Die Alt-Katholische Zeitschrift in Deutschland + 63. Jahrgang August 2019 - Alt-Katholische Kirche
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Christen heute 2019/08 Di e A lt-K at hol i sc h e Z e i tsc h r i f t i n Deu tsc h l a n d + 63. Ja h rg a ng · Augus t 2 019 3 Demokratie ist (k)eine Lösung 10 Demokratie ist, 23 Synodalität und Demokratie von Harald Klein wenn man trotzdem lacht von Thomas Mayer von Francine Schwertfeger 6 Demokratie – 25 Wie tickten die frühen Christen? die christlichste Regierungsform? 11 Mitbestimmung monastisch von Gregor Bauer von Gerhard Ruisch von Hermann Josef Roth 27 Aloisia im Himmel 8 Vox Populi – Vox Dei? 14 Gedanken zur Demokratie… von Heidi Herborn von Christian Flügel von Kerstin Teichert-Möller 28 Auf dem Gipfel 15 Beredsamkeit ist eine Zier von Jutta Respondek von Francine Schwertfeger
Probleme mit Enthaltsamkeit Aus Angst liegen Bedeutungslose Alt-Katholiken? Nach Einschätzung des Ber- Nigerias Felder brach Der Wiener Pastoraltheologe liner Therapeuten Joachim Reich, Im Nordosten Nigerias liegen Paul M. Zulehner hat in einem Inter- der viele Priester berät, haben fast aufgrund der Terrorgefahr durch die view gefordert, dass die Römisch-Ka- Namen & Nachrichten alle katholischen Priester Probleme Miliz Boko Haram und die Splitter- tholische Kirche auf ihrem Reform- mit sexueller Enthaltsamkeit. „Ich gruppe ISWAP – Islamischer Staat weg auch Abspaltungen riskieren würde sagen: 95 Prozent halten sich in der westafrikanischen Provinz – müsse. Das sei der notwendige Preis, nicht lebenslang an den Zölibat. viele Felder schon seit Jahren brach. um Stagnation und damit in Europa Zu welchem Grad und in welchen Militäroffensiven haben zwar in der und Nordamerika den Verlust der Phasen sie sexuell aktiv sind, ist aber Provinzhauptstadt Maiduguri und kommenden Generationen zu verhin- unterschiedlich.“ Manche hätten Affä- verschiedenen Kreisstädten mehr dern. Außerdem seien die Abspaltun- ren oder im Urlaub Sex und lebten Sicherheit gebracht, nicht jedoch in gen nicht weiter schlimm: „Es haben dann wieder lange Zeit enthaltsam. ländlichen Regionen, in die sich die sich die Alt-Katholiken abgespalten, „Andere führen konsequent ein Dop- Terroristen oft zurückziehen. Nach und die sind jetzt dabei, in der Bedeu- pelleben.“ Viele Priester seien „mit Schätzungen der nigerianischen Far- tungslosigkeit zu verschwinden. Es viel Idealismus“ in ihr Amt gestar- mer-Organisation AFAN könnte die haben sich die Lefèbvrianer abgespal- tet, sagte Reich. Dass sie Probleme Produktion von Lebensmitteln um 50 ten, die jetzt die Hardcore-Katholiken mit dem Zölibat bekämen, dauere Prozent zurückgehen. „Entführungen am rechten Flügel sammeln. Und so mitunter mehrere Jahre. Wer keine sind eine Gefahr für unsere Existenz“, wird es immer wieder solche Abspal- Beeinträchtigung erfahre, sei „zöliba- sagte auch Landwirtschaftsminister tungen geben“, sagte er. „Wenn wir tär hochbegabt“. Das sei eine „ganz Audu Ogbeh. „Wenn wir das Ernäh- so weitermachen wie bisher, dann kleine“ Minderheit. Probleme mit der rungsproblem nicht lösen können, werden wir als Katholische Kir- verpflichtenden Ehelosigkeit würden dann können wir auch kein anderes che in Europa und Nordamerika zu individualisiert: „Die Kirche lässt lösen.“ Bis heute ist etwa jedes dritte einer völlig bedeutungslosen Sekte diese Menschen letztlich im Stich“, Kind im Land mangelernährt. schrumpfen.“ kritisierte Reich. Fortschritte im Kampf HuK kritisiert Vatikandokument Farben riechen gegen Menschenhandel Heftig kritisiert hat die Öku- Wer nicht sehen kann, darf Die Expertengruppe gegen Men- menische Arbeitsgruppe Homose- riechen: Der 13-jährige Lars Reif aus schenhandel des Europarats (Greta) xuelle und Kirche (HuK) das Doku- Neustadt an der Weinstraße habe sieht Fortschritte. Im Vergleich zu 2015 ment „Männlich und weiblich schuf durch wissenschaftliche Recherche werde die Europaratskonvention gegen er sie“ der Bildungskongregation und Befragungen herausgefunden, Menschenhandel nun besser im deut- des Vatikans. Die Verfasser hätten welche Farben mit welchen Düf- schen Recht widergespiegelt, heißt es. weder mit transidenten Menschen ten verbunden werden, teilte die Dennoch erhöhte sich nach Angaben gesprochen noch wissenschaftliche Christoffel-Blindenmission (CBM) des Bundeskriminalamts die Zahl der Erkenntnisse berücksichtigt; verwie- mit. Rosen riechen demnach nach Opfer von Menschenhandel von 536 sen werde nur auf eigene Stellung- rot, Vanille nach weiß, Minze nach im Jahr 2016 auf 671 im darauffolgen- nahmen, so dass der Anspruch eines grün und Zitrone nach gelb. Um die den Jahr. „Gesprächs“ nicht haltbar sei. „Hätten Grundfarben zu komplettieren, habe die Kurialen z. B. mit transidenten der Schüler noch Eukalyptus für blau Gläubigen gesprochen, dann hätten ausgewählt. Mit diesen Kenntnissen sie unweigerlich merken müssen, dass Kirche im Radio baute der Schüler eine Maske, an der ihre Kritik an der Geschlechtsiden- ein Farbsensor die Farbe erkennt. Eine „Positionen“ tität als ‚Wahl‘ oder einer beliebigen eigens programmierte Software sorge Bayern 2 Radio Willensentscheidung an der psychi- dann dafür, dass der entsprechende 18. August, 6:45 Uhr schen Situation von Trans-Personen Geruch mit einer Pumpe vor die Nase Pfarrer Hans-Jürgen Pöschl völlig vorbeigeht“, heißt es. „Der gesprüht werde. So rieche etwa eine Weidenberg absolute Tiefpunkt“ sei allerdings gelbe Wand nach Zitrone und mache die Forderung, Kinder mit nicht ein- die Farbe auch für Blinde erlebbar. „Anker werfen – deutig männlichen oder weiblichen Lars Reif erhalte dafür im Rahmen Anker lichten“ Geschlechtsmerkmalen durch Opera- des „Jugend forscht“-Landeswettbe- Deutschlandfunk tion einem der beiden Geschlechter werbs Rheinland-Pfalz den Sonder- 11. August, 10 Uhr anzupassen; das sei Körperverletzung preis der Christoffel-Blindenmission Nordstrand und Genitalverstümmelung. Titelfoto: pixelio.de „Innovationen für Menschen mit Behinderungen“. fortgesetzt auf Seite 31 5 2 Christen heute
