt, dass den Menschen in der Überleben ist mancherorts gefährdet. Was aber Schweiz ihre Bäche, Flüsse und Seen wichtig sind. nicht heissen will, dass Baden in Flüssen und Die Bevölkerung fühlt sich durch Wasserfragen Seen unsicher wäre. «Die Sache ist vielschichti- offensichtlich persönlich angesprochen. Aller- ger», gibt Yael Schindler zu bedenken. dings macht sie sich, wie eine Untersuchung des Fortsetzung auf Seite 9 6
Jona Tänlerbächli DOSSIER WASSERQUALITÄT < umwelt 1/2017 Hessenwegbächli Tüfentobelbach Oberfeisterbach Stocktobelbach Tonacherbach Binzholzbächli Hinderhessenbach Schürlibach Vordergiessenbach Mettlenbach Hirschlenbach Rouswegbächli Unterhaltbergbach Dieterswilerbach Hindergiessenbächli Hinterer Elbatobelbach Cholrütibach Väsperousbach Forholzweidbach Langwisbach Hinderväsperousbächli Breitenriedweidbach Neuwegbächli Usserbergbach Breitenrietbach Chusterbach Saumwegbächli Rossrainbach Haltbergholzbach Schochenradbach Bodenweidbach Haltbergweidli Tösshaldenbächli Hundsruggenbach Hischwilerbach Grenzbächli Hundsruggentöbelibach Hischwilerhaldenbach Überzüttbach Jakobsbächli Ramselbächli Hinderscheideggbach Aatalbächli Haltbergbächli Huebhansenbach Haltbergholzbächli Tannereggbach Hintererlibach Hüttenbodenbächli Blattenbach Houenbächli Stockenmattbach Mülrütibach Momilchgubelbach Kiesbächli Ufrütibächli Bödenbächli Nüholzbächli Steinchramenbach Hindertöss Hinternordbach Haldenweidbächli Vorderbachscheidibächli Nordholzbach Staldenhölzlibächli Hinderbach Felsenkeller Büelbach Ebnetbächli Sännenbergbächli Chrumtobelbächli Brugglenba Lochbach Chatzensprungbächli Chängelbach Eggschwändibach Bogenbächli Pfaffenholzbach Altrütibach Schwämibächli Rütelibach Beizibergbächli Gubelbächli Chefibach Hinderbrandeggbach Mettlenbach Schlipfbach Forsterbergbach Grossweierrietbach Silmattbächli Vorderbrandeggbach Rossweidbach Schmittenbach Meierisliböölbach Langhaldenbach Lättenbach Dachseggbächli Vorderwaldbach Beizibach Hiltisbergbach Lättenrietbach Nasenbächli Tannenbodenbächli Oberhaltbergbach Nasenholzbach Diezikonerbach Büntertöbelibach Schwarzenbodenbach Hubertingerbach Luegetbach Grundbach Bärenhölzlibach Hinderwaldbach Spitzrütibächli Auenbach Hirschacherbach Wissenbach Altweidbach Niederholzbach Tannereggbach Frohbergerbach Bleuelholzbächli Blegiholzbach Diezikonertöbelibach Chängelholzbach Blegiböölbächli Faltigbergbach Josenbergbach Vordertöss Ziegelhüttenbach Gerenbach ... Das Schweizer Gewässernetz besteht aus 65 000 Kilometern Bächen und Flüssen und rund 7000 Seen. Wie vielfältig sich das Gewässernetz beim genauen Hinschauen präsentiert, zeigt das Beispiel der Gemeinde Wald (ZH). Hier fliessen sage und schreibe 171 Bäche, Flüsschen und Rinnsale. 7
umwelt 1/2017 > DOSSIER WASSERQUALITÄT FAKTOREN, DIE DEN BIOLOGISCHEN ZUSTAND UNSERER GEWÄSSER BEEINFLUSSEN Lebensraum Wasser- und Geschiebemenge Wasserqualität Wasserqualität Die Gesundheit unserer Flüsse, Bä- che und Seen – oder mit anderen Worten, der ökologische Zustand unserer Gewässer – hängt von mehreren Faktoren ab. Einer da- Grundwasser von ist die Wasserqualität, dem dieses umwelt-Dossier gewidmet ist. Darunter werden «stoff liche Einträge» in die ober- und unter- Quelle: BAFU, AWEL; Bilder: BAFU Archiv irdischen Gewässer verstanden. Art und Herkunft von Verschmut- INDIKATOREN FÜR DIE GEWÄSSERQUALITÄT zungen erläutert die Grafik auf den Seiten 14/15. Der Schutz vor Verunreinigungen steht beim 90 % 87 % Grundwasser, unserer wichtigsten Trinkwasserressource, im Vorder- 68 % grund. Zusätzlich zur Wasser- 62 % 62 % qualität wirken sich zwei weitere N P Bereiche auf die Gewässerbiologie aus: Lebensraum sowie Was- 27 % ser- und Geschiebeführung. Der Lebensraum vieler Gewässer ist Messstellen durch Verbauungen stark beein- trächtigt. Ein gesundes Gewässer Indikatoren braucht aber auch genügend Was- ser und Geschiebe. Vor allem die Kieselalgen Nitrat/Phosphat Wirbellose Wasserpflanzen Fische Wasserkraftnutzung wirkt sich Quelle: Zustand der Schweizer Fliessgewässer, negativ auf diese Aspekte aus. In Ergebnisse der Nationalen Beobachtung Oberflächengewässerqualität NAWA (2011–2014) ihrer Kombination haben die drei Bereiche positive oder negative Nicht alle Standorte der Nationalen Beobachtung Oberflächengewässerqualität NAWA Folgen für das Wohlergehen von schneiden gleich gut ab: Prozentangaben zum Anteil der NAWA-Messstellen mit guter Flora und Fauna. bis sehr guter Gewässerqualität in Bezug auf verschiedene Indikatoren. 8
