Vom Drinnen und Draußen - LIST Gruppe
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Vom Drinnen und Draußen Editorial Malkovich? Malkovich. In dem Moment, in dem das Leitthema dieser Ausgabe feststand, wusste ich, dass ich dieses Mal einen Filmtipp loswer- den muss. Einige werden sich erinnern: Die ganze Sache spielt nicht im 7. oder 8. Stockwerk eines New Yorker Bürogebäu- des, sondern im „siebeneinhalbten“. Dort findet der erfolglose Puppenspieler Craig Schwartz einen Job als Aktensortierer. Als ihm eine Akte hinter einen Schrank fällt, entdeckt er eine kleine Tür, hinter der sich ein Tunnel verbirgt. Der führt nicht etwa ins benachbarte Zimmer, sondern direkt ins Bewusstsein des Schauspielers John Mal- kovich. 15 Minuten lang fühlt, sieht, riecht und schmeckt Schwartz mit dessen Sin- nen, nachdem er den Tunnel betreten hat. Danach fällt er buchstäblich aus heiterem Himmel neben eine Autobahn in New Jer- sey wieder zurück in seine Realität. Auch Craigs Frau Lotte und seine Kollegin Maxine rutschen daraufhin durch den ge- heimen Gang und sind ebenso verwirrt wie begeistert. Das Trio vermarktet in der Fol- ge den Tunnel als Erlebnistrip ins „Fremde Ich“. Bis am Ende John Malkovich persön- lich auftaucht und auch einmal rutschen möchte. Der skurrile Plot gehört zu dem Film „Being John Malkovich“ und ganz zurecht meint Craig in diesem Film: „Da steigen doch tausend philosophische Grundfragen in Foto a|w|sobott, picture-alliance / Mary Evans Picture Library Cover ©世森 卢/EyeEm - stock.adobe.com einem auf!“ So ist es. Der Film macht sich jedoch noch nicht mal die Mühe, auch nur eine einzige zu beantworten. Das muss er auch gar nicht, denn mit seiner surrea- len Komik ist er allemal Unterhaltung vom Feinsten. Auch die Geschichten in diesem Heft wechseln ständig die Perspektiven – von drinnen nach draußen. Und wer ist eigent- lich drinnen, wer draußen? Ganz wie Sie mögen, wünsche ich Ihnen viel Freude bei Perspektivwechseln, philosophischen Grübeleien oder einfach nur guter Unter- haltung. Liebe Leser:innen, drinnen und draußen sind irgendwie immer auch eine Typfrage. Ihr Bei uns Menschen, aber auch bei Immobilien. Gerhard List Wir unterteilen unsere Welt in zwei unterschiedliche Lebensräume. Die Grenzen? Eine Frage der individuellen Interpretation. Die einen setzen auf eine klare Trennung, die anderen sprechen sich für Transparenz und Durchlässigkeit aus. Ein Spannungsfeld, das wir uns gemeinsam mit Ihnen einmal etwas genauer anschauen möchten. 2|3
Vom Drinnen und Draußen Inhalt S. 6 Laut gedacht S. 48 Was geht? Kein Fenster ohne Wand. Einsiedlerkrebse und ihre Immobilien. Draußen ist meistens anders als drinnen. Auch Schneckenhäuser sind ein knappes Gut. S. 10 Im Gespräch Geheimnisvolle Tiefsee. S. 52 Im Fokus Für Kirsten und Joachim Jakobsen geht es Draußen nur Kännchen. regelmäßig 1.000 Meter unter die Meeres- Es gab eine Zeit, in der bekam man oberfläche. draußen nur Kännchen. S. 18 S. 16 Andere Blickwinkel S. 54 inter den Kulissen H Blickdicht statt teuer. Stadtentwicklung in Herne. Eine Steuer, die für weniger Fenster sorgte. Wenn die Grenzen zwischen Gebäude und Park verschmelzen. S. 18 Hinter den Kulissen Zu Besuch in der Kupferwerkhalle. S. 58 Was geht? Ein Projekt zwischen Industriegeschichte Grenzenlos. und neuen Arbeitswelten. Der Übergang zwischen drinnen und draußen kann fließend sein. S. 26 Gastbeitrag How to get into Berghain. S. 66 Schon gewusst? Von Türsteher Sven Marquardt. Spezielle Musik. Für Kammermusik braucht es heute S. 30 Andere Blickwinkel keine Kammer mehr. S. 42 S. 10 Anweiden im Frühjahr. Kühe feiern die Rückkehr nach draußen. S. 68 Entdeckungsreise Rausfahren, wenn andere reinkommen. S. 32 Was geht? Zieht ein Unwetter auf, sind sie einsatzbe- Der Kosmos „Zuhause“. reit: die Seenotretter:innen. Einige Zahlen zum Leben drinnen und draußen. S. 74 Genau hingeschaut Dämmmaterial aus dem Meer. Impressum S. 36 Genau hingeschaut Seegras ist für die einen ein stinkendes Herausgeber Hightech-Produkt Fenster. Übel, für die anderen ein wertvolles LIST AG Das Baumaterial kann viel mehr als nur Baumaterial. Hagenstraße 41 Licht durchlassen. 48529 Nordhorn S. 78 Nachgefragt T +49 5921 8840-0 S. 40 Im Fokus Einblick in den Tiefbau. info@list-ag.de www.list-ag.de Freiwillig eingesperrt. Moussa Epp steht uns Rede und Antwort. Escape-Rooms liegen im Trend: einsperren Sitz der Gesellschaft lassen – Rätsel lösen – sich befreien. Nordhorn AG Osnabrück HRB 207548 USt.-Id.-Nr. DE160541353 S. 42 Entdeckungsreise Outdoor extrem. Vorstand S. 54 Mit Bergsteiger Dani Arnold unterwegs Dipl.-Ing. Gerhard List (Vorsitz) Dipl.-Kfm. Markus Figenser im sibirischen Eis. Dipl.-Ing. Dirk Rehaag, MBA Vorsitzender des Aufsichtsrats Prof. Dr. Manfred Helmus Redaktion und Layout Laura Raasch Inga Rahmsdorf Thore Vogelsang Jens Hasekamp (V. i. S. d. P.) LIST AG Hagenstraße 41 48529 Nordhorn T +49 5921 8840-893 jens.hasekamp@list-ag.de Anzeige und Abo S. 26 Druck Druckerei J. F. Niemeyer GmbH & Co. KG laura.raasch@list-ag.de Hohlweg 6 T +49 5921 8840-75 49179 Ostercappeln Bauwerk 02 | 2021 4|5
Vom Drinnen und Draußen Laut gedacht Mies van der Rohe setzte beim Einraumhaus „Farnsworth House“ Ohne Wand kein Fenster. auf Transparenz. Ist drinnen anders als draußen? Nicht unbedingt. Mitunter verschwimmen die Grenzen zwischen innen und außen. Schon der Architekt Mies van der Rohe baute einen Glaspalast, in dem die Bauherrin sich aber wie in einem Terrarium fühlte. Andere Architekt:innen zeigen, warum der Unterschied zwischen Fenster und Wand durchaus Sinn macht – und beide ihre Daseinsberechtigung haben. Die wiederum hat das Mikroabenteuer nur, weil draußen anders als drinnen ist. Also schlafen wir doch zu wenig unterm Himmelszelt? B leibe ich drinnen oder gehe ich renz ist angesagt. Die Idee gibt es schließ- hinaus? Die Frage hat seit Be- lich nicht erst seit Corona. Glasfassaden ginn der Corona-Pandemie eine lassen die Grenze zwischen innen und ganz neue Bedeutung erhalten. außen vergessen. Keine Trennung mehr Drinnen wabern seitdem ständig Aero- zwischen Öffentlichem und Privatem. Die sole durch die Luft. Unter freiem Himmel gläserne Außenhülle sei hell und einla- droht weniger Ansteckungsgefahr. Aber dend, jubeln ihre Anhänger:innen. Freier im Winter und im verregneten Frühling war Ausblick, Einblick, Durchblick. Dabei ist es draußen auch kalt und nass. Bei jedem den Betrachtenden nie so ganz klar: Bin Glas Wein im Ski-Overall mit Freunden auf ich schon draußen oder noch drinnen? ‣ der Parkbank und bei jeder Familienfeier unter dunklen Wolken und mit gefrorenen Füßen wuchs der Wunsch, es sich doch wenigstens zu Hause noch gemütlicher zu machen. Also Rückzug in die eigenen vier Wän- de. Ab auf den flauschigen Teppich, Kaminfeuer an und Kakao trinken. Doch Glasfassaden lassen die Hygge und Cocooning hin oder her, irgendwann fällt einem die Decke auf den Grenze zwischen innen Kopf, schmecken die Zimtschnecken ran- zig und die kuscheligste Wolldecke kratzt. Foto picture alliance/ZUMAPRESS.com/Zbigniew Bzdak und außen vergessen. Man sehnt sich nach Weite, Abenteuern und endlich einem kühlen Bier in der Na- tur – oder mitten im Gewusel. Nach der ganzen großen Welt da draußen. Doch die war monatelang geschlossen. Coro- na-Ausgangsbeschränkungen, Reisewar- nungen: Was bleibt uns da noch? Nun, man könnte ja wenigstens das Drau- ßen nach drinnen holen. Die Stadt und das eigene Heim nahtlos ineinander über- gehen lassen, den Außenbereich in die Wohnung integrieren oder das Wohnzim- mer in den Garten ausdehnen. Transpa- Bauwerk 02 | 2021 6|7
