Wir erinnern 09/21 - Gewerkschaft der Polizei
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09/21
Das Magazin
der Gewerkschaft
der Polizei
20 Jahre 9/11
Wir erinnern
In Koop
eration
m
Gewerk it der
sc h
der Poli aft
zei
(GdP)
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09
Inhalt
IN EIGENER SACHE
Zehn Zeitzeugen teilen
Der „kleine“ GdP-Wahlcheck in der August- ihre Erinnerungen an
Ausgabe ist auf ein überwiegend positives
Echo gestoßen. Einigen Lesenden ist jedoch
das vermeintliche Versehen der Redaktion
aufgefallen, keinen Spitzenkandidaten der
Alternative für Deutschland (AfD) zu Wort DP dankt allen
kommen zu lassen. Deshalb ist es also an Interviewten.
dieser Stelle noch einmal angebracht, auf
den Mitte März vom Bundesvorstand der
Gewerkschaft der Polizei (GdP) gefassten
Unvereinbarkeitsbeschluss gegenüber der
AfD hinzuweisen. Alles Notwendige dazu
Foto: Preston Keres/dpa
finden Interessierte auf Seite 2 der Aprilaus-
gabe oder auf gdp.de. Auch unser erneuter
Wahlcheck konzentriert sich daher auf die
übrigen aktuell im Bundestag vertretenen
Parteien.
Innenleben Hilfreich
Mit welch mörderischer Wucht die Ereignis-
se des 11. September 2001 die Welt verändern 9 Zuversicht geben 16 Für den Aufnahmetest vorbereitet
würden, hatte sich vor 20 Jahren eigentlich
niemand vorstellen können. Auch Terrorex- 21 Bereitschaftsdienst und Ruhezeit
perte und Autor Berndt Georg Thamm nicht. Hingeschaut
Er widmete damals seine Anfang September 22 Grundgesetz: Das Beste, was
erschienene DP-Titelgeschichte aggressiven Deutschland passieren konnte 12 Forschung for Future
fundamental-religiösen Gruppierungen.
„Gotteskrieger tragen Terror nach Euro- 32 Ideensteinbruch für Einmischer 28 Es gibt keine Verlierer- oder
pa“ hieß es später auf dem Cover, das neben Gewinnerbürger
dieser unheilvollen Prophezeiung das Ant- 36 Zukunft in eigener Hand
litz des Drahtziehers der Anschläge auf die
World-Trade-Center-Türme und den Sitz des
US-Verteidigungsministeriums in Washing- Hinterfragt 40 Eure Meinung
ton D.C. zeigte: Osama bin Laden. Mehr als
3.000 Menschen verloren bei diesem minu- 4 Der GdP-Wahlcheck 2021 40 Impressum
tiös geplanten Massenmord ihr Leben. Wo-
möglich wären noch viel mehr gestorben,
hätten nicht beherzte Fluggäste die Atten-
täter des vierten entführten Flugzeugs ge- VORANKÜNDIGUNG
zwungen, die Maschine vor einem weiteren
mutmaßlichen Ziel zum Absturz zu bringen.
Wir erinnern an 9/11 und baten dazu Zeit-
zeugen aus ihren jeweiligen Perspektiven auf
die noch immer unfassbaren, schrecklichen
Ereignisse dieses Tages zurückzublicken.
Und das in einer Zeit, in der Afghanistan
nach der Machtübernahme der Taliban eine
ungewisse Zukunft bevorsteht.
Michael Zielasko
DP-Chefredakteur
Wie gebannt
die Fernsehbilder
gesehen
Foto: GdP
Konrad Freiberg war von 2000 bis 2010
Bundesvorsitzender der Gewerkschaft
der Polizei (GdP). So erlebte er den
11. September 2001. Das Bild zeigt ihn
auf dem GdP-Bundeskongress 2010 in
Berlin.
DP: Konrad, erinnerst du dich wie du von DP: Welchen Einfluss hatte 9/11 für die
dem Anschlag erfahren hast? Sicherheit hierzulande?
Konrad Freiberg: Daran erinnere ich mich Freiberg: Das Ereignis hatte weitreichende
noch genau. Ich fuhr im Auto von Hamburg Folgen. Die Gespräche mit Otto Schily werde
nach Bremen zu einem Termin in der Bürger- ich nicht vergessen. Die Maßnahmen, die er
schaft und hörte im Radio, dass ein Flugzeug traf, schufen nicht nur gesetzliche Veränderun-
in den Tower geflogen ist. Furchtbar! Zuerst gen. Er legte Sicherheitspakete auf, die auch
dachte ich an ein Unglück. Aber bei der zwei- organisatorische, personelle und finanzielle
ten Maschine war klar: Das ist ein Anschlag. In Veränderungen mit sich brachten. Das war ein
der Bürgerschaft habe ich dann wie gebannt ungeheures Ausmaß, dass es so vorher noch
die Bilder im Fernsehen gesehen. nie gegeben hat. Das war herausragend.
DP: Was ging dir durch den Kopf? DP: Hat der Terroranschlag seitdem an
Freiberg: Bis heute sah ich diese Bilder be- Nachhaltigkeit verloren?
stimmt tausend Mal. Die brannten sich bei Freiberg: 9/11 stellte damals unsere gesamte
uns allen ein. Menschen, die aus den Fens- Sicherheitsarchitektur auf den Kopf. Das The-
tern sprangen. Das war zunächst unbegreif- ma Islamismus hatte oberste Priorität. Die Ge-
lich. Damals ahnte auch noch keiner, welche fahren existieren nach wie vor. Jedoch gibt es
Folgen das auf die Welt haben wird. Als GdP durch neue Bedrohungen und neue Formen
waren wir mit einer Delegation später in New der Kriminalität auch neue Herausforderun-
York. Da wurde mir erst bewusst, wie stark die gen. Dennoch wirkt sich dieses Ereignis wei-
USA getroffen waren. Das kann, glaube ich, terhin auf unsere Arbeit und auf die Prioritäten-
Foto: Ernesto Mora/dpa
kein Mensch ermessen, der nicht die Menta- setzung der Polizei aus.
lität der Amerikaner kennt und was das für sie
bedeutet hat. Das Gespräch führte Danica Bensmail.
4 DEUTSCHE POLIZEI 09/2021 DP
POLIZEITHEMEN: EIN GENAUERER BLICK IN DIE WAHLPROGRAMME
Der GdP-Wahlcheck
2021 res Land sei, liege „auch an der guten Ar-
Nach dem „kleinen“ GdP-Wahlcheck in der DP-Augustausgabe mit beit der Polizei“, weshalb sie diese stärken
Aussagen der Spitzenkandidierenden von CDU/CSU, SPD, FDP, wollen – „in der Stadt und auf dem Land,
analog und digital“. Am konkretesten sind
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE nun ein genauerer Blick die Vorschläge der CDU/CSU. Die Union kün-
in die Wahlprogramme der Parteien. Wir stellen diesen ausgewählte digt beispielsweise an, die Ruhegehaltsfä-
GdP-Forderungen aus der laufenden Kampagne #100fuer100 higkeit der Polizeizulage prüfen zu wollen.
