Vom jungen Arzt zum guten Facharzt - BDC

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Vom jungen Arzt zum guten Facharzt - BDC
Vom jungen Arzt
­zum ­guten Facharzt
Vom jungen Arzt zum guten Facharzt - BDC
Inhalt / Impressum

Liebe Leserinnen und Leser,
das Bündnis für Qualität in der Facharztweiterbildung (BQFW)             Als Gründungsmitglieder sind inzwischen auch der BVOU und
geht aus einem Mastertrainer-Projekt zur Optimierung der Wei-            die DGOU dazu gekommen. In diesem Heft finden Sie neben
terbildung in den Kliniken hervor, welches 2012 vom Berufsver-           fundierten Artikeln zum Status Quo der Arztweiterbildung in
band der Deutschen Chirurgen (BDC) und dem Berufsverband                 Deutschland auch detaillierte Informationen zum Projekt selbst.
der Deutschen Internisten (BDI), zusammen mit Prof. Siebolds,            Begleiten Sie uns auf dem Weg zu einer strukturierten Facharzt-
Katholische Hochschule Nordrhein-Westfalen, ins Leben geru-              weiterbildung im BQFW über die Fachgrenzen hinweg - damit
fen wurde.                                                               aus jungen Ärzten gute Fachärzte werden.
Nachdem bereits über 90 Mastertrainer das Mastertrainercurri-
culum durchlaufen haben, wurde als nächster Schritt die Grün-            Die Initiatoren
dung des BQFW zur Verstetigung und Erweiterung der Aktivi-               Dr. Jörg Ansorg (BVOU)
täten zur Strukturierten Weiterbildung in Kliniken und Praxen            Prof. Dr. Michael Denkinger (BDI)
in Angriff genommen.                                                     Dr. Norbert Hennes (BDC)
                                                                         Prof. Dr. Marcus Siebolds

Inhalt
1	Die Verbesserung der Qualität in der ­Weiterbildung                  10   Gute Facharztweiterbildung vor Ort ­praxisnah fördern
   ist möglich                                                               Prof. Dr. med. M
                                                                                            ­ arcus Siebolds, Dr. med. Jörg Ansorg
       Dr. med. Hans-Friedrich Spies                                         Dr. med. Norbert Hennes, Prof. Dr. Michael Denkinger

2      Weiterbildung zum Facharzt im Gebiet Chirurgie                   14	Die Chirurgie braucht ein strukturiertes
       Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Joachim Meyer                                ­Weiterbildungsprogramm!
                                                                             Dr. med. Matthias Krüger MA, Dr. med. Jörg Ansorg
3      Weiterbildung ist strukturierbar
       Prof. Dr. Dr. Reinhard Hoffmann, Dr. Johannes F­ lechtenmacher   17	Ambulante Weiterbildung für den I­ nternisten –
4      Wie werden aus jungen Ärzten gute Ärzte?                             eine Utopie?
       Prof. Dr. med. ­Marcus Siebolds                                       Dr. med. Ivo Grebe

8	Die Assistentenumfrage des BDI: Ein objektiver Blick
   auf die Arbeits- und Weiterbildungsbedingungen
   ­deutscher ­Assistenzärztinnen und -ärzte
       Dr. med. ­Kevin Schulte

Impressum                                                                            Verlagsredaktion
                                                                                     Springer Medizin Verlag GmbH
                                                                                     Tiergartenstraße 17
Verantwortlich für den Inhalt                                                        69120 Heidelberg
Prof. Dr. med. Marcus Siebolds                                                       Dr. Jürgen Meyer zu Tittingdorf
FB Gesundheitswesen                                                                  juergen.meyerzutittingdorf@springer.com
Katholische Hochschule NRW/ Abt. Köln
Wörthstrasse 10
50668 Köln
m.siebolds@katho-nrw.de                                                              Satz und Layout
                                                                                     Schmidt Media Design, München
Copyright ©
Berufsverband der Deutschen Chirurgen e.V.                                           Druck
Berufsverband Deutscher Internisten e.V.                                             Vogel Druck und Medienservice GmbH
Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie e.V.                                Leibnizstraße 5
Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie e.V.                        97204 Höchberg
Vom jungen Arzt zum guten Facharzt - BDC
Vorwort Berufsverband Deutscher Internisten e.V.

 Die Verbesserung der Qualität in der
­Weiterbildung ist möglich
                                                   Viele Fragen der Novellierung der Mu-       sind aber nicht in der Lage, ohne zusätzli-
                                                ster-Weiterbildungsordnung sind noch           che Mittel über ihr nach Patientenzahl und
                                                nicht endgültig in der Bundesärztekammer       Fallwert definiertes Honorar einen Weiter-
                                                abgestimmt. Das Ziel einer sogenannten         bildungsassistenten zu finanzieren.
                                                Entrümpelung der Inhalte dürfte wohl               Die Politik wird klären müssen, wer in
                                                nicht erreicht werden, da die Fachgesell-      Zukunft die so wichtige Aufgabe Weiterbil-
                                                schaften weniger Vorgaben gestrichen als       dung finanziert, die übrigens durchaus im
                                                neue eingebracht haben. Unverändert ste-       öffentlichen Interesse liegt. Was wäre ein
                                                hen technische Leistungen und Fertig-          Gesundheitswesen ohne gut weitergebil-
                          Dr. med. Hans-
                          Friedrich Spies       keiten im Vordergrund. Die mindestens          dete Fachärzte? Inhaltlich gesehen ist die
                                                genauso wichtige klinische Erfahrung           ambulante Weiterbildung ohnehin erfor-
                                                muss in Zukunft mehr über das Modell           derlich, werden doch viele Krankheits-
Die internistische Weiterbildung wird zur-      Mastertrainer vermittelt werden.               bilder nur noch ambulant behandelt. Ty-
zeit im Rahmen der Novellierung der Mu-         Uneinig ist man sich darüber, ob Richt-        pisches Beispiel ist der internistische
ster-Weiterbildungsordnung neu gestaltet.       zahlen eingeführt werden sollen. Die Bun-      Schwerpunkt Rheumatologie.
Dies hat für den ärztlichen Nachwuchs und       desärztekammer möchte darauf ganz ver-             Ich persönlich kann mir vorstellen, dass
den Zuschnitt unseres Faches und seiner         zichten. Dies bedeutet, dass vielmehr Ver-     es auch in Deutschland zukünftig, wie in
Schwerpunkte große Bedeutung. So hat            antwortung als früher beim weiterbilden-       anderen Ländern, sektorübergreifende
das Bundessozialgericht im letzten Jahr ab-     den Arzt abgeladen wird. Er hat nahezu al-     Weiterbildungsverbünde geben wird. Wer
schließend klargestellt, dass sich die Fächer   lein über die Zeugniserstellung zu ent-        könnte dies am besten koordinieren als ein
und die Schwerpunkte in ihren Leistungen        scheiden, ob der Weiterzubildende zur          etablierter und erfahrener Mastertrainer?
über den Inhalt der Weiterbildungsord-          Prüfung zugelassen wird und kann sich da-          Fasst man die verschiedenen Aspekte
nung definieren. Damit kommt der Dis-           bei nicht mehr an Leistungszahlen orien-       zusammen, wird sich die Qualität der Wei-
kussion zu diesem Thema eine hohe sozi-         tieren. Auch hier werden Mastertrainer         terbildung nur durch eine Kooperation al-
alrechtliche Bedeutung zu. Es geht nicht        systembedingte Defizite ausgleichen müs-       ler Verantwortlichen im System auf Dauer
nur vordergründig um die Frage, was ein         sen.                                           erhalten lassen und weiter verbessern. Es
Vertragsarzt abrechnen darf oder wie eine          Bei der ambulanten Weiterbildung hat        gehören alle Beteiligten an einen Tisch, an-
Klinikabteilung in Zukunft zugeschnitten        sich die Kammer eindeutig entschieden.         gefangen bei der Ärztekammer über die
wird. In der Weiterbildung wird geregelt,       Sie will es völlig offen lassen, ob die Wei-   Körperschaften in der ambulanten und sta-
welche Rolle die Internisten in Zukunft im      terbildung in einer Klinik oder in einer       tionären Versorgung bis hin zu den Fach-
Konzert der Fachgebiete bei der Patienten-      Praxis stattfindet. An der Bundesärzte-        gesellschaften und Berufsverbänden. Wir
versorgung spielen werden. Nicht nur            kammer und Ihrer Muster-Weiterbil-             brauchen ein Bündnis zur Förderung der
Fachärzte in Klinik und Praxis sollten sich     dungsordnung wird deshalb eine ambu-           Qualität der Facharztweiterbildung. Der
deshalb für dieses Thema interessieren.         lante Weiterbildung in Zukunft nicht mehr      BDI wäre dabei!
Auch alle Ärztinnen und Ärzte in Weiter-        scheitern. Die Frage, wer die ambulante
bildung sind betroffen. Hier wird ihre zu-      Weiterbildung finanziert, ist damit weiter     Dr. med. Hans-Friedrich Spies
künftige berufspolitische Identität defi-       nicht gelöst. Für die Allgemeinmedizin         Präsident des
niert.                                          gibt es Förderprogramme. Die Fachärzte         Berufsverbandes Deutscher Internisten e.V.