Vom Drinnen und Draußen Laut gedacht D as hat allerdings nicht nur Vor- scheidend für sie ist allerdings nicht die teile: Manch ein:e Bewohner:in Holz-, Glas- oder Steinfassade, sondern fühlt sich in so einem Terrarium dass man das Haus verlassen muss, um mitunter auch zu sehr auf dem etwas zu erleben. Ab in die Natur, Wälder Präsentierteller. Der Architekt Ludwig Mies und Berge. Und wenn gerade keine Wild- van der Rohe entwarf Ende der 1940er nis vor der Haustür liegt, reicht auch der Jahre das berühmte Einraumhaus „Farns- Park nebenan oder die Stadt um einen worth House“, dessen Außenwände voll- herum. Mikroabenteuer, so beteuern ihre ständig aus Glas sind. Es gilt bis heute als Fans, sind vor allem eine Frage der Ein- Meisterwerk der modernen Architektur. stellung. Hauptsache Routine durchbre- Sein Entwurf war ein Bruch mit der traditi- chen, nicht alles durchplanen und ganz onellen Hausfassade. Die hatte stets eine wichtig: raus aus der Komfortzone und ab klare Abgrenzung zwischen privatem und nach draußen. öffentlichem Raum gezogen. Doch nicht alle waren begeistert. Als der renommierte Verbringen wir nicht sowieso viel zu viel Architekt nach mehreren Jahren Planung Lebenszeit in Innenräumen? Mit schlech- das Haus 1951 fertig gestellt hatte, war ter Raumluft und fehlendem Sonnenlicht. die Bauherrin, Dr. Edith Brooks Farns- Egal ob beim Blick durch die Glasfassa- worth, keineswegs angetan. Das Haus sei de oder durch das geöffnete Fenster in durchsichtig wie ein Röntgenbild, kritisier- der Backsteinmauer: Das pralle Leben da te sie. draußen lockt immerzu. Picknick auf der Wiese, arbeiten an der frischen Luft, ach Die Idee, transparente Gebäude zu ent- was, warum nicht gleich schlafen unterm werfen, ist schon älter. Bereits 1851 wur- Himmelszelt. Nur, wenn es dann um ei- de für die Londoner Weltausstellung ein nen herum kriecht und kreucht, wenn die Kristallpalast, der Crystal Palace, nach Feuchtigkeit des Waldbodens durch den den Plänen von Joseph Paxton gebaut. Schlafsack dringt und sich die Steine in Die Wände der riesigen Halle bestanden die Schulter bohren, sehnt man sich doch allesamt aus Fenstern. Und im Jahr 1914 wieder nach den warmen Zimtschnecken erschien das Buch „Glasarchitektur“, in und der kuscheligen Wolldecke. Aber die dem Paul Scheerbart den Traum vom lassen sich ja auch in der Outdoor-Küche Leben in transparenten Gebäuden be- des Gartens genießen. Gemütlich und wild schrieb. „Ohne einen Glaspalast ist das zugleich. Denn: Draußen ist anders als Leben eine Last“, lautete seine Eloge. In drinnen. Zumindest meistens. • seinen damals noch utopischen Vorstel- lungen sollten alle Wände in eine trans- parente Hülle verwandelt werden. Wer braucht da noch Fenster? Das hat sich wohl auch der japanische Ar- chitekt Tomoaki Uno gefragt. Allerdings ist sein Entwurf des Hauses „Ogimachi“ ein krasser Gegenentwurf zum Glaspalast: ein hölzernes Wohnhaus ohne Öffnungen in den Wänden, vom Vorder- und Hinter- „Warum sollen wir in eingang einmal abgesehen. Aber nicht alle, die die Glasfassade als Idealbild ab- Gebäude gehen, die uns lehnen, schaffen damit auch gleich radikal alle Öffnungen ab. Türen und Fenster er- beim Betreten sagen: füllen ja durchaus ihren Sinn. Sie trennen und verbinden gleichermaßen. Vermitteln ‚Du bist wieder draußen‘?“ zwischen drinnen und draußen, zwischen privat und öffentlich. „Warum sollen wir in Architekten Lederer, Ragnarsdóttir und Oei. Gebäude gehen, die uns beim Betreten sagen: ‚Du bist wieder draußen‘?“, fragen die Architekten Lederer, Ragnarsdóttir und Oei (LRO) aus Stuttgart und setzen auf ge- mauerte Außenwände. Räume sollen als körperliche Hülle erfahrbar werden, denn: Foto Ben Hosking Unter der Prämisse „maximale Funktion mit „Drinnen ist anders als draußen!“ minimalem Material“ spielen im „Ogimachi“- Haus Fenster keine Rolle. Dem würden wohl auch Mikroabenteu- rer:innen leidenschaftlich zustimmen. Ent- Bauwerk 02 | 2021 8|9
Vom Drinnen und Draußen Im Gespräch Das etwas andere „Draußen“ – im Reich der ewigen Finsternis. Fotos Fundação Rebikoff-Niggeler (FRN) Die Tiefseeforschenden Kirsten und Joachim Jakobsen tauchten mit ihrem zweiten U-Boot „Lula 1000“ 2013 erstmals in die Tiefsee ab. Bauwerk 02 | 2021 10 | 11
Vom Drinnen und Draußen Im Gespräch Es ist dunkel, kalt und es herrscht ein enormer Druck. Die Tiefsee ist der größte Lebensraum der Erde, über den aber nur wenig bekannt ist. Um das zu ändern, tauchen die beiden Tiefseeforschenden Kirsten und Joachim Jakobsen, die auf der Insel Madeira leben, regelmäßig bis zu 1.000 Meter tief unter die Meeresoberfläche – geschützt durch ihr selbst entworfenes U-Boot. Wir haben mit ihnen über die Gefahren und die Faszination gesprochen. Frau und Herr Jakobsen, wann waren Sie das letzte Mal in K. J.: „Außerdem gibt es eine automatische Schaltung, die Tot- der Tiefsee? mannschaltung heißt. Alle 18 Minuten geht ein Alarm los, den Kirsten Jakobsen: „Oh, das ist jetzt schon einige Zeit her.“ man quittieren muss. Wenn man ihn nicht quittiert, wird automa- Joachim Jakobsen: „Ja, drei Wochen. Eigentlich wollten wir tisch Luft in die Ballasttanks geladen und dann geht das Boot morgen tauchen. Aber dann rief das Gesundheitsamt an, dass automatisch hoch. Es gibt alle möglichen Sicherheitsregeln, nach ich morgen geimpft werden kann. Und da möchte ich doch das denen das Boot gebaut wurde, die aktiviert werden.“ nächste Mal geimpft in die Tiefsee fahren. Übermorgen fahren Die Biodiversität in der Tiefsee ist enorm. wir wieder.“ Wie lange sind Sie bei einem Tauchgang vom Ein- bis zum Auftauchen unterwegs? Sie tauchen mit Ihrem U-Boot bis zu 1.000 Meter unter die K. J.: „Fünf Stunden. Das ist dann auch eine hochkonzentrierte Meeresoberfläche. Um Sie herum herrscht absolute Fins- Zeit. Wir müssen die ganze Zeit sehr aufmerksam sein und ver- ternis, auf dem U-Boot lasten tonnenschwere Wassermas- suchen, alles zu dokumentieren. Wenn man zum Beispiel einem sen. Sind Sie sich bei jedem Tauchgang der Gefahren dieser kleinen Fisch nachstellt, ist man die ganze Zeit hochkonzentriert. menschenfeindlichen Umgebung bewusst oder blendet man Ich bin danach immer ausgelaugt.