Das Energiesystem resilient gestalten - Maßnahmen für eine gesicherte Versorgung - Union der deutschen ...
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Mai 2017 Stellungnahme Das Energiesystem resilient gestalten Maßnahmen für eine gesicherte Versorgung Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina | www.leopoldina.org acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften | www.acatech.de Union der deutschen Akademien der Wissenschaften | www.akademienunion.de
Impressum Reihenherausgeber acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften e. V. (Federführung) Geschäftsstelle München, Karolinenplatz 4, 80333 München | www.acatech.de Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina e. V. – Nationale Akademie der Wissenschaften – Jägerberg 1 , 06108 Halle (Saale) | www.leopoldina.org Union der deutschen Akademien der Wissenschaften e. V. Geschwister-Scholl-Straße 2, 55131 Mainz | www.akademienunion.de Redaktion Selina Byfield, acatech Wissenschaftliche Koordination Dr. Marion Dreyer, DIALOGIK Dr. Achim Eberspächer, acatech Produktionskoordination Marie-Christin Höhne, acatech Gestaltung und Satz Atelier Hauer + Dörfler GmbH, Berlin Druck Königsdruck, Berlin ISBN: 978-3-8047-3668-9 Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie, detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Das Energiesystem resilient gestalten Maßnahmen für eine gesicherte Versorgung
Vorwort 3 Vorwort Im Stromnetz läuft nicht immer alles störungsfrei: Kabelschäden und Kurzschlüsse sind keine Seltenheit, manchmal müssen auch ganze Kraftwerke abgeschaltet werden. Von den meisten Vorfällen erfahren wir nichts, weil die Stromversorgung trotzdem stabil bleibt. Das liegt auch daran, dass es mehr Stromerzeuger, Transformatoren oder Leitungen gibt als für den Normalbetrieb erforderlich sind. Es spielt daher zunächst keine Rolle, weshalb eine Leitung ausfällt. Bis der Schaden behoben ist, kann der Strom über eine andere weiterlaufen. Solche Redundanz – doppelt hält besser – trägt maßgeblich zu einem resilienten Ener- giesystem bei. Resilient bedeutet, dass das System auch unter Belastungen funktions- fähig bleibt und Energie bereitstellt. Bislang ist die Stromversorgung nur in wenigen anderen Ländern so zuverlässig wie in Deutschland. Allerdings wandelt sich das Ener- giesystem derzeit tiefgreifend. Einige dieser Entwicklungen machen es verwundbarer: Intelligente Stromzähler und -netze bieten neue Angriffspunkte, um die Stromversor- gung mit vergleichsweise einfachen Mitteln zu sabotieren. Gleichzeitig werden Wärme-, Gas-, Strom- oder Kommunikationsnetze stärker verknüpft, so dass sich Störungen auch auf andere Systeme ausbreiten können. Zu diesen technischen Umbrüchen kön- nen Gefahren von außen kommen, etwa Wetterextreme infolge des Klimawandels. Das Energiesystem unter diesen Bedingungen resilient zu gestalten, ist eine gemeinsame Aufgabe von Netz- und Kraftwerksbetreibern, Behörden und politischen Entscheidungs- trägern und Wissenschaftlern. Monitoring, IT-Sicherheit und die Aufklärung über das Verhalten in Notfällen gehören zu den Handlungsfeldern, die ebenfalls in dieser Stellung- nahme des Akademienprojekts „Energiesysteme der Zukunft“ (ESYS) adressiert werden. Ausgangspunkt der hier formulierten Handlungsoptionen waren Szenarien, die beispiel- haft illustrieren, wie einzelne Ereignisse oder Entwicklungen Kettenreaktionen auslösen und Teile der Energieversorgung unterbrechen oder die Energiewende ins Stocken bringen könnten. Ausführlicher beschrieben sind sie in der Analyse Das Energiesystem resilient gestalten. Szenarien – Handlungsspielräume – Zielkonflikte. Den Wissen- schaftlerinnen und Wissenschaftlern, die beide Publikationen erarbeitet haben, danken wir ebenso herzlich wie den Gutachterinnen und Gutachtern dieser Stellungnahme. Prof. Dr. Jörg Hacker Prof. Dr. Dieter Spath Prof. Dr. Dr. Hanns Hatt Präsident Präsident Präsident Nationale Akademie der acatech – Deutsche Akademie Union der deutschen Akademien Wissenschaften Leopoldina der Technikwissenschaften der Wissenschaften
Inhalt 5 Inhalt Zusammenfassung.................................................................... 6 1 Ein resilientes Energiesystem – was ist das und was nützt es?.................................................. 9 2 Neue Belastungen und Verwundbarkeiten – was könnte passieren?........................................................... 11 2.1 Sabotage und Anschläge........................................................................................ 12 2.2 Naturgefahren infolge des K limawandels.............................................................. 13 2.3 Rohstoffknappheiten durch internationale Risiken............................................... 14 2.4 Ungeeignete E nergieinfrastruktur durch falsche Investitionsanreize.................... 15 3 Mehr als die Summe ihrer Teile: die Resilienzstrategie.......... 17 4 Maßnahmen........................................................................... 20 4.1 Monitoring – von der Risikoanalyse zum Resilienz-Monitoring..............................22 4.2 Partizipation und Lastenausgleich......................................................................... 23 4.3 Stärkung von Ressourceneffizienz und -flexibilität................................................ 25 4.4 Diversifizierung...................................................................................................... 