Wildbestandsregulierung in deutschen Nationalparks
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A B S C H L U S S D O K U M E N TAT I O N D E R TA G U N G Wildbestandsregulierung in deutschen Nationalparks BAD WILDUNGEN, 29. UND 30. MÄRZ 2011
5 Einleitung Karl Friedrich Sinner 6 Praxis der Wildbestandsregulierung in deutschen Nationalparks 8 Grundlegende Aspekte und Möglichkeiten des Wildmanagements in deutschen Nationalparks Dr. Volker Scherfose 10 Minimierung der Schalenwildregulierung im Nationalpark Hainich Ein Modell für alle anderen Nationalparks ? Manfred Grossmann 13 Wenn Wildnis an ihre Grenzen stößt Wildtiermanagement und -forschung im Grenzbereich zwischen Kulturlandschaft und Nationalpark – Forschungsergebnisse aus dem Nationalpark Bayerischer Wald Dr. Marco Heurich Inhalt 16 Prädatorenmanagement in deutschen Nationalparks? Notwendigkeit und Machbarkeit regulativer Eingriffe 3 am Beispiel des Waschbären (Procyon lotor) Frank-Uwe Michler 21 Gilt der Prozessschutz für alle Lebewesen ? Forderungen an ein Schalenwildmanagement in Nationalparks Mark Harthun 24 Wildbestandsregulierung als notwendige Unterstützung für die Waldentwicklung – eine Daueraufgabe ? Andreas Pusch 27 Rotwild im Wolfsgebiet der Oberlausitz Erste Ergebnisse zur Raumnutzung Mark Nitze 30 Wildtiermanagement in Kernzonen bzw. Wildnisgebieten Eine Konzept- und Praxisvorstellung aus dem deutschen Teil des Biosphärenreservats Pfälzerwald-Nordvogesen Ulf Hohmann und Ditmar Huckschlag 34 Huftiere ohne Jagddruck Erfahrungen aus dem Schweizerischen Nationalpark Dr. Flurin Filli 37 Die Bedeutung von Schalenwildverbiss für die Artenvielfalt in Wäldern Prof. Dr. Christian Ammer 42 Zusammenfassung Anja Sorges 46 Positionspapier der AG Nationalparke bei EUROPARC Deutschland zum Thema Wildtierregulierung in Nationalparks 47 Pressemitteilung Fachleute diskutierten Wildtiermanagement in Nationalparks 48 Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 49 Impressum
Einleitung Nationalparks sind Landschaften, in denen Praxis der „Wildbestandsregulierung in deutschen Nationalparks“. Die vorliegende Dokumentation Natur Natur bleiben darf. Sie schützen Natur- fasst die Beiträge der 10 Referenten zusammen. 5 Damit wird ein erster Überblick über die landschaften, indem sie die Eigengesetzlichkeit Situation des Wildtiermanagements in deutschen Nationalparks gegeben und werden gleichzeitig der Natur bewahren und Rückzugsgebiete für Lösungsbeispiele aus dem In- und Ausland vorge- stellt. Notwendigkeit, Effektivität, Machbarkeit wildlebende Pflanzen und Tiere schaffen. und Dauer regulativer Eingriffe, auch im Hinblick auf eine Unterstützung der Vegetationsentwick- Gleichzeitig sollen im Rahmen des Schutzzweckes lung und Artenvielfalt konnten auf der Grundlage neuester Forschungsergebnisse diskutiert werden. diese Pflanzen und Tiere von Menschen erlebt Die Tagung hat Denkanstöße geben können und Raum geboten, zukunftsfähige Konzepte und werden können. Instrumente für ein effizientes, an den Erforder nissen eines Nationalparks ausgerichtetes Wild tiermanagement zu diskutieren. Die in diesem Ta- Alle Nationalparks in Deutschland haben das gungsband vorgestellten Ergebnisse unterstreichen Problem einer im internationalen Vergleich relativ die Notwendigkeit eines regelmäßigen Informa- geringen Größe und der Einbettung in eine inten- tions- und Gedankenaustauschs zu diesen Fragen. siv genutzte und dicht besiedelte Kulturlandschaft. Die Nationalparks müssen sich der Herausfor- Damit existieren gerade für Wildtiere vielfältige derung stellen, ihrer prioritären Zielsetzung des Vernetzungen zwischen ihren Lebensräumen in Prozessschutzes, d. h. im überwiegenden Teil ihres den Nationalparks und der umgebenden Kultur- Gebietes einen möglichst ungestörten Ablauf der landschaft mit ihren vorrangigen Nutzungsinteres- Naturvorgänge zu ermöglichen, Rechnung zu sen durch den Menschen. Aber auch das unvoll- tragen. Hierfür gilt es Wege zu finden, Maßnah- ständige Arteninventar in den Nationalparks, men des Wildtiermanagements so effizient und insbesondere das Fehlen der großen Beutegreifer, störungsarm wie möglich durchzuführen und auf das Defizit an Herbivorenarten und das teilweise ein Minimum zu reduzieren bzw. schnellstmöglich Vorhandsein an importierten Arten in den Parks, einzustellen. ist ein Teil des zu lösenden Problems. Da im Rahmen der Veranstaltung noch viele Von vielen Besuchern werden Nationalparks als spannende Detailfragen nicht erschöpfend behan- Gebiete verstanden „in denen kein Axtschlag hallt delt werden konnten, waren sich die Teilnehmer ei- und kein Schuß fällt“. Die Realität eines in Natio- nig, die Gespräche fortzuführen und zu versuchen, nalparks vorhandenen Managements wirft bei Be- schrittweise ein den Aufgaben der Nationalparks suchern, aber auch bei Fachleuten viele Fragen auf. gerecht werdendes Wildtiermanagementkonzept Im Rahmen der Evaluierung der deutschen Na- zu erarbeiten. tionalparks hat sich die Frage des Wildtiermanage- ments als ein zentrales Problemfeld für alle Parks herauskristallisiert. Es war der Wunsch aller Betei- ligten am Evaluierungsprozess, dieser Fragestellung daher in einem größeren Rahmen nachzugehen, um erste Schritte zu einer Lösung zu finden. 70 Fachleute aus Schutzgebieten, Behörden, Verbänden, relevanten Nichtregierungsorganisati- Karl Friedrich Sinner Luchs ( Lynx lynx ) onen (NGOs) und wissenschaftlichen Institutio- Vorstand von EUROPARC Deutschland, im Nationalpark nen diskutierten auf einer Tagung am 29. und Dachverband der Nationalen Bayerischer Wald 30. 03. 2011 in Bad Wildungen die Konzepte und Naturlandschaften