“ das aus? J. J.: „Ja, ich auch.“ J. J.: „Wir finden es gefährlicher, auf einer bundesdeutschen Au- tobahn mit dem Auto unterwegs zu sein. Dort ist die Unfallrate Können Sie sich noch an den ersten Tiefseetauchgang mit höher. Und wenn man im Auto fährt, hört man doch auch Musik Ihrem U-Boot „Lula 1000“ erinnern? und denkt an etwas Schönes und nicht an Unfälle.“ J. J.: „Das war 2013. Da sind wir tatsächlich beim ersten Tauch- K. J.: „Wir begeben uns natürlich in eine lebensfeindliche Um- gang durch die Tintenwolke eines Riesenkalmars getaucht. Das gebung, aber mit einer Maschine, die speziell dafür gebaut wur- Tier selbst haben wir nicht gesehen. Damals haben wir gedacht, de und die extrem strengen technischen Auflagen unterliegt und och, wenn wir beim ersten Mal in fast 1.000 Metern Tiefe die Tin- jährlichen Inspektionen des Germanischen Lloyds unterzogen tenwolke sehen, dann schwimmen die Riesenkalmare hier überall wird. Deswegen fühlen wir uns nicht unsicher.“ herum. Denen werden wir jetzt immer begegnen. Aber danach sind wir ihm nie wieder begegnet.“ Wenn Sie tiefer als 1.000 Meter tauchen, würde es implo- dieren? Ist es frustrierend, dass Sie den Riesenkalmar immer noch K. J.: „Das U-Boot wurde auf einen Druck, wie er in 1.250 Metern nicht gefunden haben, oder ist es vor allem die Weltöffent- Meerestiefe herrscht, getestet. Die Tiefe, bei der es implodieren lichkeit, die Interesse daran hat? würde, liegt bei 1.750 Metern.“ J. J.: „Das ist die Weltöffentlichkeit mit den Sensationsgelüsten: Je größer und je gefährlicher, desto interessanter. Aber oft sind Gab es trotzdem mal eine Situation, in der etwas nicht so die kleinen Tiere viel interessanter.“ funktionierte, wie es sollte, und Sie Zweifel hatten, ob Sie K. J.: „Wir hatten ganz andere wunderbare Begegnungen. Wir wieder auftauchen würden? haben zum ersten Mal einen Fächerflossenseeteufel gefilmt, J. J.: „Nein, das läuft alles reibungslos. Das U-Boot selbst kann ja der war noch nie zuvor lebend dokumentiert worden. Mit einem auch komplett ohne elektrische Energie wieder auftauchen. Rein kleinen Zwergmännchen dran. Das war eine Aufnahme, die un- durch Druckluft, die wir in Tanks mitführen. Dafür sind zwei Kreis- heimlich viele Leute gesehen haben. So etwas ist mindestens läufe vorgesehen. Und wenn beide nicht funktionieren würden, genauso spannend, wie den Riesenkalmar zu finden.“ hätten wir auch Gewichte, die wir abwerfen können. Das funkti- oniert rein manuell und mit hydraulischer Kraft. Man müsste ein Sie haben schon viele Geheimnisse gelüftet, von denen die Der „Caulophryne jordani“, ein Tiefsee-Anglerfisch paar Mal pumpen, dann würde das Gewicht runterfallen und wir Menschheit nicht einmal wusste, dass es sie gibt. aus der Familie der Fächerflosser. würden wieder aufsteigen. Es ist ziemlich ausgeschlossen, dass K. J.: „Es ist ja nicht der Riesenkalmar, der uns antreibt. Sondern da etwas passieren könnte.“ eigentlich alles, was neu ist: ein besonderes Verhalten oder ‣ Bauwerk 02 | 2021 12 | 13
Vom Drinnen und Draußen Im Gespräch ein Tier, das noch nie lebend dokumentiert wurde und das ganz J. J.: „Nein, geduldig sind wir überhaupt nicht.“ anders aussieht, als man gedacht hat. In der Tiefsee sind ganz K. J.: „Total ungeduldig. Man muss Durchhaltevermögen haben, viele Arten nicht bekannt, noch nicht lebend oder noch gar nicht das schon. Einen langen Atem.“ dokumentiert. Die sehen ganz anders aus, wenn sie da herum- J. J.: „Ja, ein über alles erhabenes Durchhaltvermögen. Sonst schwimmen, als wenn sie mit einem Forschernetz völlig zer- sollte man damit nicht anfangen.“ • matscht an die Oberfläche kommen. Man bekommt auch ein ganz anderes Verständnis für das Leben in der Tiefsee, wenn man das vor Ort dokumentiert. Das ist unheimlich faszinierend.“ Wieso sind Sie Tiefseeforschende geworden? J. J.: „Ich bin mit Unterwassertechnik aufgewachsen. Schon meine Eltern haben in den 1950er Jahren Unterwasserfilme ge- macht. Ohne U-Boot, aber tauchend. Meine Mutter war die erste mit Tauchgerät tauchende Frau in Deutschland. Die Faszination hat bei mir ganz früh angefangen. Ich wollte schon als Kind ein U-Boot haben.“ Sehen Sie die Folgen der Umweltzerstörung dort unten im Meer, den Plastikmüll? K. J.: „Ja, bei jedem Tauchgang sieht man Müll. Sogar in 1.000 Metern Tiefe, wo noch nie jemand war und auch weniger gefischt wird als in geringerer Tiefe.“ Welche Ihrer Entdeckungen war für Sie persönlich die beein- druckendste? Die Jakobsens entdeckten nach 75 Jahren das K. J.: „Dieser Fächerflossenseeteufel mit dem Zwergmännchen vor den Azoren auf Grund liegende U-Boot U 581, dran. Das war das tollste Tier, das wir dokumentiert haben. Diese ein Wrack aus dem Zweiten Weltkrieg. Anpassung an die Tiefsee zu sehen, das fand ich toll. Die beiden Fische bleiben das ganze Leben zusammen. Da verwächst der Blutkreislauf. Beeindruckend war auch, dass wir ein Wrack aus Über die Jakobsens. dem Zweiten Weltkrieg gesucht und gefunden haben. Das war auch sehr bewegend.“ Das deutsche Ehepaar Kirsten und Joachim J. J.: „Und es gab viele andere Tiere, die wir als Erste gesehen Jakobsen lebt und arbeitet nach vielen Jahren haben, entdeckt haben. Wir haben für BBC auch einen Film ge- auf den Azoren mittlerweile auf der Insel Madei- dreht, wie ein Schwarm von Haien einen toten Pottwal zerlegt. ra. 1994 gründeten sie auf der Azoreninsel Große Haie, Sechskiemerhaie, die werden sechs Meter lang. Das Faial die gemeinnützige Stiftung Rebikoff-Niggeler war beeindruckend. Die haben das U-Boot herumgeschubst.“ (www.rebikoff.org). Ihr U-Boot, die „Lula 1000“, haben sie selbst entworfen und in Deutschland Sie haben das Wrack aus dem Zweiten Weltkrieg ja nicht bauen lassen. 7,5 Meter lang, wird es von fünf zufällig gefunden, sondern ganz systematisch jahrelang da- Elektromotoren angetrieben und ist für drei Perso- nach gesucht. nen und eine Tauchtiefe von 1.000 Metern zuge- K. J.: „Ja. Wir haben das Gebiet immer weiter eingegrenzt und lassen. Weltweit gibt es nur sehr wenige bemannte immer weiter abgefahren. Es war hinterher aber auch sehr viel Forschungstauchboote, die 1.000 Meter oder tiefer Glück dabei. Das Suchgebiet war am Anfang 130 Quadratkilo- tauchen. Die beiden Forschenden sitzen hinter meter groß. Letzten Endes war es wirklich Zufall, dass wir es ge- einer Sichtkuppel aus Plexiglas mit einem Durch- funden haben. Es war in einem sehr gebirgigen Gelände, wo man messer von 1,4 Metern und filmen mit ihren Kame- nicht mit einem Sonar arbeiten kann, das Schallimpulse sendet. ras in allerbester Bildqualität Tiefseeorganismen, So ein Sonar schleppt man ja normalerweise mit relativ geringem die vor und neben ihnen auftauchen. Außerdem Abstand über den Meeresboden. In unebenen Geländen ist das führen sie wissenschaftliche Projekte mit For- nicht möglich. Da konnten wir wirklich nur noch auf Sicht fahren.