Auch sollen Schadenersatzregelungen im
gegenüber. Es geht um mehr Wertschätzung, bessere Ausstattung Falle von Beleidigungen im Dienst im Sin-
und gute Gesetze. Eine Einordnung. ne der davon Betroffenen verbessert werden:
Der Staat solle die Zahlung an die Beleidig-
ten vorstrecken und sich das Geld nachträg-
lich zurückholen.
Jeldrik Grups
Noch kantenschärfer erscheinen die Einlas-
sungen der Parteien zur Wertschätzung bei
der Frage, ob und wie sie sich angesichts der
Wir fordern: Wertschätzung muss sich im Konkreten seit Längerem zunehmenden Gewalt gegen
zeigen. DIE LINKE erkennt zumindest an, Einsatzkräfte positionieren. Das Spektrum
Mehr Wertschätzung dass die „Arbeitsbedingungen für viele Po- reicht von sehr konkreten strafrechtlichen
für unseren Dienst. lizist*innen […] von Belastungen und Über- Vorschlägen (CDU), Forderungen nach bes-
stunden geprägt [sind]“, was sie ändern will, serer Dokumentation (FDP) über eine Leer-
Wertschätzung für Polizeiarbeit beginnt mit indem „Arbeitsbedingungen verbesser[t]“ stelle bei diesem Thema (BÜNDNIS 90/DIE
einem Bekenntnis zur guten Arbeit und der werden sollen. Auch fordert sie „eine mo- GRÜNEN) beziehungsweise allgemeine Be-
wichtigen Rolle, die Polizeibeschäftigte für derne Personalmitbestimmung für die Poli- kenntnisse (SPD) hin zu etwas, das sich eher
die Gesellschaft und die Sicherheit hierzu- zei“. Die SPD schreibt, sie wolle „die Struk- als eine Umkehr von Ursache und Wirkung
lande einnehmen. In den Wahlprogrammen turen der Sicherheitsbehörden“ verbessern, lesen lässt (DIE LINKE).
findet sich ein solches bei fast allen Partei- was sich auch in einem „modernen Dienst- Mitentscheidend für die Arbeitszufrie-
en wieder. DIE LINKE bildet die Ausnahme. recht, guten Arbeitsbedingungen […] wider- denheit der Beschäftigten bei der Polizei
Zum Vorschein kommt ein in den Reihen spiegeln“ müsse. – somit eng verbunden mit der Wertschät-
dieser Partei scheinbar vorhandenes Miss- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN geben an, zung – ist, welche Rolle die Parteien für die
trauen gegenüber der Polizei. der Umstand, dass Deutschland ein siche- Aus- und Fortbildung bei der Polizei vorse-
WERTSCHÄTZUNG
„ Polizisten […]
genießen ein
„ Polizist*innen und
Rettungsdienste wie
„ Die Polizist*innen
verdienen unsere
„ […] die große Mehr-
heit der Polizistinnen
„ Vielfach werden
Einsatzstrategien
besonders großes auch Behördenmitar- Wertschätzung, und Polizisten leistet angewandt, die
Vertrauen. Ihrem beiter*innen […] genauso wie gute eine hervorragende einer Demokratie
Einsatz gebühren unser verdienen Anerkennung Arbeitsverhältnisse und Arbeit. Es darf daher widersprechen.
Respekt und unsere Un- und Respekt leistungsfähige Struktu- keinen General- So entsteht eine
terstützung. für ihre Arbeit. ren innerhalb der verdacht gegenüber Polizeikultur, die
Behörden. unserer Polizei geben. missbräuchliche
Gewaltanwendung
zulässt und befördert!
DP DEUTSCHE POLIZEI 09/2021 5
SICHERHEIT
„ … werden wir die
Mindeststrafe für
„ Es ist
unakzeptabel, dass Po-
keine Aussage „ Wir verurteilen
Angriffe auf Einsatz-
„ Die Straf-
verschärfungen für
tätliche Angriffe auf lizist*innen […] kräfte scharf. Deshalb Widerstandsdelikte
sechs Monate, für heim- zunehmend fordern wir eine wollen wir rückgängig
tückische angegriffen und bessere Dokumentation machen.
Attacken auf ein Jahr beleidigt werden. von Gewalt und Über-
Haft erhöhen und griffen gegen
damit als Verbrechen Polizeibeamtinnen und
einstufen. -beamte sowie
andere Beschäftigte des
öffentlichen Dienstes.
AUSBILDUNG
„ Wir wollen …
Aus- und Fortbildung
„ Für mehr Sicherheit
in Deutschland kommt
„ Wichtige Fortbil-
dungsbereiche sind
„ Wissenschaftliche
Erkenntnisse zu Radika-
„ Polizist*innen
brauchen eine gute und
verbessern. es auf motivierte, gut beispielsweise der lisierung, Extremismus moderne
„
ausgebildete und gut Umgang mit Menschen und Rassismus müssen Ausbildung.
ausgestattete mit psychischen in der Ausbildung
„
Polizist*innen an. Erkrankungen sowie [obwohl sie im inter- Es braucht verbind-
Antidiskriminierung und nationalen Vergleich liche Unterstützungs-
Der Entstehung die Gefahr von besonders gut ist] angebote wie
„
von rassistischen Denk- Racial Profiling. ebenso wie die Supervisionen, Fortbil-
mustern im Polizeialltag Sensibilität für dungen zu Vielfalt und
wirken wir durch die Besondere Diskriminierung eine diskriminierungsfreiem
Ermöglichung von mehr Belastungen im Dienst stärkere Rolle spielen. Verhalten sowie psy-
Supervision, Fort- und sollen regel- chologische Betreuung.
Weiterbildungen sowie mäßig, beispielsweise Ziel ist es, Beamt*innen
guten Arbeitsbedingun- im Rahmen von Super- bei der Bewältigung ih-
gen entgegen vision, nachbereitet rer Erfahrungen zu
„
werden. unterstützen und die
Verfestigung diskrimi-
Die digitale nierender Einstellungen
Kompetenz in den zu verhindern.
Sicherheitsbehörden
wollen wir stärken.
hen. Es beginnt bei unkonkreten, inhaltlich Aus- und Fortbildung sowie der Supervision des Arbeitsalltags zu stärken. Den Weg des
wenig aufschlussreichen Bekenntnissen der eine Schlüsselrolle zukomme. Die Beschäf- Wie beschreiten die Parteien jedoch sehr un-
CDU/CSU für eine Verbesserung und endet tigten der Polizei würden gefördert, fit ge- terschiedlich.
bei den Mitbewerbern mit deutlich zielge- macht mit dem Ziel, sie für den Umgang mit
richteteren Plänen. Diese besagen, dass der den Belastungen und Herausforderungen
6 DEUTSCHE POLIZEI 09/2021 DP
DP-Autor Jeldrik Grups ist Gewerkschafts-
sekretär in der Berliner Bundesgeschäfts-
stelle der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Er
hat sich über die Programme der Parteien zur
Bundestagswahl am 26. September gebeugt.