27 4.5 Redundanzen......................................................................................................... 28 4.6 Puffer, Speicher und Reserven............................................................................... 30 4.7 Dezentralität und funktionsfähige Teilsysteme...................................................... 32 4.8 Information und Aufklärung der Bevölkerung....................................................... 33 4.9 Notfallregelungen.................................................................................................. 34 4.10 Lernen.................................................................................................................... 35 5 Wer koordiniert? Systemische Steuerung als Erfordernis...... 37 Literatur.................................................................................. 39 Das Akademienprojekt........................................................... 43
6 Zusammenfassung Zusammenfassung Mit der Energiewende betritt Deutschland Wenn der Klimawandel voranschreitet, in vielen Bereichen unbekannte Pfade. kann die Versorgung mit russischem Der damit verbundene sozio-technische Erdgas ausfallen, weil Permafrostböden Umbruch macht das Energiesystem zu- auftauen und damit Gasleitungen unter- nehmend komplex. Einige Beispiele: Ver- brechen. Gleichzeitig wachsen mit der braucherinnen und Verbraucher werden zu Umsetzung der Energiewende die Ansprü- „Prosumentinnen und Prosumenten“, die che an die Energieversorgung. Im Kern auch Strom ins Netz einspeisen. Stromer- lauten sie: „grüne Energie“ zu bezahlba- zeuger genauso wie Verbraucher können ren Preisen und bei gleichbleibend hoher durch intelligente Netze digital gesteuert Versorgungssicherheit. Umso drängender werden. Durch unterschiedliche Techniken stellt sich die Frage: Wie kann das im Um- wie Elektromobilität oder das Herstellen bau befindliche deutsche Energiesystem von synthetischem Gas als Speichermedi- weiterhin ein hohes Maß an Versorgungs- um werden die Sektoren Strom, Wärme und sicherheit gewährleisten? Mobilität stärker miteinander verknüpft. Vor diesem Hintergrund erfordert Dieses Mehr an Komplexität ver- eine vorausschauende Energiepolitik ne- spricht das künftige Energiesystem in ben klassischen Risiko- und Kostenana- vielerlei Hinsicht effizienter und flexibler lysen eine Resilienzstrategie. Resilienz zu machen. So können intelligente Strom- bedeutet, dass ein System seine Funkti- netze dazu beitragen, den Verbrauch bes- onsfähigkeit auch unter hoher Belastung ser auf die wetterabhängig schwankende aufrechterhält oder nach Versagen schnell Einspeisung aus Windrädern und Pho- wiederherstellt und aus solchen Vorgän- tovoltaikanlagen abzustimmen. Gleich- gen lernt. In dieser Stellungnahme wird zeitig wird es schwieriger, Gefährdungen Resilienz als Gewährleistung der Versor- der Versorgungssicherheit abzuschätzen. gungssicherheit im Rahmen der Energie- Je komplexer ein System ist, desto mehr wende verstanden. Ansatzpunkte gibt es für unvorhersehbare Störungen, und desto eher können Proble- Weil nicht vorhersehbar ist, welche me, die in einem Teilbereich auftauchen, Ereignisse und Entwicklungen im Wech- das gesamte System beeinträchtigen. Über selspiel von internen und externen Ein- intelligente Stromzähler (Smart Meter) flüssen zu massiven Störungen der Ener- können Haushalte zum Einfallstor für An- gieversorgung führen könnten, müssen griffe auf das Gesamtsystem werden. Zu Schutzkonzepte über den wahrscheinli- vielen dieser Gefährdungen liegen kaum chen und erwartbaren Störfall hinausge- Erfahrungen vor. Dazu trägt bei, dass die hen. Resilienzstrategien setzen genau hier Energiewende das System vergleichsweise an. Sie dienen dazu, Systeme so zu ertüch- schnell tiefgreifend verändert. tigen, dass sie auch bei unwahrscheinli- chen und überraschenden Belastungen Belastungen entstehen auch durch ihre Funktionsfähigkeit und Lernfähigkeit „externe“ Faktoren: Dazu zählen nicht nur aufrechterhalten beziehungsweise kurz- Hackerangriffe auf die Energieversorgung. fristig wiederherstellen können.
Zusammenfassung 7 Notwendig sind dafür Maßnahmen, Monitoring dient dazu, Schwach- die gegenüber möglichst vielen verschiede- stellen und Gefährdungen des Ener- nen Belastungen wirken. Eine probate Me- giesystems zu identifizieren. Hier kann thode, Handlungsspielräume auszuloten auf Erkenntnisse des Risikomanagements und geeignete Maßnahmen zu identifizie- zurückgegriffen werden. Um auch uner- ren, sind Szenarien. In dieser Stellungnah- wartete Belastungen besser meistern zu me skizzieren Kurz-Szenarien beispielhafte können, müssen zunächst einmal Krite- Bedrohungskonstellationen: rien und Methoden entwickelt werden, um die Resilienz des Energiesystems zu • Sabotage und Anschläge messen. Zweckmäßig ist ein regelmäßiges • Naturgefahren infolge des Monitoring des gesamten Energiesystems. Klimawandels • Rohstoffknappheiten durch Partizipation und Lastenausgleich internationale Risiken tragen dazu bei, dass die Zivilgesellschaft • Ungeeignete Infrastruktur durch die Energiewende und den Bau nötiger falsche Investitionsanreize Infrastruktur akzeptiert oder unterstützt. Mittel dafür sind Bürgerforen, Ombuds- Eine Resilienzstrategie muss auch die stellen, ein möglicher Entschädigungs- Möglichkeit einer Kombination solcher fonds für Belastungen durch den Bau von (und weiterer) Szenarien berücksichtigen. Infrastruktur