Demokratie ist (k)eine Lösung im Bereich Schule: wenn Eltern solo entscheiden wollen, auf welche weiterführende Schule ihr Kind geht. Demokratie ist die schlechteste Staatsform, abgesehen von allen anderen (Winston Churchill) Was ist eigentlich „Demokratie“? Erfunden wurde sie wohl im alten Griechenland. Die freien Städte damals erlaubten sich eine Regierungsform, in der viele mitreden und mitwählen durften. Wenn allerdings von „Herrschaft des Volkes“ (=Demokratie) gesprochen wird, muss klar Dekan i. R. Vo n H ar ald K lein sein, wer denn damals das „Volk“ war. Die Frauen zum Bei- Harald Klein spiel nicht, auch Sklaven nicht, noch nicht einmal Hand- ist Mitglied K der Gemeinde ürzlich suchte ich einen Facharzt, weil werker oder Gehaltsempfänger. Und im Kern ist es so Rosenheim meine bisherige Ärztin in den Ruhestand gegan- geblieben: Das „Volk“ in der Demokratie umfasst nie alle. gen ist. Im Internet schaute ich also nach Ärzten in Wie lange hat es gedauert, bis in Europa auch die Frauen der Umgebung. Aber ich fand bei dieser Gelegenheit etwas mitabstimmen durften? Wie lange hat es gedauert, bis ganz Anderes, nämlich Ärzte-Bewertungen: Internetseiten, in Amerika auch die Farbigen abstimmen durften? Auch auf denen Patienten Noten verteilen und also empfehlen heutzutage bei uns in Deutschland dürfen Jugendliche oder verurteilen. „Super, dem Mann kann man vertrauen.“ nicht abstimmen, Gefängnisinsassen, Gastarbeiter, Flücht- „Bitte Vorsicht, diese Ärztin wirkt unprofessionell.“ „Ich linge. Ist das nicht ungerecht? kann nur warnen; die Medizin hab‘ ich gar nicht erst ein- Ja, allerdings nur, wenn mit Gerechtigkeit „allgemeine genommen.“ Natürlich könnte man sagen: Das ist wirkli- Gleichheit“ gemeint ist. Mit „Gerechtigkeit“ könnte aber che „Demokratie“; da ist der Arzt nicht mehr „Halbgott in auch das allgemeine Wohlergehen gemeint sein, gleiche Weiß“, sondern ein Dienstleister, der sich die Abstimmung Chancen für eine gute Zukunft. Wenn das das Staatsziel Bild: Henry de Groux, „Zola aux outrages“, 1898. des Volkes gefallen lassen muss. ist, dann ist noch lange nicht gesagt, dass dem mit einer Aber ich frage mich, wo das hinführt. Müssen sich unterschiedslosen Wahl- und Mitbestimmungsmöglich- Ärzte in Zukunft in erster Linie darum sorgen, gute Bewer- keit für alle Bürger am besten gedient wäre. Niemand kann tungen zu bekommen? Müssen Sie Medikamente mit belegen, dass „parlamentarische Demokratie“ die beste Blitzwirkungen verschreiben, um als Wunderdoktor bewer- Regierungsform eines Staates ist. Keiner kann belegen, tet zu werden? Tut das unserer Gesellschaft gut? Sollte es dass eine Kirche, in der alle abstimmen dürften, die getauft nicht ein Angebot von geprüften Fachleuten geben ohne sind (und rechts und links unterscheiden können), tatsäch- Aus Wikimedia Commons Absegnung der Allgemeinheit? lich eine bessere, heilere oder gar christusgemäßere Kirche Die Frage nach der Demokratie, sie stellt sich heute wäre. Würde bei einem Musikkonzert der Dirigent alle auf vielen Ebenen. Zum Beispiel im Bereich der Politik: Anwesenden im Saal einladen mitzumusizieren, dann hätte wenn unter Inanspruchnahme demokratischer Rechte für das zwar eine scheinbar größere Gleichberechtigung zur nichtdemokratische Ziele demonstriert wird. Zum Beispiel Folge, aber ob der Abend wohltuender verliefe, ist sicher im Bereich der Kirche: wenn Christen sich ihre Religion die Frage. Die Mehrheit hat nicht automatisch Recht, die und Spiritualität selbst zusammenstricken. Zum Beispiel Mehrheit ist nicht automatisch gut. 6 3 . J a h r g a n g + A u g u s t 2 0 1 9 3
Von Mehrheiten und Minderheiten perfekte Lösung für Politik, Gesellschaft, Kirche; es geht wird mehr verlangt, als zählen zu können nur darum, dass die Kinder des Dädalus nicht zu hoch flie- Richard v. Weizsäcker gen, nicht abheben und das ganze Projekt zum Scheitern Demokratie darf sich nicht dem Verzicht auf Kom- bringen. Schnell verlieben sich Menschen in Höhenrausch. petenz und Werte ausliefern. Nicht umsonst bauen viele Dem einen Riegel vorzuschieben, dient die demokratische Verfassungen Sicherungen ein: eine Gruppierung im Staat, Wahl und Mitbestimmung. die auch parlamentarischen oder wahlbezogenen Mehrhei- Auch die christliche Tradition kennt genau dieses ten noch Paroli bieten kann. In vielen Staaten ist das zum Anliegen. In der Bibel finden wir eine ganze Reihe von Beispiel eine unabhängige Justiz, in anderen ein unabhän- Themengeschichten, die sich dem widmen. Zum Beispiel giges Militärwesen (siehe Türkei, Ägypten etc.), auch wenn die Geschichte vom Turmbau zu Babel. Da reibt sich sogar die „Unabhängigkeit“ oft minimal ist. Die Staatsform der Gott die Augen und stellt fest: Die bauen doch tatsächlich Demokratie ist keine Geniallösung und auch kein Selbst- einen Turm bis in himmlische Sphären. Und er sorgt dafür, läufer. Gerade im Augenblick erfahren wir, wie fragwür- dass alles zerschlagen wird. Andere Geschichten drücken dig die Mitbestimmung durch allgemeine Wahlen ist. Wie Ähnliches aus: Mose, der am Ende noch nicht einmal das beeinflussbar, korrumpierbar sind Wähler! Wie angreifbar Gelobte Land mit eigenen Augen sehen darf. Goliath, der und wie gefährdet durch Terror ist der faire Ablauf eines von einem Hirtenjungen aus seinen Machtträumen geholt Wahlkampfes! Kann nicht auch ein ganzes Volk sich töd- wird. Nebukadnezzar, dessen Reich zusammenbricht lich irren, wie Deutschland 1933? wegen Selbstüberschätzung. Luzifer, der vom Himmel Auch in der Kirche gibt es Ansätze der Demokratie, stürzt. Und dann die ganz alte Fabel von der Königswahl wir rühmen uns der Existenz von Wahlen zum Kirchenvor- der Bäume im Richter-Buch des Alten Testaments (Kap stand, zu Synoden, für Pfarrer- und Bischofsämter. Aber 9,7-15a): Es geht um eine politische Wahl, um mögliche von da zur wirklichen Mitbestimmung ist noch ein weiter Kandidaten und die bittere Wirklichkeit. Weg, und manche Abstimmungen sind doch deutlich „vor- geschient“ und ohne ausgearbeitete Alternativen. Auch in Einst kamen die Bäume zusammen, um einen der Kirche ist Demokratie kein Selbstläufer und hat noch König zu wählen. Sie sagten zum Ölbaum: „Sei du manche Hürden zu bewältigen, sogar in der Alt-Katholi- unser König!“ Aber der Ölbaum erwiderte: „Soll schen Kirche. Aber soll sie überhaupt zum Charakteristi- ich vielleicht aufhören, kostbares Öl zu spenden, mit kum einer Kirche werden? Hat das einen Sinn? Worin liegt dem man Götter und Menschen ehrt, und dafür das Kernanliegen von Wahlen und sonstigen demokrati- hoch über den Bäumen schweben (schwanken)?“ schen Vorgängen? Da sagten die Bäume zum Feigenbaum: Was die Alten schon wussten „Sei du es!“ Doch der Feigenbaum erwiderte: „Soll ich Wenden wir uns wieder an die alten Griechen: Es gibt vielleicht aufhören, süße Feigen zu tragen, und dafür eine sehr erhellende Sage aus griechischer Vorzeit, die des hoch über den Bäumen schweben (schwanken)?“ Ikarus. Er war der Sohn des genialen Erfinders Dädalus und hatte von seinem Vater sogar das Fliegen beigebracht Da sagten sie zum Weinstock: „Sei du es!“ bekommen. Als sie sich einmal auf der Flucht von Kreta Doch der erwiderte: „Soll ich aufhören, Wein zu aus in die Luft erhoben, kam der tollkühne Ikarus mit sei- spenden, der Götter und Menschen erfreut, und dafür nen Flügeln und dem verwendeten Wachs der Sonne zu hoch über den Bäumen schweben (schwanken)?“ nahe, er flog so hoch, dass die Flügel sich auflösten und er jäh abstürzte und vom trauernden Dädalus begraben wer- Schließlich sagten sie zum Dornstrauch: „Sei du den musste. unser König!“ Und der Dornbusch erwiderte: „Da Dass Einzelne der Sonne nicht zu nahe kommen, son- ihr mich wirklich zu eurem König macht, kommt her, dern die Nähe zum Boden des Irdischen bewahren, das ist bückt euch und sucht Schutz in meinem Schatten!“ Auftrag und Sinn der Demokratie. Es geht nicht um die Demokratie heißt Entscheidung durch die Betroffenen Richard v. Weizsäcker So kommt es, wenn einer zum Höhenflug ansetzt, wenn andere meinen, eine Wahl würde schon alles in Ord- nung bringen: Der da oben verliert jede realistische Selbst- einschätzung, meint, als dürrer und dorniger Strauch allen Bäumen des Waldes Schatten spenden zu können. Es ist eine ironische, scharfe Warnung, die mit dieser alten bib- lischen Fabel ausgedrückt wird: vor dem Königtum insge- samt und der Illusion freiheitsbewahrender Wahlen. Das Prinzip einer Wahl ist nur dann wertvoll, wenn die Wählenden sich mit der Wahl nicht selber ausliefern. Wahlen bis zur Altersgrenze oder auf Lebenszeit wie bei einem König sind nur Mitbestimmungs-Getöse, aber keine gerechte Verteilung von Macht. Jedenfalls schwebt dem 4 Christen heute