Foto: privat
AUSSTATTUNG
„ Unsere Sicherheits-
behörden haben wir
„ Für mehr Sicherheit
in Deutschland kommt
„ Wir streiten für
eine technisch und per-
„ … fordern eine
bessere und
„ Die Militarisierung
der Polizei, ihre
personell, materiell und es auf motivierte, sonell gut ausgestattete funktionale Personal- zunehmende
strategisch massiv ge- gut ausgebildete und und zielgerichtete und Sachausstattung Ausstattung mit
stärkt. Diesen Weg gut ausgestattete Polizeiarbeit auf klaren für die Polizei. Maschinenpistolen, […]
setzen wir fort. Polizist*innen an. Rechtsgrundlagen. Dafür wollen wir Taser, den Einsatz von
entsprechende Mittel Gummigeschossen […]
bereitstellen und die lehnen wir ab. Den
Infrastruktur schaffen. Einsatz von Pfefferspray
durch die Polizei wollen
wir massiv
einschränken […].
lem im Digitalen: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN abbau bei Bundespolizei und Bundeskrimi-
Wir fordern: etwa sind der Meinung, „[s]ichere und leis- nalamt […] durch eine Offensive bei der Be-
tungsfähige Datenverarbeitung, kombiniert setzung offener Stellen beheben und gleich-
Eine Ausstattung, auf die mit mobiler IT und klar geregelten Kompeten- zeitig spezialisierte Ausbildungen und
wir zählen können. zen, ist […] eine Grundvoraussetzung moder- Studiengänge ermöglichen“. Zugleich wird
ner Polizeiarbeit“. Und auch die FDP möch- „mehr – insbesondere auch auf Internetkri-
Zumindest auf abstrakter Ebene lässt sich – te „mit einem Digitalpakt dafür sorgen, dass minalität spezialisiertes – Personal“ gefor-
mit Ausnahme von DIE LINKE – ein nahezu Polizistinnen und Polizisten in Deutschland dert. Dieses solle „gut geschult, auf Grundla-
einhelliges Bekenntnis zu einer notwendi- mit dem neuesten Stand der Technik und mit ge klarer Rechtsvorgaben arbeiten können“.
gen Verbesserung beziehungsweise Weiter- kompatiblen IT-Infrastrukturen ausgerüstet Ideen, wie solch spezialisiertes Personal für
entwicklung der polizeilichen Ausstattung sind“. Ähnlich auch die SPD, die nötige Ver- den öffentlichen Dienst zu gewinnen sei, er-
ausmachen. Übrigens sowohl materiell- besserungen der Ausstattung der Polizei in läutert wiederum die CDU. Sie schlägt vor,
sachlich als auch personell. Verbindung mit digitalem Fortschritt bringt, dass „neue Wege etwa bei der Vergütung be-
Unterschiede werden vor allem hinsicht- indem sie zugibt: „Zur Verfolgung von aus schritten werden, insbesondere im Bereich
lich des Detailgrades der Forderungen sowie dem oder im Internet begangenen Strafta- hochspezialisierter IT-Berufe. Die Einfüh-
mit Blick auf die Zielrichtung der angestreb- ten braucht es technisch und personell hin- rung von Zulagen für IT-Fachkräfte ist ein
ten Verbesserungen von Personal- und Sach- reichend ausgestattete Strafverfolgungsbe- richtiger Schritt, wird aber nicht ausreichen.
ausstattung und deren sachlich-inhaltlicher hörden.“ Es erfordert grundsätzlich mehr Kreativität
Schwerpunktsetzung erkennbar. Bei der ausreichenden personellen Aus- bei der Personalgewinnung und eine Flexi-
CDU/CSU haben als einzige die „flächen- stattung sind sich die Parteien weitestge- bilisierung des Personaleinsatzes über Res-
deckende Verwendung von Bodycams – auch hend einig. Selbst DIE LINKE gesteht ein, sortgrenzen hinweg sowie zwischen Bund,
bei Einsätzen in Wohnräumen“ im Wahlpro- dass es „mehr Personal im öffentlichen Ländern und Kommunen“.
gramm als explizites Ziel benannt. Dadurch Raum und auf Bahnhöfen [brauche], das BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zufolge ist im
wollen sie ermöglichen, dass „Einsatzsituati- Unterstützung, Auskunft und Hilfe bieten öffentlichen Dienst zudem künftig „bei der
onen beweissicher aufgezeichnet, Angreifer kann“ – eine Forderung, die sich ganz ähn- Einstellungs- und Beförderungspraxis nicht
erkannt und Straftaten leichter verfolgt wer- lich bei CDU/CSU, FDP und BÜNDNIS 90/ nur die Gleichstellung der Geschlechter,
den“. Bei den meisten anderen Parteien (au- DIE GRÜNEN liest. Auch sie sprechen sich sondern auch die gesellschaftliche Vielfalt
ßer DIE LINKE, der eher eine Rück- als eine für eine stärkere Polizeipräsenz im öffentli- zu beachten“. Ein Anliegen, dass DIE LIN-
Weiterentwicklung der polizeilichen Ausstat- chen Raum aus. KE teilt. Sie fordert, die „Zusammensetzung
tung vorzuschweben scheint) wird eine poli- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN äußert sich der Polizei muss die Bevölkerung widerspie-
tische Notwendigkeit für eine Verbesserung jedoch konkreter als die anderen Parteien. geln. Mittel dafür können anonymisierte Be-
der Ausrüstung deutlich – und zwar vor al- Sie will einerseits „[d]en früheren Personal- werbungsverfahren oder Quoten sein.“
DP DEUTSCHE POLIZEI 09/2021 7
der gesetzlichen Grundlagen für gute Poli- die meisten Parteien – außer die SPD – zu-
Wir fordern: zeiarbeit dar. dem zur „Quellen-TKÜ“ und Online-Durch-
Vor dem Hintergrund konkreter Rechts- suchung.
