Weltweit - Alter: Lebenszuversicht im Osterglaube

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Weltweit - Alter: Lebenszuversicht im Osterglaube
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    ENTWICKLUNGSPARTNERSCHAFT   GLOBALEGERECHTIGKEIT

Alter: Lebenszuversicht
im Osterglaube                       SEITE 10

Synergie statt Elend durch
UNO-Migrationspakt                                 SEITE 4
                                                             2/2019
Weltweit - Alter: Lebenszuversicht im Osterglaube
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                                                                   Überhaupt: «Ist mein Denken frei?» Haben Sie
                                                                   sich das auch schon gefragt? Im Grunde ist
                                                                   unser Hirn eine unglaubliche Denkmaschine, die
                                                                   wie eine nie endende Filmrolle andauernd wei-
                                                                   terspult. Können Sie das Denken oder negative
                                                                   Gedanken abschalten? Vermutlich geht das
                                                                   beim Schlafen – aber Einschlafenkönnen ist ja
                                                                   ein Geschenk, wie es alle erfahren, die diesbe-
                                                                   züglich immer wieder Schwierigkeiten haben.
                                                                   Aber wie uns reges Träumen kündet, haben wir
                                                                   nachts unsere «geistige Freiheit» auch nicht im
                                                                   Griff. Dennoch ermöglicht uns der Standby-
                                                                   Betrieb beim Schlafen die Erholung, ohne die
                                                                   wir gar nicht leben könnten. Und wie wir von
                                                                   östlichen Meditationspraktiken wissen, führt das
                                                                   geübte Anhalten des Denkens in eine Ruhe und
                                                                   Innerlichkeit und ermöglicht Gefühle von Eins-
                                                                   sein und Frieden. Tatsächlich: Ich persönlich
Kinder und Clowns ergeben oft
«herrliche Denkgelegenheiten».
                                                                   mache immer wieder die Erfahrung, wie wohl es
(Bild: Ulrich Töpfer)                                              tut, «meine Denkmaschine» runterzufahren.

                                                                   Beobachten Sie mal Gespräche, die ziellos von
               Denkensanregung                                     einem unbesonnenen Stichwort zum andern
                                                                   «irren» – oder solche, die vor allem den Zweck
                                                                   verfolgen, Recht zu bekommen. Was es eigent-
               Was unterscheidet Menschen am stärksten von         lich bringt, fragen wir selten. Welchen Sinn ver-
               ihren Mitgeschöpfen?                                folgt unser Reden? Zuwendung, Anteilnahme,
               Die Leistung ihres Gehirns, haben Sie jetzt viel-   Mitgefühl – oder fachliche Information, Kontrolle,
               leicht mit mir gedacht, sinnende Leserin, nach-     Beeinflussung? Wir sollten dies mehr überlegen
               denklicher Leser. Tatsächlich: Wir vermögen         – auch beim Fernsehen, Zeitunglesen oder am
               über vieles hinauszudenken. Das macht uns           Natel. Es tut gut, mehr Freiheit zu bekommen,
               überlegen – aber auch anfällig für Täuschungen.     bewusster etwas vermehrt zu tun (vielleicht mal
               Menschliche Instinkte sind denjenigen von Tie-      jemandem zuzuhören) oder zu lassen («eigent-
               ren unterlegen. Wir hören, sehen und riechen        lich wirkt der Klatsch-Tratsch nicht aufbauend!»).
               schlechter als viele von ihnen. Wir nehmen das
               Unmittelbare, Gegenwärtige oft nicht genügend       Der menschliche Geist ist zu Unglaublichem
               wahr, bemerken nicht die Qualität der Luft, die     fähig – im Positiven wie Negativen. Machen wir
               wir einatmen, nehmen Veränderungen der Natur,       doch kleinste Lernschritte, unsere «geistige Frei-
               von der wir leben, zu wenig wahr.                   heit» mehr zu gestalten: in die Richtung, welche
               Wir sind in vielen Lebensbezügen auf Wissen         uns guttut.
               und Erklärungen angewiesen. Je weiter die zivili-
               satorische Entwicklung schreitet, desto weniger     Theo Bühlmann
               ist sie begreifbar – und umso mehr sind wir auf
               gut gesinnte Vermittlungen angewiesen. Die
               Dinge sind oft nicht, was sie scheinen. Darum
               müssen wir Menschen – zu unserem eigenen
               Wohl und für dasjenige aller – kritisch bleiben
               und selber denken, um möglichst nicht von fal-
               schen Autoritäten hinters Licht geführt zu wer-
               den.
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  INHALT

   H!NTERGRUND
04 UNO-Migrationspakt: ergriffene Chance?

   STANDPUNKT
07 Aus Menschenhandel Rettende

   MERKWÜRD!G
08 Schweizer Politik im Nachhaltigkeitstest

   ALLEWELT
09 Nachrichten aus aller Welt
                                                   04 UNO-Migrationspakt: zum Nutzen aller
   AUFERSTEHUNG                                       Weil die globalen Wanderbewegungen von einzelnen Ländern
10 Osterglaube am Lebensabend                         nicht mehr alleine zu meistern sind, gab die UNO-Generalver-
                                                      sammlung 2016 ein globales Vereinbarungswerk in Auftrag:
   WEGWEISERIN                                        den Migrationspakt. Denn eine dauerhafte und vertrauens-
14 Krankenpflegepionierin Sr. Liliane Juchli          volle Zusammenarbeit zwischen Herkunfts-, Transit- und
                                                      Aufnahmestaaten ist im Interesse aller. Wurde diese Chance,
   THEMENSEITEN                                       Migration menschenrechtskonfrom zu gestalten, genügend
16 Christliche Gottesmutter                           genutzt?
    in neuem Verständnis

23 KREUZQUER

   GESELLSCHAFTWELT
24 50 Jahre Fastenkampagne: starke Frauen

   ANGEBOTE
26 Veranstaltungen von Herausgebergemeinschaften

   AUSGEFALLEN
27 «Kunstfleisch»: Beitrag gegen Hunger?

   VOYAGEPARTAGE                                   16 Maria – und unser Weiblichkeitsverständnis
28 Ein halbes Jahr in Südindien zu Hause              Der Mai gilt als Muttergottesmonat. Was hat die Marien-
                                                      gestalt der Altäre und Andachtsbilder mit der selbstbestimm-
   PROJEKTHILFE                                       ten Frau von heute zu tun? Was haben «ihre» Dogmen zur
29 Eine Existenz für 20 Frauen aus Nordostindien      Frauen- und Männeremanzipation zu sagen? WeltWeit-
                                                      THEMENSEITEN auf den Spuren Marias in ihrer universalen
   BRÜCKENSCHLAG                                      Bedeutung und tief menschlichen Wirkkraft – auch inter-
30 Heilende Sandspieltherapie in Korea                religiös.

   PROJEKTHILFE
32 Kinderheilkunde-Station in Kongo-Kinshasa

   PROJEKTHILFE
33 Ausbildungen in Solarenergie in Westafrika

   PROJEKTHILFE
37 Hilfe für sudanesische Flüchtlinge in Ägypten

38 LESERBRIEFE
                                                                                                                     2/2019

                                                   Titelbild: Aufstellende Begegnungen –
   AUFHEITERND                                     auch eine Chance für die Glaubensstärkung.
40 Kasachstan erhält ein erneuertes Alphabet       (Bild: wohnen-im-alter.de)
Weltweit - Alter: Lebenszuversicht im Osterglaube
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    Globaler
    Migrationspakt
    Migration und Flucht sind eine Chance zu mehr Multilateralismus und Kooperation.
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                                                                                     weltweit
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Junge Rohingya-Flüchtlinge
blicken über das Flüchtlingscamp
Palong Khali in Bangladesch nahe
der Grenze zu Myanmar.
(Bild: Andrew McConnell, UNHCR)
                                                                                       Schweizer Migrationsgeschichte