DOSSIER WASSERQUALITÄT < umwelt 1/2017 Gewässer sind zum Teil mit Umweltgiften belastet dass die Belastung der Badegewässer mit krank- Zurück an den Ortstermin am Limpach. Sein heitserregenden Keimen gering ist. Zu Recht also Zustand ist aus ökologischer Sicht kritisch. Der baden wir Sommer für Sommer mit grösstem unscheinbare, nicht eben idyllische Limpach Vergnügen in Bodensee, Aare und Lago Maggiore zeigt gemäss NAWA-Monitoring ein ähnliches – und dies oft mitten in der Stadt. Ausländische Bild wie viele der Bäche im Schweizer Mittel- Besucher trauen bei diesem Anblick ihren land. Bezogen auf die ganze Schweiz belegen die Augen nicht. Die Charles River Conservancy etwa, NAWA-Untersuchungen, dass die Belastung mit eine Organisation, die sich zum Ziel gesetzt hat, Nährstoffen in kleinen und mittleren Bächen und «urban swimming» in Boston zu ermöglichen, Flüssen punktuell immer noch zu hoch ist, ob- schrieb nach einer Studienreise in die Schweiz: wohl heute weniger Nitrat und vor allem weniger «Aus dieser Erfolgsgeschichte können wir lernen, Phosphat in die Oberflächengewässer gelangen, was es braucht, um eine amerikanische Premi- als vor dem Bau des ARA-Netzes. Mit Umweltgif- ere zu schaffen: einen Charles River, der sauber ten belastet sind die Gewässer vor allem, wenn sie genug ist für Fische und für eine Rückkehr des öffentlichen Schwimmens.» Neben dem Zustand von Seen und Flüssen ist Neben dem Zustand von Seen und Flüssen ist die die Qualität des Grundwassers von unmittelbarer Qualität des Grundwassers von unmittelbarer und und grosser Bedeutung für die Schweiz. Verbor- gen im Untergrund, ist es unsere wichtigste Trink- grosser Bedeutung für die Schweiz. wasserressource – mehr als 80 Prozent davon werden aus Grundwasser gewonnen. Im Gegen- Pestizide aufnehmen. Problematisch sind auch satz zu Flüssen und Bächen ist dieses von Natur zu viele Nährstoffe aus der Landwirtschaft oder aus durch intakten Boden relativ gut geschützt ungenügend verdünntes gereinigtes Abwasser. und besitzt eine «insgesamt gute Qualität», wie Dieses Wasser ist zwar von den herkömmlichen die landesweit repräsentativen Daten der Natio- Schmutz- und Schadstoffen gereinigt, enthält nalen Grundwasserbeobachtung NAQUA zeigen. aber immer noch Mikroverunreinigungen. Dabei handelt es sich unter anderem um Rückstände Lebenswichtige und verletzliche Ressource von Pestiziden, Medikamenten, Kosmetikproduk- Beim genauen Hinschauen zeigen sich auch hier ten oder Holzschutzmitteln. Probleme. «Substanzen, die besonders langlebig So weit der Blick auf Bäche und Flüsse, doch und gleichzeitig sehr mobil sind, können auch wie steht es um die Wasserqualität der Schweizer bis ins Grundwasser gelangen», sagt Miriam Seen? Auch bei diesen ist die Belastung mit Nähr- Reinhardt, die in der Sektion Hydrogeologische stoffen stark zurückgegangen. Allerdings sind Grundlagen des BAFU für die Grundwasserquali- einzelne von ihnen in Gebieten mit intensiver tät verantwortlich ist. So finde man hauptsäch- Viehmast noch immer allzu stark mit Phosphat lich in Ballungsräumen und landwirtschaftlich belastet. Das gilt zum Beispiel für den Baldegger- intensiv genutzten Gebieten Spuren von Fremd- und den Zugersee. Phosphat führt zu starkem und Schadstoffen im Grundwasser. «Vor allem Wachstum von Algen. Nach ihrem Absterben Rückstände von Düngemitteln und Pestiziden wird beim Abbau viel Sauerstoff verbraucht, der gelangen durch den Boden ins Grundwasser und den Seen in der Folge fehlt und zu einer Verar- beeinträchtigen die Wasserqualität nachhaltig», mung der Artenvielfalt führt. Als Gegenmass- stellt die Koordinatorin des NAQUA-Monitorings nahme werden verschiedene Gewässer künstlich fest. Landesweit sind die Werte von Nitrat oder belüftet – zum Teil seit Jahrzehnten. «Rund die von Pestizidrückständen an rund 30 Prozent der Hälfte der grössten Seen erfüllt die gesetzlichen NAQUA-Messstellen signifikant erhöht. Vorgaben zum Sauerstoffgehalt nicht», sagt Ge- Und auch die Siedlungsentwässerung hinter- wässerspezialistin Yael Schindler. lässt lokal unübersehbare Spuren im Grundwas- ser. Zum Beispiel, wenn über die Kläranlagen Baden ist bedenkenlos möglich Rückstände einzelner Arzneimittel in die Fliess- Allen Defiziten zum Trotz ist «die hygienische gewässer und von dort bis ins ufernahe Grund- Wasserqualität der Schweizer Seen und Flüsse wasser gelangen. Für punktuelle Einträge von sehr gut», wie das BAFU in seinen Informationen chlorierten Kohlenwasserstoffen sind dagegen zur Badewasserqualität festhält. Das bedeutet, meist Altlasten verantwortlich. Deren Sanierung 9