Schreiber der alttestamentlichen Fabel wohl statt einer Wir sind keinem Aufpasser mehr unterstellt. Königswahl eher so ein zeitweiliges Führungssystem wie in Denn zuerst mal seid Ihr alle Söhne und Töchter Gottes der alten Zeit der „Richter“ vor. Auch in der Kirche wäre es Paulus im Galaterbrief 3,25 möglich, dass ein Bischof oder Pfarrer auf bestimmte Zeit Dazu wäre es wichtig, dass Amtsinhaber geschult wer- gewählt wird, evtl. mit kürzerer Verlängerungsmöglich- den und kontrolliert werden, andere offen in Verantwor- keit. Es geht nicht darum, denen da oben schlechte Absicht tung und Kreativität einzubeziehen. Es muss Ereignisfelder nachzusagen, sondern nur darum, noch etwas Anderes zu und Planungsfelder geben, die auch mal ohne die Amtsin- ermöglichen, eben mehr als nur formale Demokratie. haber stattfinden: Klausuren des Kirchenvorstands, Syn- Was in der Jotam-Fabel die drei ersten Bäume sagen, ist oden der Standortbestimmung und der Kreativität. Und das Entscheidende: dass die Mitglieder der Gemeinschaft in genau diese „Zusammenkünfte“ dürfen nicht von „oben“ erster Linie die Bestimmung haben, ihre Fähigkeiten, ihre vorsortiert sein. Kirche wird erst da lebendig, wo ein einfa- Früchte beizutragen. Ich will nicht zuerst regieren, sondern cher Ölbaum sein Öl dazugibt, ein einfacher Mensch seine Öl beitragen; ich will Feigen beitragen, ich will zu Wein ver- Fragen und Fähigkeiten, die ihm Gott gegeben hat. Es geht helfen. Nahrung, Süße, Freude, das sind die Fruchtbilder für nicht um abwertende Meinungsmache (siehe Ärzte-No- das, woraus Gemeinschaft dauerhaft lebt. Dieser lebendige ten) oder abkapselnde Eigenbrötlerei, sondern um Mittun Austausch muss möglich gemacht werden, dann dürfen auch gerade um des Ganzen willen. einzelne (demokratisch) leiten und führen. Ohne dass sich Von Jesus sind Gleichnisse überliefert, die in diese alle eingeladen fühlen, beizutragen und mitzugestalten, ver- Richtung zielen, zum Beispiel das Gleichnis der Talente, kommt Gemeinschaft zur inhaltsleeren Gängelei. die ein Gutsbesitzer den Dienern anvertraut. Nicht ein Und deshalb ist nach meinem Empfinden der Begriff fremdes System oder Vermögen steht im Mittelpunkt, son- „Synodalität“ (= Zusammenkommen, Weggemeinschaft) dern das fruchttragende Einbringen der eigenen Talente eine bessere Bezeichnung für das Angestrebte als „Demo- (Lk 19,13ff.). Oder das Gleichnis von der Festeinladung, in kratie“. Es geht nicht um „Herrschaft“ des Volkes, son- dem am Ende viele einfache Leute von Hecken und Zäu- dern um Einfluss, Einfließen, am Wesentlichen auf Dauer nen in die Mitte des Festes geholt werden statt der vorge- Beteiligtsein. Dass auch Nichtamtsinhaber, Nichtgewählte sehenen Auswahl (Lk 14,16ff.). Auch bei der Geschichte sich entscheidend miteinbringen können. Gerade seitens von den fünf törichten und fünf klugen Brautjungfern römisch-katholischer Kreise, die in letzter Zeit gern den wird nicht vom Eintrittsrecht eines Amtes gesprochen, Begriff propagieren, wird Synodalität viel zu sehr als Good- sondern nur vom Öl, das jede einzelne junge Frau einbrin- will-Veranstaltung gedeutet ohne verbindliche Festlegung. gen wird. Und zuletzt: Wozu hat Jesus gerade an einfachen Aber auch in der Alt-Katholischen Kirche kann noch viel Menschen Wunder gewirkt? Nicht um sich selbst zu ver- an tatsächlicher Synodalität dazugelernt werden. herrlichen, sondern um diese fähig zu machen, froh und verantwortlich mitzuwirken an der Gemeinschaft. ■ 6 3 . J a h r g a n g + A u g u s t 2 0 1 9 5
durch die Herrschenden fast schon als Selbstverständlichkeit ansieht. Klar, auch die Kleinfürsten von Roms Gna- den vor Ort wie die Söhne von Hero- des dem Großen sind nicht geeignet, ein besseres Bild vom Monarchen zu vermitteln. Doch obwohl Jesus und viele andere in der Bibel die Machtaus- übung der Monarchen kritisieren, finden sich in der Bibel keine Stellen, die die Monarchie selbst in Frage stel- len. Stattdessen gibt es gerade bei den alten Königen Israels schon die Vor- stellung vom Gottesgnadentum. Dass es auch andere Regierungsformen geben könnte, lag wohl außerhalb des Vorstellbaren; selbst Jesus sagt in allen drei synoptischen Evangelien: „Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört“ (z. B. Matthäus 22,21). Wir müssen also feststellen: Es gibt keinen biblischen Anhaltspunkt, durch den sich unmittelbar belegen ließe, dass die Demokratie christlicher wäre als andere Staatsverfassungen. Und in der Kirche? Ganz anders sieht es in der Gerhard Kirche aus. Selbstverständlich ist Demokratie – Ruisch ist nirgends in der Bibel von einer demo- verantwortlicher kratischen oder synodalen Kirchen- Redakteur von Christen heute verfassung die Rede. Und die Frage: die christlichste Regierungsform? und Pfarrer in „Wie hat Jesus Gemeinde gewollt?“, Freiburg die Gerhard Lohfink vor vielen Jah- ren in einem Buch untersucht hat, Von Gerh a r d Ruisch lässt sich nach meiner Auffassung (im Gegensatz zu Lohfink) nur mit „gar I ch vermute, heute neigt die Keine Monarchiekritik in der Bibel nicht!“ beantworten. Denn schließ- Mehrheit der Christen dazu, diese Viele Menschen der Bibel sehen lich ging Jesus nach vielen biblischen Frage mit Ja zu beantworten. Das deutlich die Probleme, die es mit Zeugnissen davon aus, dass das Welt war einmal ganz anders. Zu Zeiten, als Monarchen gibt. Die Propheten im ende unmittelbar bevorsteht – er man die Königssalbung als Sakrament Alten Testament etwa geißeln mit kam also wohl kaum auf die Idee, sich ansah und vom Gottesgnadentum harten Worten die Könige Israels, Gemeinde- und Kirchenverfassungen überzeugt war, also davon, dass die wenn sie ungerechte Strukturen stüt- auszudenken, schon gar nicht solche, Herrschenden von Gott selbst einge- zen, sich selbst bereichern, Menschen die über Jahrhunderte Bestand haben setzt sind, hätte man die Monarchie unterdrücken, Fremde ausbeuten und sollten. als die christlichste Regierungsform Götzendienst fördern. An etlichen Folglich gab es in der frühen Kir- angesehen – und diese Zeit war alle- Stellen im Neuen Testament wird der che auch keine vorgegebene Gemein- mal länger als die kurze demokratische Kaiser in Rom als Fremdherrscher deordnung. Jede Gemeinde musste Epoche. Zur Zeit des 3. Reichs waren kritisch gesehen. Auch wenn Jesus sich ihre eigene Ordnung erst suchen, selbst in unserem Land viele Christen im Matthäusevangelium (20,25) sagt: so dass wir im Neuen Testament viele und sogar Kirchenleitungen geneigt, „Ihr wisst, dass die Herrscher ihre unterschiedliche Gemeindeformen die Führerherrschaft als konform mit Völker unterdrücken und die Großen finden. Es hat über 150 Jahre gedauert, dem Christentum anzusehen. Aber ihre Vollmacht gegen sie gebrauchen“, bis sich die spätere einheitliche Ord- wie ist es denn nun wirklich? Hilft der zeigt das, dass er, wohl geprägt durch nung mit einer Hierarchie von einem Blick in die Bibel weiter? die Erfahrungen mit der römischen Bischof, Priester/Diakon und Volk Besatzung wie alle seine Zeitgenos- überall durchgesetzt hatte! sen in Israel, den Machtmissbrauch 6 Christen heute