                                                                                      Die junge Familie meiner Grossmutter väterlicherseits war
                                                                                      arm, Grossvater meistens arbeitslos. Denn auch nach der
               ROSMARIE BÄR                                                           ersten Juragewässerkorrektion wuchsen auf dem halbwegs
                                                                                      entsumpften Boden des Berner Seelandes Not und Armut.
               Ein historischer Moment, freute sich der Präsident der General-        Um ihre armengenössigen Familien loszuwerden und die
               versammlung am 10. Dezember 2018, als 164 UNO-Mitglied-                Belastung der Gemeindekasse zu verringern, griffen zahlrei-
               staaten in Marrakesch den Globalen Migrationspakt unterzeich-          che Gemeinden zum Mittel der «Zwangsmigration». Mit fi-
               neten. Mehr noch, es war ein historischer Tag: 70 Jahre zuvor          nanziellen Anreizen wurden die Armen zur Auswanderung
               wurde die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEM) pro-           bewegt. So verzichteten mittellose Emigranten meiner Hei-
               klamiert – als zivilisatorische Antwort auf die Gräuel des Zweiten     matgemeinde auf den ihnen zustehenden Burgernutzen:
               Weltkrieges. Der Migrationspakt basiert auf der AEM und verein-        Holz, Allmend. Gegenleistung der Gemeinde war ein Reise-
               bart erstmals einheitliche Migrationsleitlinien. Justitia und Pax      kostenzustupf. Die Grenzen zwischen staatlich unterstützter
               nennt sie einen Meilenstein der internationalen Zusammenarbeit.        Auswanderung und Abschiebung waren fliessend. Von
               Marrakesch gingen Gezänk und schrille Debatten voraus. Wider-          Historikern wird die bernische Auswanderung des späten
               stand gegen die Unterzeichnung formierte sich in fast allen euro-      19. und frühen 20. Jahrhunderts als ökonomisch bedingte
               päischen Staaten.                                                      Massenbewegung, SchweizerInnen als Wirtschaftsflücht-
                                                                                      linge bezeichnet. Hauptauswanderungsziel waren die
               Ziel: Vertrauenszusammenarbeit                                         (heutigen) Vereinigten Staaten. Amerikanische Behörden
               Der Pakt ist nicht aus heiterem Himmel entstanden. Die «New            beklagten sich häufig über die schweizerische Praxis der
               Yorker Erklärung» der UNO-Generalversammlung vom Septem-               «Abschiebung» missliebiger Personen.
               ber 2016 hatte den Auftrag gegeben, zwei globale Vereinbarun-          Die Behörde meiner Heimatgemeinde klopften damals auch
               gen auszuarbeiten, einen «Flüchtlingspakt» und einen zu Migra-         bei meinen Grosseltern an und machten ihnen das «Glück»
               tion. Es ist die Erkenntnis auf die «unkontrollierbare» Migrations-    in Amerika schmackhaft. Bei meiner Grossmutter bissen sie
               und Flüchtlingskrise 2015, dass die globalen Wanderbewegun-            auf Granit. Sie weigerte sich und blieb mit ihrer Familie zeit-
               gen von den einzelnen Ländern nicht mehr alleine zu meistern           lebens in der Gemeinde. So wuchs mein Vater statt im fer-
               sind. Notwendig ist eine dauerhafte und auf Vertrauen basie-           nen «New Berne» im Berner Seeland auf. Und ich verdanke
               rende Zusammenarbeit zwischen Herkunfts-, Transit- und Auf-            mein Hiersein und den Schweizerpass der Standhaftigkeit
               nahmestaaten: «Dieser Globale Pakt ist Ausdruck unserer ge-            meiner Grossmutter.
               meinsamen Verantwortung in der Frage der Migration, mit dem            Rosmarie Bär
               Ziel, sie zum Nutzen aller zu gestalten.» Mit dabei im Verhand-
               lungsprozess waren auch jene Staaten, die heute dagegen
               Stimmung machen. MigrantInnen-, Menschenrechts- und Ent-
               wicklungsorganisationen, das IKRK, ebenso die Privatwirtschaft        gefangen, als Hausangestellte, auf dem Bau, in der Landwirt-
               und die Wissenschaft sassen mit am Tisch.                             schaft. Die Gemüseplantagen in Südeuropa gedeihen nur durch
               Eine «sichere, geordnete und reguläre Migration» ist Ziel des         Ausbeutung Tausender MigrantInnen.
               Migrationspakts. Den Menschenrechten verpflichtet, zeigt er           Heute fehlen legale Zuwanderungsmöglichkeiten. MigrantInnen
               pragmatische Lösungsstrategien auf. Völkerrechtlich bindend ist       sind auf irreguläre Routen mit lebensbedrohlichen Gefahren ver-
               er nicht, aber mit politischer und moralischer Verpflichtung. An      wiesen. Als «Wirtschaftsflüchtlinge» diffamiert oder als «illegale
               seinen Standards müssen sich die Staaten künftig messen las-          Einwanderer» kriminalisiert, drohen Abschiebung und Rückfüh-
               sen. Die 23 Ziele lassen unschwer erkennen: Der Migrationspakt        rung. Wie hoffnungslos müssen die Lebensperspektiven sein,
               schützt die Rechte von MigrantInnen, stärkt Menschenwürde,            dass Menschen aufbrechen, auch wenn sie um die Gefahren
               Sicherheit und Schutz. Es geht um die Bekämpfung von Men-             und Widrigkeiten wissen? Die Menschenkarawanen, die von
               schenhandel, Ausbeutung und Diskriminierung, es geht auch             Zentralamerika nach Mexiko und Richtung USA ziehen, sind
               um die Bekämpfung negativer Migrationsursachen in den Her-            traurige Zeugen davon.
               kunftsländern.                                                        ArbeitsmigrantInnen können – so der Pakt – ein erheblicher Ent-
                                                                                     wicklungsfaktor sein, im Zielland wie zu Hause. Beispiel: Die
               Ausgenutzte und Profitierende                                         Rücküberweisungen der Diaspora sind wichtig zum Überleben
               Über 250 Millionen Menschen leben weltweit ausserhalb ihrer           der Familie. Sie übertreffen bei Weitem die staatlichen Entwick-
               Heimatländer. Der Pakt will «faire und ethisch vertretbare Bedin-     lungsmittel internationaler Geber. Ohne dieses Geld wäre der
                                                                                                                                                          2/2019

               gungen schaffen für menschenwürdige Arbeit». Vor allem Wan-           Migrationsdruck noch grösser. Aber die Überweisungen sind
               der- und Saisonarbeiter werden in vielen Ländern ausgenützt           viel zu teuer. Das trifft besonders Frauen, die häufiger kleinere
               und ausgebeutet. Millionen Menschen sind in Zwangsarbeit              Beträge schicken. Diese Kosten zu senken, ist erklärtes Ziel
Weltweit - Alter: Lebenszuversicht im Osterglaube
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                                                                                  weltweit
                                                                                       H!NTERGRUND

                                                                                  Max Frisch die chinesische Mauer bauen. Dieser Doktrin huldi-
                                                                                  gen heute zu viele politisch Verantwortliche auf der Welt, von
                                                                                  den USA über Australien bis zu den meisten Ländern der EU.
                                                                                  Löbliche Ausnahme ist Deutschland. Bundeskanzlerin Merkel
                                                                                  mahnte in Marrakesch: «Es lohnt sich, um den Pakt zu kämpfen,
                                                                                  wegen der vielen Menschen, die dadurch ein besseres Leben
                                                                                  bekommen könnten, aber auch wegen des klaren Bekenntnisses
                                                                                  zum Multilateralismus. Nur durch den werden wir unseren Plane-
                                                                                  ten besser machen können.» Kein Zweifel, der Migrationspakt
                                                                                  ist zum Einfallstor gegen den Multilateralismus geworden. Bor-
                                                                                  nierter Nationalismus feiert Urständ. Völker- und Menschen-
                                                                                  rechte werden infrage gestellt. Medien jubeln gar, die Ära der
                                                                                  Werte sei vorbei. Zivilisatorische Errungenschaften wie das fried-
                                                                                  liche Miteinander verlieren an Gewicht. Es geht an die Substanz
                                                                                  der Demokratie.

                                                                                     Globale Wanderbewegungen sind
                                                                                     nicht mehr von einzelnen Ländern
                                                                                     zu meistern.