umwelt 1/2017 > DOSSIER WASSERQUALITÄT ist gesetzlich vorgeschrieben und stellt ein Mehr- beseitigt. Die Investitionen in das Innenleben generationenprojekt dar. Da sich Grundwasser im des Wasserschlosses Schweiz gewissermassen. Gegensatz zu Bächen und Flüssen nur langsam Bloss nützen all diese Anstrengungen zur Ver- erneuert, werden Verunreinigungen kaum oder besserung der Qualität des Wassers wenig, wenn nur sehr langsam abgebaut. «Umso wichtiger ist nicht auch die Lebensräume aufgewertet werden. es», so Miriam Reinhardt, «problematische Sub- Ein von Pestiziden befreiter Bach bleibt für Tiere stanzen frühzeitig zu erkennen und das Grund- und Pflanzen eine lebensfeindliche Umgebung, wasser nach dem Vorsorgeprinzip bestmöglich wenn er durch ein Betonkorsett eingeengt ist. vor dem Eintrag von Fremdstoffen zu schützen.» Darum sollen unter anderem bis Ende dieses Der Schweizer Gewässerschutz hat viele seiner Jahrhunderts 4000 Kilometer Fliessgewässer Ziele erreicht. Doch was ist zu tun, damit diese revitalisiert werden – eine Herkulesaufgabe. Geschichte auch erfolgreich weitergeschrieben wird? Handlungsbedarf besteht vor allem in zwei Der Klimawandel wird sich mit grosser grossen Bereichen. Einerseits müssen wir etwas gegen die Mikroverunreinigungen aus den dicht Wahrscheinlichkeit negativ auf die aquatischen besiedelten Gebieten tun. Andererseits geht es Ökosysteme auswirken. um die Rückstände von Pestiziden und Dünge- mitteln, die direkt oder indirekt über Drainagen von den Feldern in Flüsse und Bäche eingetragen Und noch einen Aspekt gilt es zu beachten: werden. die Folgen des Klimawandels. Er wird sich mit «Bei den Mikroverunreinigungen aus den dicht grosser Wahrscheinlichkeit negativ auf die aqua- besiedelten Gebieten liegt der Weg bereits klar tischen Ökosysteme auswirken. Auch vor diesem vor uns», erklärt Yael Schindler. «Das Parlament Hintergrund müssen unsere Bäche, Flüsse und hat beschlossen, die Abwasserreinigungsanla- Seen naturnäher und damit widerstandsfähiger gen technisch so aufzurüsten, dass sich diese werden. «Nur in gutem Zustand können die Belastungen zu einem grossen Teil eliminieren Gewässer all ihre Funktionen erfüllen», erklärte lassen.» Ziel ist, mehr als die Hälfte des Schweizer BAFU-Direktor Marc Chardonnens den am Lim- Abwassers mit einem weiter gehenden Verfahren pach versammelten Medienleuten. «Sei es als zur Elimination von Mikroverunreinigungen zu Trinkwasserlieferanten, als Naherholungsgebiete behandeln. Dazu werden in den kommenden für die Bevölkerung oder als Lebensräume für Jahren die wichtigsten Anlagen ausgebaut. Pflanzen und Tiere.» Deutlich schwieriger sieht die Situation bei den Pflanzenschutzmitteln aus. Um zu verhindern, Weiterführende Links zum Artikel: dass kleinere und mittlere Bäche und Flüsse stark www.bafu.admin.ch/magazin2017-1-01 belastet werden, braucht es grosse Anstrengun- gen in der Landwirtschaft. Aus diesem Grund wurde ein Aktionsplan zur Risikoreduktion und zur nachhaltigen Anwendung von Pflan- zenschutzmitteln erarbeitet. Um die Risiken von Pflanzenschutzmitteln massgeblich einzudäm- men, ist eine Vielzahl von Massnahmen gefragt (siehe Beitrag auf Seite 21 ff.). Die Herausforderungen Handlungsbedarf gibt es auch beim Schutz unserer wichtigsten Trinkwasserressource, des Grundwassers. Weil die Siedlungsentwicklung weitgehend ungebremst voranschreitet, kom- men Grundwasserfassungen immer stärker KONTAKTE unter Druck (siehe Beitrag auf Seite 33 ff.). Und Yael Schindler Wildhaber Miriam Reinhardt Sektion Wasserqualität Sektion Hydrogeologische Grundlagen schliesslich müssen wir auch dafür sorgen, dass BAFU BAFU die Infrastruktur unterhalten wird, die uns mit +41 58 462 52 26 +41 58 464 56 34 Trinkwasser versorgt – und unser Abwasser yael.schindler@bafu.admin.ch miriam.reinhardt@bafu.admin.ch 10
DOSSIER WASSERQUALITÄT < umwelt 1/2017 Die Groppe ist ein guter Indikator für die Gesundheit von Bächen und Flüssen. Der Fisch benötigt strukturreiche Gewässer mit sauberem, sauerstoffreichem und eher kühlem Wasser. Bild: Michel Roggo/roggo.ch BIODIVERSITÄT Viel Stress für Arten unter Wasser Auf der Roten Liste der gefährdeten Arten der Schweiz sind Gewässertiere und -pflanzen übervertreten. Das hat nicht nur, aber auch mit der Wasserqualität zu tun. Text: Hansjakob Baumgartner Sie ist ein Sonderling unter den hiesigen Fischen: tung Oberflächengewässerqualität (NAWA) angewandt Nicht einmal richtig schwimmen kann die Groppe. Sie wird (siehe Artikel Seite 6 ff.): Wo die Groppe in ihren bewegt sich mehr hüpfend vorwärts und ist deshalb angestammten Habitaten in gesunden Beständen lebt, an den Gewässergrund gebunden. Auch ist sie nicht ist die Welt noch heil, auch für andere Wasserorga- stumm wie ein Fisch: Groppen verteidigen ihr Revier nismen. Kommt sie hingegen nur spärlich oder gar mit Drohlauten. nicht vor, muss daraus geschlossen werden, dass das Und doch ist die Art eine wichtige Vertreterin der fragliche Gewässer keine günstigen Lebensbedingungen Schweizer Fischfauna: Die Groppe benötigt strukturrei- für Wassertiere bietet. che Gewässer mit sauberem, sauerstoffreichem und eher In der Urtenen, die am Moossee nördlich von Bern kühlem Wasser. Zusammen mit 16 weiteren Fischen ist entspringt und bei Bätterkinden (BE) in die Emme mün- sie deshalb eine Indikatorart im Modul «Fische» des det, ist sie noch zugegen. 2012 wurden beim Abfischen Modul-Stufen-Konzepts, das in der Nationalen Beobach- der NAWA-Probestrecke bei Schalunen (BE) mittels eines 11