Das heißt aber nicht, dass Jesus aber seid Geschwister“ (Mt 23,8), das Aussagen der Evangelien ja keine mit uns keine Hinweise gegeben hätte. ist der Kirche von Jesus für alle Zeiten stenografierten Protokolle sind, son- Es gibt nämlich sehr wohl klare Hin- ins Stammbuch geschrieben! Zwei- dern Ausdruck der Überzeugung der weise aus seinem Mund – die selbst tausend Jahre Erfahrung zeigen, dass Evangelisten. Matthäus und Johannes dann bedeutsam sind, wenn sie ihm es eine schwere Daueraufgabe für alle sehen Jesus als Herrn und Meister – teilweise aus der konkreten späteren mit einer Leitungsfunktion Betrauten ob Jesus sich selbst so gesehen hat, Situation heraus von den Evangelisten ist, sich das immer wieder bewusst zu wissen wir deshalb noch nicht. hineingelegt worden sein sollten –, machen und zu verhindern, dass ihnen Mir scheint es naheliegend, zu wie er sich zwar nicht eine Kirchen- die Position an der Spitze zu Kopf vermuten, dass Jesus für sich keine verfassung, aber das Zusammenleben steigt. andere Stellung beansprucht, als er seines Jüngerkreises vorstellt. In ihm Der Blick in die Schriften des den anderen Leitenden im Jünger- sollen ja die Spielregeln des Reiches Neuen Testaments zeigt, dass die frü- kreis zugesteht: Ja, er ist der Lehrer, Gottes gelten, nicht das, was sonst hen Christengemeinden es bei allen er ist der Anführer seiner Anhänger, üblich ist. Und dafür ist grundlegend, unterschiedlichen Strukturen, mit aber, wie die Fußwaschung zeigt, er wie der oben zitierte Satz aus dem denen sie experimentiert haben, für sieht sich als einer, der seine besondere Matthäusevangelium weitergeht: angebracht fanden, dass die Trägerin- Aufgabe, seine Einsicht in das, was nen und Träger von Leitungsfunktio- Gott möchte, seine Fähigkeit, andere Ihr wisst, dass die Herrscher ihre nen von allen gewählt wurden. Es lässt zu begeistern, ganz als Dienst an den Völker unterdrücken und die sich also wohl sagen, dass sie synodale anderen und am Reich Gottes sieht. Großen ihre Vollmacht gegen sie und demokratische Elemente als die Es gibt Stellen, die Jesus fast schon gebrauchen. Bei euch soll es nicht angemessene Weise der Umsetzung überheblich klingen lassen („Ich so sein, sondern wer bei euch groß von Jesu klarer Vorgabe angesehen bin ein König. Ich bin dazu geboren sein will, der soll euer Diener haben. Vom Neuen Testament her und dazu in die Welt gekommen!“ – sein, und wer bei euch der Erste gesehen, scheint mir also durchaus der Johannes 18,37), aber dieser Ton passt sein will, soll euer Sklave sein. Schluss angebracht, dass eine Form so wenig zum sonstigen Jesus, dass ich von Demokratie zumindest für die da mehr Johannes als Jesus sprechen Zwei Dinge schließe ich aus dieser Kirche die angemessene Regierungs- höre. Aussage: form ist. Ich glaube, er wusste um seine Einmal: Es braucht auch unter (Ich habe mich mit dieser Frage besondere Aufgabe, die aus seiner den Jüngerinnen und Jüngern Jesu vor Jahren ausführlich in meiner außerordentlichen Nähe zu Gott ent- Menschen, die die Gemeinschaft Pfarrexamensarbeit befasst. Wer sich sprang. Er hat seine Einsichten an leiten. In den kleinen Hausgemein- dafür interessiert, kann sie gerne andere Menschen weitergegeben und den des Anfangs war das noch nicht als PDF-Datei erhalten – Mail an die Gemeinschaft, die daraus ent- so wichtig, aber später, als eine redaktion@christen-heute.de.) sprang, geleitet. Er hat sich aber von große Kirche entstanden war, ganz Anfang an Menschen gesucht, die ihn bestimmt. Es ist also legitim, dass es in War Jesus Demokrat? dabei unterstützen. Und es gehörte Kirche und Gemeinde Menschen gibt, Was den Staat angeht, wurde die zum Kern seiner Botschaft, dass alle die Leitungsfunktionen übernehmen. Frage eingangs schon beantwortet: gleichermaßen Kinder Gottes sind und Aber: Die Leitungsfunktion Es gibt keinen Hinweis, dass Jesus damit gleichberechtigte Geschwister. ist als Dienst zu verstehen, nicht als überhaupt auf die Idee kam, dass ein Theoretische Überlegungen über Herrschaft, auch nicht als „Heilige Staat auch demokratisch verfasst sein die ideale Staats- oder Kirchenverfas- Herrschaft“, griechisch „Hierarchie“. könnte. Auch die Frage, wie es in der sung sind von ihm nicht bekannt. In Wichtig ist, dass das nicht nur als Gemeinschaft seiner Jüngerinnen diesem Sinne wäre es weit hergeholt Etikett draufgeklebt, sondern zutiefst und Jünger aussieht, ist beantwortet: zu sagen, er sei Demokrat gewesen. verinnerlicht wird. Als Gregor der Ja, da sind ihm die Gleichheit und Wohl scheint es mir aber legitim zu Große sich als Servus Servorum Dei, Geschwisterlichkeit aller wichtig. behaupten, angesichts seiner Beto- „Diener der Diener Gottes“ bezeich- Doch wie ordnet er sich selbst nung der Geschwisterlichkeit aller nete, war das vielleicht noch ein Zei- ein in diese Gemeinschaft? Das ist Kinder Gottes ist ein demokratisches chen, dass er die Botschaft des Neuen nur scheinbar leicht zu beantworten. System seinem Denken näher als jede Testaments verstanden hatte, aber dass Aussagen wie „Einer ist euer Meis- Form von Monarchie oder Diktatur. auch die machthungrigsten Päpste in ter“ bei Matthäus oder „Wenn nun Oder um es mit dem bekannten Pau- späteren Jahrhunderten sich so nann- ich, der Herr und Meister, euch die luswort zu sagen: ten, ist ein Hohn! Füße gewaschen habe“ und „Glaubt Die Leitungsaufgabe ist ein an Gott und glaubt an mich!“ im Es gibt nicht mehr Juden und Dienst unter anderen Diensten, er Johannesevangelium (13,14 und 14,1) Griechen, nicht Sklaven und Freie, erhebt diejenigen, die sie ausüben, legen nahe, dass Jesus sich als von nicht männlich und weiblich; nicht über andere, er macht sie nicht Gott gesandt und deshalb als Lehrer denn ihr alle seid einer zu besseren oder wichtigeren Chris- und überlegenen Chef sieht. Da ist es in Christus Jesus. ten. „Einer ist euer Meister, ihr alle wichtig, nicht zu vergessen, dass diese Galaterbrief 3,28 ■ 6 3 . J a h r g a n g + A u g u s t 2 0 1 9 7