                                                                                  Quo vadis Schweiz?
Eine solche Welt wollen wir                                                       Vor Marrakesch wurde in der Schweiz eine politische Lawine
alle nicht. (Bild: UNHCR)                                                         gegen den Pakt losgetreten, der Untergang der souveränen
                                                                                  Schweiz verkündet. Es sei ein «verstecktes Umsiedlungspro-
                                                                                  gramm für Wirtschafts- und Armutsflüchtlinge». Wir könnten
                Paktes. Industriestaaten auf der anderen Seite profitieren in     nicht alle aufnehmen, seien nicht das Sozialamt der Welt. Fakt
                erheblichem Masse vom Zuzug qualifizierter Fachkräfte aus         ist: Im Pakt steht schwarz auf weiss, dass jeder Staat seine
                ärmeren Ländern. Die Abwanderung von ÄrztInnen, IT-Experten       eigene Migrationspolitik bestimmen und selbstständig regeln
                und Ingenieuren stellt für sie ein gravierendes Problem dar:      kann. Die Verantwortung für ihre Einwanderungspolitik, den
                «Brain-Drain» macht Investitionen im Ausbildungssektor zu-        Zugang zum Arbeitsmarkt und den Schutz der Grenzen liegt
                nichte.                                                           bei ihm.
                                                                                  Wer in der Schweiz für Abschottung plädiert, verweigert sich der
                Gemeinschaftsdenken tut not                                       Realität. Weder migriert die ganze Welt, noch wollen alle Men-
                Armut, Hunger, Arbeitslosigkeit, fehlende Zukunftsperspektiven,   schen zu uns. 83 Prozent der Eingewanderten kommen aus
                Gewalt und Korruption sind starke Triebfedern, zu migrieren.      europäischen Ländern. Die Wirtschaft ruft weiterhin nach auslän-
                Und die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich weltweit        dischen Arbeits- und Fachkräften. Aus ganz Afrika wanderten
                immer mehr. Um die unfreiwillige Migration an der Wurzel zu       2017 gerade mal 4307 Personen ein. Der Bundesrat sah sich
                packen, braucht es nachhaltige Entwicklung in den Herkunfts-      genötigt, vorläufig auf eine Unterzeichnung des Paktes zu ver-
                ländern. Und politische Änderungen, vor allem gerechtere          zichten. Allerdings schreibt er dazu: «Die Leitprinzipien und Ziele
                Weltwirtschaftsregeln, um extreme soziale Ungleichheiten zu       entsprechen voll und ganz der Migrationspolitik der Schweiz.»
                redu-zieren. Anleitung dazu gibt die Agenda 2030. Es wäre ein     Es wäre unverständlich und beschämend, wenn unser Land
                «ethisches Unrecht», würde eine Reform des internationalen        weiterhin zu den Verweigerer-Staaten gehören würde.
                Handels- und des Steuerrechtes ausgeklammert. Dort liegt ein      Kein Finale, sondern einen Auftakt markiert die Annahme des
                Schlüssel, um Migrationsursachen zu bekämpfen.                    Migrationspakts. Staat, Kirche und Zivilgesellschaft sind gemein-
                Die Klimaveränderung macht immer mehr Menschen in immer           sam gefordert, ihn mit Leben zu füllen. In dieser Hinsicht macht
                mehr Ländern zu «KlimamigrantInnen». Ihre Lebensgrundlagen        Marrakesch Mut. Nur gemeinsames internationales Handeln
                sind bedroht. Der kausale Zusammenhang zwischen Klimawan-         kann zu guten und fairen Lösungen führen. Grenzen im Denken
                del, Konflikten und Migration ist wissenschaftlich belegt. Das    überwinden ist das Gebot. Oder wie Seneca mahnte: «Es kann
                IKRK zeigt sich alarmiert über den Zusammenhang von Klima-        niemand ethisch verantwortungsvoll leben, der nur an sich denkt
                veränderung und Gewalt in der Sahel-Zone. Alte Spannungen         und alles seinem persönlichen Vorteil unterstellt. Du musst für
                in Niger und Mali verschärfen sich. Fazit: Nur die Umsetzung      den anderen leben, wenn du für dich selbst leben willst.» 
                der Klimaschutzziele im Pariser Übereinkommen verminderte
                den Migrationsdruck.                                              Rosmarie Bär, alt Nationalrätin, war bis Ende 2010 Koordinatorin für
                «Um die Zukunft zu verhindern» und sein Weltbild nicht infrage    Entwicklungspolitik bei Alliance Sud und verantwortlich für das Dossier
                stellen zu müssen, lässt der Kaiser im gleichnamigen Stück von    «Nachhaltige Entwicklung».
Weltweit - Alter: Lebenszuversicht im Osterglaube
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                                                                                    weltweit
                                                                                         STANDPUNKT
                                                                            Sr. Anna Affolter ist Generalrätin der
                                                                                 Ingenbohler Schwestern und im
                                                                                      Vorstand der Herausgeber-
                                                                                     gemeinschaft von WeltWeit.

               Menschenrettende
               SR. ANNA AFFOLTER

               Letzten Dezember hatte ich die Gelegenheit, unsere zwei Zen-          Der Befreiungsschlag muss jeweils sehr schnell gehen. Jede
               tren gegen Menschenhandel in Indien zu besuchen. Was ich sah,         Aktion ist gefährlich und riskant. Die Polizei nimmt die Aufsichts-
               hörte und erlebte, hat tiefe Eindrücke in mir hinterlassen. Unsere    personen mit und übergibt sie der Justiz. Und bringt die Kinder
               indischen Schwestern haben in den vergangenen Jahren ihr              an einen sicheren Ort, wo sie zuerst menschlich betreut und
               Engagement gegen Menschenhandel verstärkt. Eine Begeben-              medizinisch untersucht werden. Danach werden sie – wenn mög-
               heit in Delhi, wo unsere Schwestern sich mit verschiedenen Akti-      lich – zu ihren Eltern zurückgebracht, die meist weit weg wohnen.
               vitäten gegen Menschenhandel einsetzen, hat mich besonders            Oder es wird für eine sichere Unterkunft gesorgt. Mit jedem
                                                                                                  einzelnen Opfer wird dann vor Ort in einem längeren
                                                                                                  Prozess eine gute Zukunft in Bezug auf Schule, Aus-
                                                                                                  bildung oder Arbeit vorbereitet; die Kinder und die
                                                                                                  Familie werden begleitet. Bis Weihnachten plante die
                                                                                                  Organisation noch weitere Rettungsaktionen, um rund
                                                                                                  200 Kinder und auch Erwachsene zu befreien.
                                                                                                  Ich vernahm von den Schwestern, dass Schätzungen
                                                                                                  zufolge ungefähr 15 Millionen Inderinnen und Inder
                                                                                                  in «Schuldknechtschaft» gefangen sind und so in
                                                                                                  sklavenähnlicher Abhängigkeit ausgebeutet werden.
                                                                                                  Diese Personen stammen aus armen Landgegenden.
                                                                                                  Sie nehmen in der Not ums Überleben bei unseriösen
                                                                                                  Geldverleihern Kredite auf, etwa um Saatgut oder
                                                                                                  andere lebensnotwendige Dinge zu kaufen. Die
                                                                                                  Schulden sind mit horrenden Zinsen belegt. Als Ge-
                                                                                                  genleistung verlangen die Geldgeber, dass Familien-
                                                                                                  mitglieder, vor allem Kinder, die Schulden abarbeiten
                                                                                                  müssen. Es wird geschätzt, dass etwa 5,7 Millionen
                                                                                                  indischer Kinder als Schuldknechte arbeiten, oft
                                                                                                  14 bis 16 Stunden täglich, sieben Tage die Woche.
                                                                                                  Sie haben keine Chance auf Schulbildung und wer-
                                                                                                  den nicht selten missbraucht.
                                                                                                  Immer wieder, wenn ich an diese Realität und ihr Aus-
Besprechung von Schwestern und                                                                    mass denke, läuft es mir kalt den Rücken hinunter.
Mitarbeitenden einer NGO über                                                                     Da ich dieses Erlebnis im Dezember hatte, brachte
Aktivitäten gegen Menschenhandel.                                                                 ich es mit dem Sinn des Advents in Zusammenhang.
(Bilder: Ingenbohler Schwestern)                                                                  In dieser Zeit wird viel um das rettende und befrei-
                                                                                                  ende Kommen Gottes gebetet. Hier in Delhi durfte ich
                                                                                                  erleben, wie der «Rettergott» Nachfolgerinnen und
               betroffen gemacht. An einem der Abende wurden zwei der                Nachfolger gefunden hat. Sie schotten sich nicht ab und lassen
               Schwestern von einer Organisation, mit der unsere Schwestern          sich nicht abschrecken von Risiken. Ohne Furcht um das eigene
               intensiv zusammenarbeiten, für eine Rettungsaktion aufgeboten.        Leben setzen sie sich für die Würde und Rettung ausgebeuteter
               Dabei handelt es sich um die Befreiung von Kindern, die Opfer         und versklavter Kinder und Erwachsener ein. Sie überlassen sich
               von «Bonded Child Labour» (Kinderschuldknechtschaft) sind.            nicht der Hoffnungslosigkeit und dem Gedanken, dass sie im
               Am andern Tag erfuhren wir, dass in einer lange vorbereiteten         Vergleich zu der Zahl der Betroffenen «nur wenige» retten kön-
               Aktion elf Kinder im Alter von neun bis siebzehn Jahren befreit       nen. Im Glauben an den besonderen Schutz Gottes wissen sie,
                                                                                                                                                           2/2019

               werden konnten. Die Kinder waren in einem Haus gefangen               dass jede Rettung ein Beitrag ist zu einer besseren und gerech-
               gehalten und mussten unter strenger Beobachtung Taschen               teren Welt. 
               herstellen.
Weltweit - Alter: Lebenszuversicht im Osterglaube
8

                                                                          weltweit
                                                                               MERKWÜRDIG

    Unter dieser Rubrik erklärt WeltWeit einen «merkens-würdigen» entwicklungspolitischen
    Begriff oder beantwortet eine spannende Frage aus dem Entwicklungszusammenhang.
    Wenn Sie als Lesende(r) einen Begriff behandelt haben möchten oder falls Sie eine Frage
    beschäftigt, so schreiben Sie an die Redaktion: at.buehlmann@bluewin.ch