umwelt 1/2017 > DOSSIER WASSERQUALITÄT Elektrofanggerätes auch Groppen gefangen, allerdings im 2011 erschienenen BAFU-Synthesebericht zu den nur wenige. Offenbar ist dieser Bach hier kein beson- Roten Listen. ders guter Fischlebensraum. Tatsächlich ist auch die Das Problem hat viele Ursachen: die Strukturarmut in Artenvielfalt der Fische in der beprobten Strecke stark den verbauten Bächen und Flüssen; Wanderhindernisse eingeschränkt: Nur 5 Fischarten fanden sich hier. durch Flusskraftwerke, Wehre und künstliche Schwel- Die für den fraglichen Gewässertyp charakteristische len; der vielfach ungenügend grosse Gewässerraum; die Äsche fehlte, dafür dominierte der standortfremde, fehlende Dynamik; der gestörte Geschiebehaushalt; die anspruchslose Stichling. unnatürliche Wasserführung mit Schwall und Sunk; die steigenden Wassertemperaturen infolge des Klima- Fischfauna unter Druck wandels – sowie die schlechte Wasserqualität. Allgemein haben es die Fische in den hiesigen Ge- wässern schwer. Gemäss Roter Liste sind 58 Prozent Sauerstoffmangel in den Seen der einheimischen Arten bedroht. Die Fische gehören Letztere gilt gemäss Roten Listen für alle Artengruppen damit zu den Tieren mit einem überdurchschnittlich als einer von mehreren Bedrohungsfaktoren – nicht hohen Anteil an gefährdeten Arten. nur in Bächen und Flüssen, sondern auch in Seen. Und wie steht es um die anderen Wasserorganis- Viele Wasserorganismen, die auf der Roten Liste ver- men? Am Gewässergrund leben unzählige wirbellose zeichnet sind, sind Leidtragende der Eutrophierung Tiere: Insekten, Spinnentiere, Schnecken, Muscheln, unserer Gewässer durch Nährstoffeinträge, die in den Krebse, Würmer, Egel. Wirbellose Arten, die von blos- 1970er- und den frühen 1980er-Jahren ihren Höhepunkt sem Auge sichtbar sind, werden unter dem Begriff erreichte. Dies führte periodisch zu einem Sauerstoff- Makrozoobenthos zusammengefasst. schwund in der Tiefe der Seen, wodurch das Leben am Gewässergrund erstickte. Aus manchen Gewässern ist Schlechte Zeiten für Wasserorganismen zum Beispiel ein Grossteil der Wasserschnecken und Von der Artengemeinschaft des Makrozoobenthos Muscheln deswegen gänzlich verschwunden. Ähnli- sind die Köcher-, Eintags- und Steinfliegen, die ihr ches gilt für das Makrozoobenthos, und auch mehrere Larvenstadium im Wasser verbringen, sowie die Felchenarten haben die Zeit der Überdüngung unserer Wasserschnecken und Muscheln in der Roten Liste Seen nicht überlebt. der Schweiz erfasst. Bei den Ersteren liegt der Anteil Der Ausbau der Abwasserreinigungsanlagen (ARAs), der gefährdeten Arten zwischen 40 und 51 Prozent. das Phosphatverbot in Textilwaschmitteln sowie die Bei den Wasserschnecken und Muscheln sind es Ökologisierung der Landwirtschaft brachten unseren 43 Prozent. Gewässern die dringend benötigte Abmagerungskur. Noch schlechter als bei der Tierwelt unserer Gewäs- Doch eine Wiederbesiedlung kann nur mobilen Or- ser ist die Situation bei den Wasserpflanzen. Mehr ganismen gelingen, die in erreichbarer Nähe noch als 60 Prozent sind mehr oder weniger akut bedroht. vitale Bestände haben. Wanderbarrieren verhindern Insgesamt wiesen die Gewässerorganismen den höchsten Anteil an in der Schweiz ausgestorbenen oder vom Aussterben bedrohten Arten auf, heisst es Steinfliegenlarve Jakob Forster/waldzeit.ch Köcherfliegenlarven Michel Roggo/roggo.ch Eintagsfliegenlarve Jakob Forster/waldzeit.ch 12
DOSSIER WASSERQUALITÄT < umwelt 1/2017 aber, dass sich isolierte Kleinbestände bedrohter Arten die Abwasserreinigungsanlagen sowie Abschwem- wieder ausbreiten und erholen können. Und was an mungen von Strassen und landwirtschaftlich genutz- Artenvielfalt einmal verloren gegangen ist, kann nicht ten Flächen führten immer wieder zu kurzzeitigen wieder zurückgebracht werden. Spitzenbelastungen, die «ein erhöhtes Risiko für das Ökosystem» darstellen, heisst es dazu im 2004 erschie- Insektizide töten Wasserinsekten nenen Schlussbericht. Hormonaktive Substanzen, die Eine neuere Bedrohung für Gewässerorganismen sind eine Verweiblichung männlicher Fische verursachen Mikroverunreinigungen durch Schadstoffe wie hor- können, erreichten unterhalb von ARAs mit grossem monaktive Substanzen oder Pestizide. Gemäss Roten Einzugsgebiet und