                                                                                                                                  Juni 2017   | 1
Vom jungen Arzt zum guten Facharzt - BDC
Vorwort Berufsverband der Deutschen Chirurgen e.V.

  Weiterbildung zum Facharzt
  im Gebiet Chirurgie
                                                 kaum verwundern, dass sich nach einer             nicht einfach zu realisieren sein wird. Un-
                                                 Umfrage des Hartmannbundes unter 1.300            abhängig von etwaigen Neuerungen der
                                                 Assistenzärzten verschiedener Gebiete            Muster-Weiterbildungsordnung ist dies ei-
                                                 90 % in ihrer Tätigkeit überfordert fühlen.       ne Frage des Zeitfaktors und der Finanzie-
                                                 Als Hauptgründe werden zunehmende Ar-             rung. Für ein chirurgisches Fach kann des-
                                                 beitszeiten bei Personalmangel, Arbeits-          halb eine Weiterbildungszeit von sechs
                                                 verdichtung, Organisationsmängel oder            Jahren nicht zur Diskussion stehen, wobei
                                                 überbordende Bürokratie angeführt. Die-           jeweils die im Logbuch vorgegebenen In-
                           Prof. Dr. Dr. h.c.
                                                 se Problematik betrifft auch die chirurgi-        halte durch den Weiterbildungsbefugten
                           Hans-Joachim
                           Meyer                 schen Fächer und erklärt die Tatsache, dass       ein- bis zweimal im Jahr zu überprüfen
                                                 sich die Erstsemester in etwa 35 % für ein        sind. Neben den operativen Eingriffen
                                                 chirurgisches Fach interessieren, aber nach       müssen auch in der Chirurgie Kenntnisse
   Unabhängig vom gerade unter Haushalts-        den Erfahrungen im praktischen Jahr die-          zu den konservativen Therapiemaßnah-
   vorbehalt verabschiedeten Masterplan Me-      ser Anteil auf etwa 16 % sinkt und letztlich      men im hinreichenden Umfang erworben
   dizinstudium 2020 ist die Ausbildung der      treten dann noch 5–10 % der ÄrztInnen ei-        werden. Pflichtveranstaltungen wie Tu-
   Medizinstudierenden in Deutschland si-        ne Weiterbildung im Gebiet Chirurgie an.          morboard, interdisziplinäre Kolloquien
   cherlich als anspruchsvoll und auf hohem                                                        oder M & M – Konferenzen müssen ange-
   Niveau stehend anzusehen. Wissenschaft-       Wie lässt sich eine solche Situation              boten und durchgeführt werden. Gleiches
   lich und klinisch – praktisch ausgebildete    verändern?                                        gilt auch für entsprechende Lern- und
  ÄrztInnen können anschließend ihre Wei-                                                         Übungsmöglichkeiten, wie E-Learning,
   terbildung in verschiedenen Gebieten der      Zuerst muss bereits im Studium, besonders        Webinare oder Skill-Labs bzw. Hands on
   Medizin antreten. Daran wird sich auch bei    aber im praktischen Jahr von den Do-             Learning. Weiterhin müssen die Leitenden
   der geplanten Neustrukturierung des Me-       zenten die Begeisterung für ein chirur-          – wie Oberärzte – also chirurgische Trainer,
   dizinstudiums mit besonderem Augen-           gisches Fach geweckt werden, um dann              mit den dargestellten Möglichkeiten ver-
   merk auf die Allgemein – bzw. ambulante       auch bei praktischer Tätigkeit überzeu-           traut sein, um ihre Kenntnisse theoretisch
   Medizin nur wenig ändern, wobei es von        gend die überaus reizvollen Facetten der          und praktisch an den Kollegen in Weiter-
   entscheidender Wichtigkeit ist, die nächs-    Chirurgie im stationären wie auch ambu-           bildung kompetent vermitteln zu können.
   te Medizinergeneration bereits frühzeitig     lanten Bereich aufzeigen zu können. Gene-        Unterstützend können auch entspre-
   während des Studiums für die Wahl eines       rell sind in der Tat entscheidende Verände-       chende Fortbildungsseminare in Koopera-
   großen klinischen Faches zu begeistern        rungen im klinischen Betriebsablauf mehr          tion von Berufsverbänden und Fachgesell-
   und zu überzeugen.                            als überfällig und werden seit Jahren mehr        schaften angeboten werden, um bei Ak-
      Frühere Umfragen haben gezeigt, dass       oder weniger erfolgreich angestrebt, was          zeptanz einer Work-Life-Balance die Wei-
   trotz geringster Normierung und dem           besonders Organisationsmängel oder                terbildung, gerade in der Chirurgie, für die
   größten Angebot in der Facharztweiterbil-     nichtärztliche Tätigkeiten betrifft. Teilzeit-   Nachwuchsgeneration wie auch für den
   dung in unserem Land Konflikte zwischen       beschäftigungen müssen bundeseinheit-            Weiterbilder so attraktiv und bedeutsam
  Arbeits- und Privatleben, defizitäre Füh-      lich von den Landesärztekammern aner-            werden zu lassen, wie es ihr zu Recht zu-
   rung in den Weiterbildungskliniken sowie      kannt werden, vor allem auch unter dem            steht. Diese Forderung stellt nämlich den
   unbefriedigende Qualität ärztlicher Weiter-   Aspekt der Vereinbarkeit von Familie und          Garant für die Aufrechterhaltung eines
   wie auch Fortbildung ein relevantes Prob-     Beruf wie auch wissenschaftlicher Karrie-        weiterhin hohen Standards der zukünf-
   lem darstellen. Weiterbildung heißt heute:    re. Dabei ist zu bedenken, dass bereits heu-      tigen medizinischen Versorgung dar.
  „Learning on the job“, ganz entscheidend       te nach Angaben des statistischen Bundes-
   beeinflusst durch den ökonomischen            amtes ein Drittel der etwa 80.000 im Kran-       Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Joachim Meyer
   Druck des Gesundheitssystems, zutreffend      kenhaus tätigen Ärztinnen nicht in einem         Präsident des
   für die Krankenhäuser der Grund- und          Vollzeitbeschäftigungsverhältnis steht.          Berufsverbandes der Deutschen Chirurgen e.V.
   Regelversorgung bis hin zu Maximalver-            Ferner ist natürlich auch die derzeitige
   sorgern bzw. Universitätskliniken. Es kann    Weiterbildungspraxis zu verändern, was
   daher im derzeitigen Gesundheitssystem        im gegenwärtigen Gesundheitssystem

2 |   Juni 2017
Vorwort Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie e.V. und Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie e.V.