“ schungspartner:innen, zum Beispiel Universitäten, J. J.: „Und dann sind wir einem roten Fisch gefolgt, den wir unbe- durch. Ausgeleuchtet wird die ansonsten finstere dingt filmen wollten, und der ging immer tiefer. Und da haben wir Tiefsee mit Scheinwerfern. es plötzlich gesehen. Dagegen ist die Nadel im Heuhaufen eine einfache Suche. Das war ein gigantischer Heuhaufen.“ Gibt es auch Tauchgänge, bei denen Sie keine Tiere sehen? J. J.: Selten. Sehr selten. Eigentlich sieht man immer etwas, was man noch nicht gesehen hat. Bei manchen Tauchgängen sehen Es ist nicht nur der Riesenkalmar, der die Tiefsee- wir sehr viel, bei anderen weniger. Aber es ist selten, dass man forschenden antreibt. Sondern alles, was neu ist: gar nichts sieht.“ ein besonderes Verhalten oder ein Tier, das noch nie lebend dokumentiert wurde und ganz anders Sind Sie geduldig – oder was sind wichtige Eigenschaften aussieht, als man gedacht hat. von Tiefseetaucher:innen? Bauwerk 02 | 2021 14 | 15
Vom Drinnen und Draußen Andere Blickwinkel Blickdicht statt teuer – als Fenster und Türen versteuert wurden. In Frankreich wurde 1798 für gut 100 Jahre eine ganz spezielle Steuer eingeführt, die für mehr Geld in der Staatskasse sorgen sollte: die Tür- und Fenstersteuer. Die Idee dahinter war sim- pel. Um den steuerpflichtigen Wert eines Hauses zu ermitteln, wurden von nun an alle „Türen und Fenster, welche nach den Straßen, Höfen und Gärten der Gebäude und Fabriken hinaus- gehen“, gezählt. Eine klare Berechnungsgrundlage, die auch von außen leicht zu ermitteln und nachzuvollziehen war – so dachte man. Und doch gab es für windige Sparfüchs:innen eine ganz einfache Möglichkeit, Steuern zu sparen. Den Unannehmlichkeiten zum Trotz wurden einfach immer we- niger Fenster und Türen verbaut. Teilweise wurden bestehen- de Fenster sogar zugemauert. Damit machte die französische Bevölkerung dem Staat einen Strich durch die Rechnung. Eine Reaktion, die so nicht erwartet worden war, aber nach wie vor zu spüren ist. Streift man zwischen lavendelgesäumten Häusern im ländlichen Frankreich umher, trifft man noch heute auf viele blickdichte Wände. Und jetzt wissen wir: Mit Architektur hat das Foto ©fl0wer - stock.adobe.com nichts zu tun. • Die Fenster- und Türsteuer gab es nicht nur in Frankreich, sondern in anderen Formen zum Bei- spiel auch in England und den Niederlanden. Bauwerk 02 | 2021 16 | 17
Vom Drinnen und Draußen Hinter den Kulissen Räume sind das, was man aus ihnen macht – zu Besuch in der alten Kupferwerkhalle in Köln. Unsere Bestandsbau-Spezialist:innen von LIST BiB Bielefeld revitalisieren einen Teil der alten Kupferwerkhalle im Carlswerk in Köln. Während im Inneren der Industrieimmobilie eine völlig neue und moderne Unternehmensimmobilie entsteht, steht draußen auf dem Werksgelände teilweise noch die Zeit still. Eine Kombi, die wir uns einmal etwas genauer angeschaut haben. Visualisierung Carpus+Partner AG So in etwa wird die neue Unternehmensimmobilie in der Kupferwerkhalle nach den Sanierungsarbei- ten von LIST BiB Bielefeld aussehen. Bauwerk 02 | 2021 18 | 19
Vom Drinnen und Draußen Hinter den Kulissen Neue Nutzung, Deshalb sind wir mit dem Projektingenieur Hans-Jürgen Haake und dem Baustellen- neue Qualität. leiter Hendrik Dittmer verabredet. Unser Wir wissen natürlich, dass die Nutzung Plan: Wir wollen verstehen, was hier im längst eine andere ist. Denn das Carls- nächsten Jahr alles passieren wird. Denn werk ist nur noch rein äußerlich, was es der Bestandsbau schreibt seine eigenen einmal war. Im Inneren der Gebäude hat Geschichten. sich bereits sehr viel getan. Ende 2007 hat die BEOS AG das circa 126.000 Die Mauer Quadratmeter große Areal mit rund 20 Gebäuden aus über 100 Jahren Bauzeit vor der Mauer. übernommen. Seitdem werden die Im- „Wie ihr seht, haben wir es hier nicht mit mobilien nach und nach zu hochwerti- einer freistehenden Halle, sondern einem gen Bürolofts und flexiblen Hallen- und Teil eines größeren Gebäudekomplexes zu Lagerflächen für Gewerbe, Dienstleis- tun. Rechts befindet sich ein Tesla-Center, tung, Produktion und Freizeitaktivitäten links ist die Post untergebracht und hin- umgebaut – Moderne und Innovation auf ter und in Teilen sogar über uns arbeitet der einen Seite, Industriecharme und Ge- bereits unser zukünftiger Nutzer, der sich schichtsträchtigkeit auf der anderen Seite. vergrößern will“, erklärt Hans-Jürgen. „Die Davon angezogen haben sich vom Schau- laufenden Betriebe sollen durch unsere spiel Köln über Tesla bis hin zu Lukas Arbeiten natürlich nicht gestört werden, Es ist, wie es die Kolleg:innen vorher gesagt Podolski verschiedenste Nutzer:innen dort trotzdem müssen wir große Teile der Au- niedergelassen. Entstanden ist bereits ßenwände erneuern. Denn diese entspre- haben – in dem Moment, in dem wir das Tor zum jetzt ein attraktives Stadtquartier, das auf- chen nicht den gültigen Anforderungen an Carlswerk-Gelände in Köln passieren, tauchen wir grund der Corona-Situation leider nicht so eine Brandschutzwand. Also haben wir belebt ist, wie noch vor eineinhalb Jahren. uns dafür entschieden, jeweils komplett in eine andere Zeit ein. Von jetzt auf gleich befinden Da steppte auch im Außenbereich der Bär. neue Brandschutzwände neben den be- wir uns mitten in einem Industrieareal aus dem Aber auch jetzt zeigt sich hier draußen bei stehenden provisorischen Rigipswänden genauerem Hinschauen, dass sich hier hochzuziehen. Deshalb die Mauer vor der letzten Jahrhundert. Bunt zusammengewürfelte ebenfalls sehr wohl schon etwas getan Mauer.“ Wir gehen in das Gebäude und Backsteinfassaden, großflächige Stahl- und Trapez- hat. Wir fahren weiter auf dem Areal zur al- laufen direkt auf eine Rampe zu, die in den ten Kupferwerkhalle, die unsere Kolleg:in- Keller führt. „Der Keller wird zukünftig als blechkonstruktionen, veraltete Sprossenfenster nen von LIST BiB Bielefeld im Laufe des Tiefgarage genutzt. Damit man eine direkte und Tore, oberirdische Versorgungsleitungen und nächsten Jahres revitalisieren. Unser Blick Zufahrt von außen hat, werden wir hier die erhascht ein Urban-Gardening-Projekt des Wände so verlegen, dass das Tor, durch ein Asphalt-Flickenteppich, der immer mal wieder Kölner Schauspiels, verschiedene Außen- das wir gerade gekommen sind, wegfällt. von Schienen durchkreuzt wird. Hier hat einst die gastronomieflächen und andere Sitzgele- Hier wird es dann nur noch einen kleinen genheiten, eine REWE-Abholstation oder Hinterausgang geben. Der Hauptzugang Seilerei Felten & Guilleaume mit bis zu 24.000 auch einen Bücherschrank. Eine Umge- erfolgt dann sowohl im Erdgeschoss wie Mitarbeiter:innen Drähte und Stahlseile produziert – bung, in der es sich gut arbeiten lässt. auch im neuen Obergeschoss direkt über die bereits bestehenden Flächen des Nut- das glaubt man sofort. Und dann stehen wir vor dem großen Tor zers“, fährt Hendrik weiter fort. „Und di- der alten Kupferwerkhalle, in der 1904 rekt neben diesen Durchbrüchen trennen das erste transatlantische Telefonkabel wir noch eine kleine Fläche ab, in der ein gefertigt wurde. LIST BiB Bielefeld ist mit REWE To Go eröffnen wird.