oder Möglichkeiten finanzi- Für kombinierte Szenarien gilt das Glei- eller Teilhabe. che wie für die einzelne Bedrohung: Zwar ist es unwahrscheinlich, dass eine der hier Für Elektroautos und Elektrolyseu- ausgeführten Bedrohungskonstellationen re sind Seltene Erden und Metalle notwen- genau so eintritt wie beschrieben. Je mehr dig, die Deutschland importiert. Um hier Konstellationen allerdings möglich sind, Engpässe auf dem Rohstoffmarkt und die und bei komplexen Systemen wächst de- Abhängigkeit von einzelnen Lieferländern ren Zahl rapide, desto wahrscheinlicher zu reduzieren, ist es sinnvoll, das Recycling wird es, dass irgendeine davon eintritt. etwa von Platingruppenmetallen und das Entwickeln von Ersatzstoffen voranzutrei- Eine Resilienzstrategie umfasst die ben. Eine wichtige Grundlage dafür sind vier Handlungsfelder: ausreichende Finanzierung der Forschung und verbesserte Gesetze und Standards. • Risiken und Schwachstellen identifizieren Durch die Diversifizierung von • Das System robust und vorsorgend Anlagen zur Stromerzeugung können Ri- gestalten siken gestreut werden. Windräder sind • Ausfälle überbrücken und die nicht von Hitzewellen betroffen und Gas- Systemleistung wiederherstellen kraftwerke können dann Strom erzeugen, • Flexible und adaptive Systeme wenn weder der Wind weht, noch die Son- aufbauen ne scheint. Standards können mit verhin- dern, dass intelligente Netze oder Zähler Umsetzen lässt sich die Resilienzstrategie mit identischer Software ausgestattet wer- mit Maßnahmen. Deren Ausgangspunkt den, was sie anfälliger gegenüber Hacker- sind oft Kooperationen: zwischen Behör- angriffen macht. den und Energieversorgern oder Netzbe- treibern, vor allem aber zwischen Staaten. Redundanz bedeutet, Leitungen, Ge- Fast alle der folgenden zehn Typen von Re- neratoren und andere Elemente häufiger silienzmaßnahmen für das Energiesystem zu installieren als für den Normalbetrieb werden durch Kooperationen wirksamer: nötig. Dann bleibt die Versorgung auch er-
8 Zusammenfassung halten, wenn einige dieser Elemente aus- Lernen ist wichtig, um das System fallen. Wenn Daten in intelligenten Netzen stets an neue Rahmenbedingungen an- stets mehrfach und über verschiedene Ka- zupassen. Dafür ist es hilfreich, Ausfälle näle übermittelt werden, sind Manipulatio- genauso zu dokumentieren wie „Beina- nen durch Hacker weniger wirksam. he-Katastrophen“. Kritische Situationen können durch Simulationen vorwegge- Puffer, Speicher und Ressourcen nommen werden. Hierfür müssen Mo- aller Art können kurzfristige Engpässe ab- delle weiter und neuentwickelt und Netz- fangen. Dazu zählen Erdgasspeicher oder und Kraftwerksbetreiber damit vertraut Lager von Metallen. Dazu zählen aber gemacht werden. auch unverplante Ressourcen wie Repa- ratureinheiten oder „Springer“, die bei Angesichts der Vielfalt möglicher Bedarf schnell eingesetzt werden können. Belastungen im künftigen Energiesystem In Stromnetzen könnten „Systembeobach- ist damit zu rechnen, dass eine erfolgver- ter“ zum Einsatz kommen, die engen Kon- sprechende Resilienzstrategie einer Kom- takt zu Reparatureinheiten halten. bination von Maßnahmentypen bedarf. Nicht in jeder Situation greift die gleiche Wenn das Gesamtsystem als Sum- Maßnahme oder Maßnahmenkombina- me für sich funktionsfähiger Teilsysteme tion. Resilienzförderung erfordert Maß- angelegt wird, sinkt das Risiko, dass Aus- nahmen, die auf Rahmenbedingungen fälle sich großräumig ausbreiten. Ein sol- und Akteure zugeschnitten sind. Das ches „zelluläres Design“ setzt voraus, dass Energiesystem sollte als lernendes Sys- Stromerzeuger, Speicher, aber auch Repa- tem gestaltet werden, das auf Ereignisse ratureinheiten räumlich verteilt und auch und Entwicklungen flexibel und adaptiv die Netze intelligent verknüpft werden. reagieren kann. Dies erfordert unter an- derem, die Improvisationsfähigkeit von Information und Aufklärung der Be Akteuren zu stärken. völkerung können dazu beitragen, dass die Folgen von Versorgungsausfällen weniger Ein wichtiges Bewertungskriterium dramatisch ausfallen. Erfahrungen aus für Resilienzmaßnahmen ist deren Effizi- Großbritannien zeigen, dass Unterricht und enz in einer Langfristperspektive. Schließ- Schulungen signifikante Wirkung zeigen. lich kostet Resilienz zunächst einmal Geld. Ebenfalls zur Versorgungssicherheit bei- Eine allzu kurzfristige Perspektive ist dabei tragen können Kampagnen für Energieeffi allerdings problematisch. Langfristig ist zienz oder für das Installieren lokaler Spei- Resilienz eine lohnende Investition. Wich- cher, um das System flexibler zu machen. tig ist daher ein Wechsel der Perspektive: weg von kurzfristiger Optimierung hin zu Mit Notfallregelungen lassen sich langfristigem, strategischem Denken. Es ist Störungen überbrücken und der Betrieb die Aufgabe der Politik, diesen Perspektiv- des Systems schneller wiederherstellen. wechsel voranzutreiben und die Förderung Digitale Notbetriebs-Infrastrukturen kön- von Resilienz so zu steuern, dass Maßnah- nen einspringen, wenn beispielsweise die men und Akteurs-Verantwortlichkeiten Hauptrechner zerstört wurden. Verteilnet- bestmöglich aufeinander abgestimmt sind. ze könnten so umgebaut werden, dass bei Störungen stufenweise Verbraucher ab- gekoppelt werden können. Dabei würden weniger wichtige Verbraucher wie Leucht- reklamen zuerst, essenzielle Verbraucher wie Feuerwehrzentralen dagegen nie von der Versorgung getrennt.