    Martin Fässler war bis 2014 Stabschef und Direktionsmitglied der Direktion für Entwicklung
    und Zusammenarbeit (DEZA). Er arbeitet heute als Berater für internationale Zusammen-
    arbeit und Fachdozent: «Nach dem Studium der Sozialwissenschaften, Lehr- und Wander-
    jahren als Hirt, Senn und Handwerker sowie der Arbeit mit randständigen Jugendlichen war
    ich in der humanitären Hilfe in Ex-Jugoslawien und im Horn von Afrika tätig. Ich war verant-
    wortlich für Entwicklungsprogramme in der Region der Grossen Seen und in Mozambique
    und nachfolgend für die Ausgestaltung der Entwicklungspolitik der Schweiz.»                             Martin Fässler

    Nachhaltigkeitspolitik der Schweiz
    MARTIN FÄSSLER                                                        tung der jetzigen Generationen, um einen gefährlichen Wandel
                                                                          des Erdsystems zu vermeiden; Verknüpfung von nationalem und
    Die Staatengemeinschaft hat im Pariser Klimaabkommen eine             globalem Gemeinwohl; Übernahme der Verantwortung für die Fol-
    Obergrenze von weniger als 2 Grad Celsius vereinbart. Trotzdem        gen gegenwärtigen Handelns; Entwicklung einer internationalen
    geht’s weiter auf einem Kurs, der zu einer globalen Erwärmung         Zusammenarbeit, die es erlaubt, die Vielfalt der Gesellschaften als
    von 3 oder 4 Grad im Verlauf des 21. Jahrhunderts führen wird.        Ressourcen für Problemlösungen zu nutzen. Die Schweiz ist – wie
    Schon heute lassen sich viele Veränderungen im globalen und           andere Länder auch – gefordert, zu zeigen, wie ein Umsteuern in
    regionalen Klima beobachten: Hitzewellen werden häufiger,             Richtung nachhaltige Entwicklung gelingen kann.
    Dürren intensiver, Niederschläge stärker, tropische Wirbelstürme      Der Übergang fällt mit zwei weiteren Veränderungsprozessen zu-
    zerstörerischer. Unter den Auswirkungen solcher Extremwetter-         sammen: nationalistische, oft autoritäre, klimaskeptische, wissen-
    ereignisse leiden besonders Entwicklungsländer. Dazu kommen           schaftsfeindliche und «Our country first»-orientierte Bewegungen;
    graduelle Veränderungen: Die mittlere Wasserverfügbarkeit wird        die Gestaltung der digitalen Umbrüche. Auch hierzulande meinen
    im Mittelmeerraum, im Nahen Osten sowie in Mittelamerika deut-        etliche, Zukunftsaufgaben seien eher mit Abschottung zu bewäl-
    lich abnehmen; ebenso die Erträge wichtiger Feldfrüchte, beson-       tigen.
    ders in den Tropen und Subtropen. Stark betroffen sind die Län-
    der Afrikas. Das Risiko für Vertreibung durch Naturkatastrophen       Nachhaltige Entwicklung ist machbar und bezahlbar. Die Umset-
    wird vielerorts weiter steigen.                                       zung der Agenda 2030 eröffnet enorme Chancen. Im Jahr 2019
                                                                          gibt es Gelegenheit zuhauf für mutige Weichenstellungen: ein
                                                                          neuer Anlauf im Ständerat für ein griffiges Klimagesetz; die neue
                                                                          Botschaft des Bundesrates für die internationale Zusammenarbeit
       Die Umsetzung der Agenda 2030
                                                                          und diejenige für Wissenschaft und Forschung 2021 bis 2024;
       eröffnet enorme Chancen.                                           die Überarbeitung der Strategie Nachhaltige Entwicklung der
                                                                          Schweiz.
                                                                          Wenn die Schweiz die Weichen für eine ambitionierte Umsetzung
    Vor gut drei Jahren hat die Staatengemeinschaft die Agenda 2030       der Agenda 2030 mit griffigen Massnahmen stellt, aus «wohlver-
    mit 17 Nachhaltigkeitszielen verabschiedet. Eine Landkarte für        standenem Eigeninteresse» eine starke internationale Zusammen-
    global gerechte Entwicklungsmöglichkeiten für alle Menschen auf       arbeit ausbaut und öffentliche Mittel mit Blick auf das nationale
    einem ökologisch begrenzten Planeten, heute und in Zukunft.           und globale Gemeinwohl einsetzt, kann ein solches Zeichen der
    Die Welt ist von einer solchen Vision noch weit entfernt: in ökolo-   Weitsicht unsere Kinder stolz machen.
    gischer Hinsicht, mit Blick auf soziale Gerechtigkeit und in der      Kirchen können Veränderungen in Richtung Nachhaltigkeit voran-
    Art des Wirtschaftens. Die Landkarte skizziert die notwendigen        bringen helfen. Die päpstliche Enzyklika «Laudato si» und das
    Wenden in Wirtschaft und Gesellschaft. Gefordert sind von Politik,    Impulspapier der DEK «Geliehen ist der Stern, auf dem wir leben –
    Zivilgesellschaft, Unternehmen, Wissenschaft und allen Pionieren      Die Agenda 2030 als Herausforderung für die Kirchen» unter-
    des Wandels umfassende Innovationen bei der Energieversor-            scheiden sich wohltuend von der technischen Sprache einer inge-
    gung, der Mobilität, der Zukunft unserer Städte und unseren           nieursmässigen Bewältigung der Herausforderung. Beide spre-
    ebensstilen.                                                          chen über Werte, eine Art von Anti-Utilitarismus, die Integrität der
    Die Kernelemente für den Übergang zur Nachhaltigkeit finden sich      natürlichen und menschlichen Mitwelt – und lassen attraktive Per-
    in der Agenda 2030 und im Pariser Klimaabkommen: Verantwor-           spektiven entstehen. 
Weltweit - Alter: Lebenszuversicht im Osterglaube
9

                                                                     weltweit
                                                                           ALLEWELT

                                                                     dische Vermögen von rund 3000 Milliarden Franken verwaltet.
                                                                     Das Risiko ist gross, dass Konzerne ihre Schweizer Firmensitze

Extreme Armut hat                                                    für Gewinnverschiebungen von Süd nach Nord und entsprechende
                                                                     Steuervermeidung auf Kosten von Entwicklungsländern nutzen.

abgenommen                                                           Gemäss Schätzungen des IWF verlieren Länder des Südens
                                                                     dadurch jährlich bis zu 200 Milliarden Dollar an Steuersubstrat. 
                                                                     Dominik Gross, Alliance Sud
Seit dem Jahr 2000 sind mehr als eine Milliarde Menschen der
extremen Armut entkommen. Zwar gibt es auch arme Menschen
oberhalb der Armutsgrenze von 1,90 US-Dollar pro Tag, doch
können sie sich auf mehr als das blosse Überleben konzentrie-
ren und in die Zukunft schauen. Der Fortschritt kam mit einer
ersten Welle in China und einer zweiten in Indien. Extreme Armut
konzentriert sich nun zunehmend in Subsahara-Afrika – allerdings
nur auf eine Handvoll Länder wie die Republik Kongo oder
Nigeria – wo 2050 voraussichtlich 86 Prozent aller Betroffenen
leben werden. Eine grosse Herausforderung ist das starke Be-
völkerungswachstum. 
Goalkeepers Bericht der Gates Stiftung

Angriffe auf
Pressefreiheit
Laut der jährlichen Rangliste von Reporter ohne Grenzen hat
sich 2018 in keiner anderen Weltregion die Situation der Medien
so sehr verschlechtert wie in Osteuropa. Verbale Angriffe auf
Journalisten durch Regierungen und Politiker, ein feindseliges
Berichterstattungsklima, Drohungen und gewalttätige Übergriffe,
juristische Verfolgung Medienschaffender und regierungsnahe
Oligarchen als Medieneigentümer sind dabei Elemente, die
der Pressefreiheit schaden. Aufsehenerregende Fälle wie die
Ermordung des slowakischen Journalisten Ján Kuciak oder die
Verurteilung Jovo Martinovićs in Montenegro aufgrund von                                 Eine Bäuerin bei der Hirseernte in Burkina Faso.
berufsbedingten Kontakten in die Unterwelt weisen auf diese                                        (Bild: Annette Boutellier, Fastenopfer)
beunruhigende Entwicklung hin. 
Ökumenisches Forum G2W