Weiterbildung ist strukturierbar
                                                                                              gierte Mitarbeiter erheblich steigern, ohne
                                                                                              das Team über Gebühr zu belasten.
                                                                                                  Parallel zu den Instrumenten wurde ein
                                                                                              Schulungskonzept im Sinne eines
                                                                                              Train-the-Trainer-Angebotes entwickelt,
                                                                                              das von Anfang an interdisziplinär ausge-
                                                                                              richtet wurde. In den beiden großen Fach-
                                                                                              gebieten Chirurgie und Innere Medizin
                                                                                              wurden in Tagesseminaren mittlerweile
                          Prof. Dr. Dr. Rein-                            Dr. Johannes
                          hard Hoffmann                                  ­Flechtenmacher      über 90 Mastertrainer geschult, die sich re-
                                                                                              gelmäßig zum Erfahrungsaustausch tref-
 Die Diskussion um die chirurgische Wei-        fühlen sich auch die Weiterbilder oft über-   fen und die Instrumente in ihrem Klinik-
 terbildung konzentriert sich in den letzten    fordert und allein gelassen.                  und Praxisalltag weiterentwickeln.
 Jahren fast ausschließlich auf die Novellie-       Die Weiterbilder, in der Regel der Ab-        Wir freuen uns sehr, Ihnen in diesem
 rung der Muster-Weiterbildungsordnung.         teilungsleiter oder Praxisinhaber, haben es   Sonderheft den aktuellen Stand dieses Pro-
 Diese ist seit 2004 nahezu unverändert in      dabei wesentlich in der Hand, die Weiter-     jektes vorstellen zu können. Es ist heute so
 Kraft. Kontinuität und Bestandsschutz          bildung zu organisieren und zu strukturie-    weit entwickelt, dass es für einen flächen-
 sind sicher ein hohes Gut, allerdings bleibt   ren. Dies wird von vielen als Bürde emp-      deckenden, interdisziplinären Einsatz
 dabei Flexibilität und Aktualität auf der      funden, kann jedoch auch als Chance zur       taugt. Das Interesse bei anderen Fachdiszi-
 Strecke.                                       Veränderung und individuellen Gestaltung      plinen, Ärzteorganisationen und den Ärz-
     Die Strukturen in Klinik und Praxis, in    interpretiert werden.                         tekammern wächst stetig.
 denen Weiterbildung nun einmal stattfin-           Nach den enttäuschenden Ergebnissen           Gleichzeitig treiben die Berufsverbän-
 det, haben sich seit 2004 so grundlegend       der ersten Umfragen zur Weiterbildungs-       de der Internisten und Chirurgen ebenso
verändert, dass es schon fast erstaunt, dass    qualität um die Jahrtausendwende und          wie die Fachgesellschaften die Verbreitung
 die Weiterbildung in Orthopädie und Un-        den Erfahrungen um die Novellierung der       voran und schaffen mit der Gründung ei-
 fallchirurgie (O und U) heute überhaupt        M-WBO 2003/2004 hat sich eine kleine          ner Allianz für Qualität in der Facharztwei-
 noch funktioniert. Wesentliche Inhalte,        Gruppe engagierter Kolleginnen und Kol-       terbildung eine interdisziplinäre Plattform
 besonders im Bereich der konservativen O       legen auf den Weg gemacht, Instrumente        in Ergänzung zur Muster-Weiterbildungs-
 und U, können kaum noch hinreichend            zur substantiellen Unterstützung engagier-    ordnung, die sich der Qualität unserer
vermittelt werden.                              ter Weiterbilder und zur Erhöhung der         Fachärzte von morgen verschreibt.
     Realistisch betrachtet bleibt anderer-     Weiterbildungsqualität zu schaffen. Es war        Wir laden alle Weiterbilder in Orthopä-
 seits festzuhalten, dass die M-WBO ledig-      ihr Ziel, diese Instrumente unabhängig        die und Unfallchirurgie ein, Teil dieser In-
 lich den Rahmen der Weiterbildung vor-         von der gerade gültigen Weiterbildungs-       itiative zu werden und sich mit ihren Er-
 gibt und in Form der Richtlinien, d.h. des     ordnung zu gestalten und dabei auf die        fahrungen in die Diskussion und Weiter-
 Logbuches bzw. OP-Kataloges, das zu er-        Stärken und Möglichkeiten der Weiterbil-      entwicklung des Angebotes einzubringen.
 reichende Ziel formuliert. Der nicht selten    dungsstätten vor Ort zu fokussieren.
„steinige Weg“ dorthin wird von der Wei-            Der entwickelte „Werkzeugkasten“ ist      Prof. Dr. Dr. Reinhard Hoffmann
 terbildungsordnung nicht beschrieben.          ebenso simpel wie praxisorientiert. Er er-    Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für
 Ihn zu finden und jeweils individuell aus-     hebt nicht den Anspruch auf vollumfäng-       Orthopädie und Unfallchirurgie e.V.
 zugestalten bleibt Weiterzubildenden und       liche Veränderung und schafft im Sinne
Weiterbildern weitgehend überlassen. Ar-        des Paretoprinzips mit einem vertretbaren     Dr. Johannes Flechtenmacher
 beitszeitgesetze, Ökonomisierung und           Aufwand ein Maximum an Qualitätsver-          Präsident des Berufsverbandes für Orthopädie
 Personalmangel behindern grundlegend           besserung. Mit den Instrumenten lässt sich    und Unfallchirurgie e.V.
 die Etablierung und Umsetzung struktu-         die Weiterbildungsqualität und damit die
 rierter Weiterbildungsprogramme. Hier          Attraktivität des Hauses für junge, enga-

                                                                                                                                 Juni 2017     | 3
Vom jungen Arzt zum guten Facharzt Marcus Siebolds

  Wie werden aus jungen Ärzten gute Ärzte?
  Warum sollte man sich eigentlich mit dieser Frage beschäftigen?

                                                 tischen bzw. sozialrechtlichen Interessen-    scheidungen mit Hilfe der trivialen Idee ei-
                                                 lagen, abgeleitet wird. Die grundsätzliche    ner zweiwertigen Entscheidungslogik mit
                                                 Frage, was denn einen guten Arzt aus einer    den Wahrheitswerten Richtig/Falsch im-
                                                 distanzierteren, philosophischen oder be-     mer schwieriger.
                                                 rufssoziologischen Perspektive ausmacht,         Das Problem liegt darin, dass die Rich-
                                                 wird im öffentlichen Diskurs ausgeblendet.    tigkeit oder Validität klinischer Forschung
                                                     Im folgenden Essay soll deshalb be-       im Sinne der evidenzbasierten Medizin
                                                 wusst eine andere Perspektive eingenom-       und die im Konsens der klinischen Wissen-
                                                 men werden. Vor dem Hintergrund philo-        schaftsgemeinschaft identifizierten Vorga-
                           Prof. Dr. med.
                           ­Marcus Siebolds      sophischer und berufssoziologischer The-      ben guter klinischer Praxis, ihre Richtigkeit
                                                 orien soll das, was einen guten Arzt aus-     an sich behalten, auch wenn sie im Wider-
  In der Diskussion um die Novelle der Mu-       macht, abgeleitet werden. Damit soll sich     spruch zum ärztlich-hermeneutischen
  ster-Weiterbildungsordnung wird die Fra-       für die an der Weiterbildung vor Ort Betei-   Fallverstehen stehen. Diese Widersprüch-
  ge, was denn einen guten Arzt ausmacht         ligten die Möglichkeit eröffnen, jenseits     lichkeit verstärkt sich, je mehr der Arzt
  implizit mitgeführt, ohne sie wirklich zu      der oben dargelegten öffentlichen Diskus-     durch Anamnese und Beratung über die
  diskutieren. Letztlich dominieren bil-         sion einen kritischen Zugang zu dieser Fra-   Wertepräferenzen des Patienten, sein Fall-
  dungs- und standespolitische Auseinan-         ge zu finden.                                 verstehen erfährt und verbessert. Dennoch
  dersetzungen den Diskurs und die Frage                                                       wird damit das Fallverstehen konsistenter
  welchen Beitrag Facharztweiterbildung zur      Erste Frage: Was macht gutes                  und erhält eine größere Wertigkeit. Ich
  ärztlichen Identitätsbildung leisten kann,     ­ärztliches ­Handeln aus?                     nenne das ein klinisch hermeneutisches
  gerät völlig aus dem Blick. Um das zu ver-                                                   Paradox ärztlicher Sorgfalt. Der Arzt ver-
  stehen, müssen die internationalen Kon-        Wenn man die Frage jenseits der berufs-       stärkt den inneren Widerspruch durch die
  zepte bekannt sein, auf die im derzeitigen     ständischen Lyrik beantworten will, ist ei-   sorgfältige Identifikation der besten Evi-
  Diskurs Bezug genommen wird. So wer-           ne wesentliche Grundlage der § 1 der Bun-     denzen und der systematischen Entwick-
  den der Nationale Kompetenzrahmen für          desärzteordnung [7].                          lung seines Fallverstehens nachhaltig.
  das Medizinstudium NKLM [1], das CAN-
  Meds Konzept aus Canada [2, 3] und das         „§ 1 Abs. 1: Der Arzt dient der Gesundheit    • Dialektik aus Entscheidungs- und
  Konzept der Entrustable Professionell Ac-      des einzelnen Menschen und des gesamt-           Begründungszusammenhang
  tivities, EPA [4] , das Konzept des Accre-     en Volkes“                                    Der Arzt muss bei zunehmender Fallkom-
  ditation Council for the Graduate Medical                                                    plexität und Chronizität oft Entscheidung
  Education, ACGME [5] in den USA, oder          Eine etablierte philosophische Theorie zu     fällen, die im Widerspruch zu einer sinn-
  das europäische Konzept der Union Euro-        diesem Thema ist die hermeneutische Fal-      vollen oder regelrechten Anwendung von
  péenne des Médecins Specialistes, UEMS         larbeit von Ulrich Övermann [8, 9]. Sie hat   wissenschaftlichen Evidenzen oder guter
  [6] als Grundlage der Diskussion über die      einen hohen Erklärungswert für den ersten     klinischer Praxis stehen. In diesem Zusam-
  neue Kompetenzausrichtung der Facharzt-        Teil des Absatz 1.                            menhang muss er sich der dialektischen
  weiterbildung genutzt.                             Die Theoriebildung der hermeneu-          Methode bedienen. Hermeneutisches Fall-
      Alle o.g. wissenschaftlichen Konzepte      tischen Fallarbeit erlaubt es, die Anforde-   verstehen des einen Patienten wäre in die-
  gehen normativ davon aus, dass ärztliches      rungen an das Handeln eines guten Arztes      sem Sinne die These, die wissenschaftliche
  Handeln in die Kategorien „Richtig oder        am Patienten abzuleiten. Övermann fasst       Evidenz die Antithese. Die Synthese wäre
  Falsch“ einzuordnen wäre. Darauf baut die      den Wesenskern ärztlichen Handelns in         dann der Versuch entweder durch die Me-
  Kompetenzbasierung der Facharztweiter-         sechs Grundkategorien zusammen, die ich       thode der Güterabwägung einen Kompro-
  bildung auf. Diese Konzepte sind stark er-     auf den Zusammenhang der Facharztwei-         miss zwischen beiden Optionen zu finden,
  ziehungswissenschaftlich und medizi-           terbildung hin weiterentwickelt habe [10]     oder eine ganz neue Idee des Vorgehens zu
  nisch-fachwissenschaftlich geprägt. Damit                                                    entwickeln. Werden die Wertepräferenzen
  besteht die Gefahr, dass der Sinn ärztlichen   • Widersprüchliche Einheit aus Regel­        des Patienten dominant (z.B. durch eine
  Handelns, also letztlich das, was einen gu-       wissen und Fallverstehen                   Patientenverfügung) so kippt das Entschei-
  ten Arzt ausmacht, direkt von universitär-     Mit zunehmender Fallkomplexität und           den einseitig auf die Seite des Fallverste-
  wissenschaftlichen, oder auch berufspoli-      Chronizität wird das Fällen klinischer Ent-   hens. Gilt es eine Güterabwägung zu tref-