Praxis der Wildbestandsregulierung in deutschen Nationalparks Nationalpark Regulierte Sonstige Räumliche Beschränkungen Schalenwildarten regulierte Wildarten ( Zonierung, ha und %-Angaben ) ( mit Streckenzahl ( mit Streckenzahl Jagdjahr 2009 / 2010 ) Jagdjahr 2009 / 2010 ) Nationalpark Rotwild ( 148 ), Fuchs ( 31 ), Wildschutzgebiete / Jagdruhezonen Vorpommersche Rehwild ( 79 ), Marderhund ( 17 ) 1.235 ha ( 9,3 % der Landfläche des Nationalparks ) Boddenlandschaft Damwild ( 74 ), Schwarzwild ( 257 ) Nationalpark Rotwild ( 7 ), Fuchs ( 18 ), keine Jasmund Rehwild ( 25 ), Marderhund ( 54 ) Damwild ( 125 ), Muffelwild ( 10 ), 6 Schwarzwild ( 37 ) Nationalpark Rotwild ( 244 ), keine ohne Regulierung ca. 2.000 ha, Eifel Rehwild ( 240 ), ca. 19 % Muffelwild ( 54 ), Schwarzwild ( 130 ) Nationalpark Rotwild ( 6 ), Fuchs ( 2 ), aktuell jagdfrei ca. 400 ha, Unteres Odertal Rehwild ( 36 ), Marderhund ( 1 ) außerhalb der Aue lediglich Damwild ( 22 ), ( in der Nähe von Randzonenbejagung innerhalb 80 m Schwarzwild ( 275 ) Ortschaften ) Nationalpark Rotwild ( 85 ), keine 66 % Kernzone ohne Wildbestandsregulierung, Berchtesgaden Rehwild ( 82 ), 30 % Intervalljagdbereiche, Gamswild ( 260 ) 8,5 % Waldumbaubereiche, < 4 % Schwerpunktjagdbereiche Nationalpark Rotwild ( 38 ), keine seit 2010 Kellerwald-Edersee Rehwild ( 52 ), Nominierungsfläche Weltnaturerbe jagdfrei Damwild ( 42 ), ( 1.472 ha, entspricht ca. 25 % der NLP-Fläche ) Muffelwild ( 12 ), Schwarzwild ( 160 ) Nationalpark Rotwild ( 512 ), Fuchs ( 2 ), Reguliert wird auf ca. 90 % der Fläche Harz Rehwild ( 39 ), Waschbär ( 4 ) ( ca. 22.000 ha ) in allen Zonen Schwarzwild ( 94 ) ( alles ohne Fallwild ) Nationalpark Rotwild ( 11 ), keine 3 Zonen : Hainich Rehwild ( 170 ), 1.500 ha ( 20 % ) ohne Regulierung Damwild ( 29 ), ( = Weltnaturerbegebiet ), Schwarzwild ( 202 ) 4.100 ha ( 55 % ) Regulierung Dam- und Schwarzwild – Bewegungsjagd, 1.900 ha ( 25 % ) Dam-, Schwarz- und Rehwild – Randzone Nationalpark Rotwild ( 134 ), keine ca. 17.000 ha ohne Regulierung = Bayerischer Wald Rehwild ( 99 ), ca. 70 % des Nationalparks Schwarzwild ( 18 ) Müritz-Nationalpark Rotwild ( 150 ), keine Jagdruhezonen mit 2.500 ha = 8 %, Rehwild ( 360 ), Kranichschutzzone zeitlich ca. 1.000 ha Damwild ( 680 ), Schwarzwild ( 280 ) Nationalpark Rotwild ( 44 ), Fuchs ( 11 ) Derzeit keine, geländebedingt werden Sächsische Schweiz Rehwild ( 198 ), ca. 15 % nicht bejagt, Muffelwild ( 5 ), Einführung eines Wildruhebereichs mit Schwarzwild ( 89 ) 910 ha ( 9 % der Fläche ) für 2011 geplant EUROPARC Deutschland, Stand 2011
Zeitliche Beschränkungen Methoden der Regulierung Besonderheiten 16. 06. – 31. 07. generell Jagdruhe, größere gemeinschaftliche Jagden, Küstenvogelbrutgebiete, eigene Nationalpark-Jagdverordnung und weiter verkürzte Jagdzeiten bei Rot-, Dam- Gruppenansitze, Einzeljagd Wildmanagementanweisung für Nationalparkämter und Schwarzwild 16. 06. – 31. 07. generell Jagdruhe, größere gemeinschaftliche Jagden, Ab Jagdjahr 2011 / 12 Änderungen wegen weiter verkürzte Jagdzeiten bei Rot-, Dam- Gruppenansitze, Einzeljagd neuer Nationalpark-Jagdverordnung und Weltnaturerbe und Schwarzwild 7 Überwiegend Mitte Oktober bis Mitte Dezember Gemeinschaftansitz und Bewegungsjagd Bei Gefahr von Schweinepest oder Schäden im Umland ( mit spurlauten Hunden ), Wildschweinbejagung eventuell auch in regulierungsfreier Zone überwiegend private Jäger nach jährlichen Fortbildungen und Schießübungsnachweis Drückjagden nur im Zeitraum 01. 11. – 31. 12. Einzeljagd, Drückjagden Wildmanagement geregelt mit „Verordnung zur Regulierung der Wildbestände im Nationalpark Unteres Odertal vom 21. 02. 2007 unterschiedlich, je nach Jagdbereichen Einzeljagd, Sammelansitz, Drückjagden Bei Rotwild rund 90 %, Gams rund 96 % und Rehwild rund 117 % wurden die Abschusspläne im gesamten Nationalpark Berchtesgaden im Jagdjahr 09 / 10 gut erfüllt. Gegenüber dem Durchschnitt der vorgehenden drei Jagdjahre konnte im Jagdjahr 2009 / 10 der Rotwildabschuss um 29 %, der Gamsabschuss um 7 % und der Rehwildabschuss um 14 % gesteigert werden. Erfüllung nach Gebietskulissen : Schwerpunktjagdgebiet 17 %, Waldumbaugebiet 39 %, Intervalljagdgebiet 44 % Auf rund 1/3 der bejagbaren, waldbaulichen Vorrangflächen ( Schwerpunktjagd- und Waldumbaugebiete ) werden 56 % der Abschüsse getätigt ! Intervalljagd Mai, August, September, Gemeinschaftansitz und Bewegungsjagd Großteil des Nationalpark-Gebiets gegattert ( Gatter in Auflösung be- Bewegungsjagden Oktober bis Mitte Dezember ( mit spurlauten Hunden ) griffen ), große Waldbesitzer in der Umgebung, private Jagdpächter in unmittelbarer Nachbarschaft, direkt angrenzende landwirtschaftliche Flächen, Konzept Wildtiermanagement in Bearbeitung Jagdzeit : 1 Woche im Frühsommer, Bewegungsjagd und gemeinschaftliche Ansitze danach von August bis 15. Dezember, 10 Tage Brunftruhe vom 15. bis 25. September 01. 08. – 31. 12. Drückjagd in Zone 1 ( = 75 % ), Seit 2010 wird Rotwild nicht mehr reguliert, max. 2 pro Flächeneinheit, Privatjagden auf 5 % der Nationalpark-Fläche ( = Kommunaleigentum ) Ansitzjagd auf Damwild, Drückjagd und Ansitzjagd im restlichen Gebiet Regulierung von 01. 09. – 31. 01. Einzeljagd, Sammelansitz, Gatterabschuß bei Rotwild, Abschuß im Saufang bei Schwarzwild Gatterabschuß ( Rotwild ), Saufang Rehwild 01. 05. – 15. 06., Einzeljagd, Gruppenansitze, Ansitzdrückjagden Neue Wildmanagementanweisung und Jagdverordnung Rotwild ab 01. 08. – 10. 01., Damwild 01. 09. – 10. 01., Schwarzwild 01. 08. – 10. 01. Derzeit keine, Einführung eines Intervall Einzeljagd, Gemeinschaftsansitze und Der Pflege- und Entwicklungsplan Wildbestandsregulierung befindet jagdsystems mit verkürzten Jagdzeiten auf Stöberjagden sich zur Zeit in der Genehmigungsphase. 78 % der Fläche für 2011 geplant Die Inkraftsetzung wird für dieses Jahr erwartet
Grundlegende Aspekte und Möglichkeiten des Wildmanagements in deutschen Nationalparks Der Umgang mit dem Management von Nationalpark-Zielzustände können sowohl histo- risch als auch aktualistisch definiert werden bzw. Tierarten in Nationalparks hängt entscheidend sein. Die Wildnisentwicklung kann dementspre- chend gelenkt werden oder völlig frei ablaufen. Die davon ab, welches Nationalparkverständnis bzw. verschiedenen Grund-Konzepte haben auch Aus- wirkungen auf den Umgang mit dem Wildmanage- welche Vorstellung von Naturdynamik oder Wild- ment, im speziell betrachteten Fall der Jagd in Nationalparks auf Rothirsch, Reh, Wildschwein nis der jeweilige Betrachter bzw. Entscheider hat und Gämse sowie auf Neobiota wie Damhirsch und Mufflon. In den deutschen Nationalparks (NLP) über- wiegt derzeit (noch) das Leitbild der gelenkten Wildnisentwicklung. Die Gründe liegen vorwie- gend darin, dass die Gebiete zu Beginn der Aus- weisung oft noch nicht flächendeckend naturnah sind, so dass ein vorübergehender Renaturierungs- bedarf gesehen wird. Des Weiteren liegen auch