Von Chr ist i a n Flügel AfD noch, bürgerliche Sympathisanten schonen zu müs- sen. Im französischen Präsidentschaftswahlkampf des- „D ie Gefahr, die von der Partei und ihren Anhängern für unsere freiheitliche Demokratie ausgeht, wird so überdeutlich und zeigt nur noch mehr, dass die Demokraten in unserem selben Jahres erscheint es inopportun, vorbehaltlos die französische Rechtsextremistin Le Pen zu unterstützen; ausgerechnet AfD-Frontmann Alexander Gauland bekun- det öffentlich „auch Sympathien“ für den Präsidentschafts- Land gegen sie zusammenstehen müssen.“ 75 Jahre nach kandidaten der Konservativen, François Fillon. Als Björn dem Holocaust wird Charlotte Knobloch, die ehemalige Höcke 2017 das Berliner Holocaust-Mahnmal als „Denk- Präsidentin des Zentralrates der Juden, bedroht und belei- mal der Schande“ verunglimpft, prüft die Partei damals digt, weil sie in einer Gedenkfeier für die Opfer des NS-Re- nominell, ob ein nazistischer Tabubruch vorliegt. gimes im bayrischen Landtag 2018 den Mut hat, die AfD Mittlerweile sind solche Vorsichtsmaßnahmen obso- herauszustellen als Partei, die „auf Hass und Ausgrenzung“ let: Die AfD kooperiert zur Europawahl offen mit den gründet. Knoblochs Verdienst liegt nicht darin, etwas genannten rechtspopulistischen Parteien, ohne Einbußen Offenkundiges zu äußern, sondern dass sie es tut, obwohl befürchten zu müssen. Gauland selbst übertrumpft Höckes die Rechtspopulisten erfolgreich sind und ihre menschen- NS-Verharmlosungen: „Hitler und die Nazis sind nur ein verachtende Polemik von einer großen Bevölkerungs- Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher gruppe durch demokratische Wahlen legitimiert wird. Zu Geschichte“. Trotz (oder gerade wegen) dieser unverhohle- Recht nennt sie nicht nur die Parteifunktionäre, sondern nen Geschichtsrelativierungen holt die AfD 11 Prozent bei ausdrücklich auch die „Anhänger“ jener Partei, die im der Europawahl. Bundestag und mittlerweile in allen 16 Landtagen vertreten ist. Es gilt als demokratischer Konsens, „keine Wäh- lerschelte“ zu betreiben. Die Kritik an den Ergebnissen „allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahlen“ (GG Art 38) rührt an den Grundfesten der demokratischen Idee. Der israelische Vox Populi – Vo Historiker Yuval Harari stellt in sei- nem Beststeller „Homo Deus“ heraus: Dr. Christian „Doch die Biowissenschaften verwei- Flügel ist sen darauf, dass ich mich im Wahllo- Facharzt für kal nicht wirklich an das erinnere, was Psychiatrie und Psychotherapie ich in den Jahren seit der letzten Wahl und Diakon im gefühlt und gedacht habe. Zudem Ehrenamt in werde ich von einer ganzen Salve an der Gemeinde Wahlkampfwerbung, Meinungsma- Düsseldorf che und zufälligen Erinnerungen bombardiert.“ Allan Frances, ein US-amerikani- scher Psychiater, analysiert in seinem Buch „Amerika auf der Couch“: „Indem wir Trump für Frances sieht mehrere Gründe für den Erfolg rechts- verrückt erklären, können wir vermeiden, uns dem Wahn- populistischer Propaganda. Das politische Ringen um sinn in unserer Gesellschaft zu stellen – wenn wir geistig Sachfragen wird von einer konsumorientierten Gesellschaft gesund werden wollen, müssen wir uns zunächst selbst als langweilig und unspektakulär erlebt. „Trump bekämpft erkennen. Einfach ausgedrückt: Nicht Trump ist verrückt, die Medien nicht nur, er beutet sie clever aus. … Er ist ein sondern unsere Gesellschaft.“ In Bezug auf Trump lässt unterhaltsamer und pervers fesselnder Darsteller. Doch für sich feststellen, dass er keineswegs sein Wahlvolk betrogen diejenigen, die ihn mögen, haben Trumps tägliche Pos- hat. Selbst unerbittliche Gegner müssen zugeben, dass er sen und groteske Hirngespinste wieder Spaß in die Politik im Wahlkampf genau das vertreten hat, was er heute als gebracht.“ Auch in Deutschland wächst nach der Entpola- US-Präsident auch tatsächlich umsetzt. risierung durch die Große Koalition eine Sehnsucht nach In Deutschland sind selbst AfD-Funktionäre über- „Aufmischen“. Die Verrohung der Debattensprache durch rascht, wie offen sie ihr rassistisches Gesicht zeigen kön- den AfD-Stil führt einerseits zur Belebung des Politbe- nen, ohne dass dies Wählerstimmen kostet. Vorsichtig wird triebes, andererseits werden die Opfer staatlicher Gewalt zunächst getestet, wie die Grenze des Anstandes ständig (sowohl Holocaustopfer und ihre Angehörigen als auch weiter verschoben werden kann. Nach dem „Gipfeltref- Menschen, die vor Staatsterror nach Deutschland geflohen fen europäischer Rechtspopulisten“ in Kassel im Januar sind) rücksichtslos verängstigt und erneut traumatisiert. 2017, wo Frauke Petry (damals noch AfD), Marine Le Pen Diese „Spaltung“ funktioniert: AfD-Wähler fühlen (Frankreich), Geert Wilders (Niederlande) und Matteo sich selbst als Opfer, die im eigenen Land schikaniert und Salvini (Italien) den Schulterschluss vollziehen, glaubt die kriminalisiert würden. „Demagogen mögen unaufrichtig 8 Christen heute
sein, doch die Probleme, die sie ausnutzen, sind nur allzu Inszenierungen für die eigene PR genutzt, zugleich wird real und alltäglich. Volksnahe Bewegungen entstehen aus die freie Presse als „Volksfeind“ diffamiert und bekämpft. einem Gefühl geteilten Leides unter ganz normalen Leuten Die Gleichschaltung der öffentlichen Medien in Ungarn gegen die Regierung“, sagt Frances. In einer gespaltenen macht Viktor Orban zur Gallionsfigur der Rechten. „Das Gesellschaft büßen demokratische Wahlen ihre Legitima- Problem ist, dass viele Wähler ihre Nachrichten nicht mehr tion ein. Gauland akzeptiert den Sieg Angela Merkels bei aus den Zeitungen beziehen, sondern stattdessen stark von der Bundestagswahl keineswegs, sondern er ruft auf zur Tweets, Radiotiraden, Verschwörungs-Webseiten und den „Jagd“ auf sie. Die Europawahl zeigt die Spaltung Deutsch- sozialen Medien beeinflusst werden, die niemand vorher lands in den Westen mit starkem Stimmenanteil für die einem Faktencheck unterzieht“, kommentiert Frances. GRÜNEN und die AfD-Hochburgen im Osten. Prompt Der Optimismus, dass durch Bildung und Informa- erklärt Gauland die GRÜNEN zum „Hauptfeind“. tionen „reifere“ BürgerInnen einer Demokratie heran- Harari erklärt: „Menschen fühlen sich durch demo- wachsen, wird durch das Erstarken des Rechtspopulismus kratische Wahlen nur dann gebunden, wenn sie mit den widerlegt. Im sogenannten Ibiza-Video reißen sich die meisten anderen Wählern eine grundlegende Beziehung österreichischen Rechtspopulisten der FPÖ unfreiwillig die verbindet. Ist mir die Erfahrung anderer Wähler fremd „demokratische Maske“ herunter. Ungehemmt bekennt und glaube ich, dass sie meine Gefühle nicht verstehen und sich der Ex-Vizekanzler Hans-Christian Strache zu kri- ihnen meine vitalen Interessen egal sind, dann habe ich, minellen Methoden der Parteifinanzierung. Unverblümt selbst wenn ich um das Hundertfache überstimmt werde, skizziert er im heimlich gefilmten Gespräch Pläne zur absolut keinen Grund, die Entscheidung zu akzeptieren.