4 |   Juni 2017
fen, so wird oft Patientenschaden und Nut-      der Unverletzlichkeit der Selbstbestim-         begrenzte Reichweite ärztlicher Vorgaben
zen abgewogen. Das Gewicht der einzel-          mung des Patienten und seiner seelischen,       an Patienten deutlich, wenn diese nicht in
nen Güter hängt dann von der Validität der      seiner sozialen sowie körperlichen Integri-     einer direkt abhängigen Position dem Arzt
wissenschaftlichen Evidenzen und der von        tät – sie ist unverhandelbar. Unterhalb die-    gegenüber sind.
Arzt und Patient erkannten Bedeutung des        ser Grenzen bewegt sich der Arzt im her-
Fallverstehens ab. Das bezeichne ich als        meneutischen Prozess, an dessen Ende sich       • F ehlende Standardisierbarkeit
hermeneutisch-dialektisches Fällen kli-         ein möglichst umfassendes und wider-            Lassen sich die ärztliche Vorgehensweisen
nischer Entscheidungen.                         spruchsfreies Verstehen des Patienten ent-      im Bereich der akuten Erkrankungen noch
                                                wickeln kann. Im Laufe seines Arztlebens        leidlich standardisieren, so ist dies im Be-
• Subjektive Betroffenheit des ­Patienten      durchläuft ein Arzt unzählige solcher her-      reich der komplex chronischen und ko-
Für den Patienten ist sein Kranksein von        meneutischer Prozesse und entwickelt da-        morbiden Patienten kaum noch möglich.
Bedeutung. Das subjektiv, lebensgeschicht-      mit letztlich seine klinische Reife.            Daraus ergeben sich klare Anforderungen
lich geprägte Verständnis seines Krank-                                                         an die Legitimitätsdarlegung der kli-
seins ist für ihn ausschlaggebend. Dabei        • Autonomie der Lebenspraxis                   nischen Entscheidungen in diesem Hand-
folgt dieses Krankheitsverständnis eben         Patienten streben nach Autonomie ihrer          lungsfeld. Sowohl an die Güte der ge-
nicht bindend einer medizinischen oder          Lebenspraxis. Dieses Konstrukt beschreibt,      nutzten wissenschaftlichen Evidenzen, als
psychologischen Verständnis- und Bedeu-         dass jenseits aller Ideen von patientärer       auch an die Konsistenz des ärztlichen Fall-
tungslogik. Hier kommt die Bedeutung der        Partizipation und dem Bild des mündigen         verstehens, werden bei zunehmender
Hermeneutik als Erkenntnisgewinnungs-           Patienten, die wesentlichen Entscheidung        Komplexität und Widersprüchlichkeit im-
methode ins Spiel. Gadamer [11] beschreibt      in der alltäglichen Lebenspraxis getroffen      mer höhere Anforderungen gestellt.
die Hermeneutik als Methode der Deutung         werden. Ist der Patient in einer abhängigen     Gleichzeitig steigt damit die Verantwor-
von Wirklichkeit, die sich durch ein sich       Behandlungssituation, zum Beispiel im           tung des Arztes, im Sinne des Patienten
Hineinversetzen in den Anderen auszeich-        Krankenhaus, so bildet sich diese Autono-       und im Spannungsfeld der Gesundheits-
net. Dies beschreibt genauer, was allge-        mie in der Regel in der Zustimmung zu di-       wirtschaft, die „optimale“ Kombination
mein ärztlich als Empathie beschrieben          agnostischen oder operativen Eingriffen         aus Diagnostik und Therapie auszuwählen
wird. Dar Arzt muss in seinem klinischen        ab. Ist der Patient nicht direkt abhängig, so   und anzubieten. Je komplexer das Krank-
Fallverstehen die subjektive Betroffenheit      bestimmt diese Autonomie über die Teil-         heitsbild, desto weniger kann sich auch der
des Patienten mit all ihrer Rationalität und    habe an der Therapie. Die Autonomie des         gesundheitlich gebildete Patient mit den
Irrationalität durch Deutung rekonstruie-       Patienten entscheidet z.B. darüber ob und       Entscheidungswegen inhaltlich auseinan-
ren, in dem er alles nutzt was ihm an Infor-    wie zuverlässig Medikamente eingenom-           dersetzen und muss der Fallarbeit des
mationen, Wahrnehmungen, eigenem Ge-            men werden. Mit diesem Begriff wird die         Arztes vertrauen.
fühlserleben und dem, was ich klinische
Szene nenne, zur Verfügung steht. Kli-
nische Szene beschreibt dabei die im Au-           Fazit
genblick der Begegnung entstehende Be-             Bleibt man auf der Ebene des ärztlichen Handelns, dann lassen sich folgende Merkmale
handlungswirklichkeit von Arzt und Pati-           aus der Theorie Övermann´s ableiten, die das Handeln eines guten Arztes beschreiben
ent mit all ihrem Inhalt.                          und als übergeordnete Bildungsziele für die Facharztweiterbildung dienen können:

• Analytische Distanz des Arztes in der           Ein guter Arzt …
   Behandlungsbeziehung                            • … verfügt über differenziertes Regelwissen im Sinne der evidenzbasierten Medi-
Der professionelle Arzt muss sich im Sinne            zin. Dabei muss er in der Lage sein, patientenrelevante Detailinformationen aus
des hermeneutischen Verstehens in den                 Originalpublikationen zu extrahieren, die oft in sekundär aufbereiteten Wissens-
Patienten Hineinversetzen können. Aus                 quellen nicht ersichtlich sind. Diese Daten braucht er, um ihre klinische Bedeutung
meiner Sicht entsteht damit eine Situation            in der Güterabwägung für die hermeneutisch-dialektische Entscheidung richtig
klinischer Intimität. In dieser Situation be-         einschätzen und den Patienten darüber beraten zu können.
treibt der Arzt aus einer reflektierten Posi-      • … kann sein klinisches Handeln durch hermeneutisch dialektisches Entscheiden
tion heraus, professionelle Entgrenzung.              begründen
Er muss sich in den Patienten situativ und         • … kann die volle Fallwirklichkeit des Patienten im Sinne des hermeneutischen Fall-
emotional hineinversetzen, die Grenzen                verstehens rekonstruieren. Dabei ist er in der Lage alle Dimensionen des Fallverste-
der körperlichen Intimität in der kli-                hens einzubeziehen und ist in der Lage im Sinne einer reflektierten analytischen
nischen Untersuchung überschreiten und                Distanz mit dem Patienten umzugehen und kann mit der klinischen Intimität und
in der Anamnese oftmals Fragen stellen,               der professionellen Entgrenzung verantwortlich umgehen.
die über die soziale Intimitätsgrenze hi-          • … kann mit der widersprüchlichen Einheit aus Regelwissen und Fallverstehen pro-
nausgehen. Diese professionelle Entgren-              fessionell und sorgsam umgehen und erträgt die daraus entstehende Ambiguität.
zung ist die klar gesetzte Grenze im Sinne