geringer Verdünnung «Konzentra- Listen sind Arten aller Gruppen von Wassertieren von tionen im Bereich der Wirkschwelle». diesen Schadstoffen betroffen. Erhebungen über den Zustand des Makrozoobenthos Sauberes Wasser in naturnahen Bächen im Rahmen der NAWA zeigten, dass Arten, die emp- Um den aquatischen Organismen das Überleben zu findlich auf Pestizide reagieren, besonders unter Druck erleichtern, braucht es somit zweierlei: Gewässerre- stehen. Das sind vor allem die Larven von Insekten wie vitalisierung und eine Verbesserung der Wasserqua- Köcher-, Eintags- und Steinfliegen, denen Rückstände lität. Das eine hilft dem anderen: Extensiv genutzte von Insektengiften im Wasser zusetzen. Ihre Häufig- Gewässerräume mit intakter Vegetation vermindern keit und Vielfalt ist stärker eingeschränkt als bei den den Eintrag von Schadstoffen. Arten, die Pestizide besser ertragen. Auch hat sich An der Urtenen hat man denn auch beides getan, gezeigt, dass ihre Präsenz umso geringer ist, je höher allerdings nicht an der NAWA-Probestrecke, sondern die Anteile von Ackerflächen im Einzugsgebiet eines weiter oben. 2001 wurde die ARA Holzmühle oberhalb Gewässers sind. Ist das Einzugsgebiet bewaldet, deutet von Kernenried (BE) saniert. Dies bewirkte eine spürba- dies auf relativ geringe menschliche Einflüsse hin. re Verbesserung der Wasserqualität. Danach erfolgte In die gleiche Richtung weisen die Ergebnisse einer die Revitalisierung des fast vollständig verbauten schweizweiten Studie über das Makrozoobenthos, bei Gewässerabschnitts. Seither hat der Bach hier wieder der ausschliesslich Proben aus kleinen Fliessgewässern ein reich strukturiertes Gerinne. An flachen Ufern hauptsächlich aus dem Schweizer Mittelland analy- können Sand- und Kiesbänke entstehen, an Steilufern siert wurden (siehe Artikel Seite 16 ff.). Kleinbäche Anrisse. Die Ufer sind vielfältig bewachsen. bilden streckenmässig 75 Prozent des hiesigen Gewäs- Eine 2008 durchgeführte Erfolgskontrolle zeigte hier sernetzes. Für die Fauna und Flora sind sie von hoher einen deutlichen Anstieg der Fischbestände. Zuvor Bedeutung. Für etliche Arten des Makrozoobenthos fehlende Arten wie die Barbe waren zurückgekehrt, bilden sie den Hauptlebensraum, und manchen Fi- und die Bachforelle pflanzt sich im revitalisierten schen dienen sie als Laichgewässer und Kinderstuben Abschnitt wieder erfolgreich fort. Dies ganz im Un- sowie als Refugien, in die sie sich bei Hochwasser oder terschied zum eingangs beschriebenen Abschnitt der Gewässerverschmutzungen zurückziehen können. Urtenen bachabwärts. Dort leben, wie gesagt, gerade Die Analyse von über 700 Makrozoobenthosproben mal 5 Fischarten, darunter vor allem der anspruchslose aus kleinen Fliessgewässern ergab, dass in diesen die Stichling, der an diesem Standort eigentlich gar nicht Welt der wirbellosen Wassertiere noch stärker be- heimisch ist. einträchtigt ist als in grösseren Bächen und Flüssen. Und auch hier weisen die Untersuchungen vor allem Weiterführende Links zum Artikel: in tiefer gelegenen, intensiv genutzten Gebieten auf www.bafu.admin.ch/magazin2017-1-02 eine Pestizidbelastung hin. KONTAKTE Fische leiden unter Mikroverunreinigungen Gregor Thomas Mit dem Einfluss der Wasserqualität auf das Wohl und Sektion Revitalisierung und Wehe der Fische befasste sich das Forschungsprojekt Gewässerbewirtschaftung BAFU «Fischnetz». Dieses wurde Ende der 1990er-Jahre lan- +41 58 465 41 35 ciert, um die Ursachen des dramatischen Rückgangs gregor.thomas@bafu.admin.ch der Bestände mehrerer Fischarten, namentlich der Forelle, zu ergründen. Andreas Knutti Sektion Lebensraum Gewässer Das Projekt prüfte verschiedene Hypothesen. Davon BAFU betraf eine die ungenügende Wasserqualität. Die Ein- +41 58 464 72 83 träge von Siedlungs- und Industriechemikalien über andreas.knutti@bafu.admin.ch 13
umwelt 1/2017 > DOSSIER WASSERQUALITÄT HAUSHALTE: INNEN- UND AUSSENRÄUME SPITÄLER INDUSTRIE UND GEWERBE: PRODUKTION UND BAU H z. B. Arzneimittel, Biozide z. B. Pflanzenschutzmittel, z. B. Arzneimittel z. B. Industriechemikalien, z. B. Biozide, Biozide Schwermetalle Industriechemikalien KANALISATION Mischwasser Überläufe Regenwasser Industrie ALTLASTEN UND DEPONIEN Kanäle Einleitung Leckage Kanalisation ARA Oberflächenabfluss Sickerwassereinleitung GRUNDWASSERFASSUNG Verschmutzungsquellen Seen, Flüsse und Bäche, aber auch das Grundwasser werden aus unterschiedlichen BODEN Quellen belastet. Diese Grafik bietet einen Überblick über die wichtigsten Verursacher VERSICKERUNG solcher Verschmutzungen. Sie zeigt, auf welchen Wegen Nähr- und Schadstoffe ins Wasser gelangen, und illustriert die unter- schiedlichen Verbreitungswege sowie die GRUNDWASSER Auswirkungen auf die Umwelt. 14