Ein resilientes Energiesystem – was ist das und was nützt es? 9 1 Ein resilientes Energiesystem – was ist das und was nützt es? Am 23. Dezember 2015 gingen in der Dienstleistungsunternehmen in Deutsch- westlichen Ukraine die Lichter aus. Ha- land ist eine zuverlässige Versorgung ein ckern war es gelungen, Schadsoftware in primäres Anliegen:3 Versorgungssicher- die Computersysteme dreier ukrainischer heit ist ein Standortvorteil. Auch deshalb Stromversorger einzuschleusen und so ist das Stromnetz heute schon so ausge- mehrere Umspannwerke vom Netz zu legt, dass selbst bei Höchstlast einzelne trennen. Gleichzeitig löschten sie Sys- Leitungen oder Kraftwerke ausfallen kön- temdateien und legten das Callcenter ei- nen, ohne dass es zu einem großräumigen nes der Versorger lahm, damit dieser sich Stromausfall kommt. nicht durch Anrufe betroffener Kundin- nen und Kunden ein Bild vom Ausmaß der Mit der Energiewende wird diese Ausfälle machen konnte. Nach rund drei hochtechnisierte und vernetzte Infra- Stunden gelang es den Verteilnetzbetrei- struktur komplett umgebaut. Dadurch bern, die Versorgung wiederherzustellen. wird die Versorgung in mancher Hinsicht Bis dahin waren über 200.000 Haushalte robuster: Schon heute sind die Millio- vom Strom abgeschnitten.1 nen von Wind- und Photovoltaikanlagen physisch schwerer auszuschalten als die Der erste bekanntermaßen von Ha- wenigen hundert Großkraftwerke, die in ckern ausgelöste Stromausfall zeigt: Der den neunziger Jahren den Strom liefer- Wandel des Energiesystems macht Belas- ten. Gleichzeitig entstehen jedoch neue tungen möglich, die es davor nicht gege- Verwundbarkeiten: Windrädern und ben hat. Dass die Energie- und insbeson- Photovoltaikanlagen fehlen die rotieren- dere die Stromversorgung in Deutschland den Massen der Turbinen von Gas-, Koh- in den letzten Jahrzehnten äußerst zuver- le- oder Kernkraftwerken, die zur Stabili- lässig funktioniert haben, ist keine Garan- sierung der Netzfrequenz beitragen. Vor tie, dass das auch so bleibt. Und dass die allem aber schwankt die Erzeugung von deutsche Bevölkerung die Energiewende Strom aus erneuerbaren Energien wet- mehrheitlich weiter befürwortet, bedeu- terbedingt und damit unabhängig vom tet nicht, dass die Ansprüche an die Ver- Verbrauch. Um hier für mehr Flexibili- sorgung sinken. Von den zentralen Zielen tät zu sorgen, werden intelligente Netze der Energiewende sind Bezahlbarkeit und und Zähler eingeführt. Vernetzte Haus- Versorgungssicherheit den Bürgerinnen haltsgeräte können zu einem weiteren und Bürgern die wichtigsten.2 Das Ideal Einfallstor für digitale Angriffe auf das lautet: „grüne Energie“ zu möglichst gerin- Energiesystem werden.4 gen Kosten bei gleichbleibend hoher Ver- sorgungssicherheit. Vielen Industrie- und 3 Das zeigt sich beispielsweise daran, dass 2016 rund die Hälfte von über 2000 befragten Unternehmen Maßnahmen zur Absicherung gegen Stromausfälle 1 Vgl. E-ISAC/Sans 2016. durchführte oder plante (vgl. DIHK 2016, S. 19). 2 In den Ergebnissen einer FORSA-Umfrage bewerten 4 Im Oktober 2016 benutzten Hacker vernetzte Kame��- die Befragten die Kosten als wichtiger als Versorgungs- ras, Drucker und Babyphones, um Internetdienste wie sicherheit und Umweltfreundlichkeit (vgl. Forsa 2016). Amazon oder Netflix durch Überlastung unbenutzbar In anderen Umfragen steht die Versorgungssicherheit zu machen. Auch mit solchen Methoden könnten an erster Stelle (vgl.Schubert et al. 2013, S. 36). Hacker eines Tages das Energiesystem angreifen.
10 E in resilientes Energiesystem – was ist das und was nützt es? Dabei wird das System immer kom- oder zumindest innerhalb kurzer Zeit wie- plexer: Dafür sorgen immer mehr Anla- derhergestellt werden kann, ist ein resili- gen und Stromversorger sowie neue Ver- entes Energiesystem. Dem Vorsorgeprinzip bindungen und Schnittstellen zwischen entsprechend sollte auch die Energiewende Strom-, Wärme-, Gas- und Kommunika- in Deutschland um eine Resilienzstrategie tionsnetzen oder Wasserstofftankstellen. ergänzt werden. Sie sollte sich in eine allge- Verglichen mit den letzten Jahrzehnten meine Nachhaltigkeitsstrategie einfügen.6 des 20. Jahrhunderts verändert sich das System zudem immer schneller. Damit die Versorgung weiterhin reibungslos funkti- Resilienz ist die Fähigkeit eines Systems, seine oniert, müssen Technik, regulatorischer Funktionsfähigkeit unter Belastungen auf- Rahmen und das Verhalten der Nutzerin- rechtzuerhalten beziehungsweise kurzfristig nen und Nutzer zusammenpassen. Doch je wiederherzustellen. komplexer und dynamischer ein System, desto weniger lassen sich die Auswirkun- gen einzelner Störfaktoren und ihre Wech- Mit „System“ ist dabei ein sozio- selwirkungen im Vorhinein einschätzen. technisches System gemeint, in dem auch psychologische, soziale und öko- Unter diesen Bedingungen werden nomische Logiken gelten. Im Folgenden sogenannte „schwarze Schwäne“ wahr- wird skizziert, wie die Versorgungssicher- scheinlicher. Dabei handelt es sich um heit dieses Systems gewährleistet werden wirkmächtige Ereignisse, die sich schlecht kann. Die Rahmenbedingungen ändern quantifizieren und prognostizieren lassen sich dabei laufend. Zum einen wird das und überraschend eintreffen5 – wenn Energiesystem selbst in hoher Geschwin- schon nicht für einzelne Fachleute, so für digkeit umgebaut. Zum anderen gewin- die handelnden Personen. In der Regel nen bestimmte äußere Faktoren an Be- lassen sich „schwarze Schwäne“ erst im