“ der Revitalisierung der gut 8.000 Quad- ratmeter großen Fläche beauftragt. In gut Wir bleiben erst einmal hier im Erdge- einem Jahr Bauzeit werden die Kolleg:in- schoss und gehen ein paar Schritte. Der nen die Industriehalle in eine moderne Blick nach oben gibt korrodierte Stahlträ- Bürowelt verwandeln – mit einem neuen ger, großzügige, aber beschädigte Licht- Zwischengeschoss, einer großen Veran- bänder und in die Jahre gekommene staltungsfläche inklusive großzügiger Tri- Trapezbleche frei. Ich frage, ob das so bünentreppe, moderner Gebäudetechnik bleibt. „Die Stahlkonstruktion bleibt er- und viel Industrieschick. Die Visualisierun- halten, wird aber natürlich trockeneisge- gen sehen toll aus. Wenn wir aber jetzt strahlt, gereinigt und dabei bewusst nicht hier in der nackten Halle stehen, braucht gestrichen. Das Dach und die Lichtbänder es plötzlich wieder sehr viel Vorstellungs- müssen wir aber tatsächlich komplett er- kraft. Die Kolleg:innen von LIST BiB Biele- neuern. Die Dämmung reicht vorne und Fotos LIST Gruppe feld beweisen immer wieder, dass Räume hinten nicht und es würde zur Decke her- auch ganz anderen Nutzungen zugeführt aus- geheizt werden“, begründet Hendrik werden können. Denn Räume sind immer Das Carlswerk in Köln hat seinen ganz eigenen die Maßnahmen. „Dabei arbeiten wir von das, was man aus ihnen macht. Ein Pro- Charme – eine spannende Mischung aus alt und hinten nach vorne und tauschen die Decke- zess, der hier in Köln gerade erst startet. neu sowie aus Geschichte und Innovation. nelemente abschnittsweise direkt aus. ‣ Bauwerk 02 | 2021 20 | 21
Vom Drinnen und Draußen Hinter den Kulissen Weil der Innenausbau in den fertiggestell- sammenhängende, große Fläche. „Da die ten Abschnitten dann direkt hinterher- Gebäudetechnik komplett neu aufgebaut arbeiten kann und wir nur so den engen werden muss, müssen wir keinen Kom- Zeitplan halten können.“ promiss eingehen, sondern können die effizienteste Lösung verbauen. Und das Wo Fertigteile an ihre sind Kühl- und Heizsegel, die sich kom- plett entlang der Dach-Trapezbleche ver- Grenzen stoßen. teilen“, geht Hendrik auf die Lösung ein. Im hinteren Hallenabschnitt entdecke „Und damit die Wärme dann auch nicht ich beim Weitergehen zwei Stützen, verloren geht, versehen wir neben dem die in etwa der Hälfte der Raumhöhe Dach auch die Kellerdecke mit einer neu- entsprechen. Das ausführende Rohbau- en Dämmung.“ Das wollen wir uns natür- Unternehmen hat gerade damit angefan- lich auch noch ansehen. Wir nehmen die gen, das Zwischengeschoss einzubauen. Rampe und es wird immer lauter. Während „Die Schwierigkeit hierbei war vor allem an dem einen Kellerende noch die letzten die Statik. Wir müssen die Lasten der Abbrucharbeiten stattfinden, wird auf der neuen Stahlbetondecke in die alte Grün- anderen Seite ein Fahrstuhlschacht vorbe- dung unter dem Keller ableiten“, erläutert reitet. Und über uns blicken wir auf nack- Hans-Jürgen den technischen Hinter- ten Beton. „Wir bauen den Keller zu einer grund. „Das gelingt uns, indem wir im Tiefgarage um. Da klingt eine Decken- Erdgeschoss das Stützenraster aus dem dämmung erst einmal überflüssig. Hier Keller übernehmen. Jetzt wachsen hier unten wird aber natürlich nicht geheizt nach und nach die Stützen in die Höhe, und die Kälte würde durch eine nicht ge- dann folgt die Decke und anschließend dämmte Decke in die beheizten Büroräu- können wir die neuen Besprechungsräu- me hochziehen. Das wollen wir natürlich me im Erdgeschoss und die Büroräume verhindern“, so Hans-Jürgen. „Außerdem im neuen, ersten Obergeschoss erstellen.“ gibt es noch ein weiteres entscheidendes Argument: Mit der Dämmung erreichen Was bei dem Zwischengeschoss mit ei- wir den Effizienzhaus- 100-Standard. ner geschickten Planung gelöst werden Es ergeben sich also ganz neue Förder- konnte, bereitete dem Projektteam bei der mittel-Möglichkeiten, die die Höhe der Haupttreppe deutlich mehr Kopfzerbre- zusätzlichen Kosten bei Weitem über- chen. Entstehen soll eine Art Tribünentrep- schreiten könnten. Aber das ist ein The- pe, die sich aus normalen Treppenstufen ma, zu dem unsere Vertriebskolleg:innen zum Hochgehen und Sitzblöcken mit 60 unseren Auftraggeber beraten haben.“ Zentimetern Höhe und 90 Zentimetern Tiefe zusammensetzt. Dieses beeindru- Damit ist unser Rundgang beendet. Und ckende Highlight sollte aus Fertigteilen und nur eine Stunde nachdem wir die alte Kup- somit möglichst schnell erstellt werden. ferwerkhalle betreten haben, können wir Das Problem dabei ist ebenfalls die nicht uns plötzlich ganz gut vorstellen, dass hier ausreichende Tragfähigkeit der Kellerde- bald echtes Büroflair herrscht. Da draußen cke. „Die vorgesehenen Fertigteile hätten auf dem Gelände wird die Geschichte des im Schnitt rund neun Tonnen gewogen. ehemaligen Werksgeländes die Wahrneh- Die bewegt man nicht mal eben mit einem mung weiterhin dominieren. Hier drinnen Manitou. Größeres Hebelwerkzeug hätte aber dreht sich ab dem nächsten Jahr al- die Kellerdecke allerdings nicht getragen. les um die Zukunft. ‣ Und das Dach ist ja immer nur für kurze Zeit abschnittsweise geöffnet, da kommen wir also auch nicht mit einem Kran durch“, führt Hans-Jürgen weiter aus. „Wir haben das Hin und Her gerechnet. Aber keine Chance. Wir haben uns jetzt für die Ort- beton-Variante entschieden. Das kostet zwar Zeit, aber die bekommen wir schon irgendwie wieder reingeholt.“ Was effizient ist, kann gefördert werden. Und wie bekommt man das Ganze hier geheizt? Der Veranstaltungsbereich in der Während an dem einen Kellerende noch die letzten Mitte hat schließlich eine enorme Raumhö- Abbrucharbeiten stattfinden, wird auf der anderen he und auch der Bürobereich ist eine zu- Seite ein Fahrstuhlschacht vorbereitet. Bauwerk 02 | 2021 22 | 23