gerade bei der Nationalparkausweisung noch di- dingungen – Hinweis : die meisten Nationalparks Brunft der Rothirsche ( Cervus elaphus ) verse wirtschaftliche Nutzungen vor, die nach und befinden sich noch in der 30 jährigen „Übergangs- nach reduziert werden müssen. Auch die Kern phase“ (Stichwort : Entwicklungs-Nationalparks) - zonen anteile entsprechen anfangs häufig noch ein Wildmanagement möglichst Natur schonend nicht den fachlich gesetzten Zielen. Dement bzw. Nationalpark konform gestaltet werden kann. sprechend hat man sich für Deutschland geeinigt, eine bis zu 30 Jahre andauernde Übergangsphase –– Eine natürliche Wilddichte oder eine Größe zu akzeptieren, in der der Mensch noch in die des natürlichen Verbisses als Zielgröße lässt Prozesse eingreifen kann (z. B. zur Ökosystem sich gebietsübergreifend u.a. aufgrund der lenkung, Renaturierung etc.). Entsprechend akzep- unterschiedlichen Trophie der Standorte, tabel ist in diesem Zeitraum auch noch eine Be verschiedener Wildkombinationen und jagung, wenn sie ökologisch hergeleitet werden unterschiedlicher Prädation in den einzelnen kann. Dies ist z. B. der Fall bei stark überhöhten Nationalparks schwer ableiten. Wildbeständen, wenn diese eine naturnahe Ent- –– Probleme bestehen insbesondere zu Beginn der wicklung von Wäldern konterkarieren. NLP-Etablierung aufgrund z. B. von Alters Die entscheidende Frage ist nun, wann solche klassenwäldern und zu hohen Wildbeständen. Zustände, die eine Bejagung angeraten erscheinen –– Auch in Nationalparks ist ein Monitoring von lassen, vorliegen und wie die Schwellenwerte dafür Wild-Populationen und ihrer Verbisswirkung definiert werden können. Ein Vergleich der Rot- unerlässlich. 9 und Damhirschdichten in den deutschen National –– Die Schwellenwerte einer tragbaren Wild parks hat ergeben, dass hier von Park zu Park dichte liegen höher als in der (umgebenden) deutliche Unterschiede vorliegen. Diese erklären Normallandschaft, da in Nationalparks keine weitgehend, warum in manchen Parks noch inten- wirtschaftsbestimmte Nutzung stattfindet. sive Jagd auf den Rothirsch betrieben wird (Bsp. –– Jagd aus kommerziellen Gründen ist in Jasmund, Eifel, Harz), in anderen hingegen weni- Nationalparks auszuschließen; möglich ist ger oder stark reduziert. Aus Sicht des BfN ist es jedoch ein Wildmanagement. wünschenswert, dass man über gute Datengrund- –– Ruhebereiche (in den Kernzonen) bedeuten lagen zu den Wildpopulationen in Nationalparks für das Wild weniger Stress und damit weniger und deren Umfeld verfügt, um nachvollziehbare Verbiss (ein hoher Jagddruck fördert z. B. die Entscheidungen bezüglich des Wildmanagements Verbissbelastung). zu treffen. Bei der Fülle der Monitoring-Methoden –– Ziel sollte es sein, in der Kernzone keine sollten in Zukunft nur noch diejenigen angewen- Nutzungen und auch kein Arten- und Wild- det werden, die die Realität am besten abbilden. management zuzulassen (Übergangszeiträume Abschusspläne sollten auf den Ergebnissen mög- sollten dabei möglichst kurz ausfallen). lichst genauer Populationserfassungen fußen, aber –– Deutsche Nationalparks sind aber keine Inseln auch in Beziehung zu anderen Faktoren (z. B. der und als Lebensraum für wandernde Wild- Vegetationsentwicklung) gesetzt werden. Populationen häufig zu klein. Obwohl sich eine natürliche Wilddichte oder –– Ein Wildmanagement in der Entwicklungs eine Größe des natürlichen Verbisses als Ziel- zone kann vorübergehend wichtig sein, um größe (für Nationalparks) aufgrund verschiedener deutlich überhöhte Bestände auf ein tolerables Faktoren (unterschiedliche Trophie und Arten- Maß zu reduzieren, gerade wenn dort noch ein reichtum der Standorte, verschiedene Wildkombi- initialer Waldumbau stattfindet. nationen, unterschiedlich hohe Prädation, fehlende –– Die Bejagung im NLP-Umfeld muss ggf. „natürliche“ Vergleichsflächen in Mitteleuropa etc.) über das bisherige Maß hinaus erhöht werden, schwer ableiten lässt (gerade im Hinblick auf eine um möglichen Konzentrierungseffekten im Anwendung für alle Nationalparks gleicherma- Nationalpark und Verbiss induzierten Wald- ßen), wird dennoch – nicht zum ersten Mal – die schäden außerhalb des Nationalparks Frage aufgeworfen, ob nicht Schwellenwerte defi- entgegenzuwirken. niert werden können, die helfen, in Zukunft auf –– Wo immer möglich, sollten Neozoen wie besserer Datengrundlage zu entscheiden, wann in Damwild und Mufflon stark dezimiert bis ganz Nationalparks gejagt werden soll und wann nicht. aus Nationalparks verdrängt werden. Als besonders wichtig stellt sich dabei wegen der –– Die Ansiedlung natürlicher Prädatoren wie relativen Kleinflächigkeit der deutschen National- Luchs und Wolf in Nationalparks ist zu parks bzw. des hohen Raumbedarfs der Wildpopu- fördern (jedoch dürfen die erwarteten Effekte lationen die Umfeldbetrachtung heraus. Hingewie- bei großen Wildpopulationen nicht überbe- sen werden muss aber auch darauf, dass bisher in wertet werden). fast allen deutschen Nationalparks die natürlichen –– Der Nationalparkplan muss sich explizit mit „Regulierer“ des Wildes wie Luchs und Wolf, ggf. dem Wildmanagement befassen; dieses sollte auch Braunbär nicht vorkommen, wobei davon adaptiv ausgerichtet sein; eine Weiterbildung ausgegangen werden muss, dass deren Einfluss bei der Jäger in Bezug auf die Nationalparkbelange großen Wildpopulationen als eher moderat einzu- sollte sichergestellt werden. stufen sein dürfte. Nachfolgend werden Überlegungen und Vor- Dr. Volker Scherfose schläge unterbreitet, wie unter den derzeitigen Be- Bundesamt für Naturschutz (BfN)
Minimierung der Wildregulierung in einem Nationalpark – darf das überhaupt sein ? Dürfen Tiere in einem National- Schalenwildregulierung park, der höchsten deutschen Schutzkategorie, überhaupt geschossen werden ? Sind jährlich 600 getötete Huftiere im Hainich akzeptabel ? Wie im Nationalpark Hainich wird dieses Thema im Nationalpark Hainich ge- handhabt, wie ist der Stand und wie sieht hier ein Kompromissvorschlag aus ? Die Wildbestandsregulierung im Hainich bie- tet interessante Ansätze, deren Anwendung sich Ein Modell für alle anderen Nationalparks ? auch für andere Nationalparks als sinnvoll und praktikabel erweisen kann. Nach mehr als 10 Jahren Nationalparkentwick- lung (Gründung 1997) und mehr als 10 Jahren Umsetzung einer ersten Konzeption zur Wild regulierung, wurden 2009 für den Hainich ein neu- er Nationalparkplan erarbeitet und die Kernzone per Verordnung auf 75 % erweitert. Am 25. Juni 2011 sind zudem ausgewählte Buchenwaldgebiete des Hainich – neben vier weiteren Gebieten in Deutschland – von der UNESCO zum Weltna- turerbe erklärt worden. All dies hat Auswirkungen auf die Wildregulierung im Nationalparkgebiet. Im Februar 2010 wurde der Nationalparkplan vom Thüringer Umweltminister gebilligt. Mittlerweile liegt ein überarbeitetes und angepasstes Konzept zur Wildregulierung vor. 95 % der Nationalpark fläche sind Eigentum des Freistaats und stehen da- mit in eigener jagdlicher Verantwortung.