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Vom jungen Arzt zum guten Facharzt Marcus Siebolds

  Zweite Frage:                                       die Individualisierung der Verantwortung           der Achtung gegenüber den eigenen
  Was macht eine gute ärztliche                       für die Kontrolle der irrationalen Potenti-        Werteüberzeugungen des Arztes
  ­Rolleneinnahme aus?                                ale des einzelnen Patienten in der Person
                                                      des behandelnden Arztes. Dafür erhalten         Dieser Aushandlungsprozess beschreibt
  Zur Beantwortung dieser Frage lässt sich            Ärzte eine hohe Institutionsautonomie           letztlich das fortwährende Ringen um eine
  die Theoriebildung der Professionstheorie           (Recht auf den freien Beruf, Recht auf ärzt-    Balance,- besser einen tragfähigen Kom-
  in Anlehnung an Doris Schäffer [12] sinn-           liche Selbstverwaltung) und eine große          promiss,- zwischen diesen Erwartungs-
  voll nutzen. Dieses Theorem erklärt kon-            Unabhängigkeit vom Patienten (der Arzt          strukturen. In der Folge wird deutlich, das
  sistent den zweiten Teil des Abs. 1 § 1 der         ist nicht für den Erfolg seines Handelns        Arzthandeln immer primär politisch und
  Bundesärzteordnung:                                 sondern nur für die notwendige Sorgfalt         Gemeinwesen bezogen ist. Der Sachverhalt
                                                      verantwortlich).                                ist in Abb.1 dargestellt.
  „§ 1 Abs. 1: Der Arzt dient der Gesundheit des          Diese Theorie beschreibt sehr ein-              Schäffer hinterlegt diese Grundidee mit
  einzelnen Menschen und des gesamten                 drücklich die in der Bundesärzteordnung         einem System von fünf Rollenmerkmalen,
  Volkes“                                             – immerhin einem Bundesgesetz – festge-         von den die zwei wichtigsten für die hier zu
                                                      legte Erwartung der Gesellschaft an die         bearbeitende Fragestellung erwähnt seien:
  Die Professionstheorie leitet sich aus dem          Ärzteschaft, wie sie im §1 dokumentiert ist.
  Ordensgelübde, der Profess ab. Damit wird           Diese ganz reale (siehe Bundesärzteord-         • Zentralwertbezogene Leistungen
  ein sich versprechen im Dienen an einer             nung) gesellschaftliche Rollenerwartung         Eine Gesellschaft definiert sich über Zen-
  Gemeinschaft beschrieben. Sie entwickelt            hat weitgehende Folgen für die ärztliche        tralwerte. Diese können in Gesetzen fest-
  den Begriff der ärztlichen Profession aus           Rolleneinnahme und prägt entscheidend           geschrieben sein oder informell als nicht
  folgendem Konstrukt heraus:                         das Arzt-Patienten-Verhältnis.                  kodifizierte Erwartungen existieren. Im
     Die Gesellschaft ist durch irrationale                                                           Gesundheitswesen stellt das Sozialgesetz-
  Potentiale bedroht. Irrationale Potentiale          Der Arzt als Vermittler zwischen                buch (SGB) Fünftes Buch (V) die gesetz-
  im Bereich des Gesundheitswesens sind,              ­Medizin, Patient und Gesellschaft              liche Festlegung dar. Die Kernaussagen im
  z.B. Krankheit, Pflegebedürftigkeit, krank-          In der Krankenbehandlung kommen pri-           Zusammenhang mit der ärztlichen Rollen-
  heitsbedingte soziale Devianz, Siechtum              mär drei gesellschaftliche Erwartungs-         einnahme sind § 12 Abs. 1 mit der Festle-
  und Tod. Um diese irrationalen Potentiale           strukturen zum Tragen.                          gung des Leistungsrahmens gemäß des
  zu kontrollieren muss die Gesellschaft Da-          • Der Wunsch des Patienten nach einer          WANZ (wirtschaftlich, angemessen, not-
  seinssicherung betreiben. Da im Feld des                wirksamen und humanen Behandlung            wendig, zweckmäßig) Paradigmas:
  Gesundheitswesens die Organisation und                  seiner Krankheit und der Achtung vor
  Übernahme der Daseinsvorsorge ein ho-                   seinen Wertepräferenzen                     „(1) Die Leistungen müssen ausreichend,
  hes Potential an objektiv nur schwer lös-           • Die Einhaltung des gesellschaftlichen        zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dür-
  baren Wertekonflikten für die Gesellschaft              Rahmens von begrenzten finanziellen         fen das Maß des Notwendigen nicht über-
  beinhaltet, überträgt die Gesellschaft die-             Ressourcen und den rahmengebenden           schreiten. Leistungen, die nicht notwendig
  se Aufgaben an die Ärzteschaft. Sie erteilt             Gesetzen in der Behandlung durch den        oder unwirtschaftlich sind, können Versi-
  ihr ein gesellschaftliches Mandat. Die                  Arzt                                        cherte nicht beanspruchen, dürfen die Lei-
  Operationalisierung der Kontrolle der               • Die Wahrung ärztlicher Identität im          stungserbringer nicht bewirken und die
  krankheitsbedingten irrationalen Potenti-               Sinne der Umsetzung der besten ver-         Krankenkassen nicht bewilligen.“
  ale durch die Ärzteschaft erfolgt durch die             fügbaren Evidenzen aus der Wissen-
  Übertragung der Letztverantwortung im                   schaft, einem für den Arzt menschli-        Ebenso ist § 70 SGB V Abs.2 der die hu-
  einzelnen Fall an den Arzt. Kernpunkt ist               chen Umgang mit dem Patienten und           mane Versorgung festlegt von wesentlicher
                                                                                                      Bedeutung:
            Patienten             Professionelles Handeln                          Arzt               „(2) Die Krankenkassen und die Leistungser-
       Hilfeerwartung, GG, § 70
                SGB V                     als Arzt                          § 12, § 70 SGB V, EbM
                                                                                                      bringer haben durch geeignete Maßnah-
                                                                                                      men auf eine humane Krankenbehandlung
                                             WANZ                                                     ihrer Versicherten hinzuwirken.“
      Freiheit des Patienten                Human                    Handeln als Professioneller
                                                                      Vermittler von Patient und
                                                                                                      Hier bildet sich eine widersprüchliche Ge-
                                                                            Gesellschaft              mengelage ab. Der Arzt muss sein Handeln
                                                                                                      an den zwei rivalisierenden Zentralwerten,
                                          Gesellschaft
                                                                                                      dem des WANZ Paradigmas und des Hu-
                                      § 12, §70 SGB V, § 2 GB-A
                                                                                                      manitätsgebotes ausrichten. Das führt zum
  Abb. 1: Das professionelle Dreieck ärztlichen Handelns (WANZ: wirtschaftlich ausreichend, notwen-   Problem der grenzrisikennahen Versor-
  dig, zweckmäßig)                                                                                    gung gemäß Abb. 2.
                                     Prof. Dr.med. Marcus Siebolds