“ Bekämpfung des freien Journalismus. Jede Wählerin weiß unmissverständlich um die antidemokratische Ausrichtung dieser Partei; bei der Europawahl eine Woche nach Veröf- fentlichung des Videos erringt die FPÖ quasi unbehelligt über 17 Prozent der Stimmen. Harari erklärt das Festhal- ten an Scharlatanen wie folgt: „Paradoxerweise ist es so: Je mehr Opfer wir für eine erfundene Geschichte bringen, desto stärker wird die Geschichte, weil wir diesen Opfern und dem Leid, das wir verursacht haben, um jeden Preis einen Sinn geben wollen.“ ox Dei? Klammern nicht auch wir Alt-Katholikinnen uns im Sinne Gernys an das idealisierte Selbstbild, wonach Tole- ranz und Liberalität quasi von selbst eine menschenfreund- liche Gesellschaft bewirken? Im Schuldbekenntnis über die NS-Vergangenheit unseres Bistums von Bad Herrenalb aus dem Jahr 2000 heißt es: „Aus Angst oder auch blin- der Begeisterung, oft genug wider besseren Wissens, wurde Unrecht nicht Unrecht, Terror nicht Terror und Mord nicht Mord genannt.“ Dies fordert uns heraus, heute Wahr- heiten unmissverständlich auszusprechen. Hier können wir viel von Charlotte Knobloch lernen. ■ Rechte Verschwörungstheoretiker sehen ein volks- feindliches Komplott aus „Alt-Parteien“, Wissenschaft- lerinnen, demokratischer Presse und Kirchen am Werk. Selbstkritisch können wir Alt-Katholikinnen fragen, ob nicht unser Harmoniebedürfnis und das Image als „tole- rante Kirche“ beitragen, dem Rechtspopulismus Raum inmitten der Gesellschaft zu überlassen. Schon zu Beginn des Jahrtausends betont der emeritierte christkatholische Bischof Hans Gerny in Prag: „Ich bin überzeugt, dass unsere überbordende Nachsicht und Geduld uns frieren macht. Wo jeder jeden gewähren lässt, wo es keine Tabus und Grenzen mehr gibt – da kann es auch keine Wärme und Geborgenheit geben.“ Unsere Kirchenzeitung will zur Aufklärung über theologische und gesellschaftliche Fragen beitragen, gelegentlich provozieren und zur Streitkultur anregen. Die rechtspopulistische Haltung zur Pressefreiheit ist doppelzüngig: Medien werden durch skandalträchtige 6 3 . J a h r g a n g + A u g u s t 2 0 1 9 9
Demokratie ist, wenn man trotzdem lacht Von Fr a n cin e die Möglichkeit haben zu wählen verziert sein.“ O-Ton Henry Mencken, Sc hw ert feger (auch wenn immer weniger sie nut- ein amerikanischer Satiriker, eben- zen); dass wir unsere Meinung frei falls auf der Internetseite watson.ch W ir in Deutschland äußern dürfen (auch wenn niemand wiedergegeben. haben eine Demokratie. zuhört); dass wir auf der Straße Dazu kommt natürlich noch die Gelobt sei’s und gepriesen. demonstrieren dürfen (auch wenn es unliebsame Eigenart mancher Staats- Oder doch nicht? Ein gewisser Wins- keinen interessiert) – das alles sind männer, den Begriff der Demokra- ton Churchill meinte seinerzeit: „Das Bestandteile einer Volksherrschaft. tie zu verwässern: So soll Russland beste Argument gegen die Demokra- Doch wird nicht allmählich auch die eine „lupenreine Demokratie“ sein, Francine tie ist ein fünfminütiges Gespräch mit Demokratie in Deutschland ziemlich wie Altkanzler Gerhard Schröder als Schwertfeger einem durchschnittlichen Wähler.“ ausgehöhlt? Putinkumpel glauben machen will. ist Mitglied Das ist natürlich all jenen Wäh- Wähler und Wählerinnen geben Oder wenn wir an die „Deutsche der Gemeinde Hannover lerInnen aus der Seele gesprochen, mehrheitlich Partei A ihre Stimme. Demokratische Republik“ DDR den- deren Devise ist: Demokratie ist, Dann kommt nach der Wahl Partei B, ken, wo Kritiker wie in Russland und wenn alle machen, was ich will. Ich tut sich mit Partei C zusammen und China auf Nimmerwiedersehen von weiß am besten, was du brauchst/wir übertrumpft Partei A (selbst wenn sie der Bildfläche verschwanden bzw. alle brauchen. Ich mein’s ja nur gut! – noch mit Partei D koalieren sollte), noch verschwinden. Sätze, die wir aus vielen Familien- und die A-Wähler fühlen sich ver- „Demokratie ist die schlechteste konstellationen zur Genüge kennen. eimert. Demokratie ist, wenn man aller Staatsformen, abgesehen von Foto: Marco Verch, „Donald der ‚langsame‘ Walzer Trump Dem hielt der schottische Philosoph trotzdem lacht. allen anderen.“ Er war schon ein klei- beim Rosenmontagszug - Kölner Karneval 2018“, Flickr Thomas Carlyle entgegen: „Ich glaube Es gibt viele Gründe, die gegen ner Scherzkeks, der britische Staats- nicht an die kollektive Weisheit indi- eine Demokratie sprechen. 22 davon mann Winston Churchill. Aber wo er vidueller Ignoranz“. zitiert die Schweizer Internetseite Recht hat, hat er Recht. Was ist also mit der Demokra- watson.ch („22 böse Zitate über die Was uns aber vielleicht zuvör- tie – damit, dass „das Volk regiert“? Nachteile der Demokratie“). Diese derst zu denken geben sollte, fasste Es kommt ganz auf die Mehrheit an, Bemerkungen großer Denker sind der britische Wissenschaftler Christo- möchte man meinen. Aber hat die nicht von der Hand zu weisen. Und pher Dawson zusammen: „Der große Mehrheit immer recht? Die demokra- muten teilweise hellsichtig an, wie Irrtum der modernen Demokratie – tisch gewählte Herrschaft der Nati- z. B.: ein Irrtum sowohl der Kapitalisten onalsozialisten hat es gezeigt. Aus „Wenn die Demokratie sich fort- als auch der Sozialisten – ist, dass sie ihr wurde ganz schnell eine Dikta- laufend perfektioniert, widerspiegelt ökonomischen Reichtum als Zweck tur. Und insofern ist eine Demokra- die Präsidentschaft immer exakter der Gesellschaft und Standard persön- tie auch immer in Gefahr, sich selbst die innere Seele des Volkes. Eines lichen Glücks akzeptiert.“ abzuschaffen, wenn die Mehrheiten großen und glorreichen Tages wird Es geht also um nichts weniger als plötzlich kippen. sich der Herzenswunsch der einfa- eine Bestandsaufnahme unseres Wil- Wie es besser geht, hat noch kei- chen Leute erfüllen und das Weiße lens und Wollens. Unseres, des Volkes. ner vorgemacht. Dass wir überhaupt Haus mit einem wahren Idioten ■ 10 Christen heute