Wildtierregulierung ist unstrittig ein Eingriff in te Bereiche im Inneren des Nationalparks (die Bärlauchreicher Buchenwald im natürliche Abläufe (hier : Entwicklung von Tierpo- Welterbefläche) sowie stärker regulierte Bereiche Nationalpark Hainich pulationen), die in einem Nationalpark möglichst im Grenzbereich des Nationalparks vorsieht. ungestört stattfinden sollen. Das Prinzip „Natur Der prioritäre Schutzzweck des Nationalparks Natur sein lassen“ wird durchbrochen. Auf der an- „Sicherung und Herstellung eines weitgehend un- deren Seite haben Tierbestände, die weit höher als gestörten Ablaufs der Naturprozesse“ schließt in der Naturlandschaft sind, gravierende Einflüsse grundsätzlich jegliche direkten menschlichen Ein- auf die Artenzusammensetzung, -dynamik und griffe aus. Im Hainich ist die Ausübung der Jagd natürliche Entwicklung. unter Beachtung des Schutzzwecks erlaubt. Jagd Der Grundansatz im Hainich ist : Eine Orien- ist deshalb nur im Rahmen der Unterstützung der tierung der Waldentwicklung an vermuteten – aber Naturschutzziele als Managementmaßnahme zu- weder sicher zu belegenden geschweige denn wie- lässig. Gründe für jagdliche Eingriffe als Wild derherzustellenden – „natürlichen“ Verhältnissen tiermanagement sind eine von Wildarten ausge- in der Vergangenheit führt in die falsche Richtung. hende Seuchengefahr sowie mögliche übermäßige Nicht die Wiederherstellung ehemaliger Wald Schäden auf angrenzenden land- und forstwirt- bilder ist das Ziel im Nationalpark Hainich, son- schaftlichen Flächen. Wenn eingegriffen wird, dern eine Entwicklung von Lebensräumen unter sollte diese Störung auf ein Minimum reduziert weitgehendem Ausschluss direkter menschlicher werden. Hierbei werden Jagdmethoden bevorzugt, Einflüsse zu ermöglichen. Natürliche Entwicklung mit denen schnell, effektiv, tierschutzgerecht, in 11 heißt hier, dass sich der Wald mit den hier ur- möglichst kurzen Zeiträumen und für den Besu- sprünglichen Pflanzen- und Tierarten unter den cher unauffällig in die Wildbestände eingegriffen jeweils herrschenden Standortbedingungen ohne werden kann. direkte menschliche Einflüsse entwickeln kann. Hierfür wurde ein differenziertes Konzept ent- Indirekte Einflüsse des Menschen über Standort- wickelt, das inhaltlich vier Schalenwildarten be- und Umfeldveränderungen müssen akzeptiert wer- rücksichtigt (wovon drei reguliert werden sollen) den. Dadurch bedingter Verbiss ist aus Sicht der und räumlich drei Zonen vorsieht. Es entstand auf Nationalparkziele zu tolerieren. Grundsätzlich gilt der Basis des Gesetzesauftrages, gründet auf mehr auch hier, lange Zeiträume der Entwicklung zu be- als 10 Jahren Erfahrung mit der Wildregulierung trachten. Selbst Zeitspannen ohne jegliche Verjün- im Hainich, berücksichtigt interne Diskussionen gung würden nicht dazu führen, dass der Wald ver- unter Hinzuziehung von Fachleuten und bezieht schwindet. Einer natürlichen Entwicklung ohne jeglichen direkten Einfluss des Menschen ist daher mehr Freiraum einzuräumen. Auch bei der Wild- regulierung sollte mehr „Natur Natur sein lassen“ ermöglicht werden. Es muss aber auch dem Um- stand Rechnung getragen werden, dass der Natio- nalpark von einer intensiv genutzten Kulturland- schaft umgeben ist und von Wildtieren dort Die wüchsigen verursachte Schäden auf land- und forstwirtschaft- Muschelkalk-Standorte lich genutzten Flächen zu Akzeptanzproblemen haben ein enormes Verjüngungspotential führen können. Aus diesem Grund ist ein abgestuf- – hier flächendeckend tes Konzept entwickelt worden, das völlig beruhig- der Berg-Ahorn
die Vorgehensweisen in anderen Wald-National- auf die Population als nicht nennenswert bezeich- parks in Deutschland mit ein. net werden kann. Eine Regulierung auf einem Der aktuelle Bestand beim Rotwild ist gering, Großteil der Fläche wird daher eingestellt. Ausge- Probleme in Bezug auf das Schutzziel des Natio- nommen bleiben Randstreifen zu anderen Wald nalparks werden bei dieser Wildart derzeit nicht eigentümern, wo aufgrund des Verbissdrucks eine festgestellt. Auch die Außenwirkung auf angren- Reduktion der Rehwilddichte angestrebt wird. zende andere Waldeigentümer und Jagdbezirke Einzeljagd auf Schwarzwild und Damwild kann derzeit als sehr gering bezeichnet werden. findet ausschließlich im Randstreifen des Natio- Daher wird eine Regulierung des Rotwildes als nalparks statt. Auf Rehwild wird in einem Rand- nicht notwendig betrachtet; die Bejagung wurde streifen an der Grenze zu anderen Waldeigen 2010 eingestellt. Damwild ist vor etwa 30 Jahren im tümern und Jagdbezirken die Einzeljagd ausgeübt. Hainich ausgewildert worden. Der Bestand ist Bewegungsjagden werden auf dem Großteil der deutlich höher als der des Rotwildes. Zielstellung Nationalparkfläche ein- bis zweimal jährlich pro für die nächsten fünf Jahre ist ein Verhindern des Flächeneinheit (Größe der Einheiten zwischen 500 Anwachsens der Damwildpopulation. Schwarz- und 1.000 ha) durchgeführt. In der Weltnatur wild ist auf nahezu der gesamten Nationalpark erbefläche werden keine Bewegungsjagden durch- fläche häufig anzutreffen, stellt aber für die Schutz- geführt. Aufgrund der schwierigen Geländebe ziele des Nationalparks keine Gefährdung dar. dingungen und der geringen Erschließung ist ein Eine Regulierung ist diesbezüglich nicht erforder- hoher Organisationsgrad der Bewegungsjagden in 12 lich. Allerdings ist der Einfluss auf an den Natio- Bezug auf logistische Abläufe, Wildbergung, Nach- nalpark angrenzende landwirtschaftlich genutzte suche und Sicherheit erforderlich. Eingesetzt wer- Flächen erheblich. Zudem besteht bei einer hohen den ausschließlich für Bewegungsjagden geeignete Dichte von Wildschweinen ein latentes Risiko des und brauchbare Stöberhunde. Der Zeitraum für Ausbruchs seuchenartiger Krankheiten wie der die Wildregulierung ist vom 01. 