6 |   Juni 2017
In diesem gesetzlich definierten Hand-
                                                                    Der Arzt als Wächter des Grenzrisikos
lungsmodell beschreibt WANZ das Funk-
tionsoptimum der Versorgung im Sinne ei-                 Kosten                                                                 Kostenentwicklung
ner gerade noch vertretbaren Versorgung.                                               „WANZ und Human als Abbild
Der Arzt wird im gegenwärtigen Finanzie-                                                rivalisiernder Zentralwerte

rungssystem (DRG und Praxisbudgets)
immer mehr an das Grenzrisiko getrieben.
Dabei erlegt ihm seine Rolle und das Ge-                    Druck für die Ärzte zum
setz die Wahrung einer humanen Patien-                            Herantasten                  WANZ
                                                            an eine grenzrisikennahe           Human
tenversorgung auf. Das meint konkret ärzt-                        Versorgung
liches Handeln im Spannungsfeld rivalisie-                                                                                               Behandlungs-
render Zentralwerte.                                                                                                                     intensität
    Die Rolle wird im Übrigen durch die            Minimale/risikobehaftete           Ausmaß an Versorgung,                     Maximale-redundante
zunehmenden Einflüsse des Gesetzgebers                  Gesundheits-              das von Gemeinwesen/ Patienten                    Versorgung
                                                         versorgung                akzeptiert wird und gesetzlichen
und der Kostenträger bei gleichzeitig un-                                               Forderungen genügt
verändert individualisierter Verantwor-
tung in den letzten Jahren immer schwie-       Abb. 2:    Der Arzt als Wächter des Grenzrisikos
riger auszufüllen.
                                               des individuellen Behandlungsgeschehens                   kann wesentlich dazu beitragen, dass aus
• Universelles Wissen                         und die Rolle des Arztes in der Zivilgesell-              jungen Ärzten gute Ärzte werden.
Letztlich ist es nur dem Arzt erlaubt, seine   schaft ab. Das zentrale Agens ist hier die
klinische Erfahrung und sein hermeneu-         klar radikal eingeforderte Verantwortung                  Prof. Dr.med. Marcus Siebolds
tisches Fallverstehen gleichberechtigt ne-     für das eigene ärztliche Handeln am ein-                  FB Gesundheitswesen
ben den wissenschaftlichen Evidenzen zu        zelnen Kranken und der unausweichlichen                   Katholische Hochschule NRW/ Abt. Köln
nutzen. Dies ergibt sich aus dem rechtli-      zivilgesellschaftlichen Verantwortungsü-
chen Sorgfaltsgebot in der Verantwortung       bernahme.                                                 Literatur:
                                                                                                         [1] www.nklm.de
für den einzelnen Patienten und korre-             Die Nutzung der hier vorgestellten The-               [2] Jilg S, Möltner A, Fischer MR, Breckwoldt J (2015)
spondiert zu Övermann´s Feststellung der       orien lässt schmerzlich erkennen, welche                       How do Supervising Clinicians of a University Hos-
weitestgehend eingeschränkten Standardi-       Aufgabe gute Arztbildung im besten Sinne                       pital and Associated Teaching Hospitals Rate the
                                                                                                              Relevance of the Key Competencies within the
sierbarkeit der Behandlung.                    beinhaltet. Im Mastertrainerprojekt, das in                    CanMEDS Roles Frameworkin Respect to Teaching
                                               diesem Heft vorgestellt wird, werden die                       in Clinical Clerkships? GMS Zeitschrift für Medizi-
                                                                                                              nische Ausbildung 32(3), ISSN 1860-3572
Abschließende Reflektion                       hier abgeleiteten Kriterien für einen guten
                                                                                                         [3] http://canmeds.royalcollege.ca/uploads/en/fra-
                                               Arzt als eine der Grundlagen der Lern-                         mework/CanMEDS%202015%20Framework_EN_
Die mit Hilfe der Theorien von Övermann        standsrückmeldung genutzt. Die Gewahr-                         Reduced.pdf
                                                                                                         [4] Ten Cate O. et al (2015) Curriculum development
und Schäffer entwickelten Kriterien für die    werdung von Rolle, Verantwortung, An-                          for the workplace using Entrustable Professional
Idee, was einen guten Arzt ausmacht, he-       sprüchen und damit verbundenen Kon-                            Activities (EPAs): AMEE Guide No. 99. Medical Tea-
ben sehr deutlich auf die Sinnproblematik      flikten im täglichen ärztlichen Handeln                        cher 1-20, early online
                                                                                                         [5] ACGME Outcome Projekt Weitere Details: http://
                                                                                                              www.acgme.org/outcome/ (Stand: 5. August
                                                                                                              2004).
Fazit                                                                                                    [6] https://www.uems.eu/areas-of-expertise/postgra-
                                                                                                              duate-training
Bleibt man auf der Ebene der ärztlichen Rolleneinnahme, dann lassen sich fol-                            [7] http://www.gesetze-im-internet.de/b_o/__1.html
gende Merkmale aus der Theorie von Schäffer ableiten, die die professionelle Rol-                        [8] Weidner F, (1995) Professionelle Pflegepraxis und
leneinnahme eines guten Arztes beschreiben und als übergeordnete Bildungs-                                    Gesundheitsförderung, Frankfurt a.M.
                                                                                                         [9] Oevermann U; Klinische Soziologie, Konzeptualisie-
ziele für die Facharztweiterbildung dienen können:                                                            rung, Begründung von Berufspraxis und Berufsbil-
                                                                                                              dung; unveröffentlichtes Manuskript (Bei Weidner)
Ein guter Arzt …                                                                                         [10] Siebolds M (2014) Vertragsärztliches System – Teil I:
                                                                                                              Von Eros und Ethos des Vertragsarztseins. Dtsch
• … begreift sein Rolle als primär politisch und gemeinwesenbezogen                                          Arztebl 111(29-30): A-1292 / B-1112 / C-1056
• … ist in der Lage, die Problematik der Orientierung seines Handelns an zwei ri-                       [11] Gadamer HG (1966) Wahrheit und Methode
   valisierenden Zentralwerten kritisch zu reflektieren                                                  [12] Schaeffer D (1994) Zur Professionalisierung von
                                                                                                              Pflege und Public Health. In: Moers,M. (Hrsg.): Zur
• … ist bereit, die persönlich unbedingte Verantwortung für sein Handeln am                                  Professionalisierung von Pflege und Public Health,
   einzelnen Patienten zu übernehmen                                                                          Berlin
• … ist bereit, die persönliche Verantwortung für die Kontrolle der gesellschaft-
   lichen Kollektivrisiken der irrationalen Potentiale von Krankheit zu überneh-
   men
• … geht verantwortlich mit dem Unterschied zwischen seiner Rolle als professi-
   oneller Arzt und seiner Rolle als Arbeitnehmer um.
                                                                                                                                                    Juni 2017     | 7
Assistentenumfrage des BDI Kevin Schulte

  Die Assistentenumfrage des BDI:
  Ein objektiver Blick auf die Arbeits- und
  Weiterbildungsbedingungen deutscher
  ­Assistenzärztinnen und -ärzte
                                                   nen zu Beginn der Weiterbildung kein             Krisengefahr – Innere Medizin
                                                   strukturierter Rotationsplan vorgelegen ha-
                                                   be. Ferner gaben 67% an, dass die jährlichen     Um die psychische Belastungssituation der
                                                   Weiterbildungsgespräche – diese sind in der      Ärztinnen und Ärzte valide messen zu
                                                   Weiterbildungsordnung vorgeschrieben –           können, wurde ein standardisiertes Mess-
                                                   nicht stattfinden würden. Da es Kranken-         instrument verwendet um den Verausga-
                                                   häuser gibt, in denen beides gelingt, kann       bungs-Belohnungs-Quotienten nach dem
                                                   dieser Missstand nicht leichter Hand einzig      Modell der beruflichen Gratifikationskri-
                                                   mit der Unterfinanzierung der deutschen          sen von Prof. Johannes Siegrist zu ermit-
                            Dr. med.               Kliniken erklärt werden. Hierzu passt auch,      teln. Der Quotient zeigt das Risiko für
                            ­Kevin Schulte
                                                   dass zwei Drittel der Befragten angaben,         Burn-out, berufsbedingte Depressionen
                                                   dass die vorgesehenen Weiterbildungsin-          sowie Herzkreislauferkrankungen an. Ein
  Das deutsche Gesundheitswesen befindet           halte in der regulären Weiterbildungszeit        Quotient größer eins spricht für ein Miss-
  sich in einem ständigen Wandel, was erheb-       nicht erlernbar seien. Hauptursache hier-        verhältnis, es überwiegen also die Veraus-
  liche Auswirkungen auf die Arbeits- und          für: Mangelhafte Supervision und eine feh-       gabensfaktoren. Mit einem Wert von 1,94
  Weiterbildungsbedingungen junger Ärz-            lende Überprüfung des Lernerfolges. Fer-         wurde ein bislang ungekannter Spitzen-
  tinnen und Ärzte in den deutschen Kli-           ner lässt aufhorchen, dass 39% der Be-           wert in dieser Untersuchungsgruppe er-
  niken hat. Um die aktuelle Problemlage           fragten berichteten, dass in ihrer Klinik kei-   reicht. Zum Vergleich: In einer deutschen
  klar und deutlich zu beschreiben, hat das        ne regelmäßigen Fortbildungen stattfinden.       Querschnittsstudie aus dem Jahr 2013, in
  Junge Forum des Berufsverbandes Deut-            Da in diesen Kliniken wohl nicht nur Wei-        dem Berufstätige aller Fachbereiche einge-
  scher Internisten (BDI) gemeinsam mit            terzubildende arbeiten, sind diese Zahlen        schlossen wurden, lag der Wert bei 0,43.
  den Young Internists der deutschen Gesell-       vermutlich für alle internistisch tätigen Kol-   Interessanterweise hatte weder das Ge-
  schaft für Innere Medizin (DGIM) im Jahr         leginnen und Kollegen gültig.                    schlecht, der Krankenhausträger noch der
  2015-2016 eine internistische Assistenten-                                                        Familienstand einen Einfluss auf den Ver-
  befragung durchgeführt. Vor allem drei           Ökonomie und ärztliche                           ausgabungs-Belohnungs-Quotienten, je-
  Themenbereiche wurden in der Befragung           ­Entscheidungsfreiheit                           doch nahm die Dysbalance über die Wei-
  [1] besonders beleuchtet: 1.) Wie ist es um                                                       terbildungszeit hinweg zu. Bemerkenswert
  die internistische Weiterbildung bestellt, 2.)   Drei Viertel der Kolleginnen und Kollegen        ist, dass je gefährdeter die Teilnehmer die
  wie beeinflusst die Ökonomie die ärztliche       gaben an, regelmäßig über die Verweildau-        Qualität der Patientenversorgung durch
  Entscheidungsfreiheit und 3.) wie sehr be-       er ihrer Patienten informiert zu werden. Es      die vielschichtigen Veränderungen im
  lasten die heutigen Arbeitsbedingungen die       hatten aber nur 61% dieser Kollegen den          ärztlichen Arbeitsumfeld sahen, desto hö-
  Gesundheit der Ärztinnen und Ärzte.              Eindruck, dass diese Information die Lie-        her war auch das Ausmaß ihrer Gratifika-
      Das Interesse an der Umfrage war über-       gedauer ihrer Patienten unabhängig von           tionskrise (Abb. 1). Eindrücklicher kann
  wältigend, mit 1696 Teilnehmern haben            rein medizinisch-fachlichen Erwägungen           man kaum illustrieren, wie sehr die Pati-
  sich an dieser fachspezifischen Befragung        beeinflussen würde. Ein interessantes Er-        enten ihren Ärzten am Herzen liegen: Je
  mehr Ärztinnen und Ärzte beteiligt als an        gebnis, denn wozu dient diese Informati-         schlechter die Rahmenbedingungen, desto
  den Weiterbildungsevaluationen der Lan-          on, wenn nicht um die Liegezeiten zu be-         mehr reiben sich die behandelnden Ärzte
  desärztekammern!                                 einflussen? Weniger überraschend ist das         auf, um ihren Patienten eine möglichst gu-
                                                   Ergebnis, dass in Kliniken in privater Trä-      te Versorgung zu gewährleisten.
  Internistische Weiterbildung –                   gerschaft signifikant häufiger medizi-
  wo drückt der Schuh?                             nische Entscheidungen durch ökono-
                                                   mische Erwägungen beeinflusst werden als
  83% der befragten Kolleginnen und Kolle-         in Krankenhäusern in öffentlicher oder
  gen berichteten in der Umfrage, dass bei ih-     freigemeinnütziger Trägerschaft.