deutung; es ist sehr wahrscheinlich, dass Nachhinein erklären. Ein Beispiel ist das Klimawandel oder Terrorismus zu ihnen Ozonloch: Dieses hatte niemand vorher- zählen. Der Fokus auf Künftiges ist des- gesehen, obwohl grundsätzlich bekannt halb wichtig, weil die Energiewende ein war, dass Fluorchlorkohlenwasserstoffe langfristiges Projekt ist, dessen Zielvor- in der Atmosphäre zum Abbau von Ozon gaben bis in das Jahr 2050 reichen.7 Das führen. Gegenüber derartigen Belastun- ist auch der Zeithorizont der Belastungen gen stößt klassisches Risikomanagement und Resilienzmaßnahmen, die im Folgen- an seine Grenzen. den skizziert werden. Dabei wird voraus- gesetzt, dass die bundesdeutsche Politik Abhilfe schafft hier eine Resili- an den Zielen der Energiewende festhält. enzstrategie. Ein Energiesystem, dessen Funktion – hier die Versorgungssicher- heit – unter Belastungen erhalten bleibt 5 Zur Definition des Begriffs „Schwarzer Schwan“ vgl. Taleb 2007, S. xvii-xix. Deutlich weiter gefasst ist die 6 In der „Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie“, die das Definition des Begriffs „schwarzer Schwan“ in einer Bundeskabinett im Januar 2017 beschlossen hat, vom Bundeswirtschaftsministerium beauftragten spielt die Versorgungssicherheit im Abschnitt zum Studie zum Risikomanagement für die Energiewende Thema Energie zwar eine Rolle, der Begriff „Resilienz“ (siehe Prognos/ewi/GWS 2016). Sie werden dort darin wird an dieser Stelle aber nicht genannt (vgl. Bundes- zwar als unerwartete und überraschende Ereignisse regierung 2017, S. 113−121). definiert, die die Zielerreichung der Energiewende 7 Für die Ziele der Energiewende vgl. Umbach 2015, gefährden könnten. Im Folgenden werden aus 150 S. 11−15. Zwei der wichtigsten quantitativen Ziele „schwarzen Schwänen“, die in einer Literaturanalyse lauten, dass die Treibhausgasemissionen um 80 bis und in Experteninterviews identifiziert wurden, 15 95 Prozent bis 2050 (gegenüber 1990) reduziert wer- „Risikocluster“ gebildet und erörtert. Viele dieser den und der Primärenergieverbrauch bis 2050 um 50 Ereignisse – etwa steigende Energiepreise – wären Prozent und bis 2020 um 20 Prozent (gegenüber 2008) allerdings weder unerwartet, noch überraschend. gesenkt wird (vgl. Bundesregierung 2010, S. 4−5).
Neue Belastungen und Verwundbarkeiten – was könnte passieren? 11 2 Neue Belastungen und Verwundbarkeiten – was könnte passieren? Ungünstige Entwicklungen oder Ereig- mögliche Fehlentwicklungen und Belas- nisse können durch einzelne technische, tungen, die zum Teil gravierende Folgen organisatorische und Natureinflüsse ge- haben können. Einige Entwicklungen sind nauso verursacht werden wie durch die absehbar, etwa die wachsende Digitalisie- Wechselwirkungen zwischen diesen. An- rung des Energiesystems, der zunehmen- zahl und Ausprägung von Bedrohungs- de Bedarf an metallischen Rohstoffen, szenarien lassen sich nicht vollständig die Zunahme des internationalen Terro- überblicken. Allerdings lässt sich anhand rismus und schädliche Auswirkungen des einiger ausgewählter Szenarien ausloten, Klimawandels. an welchen Stellen Handlungsbedarf und Handlungsspielraum für Resilienzmaß- Die Bedrohungskonstellationen nahmen besteht. Auch wenn sie nur einen der vier Beispielszenarien sind aus den Ausschnitt möglicher Belastungen für das Bedrohungsszenarien der ESYS-Analyse Energiesystem abbilden, liefern die Sze- Das Energiesystem resilient gestalten. narien daher wichtige Hinweise, was man Szenarien – Handlungsspielräume – tun kann, um das Energiesystem resilien- Zielkonflikte abgeleitet,9 auf der diese ter zu machen. Stellungnahme aufbaut. Sie dienen als exemplarische Belastungstests für die In dieser Stellungnahme werden Versorgungssicherheit im Rahmen der vier Szenarien mit unterschiedlichen Aus- Energiewende. Die in den beiden erstge- lösern skizziert: nannten Szenarien beschriebenen Belas- tungen gefährden das Energiesystem und • Sabotage und Terroranschläge damit die Versorgungssicherheit unmit- • Naturgefahren infolge des telbar. Sie können direkt zu großräumigen Klimawandels Stromausfällen führen. Die Szenarien zu • Rohstoffknappheiten infolge zeitweiligen Rohstoffknappheiten und feh- internationaler Entwicklungen lenden oder fehlgeleiteten Investitionen in • Ungeeignete Energieinfrastruktur Infrastruktur dagegen beschreiben, wie die infolge falscher Investitionsanreize Energiewende ausgebremst werden kann. Indem sie zu Engpässen führen, machen Die narrativen Szenarien bilden beispiel- sie das System verwundbarer und bedro- haft ab, was sein könnte.8 Sie sind jedoch hen die Versorgungssicherheit mittelbar. keine Prognosen und sagen nichts dar- über aus, wie wahrscheinlich es ist, dass bedrohliche Situationen tatsächlich eintre- ten. Vielmehr werfen sie Schlaglichter auf 8 Für qualitativ-narrative Szenarien gilt genauso wie für quantifizierende: Ein Szenario bringt zum Ausdruck, 9 Vgl. Renn 2017. In der Analyse ist der Gegenstand dass ein zukünftiger Zustand oder eine zukünftige von Resilienz jedoch weiter gefasst: Dort ist er auf die Entwicklung für möglich gehalten wird; „möglich“ Energiewende als Prozess und mit ihr auf die Ziele bedeutet hier: konsistent mit dem aktuellen Stand des Klimaverträglichkeit, Bezahlbarkeit, Versorgungssi- relevanten Wissens (vgl. acatech/Leopoldina/Akade- cherheit sowie Ressourcenschonung, Sozialverträg- mienunion 2015-3, S. 9−10; Dieckhoff et al. 2014, S. 10). lichkeit und globale Verantwortung bezogen.