Gute Gesetze für grundlagen für Polizeiarbeit erweist sich Heterogene Positionen können auch bei
gute Polizeiarbeit. die Vorratsdatenspeicherung als das heißes- der „Automatisierten Gesichtserkennung im
te Eisen. Mit Ausnahme der SPD wird diese öffentlichen Raum“ leicht herausgearbeitet
Durchaus kontrovers stellen sich die Partei- in allen anderen Programmen thematisiert. werden. Hinsichtlich dessen, was Künst-
enpläne für mögliche Weiterentwicklungen Sehr unterschiedlichen Ansichten äußern liche Intelligenz (KI) für die Polizeiarbeit
GESETZE / POLIZEIARBEIT
„ Zeitgemäße[…]
Kompetenzen und
keine Aussage „ … für eine […] ziel-
gerichtete Polizeiarbeit
„ Statt immer
weitergehender Über-
„ Mehr Sicherheit gibt
es nicht durch die Auf-
Befugnisse. auf klaren Rechtsgrund- wachungsbefugnisse rüstung von Polizei und
Wir wollen, dass lagen. wollen wir Polizei und Geheimdiensten, son-
überall in Deutschland Wir werden die Kontroll- Justiz von unnötiger dern durch
mithilfe einer lagebild- befugnisse der Bürokratie befreien. Bekämpfung der
abhängigen Bundespolizei so [D]ie besten Gesetze sozialen Ursachen von
Schleierfahndung kont- ausgestalten, dass sie helfen nicht weiter, wenn Kriminalität, Verunsi-
rolliert werden nicht mehr zu Racial sie […] nicht durchge- cherung und Gewalt
darf. Den bislang für die Profiling führen setzt werden können. Ausweitung der
Bundespolizei gelten- Befugnisse der
den Grenzkorridor Bundespolizei lehnen
wollen wir dafür aus- wir ab.
dehnen. Es braucht klare Regeln,
um Racial Profiling zu
verhindern: Verdachts-
unabhängige Kontrollen
auf der
Basis von Gummi-
paragrafen wie im
Bundespolizeigesetz
müssen gestrichen
werden.
VORRATSDATENSPEICHERUNG
„ … eine grundrechts-
konforme Regelung […]
keine Aussage „ … die anlasslose
Vorratsdatenspeiche-
„ … lehnen die anlass-
lose Speicherung
„ Die Vorratsdaten-
speicherung von
zu schaffen, die den rung, […] lehnen wir ab. personenbezogener IP-Verbindungen, Mo-
Einsatz der sogenann- Daten ab. Dies gilt ins- bilfunkverbindungen
ten Vorratsdaten- besondere für die […] und -standorten muss
speicherung als Vorratsdatenspeiche- verboten werden.
schärfster Waffe im rung […]. Stattdessen
Kampf gegen den schlagen wir Quick-
Kindesmissbrauch Freeze-Verfahren als
ermöglicht. grundrechtsschonende
Alternative vor.
8 DEUTSCHE POLIZEI 09/2021 DP
künftig leisten soll, haben sich CDU/CSU ex- kommen zu lassen, mit deren Hilfe sich die
plizit positioniert. So sollen zum einen „Ein- Tatmuster von Einbrechern vorhersagen lie-
griffsbefugnisse angepasst werden. Dazu ßen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN äußern sich
gehört, die Möglichkeit der Künstlichen In- – auch zum Themenfeld KI – nicht explizit
telligenz zu nutzen, um frühzeitig Struktu- mit klarem Bezug zur Polizeiarbeit, wohl
ren erkennen und ihnen entgegenwirken zu aber allgemein mit Blick „auf KI in der Ver-
können. Daten, die bei Ermittlungen anfal- waltung“. Sie fordern „strenge Kriterien für
len, können so besser und zielgerichteter den Einsatz von algorithmischen und auto-
ausgewertet werden“. Des Weiteren spricht matischen Entscheidungen, insbesondere in
sich die Union dafür aus, künftig software- der öffentlichen Verwaltung“.
gestützte Werkzeuge verstärkt zum Einsatz
QUELLEN-TKÜ / ONLINE-DURCHSUCHUNG
„ Die Voraussetzun-
gen für die Quellen-TKÜ
keine Aussage „ … das Infiltrieren
von technischen
„ Solange nicht sicher-
gestellt ist, dass der
„ Quellen Telekom-
munikationsüberwa-
und Online-Durchsu- Geräten (Online-Durch- Kernbereich der priva- chung und
chung – sowohl bei der suchung bzw. ten Lebensgestaltung Onlinedurchsuchung
Gefahrenabwehr als Quellen-TKÜ) lehnen der Menschen ge- (Staatstrojaner) müssen
auch bei der Strafverfol- wir ab. schützt ist, hat [der verboten werden.
gung – wollen wir Einsatz von Quellen-
bundesweit anpassen, TKÜ und Online-
sodass diese Instru- Durchsuchung]
mente rechtssicher und zu unterbleiben.
effektiv eingesetzt wer-
den können.
GESICHTSERKENNUNG
„ Um die Fahndung
nach schweren Straftä-
keine Aussage „ Den Einsatz bio-
metrischer Identifizie-
„ … lehnen den Ein-
satz der automatisierten
„ Automatisierte
Gesichtserkennung
tern, Gefährdern und rung im öffentlichen Gesichtserkennung ab. wollen wir verbieten.
Terroristen zu verbes- Raum, wie beispiels- Wir brauchen statt-
sern, wollen wir die weise Gesichts- dessen mehr Personal
Voraussetzungen dafür erkennung, lehnen wir im öffentlichen Raum
schaffen, dass die auto- ebenso wie die undiffe- und auf Bahnhöfen,
matisierte renzierte Ausweitung das Unterstützung,
Gesichtserkennung an der Videoüberwa- Auskunft und Hilfe
Gefahrenorten in chung, ab. bieten kann.
Deutschland eingesetzt
werden kann.9
FLUTKATASTROPHE Michael Zielasko
Zuversicht
M
itte Juli rissen verheerende Flut-
geben
wellen Menschen aus ihrem Le-
ben, brachten Wassermassen viele
um ihre Existenz und hinterließen ein bis-
lang unvorstellbares Maß an Zerstörung
– vor allem jedoch Leid und Hilflosigkeit.
Besonders stark betroffen sind Teile von
Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen,
unter den Opfern des Hochwassers auch
Kolleginnen und Kollegen. Anpacken und
helfen, den Menschen wieder Hoffnung
geben, den Blick nach vorne richten und
machen. Unmittelbar nach der Katastrophe
hat die Gewerkschaft der Polizei (GdP) auf
Spendenkonten hingewiesen. Noch immer
sind finanzielle Hilfen willkommen.
Zusammenhalt und Hoffnung
„Nach dieser Katastrophe, mit der nie je-
mand in Rheinland-Pfalz gerechnet hätte,
geht es allen, insbesondere auch den poli-
zeilichen Einsatzkräften darum, mit verein-
ten Kräften den Wiederaufbau zu bewälti-
gen“, betonte die rheinland-pfälzische GdP-
Vorsitzende Sabrina Kunz Mitte August. Dies
funktioniere nur mit Zusammenhalt und
wenn alle gemeinsam anpackten. Doch ge-
Foto: Polizeipräsidium Einsatz, Logistik und Technik (Rheinland-Pfalz)
nau das habe sie persönlich im Einsatz vor
Ort erlebt und erfahren, sagte sie DP.
Die Erlebnisse dort seien sehr individu-
ell und unter dem Strich sehr belastend. „Im
Einsatz und in der momentanen Situation
spielt dies jedoch eine untergeordnete Rol-
le, die Einsatzbewältigung, der Wiederauf-
bau und die Hilfeleistung stehen im Vorder-
grund“, verdeutlichte die Gewerkschafterin. I
Hilfskonten
Polizeistiftung Rheinland-Pfalz Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund
Sparda-Bank Südwest hat zu Spenden für die Opfer der Flut-
Foto: Ursula Barrenberg
Stichwort: Unwetterkatastrophe 2021 katastrophe aufgerufen:
IBAN: DE15 5509 0500 0001 9899 79
BIC: GENODEF1S01 Gewerkschaften helfen e.V.