08. – 31.12. Die Schweinepest. Aus diesen Gründen ist eine Regu- Zahl der jagdlichen Einrichtungen im National- lierung der Schwarzwildpopulation erforderlich. park ist auf ein erforderliches Minimum reduziert. Rehwild ist neben Schwarzwild die häufigste Jagdliche Einrichtungen werden für Besucher un- Schalenwildart im Hainich. Der relativ geringe Ab- auffällig im Gelände aufgestellt. Die Zone 1 (75 %) schuss der vergangenen Jahre und das territoriale bleibt mit Ausnahme einfacher Drückjagdhoch Verhalten der Rehe lassen den Schluss zu, dass der sitze bzw. -böcke grundsätzlich frei von festen jagd- Einfluss der bisherigen Wildbestandsregulierung lichen Einrichtungen; die Welterbefläche bleibt völlig frei. Alle Maßnahmen der Wildregulierung eines abgeschlossenen Jagdjahres werden einer kritischen Überprüfung unterzogen. Ziel ist eine Optimierung von Jagdstrategie, -methoden, Ab läufen, Sicherheit und Organisation der Wild bestandsregulierung. Maßnahmen der Wildregu- lierung sollen wissenschaftlich begleitet werden, Kennzeichnend für um mögliche Entscheidungshilfen zu entwickeln. den Hainich sind Wie und wer ein solches Monitoring macht, ist großflächige Laub- wälder mit hohem allerdings noch völlig offen. Baumartenreichtum Fuchs, Dachs, Marder und Iltis stellen wichtige Prädatoren im Nationalpark dar. Gründe für deren Management gibt es aus Nationalparksicht nicht. Marderhund und Waschbär sind Neozoen. In der Schutzzone 2 ist eine Bejagung bei Seuchengefahr oder der Gefahr von übermäßigen Schäden auf an- grenzende Tierbestände möglich. Das vorliegende Konzept ist nicht für alle Zeit festgeschrieben und nicht unveränderbar, sondern bedarf der laufenden kritischen Betrachtung (unter Berücksichtigung von gewissen Zeiträumen). Im Hainich findet keine konventionelle Jagd mehr statt, sondern eine Wildregulierung unter Beach- tung der Nationalparkziele. Manfred Grossmann Nationalpark Hainich
Wenn Wildnis an ihre Luchse haben große Streifgebiete, die weit über die Schutzge- bietsgrenzen hinaus Grenzen stößt reichen Wildtiermanagement und -forschung im Grenzbe- Der Nationalpark Bayerischer Wald wurde 1970 als erster Nationalpark in Deutschland gegründet. reich zwischen Kulturlandschaft und Nationalpark Damit stellte Bayern eine einmalige Wald- und Mittelgebirgslandschaft an der Landesgrenze zur – Forschungsergebnisse aus dem Nationalpark Tschechischen Republik unter Schutz. Im Jahr 1997 erweitert, umfasst das Schutzgebiet mittler- Bayerischer Wald weile eine Fläche von über 240 km². Auf der tschechischen Seite schließt sich un- mittelbar der Nationalpark Šumava mit einer Flä- chengröße von 690 km² an. Diese Schutzgebiete sind weiterhin eingebettet in den Naturpark Baye- rischer Wald (3.070 km²) und das Landschafts- schutzgebiet Šumava (1.000 km²). Die gesamte Gebietskulisse wird auch als „Greater Bohemian Forest Ecosystem“ bezeichnet. Aufgrund dieser Voraussetzungen hat die Region eine herausragen- de Bedeutung für den Schutz von Großtierarten. Darauf weisen die Vorkommen von Luchs, Rot- hirsch, Elch, Wolf (durchwandernde Einzeltiere), Fischotter, Habichtskautz, Auer-, Birk- und Hasel- huhn hin. Aufgrund ihrer Größe und Lage zwi- schen Karpaten und Alpenraum spielt das Gebiet
Randbereich noch eine Kirrung auf Rehe und Rot- ČESKÁ REPUBLIKA hirsche statt. Cham REGEN (Teschechische Republik) Während der Schutz kleinerer Tiere aufgrund Železná Ruda (Böhm. Eisenstein) Kašperské Hory ihres geringeren Raumanspruches bereits inner- Bayer. (Bergreichenstein) Eisenstein halb von Nationalparks möglich ist, können Groß- Vimperk V (Winterberg) tiere nicht alleine in den vergleichsweise kleinen (M LTA Zwiesel ol VA da Schutzgebieten Mitteleuropas erhalten werden. u) Bogen Regen Volary (Wallern) Das ist insbesondere bei Tieren mit saisonalen Wanderungen oder sehr großen Streifgebieten der Straubing Deggendorf Grafenau Horní Planá Freyung Fall. Im Umfeld von Schutzgebieten kommt es des- DO halb immer wieder zu besonderen Konfliktsituatio NA U DEUTSCHLAND Waldkirchen nen, da hier sehr unterschiedliche Zielsetzungen ILZ aufeinandertreffen. Auf der einen Seite befindet Passau sich die traditionelle Kulturlandschaft, in der die ÖSTERREICH Natur seit langer Zeit durch den Menschen ge- nutzt und gepflegt wird, auf der anderen Seite Naturpark Bayer. Wald rd. 3.070 km² Landsch.schutzgeb. Šumava rd. 1.000 km² steht die Naturlandschaft, in der sich die Natur Nationalpark Bayer. Wald rd. 240 km² Nationalpark Šumava rd. 690 km² nach ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten entwickeln Summe Schutzgebiete rd. 5.300 km² darf. Was im Nationalpark als gewünschter natür- 14 licher Prozess angesehen wird, kann in der Kultur- landschaft ein wirtschaftlicher Schaden sein. Da Tiere in der Regel hochmobil sind, wechseln sie Schutzgebiete im zudem eine zentrale Rolle als Knotenpunkt inner- immer wieder zwischen diesen beiden Welten hin Böhmerwaldökosystem halb des europäischen Habitatverbundsystems. und her. Gerade im Randbereich der Schutzgebie- Der Erhalt von Großtieren ist insbesondere te sind dadurch Konflikte vorprogrammiert. Fisch- notwendig, weil sie Träger wichtiger Prozesse sind, otter plündern Teiche und fressen die Bäche leer, die einen bedeutenden Einfluss auf die Entwick- Rehe und Rothirsche, die das Schutzgebiet verlas- lung der Ökosysteme ausüben. Dabei können je sen schälen und verbeißen Bäume in den angren- nach Ausgangsbedingungen sowohl positive als zenden Wirtschaftswäldern, Luchse wiederum auch negative Wirkungen auf die Biodiversität be- fressen Rehe und stehen deshalb in Konkurrenz obachtet werden. Das Vorhandensein der Groß- zum menschlichen Jäger. Diese Liste ließe sich tierfauna in einer Landschaft ist folglich nicht nur noch beliebig verlängern. maßgeblich für die Vollständigkeit der Biozönose, Telemetriestudien bei Luchs und Reh in den sondern hat darüber hinaus auch eine umfassende Nationalparks Šumava und Bayerischer Wald zei- Wirkung auf die Struktur und die Funktion von gen, dass ein mindestens 15 km breiter Puffer um Ökosystemen. Somit greift eine Nationalparkver- die Schutzgebiete notwendig ist, um die Wande- waltung durch Maßnahmen des Wildtiermanage- rungen der Nationalparktiere zu umfassen. Daraus ments in erheblichem Umfang in die natürlichen ergibt sich eine Fläche von über 3.500 km², die in Abläufe ein. Entsprechend der Nationalparkziel- das Wildtiermanagement der Parks mit einbezo- setzung ist es deshalb notwendig, die menschlichen gen werden muss. Berücksichtigt man auch die na- Eingriffe so weit als möglich zu reduzieren, um das türlichen Wanderungen von Rothirschen, vergrö- Wirken von vom Menschen ungelenkten Prozes- ßert sich die Gebietskulisse weiter. Eine wesentliche sen zu ermöglichen. Das heißt konkret, dass Voraussetzung für den Erhalt von Großtieren stellt 1. möglichst die natürliche Artenzusammenset- somit die Zusammenarbeit der Parkverwaltungen zung der Großsäugerfauna wiederhergestellt mit den Interessensgruppen in der Umgebung der werden sollte, Schutzgebiete dar (ecosystem approach). Auch 2. Maßnahmen der Wildtierregulierung auf ein wenn Nationalparkverwaltungen aus rechtlicher Minimum reduziert, möglichst außerhalb des Sicht nicht für die Schäden der Tiere außerhalb Schutzgebietes oder zumindest in dessen der Parks verantwortlich gemacht werden können, Randbereich durchgeführt werden sollte, ist es doch notwendig, dass sie sich aktiv an 3. eine Fütterung und Kirrung der Tiere zu un- der Lösung der Probleme beteiligen, um nicht terbleiben hat. einen Verlust an Akzeptanz für das Schutzgebiet zu riskieren. Im Nationalpark Bayerischer Wald findet aktu- Dass eine Zusammenarbeit mit den Interes- ell auf 17.000 ha (71 % der Fläche) keine Regulie- sensgruppen im Umfeld der Nationalparks nicht rung der Wildtierbestände mehr statt. Für Rehe immer einfach ist, zeigt das Projekt „Rothirsch auf beträgt diese Fläche sogar 20.000 ha (83 %). neuen Wegen“ der Nationalparkverwaltung Bayeri- Zusätzlich ist unmittelbar angrenzend im scher Wald. Ziel des Projektes war es, dass sich die Nationalpark Šumava auf 6.000 ha die Rothirsch- Rothirsche wieder in allen Jahreszeiten ihren Le- regulierung und auf 60.000 ha die Rehregulierung bensraum selbst suchen können und der Abschuss eingestellt. Die Wildtierfütterung wurde im Natio- aus dem Nationalpark in die Privatjagden des Na- nalparkgebiet bis auf die Fütterung in 4 Winter tionalparkumfeldes verlagert wird. Dadurch sollte gattern beendet. Im Erweiterungsgebiet findet im auch erreicht werden, dass die 4 Wintergatter des