Mitbestimmung monastisch Alte katholische Traditionen in der römischen Kirche Vo n Her m an n J os ef Rot h Dr. Hermann der römische Katholiken wegen päpstlicher Festlegung nur M Josef Roth it dem Hauptthema dieses Heftes – träumen können, ein ganz anderes Gewicht. ist römisch- Demokratie – wird, zumindest aus römischer Dennoch muss auch hier, ebenso wie das seinerzeit katholischer Sicht, ein besonders brisanter Punkt angespro- beim Unfehlbarkeitsdogma geschah, die geschichtliche Theologe und chen. Er berührt mehr als andere Unterscheidungsmerk- Entwicklung wissenschaftlich gründlich analysiert werden. Mitglied des Kuratoriums male das Selbstverständnis beider Konfessionen. Diese Schon jetzt scheint sich hier eine Diskrepanz zwischen Namen-Jesu- Bewertung sei zunächst kurz begründet. Dogma und Historie aufzutun. Dabei denke ich nicht nur Kirche Bonn an die Forschungsergebnisse von Prof. Hubert Wolf, son- Römisch- und alt-katholisch dern auch an eigene Erkenntnisse aus dem Studium von In römisch-katholischer Alltags-Wahrnehmung sind Geschichte und Kultur des Klosterwesens. Alt-Katholiken jene, die vor allem die „Unfehlbarkeit“ Das wirklich unterscheidende Kriterium der des Papstes bezweifeln. Längst taugt diese Feststellung Römisch-Katholischen Kirche nicht nur zur alt-katholi- kaum noch als konfessionelles Unterscheidungskriterium. schen, sondern auch zur Orthodoxie und zu den Kirchen Nachdem dieser Anspruch wiederholt von Theologen und der Reformation ist vielmehr die synodale Verfassung. In Kirchenhistorikern (z. B. Hans Küng, A. B. Hasler) kri- diesem Punkte allerdings sind Alt-Katholiken historisch tisch hinterfragt worden ist, mahnte die Jesuitenzeitschrift verstanden zur „alten“ Ordnung zurückgekehrt. Wäh- „Stimmen der Zeit“ im Vorjahr offen eine „Revision der rend die absolut-monarchische Leitungsform, vereinfacht päpstlichen Unfehlbarkeit“ an. gesagt, vom antiken Imperium Romanum hergeleitet Andere Merkmale, die einst unverwechselbar die ist, wurzelt die synodale sowohl in der Hl. Schrift (vgl. römische Kirche kennzeichneten, sind von ihr selber auf- Gal 2,1-10) als auch in Lehre und Praxis der frühen Kirche. gegeben worden. Die landessprachliche Liturgie ist längst Nun wird leicht übersehen oder gern vergessen, dass selbstverständliche Praxis, obwohl ihre Einführung einst in diese synodale Verfassung auch in der römischen Kirche vielen Pfarreien gegen emotionale Widerstände durchge- nie völlig außer Kraft gesetzt worden ist. Im Mönchtum setzt werden musste. benediktinischer Prägung wird sie satzungsgemäß bis Während hier oder bei der „Handkommunion“, der heute gelebt und sogar kirchenrechtlich anerkannt. Ganz Berufung von Laien zu „Kommunionhelfern“ oder der im Gegensatz zur lange geübten römischen Praxis verlei- Zelebration zur Gemeinde hin nur alt-katholischer Stan- hen Regel und Statuten auch Nichtklerikern, sofern sie dard eingeholt worden ist, hat die Frauenordination, von 6 3 . J a h r g a n g + A u g u s t 2 0 1 9 11
feierliche Gelübde abgelegt haben, Sitz und Stimme. Nach- vielfältige und hierarchisch gegliederte Gesellschaft. Um dem infolge von Vaticanum II das Laienbrüderinstitut der die klerikalen Professmönche als deren Kern gruppierten monastischen Gemeinschaften abgeschafft worden ist, das sich nacheinander „Laienbrüder (Konversen), Oblaten, in den Klöstern gleichsam einen Parallelkonvent bildete, Gäste (Hospites), Beisassen, Knechte (und Mägde), „Sozial sind auch Konversen, die bisherigen „Mönche zweiter empfänger“ (Bettler u. ä.). Sie alle bildeten die klösterliche Klasse“, gleichberechtigt. Damit ist nicht etwa eine Neue- Familie mit dem Abt an der Spitze. Wissenschaftlich sind rung eingeführt worden, sondern eine spätere Entwicklung diese Verhältnisse vor allem am Beispiel von Kloster Eber- widerrufen worden. bach erschöpfend dargestellt worden. Es muss nämlich betont werden, dass die Benediktsre- Das Modelle erinnert an die Großfamilie des antiken gel eine solche Einrichtung (Laienbrüder, Konversen) gar Rom, deren Haupt der Pater Familias bildete. Mit seiner nicht kennt. Die Aufwertung des Laienelementes ist ande- Ehefrau, den Kindern und Verwandten stellte er die durch rerseits in der römischen Kirche recht spät in Gang gekom- Bande des Blutes unlösbar verbundene Familie dar, um men. Explizit hat in Deutschland die Würzburger Synode die sich die Hausgemeinschaft scharte, deren Mitglied in unterschiedlichen Rechtsverhältnis- sen zum Hause standen. Wie hier die Angehörigen des Familienvaters, so ist im benediktini- schen Kloster der Konvent Rechts- und Entscheidungsträger. Allerdings ist jeder Mönch, der sich unwiderruf- lich an die Gemeinschaft gebunden hat, gleichberechtigt. Zwar schuldet er dem Abt gegenüber Gehorsam, der aber umgekehrt seinen „Söhnen“ Rechenschaft. Diese monastische Praxis ging sehr weit und stand objektiv sogar im Gegensatz zu den Gepflogenhei- ten der außerklösterlichen Kirchen. Die dem Hl. Benedikt zugeschrie- bene Klosterregel kommt gleich zur Sache. Der Abt – nach geltendem Kirchenrecht infulierter Prälat – muss in wichtigen Angelegenheiten „den Rat der Brüder anhören“, wobei zur Beratung „alle gerufen werden“ sol- len (Cap. 3). Priester haben keinen Vorrang (Cap. 60). Selbst wenn ein (1971-1975) entsprechende Forderungen gestellt, die dann Fremder „eine verständige Kritik äußert und auf etwas auch erfolgreich Beratungsgegenstand im Vaticanum II aufmerksam macht, soll der Abt klug überlegen, ob ihn der (1962-1966) geworden sind. Die Neuorientierung wird mit Herr nicht gerade deswegen geschickt hat“ (Cap. 61,4). theologischen (sakramentale Bedeutung der Taufe!) wie Innerhalb der Proportionen einer Weltkirche han- gesellschaftspolitischen Argumenten begründet. delt es sich dabei heute um ein Nischendasein, das aller- dings seit dem 6. Jahrhundert funktioniert. Die hier Mitsprache für alle verwirklichte Kollegialität reicht tiefer als die Betrieb- In seinem Ursprung ist das Benediktinertum Laien- samkeit der kaum noch überschaubaren und durchschau- mönchtum. Nur langsam erfolgte seine Klerikalisierung, baren Ausschüsse, Beiräte, Direktorien, Kommissionen, bis es schließlich durch die priesterliche Würde überhöht Räte und Vorstände moderner Pfarreien und Diözesen. wurde. Im Kloster Benedikts waren Priestermönche die σύνοδος (synodos) bedeutet Zusammenkunft. Im gegebe- Ausnahme. Einen Ehrenplatz im Konvent erlangten sie nen Zusammenhang kann nach meinem Empfinden nicht bestenfalls durch entsprechende Lebensführung, nicht eine Expertenrunde gemeint sein, auch nicht ein Aufzug aber aufgrund ihres Weihestatus, wie man in der Regel- von Würdenträgern, sondern das Zusammenfinden der schrift nachlesen kann. Gemeinde zum Gespräch. Dabei schart sie sich um den Gerade ein Klerikerkonvent kam und kommt nicht Bischof (bzw. Abt) als Orientierungspunkt, denn „wo der ohne Unterstützung von Laien aus. Das Mönchskloster Bischof, da die Kirche“ (Ignatius v. Antiochien). stellte im Grunde immer und überall ein „System kon- zentrischer Kreise“ dar. Dabei handelt es sich keineswegs Rolle der Frau um ein gedankliches Konstrukt, sondern um die Beschrei- Hier nun trennen sich die Wege. Die klösterliche bung einer historischen Realität. Das mittelalterliche Gemeinschaft im engeren Sinne wird gebildet von Chris- Kloster bildete keinen homogenen Konvent, sondern eine ten mit dem Charisma der Ehelosigkeit (Mt 19,12) und 12 Christen heute