12 Neue Belastungen und Verwundbarkeiten – was könnte passieren? 2.1 Sabotage und Anschläge schaftsstärker und dichter besiedelt die betroffene Region ist. Terrorismus ist eine weltweite Gefahr. Energieinfrastruktur war bereits Ziel von Zwar wird im Zuge der Energie- Angriffen: Anfang der sechziger Jahre wende die physische Infrastruktur de- sprengten Mitglieder des separatisti- zentraler. Gleichzeitig kann deren digita- schen „Befreiungsausschusses Südtirol“ le Steuerung zentraler werden. Bei einer rund vierzig Strommasten. Einige nord weitgehend zentralen digitalen Steuerung italienische Industriegebiete waren da- von Stromerzeugern und Netzen können nach kurzzeitig von der Stromversorgung Sicherheitslücken entstehen. Das Gleiche abgeschnitten, Züge blieben während der gilt, wenn mehr Privathaushalte mit in- Fahrt stehen. Dass der Strom sich heut- telligenter Messtechnik ausgestattet sind. zutage auch mit IT-Kenntnissen kappen Selbst wenn „Secure Smart Meters“ zusätz- lässt, zeigt der eingangs skizzierte Hacker- liche Datensicherheit gewährleisten, ent- angriff auf ukrainische Stromversorger im stehen dadurch mögliche neue Angriffs Dezember 2015. Derartige Stromausfälle punkte. Dann nimmt die Verwundbarkeit sind umso schadensträchtiger, je wirt- der Infrastrukturen durch Sabotage zu. Szenario Hackerangriff Nehmen wir an, die öffentliche Debatte über IT-Sicherheitsrisiken für das Energiesystem ist ausgeblie- ben, obwohl viele Probleme unter Fachleuten bekannt waren. So hat das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik zwar klargestellt, dass die Unternehmen einschließlich der Kraftwerke sich nicht allein auf den Schutz durch den Staat verlassen dürfen, sondern sich vor allem selbst schützen müssen. Das Gleiche gilt für Privathaushalte, die mit ihren dezentralen Erneuerbare-Energien-Anlagen inzwischen einen großen Teil des Stroms in Deutschland erzeugen. Sowohl Energieversorger als auch Privathaushalte bekamen Sicherheitsrichtlinien zur Verfügung gestellt. Oft wurden diese aber nicht umgesetzt. Außerdem haben viele Energieunternehmen aus Furcht vor Imageschäden nicht über versuchte oder ge- lungene Hackerangriffe auf ihre Energieanlagen berichtet, obwohl sie laut dem Gesetz zur Informations- sicherheit dazu verpflichtet gewesen wären. Branchenweit haben deshalb Unternehmen die Gefahren mangelhafter Sicherheitsvorkehrungen unterschätzt. Sie haben es daher versäumt, ausreichend in die IT-Sicherheit zu investieren, weil dies keine unmittelbaren Wettbewerbsvorteile versprach. Die Energieversorger sind also schlecht vorbereitet, als Hacker sich über das zentrale Portal für Betriebsda- ten Zugriff auf einzelne Kraftwerke sowie eine große Anzahl dezentraler Erzeugungsanlagen verschaffen. Dieses Portal hat die Bundesnetzagentur aufgebaut, um die Daten möglichst vieler Stromerzeuger und -verbraucher zu erfassen. Auf Basis dieser Daten erstellen Netzbetreiber und Energieversorger Prognosen zu Netzauslastung und Strombedarf. Damit schaffen sie jedoch einen „Single Point of Failure“, über den sich das gesamte System manipulieren lässt. Indem die Hacker überhöhte Verbrauchsprognosen einspei- sen, sorgen sie dafür, dass viele Kraftwerke zwischen höchster Erzeugung und Notabschaltung pendeln. Der Angriff verursacht neben starken Preisschwankungen an den Strombörsen auch großräumige Strom- ausfälle. Die Bevölkerung verliert nicht nur das Vertrauen in die Sicherheit des digital gesteuerten Ener- giesystems, sondern in die Energiewende als solche. Behörden und Systembetreiber führen daraufhin in großem Maßstab rigide Sicherheitsmaßnahmen ein, die die Energieversorgung teurer und zugleich weniger flexibel machen.
Neue Belastungen und Verwundbarkeiten – was könnte passieren? 13 2.2 Naturgefahren infolge des dere freistehende Stromleitungen be- Klimawandels schädigen. Überschwemmungen können Umspannwerke und Strommasten unter- Wetterextreme und Naturgefahren tref- spülen und zerstören. Häufigere Hitzewel- fen auch das Energiesystem. Im Novem- len können das deutsche Energiesystem ber 2005 froren große Mengen nassen und den Systemumbau stark belasten. Schnees an Stromleitungen und Strom- Wenn die Permafrostböden in Sibirien masten fest, so dass schließlich mehrere auftauen, könnten Erdgaspipelines be- davon zusammenbrachen. Die Belastung schädigt und Lieferketten dieses wichti- waren heftige Schneefälle in kurzer Zeit, gen Rohstoffs unterbrochen werden. die Schwachstelle war die veraltete Infra- struktur: Zahlreiche Strommasten waren Auch selten, aber regelmäßig auf- über 65 Jahre alt und aus sprödem und tretende Naturereignisse können künf- relativ leicht brechendem Stahl. Rund tige Energiesysteme stark beeinträch- 250.000 Haushalte blieben tagelang ohne tigen: Geomagnetische Stürme können Strom; der wirtschaftliche Schaden durch Transformatoren beschädigen und damit das „Münsterländer Schneechaos“ wird Stromnetze zum Ausfall bringen. Und ein auf rund 100 Millionen Euro geschätzt. Vulkanausbruch in der Größenordnung des Krakatau-Ausbruchs 1883, nach dem Mit dem Klimawandel werden noch jahrelang Aschepartikel in der Atmo- Wetterextreme wahrscheinlicher. Außer sphäre schwebten, würde den Ertrag an Schnee können auch Stürme insbeson- Solarenergie massiv reduzieren. Szenario Hitzewellen Nehmen wir an, ab dem Jahr 2030 ist es durchschnittlich einmal pro Jahr so lange so heiß wie im Som- mer 2003. Die Hitzewellen reichen von Südfrankreich bis Russland. Kohlekraftwerke können nicht mehr per Schiff mit Kohle versorgt werden, weil die