Nationalparks nach und nach aufgelöst werden, genetik umfassen. Darüber hinaus erfolgt ein in- nachdem eine Befragung der Bayerischen Landes- tensives Monitoring der Vegetation (Verbiss, anstalt für Wald und Forstwirtschaft von 2004 er- Äsungskapazität) und von Wildkrankheiten mit geben hatte, dass mehr als 50 % der Jagdpächter einem Schwerpunkt bei Zoonosen. Ein weiteres eine Auflösung der Wintergatter befürworten wür- Modul stellt den Einfluss von Großtieren auf die den. Daraufhin rief die Nationalparkverwaltung biologische Vielfalt und die Modellierung der eine Arbeitsgruppe ins Leben, die das Rothirsch- komplexen Interaktionen von Wildtieren und management im Nationalpark und dessen Umfeld Wald dar. Im Fokus der Wildtierforschung steht diskutieren und ein Konzept für den Umgang mit auch der Faktor Mensch, dem eine entscheidende dem Rothirsch entwerfen sollte. In der Arbeits- Bedeutung im Wildtiermanagement zukommt. So gruppe sollten alle Interessensgruppen (Forst, Jagd, wurden in den letzten Jahren mehrere Akzeptanz- Waldbesitz und Naturschutz) vertreten sein und es untersuchungen und politikwissenschaftliche Ana- wurde vereinbart, dass Entscheidungen nur ein- lysen durchgeführt, um auf dieser Basis die strate- stimmig getroffen werden können. Trotz dieses gische Ausrichtung, Handlungsempfehlungen und partizipativen Ansatzes kam die Arbeitsgruppe Kommunikationskonzepte zu erarbeiten. nicht zustande, da die Vertreter der Jäger und Aus diesen Überlegungen können auch die Waldbesitzer aus dem Erweiterungsgebiet des Handlungsschwerpunkte für die nächsten Jahre Nationalparks jegliche Diskussion zu dem Thema abgeleitet werden, die in einer weiteren Rückfüh- ablehnten und somit ein einstimmiges Konzept a rung der Managementintensität, einer intensiven 15 priori nicht möglich war. Mit der Diskussion Öffentlichkeitsarbeit für Wildtiere (siehe auch des Themas ging auch ein Meinungsumschwung www.luchserleben.de) und der Integration des Na- einher : Eine 2009 durchgeführte Befragung er- tionalparks in sein Umfeld liegen und auf wissen- gab, dass nun nur noch knapp 25 % der Jäger für schaftlicher Grundlage umgesetzt werden sollen. die Auflösung der Gatter waren. Noch interessan- ter war das Ergebnis zu der Frage „Halten Sie Dr. Marco Heurich die Wintergatterlösung für artgerecht ?“. Während Nationalpark Bayerischer Wald 2004 nur 14 % der Jäger diese Frage bejahten waren es 2009 über 40 %. Dieses Beispiel zeigt, dass gut gemeinte Ansätze sich ins Gegenteil verkehren können. Die Natio- nalparkverwaltung wollte das Rothirschmanage- ment verändern und die Wintergatter auflösen und ist mit diesem Vorhaben gescheitert. Gleichzeitig erreichte die Wintergatterkonzeption (die bei ihrer Gründung von der Jägerschaft abgelehnt wurde) eine bislang nie dagewesene Akzeptanz. Das Ergebnis einer politikwissenschaftlichen Analyse zeigte, dass die Ablehnung des Projektes weniger mit dem Rothirschmanagement als solchem, als Professionelle Wild- vielmehr mit der Nationalparkkonzeption (Stich- tierforschung liefert die Grundlage für wort: Borkenkäfermassenvermehrung) und grund- ein fundiertes Wild- legendem Misstrauen gegenüber der Nationalpark- tiermanagement verwaltung im Erweiterungsgebiet des Parks verbunden war. Aufgrund der vielfältigen Verflechtungen, Konflikte und der komplizierten ökologischen Zu- sammenhänge und Wechselwirkungen hat die Na- tionalparkverwaltung Bayerischer Wald in den letzten Jahren ein umfangreiches Forschungs- und Monitoringprogramm gestartet, das dazu beitra- gen soll, Managemententscheidungen zu Maßnah- men der Wildtierregulierung auf eine fundierte Grundlage zu stellen. Denn nur eine Konzeption auf einer wissenschaftlich fundierten Basis ist auf Dauer tragfähig. Darüber hinaus können For- schungsergebnisse klar kommuniziert werden und helfen, die Diskussion mit den verschiedenen Inte- ressensgruppen zu versachlichen. Zum For- schungskonzept der Nationalparkverwaltung ge- hören verschiedene Module, die neben dem Bestandsmonitoring der betreffenden Arten auch die Erforschung des Raum-Zeit-Verhaltens mittels Satellitentelemetrie und Aspekte der Naturschutz-
Prädatorenmanagement in Unter dem Begriff Prädatorenmanagement sind in den deutschen Nationalparks in erster Linie jagd deutschen Nationalparks? liche Eingriffe in die Populationen ausgewählter Prädatorenarten zu verstehen. Aus dem breiten Spektrum der vorkommenden potentiellen Präda- toren liegt der Fokus dabei fast ausnahmslos auf der Gruppe der Raubsäuger (Ordnung Carnivora), Notwendigkeit und Machbarkeit regulativer wobei auch innerhalb dieser Artengruppe nur we- nige mittelgroße Raubsäuger, die über Jagdzeiten Eingriffe am Beispiel des Waschbären verfügen, relevant sind. Ziele des Prädatorenmanagements sind zum (Procyon lotor) einen reduktive Eingriffe in die bestehenden Popu- lationen der betreffenden Raubsäugerarten, um den Prädationsdruck auf gefährdete Artengruppen zu reduzieren (z. B. Küstenvogelschutz). Zum anderen spielen die Überwachung des Gesund heitszustandes im Rahmen eines epidemiologi- schen Monitorings und Eingriffe im Zuge von Konflikt managementmaßnahmen (z. B. Dünen- und Deichschutz) eine Rolle. Dabei wird das Prä datorenmanagement im Hinblick auf die betreffen- den Tierarten, Ziele und Methoden in den einzelnen Nationalparks sehr unterschiedlich ge- handhabt (Abb. 1). So finden in fünf der 14 deut- schen Nationalparks keinerlei Eingriffe (mehr) statt, in sieben der Nationalparks kommen einzel- ne, extensive Abschüsse vor und in zwei Küsten- Nationalparks findet ein intensiver Eingriff in ein relativ großes Artenspektrum statt, bei dem auch die Fallenjagd eingesetzt wird (siehe Tabelle S. 18).