Vom Drinnen und Draußen Hinter den Kulissen Ein Projekt, viele Mitgestalter. Fördermittel machen mehr Nachhaltigkeit möglich. „Bestandsimmobilien sind häufig Energieschleudern. Deshalb hat der Bund natürlich ein großes Interesse daran, dass Revitalisie- Wenn Räume doch das sind, was man aus ihnen macht – rung stattfindet – vor allem in energetischer Hinsicht. Als Anreiz warum sind die Pläne für die Kupferwerkhalle dann, wie sie werden deshalb sehr attraktive Fördermöglichkeiten angeboten, die zum 1. Juli sogar noch einmal deutlich erhöht werden. Bei sind? Wir haben weitere Projektbeteiligte gefragt. unseren Angeboten haben wir das natürlich immer im Hinterkopf. Wir prüfen jeweils, wie die BEG-Förderungen am effizientesten genutzt werden können. Oft ist das Ergebnis dann, dass wir die Gebäudetechnik und/oder die Dämmung noch leicht anpassen Michel John, würden, der wirtschaftliche Mehraufwand aber deutlich unter Vertriebsingenieur und Prokurist Der Entstehungsprozess dem Zuschuss liegt. Deshalb geben wir zwei Angebote ab. Das, bei LIST BiB Bielefeld was gewünscht wird. Und das, was wir für die beste Gesamtlö- läuft noch immer. sung halten. „Wir haben das gesamte Areal Ende 2007 übernommen. Da Das war auch hier in Köln der Fall. Die Planungen für die Kup- war die Idee, bei einer reinen Industrienutzung zu bleiben. Dann ferwerkhalle waren nicht weit von dem Standard für ein Effizi- wurden wir aber von ersten potenziellen Büro- und Kulturnut- enzhaus 100 entfernt. Also haben wir geschaut, was noch mög- zer:innen angesprochen und Köln-Mülheim als Stadtteil hat an lich ist. Bei der Gebäudetechnik war der Spielraum schon aus- Attraktivität gewonnen. Der Quartiersgedanke, der Ansatz einer genutzt. Erneuerbare Energien kommen hier im Bestand leider bunten Nutzungsmischung und der Wunsch nach Raum für Be- nicht infrage. Aber bei der Dämmung haben wir noch Potenzial gegnungen sind damit erst gewachsen. Das konnten wir uns gesehen. Die Kellerdecke sollte nur in Teilen, also nicht vollstän- erlauben, weil wir bei Übernahme des Areals noch den Haupt- dig gedämmt werden. Deshalb haben wir eine neue Hochrech- mieter mit übernommen haben. Dieser wollte sich nach und nach Jochen Butz, nung durchgeführt, in der eine komplette Unterdeckendämmung zurückziehen und so konnten wir uns ebenfalls nach und nach verantwortlicher Projektmanager für das im Keller vorgesehen ist. Und damit erreichten wir dann auch den an die Entwicklung der einzelnen Bestandsimmobilien machen. Carlswerk bei der BEOS AG Standard für das Effizienzhaus 100. Das haben wir der BEOS AG natürlich vorgeschlagen. Somit konnten wir eine Variante ins Die Revitalisierung der Kupferwerkhalle war ebenfalls kein Rennen bringen, in der die Betriebs- und Heizkosten reduziert gradliniger Prozess. 2016 stand die Halle das erste Mal auf sind und außerdem die Bausumme unter Berücksichtigung der der Agenda. Der erste Plan war die spekulative Entwicklung Fördermittel und des Mehraufwandes um rund sieben Prozent von loftartigen Büroflächen für verschiedene Nutzer:innen und reduziert ist.“ • Coworking. Aber dann kam Tesla auf uns zu und suchte eine repräsentative Fläche mit Showroom. In etwa die Hälfte der Kup- ferwerkhalle entfiel damit schlussendlich auf diese Nutzung. Also blieb uns nur noch die andere Hälfte und eine damit schwerer zu vermarktende Fläche. Wir haben uns von einer spekulativen Entwicklung verabschiedet und sind auf die Suche nach Mie- ter:innen gegangen. Relativ schnell hatten wir einen Fisch an der Angel. Einer unserer Bestandsmieter hatte 2014 mit 60 Mitarbei- ter:innen die ersten 1.000 Quadratmeter auf unserem Areal be- zogen und ist seitdem enorm gewachsen. Passend zu unseren Plänen mussten neue Büroflächen her. Das konnten wir natürlich ideal zusammenbringen. Gemeinsam mit dem Bestandsmieter haben wir dann die Pläne Fotos BEOS AG, a|w|sobott Visualisierung Carpus+Partner AG für die alte Kupferwerkhalle entwickelt. Damit wir ausreichend Platz zur Verfügung stellen können, war die Idee des neuen Zwi- schengeschosses schnell geboren. Die Büroarbeitsplätze sind dabei ins erste Obergeschoss gewandert, damit wir durch die Lichtbänder im Dach eine Sichtbeziehung nach außen schaffen können. Darunter ist Platz für eine Vielzahl von Besprechungs- räumen, die dringend benötigt werden. Der Veranstaltungsraum in der Mitte des Gebäudes wird natürlich das Highlight. Hier fin- den bis zu 600 Leute Platz. Ein toller Rahmen, der für Events genutzt werden kann. Und wir profitieren wiederum von dem Traffic auf dem Gelände. Und dass wir auch für die Kellerfläche mit der Tiefgaragennutzung noch eine Verwendung gefunden ha- ben, freut uns als Entwickler natürlich. Zugegebenermaßen sind 40 Quadratmeter im Schnitt pro Stellplatz viel, aber mehr Plätze LIST BiB Bielefeld erstellt ein neues Zwischen- konnten wir bei dem gegebenen Stützenraster nicht rausholen. geschoss aus Sichtbeton, das Platz für offen Und wer fährt nicht gerne in eine Tiefgarage mit viel Platz.“ gestaltete Büroflächen bieten soll. Bauwerk 02 | 2021 24 | 25
Vom Drinnen und Draußen Gastbeitrag Gastautor Türsteher und Fotograf Sven Marquardt HOW TO GET INTO BERGHAIN. Foto Michael Klaus Bauwerk 02 | 2021 26 | 27
E Vom Drinnen und Draußen Gastbeitrag isenmann, Echsenmann, verteilen. Denn auch wenn viele es nicht Eines lässt sich jedenfalls an der heftigen was schick und wetterfest zugleich ist. Tattoo-Fresse, Villa Kun- glauben: All die Emotionen der Nacht ge- Diskussion über die Berghain-Tür ablesen: Neun Stunden geht meine Schicht, das terbums. Über mich und hen mir nicht am Arsch vorbei. Unsere Einlass-Politik bewegt. Und hält die heißt auch: Bevor ich losgehe, gibt es das Berghain ist viel ge- Leute auch nach vielen Jahren nicht davon noch ein gesundes Knäckebrot, im Berg- schrieben worden. Damit Dass wir nicht immer freundlich wirken, ab, zu uns zu kommen. Und zwar in Mas- hain selbst reichen mir zwei Riegel Halb- lebe ich, mal besser, mal liegt zum einen daran, dass wir es sicher sen und aus aller Welt. International ist es bitter-Schokolade und eine Banane. Hin schlechter. Ein italienischer Journalist nicht immer sind, zum anderen, dass viele erst die letzten Jahre geworden, ich sage und zurück komme ich mit der Taxe oder sinnierte in einem Artikel, ob ich über- Gäste schon mit der Wahrnehmung zu uns inzwischen viel häufiger „You don’t get in“ werde von einem Kollegen mitgenommen. haupt aus Fleisch und Blut bin, ein kommen, dass wir arrogant und herablas- als „Sie kommen nicht rein“. Und übrigens Die Nacht, schwanger mit Drogen und englischer Kollege beschrieb mich als send sind. Sie haben davon gehört, sie ha- eher selten „Du kommst nicht rein“. Uni- Euphorie, lässt uns die Menschen pur Grimm-Gesicht, das die Berliner Nacht ben darüber gelesen, ein Freund hat ihnen verselles Geduze ist auch eher ein Ding der erleben. Da fallen Masken, spielen sich „kuratiert“. Überhaupt mögen Journa- davon erzählt. Es gibt sogar Stimmen, die jungen Kollegen, ich differenziere da noch. Dramen und Komödien ab. Da steht das listen die Frage „Würde ich denn rein- behaupten, wir würden uns daran aufgei- Pärchen, das vor ein paar Stunden selig kommen, Herr Marquardt?