Pegel der großen Flüsse zu niedrig sind. Vor allem aber wird das verbliebene Wasser sehr warm. Aus Gründen des Gewässerschutzes darf es daher nicht mehr verwendet werden, um Kohle- und Gaskraftwerke zu kühlen. Die Situation verschärft sich, weil in meh- reren Nachbarländern Deutschlands Kühltürme fehlen, die für das Kühlen von Kraftwerken mit weniger Frischwasser auskommen. Dort müssen so viele Kraftwerke herunterfahren, dass die Grundlast nicht mehr zuverlässig bedient werden kann. Weil das deutsche Stromnetz mit dem der europäischen Nach- barländer verbunden ist, wird auch die deutsche Stromversorgung instabil. Weil sich die Hitzewellen häufen, stellen immer mehr Privatleute und Gewerbebetriebe mobile und zu- gleich ineffiziente Klein-Klimaanlagen auf. Der zusätzliche Stromverbrauch führt vor allem mittags zu neuen Lastspitzen. Diese können auch durch Solarstrom nicht vollständig ausgeglichen werden, weil die Produktivität von Photovoltaikzellen bei starker Hitze sinkt. Während der Hitzewellen bricht die Stromversorgung daher mehrfach zusammen. Zwar sind die Ausfälle nur vorübergehend, als Gegenmaßnahme erhöht der Gesetzgeber aber die Standards für die Kühlsyste- me der Gas- und der verbliebenen Kohlekraftwerke. Statt in Netze oder Speicher investieren Energiever- sorger nun vorrangig in Kühlsysteme älterer Kraftwerke. Das macht die Energieversorgung teurer, aber nicht klimafreundlicher. Unternehmen sehen die neuen Anforderungen für Kühlungen als Eingriffe in die Planungs- und Investitionssicherheit, die Bürgerinnen und Bürger sehen sie als Kurswechsel gegen die Energiewende, deren Akzeptanz damit entsprechend nachlässt.
14 Neue Belastungen und Verwundbarkeiten – was könnte passieren? 2.3 Rohstoffknappheiten durch Embargos oder Kriege sind nur die internationale Risiken auffälligsten Ursachen für explodieren- de Preise von Energierohstoffen. Andere Die Preise für Energierohstoffe sind eng Ursachen sind technische Probleme oder mit politischen Entwicklungen in den falsche Einschätzungen darüber, wie viel Lieferländern verknüpft. Ab 2006 be- Rohstoffe förderbar oder auch nur am schränkte die chinesische Regierung die Markt verfügbar sind. Daraus entstehen- Exporte Seltener Erden. Da über neun- de „Rohstoffhypes“ können dazu führen, zig Prozent der weltweit geförderten Sel- dass Rohstoffe wie Platingruppenmetalle11 tenen Erden aus China stammte, folgten schlagartig teuer und schwerer verfügbar rapide Preissteigerungen: Von 2010, als werden. Für den Aufbau der neuen Ener- die Exportquoten um vierzig Prozent ge- gieinfrastruktur sind metallische Rohstof- senkt wurden, bis Mitte 2011 verzehnfach- ten sich die Preise für Neodym, das unter anderem für die Magneten in den Rotoren 11 Zu den Platingruppenmetallen gehören die sechs von Windrädern verwendet wird.10 Elemente Platin [Pt], Palladium [Pd], Ruthenium [Ru], Rhodium [Rh], Iridium [Ir] und Osmium [Os]. Sie treten als gekoppelte Elemente – vergleichbar den Seltenen Erden – in Lagerstätten immer zusammen auf. Wirtschaftlich mit Abstand am bedeutendsten sind Platin mit einer Weltbergbauproduktion von 190 Ton- nen pro Jahr und Palladium mit 210 Tonnen pro Jahr. Die anderen Platingruppenelemente werden nur als 10 Vgl. Angerer et al. 2016, S. 145; BGR 2014, S. 4. Beiprodukte bei der Platin- und Palladiumgewinnung Gegenüber dem Jahr 2003, in dem der „China-Preis- produziert, von Iridium zum Beispiel 3 bis 4 Tonnen Boom “ begann, traten, wenn man Tagesspitzenpreise pro Jahr. Gewonnen werden sie überwiegend aus berücksichtigt, sogar Preissteigerungen um den eigenständigen Lagerstätten, teilweise auch als Beipro- Faktor 70 beziehungsweise über 100 auf. dukt in Nickellagerstätten (vgl. Renn 2017, S. 23). Szenario Platingruppenmetall-Knappheit Nehmen wir an, in den 2030er-Jahren fahren immer mehr Menschen Autos mit Brennstoffzellen, die Wasserstoff als Energieträger nutzen. Dadurch werden Platingruppenmetalle sehr wichtig. Sie werden für die Brennstoffzellen ebenso benötigt wie für die Elektrolyseure, die den Wasserstoff herstellen. Die Nachfrage nach Platingruppenmetallen wächst daher rapide. Südafrika, eines der wichtigsten Lieferländer, verhängt jedoch einen Exportstopp für Platingruppenme- talle, weil es die Produktion von Elektrolyseuren im eigenen Land vorantreiben will. In Russland, Simbab- we und den USA, wo die Produktion erhöht werden sollte, streiken die Bergleute. Sie fordern, dass die Gehälter mit den gestiegenen Gewinnen der Bergbaugesellschaften mitziehen. Neue Lieferanten wird es auf absehbare Zeit nicht am Markt geben. Die Exploration weiterer Lagerstätten von Platingruppenme- tallen in Indonesien, dem Oman oder den Philippinen kommt aufgrund lokaler Proteste gegen Umwelt- schäden und einen befürchteten sozialen Abstieg der Anwohnerinnen und Anwohner ebenfalls nicht voran. Wasserstoff-Langzeitspeicher oder Brennstoffzellen, die ohne Platingruppenmetalle auskommen, wurden bisher nicht mit Nachdruck entwickelt. Sie stehen mindestens kurzfristig nicht zur Verfügung. Unmittelbar ist die Versorgungssicherheit in Deutschland nicht gefährdet. Weil durch den anhaltenden Engpass bei Platingruppenmetallen Wasserstoff teuer wird, gerät jedoch die Energiewende ins Stocken. Dazu trägt bei, dass die medialen Debatten über Metallknappheit einen Stimmungsumschwung verursa- chen: Viele Menschen glauben nicht mehr, dass die Energiewende gelingen kann: Die Proteste gegen den notwendigen Ausbau der Energieinfrastruktur nehmen zu, Investitionen in klimafreundlichere Technik nehmen ab.