Waschbär Beispiel Waschbär ( Procyon lotor ) Vor über 80 Jahren eingeführt, ist der Neu bürger Waschbär heutzutage in weiten Teilen Europas naturalisiert und besitzt nach bundes- deutschem Recht den Status einer „heimischen Art“ (BNatSchG §7 Abs. 2 Nr. 7). Dennoch ist der Waschbär eine ursprünglich gebietsfremde Art. Nach der Biodiversitäts-Konvention von Rio (Artikel 8h der CBD, Convention on Conservation of Biological Diversity, von 1992) werden die Ver- tragsstaaten, zu denen Deutschland seit 1993 ge- hört, verpflichtet, Maßnahmen zur „Verhinderung Notwendigkeit regulativer der Einfuhr sowie zur Kontrolle und Ausrottung allochthoner Arten, die Ökosysteme, Lebensräume Eingriffe oder Arten gefährden“ zu treffen. Diese sogenann- Gesundheitliche Risiken ten invasiven, gebietsfremden Arten sind demnach Tier- und Pflanzenarten, die eine nachweisliche Im Gegensatz zu seiner nordamerikanischen Hei- Gefahr für die Natur in ihrem neuen Siedlungsge- mat weist der Waschbär in Mitteleuropa nur ein 17 biet darstellen bzw. negative Auswirkungen auf sie recht begrenztes Parasitenspektrum auf und spielt haben. Manche von ihnen können zudem ökono- als Überträger von Krankheiten und Seuchen (z. B. mische Schäden oder gesundheitliche Gefahren Tollwut) bislang kaum eine Rolle (Gey 1998). verursachen (BfN 2005). Als parasitäre Zoonosen kommen einige poten- Um die Frage nach der Invasivität und somit tielle Parasiten in Frage, jedoch gilt in Deutschland der Notwendigkeit regulativer Eingriffe unter dem nur ein Parasit des Waschbären als möglicher Zoo- Blickwinkel der CBD zu beleuchten, soll im Fol- noseerreger – der Waschbärspulwurm (Baylisasca- genden der Wissenstand zu den drei genannten ris procyonis). In vereinzelten Fällen kann der Wirkungsebenen (gesundheitliche Risiken, öko Mensch als Fehlzwischenwirt fungieren und sich nomische Schäden, ökologische Gefahren) kurz über die akzidentelle, orale Aufnahme von infekti- vorgestellt werden : ösen Spulwurmeiern infizieren. Empirische Daten zeigen jedoch, dass eine Erkrankung an einer sog. Baylisascariose auch in stark durchseuchten urba- nen Habitaten (z. B. Kassel) beim Menschen nur äußerst selten auftritt. So sind in Europa seit der Einbürgerung des Waschbären vor über 70 Jahren bislang lediglich drei Fälle nachgewiesen worden, bei denen sich Menschen mit den Larven dieses Kiel Nematoden infiziert haben. Schwerin In der Tollwutepidemiologie spielt der Wasch- Hamburg bär in Mitteleuropa bisher praktisch keine Rolle. Bremen Seit seiner Einbürgerung sind europaweit weniger Berlin als 20 Fälle bekannt geworden, bei denen wild Hannover lebende Waschbären mit dem klassischen Tollwut- Potsdam Magdeburg virus (Rabiesvirus) infiziert waren (Wachendörfer 1979; Stubbe 1993). Möglicherweise sind Waschbä- Düsseldorf ren für den europäischen Virustyp der silvatischen Abbildung 1 : Erfurt Dresden Tollwut nur wenig empfänglich. In Gefangen- Übersicht zum aktuellen Wiesbaden schaftshaltung wurde wiederholt beobachtet, dass Prädatorenmanagement sich tollwutinfizierte Waschbären in ihre Höhlen in den 14 deutschen Mainz Nationalparks, dargestellt Saarbrücken zurückzogen und somit nicht das für die Verbrei- für die relevanten autoch tung essentielle Verhalten einer gesteigerten Ag- thonen und allochthonen gressivität zeigen. Raubsäugerarten Stuttgart Waschbären sind keine Wirtstiere für den München Fuchsbandwurm (Echinococcus multilocularis), spielen keine Rolle als Vektoren für Räudemilben (Sarcoptes scabiei) und sind bisher nicht als Träger von Trichinen (Trichinella spiralis) in Erscheinung getreten. Dagegen können sie potentielle Träger intensive Eingriffe gebietsfremde von Staupeviren (CDV) und Kuhpocken (Ortho- Raubsäuger poxvirus) sein (Wibbelt et al. 2008; Michler et al. vereinzelte Eingriffe autochtone 2009; VA LK Harz 2010). Raubsäuger Insgesamt ist das epidemiologische Risiko des keine Bejagung Waschbären in Mitteleuropa derzeit als gering einzuschätzen.
Übersicht zum aktuellen Prädatorenmanagement in den 14 deutschen Nationalparks Nationalpark Prädatorenbejagung Bejagte Arten Ziel Methoden der Prädatorenbejagung der Prädatorenbejagung Bayerischer Wald nein ( seit 1970 ) — — — Berchtesgaden nein ( seit 1995 ) — — — Schleswig-Holsteinisches ja Fuchs Küstenschutz Abschuss Wattenmeer Niedersächsisches ja Fuchs, Dachs, Iltis, Steinmarder, Regulation ( Küstenvogelschutz ) Abschuss & Fallenjagd Wattenmeer Hermelin, Marderhund, Haus katze, Frettchen, Wanderratte etc. Hamburgisches nein ( seit 1990 ) — — — Wattenmeer Müritz ja Fuchs, Marderhund, Waschbär epidemiologisches Monitoring Abschuss Jasmund ja Fuchs, Marderhund, Waschbär epidemiologisches Monitoring Abschuss Vorpommersche ja Fuchs, Dachs, Stein- und Regulation ( Küstenvogelschutz ), Abschuss & Fallenjagd Boddenlandschaft Baummarder, Iltis, Hermelin, epidemiologisches Monitoring 18 Mink, Waschbär, Marderhund Unteres Odertal ja Fuchs, Marderhund, Waschbär Hochwasserschutz, Abschuss Konfliktmanagement in Siedlungsnähe Sächsische Schweiz ja Fuchs, Neozoen epidemiologisches Monitoring Abschuss ( Fuchs ), Verhinderung Bestandsaufbau ( Neozoen ) Hainich ja * Waschbär, Marderhund Konfliktmanagement in Abschuss Siedlungsnähe und Randbe reichen des Nationalparks, Seuchenabwehr Eifel nein ( seit 2004 ) — — — Kellerwald-Edersee nein ( seit 2004 ) — — — Harz ja Fuchs, Waschbär, Marderhund Artenschutzgründe — ( z. B. Bejagung im Umfeld des Auerwildgeheges ) * Angabe auf der Grundlage des aktuellen Entwurfs zum Konzept der Wildregulierung im Nationalpark Hainich ( Stand September 2011 ) Ökonomische Schäden Waschbären können durch Fraßschäden Erntever- Im menschlichen Siedlungsraum können luste in Obstplantagen, Weinanbaugebieten und Waschbären im Vergleich zu naturnahen Habita- landwirtschaftlichen Nutzflächen verursachen. ten deutlich höhere Populationsdichten erreichen Allgemein hält sich der ökonomische Schaden je- (Michler et al. 2004). Durch die wiederholte doch in Grenzen, wie z. B. Untersuchungen aus Nutzung von Dachböden und Kaminschächten als Kanada gezeigt haben – so bleiben die Verluste Schlaf- resp. Wurfplätze können an einzelnen Ge- beispielsweise beim Futtermais weit unter 1 Pro- bäuden für die betroffenen Hausbesitzer kostspie- zent (Rivest & Bergeron 1981). Aufgrund der deut- lige Schäden entstehen (zerstörte Dachisolierung, lich geringeren Populationsdichten in Europa sind Schäden durch Kot und Urin etc.). Aus diesem bei uns derzeit keine bedeutenden landwirtschaft- Grund wird beispielsweise in Kassel (Nordhessen) lichen Schäden zu erwarten. mittlerweile ein einzigartiges Konflikt- und Habi- tatmanagement angewandt, mit dem die vorhande- nen Probleme effektiv minimiert werden können (Michler 2004).