8 |   Juni 2017
Und nun? Mastertrainerkonzept
                                                                                                        und vieles mehr!

                                                                                                        Als Reaktion auf die Umfrageergebnisse
                                                                                                        hat der Berufsverband Deutscher Inter-
                                                                                                        nisten e.V. zahlreiche Initiativen gestartet.
                                                                                                        Zwei seien hier besonders erwähnt: Zum
                                                                                                        einen macht der BDI sich für das Master-
                                                                                                        trainerkonzept stark, um die internistische
                                                                                                        Weiterbildung – soweit die Rahmenbedin-
                                                                                                        gungen es zulassen – zu verbessern. Hier-
                                                                                                        zu finden Sie viele weitere Informationen
                                                                                                        in dieser Broschüre. Weiterhin haben wir
                                                                                                        ein Kooperationsprojekt mit der Berufsge-
                                                                                                        nossenschaft für Gesundheitsdienst und
                                                                                                        Wohlfahrtsfürsorge ins Leben gerufen, um
                                                                                                        die gesundheitsgefährdenden – für Patient
                                                                                                        und Arzt – Arbeitsbedingungen in den
                                                                                                        deutschen Kliniken zu thematisieren und
                                                                                                        zu verbessern.
Abb. 1: Größere Sorge um die Qualität der Patientenversorgung ist mit einer stärkeren Ausprägung
psychosozialer Arbeitsbelastung assoziiert. Die Frage lautete: „Sehen Sie die Qualität der Patienten-
                                                                                                        Dr. med. Kevin Schulte
versorgung durch die vielschichtigen Veränderungen im ärztlichen Arbeitsumfeld über die letzten         Berufsverband Deutscher Internisten e.V.
Jahre gefährdet?“
                                                                                                        Literatur
                                                                                                        [1] Raspe M, Müller-Marbach A, Schneider M, Siep-
                                                                                                            mann T, Schulte K. (2016) Arbeits- und Weiterbil-
                                                                                                            dungsbedingungen deutscher Assistenzärztinnen
                                                                                                            und Ärzte in internistischer Weiterbildung. Dtsch
                                                                                                            Med Wochenschr 141: 202-210

                                                                                                                                               Juni 2017    | 9
Gute Facharztweiterbildung Marcus Siebolds, Jörg Ansorg, Norbert Hennes, Michael Denkinger

   Gute Facharztweiterbildung vor Ort
   ­praxisnah fördern
   Das Mastertrainerkonzept zur strukturierten Facharztweiterbildung

                                               Einleitung                                    schnell deutlich, dass die sinnvollerweise
                                                                                             Kammer-, also selbstverwaltungsgeführte
                                               Die neue Muster-Weiterbildungsordnung         Kontrolle der Weiterbildung nicht unbe-
                                               ist ein Mammutprojekt, welches bereits        dingt immer zu einer optimalen und nach-
                                               mehrere Jahre andauert und seinen Ab-         vollziehbaren Qualität führt und sich dies
                                               schluss letztendlich beim Ärztetag 2018       durch die modifizierte Weiterbildungs-
                                               finden soll. In dieser Zeit wurden zahl-      ordnung nicht wesentlich ändern wird.
                                               reiche Diskussionen innerhalb der Ärzte-          Zum Thema Facharztweiterbildung be-
                                               schaft, der Verbände, der wissenschaft-       stimmen neben der Weiterbildungsord-
                           Prof. Dr. med.
                           ­Marcus Siebolds    lichen Gesellschaften und der Ärztekam-       nung allerdings auch weitere berufspoliti-
                                               mern, allen voran der Bundesärztekammer       sche Auseinandersetzungen um struktu-
                                               geführt. Die strittigsten Punkte aus den      relle Rahmenbedingungen, wie zum Bei-
                                               Diskussionen lassen sich dabei immer auf      spiel die Finanzierung der ärztlichen
                                               zwei Themen zurückführen: Erstens Kom-        Weiterbildung im ambulanten Sektor und
                                               petenzbasierung versus Mindestzahlen          die Gestaltung politischer Anreizsysteme
                                               und Mindestzeiten sowie, zweitens, Ab-        zur Überwindung des zunehmenden Ärz-
                                               grenzung etablierter oder neuer Fachge-       temangels, die öffentliche Diskussion. In-
                                               biete. Neben der viel beschworenen Inten-     ternationale Forschungsergebnisse zum
                                               tion Weiterbildungsqualität zu erreichen,     Thema werden in dieser Diskussion in
                                               spielen am Ende auch immer ordnungspo-        Deutschland nur wenig genutzt. Ebenso
                           Dr. med.            litische Fragen eine Rolle: Wer darf welche   fehlen in der Fläche Konzepte zur Unter-
                           Jörg Ansorg         Leistung am Patienten durchführen (und        stützung der Weiterbilder und Ärzte in
                                               wird dafür von der Solidargemeinschaft        Weiterbildung bezüglich der Entwicklung
                                               bezahlt).                                     von Lehr- und Lernkompetenzen. Diese
                                                   So gedacht müsste etwa ein Facharzt für   Kompetenzen sind in seltensten Fällen
                                               Chirurgie und Innere Medizin die Sono-        während Studium oder in der eigenen Wei-
                                               grafie des Abdomens, mit dem Erlangen         terbildungszeit strukturiert erworben wor-
                                               des Facharztstatus in gleicher Qualität       den.
                                               durchführen. Bisher war dies vornehmlich          Der Berufsverband der Deutschen In-
                                               über Untersuchungszahlen überprüft, nun       ternisten (BDI) hat deshalb in Zusammen-
                                               sollen Kompetenzlevel dazu kommen. Wie        arbeit mit dem Berufsverband der Deut-
                                               allerdings kann diese Kompetenz in ei-        schen Chirurgen (BDC) und dem Berufs-
                           Dr. med.
                                               nem 30min kollegialen Gespräch                verband der Orthopäden und Unfallchir-
                           Norbert Hennes
                                               (Facharztprüfung) überhaupt überprüft         urgen (BVOU) ein Train-the-Trainer-Pro-
                                               werden? Es wird schnell klar, dass ohne ei-   jekt aufgelegt. Inzwischen wurden dafür
                                               ne Anpassung der gemeinsamen „Endstre-        zum Zeitpunkt der Drucklegung 92 Mas-
                                               cke“, der Prüfung, keine Weiterbildungs-      tertrainer (alle langjährig weiterbildende
                                               ordnung geschaffen werden kann, die           Chef- oder Oberärzte, einige Fachärzte)
                                               komplett auf Zahlen und Zeiten verzichtet.    geschult, denen in zweitägigen Fortbil-
                                               Aber auch Zahlen und Zeiten können            dungen und regelmäßigen Supervisio-
                                               großzügig bescheinigt werden und nicht        nen ein sehr einfaches und alltagstaugli-
                                               jeder, der den Facharzt für Innere Medizin    ches Konzept der evidenzbasierten und
                                               erhalten hat, wird immer alle geforderten     strukturierten Facharztweiterbildung ver-
                           Prof. Dr.           400 Sonografien, 100 Belastungs-EKGs          mittelt wurde – unabhängig von der Fach-
                           Michael Denkinger   und so weiter absolviert haben. Damit wird    disziplin. Diese Mastertrainer sollen in die