DOSSIER WASSERQUALITÄT < umwelt 1/2017 LANDWIRTSCHAFT: TIERHALTUNG UND PFLANZENBAU VERKEHR: STRASSE UND BAHN z. B. natürliche Östrogene, z. B. Pflanzenschutzmittel, z. B. PAK (polyzyklische aromatische z. B. Herbizide, Schwermetalle Arzneimittel Schwermetalle Kohlenwasserstoffe), Schwermetalle Drainage Abdrift Oberflächenabfluss Verkehrswegeentwässerung FLORA UND FAUNA FLIESSGEWÄSSER STEHENDES GEWÄSSER INFILTRATION SICHERE TRINKWASSERRESSOURCEN 15
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DOSSIER WASSERQUALITÄT < umwelt 1/2017 KLEINE FLIESSGEWÄSSER Idyllisch plätschernde Lebensadern Bäche und Flüsse sind aus ökologischer Sicht besonders wertvoll. Für manche Tiere und Pflanzen stellen sie gar den wichtigsten Lebensraum dar. Und die kleinen Fliessgewässer reagieren ganz besonders empfindlich auf Belastungen durch menschliche Aktivitäten, wie eine Tour durch den Kanton St. Gallen zeigt. Text: Kaspar Meuli; Bilder: Markus Forte, Ex-Press/BAFU Ein Lächeln huscht über Vera Leibs Gesicht. kroverunreinigungen, entdecken auch noch so «Da geht mir das Herz auf», sagt die Biologin, aufmerksame Fischer und Spaziergängerinnen greift sich eine grosse Steinfliegenlarve aus dem nicht. Doch davon später. Netz und setzt sich das Tierchen auf die Hand. «Manchmal vergesse ich ganz, dass es so etwas Seltene Lebewesen – gesunder Bach gibt.» Wir befinden uns in einem Wald keine Nun setzt die Biologin zu einem zweiten Fangzug 15 Autominuten von St. Gallen entfernt. Ange- an. Sie legt ihr Netz auf der Sohle des Hörlen- nehm kühl ist es an diesem Sommermorgen, und bachs aus, bewegt mit ihrem rechten Fuss einen auf dem sanft dahinplätschernden Bach, in dem Stein, scheucht so die Wasserlebewesen auf und wir stehen, spielen Sonnenstrahlen. hebt dann die Beute sorgfältig aus dem Wasser. Vera Leib, die Spezialistin für kleine Fliess- «Zuerst denkt man immer, man finde nichts, aber gewässer im Amt für Umwelt und Energie des beim genaueren Hinsehen zeigt sich sofort, dass Kantons St. Gallen, hat den quicklebendigen sich etwas bewegt.» Tatsächlich. Im Fanggut, das Hörlenbach erst vor Kurzem entdeckt. Meistens Vera Leib in eine Laborschale geschüttet hat, ent- hat sie es nicht mit Vorzeigegewässern zu tun, sondern mit Problemfällen. Und davon gibt es genug. Rund fünfzig Mal im Jahr werden dem «Wenn ich sehr grosse Steinf liegenlarven Schadendienst ihres Amtes Gewässerverschmut- finde, kann ich mit Sicherheit sagen, dass zungen gemeldet, nicht selten auch Fischsterben. Die wichtigsten Ursachen für die Schadensfälle die Wasserqualität eines Baches während der liegen bei Industrie- und Gewerbebetrieben, letzten Jahre gut war.» Vera Leib, AFU St. Gallen landwirtschaftlichen Tätigkeiten oder auf den Strassen. Viele Verschmutzungen werden aller- dings gar nicht gemeldet. Und einen weiteren deckt sie weitere Steinfliegenlarven, etwa einen wichtigen Grund für den schlechten Zustand Zentimeter lang, hellbraun gefärbt und mit den von Bächen, nämlich die Belastung durch Mi- charakteristischen Schwanzfäden ausgestattet. Die Gewässerspezialistin ist mehr als zufrieden: «Wenn ich sehr grosse Larven dieser Art finde, kann ich mit Sicherheit sagen, dass die Wasserqualität eines Die Biologin Verena Leib beprobt den Hörlenbach in Baches während der letzten Jahre gut war.» der Nähe von St. Gallen. Die Steinfliegenlarven, die sie Der Grund für eine derart präzise Aussage: Die dabei unter anderem findet, sind Zeichen einer sehr Larven der Steinfliege wachsen während einer guten Wasserqualität. Zeitspanne von bis zu drei Jahren im Wasser 17
umwelt 1/2017 > DOSSIER WASSERQUALITÄT heran, und sie reagieren sehr empfindlich auf in den sie sich bei Hochwasser oder nach Ver- Verschmutzungen. Genau deshalb eignen sie sich schmutzungen grösserer Gewässer zurückziehen wie die anderen wirbellosen Wassertiere – auch können. Sterben nach solchen Störungen Fische Makrozoobenthos genannt – als Indikatoren für oder kleinere Gewässertiere in den Hauptgewäs- den biologischen Zustand eines Gewässers. Am sern aus, ist eine Wiederbesiedlung nur dank aussagekräftigsten für Vera Leibs Beurteilungen intakter Seitenbäche möglich. sind neben der Steinfliege die Eintagsfliege, die Bäche erfüllen nicht nur grundlegende ökolo- Köcherfliege und der Flohkrebs. Die Biologin do- gische Funktionen, sie reagieren auch besonders kumentiert das Vorkommen und die Häufigkeit empfindlich auf Belastungen. Und die sind in dieser Arten in regelmässigen Abständen, vor kleinen Fliessgewässern etwa durch Pestizidrück- allem in Gebieten mit hohem Nutzungsdruck, stände besonders hoch. Der Grad der Verschmut- und bildet so die mehr oder weniger gute Befind- zung schwankt allerdings je nach