Nord LB Auf Einladung der GdP NRW besuchte der
Polizeistiftung Nordrhein-Westfalen Stichwort: Fluthilfe 2021 Bundesvorsitzende Oliver Malchow (m.)
Kreissparkasse Köln IBAN: DE55 2505 0000 0152 0114 90 Ende Juli das Einsatzgebiet im Kreis Eus-
Stichwort: Kollegen-helfen BIC: NOLADE2HXXX kirchen. Gemeinsam mit Bundesvize und
IBAN: DE19 3705 0299 0000 0727 24 NRW-Landeschef Michael Mertens (r.)
BIC: COKSDE33XXX führte er Gespräche mit den Einsatzkräften
und machte sich ein Bild der Einsatz-
Bundespolizei-Stiftung bedingungen. „Die Solidarität der Menschen
Sparda-Bank West eG untereinander hier ist groß. Aus den Medien
Verwendungszweck: Unwetter-Opfer 2021 lässt sich das tatsächliche Ausmaß nicht aus-
IBAN: DE51 3706 0590 0000 6836 80 reichend einschätzen. Es fällt schwer, dass
BIC: GENODED1SPK alles in Worte zu fassen“, sagte Malchow.Erst vor Ort
war es wirklich
greifbar
Foto: epa afp Kanter/dpa
New York: Surreale Bilder.
DP: 11. September 2001, was geht Ihnen zum Standort Meckenheim und wenig später
Kriminalhauptkommissar Uwe Kopei durch den Kopf? direkt nach Washington gegangen.
arbeitete von Oktober 2001 bis Januar 2003 Uwe Kopei: Eigentlich zwei Erinnerungen. Als
als Verbindungsbeamter der „BAO USA“ in die Bilder im TV liefen, die das erste Flugzeug DP: Mit wem haben Sie zuerst über diese
Washington D.C. Kopei unterstützte den in einen der Türme des World Trade Centers unfassbaren Nachrichten gesprochen?
Informationsaustausch mit dem Federal fliegend zeigten, blieb mir der Atem weg. Ich Kopei: Mit meinem damaligen Bürokollegen,
Bureau of Investigation (FBI). hatte unmittelbar das Gefühl, dass dies kein zu dem ich auch privat ein sehr gutes und
Unfall gewesen sein konnte. Ebenso tief ein- freundschaftliches Verhältnis hatte. Wir waren
gebrannt, vermutlich sogar noch tiefer als die beide konsterniert, strukturiertes Arbeiten war
ersten TV-Bilder, ist der durch das FBI orga- am 11. September nicht mehr möglich und an
nisierte Besuch des Ground Zero, kurz nach- den Folgetagen äußerst schwierig. Irgendwie
dem ich in den USA angekommen war. Eigent- spürte jeder sofort, dass dieser Anschlag die
lich wurde für mich erst dort die Wirklichkeit Welt verändert hat.
der menschlichen und emotionalen Tragödie
persönlich greifbar. Was Terrorismus bedeu- DP: Wie relevant, wie nachhaltig ist der
tet, habe ich dort zum ersten Mal bewusst er- Terroranschlag noch heute?
lebt – und verstanden. Kopei: Er betrifft nicht unmittelbar die täg-
liche polizeiliche Praxis. In der öffentlichen
DP: Ist man angesichts dessen erst einmal Wahrnehmung hat der islamistische Terroris-
Mensch oder rückt gleich der Beruf in den mus momentan nicht mehr die Brisanz, die er
Vordergrund? noch vor einigen Jahren besaß. Dennoch hat
Kopei: Nach einer kurzen Phase des ohn- die Bekämpfung des islamistischen Terroris-
mächtigen Beobachtens am Fernseher schal- mus insgesamt für die Politik und für die Polizei
tet man direkt in den Polizeimodus um. So zurecht nicht an Priorität verloren. Das spiegelt
habe ich, als die unmittelbare Anfrage der sich auch in dem daraus resultierenden Res-
BKA-Staatsschutz-Abteilung kam, die dort sourcenaufwuchs des Bundeskriminalamtes
eingerichtete BAO USA zu unterstützen, nicht in den vergangenen und kommenden Jahren
gezögert und bin, obwohl ich zu der Zeit noch wider.
nahezu keinerlei Berührungspunkte mit dem
Bereich hatte, auf unbestimmte Zeit zunächst Das Gespräch führte Michael Zielasko.Hotline 08000 86 78 48 Die Serviceplattform für kommunale Alkoholprävention Gemeinsam sind wir stärker: Wir unterstützen Sie bei Ihrer Präventionsarbeit aktiv vor Ort und digital. Auf www.vortiv.de finden Sie bundesweite Angebote, zahlreiche Materialien und den direkten Kontakt zur individuellen Beratung. Besuchen Sie uns unter www.vortiv.de oder nutzen Sie unsere www.vortiv.de Beratungshotline 08000 86 78 48
12 DEUTSCHE POLIZEI 09/2021 DP
Hingeschaut
„
Beschäftigte im Öffentlichen Dienst,
insbesondere bei der Polizei, haben
seit Längerem mit Gewalt und
Angriffen zu kämpfen. Die GdP hat
bereits frühzeitig begonnen, das
Foto: fotogestoeber/stock.adobe.com
Thema zu problematisieren. Die
Gewalt-Studie des FÖV in Speyer
und AMBOSafe – mit der GdP als
assoziierter Partner – unterstützen
wir daher gerne.
GdP BEGLEITET AKTUELLE STUDIENVORHABEN
Forschung for Future
Dietmar Schilff
Stellvertretender
GdP-Bundesvorsitzender
zeibeschäftigten in Deutschland die Mög-
MEGAVO, AMBOSafe und FÖV: Viele Polizeibeschäftigte lichkeit bekommen, sich durch das Beant-
hierzulande erhalten dieser Tage (zumeist elektronische) worten eines von der DHPol entwickelten
und mit Bund und Ländern abgestimmten
Post. Diese Abkürzungen spielen darin eine wichtige Rolle. Fragebogens an der Studie zu beteiligen.