                                                                     UNO-Menschenrechtsrat
Geldabfluss aus                                                      stärkt Bauern
Entwicklungsländern                                                  Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen stärkt die Rechte
                                                                     von Bauernfamilien, Fischergemeinden und auch Nomadenvöl-
Der Washingtoner Think-Tank Global Financial Integrity schätzt,      kern durch eine Deklaration. Am 17. Dezember hat auch die
dass Entwicklungs- und Schwellenländern jährlich eine Billion        UNO-Generalversammlung die Erklärung verabschiedet. Sie
Dollar durch unlautere Finanzflüsse verloren geht. Dazu gehören      anerkennt das Recht auf Land und Saatgut, das von zentraler
nicht nur Gelder aus Geldwäscherei und Korruption, sondern           Bedeutung ist. Und gibt den Staaten Richtlinien für eine Politik
auch «legale» aus der Steuerhinterziehung. Für die Nachhaltig-       an die Hand, die Hunger und Armut effizient bekämpft. Denn
keitsziele der UN-Agenda 2030 bräuchte es weltweit mindestens        hierzu muss die Landwirtschaft besser unterstützt werden. Die
5000 Milliarden Dollar jährlich. Zum Vergleich: Die weltweite Ent-   Anerkennung und Stärkung der Bauernrechte ist dafür zentral.
wicklungszusammenarbeit liegt aktuell bei etwa 160 Milliarden        In Afrika, Asien und Lateinamerika werden täglich Bauern und
Dollar pro Jahr.                                                     Bäuerinnen bedroht oder gar ermordet. Die Schweizer Regierung
Als eines der grössten Finanzzentren der Welt mit der höchsten       hat für die Deklaration gestimmt. Auch in der Schweiz arbeiten
                                                                                                                                             2/2019

Pro-Kopf-Dichte an Konzernsitzen spielt die Schweiz in der           Bauernfamilien oft unter schweren Bedingungen. Täglich ver-
Bekämpfung der entwicklungsschädigenden unlauteren Finanz-           schwinden hierzulande zwei bis drei Bauernhöfe. 
flüsse eine sehr wichtige Rolle. 2017 wurden hierzulande auslän-     Fastenopfer
Weltweit - Alter: Lebenszuversicht im Osterglaube
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               Auferstehen ins Leben
               Ostern ist für ChristInnen das Fest des Auferstehens. Wie ist es zu verstehen – auch im Älterwerden
               und Betagtsein?

Bild: Theo Bühlmann
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                                                                        weltweit
                                                                             AUFERSTEHUNG

CHRISTIANE FASCHON

«Christus ist auferstanden»: Der Ostergruss wird wieder in unzäh-       dafür. Rüegger betont, Leid sei keine Reifeprüfung. Wer das
ligen Kirchen weltweit ertönen. Feierlich, jubelnd. Die Bestätigung     behaupte, werte die Erfahrung der Betroffenen ab. Da gebe es
aus dem Glaubensbekenntnis «Ich glaube an die Auferstehung              vieles auszuhalten, ohne schnelle Tröstung! Vieles bleibe unge-
der Toten». Was bedeutet Ihnen das? Besonders, wenn das Alter           löst. Er verweist auf Dietrich Bonhoeffers Aussage, das Letzte
näher rückt und der zweite Satz eine sehr persönliche Note er-          sei in Gottes Hand, das Vorletzte aber, also auch Leid und Alter,
hält.                                                                   gehöre in unser Leben.
Viele ChristInnen glauben, dass es erst im Neuen Testament um
die Auferstehung geht. Doch bereits in der hebräischen Bibel            Standhalten üben
wird darüber berichtet. In einem rabbinischen Kommentar heisst          Für den Glauben gibt es nur zwei Wege: Ausweichen oder An-
es sogar: «Es gibt keine Stelle, in der die Schrift nicht über Auf-     nehmen. Integrität werde im letzten Reifeprozess unseres Lebens
erstehung spricht.» Die Bibel ist also damit angefüllt. Nicht nur       der Verzweiflung, Todesfurcht und dem Lebensekel gegenüber
der Prophet Ezechiel (37,1–14) berichtet in einer dramatischen          gestellt, schrieb Erik H. Erikson. Schlichter gesagt: Alter ist
Vision über die Belebung der Toten. Bis heute beten JüdInnen            nichts für Feiglinge. Im Alter flüchten manche in den Konsum,
täglich im Schmone-Esre, dem wichtigsten jüdischen Gebet:               andere wachsen tiefer in den Glauben. Religion und Spiritualität
«Gelobt seist du Ewiger, der die Toten wieder belebt.»                  wird für viele wichtiger. Der eigene Tod, der Tod Nahestehender
                                                                        ist unausweichlich. Der Umzug in ein Heim steht an, es kommen
                                                                        Krankheiten und Einschränkungen; andere bestimmen immer
                                                                        mehr über das eigene Leben. Mit einer vertrauensvollen Gottes-
   Jesus ist von den Toten auferweckt –
                                                                        beziehung fällt vieles leichter. Glaube ist nachweislich gesund-
   wir werden ihm folgen.                                               heitsfördernd; er baut Stress ab. Glaube hilft auch, mit dem
                                                                        eigenen Leben Frieden zu machen.
                                                                        Glaube ist in der jetzigen Generation der Betagten (noch) ein
Ob man vom Stuhl aufsteht oder aus dem Tod aufersteht; es gibt          Thema. Auch die Kirche, selbst wenn sie infrage gestellt wird.
dafür im Neuen Testament nur ein griechisches Wort, das aus             Glaube ist oft nicht mehr die Kirchenfrömmigkeit von früher, son-
der Alltagssprache stammt: anhistemi. Im Deutschen dagegen              dern eher das Einssein mit Gott im Gebet, die Verbundenheit mit
unterscheiden sich die verschiedenen Bedeutungen nur durch              Menschen im Gottesdienst, mit der Natur oder auch in der Medi-
eine Silbe. Das Aufstehen im Leben ist Welten vom Auferstehen           tation. Glaube kann helfen, selbst in negativen Erfahrungen Hoff-
nach dem Tod entfernt – Aufstand noch mehr. Ein weiteres Wort           nung zu finden. Und den Tod in einem anderen Licht zu sehen.
in diesem Zusammenhang ist «auferwecken»: Gott hat Jesus
von den Toten auferweckt. Griechisch heisst es «egeiro»: auf-
wecken. Als ginge es ganz leicht, wie von einem Mittagsschlaf.
Die gute Botschaft heisst: Gott hat Jesus von den Toten aufer-
weckt, aufgeweckt. Er ist auferstanden, aufgestanden. Wir wis-           Reich Gottes
sen nicht, wie das genau vonstattengeht; doch wir werden ihm             Dein Leiden wird nicht ewig anhalten. Das Licht ist da und wird
folgen.                                                                  eines Tages auch für dich wieder sichtbar. Darauf können wir
                                                                         vertrauen. Niemand kann die Dunkelheit, die ganz persönliche
Das Leben siegt                                                          Trauerarbeit überspringen, die Verzweiflungsarbeit auslassen.
«Ich glaube an die Auferstehung»: Wie steht es damit im Alter?           Ein Teil von uns muss sterben, die alte Welt auseinanderbre-
Sr. Ingrid Grave, fast 80 Jahre alt, hat letztes Jahr in einem Inter-    chen, damit wir unser eigenes Menschsein verzeihend anneh-
view erklärt, wie sie Auferstehung im Hier und Jetzt erlebt. Und         men und uns daran wieder erfreuen können. Bitten wir um die
dass sie auf eine Auferstehung nach dem Tode hofft. Doch «der            Gabe des Verstehens oder der Versöhnung, der Wiederentde-
Glaube an die Auferstehung lässt sich nicht befehlen», sagt die          ckung des Sinn.
Nonne. Auch die berühmte Theologin Dorothee Sölle betonte,               Es sind Zeiten der Wandlung, in denen du die Kontrolle ver-
es brauche Mut zu sagen, dass das Leben stärker sei als der              lierst, die dich letztlich von Angst und Mühen frei machen.
Tod. Gerade im Alter mit seinen Belastungen ist das eine Her-            Die dich dem Fluss von Gottes fürsorglicher Liebe anvertrauen
ausforderung. Früher wurden ChristInnen oft auf die jenseitige           lassen, in der du alles empfangen kannst. Der Tod wird etwas
Welt vertröstet: Krankheit, Schmerz und Tod sollten die Gläubi-          Heiliges, offenbart ein viel grösseres Geheimnis. Er führt dich
gen als Gottes Fügung und Willen annehmen, eine Prüfung,                 in einem heiligen Raum, in dem du die Wirklichkeit der Güte
damit sie dann dem Reich Gottes würdig werden. Oder sie soll-            und Liebe berührst als grosses Mysterium, welches die
ten sie als Strafe für vergangene Sünden sehen.                          Gegensätze aufnimmt und in welchem das Leben von Grund
Dagegen verwahren sich heute viele TheologInnen. Heinz Rüeg-             auf in Ordnung ist: im Reich Gottes.
ger betont, dass selbst ein so berühmter Theologe wie Kurt Marti
                                                                                                                                            2/2019

sein Leben im hohen Alter als «Leerlauf» bezeichnete! Bereits im         Nach Richard Rohr
Buch Hiob wird diese Idee abgelehnt. Die Freunde Hiobs wollen,           «Wer loslässt, wird gehalten», Claudius Verlag
dass er in seinem Leiden einen Sinn sieht; Gott kritisiert sie
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                                                                         weltweit
                                                                              AUFERSTEHUNG