Ort und Zeit lichkeit der St. Galler Bäche ab. Kombiniert mit stark. Am problematischsten ist die Situation, den chemischen Untersuchungen der Gewässer wenn Pflanzenschutzmittel nach einem starken ergibt sich daraus folgendes besorgniserregendes Regen direkt vom Feld in einen Bach gelangen. Bild: 35 von 50 untersuchten Bächen im Kanton Dann treten bei den Mikroverunreinigungen zeigen erhebliche Mängel punkto Qualität und Konzentrationsspitzen auf, die um ein Vielfaches erfüllen die Anforderungen der eidgenössischen höher sind als in Flüssen. Gewässerschutzverordnung nicht – ganz im «Im stark genutzten Mittelland kann eine Unterschied zu den grossen Bächen und Flüssen, Vielzahl der Bäche ihre wichtigen natürlichen deren Qualität in St. Gallen gut ist. Aufgaben nicht mehr erfüllen», bilanziert Christian Leu und zieht einen Vergleich mit dem Sandoz-Unfall in Schweizerhalle, der die Men- Bäche erfüllen nicht nur grundlegende schen in der Schweiz vor 30 Jahren aufrüttelte ökologische Funktionen, sie reagieren auch und verschiedene Massnahmen zur Verbesserung der Wasserqualität des Rheins auslöste. «Heute besonders empfindlich auf Belastungen. finden in unserem Land fast täglich kleinere und grössere Verschmutzungen statt, die im Kleinen ähnlich schwerwiegende Folgen für unsere Bäche haben. Es ist an der Zeit, etwas Defizite von Öffentlichkeit kaum bemerkt gegen diesen Missstand zu unternehmen.» Denn Wie eine schweizweite Untersuchung im Auftrag längst ist klar, wie sich die stoffliche Belastung des BAFU zeigt, unterscheidet sich der Zustand der senken lässt. Bei Abwasserreinigungsanlagen kleinen Bäche stark. Von solchen in naturnahem (ARAs) existieren dafür technische Massnahmen, Zustand bis zu überaus stark beeinträchtigten doch diese leiten das gereinigte Wasser praktisch findet sich die gesamte Bandbreite. Die Hälfte ausschliesslich in mittlere und grosse Gewässer. der untersuchten Bäche, so das Ergebnis von über Zur Verbesserung der Wasserqualität der kleinen 700 Makrozoobenthos-Untersuchungen, befin- Gewässer hingegen braucht es eine ganze Palette det sich in einem ungenügenden Zustand. Am von Massnahmen (siehe Artikel 21 ff.). grössten sind die Defizite in intensiv genutzten Regionen mit viel Siedlung, Landwirtschaft und Naturnahe Bäche besser schützen Verkehr. «Der Zustand vieler Bäche ist bedenklich «Eine zentrale Voraussetzung für die Umsetzung und wird in der Öffentlichkeit kaum wahrge- dieser Massnahmen», sagt Christian Leu, «ist, dass nommen», erklärt Christian Leu, der Leiter der Fortsetzung auf Seite 20 Sektion Wasserqualität im BAFU. Allzu schlecht bekannt sei auch, welch wichtige Rolle die Bäche spielten. Sie machen nicht nur drei Viertel des Die Wasserqualität des Sickerkanals (rechts) bei 65 000 Kilometer langen Fliessgewässernetzes der Diepoldsau (SG) lässt stark zu wünschen übrig. Ein Schweiz aus, sie sind aus ökologischer Sicht auch klares Indiz dafür sind die vielen Schlammröhren- besonders wertvoll. Für manche wirbellosen Was- würmer. Sie bilden eine rote Spur im Wasser (oben sertiere stellen sie gar den wichtigsten Lebens- links), die von blossem Auge sichtbar ist. Auch Schaum raum dar. Aber auch viele Fische nutzen sie zum (oben rechts) kann auf eine starke Belastung eines Laichen, Heranwachsen und als Rückzugsraum, Gewässers mit organischen Stoffen hindeuten. 18
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umwelt 1/2017 > DOSSIER WASSERQUALITÄT wir uns der Verantwortung gegenüber diesem Schlammröhrenwürmern, die sich blitzschnell in wichtigen Lebensraum bewusst werden und ent- ihre Röhrenbehausungen zurückziehen, sobald sprechend handeln.» Allerdings nicht nur beim sie sich gestört fühlen. Doch die Gewässerspezi- Umgang mit Chemikalien, sondern auch indem alistin packt ihr Netz gar nicht erst aus, die Indi- wir den kleinen Gewässern den Raum geben, den katoren für die Wasserqualität sind von blossem sie brauchen, um ihre vielfältigen Funktionen Auge sichtbar. «Die roten Spuren sind ein klares wahrzunehmen. Wichtig sei auch, sich nicht Zeichen für eine Verschmutzung», erklärt sie. «In nur auf die Gewässer in schlechtem Zustand sauberen Bächen kommen diese Würmer nie so zu konzentrieren. Es müssten konsequent auch massiv, sondern nur vereinzelt vor.» diejenigen Bäche geschützt werden, die sich noch Messungen haben ergeben, dass der Sicker- in naturnahem Zustand befänden. kanal mit Ammoniumstickstoff belastet ist. Die Vor dem Hintergrund dieser Fakten ist der Hör- vorgefundenen Konzentrationen liegen deutlich lenbach in den Hügeln oberhalb von St. Gallen über dem Grenzwert. Der schädliche Stoff ist ein richtiger Glücksfall. Er schlängelt sich nicht Bestandteil von Gülle und kann