“ besonders len, Leute wegzuschicken. „Rassistisch, Nach inzwischen zwanzig Jahren an der bei uns eingecheckt hat, nun draußen auf gern. sexistisch und fremdenfeindlich“ sollen wir Tür habe ich gute Antennen dafür, wer der Straße und schreit sich an. Da gehen sein. stört und wer Ärger macht und welche andere mit ihren Eroberungen stolz nach Es gibt Internetforen, in denen darüber Gäste eine gute Mischung für die Nacht Hause und andere allein. So, wie sie ge- diskutiert wird, wie man erfolgreich an mir Es ist schwer, solche Anfeindungen zu wi- ergeben. Und ja, dafür scannen wir die kommen sind. vorbeikommt. Ob es gut ist, mir nicht in derlegen, ohne dass es so wirkt, als würde Leute auch, gehen nach dem äußerlichen die Augen zu schauen, wenn man vor mir man sich rechtfertigen wollen. Es gibt ge- Erscheinungsbild. Wonach denn sonst? Die Zeiten, in denen ich gegen Ende der steht. Oder Schwarz zu tragen, weil ich das nauso viele positive Stimmen. Dass auch Und für mich kann da auch gern mal der Nacht meine eigenen Runden auf der selbst oft tue. Oder selbst als Hetero auch genug Betrunkene und Aggressive anste- Charlottenburger Anwalt im Zweireiher Tanzfläche drehe, sind vorbei. Nur manch- auf schwul zu machen, damit ich mein hen, die uns beschimpfen und auch kör- mit seiner Gucci-Prada-Frau ankommen. mal, wenn einer meiner Lieblings-DJs Okay gebe. In der Tat haben es einige auf perlich angehen, wird gern ausgeblendet. Wenn die beiden einen guten Eindruck auflegt, steige ich die riesige Eisentreppe diese Art probiert, sich sogar händchen- Natürlich ist es bitter, nach zwei Stunden auf mich machen, dann rein mit ihnen. Wir der Säulenhalle hinauf in die dröhnenden haltend vor mir gezeigt, sich aber blitzartig Anstehen in der Kälte ein „Nein“ zu hören, nehmen auch Masken und Schottenröcke Bässe, beobachte das Treiben unter mir wieder losgelassen, wenn ich sie ablehnte. aber jeder weiß, worauf er sich einlässt, oder die Pamela-Anderson-Blondine im und verspüre noch immer ein wohliges Für mich ist es in Ordnung, wenn Men- wenn er oder sie das Berghain anstrebt. Es „Peek & Cloppenburg“-Kostüm, die mit Kribbeln in der Magengegend. Und dann schen in die Trickkiste greifen, um bei uns gibt genügend Leute, die eine Ablehnung zwei bärigen, verschwitzten Kerlen kommt, sehe ich all jene wieder, die ich aus tau- Einlass zu finden. Mittlerweile gibt es sogar schlicht akzeptieren. Und was sagt es aus, die sich gegenseitig den Achselschweiß sendundeiner Nacht kenne: die Poser, die eine App: „How to get into Berghain“. Ich dass selbst abgelehnte Leute oft noch ein ablecken. Das ist für mich das Berghain. Pumper, die Hardcore-Tänzer und auch habe noch nie draufgeschaut. Foto mit mir machen wollen? So ist es ein Magnet geworden. Und dass all jene, die es immer wieder schaffen, mit es einer ist, wird kaum jemand anzweifeln. ihren Bewegungen haarscharf neben dem Ich frage mich aber generell, wo das Pro- Was ich problemlos zugeben kann: Mei- Takt zu liegen. blem liegt. An allen Clubtüren, an denen ne Ausstrahlung in den ersten Jahren an Nach all den Jahren freue ich mich jeden- Einlasser operieren, geht es um die Frage: der Tür war in der Tat noch ziemlich rot- falls immer noch auf meinen Job, wenn Bereits an meinem vierzigsten Geburts- Rein oder nicht rein? So ist nun mal das zig. Ich fühlte mich auf der Überholspur, mich mein Wecker von Freitag bis Sonn- tag 2002 im Ostgut dachte ich: Hey, das Prinzip. Aber warum regt man sich bei uns die Drogen, der fehlende Schlaf – das alles tag eine Stunde vor Mitternacht aus dem wars jetzt! Genug Erfahrung gesammelt. so über das „nicht rein“ auf, warum bringt machte mich nicht gerade zu einem en- Schlaf holt. Und ich freue mich auf mei- 40 ist eine prima Zahl zum Aufhören. Aber es eine ganze Szene in Wallung? Warum gelsgleichen Geschöpf. Meine Emotionen ne Jungs, von denen die meisten wie ich irgendwie war ich wohl noch nie der Typ Über Sven Marquardt. fällt eine Theologin und Pfarrerin wie Mar- kippten schnell, und das ließ ich auch an aus Ostberlin stammen. Für mich macht für gute Vorsätze. Denn wenn ich mir heute got Käßmann, die mit mir in einer Talkshow den Gästen aus. Auch Kollegen hatten es es das einfacher, klarer, gerader heraus. vorstelle, eines Tages diese Wochenenden Geboren 1962 in Ostberlin war Sven Marquardt sitzt, deshalb vom Glauben ab? „Was, Sie nicht einfach mit mir. Manch einen habe Inzwischen sind sie wie eine Familie für an der Berghain-Tür nicht mehr zu haben, ab Mitte der 1980er Jahre prägender Teil der auf- schicken Menschen weg?“ Ja, tun wir. Wir ich weggebissen oder von oben herab be- mich. Eine, die mich erdet. In der es derb weil ich wirklich zu alt bin, wird mir ganz keimenden Punk-, New-Wave- und Kunstszene sind nicht Mutter Theresa. handelt. Und wenn ein Gast fragte: „Ist hier und lustig zugeht, manchmal auch bissig. anders. Meine Jungs witzeln manchmal, Prenzlauer Bergs. Mit dem Mauerfall ließ er seine die Party?“, konnte es sein, dass ich ihm Aber ehrlicher als an vielen anderen Orten dass ich wahrscheinlich noch hochbetagt Arbeit als Fotograf ruhen und tauchte in die sich Obwohl sich etliche Artikel auf mich als die Tür vor der Nase zuschlug und raunzte: der Stadt. und schon am Rollator schlurfend nach neu formierende Clubszene Berlins ein, ab Ende den einzigen und furchteinflößendsten „Welche Party, verdammt?“ vorn komme, um zu nicken oder mit dem der 1990er prägte ihn das Thema der „Nacht“ Türsteher einschießen, ist es schon lange Einer meiner jüngeren Kollegen ist sogar Kopf zu schütteln. Oder dass ich von zu durch seine Tätigkeit als Türsteher des Clubs keine One-Man-Show mehr. Ich arbei- Als Senior an der Tür bin ich heute natür- davon überzeugt, dass die Berghain-Tür Hause über einen Monitor zugeschaltet Ostgut. Seit 2004 steht Marquardt an der Berg- te dort mit Kollegen, mit denen ich mich lich längst auf dem Weg in die Altersmil- sich positiv von anderen Türen der Nacht werde. Jetzt lachen wir noch … hain-Tür, maßgeblich beteiligt ist er seit 2007 am abstimme, auch wenn ich das letzte Wort de, und schnöseliges Verhalten fällt mir unterscheidet. Weil weniger geprahlt wird. Erscheinungsbild des Labels Ostgut Ton. 2010 er- habe. Erarbeitet habe ich mir, dass ich es jetzt vor allem an den jungen Türkollegen Man eben nicht cool sein muss. Er hat Ich werde oft gefragt, was das Krasseste schien sein erster Bildband „Zukünftig vergangen“, nicht immer selbst ausrichten muss. Dass auf. Da vergreift sich der eine oder andere sich selbst schon dabei ertappt, dass er war, was ich in all den Jahren an der Tür gefolgt von „Heiland“ und „Wild verschlossen“ (alle ich zwei junge Kollegen habe, denen ich schon mal im Ton. Mein Argument dann: sich von den letzten Gästen mit „Tschüssi“ erlebt habe. Ich habe keine Antwort dar- Mitteldeutscher Verlag), 2014 die Autobiografie meine Entscheidung mitteile und die sie „Für dich ist es Gast Nummer tausend, verabschiedet hat. Und er freut sich, wenn auf. Oder immer dieselbe: Jede Nacht ist „Die Nacht ist Leben“ (Ullstein extra). dann überbringen. Auch das wird mir im aber für den Gast ist es das erste Mal, ich ihn wegen seines roten Audi-Cabriolets Leben. • Berghain-Forum als Arroganz ausgelegt: dass er abgelehnt wird.