10 |   Juni 2017
Lage versetzt werden, einerseits Ihr Wissen     täglichen klinischen Krankenversorgung           die Fortsetzung des Medizinstudiums mit
an andere interessierte Weiterbilder in Se-     geschieht die Weiterbildung in der Regel         anderen Mitteln sein. Der zunehmende
minaren weiterzugeben, und von Ihnen            im Rahmen kollegialer Zusammenarbeit             Trend zur „hochschulischen Didaktisie-
fortgebildeten Weiterbilder anzuregen die       von Weiterbilder und Arzt in Weiterbil-          rung“ und „curricularen Überstruktu-
Weiterbildungsstrukturen in Ihren Ein-          dung. Das Bildungsziel ist eine Mischung         rierung“ der Facharztweiterbildung ver-
richtungen an das erlernte System indivi-       aus der formalen Erlangung des Facharzt-         kennt die Arbeitsrealität in den Weiter­
duell anzupassen. Das hier vermittelte          status und der materiellen Qualifikation         bildungsstätten und ihre eher auf Diskurs
Konzept der strukturierten Facharztwei-         im Sinne einer oberarzt- beziehungsweise         und Selbstorganisation ausgerichtete, tra-
terbildung ist konsequent, klinisch-kom-        niederlassungsreifen klinischen Kompe-           ditionelle Lehrkultur, unabhängig von
petenzbasiert und nimmt auch die Person         tenz des jungen Facharztes um die Min-           der Fachlichkeit. Will man vor Ort in den
des jungen Arztes in den Blick. Dies ge-        destanforderungen zur eigenverantwortli-         Kliniken und Praxen mit den Beteiligten
schieht durch eine einfache Kultur syste-       chen Beherrschung und Ausübung der je-           akzeptierte Lösungen etablieren, die an-
matischer Lernstandsrückmeldungen im            weiligen Standardverfahren zu erfüllen.          schlußfähig an die vorherrschende Wei-
Rahmen des jährlichen Weiterbildungspla-            Die Meisterebene: Die nachfachärztli-        terbildungkultur sind, so gilt es mit die-
nungsgespräches und klinischer Testate. In      che Arztbildung mit dem Ziel der zuneh-          sem Spannungsfeld bewusst umzugehen.
den Lernstandrückmeldung wird die Ent-          menden Entwicklung klinischer Reife.             Letztlich geht es um einen Paradigmen-
wicklung der klinischen und der ärztlich-       Diese befähigt den reifen Arzt/ die reife        wechsel in der Weiterbildung von einer
personalen Kompetenz kriteriengeleitet          Ärztin zu Bewältigung atypischer Fallsitu-       traditionell strukturkbasierten zu einer
von Weiterbilder und dem Arzt in Weiter-        ationen und zur Fähigkeit werterelevante,        partizipativ-kompetenzbasierten Weiter-
bildung gemeinsam eingeschätzt. In den          klinische Entscheidungen in widersprüch-         bildung, die Meiring [7] in folgender
Testaten wird die Entwicklung der prakti-       lichen Situationen leisten zu können. Eine       Übersicht sehr gut zusammenfasst.
schen Fähigkeiten (Skills) kriterial in einer   sehr viel genauere Umschreibung dieses           (Tab. 1)
praktischen Handlungssituation vom Wei-         Sachverhaltes leistet die Theoriebildung             Wesentliche Merkmale sind die Fokus-
terbilder beurteilt. Damit wird die Kompe-      der klinisch-hermeneutischen Dialektik           sierung auf die Lernaktivität des Arztes in
tenzüberprüfung zumindest zu einem Teil         [2]. Bildungsziele sind die materielle Qua-      Weiterbildung und die weiterbildungsbe-
von der Kammer in die Klinik verlagert,         lifikation zur zunehmenden Übernahme             gleitenden, kleinformatigen, kriterienge-
nicht berufsrechtlich relevant, aber der        von Fallverantwortung bei komplexen Fra-         leiteten klinischen Prüfungen.
Qualität der Weiterbildung mehr als dien-       gestellungen, sowie die Übernahme ärztli-
lich. Das zahlt sich am Ende für den Arzt,      cher Leitungsverantwortung [3].                  Basiskonzept einer strukturierten
die Klinik und den Patienten aus.                                                                ­Facharztweiterbildung
                                                Paradigmenwechsel in der Facharzt-                Um diesem Spannungsfeld und dem damit
Arztbildung als Kernaufgabe                     weiterbildung und deren Anschluss­                anstehenden Paradigmenwechsel gerecht
                                                fähigkeit an ein traditionelles Weiter­           zu werden, wurde folgendes Vorgehen ge-
Arztbildung ist ein Lebenslanger Prozess        bildungsverständnis                               wählt. Im Rahmen der Erstellung eines Li-
in dessen Verlauf verschiedene Ebenen der       Die Facharztweiterbildung und die nach-           teraturreviews [4] wurden aus der verfüg-
ärztlichen Entwicklung durchlaufen wer-         fachärztliche Arztbildung können nicht            baren Literatur nur evaluierte Konzepte
den Die hier genutzte Taxonomie ist an
Dreyfus [1] angelehnt:
                                                Tab. 1 Vergleich struktur- und problembasierter mit kompetenzbasierter
    Die Novizenebene: Das Studium mit
                                                        Weiterbildung (mod. nach Carracio et al. [3])
dem Ziel der Anlage des Potentials, als Arzt
in die Facharztweiterbildung eintreten zu       Variable                      Struktur-/problembasiert        Kompetenzbasiert
dürfen. Die Hochschule verfügt über klare       Treibende Kraft               Inhalts – Wissenserwerb         Ergebnis – Wissenanwendung
Lehr- und Lernrollen und sieht den Medi-        Treibende Prozesskraft        Lehrer                          Lerner
zinstudenten als abhängigen Lerner. Hoch-       Lernpfad                      Hierarchisch                    Nichthierarchisch
schule ist ein primärer Lernort im Sinne ei-
                                                Inhaltsverantwortung          Lehrer                          Lerner und Lehrer
ner Ausbildung. Ziel ist die formale Quali-
                                                Ziel der Lehreinheiten        Wissenserwerb                   Wissensanwendung
fikation im Sinne der Erlangung der Ap-
probation.                                      Assessmentinstrument          Subjektive Einzelprüfung        Viele objektive Prüfungen
    Die Gesellenebene: Die Facharztwei-                                                                       (Evaluationsportfolio)
terbildung mit dem Ziel eigenverantwort-        Assessmentform                Stellvertretend                 Authentisch (realitätsnah)
lich ärztlich arbeiten zu können. Die ärzt-     Evaluationssetting            Keine direkte Beobachtung       Direkte Beobachtung
liche Weiterbildung ist ein Ort klinisch-       Evaluation                    Referenznorm                    Referenzkriterien
praktischer Berufstätigkeit mit passageren
                                                Assessmentzeitpunkt           Abschließend (summativ)         Begleitend (formativ)
Lernphasen. Der Lernende steht in einer
                                                Abschluss                     Fester Zeitpunkt                Variabler Zeitpunkt
klaren beruflichen Hierarchie. In der all-

                                                                                                                                    Juni 2017   | 11
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