über die Drai- nur idyllisch durch Mischwald und Grasland, er nageleitungen direkt ins Gewässer gelangen. ist auch aus biologischer Sicht intakt. Bei unserer Beurteilungstour findet Vera Leib nur Tierchen, Schnelles und entschiedenes Handeln gefragt die für gesundes Wasser sprechen. Und auch Bei ihren Touren über Land kommt die Gewässer- die einfachen chemischen und physikalischen spezialistin oft mit Leuten ins Gespräch, und dann Messungen, die sie direkt vor Ort ausführt, be- betont sie jeweils die ökologische Bedeutung der stärken den Befund: «Wir haben es hier wirklich kleinen Gewässer. «Ich versuche immer, die Leute mit einem wunderbaren Bächlein zu tun.» zu sensibilisieren und ihnen aufzuzeigen, welche Doch weshalb geht es dem Hörlenbach im Folgen der unsorgfältige Umgang mit Gülle oder Unterschied zu anderen Bächen eigentlich so Abwasser haben kann.» Doch bei offensichtlichen gut? Die Antwort lässt sich so zusammenfassen: Verstössen gegen gesetzliche Vorschriften sei es Der Bach ist noch jung, wir befinden uns nur nicht mit gutem Zureden getan, dann greife der wenige hundert Meter unterhalb der Quelle, er Kanton auch hart durch. fliesst vor allem durch den Wald, und in seinem Weil die Zeit drängt. Vera Leib ist überzeugt, Einzugsgebiet liegt bloss ein einziger Bauernhof. dass wir alle schnell und entschieden handeln müssen, um die unzähligen belasteten Bäche Rote Würmer im Sickerkanal zu dem zu machen, was sie eigentlich sein Wir ziehen unsere Gummistiefel aus, steigen ins sollten: wichtige Lebensräume der Schweiz für Auto und fahren mit der Biologin zu unserem Flora und Fauna. Gefordert ist das Handeln von zweiten Ortstermin. Er liegt im Rheintal ganz im Privatpersonen, die zur Belastung mit Mikrover- Osten des Kantons. Genauer bei Diepoldsau, der unreinigungen beitragen, wenn sie mit Giften einzigen Schweizer Gemeinde auf der rechten nicht sorgsam genug umgehen. Oder auf dem Flussseite des Alpenrheins. Das kleine Gewässer, Bau, wenn schädliches Betonwasser bedenkenlos das uns Vera Leib zeigen will, gehört zu ihren in einen Bach geleitet wird. Und handeln müssen Sorgenkindern und trägt nicht einmal einen natürlich auch die Bauern und Bäuerinnen. «Mit richtigen Namen. Schnurgerade zieht sich der einer guten und sorgfältigen Pflanzenschutz- und «Sickerkanal rechts» entlang von grossen Mais- Düngepraxis», weiss die Biologin, «können die feldern und Kunstwiesen dahin, eingezwängt Landwirte viel für die kleinen Bäche bewirken.» zwischen Betonmauern und einer mit Brettern beplankten Sohle. Im St. Galler Rheintal wird an vielen Orten in- Weiterführende Links zum Artikel: tensiv Landwirtschaft betrieben, denn die ehema- www.bafu.admin.ch/magazin2017-1-03 ligen Moorflächen sind topfeben und fruchtbar. Wegen des hohen Grundwasserspiegels muss der Boden allerdings mithilfe von Drainageleitungen KONTAKT entwässert werden. Die Biologin marschiert auf Christian Leu Sektionschef Wasserqualität eine Stelle zu, an der eines der Entwässerungs- BAFU rohre in den Kanal mündet, und deutet auf rote +41 58 463 71 77 Farbflecken im Wasser: Ansammlungen von christian.leu@bafu.admin.ch 20
DOSSIER WASSERQUALITÄT < umwelt 1/2017 LANDWIRTSCHAFT UND MIKROVERUNREINIGUNGEN Ein Strauss von Massnahmen Den Schweizer Bächen und Flüssen machen Mikroverunreinigungen zu schaffen. Um diese Belastun- gen zu verringern, gibt es einerseits technische Lösungen bei der Abwasserreinigung. Auf der anderen Seite aber braucht es eine ganze Palette von Massnahmen, um zu verhindern, dass beispielsweise Pflanzenschutzmittel ausserhalb der Siedlungen in die Fliessgewässer gelangen. Innovative Methoden dazu gibt es viele, sie müssen bloss angewendet werden. Text: Cornélia Mühlberger de Preux; Bilder: Flurin Bertschinger, Ex-Press/BAFU Winzerin Emilienne Hutin spült in der Reinigungsanlage von Dardagny (GE) ein Spritzgerät zum Ausbringen von Pflanzenschutzmitteln. Ein heisser Tag im August auf dem «Domaine Les Hutins» hen. Doch diese Ruhe täuscht. Die Reben sind nämlich in Dardagny (GE). An diesem Morgen sind die Rebberge allerhand Gefahren ausgesetzt: Pilzen, Schadinsekten beidseits des bewaldeten Tals, durch das sich ein Bach und Witterungseinflüssen. 2016 war wegen der starken – der Ruisseau des Charmilles – schlängelt, menschen- Regenfälle ein besonders schwieriges Jahr. «Die Heraus- leer. Chardonnay, Weissburgunder und Savagnin Rose forderung ist gross: Es gilt, die Risiken einzudämmen können in aller Ruhe reifen. Heute sind weder Unkraut- und gleichzeitig den Bach zu schonen», erklärt Emi- bekämpfung noch irgendwelche Behandlungen vorgese- lienne Hutin, Leiterin des Rebgutes. Dabei versucht die 21
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