                                                                                                                  Eine gute Begleitung
                                                                                                                  von Kranken und Pflege-
                                                                                                                  bedürftigen beinhaltet
                                                                                                                  auch das Spirituelle.
                                                                                                                  (Bild: Techniker Kranken-
                                                                                                                  kasse Hamburg)

     Dabei sei nochmals betont: Es kann nicht darum gehen, in De-        zufriedener als früher; dies zeigt eine Studie der Universität Ro-
     menz, Lebensmüdigkeit und Schmerz immer Gottes Wille hinein-        stock: Mehr Kreativität und Sensibilität können das Liebesleben
     zuinterpretieren. Besteht darin womöglich ein vorbereitender        bis ins hohe Alter sehr beglückend erhalten, weil Zärtlichkeit einen
     Weg des Loslassens?                                                 breiten Raum bekommt. Verdorrtes kann wieder erwachen, un-
     Für manche wird der Glaube in der Erinnerung an die Kindheit        abhängig vom Lebensalter! Das Alter hat auch seinen Reichtum.
     und Jugend zur Last. Ein drohender Gott, wie die Kirchen ihn
     lange gepredigt haben, kann Angst vor seiner Strafe nach dem        Spiritual Care
     Tod auslösen. Seelsorge ist daher im Alter besonders wichtig,       Heute kommt neben der Seelsorge auch die Spiritual Care ge-
     um das eigene Gottesbild zu prüfen. Vielleicht geht es jetzt        rade auch im Alter in Heimen und Spitälern hinzu. Seit 2015 exi-
     darum, sich vom «furchtbaren Glauben» lösen zu können.              stiert es als neues Lehrfach an der Universität Zürich. Der Lehr-
                                                                         stuhl wird von beiden Landeskirchen finanziert. Professor Simon
     30 «geschenkte» Jahre                                               Peng-Keller erklärt, dass Palliative Care «neben der Sorge um
     In den letzten 150 Jahren haben wir 30 Jahre an Lebenserwar-        die physischen Nöte und Bedürfnisse von schwer erkrankten
     tung gewonnen. Professor Peter Gross, Fachmann zum Thema            Menschen auch die psychische, soziale und spirituelle Dimen-
     Alter, betont, dass man heute im Alter Zeit geschenkt erhalte,      sion» umfasst. Spiritual Care ist darum eine Vertiefung. Es geht
     über sich und sein Leben nachzudenken. Im Alter können Türen        darum, genau hinzuhören, was die Person umtreibt. «Erzählen
     aufgehen. Männer und Frauen gehen wieder zur Schule, sie neh-       kann helfen, sich von bedrängenden Erlebnissen zu distanzieren,
     men an Kursen an Volkshochschulen, bei Pro Senectute oder           sie zu ordnen und verschüttete Ressourcen zugänglich zu ma-
     der kirchlichen Erwachsenenbildung teil. Sie entdecken Hobbys       chen», betont Peng. Die professionellen Begleitpersonen müs-
     und neue Interessen. Es ist nun möglich, spätabends Dokumen-        sen spirituelle Fragen ernst nehmen. Es ist nicht nötig, dass sie
     tationen und Filme anzuschauen, Nächte durchzulesen, weil           selbst einer Glaubensgemeinschaft angehören. Denn es geht
     man ja nicht früh aufstehen muss. Andere treffen sich häufiger      nicht um die beratende Person, sondern um die anvertrauten
     mit FreundInnen oder Familienangehörigen, besuchen kulturelle       PatientInnen. Ihre Überzeugungen in Bezug auf Leiden, Sterben,
     Anlässe oder reisen. Seniorentarife machen vieles auch finanziell   das Leben nach dem Tod, sie brauchen Raum und müssen ernst
     eher möglich. Studien zeigen, dass ältere Menschen weniger als      genommen werden! Die eigene Glaubenspraxis kann jedoch eine
     früher von der Meinung anderer abhängig sind. Kreativität ist bis   wichtige Quelle für diese Aufgabe sein.
     ins hohe Alter möglich: Johann Wolfgang von Goethe vollendete       Gott hilft in jeder Situation, sagt die Bibel: «Ich bin für dich da,
     seinen Faust mit 80, Michelangelo die Sixtinische Kapelle mit       bin mit dir» (So hat er sich Mose im Dornbusch gezeigt). «Bis in
     71 Jahren. Kannten vor einigen Generationen Enkel ihre Gross-       euer Alter bin ich derselbe, und ich will euch tragen, bis ihr grau
     eltern oft nicht, so sind diese heute intensiv im Einsatz. Zudem    werdet. Ich habe es getan; ich will heben und tragen und erret-
     ist es heute dank der neuen Medien via Mail, Skype oder What-       ten» (Jesaja 46, 4). Oder wie Ingrid Grave es sagt: «Das Vertrauen
     sapp leichter, in Kontakt zu kommen und zu bleiben. Dazu enga-      auf Gott hilft. Gott hat Leben geschenkt. Er ist Leben. Und er will
     gieren sich SeniorInnen ehrenamtlich. Gerade Kirchgemeinden         auch, dass wir leben. Das Neue Testament hilft mir ganz stark,
     bieten viele Möglichkeiten. Auch mit dem Liebesleben sind viele     zu diesem Vertrauen zu gelangen.» 
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                                weltweit
                                       INNEHALT

                                     Es interessiert mich nicht, wie alt du bist.
                                 Ich möchte wissen, ob du es riskieren wirst,
                          verrückt vor Liebe zu sein, vernarrt in deine Träume,
                                            in das Abenteuer, lebendig zu sein.

                                   Es interessiert mich nicht, welche Planeten
                             in welcher Konstellation zu deinem Mond stehen.
                   Ich möchte wissen, ob du die Mitte deines Leids berührt hast,
                           ob du durch Verrat, den du im Leben erfahren hast,
                                            aufgebrochen und offen geworden
                            oder geschrumpft bist und dich verschlossen hast
                                             vor Angst und weiterem Schmerz.

                                 Es interessiert mich nicht, ob die Geschichte,
                                                  die du mir erzählst, wahr ist.
                     Ich möchte wissen, ob du jemanden enttäuschen kannst,
                                                um zu dir selbst ehrlich zu sein,
                   ob du es erträgst, dass dir deshalb jemand Vorwürfe macht
                            und du trotzdem deine eigene Seele nicht verrätst.
                                    Ich möchte wissen, ob du treu sein kannst
                                                               und zuverlässig.

                            Ich möchte wissen, ob du Schönheit sehen kannst,
                                 auch dann, wenn es nicht jeden Tag schön ist
                                                   und ob du in deinem Leben
                                              einen göttlichen Funken spürst.
                                      Ich möchte wissen, ob du mit Misserfolg
                                     leben kannst– mit deinem und meinem –
                                   und immer noch am Ufer eines Sees stehen
                                         und «Ja» zum Vollmond rufen kannst.

                                                       Oriah Mountain Dreamer
Bild: punkrowski

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                 Reisende in Sachen
                 Pflege und Sinn
                 Die Ingenbohler Schwester Liliane Juchli wollte in die weite Welt. Stattdessen wurde sie Kranken-
                 schwester und schrieb ein Werk, welches das Leben in Heimen und Spitälern veränderte.

                                                                                    Armut und harte Arbeit
                                                                                    Ihre Kindheit im Schweizer Nussbaumen bei Baden im Aargau,
                                                                                    wo sie 1933 als Klara Juchli geboren wurde, war durch Armut
                                                                                    und harte Arbeit geprägt. Vielleicht gerade deshalb erwachte
                                                                                    in ihr der Wunsch, anderen Menschen zu helfen – möglichst als
                                                                                    Entwicklungshelferin. Da die Ingenbohler Schwestern auch in
                                                                                    Missionsgebieten tätig waren, fasste sie als junge Frau den Ent-
                                                                                    schluss, diesem Orden beizutreten. Nur sah ihr Orden andere
                                                                                    Aufgaben für sie vor. Nach einigen Jahren umfangreicher Arbeit
                                                                                    und einer weiteren Ausbildung zur Schulschwester übernahm
                                                                                    sie Aufgaben in der Pflegeschule und entdeckte ihr Talent, von
                                                                                    ihr selbst didaktisch gut aufbereitetes Wissen zu vermitteln. Da
                                                                                    es aber in jener Zeit keine Lehrbücher gab, musste sie sich ihr
                                                                                    Lehrmaterial, das sämtliche Inhalte der Pflege umfasste, selbst
                                                                                    zusammenstellen. Am Ende kam ein 500-seitiges Manuskript
                                                                                    heraus, das der Georg Thieme Verlag in Stuttgart 1973 erstmals
                                                                                    veröffentlichte und bis heute (als «Lehrbuch für Pflegende in
                                                                                    Ausbildung» bereits in der 13. Auflage) herausgibt.