Sie stehen für Forschungsprojekte und -institute, die sich Herausgearbeitet werden soll, aus welchen
mit Aspekten der Arbeit im öffentlichen Dienst und bei der Gründen sich Menschen für das Arbeiten bei
der Polizei entscheiden und wie sich die Mo-
Polizei befassen. tivation für den Beruf womöglich im Laufe
des Berufslebens verändert. Auf Bitten von
Jeldrik Grups Bundesinnenminister Horst Seehofer ver-
tritt der stellvertretende Bundesvorsitzen-
de Jörg Radek die Gewerkschaft der Polizei
(GdP) als Mitglied eines sechsköpfigen Bei-
„ rats, der die Forschenden der DHPol wissen-
A
lle drei Forschungsvorhaben begleitet schaftlich sowie mit einem Einblick in die
die GdP auf die eine oder andere Wei- Polizeipraxis beraten soll.
se, und hinter allen steckt das Ziel,
Im Winter 2020 hat das Beim AMBOSafe-Projekt (siehe DP 8/21,
anhand systematischer, wissenschaftlicher Bundesinnenministerium unsere Seite 18) und bei der Studie des Deutschen
Erkenntnisse mittelfristig dazu beizutragen, GdP-Initiative aufgegriffen und die Forschungsinstituts für öffentliche Verwal-
polizeiliches Arbeiten und Tätigkeiten im tung (FÖV) in Speyer liegt der Schwerpunkt
öffentlichen Dienst künftig noch besser und
DHPol mit einer Studie zum auf dem Ausmaß der Gewalt gegen Beschäf-
sicherer zu machen. Polizeialltag beauftragt. Ich bin froh, tigte des öffentlichen Dienstes und möglichen
Die Deutsche Hochschule der Polizei dass unsere Kolleginnen und Handlungsansätzen – vor allem angesichts
(DHPol) untersucht mit dem MEGAVO-For- dramatisch zunehmender Attacken gegen-
schungsprojekt, der „Polizeistudie“, drei
Kollegen nun die Möglichkeit haben, über der Polizei und in anderen Teilbereichen
Themenkomplexe: die Motivation hinter zurückzumelden, wie es ihnen mit des öffentlichen Dienstes. Umso wichtiger ist
der Berufswahl, den Berufsalltag und die Blick auf Motivation und es, den vorhandenen Wissensstand über kör-
Gewalt gegen Polizistinnen und Polizisten. perliche und verbale Angriffe auf Mitarbei-
Belastungsfaktoren bei der Arbeit
Drei Jahre sollen unter Verwendung eines tende von Organisationen mit Sicherheits-
sogenannten Mixed-Methods-Ansatzes, der geht. Die „MEGAVO-Polizeistudie“ aufgaben wissenschaftlich genau zu erfas-
quantitative und qualitative Forschungsme- begleite ich im beratenden Beirat. sen, zu systematisieren und auszuweiten.
thoden kombiniert, Informationen und Da- Was bei beiden Studien erarbeitet werden
ten zu den Themenkomplexen gesammelt Jörg Radek soll, schafft eine Faktenbasis für Strategien
und ausgewertet werden. Stellvertretender und Lösungen.
Voraussichtlich im September und Okto- GdP-Bundesvorsitzender Beide Forschungsvorhaben verfolgen ei-
ber sollen in einem ersten Schritt alle Poli- nen höchst pragmatischen Ansatz und las-DP DEUTSCHE POLIZEI 09/2021
sen einen direkten Mehrwert für die Arbeit Dass die GdP AMBOSafe ebenso wie die
der Beschäftigten erwarten. Schließlich sol- auch auf Betreiben der GdP vom Deutschen
len die Studien beispielsweise unmittelbar Gewerkschaftsbund (DGB) ins Rollen ge-
zur Entwicklung präventiver Ansätze in brachte FÖV-Studie nicht nur aktiv beglei-
Aus- und Fortbildung und bei der koopera- tet, sondern wohlwollend unterstützt (bei
tiven Einsatzplanung und -durchführung AMBOSafe agiert die GdP als assoziierter
beitragen. Außerdem werden die Ergebnisse Partner), ist vor dem Hintergrund vielfälti-
der beiden – jeweils von Bundesministerien ger gewerkschaftspolitischer Aktivitäten in
geförderten – Untersuchungen über Hinter- den vergangenen Jahren und Jahrzehnten zu
gründe und Mechanismen von Gewalt gegen diesem Thema nur folgerichtig. Es geht da-
Beschäftigte sicherlich auch im politischen rum, die Arbeitsbedingungen der Beschäf-
Raum rezipiert und zur Vorbereitung künf- tigten für die Zukunft zu verbessern. Dafür
tiger Strategien zur Bekämpfung dieses Phä- kann ein systematischer wissenschaftlicher
nomens herangezogen. Blick nur von Nutzen sein. I
MEGAVO FÖV AMBOSafe
Name des Motivation, Einstellung Untersuchung zum Ausmaß Angriffe auf
Projekts und Gewalt im Alltag von Gewalt gegen Beschäf- Mitarbeiter*innen und
von Polizeivollzugsbeamten, tigte des öffentlichen Bedienstete von
die „Polizeistudie“ Dienstes und zu möglichen Organisationen mit
Handlungsansätzen Sicherheitsaufgaben
Wer forscht? Deutsche Hochschule Deutsches Forschungs- Bayerisches Rotes Kreuz,
der Polizei, Münster institut für Öffentliche Kriminologische Zentralstelle,
(DHPol) Verwaltung, Speyer Hessische Hochschule für
(FÖV) Polizei und Verwaltung
Wer fördert? Bundesministerium des Bundesministerium des Bundesministerium für
Innern, für Bau und Heimat Innern, für Bau und Heimat Bildung und Forschung
(BMI) (BMI) (BMBF)
Ziel der • Erstellung eines Lagebildes • Schaffung einer Faktenbasis • Erweiterung des vorhan-
Forschung bezüglich der (Entwicklung von) für die Entwicklung nach- denen Wissensstands über
Motivation und Einstellungs- haltiger und differenzierter körperliche und verbale
mustern von Polizei- Strategien zum Umgang mit Angriffe
beschäftigten Gewalt gegen Beschäftigte • Entwicklung präventiver
• Generierung von Wissen des öffentlichen Dienstes Ansätze
über Faktoren, die die Arbeits-
motivation (positiv wie negativ)
beeinflussen können und die
möglichen Einstellungs-
änderungen zugrunde liegen
Wer wird Polizeibeschäftigte in Beschäftigte und Berufsgruppen mit „norm-
befragt? Deutschland Behördenleitungen im ÖD durchsetzender“ oder „helf-
ender“ Funktion
Wie wird • Vollerhebung aller Polizei- • Metastudie zum aktuellen • Interviews
geforscht? beschäftigten des Bundes und Forschungsstand zum Phäno- • Onlinebefragungen
der Länder men der Gewalt • Aktenanalyse
• qualitative Experteninter- • Metastudie über Strategien,
views und teilnehmende Maßnahmen und Initiativen zur
Beobachtungen Eindämmung der Gewalt
• Befragungen zum Ausmaß der
Gewalt gegen Beschäftigte des
öffentlichen Dienstes
Internet polizeistudie.de bit.ly/3zeFu3y ambosafe.deEuphorie wie
ein Luftballon
geplatzt
Foto: epa afp Jim Watson/dpa
New York: Rettungsarbeiten
in den Trümmerbergen.