“ Ich verstehe uns mit dem Satz aufziehe: „Wie schwul ist das Auch für den Fotografen und legendären Berg- „Jetzt spricht er sein Urteil noch nicht mal nicht nur als Gästeverwalter, sondern auch denn?“ hain-Türsteher Sven Marquardt war der Coro- mehr selber aus!“ Dabei will ich vielleicht als Gästebetreuer. Und deswegen geht na-Shutdown eine „berufliche Vollbremsung“. Die nur meine Stimme schonen, die nachfol- es auch nicht, nebenbei in eine Stulle zu Noch kein einziges Mal bin ich zum Dienst Berliner Clubs ließen nun gar keinen mehr rein, und gende Generation einarbeiten oder bin beißen, wenn ich jemanden in die Nacht gegangen, ohne mich gezielt vorzuberei- der größte Teil seiner fotografischen Arbeit lag im selbst nicht in der Stimmung, Absagen zu zurückschicke. ten. Ohne zu überlegen, was ich anziehe, Ausland, das gerade unerreichbar ist. Bauwerk 02 | 2021 28 | 29
Vom Drinnen und Draußen Andere Blickwinkel Da freut sich die Kuh! Der erste Weidetag im Jahr ist für die Kühe ein absolutes Highlight. Anweiden im Frühjahr. Wenn im Frühjahr die ersten warmen Sonnenstrahlen locken, es nach Frühling riecht und die Natur erwacht, dann zieht es nicht nur uns, sondern auch die Weidekühe nach draußen. Den Winter verbringen die meisten Weidekühe im Stall – damit schützen die Landwirte ihre Tiere vor Kälte und Nässe. In der Regel im April heißt es dann nach knapp einem halben Jahr aber wieder: Tore auf und raus aus dem Stall. Mancherorts ist das sogenannte Anweiden ein echtes Event, zu dem das ganz Dorf zusammenkommt. Denn die Kühe hüpfen und springen in ihr Glück. Übermütig rennen sie auf ihre Weide und freuen sich, wie- der Gras unter den Hufen zu spüren. • Foto Polarpx - stock.adobe.com Bauwerk 02 | 2021 30 | 31
Vom Drinnen und Draußen Was geht? Der Kosmos „Zuhause“ – ein Blick auf Die meisten von uns verbringen sehr viel Zeit zu Hause – die Zahlen. Foto ©FollowTheFlow - stock.adobe.com seit Beginn der Corona-Pandemie mehr denn je. Es wird gewerkelt, gekocht und geplanscht. Knapp 83 Millionen Menschen und 35 Millionen Haustiere leben in Deutschland zusammen in fast 42 Millionen Haushalten. Einige Zahlen zum Leben zu Hause – drinnen und draußen. Bauwerk 02 | 2021 32 | 33
Vom Drinnen und Draußen Was geht? 47 Quadratmeter pro Person. 34,9 Fotos ©bernardbodo - stock.adobe.com, kaniecki, © Eleonore Horiot, ©Chalabala - stock.adobe.com, ©Rawpixel.com - stock.adobe.com, ©Diana Vyshniakova - stock.adobe.com Seit Beginn der Corona-Pandemie verbrin- Millionen tierische gen die meisten Menschen mehr Zeit zu Mitbewohner:innen. Hause – und fühlen sich dabei oft beengt. Dabei ist die Wohnfläche in den vergange- In fast jedem zweiten Haushalt in Deutsch- nen Jahren stetig gestiegen. Zumindest im land lebt auch ein Tier und die Begeiste- Durchschnitt. Laut Statistischem Bundes- rung für Hund, Katze und Vogel hat seit amt sind die Wohnungen in Deutschland Beginn der Corona-Pandemie noch zuge- durchschnittlich 92 Quadratmeter groß. Das Zweithaus auf vier Rädern. nommen. Der Gesamtumsatz der deut- Die Herdplatten glühen. Durchschnittlich 47 Quadratmeter hat je- schen Heimtierbranche lag im Jahr 2020 der Mensch zur Verfügung. Seit 2010 hat Wenn die Hotels und Ferienwohnungen geschlossen bei etwa 5,5 Milliarden Euro, meldet der Nicht zuletzt dank Corona liegt Home Cooking im sich damit die durchschnittliche Fläche sind, gibt es ja noch das eigene Ferienhaus auf Rädern. Industrieverband Heimtierbedarf. Nummer Trend. Manche haben ihre eigenen Herdplatten je Wohnung um einen Quadratmeter und Noch nie wurden so viele Wohnmobile gekauft wie im eins ist weiterhin die Katze. Insgesamt entdeckt – und dabei auch gleich neue Bedürfnisse. je Person um zwei Quadratmeter erhöht. vergangenen Jahr. 2020 gab es in Deutschland 78.055 15,7 Millionen Katzen leben in Deutsch- 2020 war die durchschnittliche Küchenkundschaft be- Das liegt unter anderem daran, dass der Neuzulassungen für Wohnmobile, das sind fast 50 Pro- lands Haushalten. Besonders gefragt war reit, deutlich mehr auszugeben als im Jahr davor: So Anteil der Einpersonenhaushalte gestie- zent mehr im Vergleich zum Vorjahr. Hinzu kamen noch somit im vergangenen Jahr auch wieder zahlten Kund:innen im vergangenen Jahr im Küchen- gen ist. Am meisten Platz haben ältere fast 30.000 Wohnwagen. Und auch für 2021 erwartet Katzenfutter, es machte das größte Fut- fachhandel im Durchschnitt 9.678 Euro für eine Kü- Menschen: Auf 60 Quadratmetern Wohn- der Caravaning Industrie Verband (CIVD) Rekorde. Al- tersegment in der Branche aus mit 1,68 che und damit 425 Euro beziehungsweise 4,6 Prozent fläche lebt ein:e Rentner:in in Deutschland lerdings ist der Trend nicht neu. Bereits vor der Co- Milliarden Euro Gesamtumsatz. Das zweit- mehr als noch 2019. im Mittel. rona-Pandemie boomte der Urlaub mit Wohnmobilen. liebste Haustier ist der Hund: 10,7 Millio- Von 2015 bis 2020 legte der Bestand an Wohnmobilen nen von ihnen leben in Deutschland. in Deutschland von 390.000 auf knapp 590.000 zu. 565.500 x Abkühlung im Garten. Nicht nur in öffentlichen Bädern wird ge- Fit im Wohnzimmer. Seit Beginn der Corona-Pandemie suchen immer mehr Men- badet und geplanscht. Etwa 565.500 schen Alternativen zum Sport in Fitnessstudios und Vereinen. Außenpools sind bundesweit in Gärten in Das weiß die Industrie natürlich zu nutzen. Die Preise für Fitness- die Erde eingelassen. Außerdem gibt es geräte erhöhten sich beispielsweise im Dezember 2020 gegen- in Deutschland 132.500 private Hallenbä- über dem Vorjahresmonat um 13,1 Prozent, teilt das Statistische der sowie 91.000 Aufstellbecken mit einer Bundesamt mit. Im Jahresdurchschnitt 2020 lagen die Preise für Wassertiefe von mehr als einem Meter Fitnessgeräte um 7,9 Prozent über dem Vorjahresniveau. In min- und einem Anschaffungspreis über 1.500 destens 26 Prozent der Haushalte bundesweit steht ein Ergome- Euro. Hinzu kommen noch etwa 1,2 Milli- ter, Laufband, Crosstrainer oder eine Kraftbank. • onen Aufstellbecken mit einer Wassertiefe unter einem Meter und einem Anschaf- fungspreis unter 1.500 Euro. Bauwerk 02 | 2021 34 | 35
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