                                                                                       Jedes Modell bleibt leer, rückt es
                                                                                       nicht das Leben ins Zentrum.

                                                                                    Schmerz, Angst, Verzweiflung
Sr. Liliane Juchli.                                                                 Aber diese harte Arbeit über viele Jahre hinweg hatte einen hohen
(Bild: Stefan Knobel,                                                               Preis: Liliane Juchlis persönliche Erfahrungen mit Erschöpfung
Bibliomedpflege)                                                                    und Depression, die sie ihrem Tagebuch anvertraute: «Nein –
                                                                                    da ist nichts mehr – nichts mehr als trostlose Leere – erschöpft,
                 THOMAS SCHNELLING                                                  ausgebrannt und gehetzt warte ich auf den Schlaf, der nie
                                                                                    kommt. Auch die Tabletten helfen nicht mehr – wozu noch wei-
                 Liliane Juchli ist wohl eine der bekanntesten Krankenschwestern    terkämpfen? Wozu? Schmerz, Angst und Verzweiflung prägten
                 der Gegenwart. Durch ihre berufliche Praxis und ihre zahlreichen   mein Dasein. Lebensgefühle, die eine menschliche Existenz bis
                 Publikationen hat sie das Denken und Handeln in der Gesund-        zur letzten Faser durchdringen.» Sie nahm sich eine Auszeit
                 heits- und Krankenpflege wesentlich beeinflusst. Insbesondere      und liess sich mit dem Psychoanalytiker Stephan Blarer – und
                 durch ihr Hauptwerk «Allgemeine und spezielle Krankenpflege»,      später bei Karlfried Graf Dürckheim und seiner «Initiatischen
                 das bis heute als das umfassendste Lehrbuch im deutschspra-        Therapie» – auf einen langen, schmerzhaften, aber schliesslich
                 chigen Raum und weit darüber hinaus gilt, hat sie Generationen     auch äusserst heilvollen Prozess ein: «Es begann eine eigent-
                 von Krankenschwestern und -pflegern geprägt. Aber bis dahin        liche Entdeckungsreise meines Lebens und schliesslich das
                 war es ein weiter Weg.                                             Erwachen im Geiste und im innersten Herzen.»
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                                                                                     weltweit
                                                                                          WEGWEISERIN

                Diese einschneidenden Erfahrungen veränderten in den Sieb-           sich sicher fühlen und verhalten, Raum und Zeit gestalten, arbei-
                zigerjahren Liliane Juchlis Menschenbild und damit auch ihren        ten und spielen. Und sie schliesst die geistige Ebene, wo das
                Blick auf die Pflege nachhaltig. Pflege sollte auf einem ganzheit-   Kommunizieren, Kind-, Frau-, Mannsein, Sinnfinden im Werden,
                lichen Denken und Handeln beruhen und wesentlich enger als           Sein, Vergehen wichtig sind, mit ein. Die ATL sind aber nur dann
                bisher an den körperlichen und seelischen Bedürfnissen des           ein erfolgversprechendes Instrument, ja Lebensmodell, «wenn
                Menschen in seiner Gesamtheit orientiert sein – und zwar so-         wir die Fakten in Bezug zum Menschen als ganzheitliches Wesen
                wohl der Pflegebedürftigen als auch der Pflegenden: «Den Men-        sehen: im Blick auf alle seine Beziehungen und in Bezug zu
                schen so zu sehen, wie er ist, nicht oberflächlich, einseitig oder   seiner individuellen Geschichte respektive Biografie, welche die
                durch Wunschbilder verzerrt. Ihn in der Tiefe seines Seins erfas-    aktuelle Situation beeinflusst und mitbestimmt hat. Jedes Modell
                sen und respektieren. Aus dieser Tiefensicht, da er mehr ist als     bleibt eine leere Hülle, wenn es nicht das Leben und die Leben-
                eine Summe von Zellen und Organen, die besser oder schlechter        digkeit ins Zentrum rückt.»
                arbeiten, die gesund sind, wenn sie funktionieren, und repariert
                werden müssen, wenn sie gestört sind.»                               Menschlichkeit und Würde
                                                                                     Liliane Juchli sieht in der Pflege auch eine wichtige moralische
                ATL-Modell: Mensch im Zentrum                                        Herausforderung. Hier müsse es – so die Pflegewissenschaftlerin
                Wichtig ist daher in der Begleitung und Pflege von Menschen          Marianne Arndt – darum gehen, «die menschliche Wirklichkeit
                in erster Linie das Wie: «Wie wir etwas tun, dass wir uns in         so zu sehen, dass auch für das Nicht-Wiederherstellbare, auch
                Anspruch nehmen lassen», so Liliane Juchli in einem Vortrag:         und gerade für den ‹hoffnungslosen Pflegefall› ein ernst zu neh-
                                                                                                   mender Anspruch geltend gemacht wird». Das
                                                                                                   unterstreicht auf sehr eindrückliche Weise Juchlis
                                                                                                   lebenslangen Einsatz für die Würde des Menschen
                                                                                                   als höchsten menschlichen Wert wie auch als
                                                                                                   Gegenkraft zu einer Leistungsgesellschaft, die mit
                                                                                                   einer grundlegenden, umstürzenden Veränderung,
                                                                                                   in der Menschen immer älter und kränker werden,
                                                                                                   konfrontiert ist. Die Wahrung der Menschlichkeit
                                                                                                   und der Menschenwürde in unseren Spitälern und
                                                                                                   Heimen darf aber nicht den Pflegenden allein über-
                                                                                                   lassen werden. Eine humane Gestaltung der Pflege
                                                                                                   braucht das Zusammenspiel aller Kräfte, der poli-
                                                                                                   tisch-gesellschaftlichen Kräfte wie der ethisch-
                                                                                                   moralischen Verantwortlichkeit.
                                                                                                   Auch in diesem Sinne versteht Liliane Juchli die
                                                                                                   Pflegenden eher als «Pädagogen», gehört es doch
                                                                                                   zu ihren Aufgaben, «den Kranken nicht nur während
                                                                                                   seines Krankseins zu pflegen und zu begleiten,
                                                                                                   sondern ihn auch auf das Gesundsein vorzuberei-
                                                                                                   ten, ihn zu begleiten auf dem Weg zur Selbstpflege.
                                                                                                   Dazu gehört ein anthropologisches und ethisches
                                                                                                   Grundwissen. Pflege ist sehr oft auch Seelsorge.»
Bei der Begleitung und Pflege kommt
es sehr darauf an, wie es gemacht wird.                                                            Was bringe ich von mir ein?
(Bild: charlottenhof)                                                                              Nicht von ungefähr sieht die engagierte Pflegeleh-
                                                                                                   rerin und Ordensfrau Juchli daher die menschliche
                «Zeit finden für die unausgesprochenen Fragen und Ängste des         Begegnung als das Zentrum aller Pflege. Sie fordert, dass die
                Gegenübers. Wer so auf dem Weg ist, wird erfahren, dass die          Pflegenden sich selbst immer wieder Rechenschaft abgeben
                Sinnerfahrung ein Geschenk ist.»                                     müssen zu der Frage, wie sie den Menschen sehen, wie sie auf
                Diese neue, damals revolutionäre Herangehensweise führte zu          den anderen Menschen zugehen. Ihr Leitsatz «Ich pflege als die,
                einer weiteren Professionalisierung und Aufwertung der Pflege-       die ich bin» schliesst auch den Gesundheitszustand der Pflegen-
                berufe. Der vierten Auflage ihres Lehrbuches, die 1983 erschien,     den mit ein: «Sie bringen sich selber immer mit ein, sowohl ihre
                legte sie ihr neues, ganzheitliches Menschenbild zugrunde. Hier      gute wie ihre schlechte Laune. Hier gilt es, die eigenen Grenzen
                beschreibt sie auch erstmals die «Aktivitäten des täglichen Le-      offen zu kommunizieren. Deshalb muss man auch zu den Pfle-
                bens» (ATL), nach denen sie die grundlegenden und in der Pflege      genden Sorge tragen. Eine starke Persönlichkeit wehrt sich am
                zu berücksichtigenden Lebensbereiche in ihrer Wechselwirkung         Ende auch gegen wirtschaftliche und politische Zwänge, die
                strukturierte: «Dabei sehe ich den Menschen in seinen Bezügen        ihrem Berufsethos widersprechen; sie macht sich für ihre berufs-
                zu sich selbst, zum Mitmenschen, zur Natur sowie zum ganz            eigenen Anliegen stark.» 
                                                                                                                                                                  2/2019

                anderen, dem Göttlichen.» Konkret ergänzt sie die «physiolo-
                gische Ebene» – wach sein, schlafen, sich waschen, kleiden,          Buchtipp: Trudi von Fellenberg-Bitzi: «Liliane Juchli – ein Leben für die
                essen, trinken, sich bewegen, atmen – mit Personal-Sozialem:         Pflege», Georg Thieme Verlag, Stuttgart/New York 2013.
16