einem Familienleben anderer Art. Wird vom Bischof Hubert Wolf hat „unterdrückte Traditionen der Kir- erwartet, dass er ein guter Familienvater ist (Titusbrief chengeschichte“ (2015) aufgedeckt und gezeigt, welche 1,5.9), so gilt dies im übertragenen Sinne auch von Abt oder rechtliche und liturgische Rolle Klosterfrauen einst erlang- Äbtissin. ten. Seine Beispiele ließen sich bis in den sakramentalen In diesem Zusammenhang sei kurz auch die Rolle Bereich erweitern. Vielleicht kann davon später einmal die der Frau angesprochen. Benedikt und Scholastika stehen Rede sein, könnte doch auch diese alte katholische Über- gemeinsam für ein Anliegen. Die Nonnenklöster standen lieferung – aus meiner Sicht wenigstens – ein Identifikati- und stehen im alten Mönchtum gleichberechtigt neben onspunkt für unsere Konfessionen sein. ■ denen der Männer. Der Ausdruck Benediktinerinnen bezeichnet also keinen eigenen „Orden“, sondern Frauen, die nach der Regel des Hl. Benedikt leben. Innerhalb ihrer Klöster gelten dieselben Normen wie für die der Männer. Auch wenn die Konvente gemäß römischer Doktrin auf männlich-priesterlichen Beistand angewiesen sind, so ist der Hausgeistliche (Spiritual, Confessarius) der Äbtissin untergeordnet. Über seine liturgischen Dienste hinaus hat er keinerlei Befugnisse oder Mitsprachrechte im Haus. Auch auf höherer Ebene ist in der monastischen Welt der Prozess der – vereinfacht ausgedrückt – „Demo- kratisierung“ längst weiter gediehen und konsequenter umgesetzt worden als auf Diözesan- und Weltebene. Bis- her waren Frauenklöster, die in eine Ordensgemeinschaft integriert waren, unbeschadet ihrer inneren Autonomie in Fragen des allgemeinen Ordens- und Kirchenrechts an die Entscheidungen des jeweiligen Generalkapitels gebunden, das ausschließlich von Äbten oder delegierten Mönchen besetzt war. Inzwischen hat sich auch das geändert. Beispiels- weise nehmen bei den Zisterziensern seit dem Jahr 2000 die Äbtissinnen gleichberechtigt an den Generalkapiteln teil. Bei Besuchen in Männerabteien ist es üblich gewor- den, dass ihnen bei den Stundengebeten im Chorgestühl ein Platz angeboten wird, der ihrer Würde entspricht. Das Professalter bestimmt hier die Reihenfolge, nicht klerikaler Rang oder Geschlecht. Auszeit schließen zur Ruhe kommen die geschenkte Zeit wahrnehmen Vo n J u tta R esp on dek Gedanken kommen und gehen lassen vergessene Fragen zulassen anhalten der Sehnsucht nachspüren innehalten im fraglosen Träume zum Leben erwecken Funktionieren das Herz öffnen den ewiggleichen Trott unterbrechen Gottes Liebe atmen aussteigen aus der täglichen Routine den Himmel erahnen abschalten vom Dauerstress rings um mich her Bildschirm und Telefon hinter mir lassen 55 Aus: Atempause JR 2016 die müden Augen und Ohren 6 3 . J a h r g a n g + A u g u s t 2 0 1 9 13
Adelshäuser. In der aus diesem Anlass gebauten Versöhnungskapelle unweit der Burg wurde diese Versöhnung besiegelt. Danach wurde gemeinsam regiert. (Ludwig bekam dann noch irgendwann die Kaiserkrone, aber das ist eine andere Geschichte.) Ver- söhnung und gemeinsam regieren! Toll! Das ist doch im weiteren Sinne ein herrliches Bild für die Anfänge unseres Europas: gemeinsam ent- scheiden und Friede nach Streit und Uneinigkeit. Gedanken zur Aber hier endet die Reise noch nicht. Trausnitz liegt relativ nah an der tschechischen Grenze, und Demokratie… noch vor 30 Jahren war im Oberpfäl- zer Wald der Eiserne Vorhang sehr präsent und stark spürbar. Unsere Freunde vor Ort haben uns eine Wan- derung zum Böhmerwaldturm emp- …oder nur eine Geschichte einer Reise? fohlen. Es war ein traumhaftes Wetter: Von K er st in T eichert-Möller weiter Blick über tschechische Berge bis hin zum Berg Großer Arber. Vor A ls ich das Thema „Demo- und dass auch ja kein Krümel verloren 30 Jahren musste man dort gut auf- kratie“ gelesen habe, dachte gehen darf. passen, dass man nicht Grenzverletzer ich an den Spruch: „Das muss Meine Gedanken gingen danach wurde. Heute kann man einfach mal Demokratie abkönnen!“ Kennen Sie über die Liberalität unserer Kirche rüberspazieren zu unseren europäi- den Spruch? Mein persönliches Man- und zu anderen Kirchen und Reli- schen Nachbarn. tra, wenn ich z. B. Zahlen zu Protest- gionen. Insbesondere, weil unser Auf dem weiteren Weg zur Kerstin wahlen lese, Demos von extremer mittlerer Sohn (8 Jahre) gerade Welt- Grenze gelangt man zu dem verlasse- Teichert-Möller Couleur und Ähnlichem. religionen in der Schule hatte und wir nen Dorf Bügellohe. Trostlos stehen ist Mitglied Aber eigentlich wollte ich von im Urlaub nochmals darüber gespro- noch Häuserreste eines Dorfes, das der Gemeinde Hamburg meinem Heimaturlaub über Christi chen haben. Hinduismus und Bud- hier nach dem 2. Weltkrieg errichtet Himmelfahrt in Bayern erzählen dhismus sind kulturell etwas fern, aber wurde. Ein Haus mit Erinnerungsta- (Bayern ist die ursprüngliche Heimat, Christum, Islam und Judentum haben feln erinnert an die Zeiten, die unsere Schleswig-Holstein die Wahlheimat). gemeinsame Wurzeln, und doch sind (Ur-) Großeltern geprägt haben. Urlaub ist ja was Schönes und passt sie gegenseitig häufig voller Intoleranz. Bügellohe wurde von ursprünglich 11 zur Jahreszeit. Fahren Sie noch in den Viele Menschen der unterschiedlichen aus Tschechien vertriebenen Familien Urlaub oder waren Sie schon? Ach, Glaubensrichtungen nähern sich der- aufgebaut. Diese Familien errichteten vielleicht sind Sie eher der Winter- zeit an und feiern gemeinsam. Aber Bügellohe zunächst nur als Zwischen- typ oder bevorzugen Balkonien. Aber Machtbesessene nutzen theologische station. Ihr Traum war die baldige zurück zu meinem Kurzurlaub mit Ideologien und legen sie so aus, dass Rückkehr in die alten Heimatdörfer, meiner Familie und vielleicht auch Nächstenliebe und Toleranz gegen- kurz hinter der Grenze. Von Bügel- passend zu dem Thema „Demokratie“. über Anderen keinen Platz haben. lohe aus haben sie sogar noch anfangs Aber urteilen Sie selbst. Letztere, die Toleranz, ist essenziell ihr Vieh versorgt, das in den Dörfern Anlass der Reise war die Erstkom- für Demokratie. auf der tschechischen Seite zurück- munion meines Neffen, eine klassische Aber springen wir weiter in mei- geblieben war. Irgendwann wurden römisch-katholische. Ich war gespannt ner Reise. Wir waren einquartiert in aber die Grenzen geschlossen. Die auf die Predigt, insbesondere weil der Jugendherberge Burg Trausnitz, Schreie der leidenden Tiere hörten die das Evangelium von der Einladung nicht die in Landshut, sondern in dem Bügelloher, konnten aber nicht hel- zur königlichen Hochzeit (Matthäus Ort Trausnitz. Eine geschichtsträch- fen, und irgendwann verstummten die 22,1-4) handelte. Wie wird der Pfarrer tige Burg! Nach einem Erbfolgekrieg Schreie. nun den Bogen von diesem Evange- zwischen Habsburg und Wittelsbach Karg und anstrengend war das lium zur Erstkommunion schlagen? um die Königskrone sperrte Lud- Leben in Bügellohe. Kein fließendes Nein – er predigte ohne einen Zusam- wig der Bayer seinen Vetter Friedrich Wasser. Keine richtige Straße. Peti- menhang zum Evangelium und dies den Schönen für drei Jahre in den tionen zum Ausbau der Infrastruk- sehr konservativ. Darüber, wie heilig Burgturm. (In diesem Turm, nicht tur bis nach Bügellohe blieben nur die Hostie ist, wie sie gehalten wird in, sondern unter dem Verlies, näch- Worte auf Papier. Letztendlich gaben tigten wir). 1325 versöhnten sich die die Bewohner Bügellohe auf und das 14 Christen heute
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