DP: Herr Waldoch, wie erinnern Sie sich an möglich auf das Spiel vorzubereiten. Aber man
den 11. September 2001? merkte schon, dass jeder geschockt war. Auch
Tomasz Waldoch: Ich habe gemischte Ge- die Motivation war nach der Nachricht nicht
fühle, wenn ich an den Tag zurückdenke. Ei- mehr so hoch. Wir wussten zuerst nicht, wie es
Foto: Franz-Peter Tschauner/dpa
nerseits freute ich mich damals sehr auf das weitergeht und ob das Spiel überhaupt statt-
Champions-League-Spiel, andererseits hat finden kann. Das war alles andere als ein nor-
Tomasz Waldoch ist Ehrenspielführer beim mich die schlimme Nachricht aus den USA males Fußballspiel für uns.
FC Gelsenkirchen-Schalke 04 e.V. Der heute sehr schockiert. Wir waren am Abend vor der
50-jährige Abwehrspieler musste mit den Partie mit der Mannschaft im Hotel in Biller- DP: Haben Sie Verständnis für die offiziel-
Königsblauen am Abend des 11. September beck bei Münster. Dort sah ich die Bilder aus le Entscheidung, das Spiel stattfinden zu
2001 deren Premierenspiel in der UEFA- New York erstmals. Das war so unfassbar, dass lassen?
Champions-League absolvieren. ich es gar nicht glauben konnte, dass das wirk- Waldoch: Ja und nein. In der Saison zuvor
lich passiert ist. hatten wir sehr gut gespielt und uns so für die
Champions League qualifiziert. Deswegen ha-
DP: Mit wem haben Sie zuerst über diese ben wir uns im Vorfeld so sehr auf das Spiel ge-
unfassbaren Nachrichten gesprochen? freut. Die Partie war also ein absolutes High-
Waldoch: Ganz genau weiß ich das nicht light für jeden. Aber die Gedanken an die Er-
mehr. Aber es wird ein Mitspieler gewesen eignisse in New York haben unsere Euphorie
sein. Ich rief auch meine Frau an, um mit ihr wie einen Luftballon platzen lassen. Im Nach-
über die Geschehnisse zu sprechen. hinein kann ich sagen, dass es besser gewe-
sen wäre, das Spiel zu verlegen.
DP: Wie hat Ihre Mannschaft angesichts
der unfassbaren Umstände reagiert?
Waldoch: Trotz der furchtbaren Meldung ha-
ben wir als Team natürlich versucht, uns best- Das Gespräch führte Michael Zielasko.Junges_Konto_100_Jahre_Jubilaeum_188x260_GdP.pdf; s1; (188.00 x 260.00 mm); 19.Jul 2021 13:32:37; PDF-CMYK ab 150dpi für Prinergy; L. N. Schaffrath DruckMedien
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*Vertragslaufzeit 36 MonateDas Telefon
stand nicht
mehr still
Foto: Jim_Watson/dpa
New York: Staub, Asche,
Fassungslosigkeit.Foto: Arne Dedert/dpa
Ulrich Kersten führte das Bundeskriminalamt
(BKA) von 1996 bis 2004 an. Mit dem heute
80-Jährigen habe damals an der Spitze von
Deutschlands zentraler Polizeibehörde ein
kühler Jurist gestanden, der mit dem Kopf und
nicht aus dem Bauch heraus gegen
Terrorismus und Gewalt kämpfte, beschrieb
ihn das Magazin „Stern“.
DP: Herr Kersten, der 11. September 2001 im Besonderen das Bundeskriminalamt, wa- im wesentlichen Al Qaida für Terroranschläge
jährt sich zum 20. Mal? Woran denken Sie ren damit schlagartig vor die Herausforde- weltweit verantwortlich zeichnete, stellt sich
spontan? rung und die Verantwortung gestellt, alles zu das Bild heute mit Blick auf diverse regionale
Ulrich Kersten: Zunächst an die entsetzli- unternehmen, um die Aktivitäten der Genann- Gruppierungen, die sich weiterhin – zumindest
chen und erschütternden Bilder im Fernse- ten im Vorfeld der Anschläge, ihr Umfeld und ideologisch – Al Qaida oder dem Islamischen
hen, die uns zu Zeugen des unfassbaren, jede ihre Verbindungen, etwaige Mittäter und Hel- Staat (IS) zurechnen, sehr viel aufgefächerter
Vorstellung sprengenden Geschehens in New fer aufzuklären und zu ermitteln. Eine Beson- und differenzierter dar. Bezüglich der Tatbege-
York und Washington werden ließen. Die ver- dere Aufbauorganisation (BAO) wurde einge- hungen mag es sein, dass so große Anschlä-
störenden Bilder von der Steuerung der Flug- richtet, der nach kurzer Zeit über 600 Mitarbei- ge, die ein hohes Maß an Planung, Vorberei-
zeuge in die beiden Türme des World Trade terinnen und Mitarbeiter des BKA angehörten. tung, Logistik und Koordination verlangen,
Center im Abstand weniger Minuten, von dem weniger wahrscheinlich geworden sind. An-
verheerenden Feuer und den riesigen Rauch- DP: Mit wem haben Sie zuerst über diese schläge wie auf dem Berliner Breitscheidplatz
schwaden, vom Einsturz der Twin Towers unfassbaren Nachrichten gesprochen? und vergleichbar in Nizza und Barcelona, die
und von den vielen Menschen, die sich in ih- Kersten: Das Telefon stand nicht mehr still. Zu auch von Einzelnen und mit relativ leicht ver-
rer verzweifelten Not in die Tiefe stürzten, wa- meinen ersten Gesprächspartnern gehörten fügbaren Tatmitteln begangen werden kön-
ren kaum zu ertragen und werden für immer neben BKA-Führungskräften Bundesinnenmi- nen, unterstreichen jedoch die nach wie vor
im Gedächtnis bleiben. Schnell war klar, dass nister Otto Schily und der Generalbundesan- bestehende Gefährdung.
diese monströsen terroristischen Anschläge walt. Ich erinnere mich, dass der Minister fas-
die Welt verändern und nicht ohne Folgen blei- sungslos und bestürzt war. Im Übrigen ging es DP: Womöglich sind rechtsextremistische
ben würden. um die Frage, ob das BKA im Vorfeld irgendwel- Anschläge in den Vordergrund gerückt?