     Maria: Leitbild neuen
     Menschseins
     Die Mutter Gottes ist Entwicklungshelferin zu einer gottgewirkten Transformation, in uns und in der Welt.
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                                                                         weltweit
                                                                              THEMENSEITEN

Maria hilft uns, den Weg
zum Göttlichen zu finden.
(Bild: pixabay)

     TBü. Die Situation des Menschen ist geprägt von einer Trennung      gabe an das Wirken des Heiligen Geistes, zum Göttlichen in
     aus der ursprünglichen Schöpfungseinheit. Sie zeigt sich in         uns und aller Existenz. So versteht die Buchautorin auch deren
     einem egozentrischen «Ich»; in der Gier auch, immer mehr haben      Jungfräulichkeit als Gotteserfahrung: Sich bedingungslos «in
     zu wollen. Es wähnt sich autonom, ist aber abgeschnitten vom        eine neue Sichtweise und den dazu gehörenden Prozess der
     eigenen Urgrund. Dies wird zur Bedrohung für die Erde. Von          Wandlung» einlassen, auch als Rückbindung gegen die «Ich-
     grosser Dringlichkeit ist darum die menschliche Entwicklung zu      Inflation».
     einer «allem Leben dienenden Seinsmacht», erklärt Pia Gyger         Als mitentscheidend zu dieser Entfaltung stuft Pia Gyger das
     in ihrem Buch «Maria, Tochter der Erde, Königin des Alls. Vision    «Ausrichten der Kräfte» am Beginn des Tages ein, um uns zu
     der neuen Schöpfung» (Kösel-Verlag 2005). Ziel des Menschen         stärken und den Ereignissen Grundlage und Richtung zu geben.
     als Mitschöpfer der Evolution müsse sein, «unter Beibehaltung       Dabei sei die eigene Energie weniger gegen Fehler und Schwä-
     aller guten Früchte der Individualisierung den Zugang zur Einheit   chen, sondern besser für das in uns wachsende Gute zu ver-
     des Lebens wiederzufinden». Es gehe darum, uns von Maria            wenden. Das kann ein Gebet unterstützen: «Ave Maria, in deinen
     «aus der Stille des Herzens vor allem Tun» leiten zu lassen.        Schutz begrüsse ich heute alle für mich notwendigen Kräfte der
                                                                         Transformation, als Freude und Erwecker aus der Getrenntheit.»
                                                                         Das tägliche «Dein Wille geschehe» verankert und löst Ängste
                                                                         vor Veränderung auf.
        «Dein Wille geschehe» erschliesst
                                                                         Ebenso wichtig sei bei Tagesende Rückblick und «Gewissens-
        Göttliches in uns und aller Existenz.                            erforschung», um gleichsam seine Ernte einzusammeln. Fragen
                                                                         «Wie habe ich heute dem Leben und der Liebe gedient? Wo war
                                                                         ich lieblos und egozentrisch?» lösen gemäss Gyger Verspan-
                                                                         nungen und heilen, wo wir verletzt wurden und andere verletzt
     Aus aller Zerstreuung                                               haben. Diese tägliche Übung, die uns geschenkte Gnade der
     Pia Gyger zeigt einen von der Gottesmutter inspirierten inneren     Vergebung anzunehmen, stärke unser Selbstwertgefühl und
     Weg der Meditation und Wesensschau auf, damit der in uns ver-       erlöse uns aus der Opferrolle: «Auferstandener Christus, Heiliger
     borgene Schatz ans Licht gehoben und für uns und die Welt           Geist, in meinem Herzen und meinem Körper heile, was verwun-
     wirksam werden kann: «eine kraftvolle Einkehr, Sammlung aus         det ist, mache weich, was spröd und hart, wärme, was vom
     aller Zerstreuung» (nach Johannes Tauler), um sich «in den          Frost erstarrt, lenke, was da irregeht.»
     Abgrund der ineinanderfliessenden Einheit tragen zu lassen»
     (der Dominikaner Heinrich Seuse). Die christliche Tradition kennt   Welterneuerung
     dazu die Bewusstseinseinigung und -leerung und den Herzens-         Unsere Welt brauche «Menschen, die mit Freude, Abenteuergeist
     weg. Pia Gyger legt säkularisierten Menschen Zazen, das Sitzen      und heiligem Ernst jeden Tag als Forschungslabor und Übungs-
     in Versunkenheit, nahe, welches aus dem Zen-Buddhismus              feld benutzen, um herauszufinden, wie wir eine aus mütterlicher
     kommt. Weder Überhöhung noch Geringschätzung des eigenen            Barmherzigkeit geborene Macht entfalten können. Eine aus
     Selbst sei erstrebenswert, sondern Demut, Liebe, Weisheit und       den Kräften der spirituellen Intelligenz geborene Politik, eine
     Mitgefühl mit allen Lebewesen. Als Würze für unser wachsendes       friedliche Gesellschaft, eine Weltfriedensordnung», schreibt Pia
     Charisma empfiehlt Gyger auch den Gebrauch des Humors als           Gyger. Dazu gehört für sie als wichtigste Gegenwartsaufgabe
     gelassene Heiterkeit, um «über sich selber zu lachen wie auch       die Auflösung der Dominanz eines Geschlechts über das andere.
     in spielerischer Weise über sich selber und die Welt zu seufzen».   Das Erarbeiten eines neuen Miteinanders von Mann und Frau,
                                                                         das von Lust und Freude an der Entfaltung des Menschlichen
     Hingabe ans Göttliche                                               geleitet ist. Die Autorin spricht sich für eine marianische Erfah-
     Jesus hat uns darauf hingewiesen, zu werden wie die Kinder,         rung aus, in der «Heilung und Friede in uns zunehmen, indem
     wenn wir das Himmelreich erfahren wollen. Sie leben gegenwär-       wir die Leiden der Menschheit und der Erde in unser Herz neh-
     tig, sind dem Leben in unmittelbarer Offenheit zugewandt, den       men». 
                                                                                                                                              2/2019

     Wundern des Alltäglichen. Und er ist der grosse Lehrer der Fein-
     desliebe, der Kraft zur Transformation der Welt. Aber auch Maria
     wurde durch ihr «Dein Wille geschehe» ermächtigt zur Ganzhin-
18

                                                                                                                       Eine Brücke zu sich
                                                                                                                       selbst und anderen.
                                                                                                                       (Bild: presse-image)

     Maria sagt Ja
     SR. INGRID GRAVE                                                     verklärten Bilder über die ganz reine und wunderschöne Magd des
                                                                          Herrn nicht weiter. Marias Leben kennt keine himmlische Roman-
     Da gibt es in Nazareth diese ganz junge Maria. Sie wird aufge-       tik. Aber für die Art und Weise, wie sie ihren Alltag im Glauben
     sucht von einem Engel, der sie in Kenntnis setzt von ihrer Schwan-   bestanden hat, dafür dürfen wir sie bewundern und verehren.
     gerschaft. Sie wird einen Sohn gebären. Das übersteigt Marias
     Begreifen: Wie soll das geschehen? Der Engel antwortet: Heili-       Als Zwölfjährigen nehmen die Eltern ihren Sohn mit auf die Wall-
     ger Geist wird über dich kommen; dein Kind wird Sohn Gottes          fahrt nach Jerusalem. Sie verlieren ihn, suchen ihn während drei
     genannt werden. Bei Gott ist kein Ding unmöglich.                    Tagen. Als sie ihn endlich im Tempel – diskutierend mit den
     Maria sagt Ja. Und der letzte Satz dieses Textabschnittes (aus       Schriftgelehrten – finden, zeigt er kein Verständnis für ihre Not.
     Lk 3,38) lautet: Danach verliess sie der Engel. Und es kommt         Maria wirkt empört, wenn sie sagt: Kind, wie konntest du uns
     auch keiner mehr, der ihr in den nächsten Tagen und Wochen           das antun? Der Zwölfjährige gibt sich unberührt: Was brauchtet
     beistehen würde. So ist das Leben. Man sagt Ja zu einer He-          ihr mich zu suchen? Wusstet ihr nicht, dass ich bei der Sache
     rausforderung, jedoch im Augenblick der Krise zeigt sich weder       meines Vaters sein muss?
     Gott noch ein Engel, der konkrete Hilfe anbietet. Fast jeder         Maria mag geahnt haben, dass sie etwas zu tun hat mit der Be-
     Mensch erlebt solche Situationen. Maria bildet keine Ausnahme.       ziehung ihres Kindes zu Gott. Trotzdem scheint sie sich voller
     Sie ist von Gott nicht verwöhnt worden. Da helfen uns all die        Fragen auf den Weg gemacht zu haben. Neben ihr ein schwei-
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