Ökologische Gefahren Ob die Anwesenheit des anpassungsfähigen weiß & Wolf (2009) in Brandenburg Indizien, die Waschbären in Europa negative ökologische Fol- auf von Waschbären verursachte Prädations gen haben wird, lässt sich aufgrund einer relativ ereignisse an Europäischen Sumpfschildkröten geringen Wissensbasis noch nicht endgültig beant- (Emys orbicularis) hinweisen. worten – mangels einer ausgeprägten Speziali Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sierung dieses Allesfressers gilt dies in naturnahen Waschbären in Deutschland – mit Ausnahme der Lebensräumen jedoch als unwahrscheinlich (Hoh- Problemfelder im Siedlungsraum – keine bedeu- mann 2000). tenden ökonomischen Schäden verursachen und Bisher wurde in keiner wissenschaftlichen Un- eine geringe epidemiologische Bedeutung besitzen. tersuchung ein ernsthafter Prädationsdruck des Aufgrund des vorhandenen Wissensdefizits lassen Waschbären auf heimische Tierarten nachgewiesen sich die ökologischen Schäden noch nicht valide (Lutz 1981; Hohmann & Hupe 1998; Horstmann & einschätzen, so dass die Frage nach der Notwen- Schmincke 2004). digkeit regulativer Eingriffe derzeit nicht eindeutig Aufgrund der opportunistischen Lebensweise zu beantworten ist. und der spezifischen Einnischung des Waschbären (taktile Nahrungssuche) gibt es ebenso wenig ei- nen Anhaltspunkt für einen vorhandenen Kon kurrenzdruck auf heimische Raubwildarten wie Machbarkeit regulativer 19 Dachs, Rotfuchs oder Wildkatze (Lutz 1981). Auch Eingriffe sind keinerlei Hybridisierungen bekannt, die zu einer Gefährdung einheimischer Arten führen 20 Jahre nach der ersten erfolgreichen Ausset- könnten. Allgemein lässt sich festhalten, dass es zung am Edersee (Nordhessen) begann im Jahre bisher keine Hinweise darauf gibt, dass die Arten- 1954 in Deutschland die Bejagung des ursprünglich vielfalt und die Populationsdichten der Arten in nearktischen Neubürgers mit dem vorrangigen Gebieten, in denen Waschbären seit mehreren Ziel der Wiederausrottung. Im Jahre 1956 wurde Jahrzehnten leben, geringer sind als in waschbär- amtlich „der rücksichtslose Abschuss aller zu freien Regionen. Jedoch ist nicht auszuschließen, Gesichte kommenden Waschbären angeordnet“ dass Waschbären lokal einen negativen ökologi- (Kampmann 1972) und noch 1975, als sich das schen Einfluss haben können. So nennen Schnee- Verbreitungsgebiet dieser Kleinbären auf über 40.000 km2 ausgedehnt hatte, appellierte der Pio- nier der europäischen Waschbärenforschung Hans Kampmann an die deutschen Jäger : „… es bleibt die Hoffnung, dass, wenn wir alle eifrige Waschbär jäger werden, wir das Waschbärproblem doch noch in den Griff bekommen werden“ (Kampmann HRO 1975). Im Ergebnis dieser Bemühungen stieg die Jagdstrecke in Deutschland beständig auf mittler- HH weile über 50.000 erlegte Waschbären pro Jahr an, ohne jedoch den gewünschten Effekt einer Zu- HB rückdrängung zu erreichen. Der Waschbär breitete sich in den vergangenen 70 Jahren kontinuierlich B aus und kommt mittlerweile in allen 16 Bundes H MD ländern in sehr unterschiedlichen Dichten vor. Trotz zeitweise recht drastischer Methoden (Bau- HAL vergasungen, Einsatz von Tellereisen) erreichten DO L die Eingriffe in die Waschbärpopulation nie einen KS DD nachhaltig reduktiven Charakter. So werden z. B. momentan in Deutschland deut- lich weniger als 10 % des vorhandenen Gesamtbe- standes erlegt : Nach einer Modellierung bezogen F 0 auf die aktuelle Fläche mit Waschbärvorkommen 1–5 6 – 20 N 21 – 50 Abbildung 2 : R 51 – 100 Verbreitung des Waschbären in Deutschland auf der S 101 – 250 Grundlage von Jagstrecken der Jahre 2006 bis 2008 bezogen auf die Landkreise und kreisfreien Städte 251 – 500 501 – 1000 M 1001 – 2500 2501 – 5000 > 5000
(siehe Abb. 2) und einer restriktiv angenommenen Diese Zahlen machen deutlich, dass mit der mittleren Dichte von vier Individuen pro 100 ha derzeitigen Jagdpraxis / Gesetzgebung ein redukti- (Min.: 2/100 ha; Max.: 100/100 ha; Michler 2007) ver Eingriff bzw. die Eliminierung oder Verhinde- leben derzeit mindestens 500.000 Waschbären in rung einer Neubesiedlung auf großer Fläche kaum Deutschland. Von diesem angenommenen Bestand möglich ist. wurden in den letzten fünf Jahren (2006 – 2011) im Mittel knapp 40.000 Waschbären pro Jagdjahr er- Frank-Uwe Michler legt (entspricht 8 %). Damit der jagdliche Eingriff Technische Universität Dresden einen reduktiven Charakter erreicht, müsste die Institut für Forstzoologie Tharandt, Jagdstrecke in den kommenden Jahren bei mindes- Arbeitsgruppe Wildtierforschung tens 300.000 erlegten Waschbären pro Jahr liegen, das entspricht einer Erhöhung der aktuellen Jahresjagdstrecke um ca. 800 %. Quellen 20 BfN – Bundesamt für Naturschutz [ Hrsg.] ( 2005 ) : Michler, F.-U.; Hohmann, U. & Stubbe, M. ( 2004 ) : Gebietsfremde Arten Aktionsräume, Tagesschlafplätze und Sozialsystem Positionspapier des Bundesamtes für Naturschutz – des Waschbären ( Procyon lotor Linné, 1758 ) im urbanen BfN-Skripten 128, 30 S. Lebensraum der Großstadt Kassel ( Nordhessen ) In : Jagd- u. Wildforsch., Bd. 29, S. 257 – 273 Gey, A. B. ( 1998 ) : Synopsis der Parasitenfauna des Waschbären ( Procyon Michler, F.-U. ( 2007 ): lotor ) unter Berücksichtigung von Befunden aus Hessen Der Waschbär Dissertation, Universität Gießen, 203 S. In : Neubürger auf dem Vormarsch. Deutscher Landwirtschaftsverlag, München, S. 36 – 59 Hohmann, U. ( 2000 ) : Raumnutzung und Sozialsystem des Waschbären Michler, F.-U.; Köhnemann, B.A.; Roth, M.; Speck, S.; in Mitteldeutschland Fickel, J. & Wibbelt, G. ( 2009 ): In : Wildbiologie 3 / 2000, Verhalten 8 / 9 Todesursachen sendermarkierter Waschbären Infodienst Wildbiologie & Oekologie ( Hrsg. ) (Procyon lotor L., 1758) im Müritz-Nationalpark Zürich, Schweiz, 16 S. (Mecklenburg-Vorpommern) In : Jagd- u. Wildforsch., Bd. 34, S. 339 – 355 Hohmann, U. & Hupe, K. ( 1998 ) : Interspecific competition of the raccoon (Procyon lotor) Rivest, P. & Bergeron, J.-M. ( 1981 ) : and the wildcat (Felis silvestris silvestris) with regard to Density, food habits and economic importance rest sites in Germany of raccoons in Quebec agrosystems In : Agriculture Forestry - Game, Integrating Wildlife In : Can. J. Zool. 59, S. 1755 – 1762 in Land Management, IUGB-Proceedings C. Thomaidis & N. Kypridemos (Hrsg.) Schneeweiß, N. & Wilf, M. ( 2009 ) : Thessaloniki, S. 361 – 367 Neozoen – eine neue Gefahr für die Reliktpopulationen der Horstmann, D. & Schmincke, B. ( 2004 ): Europäischen Sumpfschildkröte in Nordostdeutschland Beobachtungen zur Koexistenz von Mittelspecht In : Z. f. Feldherp. 16, S. 163 – 182 und Waschbär In : Natur und Heimat, 64. Jahrg., Heft 2, S. 55 – 60 Stubbe, M. ( 1993 ): Waschbär Kampmann, H. ( 1972 ): In : Handbuch der Säugetiere Europas, Band 5 ( 1 ) Der Waschbär in Deutschland J. Niethammer, J.; Krapp, F. ( Hrsg.) Dissertation, Universität Göttingen, 107 S. Aula Verlag, Wiesbaden, S. 331 – 364 Kampmann, H. ( 1975 ) : VA LK Harz ( 2010 ) : Der Waschbär Pressemitteilung vom Veterinäramt des Landkreises Harz Paul Parey Verlag, Hamburg & Berlin ( Sachsen-Anhalt ) Lutz, W. ( 1981 ) : Wachendörfer, G. (1979): Untersuchungen zur Nahrungsbiologie des Waschbären Zur Epidemiologie und Bekämpfung der Tollwut Procyon lotor ( Linné 1758 ) und zum Einfluß auf andere in Mitteleuropa Wildarten in seinem Lebensraum In : Z. Säugetierk. 44, S. 36 – 46 Dissertation, Universität Heidelberg Wibbelt, G.; Speck, S.; Fickel, J.; Köhnemann, B. & Michler, F.-U. ( 2004 ) : Michler, F.-U. ( 2008 ) : Waschbären im Stadtgebiet Outbreak of Canine Distemper in Raccoons In : Wildbiologie 2 / 2004, Wildbiologie International 5 / 12 (Procyon lotor) in Germany Infodienst Wildbiologie & Oekologie ( Hrsg. ) In : Proceedings of the 8th Conference of the Zürich, Schweiz, 16 S. European Wildlife Disease Association Rovij, Croatia, S. 22
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