che Hinweise über die Attentäter erlangt hatte, Kersten: Dass wegen vermehrter Anschläge
DP: Haben Sie angesichts der dramati- die Absicht des Amtes eine BAO einzurichten mit rechtsextremistischen Motiven oder einem
schen Lage und ihrer Bilder gleich in den und die übereinstimmende Auffassung, der solchen Hintergrund gerade in den letzten
Polizeimodus geschaltet oder schalten amerikanischen Seite jedwede Unterstützung, Jahren – Beispiele sind die NSU-Mordserie,
müssen? insbesondere einen ständigen umfassenden der Anschlag auf die Synagoge in Halle, das
Kersten: Noch am Nachmittag des 11. Sep- Informationsaustausch, anzubieten. Hanauer Attentat oder die Ermordung Walter
tember haben wir im Amt erörtert, inwieweit Lübckes – , die Gefährdungen und Bedrohun-
das BKA der amerikanischen Seite Unterstüt- DP: Hat der Terroranschlag von 9/11 über gen durch den Rechtsterrorismus in der Politik
zung anbieten könnte. In der Nacht vom 11. die beiden vergangenen Jahrzehnte an und im öffentlichen Diskurs zu Recht besonde-
auf den 12. September erreichte uns dann die politischem Einfluss, an Nachhaltigkeit res Gewicht haben, bedeutet aus meiner Sicht
Mitteilung der Amerikaner, dass drei der insge- verloren? nicht, dass das Phänomen des islamistischen
samt 19 Flugzeugentführer – Mohamed Atta, Kersten: Das sehe ich nicht. Die Bedrohung Terrorismus – in welcher Form auch immer – in
Marwan al-Shehi und Ziad Jarrah – vor den An- durch den islamistischen Terrorismus besteht der Politik und der Gesellschaft als weniger be-
schlägen längere Zeit in Hamburg gelebt hat- nach wie vor. Sicherlich haben sich Organisa- drohlich wahrgenommen wird.
ten. Dies veränderte die Lage für uns grund- tionsstrukturen und die Formen von Tatbege-
sätzlich: Die deutschen Sicherheitsbehörden, hungen geändert. Während zu Zeiten von 9/11 Das Gespräch führte Michael Zielasko.Wir starrten auf
die Bilder und
waren wie gelähmt
Foto: Cedric H. Rudisill/dpa
Washington D.C.: Attacke auf das
US-Verteidigungsministerium.
DP: Haben Sie in diesem Moment schon DP: Was wäre denn wenn?
künftige Entwicklungen abschätzen kön- Firley: Die Debatten endeten in einem Luftsi-
nen? cherheitsgesetz, das vom Bundesverfassungs-
Firley: Zunächst einmal waren wir entsetzt. gericht am Ende aus einem einfachen Grund
Foto: privat
Jedoch glaube ich schon, dass uns allen klar gekippt wurde. Der Artikel 1 des Grundgeset-
war, was das für die nähere Zukunft bedeuten zes könne nicht so ausgelegt werden, dass
Jörg Firley diente von 1984 bis 2005 als Be- würde. eine Abwägung zwischen Menschenleben
rufssoldat bei der Luftwaffe der Deutschen vorgenommen werden dürfe, also auch keine
Bundeswehr. Der Oberstleutnant a.D. wurde DP: Was meinen Sie damit? zwischen 60.000 Menschen in einem voll be-
auf den Kampfflugzeugen Phantom und Tor- Firley: Wir sind innerhalb der US-amerikani- setzten Fußballstadion und den Leben von 200
nado zum Waffensystemoffizier ausgebildet. schen Luftwaffe ausgebildet worden. Jeder Flugpassagieren. Bis heute gibt es keine ab-
Der heute 57-Jährige war unter anderem Leiter von uns hat mindestens zwei Jahre in den USA schließende Lösung. Aus meiner Sicht kann an-
Einsatz im Einsatzgeschwader (EG) 1 im italie- zugebracht. Wir mussten davon ausgehen, gesichts des grundsätzlichen Dilemmas auch
nischen Piacenza und Repräsentant des EG 1 dass die Amerikaner hart reagieren würden. kein einwandfreier Ansatz gefunden werden.
im Luftwaffenhauptquartier der NATO in Vi- Vielleicht hat deshalb keiner ein Wort gesagt.
cenza (Italien) für die Einsätze im ehemaligen DP: Und doch kann eine solche Situation
Jugoslawien. Später fungierte er als Dezernent DP: Gab es von der Bundeswehrführung eintreten.
für luftgestützte Aufklärung im Luftwaffenfüh- einen schnellen Befehl, sich in Bereit- Firley: Die Jagdverbände der deutschen
rungskommando in Köln-Wahn. schaft zu versetzen? Zu diesem frühen Luftwaffe hätten zwar prinzipiell die Mittel zu
Zeitpunkt war es unklar, ob womöglich reagieren, jedoch müsste sich eine politisch
auch europäische Ziele betroffen sein verantwortliche Person in einer hohen Füh-
DP: Wie lief Ihr 11. September 2001 ab? könnten. rungsfunktion wie die nun scheidende Bun-
Jörg Firley: An diesem Tag saß ich in meinem Firley: Die sogenannten Alarmrotten der Jagd- deskanzlerin oder die Verteidigungsministe-
Kölner Dezernenten-Büro. Nach den Luftwaf- flieger waren natürlich alle sofort in höchster rin sich über das Grundgesetz hinwegsetzen
fenwaffeneinsätzen im ehemaligen Jugos- Bereitschaft. Die Tage darauf wartete die Poli- und allein die Verantwortung für den Befehl
lawien hatten wir erstmals wieder etwas Zeit tik erst einmal ab, wie die Antwort der Amerika- tragen, ein mit hilflosen Menschen besetztes
für Grundlagenarbeit. Dort beruhigte sich die ner ausfallen würde. Luftwaffenintern gab es – Flugzeug abzuschießen.
Lage zusehends, und auch bei uns kehrte eine zumindest für uns Luftangriffskräfte – nach so
gewisse Normalität ein. Ich schrieb an einem kurzer Zeit noch keine Befehle. DP: Wie stellt sich Ihre persönliche Erin-
Konzept, das künftige Strategien der Luftauf- nerung an 9/11 dar?
klärung darstellen sollte, als ich den Ruf hörte: DP: Welches Szenario hätte sich abge- Firley: Als Wochenendpendler saß ich spä-
„Kommt sofort alle in mein Büro“. spielt, wenn ein entführtes Flugzeug wo- ter ganz allein vor dem Fernseher in meinem
möglich ein deutsches Ziel im Visier ge- kleinen Appartement und war schlicht scho-
DP: Sie sahen da die ersten Bilder? habt hätte? ckiert. Dann noch der Gedanke, dass Ameri-
Firley: Ja. Der Kamerad saß vor seinem Bild- Firley: Wir wussten selbstverständlich, dass ka mit großer Gewissheit massiv und sicherlich
schirm. Es lief die „Tagesschau“. Die Bilder kein westliches Land vor solchen Anschlägen auch zeitnah handelten. Knapp vier Wochen
zeigten in der Wiederholung, wie ein Passa- sicher sein würde, es hätte sogar noch am sel- nach 9/11 gab es dann erste Militärschläge auf
gierflugzeug in einen der beiden New Yor- ben Tag geschehen können. Angesichts die- Ziele in Afghanistan.
ker World-Trade-Center-Türme hineinflog. Es ses Angriffs hatten wir aus Pilotenkreisen sehr
herrschte absolute Stille, niemand sagte ein schnell angeregt, eigentlich schon gedrängt,
Wort. Wir starrten auf die Bilder und waren ein Regelwerk für solche Lagen zu entwickeln,
wie gelähmt. ein Was-wäre-wenn? … Das Gespräch führte Michael Zielasko.Sie können auch lesen