Neue Belastungen und Verwundbarkeiten – was könnte passieren? 15 fe die wichtigste Gruppe.12 In Deutsch- Interessenkonflikte zwischen regio- land werden entsprechende Metalle nicht naler, nationaler und europäischer Politik, abgebaut; bei den Primärrohstoffen ist die sich in einem längeren Entscheidungs- Deutschland daher vollständig von Impor- stau niederschlagen, wachsende Proteste ten abhängig. Daher kann es problema- gegen den Bau neuer Energieinfrastruktur tisch werden, wenn rohstoffexportierende wie Stromtrassen oder Windparks oder Länder die Ausfuhr beschränken oder es wechselnde Positionen zur Energiewende dort zu Protesten gegen den Rohstoffab- auf Regierungsebene belasten das Ener- bau kommt. Beides kann zu Rohstoffeng- giesystem gleichermaßen. Solche Entwick- pässen in Deutschland führen. lungen können Investoren verunsichern und damit den notwendigen Aus- und Um- bau von Energieinfrastruktur verhindern. 2.4 Ungeeignete Energieinfrastruktur durch falsche Investitionsanreize Kombinationen der aufgeführten und anderer Bedrohungsszenarien sind Die Politik eines Landes kann auch dessen ebenfalls möglich. Ein Beispiel sind ter- eigene Versorgungssicherheit gefährden: roristische Angriffe auf ein durch Extrem- Im Zug der Deregulierung des kaliforni- wetter bereits belastetes Energiesystem, schen Strommarkts ab 1996 waren die das aufgrund unzureichender Investi etablierten Versorger angewiesen wor- tionen zu wenige „Puffer“ für Ausfallsi- den, zahlreiche ihrer Kraftwerke zu ver- tuationen bereithält. Würden solche oder kaufen. Den größten Teil des Stroms, den andere Bedrohungsszenarien unvorbe- sie ab dann lieferten, mussten sie davor reitet Wirklichkeit werden, könnte dies selbst einkaufen. Allerdings wurden nur zu Krisen führen, die nur sehr schwer zu die Großhandelspreise für Strom liberali- bewältigen wären. Für kombinierte Sze- siert, während die Endkundenpreise gede- narien gilt das Gleiche wie für die einzelne ckelt blieben. Unter diesen Bedingungen Bedrohung: Es ist zwar unwahrscheinlich, konnten Kraftwerksbetreiber ihre Profite dass eine spezielle Bedrohungskonstel- steigern, indem sie Kraftwerke abschal- lationeintritt. Je mehr Konstellationen teten und damit das Angebot künstlich allerdings möglich sind, desto wahr- verknappten. In den Jahren 2000 und scheinlicher wird es, dass einer von vielen 2001 waren die etablierten kalifornischen möglichen Effekten dieser Kombinatio- Stromversorger zahlungsunfähig, und es nen eintritt, der zum Ausfall der Versor- kam zu rollierenden Abschaltungen und gung führen kann. großflächigen Stromausfällen. Der wirt- schaftliche Schaden durch die „kaliforni- sche Energiekrise“ wird auf über 40 Milli- arden US-Dollar geschätzt.13 12 Vgl. Angerer et al. 2016. 13 Vgl. Weare 2003, Schätzung der Kosten S. 3−4.
16 Neue Belastungen und Verwundbarkeiten – was könnte passieren? Szenario Investitionsstau Nehmen wir an, obwohl die Bundesregierung in den Jahren 2014 bis 2016 das Marktdesign für den Strom- sektor in einer breit angelegten Diskussion erarbeitet hat, ändern wechselnde Regierungskoalitionen die- ses Design in den Jahrzehnten darauf immer wieder. Vor allem über die Förderung von erneuerbaren Energien und Energieeffizienz sowie das Vorhalten von flexiblen Kraftwerken oder Speichern herrscht Uneinigkeit. An die neuen Anforderungen eines Energiesystems mit wachsenden Anteilen dezentraler erneuerbarer Energien in intelligent vernetzten Systemen (Strom, Wärme, Verkehr) werden die Energie- märkte nicht ausreichend angepasst. Die nötigen Investitionsanreize bleiben aus. Das blockiert den notwendigen Umbau des Kraftwerksparks: Ineffiziente alte Kohlekraftwerke werden nach entsprechender Prüfung durch die Bundesnetzagentur durch Subventionen am Leben gehalten, weil sie systemrelevant sind. Gleichzeitig werden moderne Gas- und Kraft-Wärme-Kopplung-Kraftwerke durch die Betreiber stillgelegt, weil sie sich angesichts ihrer immer selteneren Einsätze nicht mehr rechnen. Parallel dazu wurde versäumt, die Netze auszubauen sowie die Entwicklung und den Einsatz von Ener- giespeichern voranzutreiben. Angesichts des rasant zunehmenden Anteils schwankend einspeisender erneuerbarer Energien sinkt die Versorgungssicherheit des Energiesystems zusehends. In der Folge fällt der Strom immer häufiger aus. Nachrichten über Versorgungsstörungen und ihre echten oder vermeint- lichen Ursachen verbreiten sich über Twitter rasant. Blogger und auch einige Politiker machen ebenfalls in sozialen Medien Stimmung gegen die Energiewende als Grund der Störungen. Das Verhältnis zwischen Energiepolitik und Energiewirtschaft ist gestört, die Stabilität der Energieversorgung durch unkontrollier- te oder fehlgeleitete Veränderungen der Energieinfrastruktur gefährdet und die Gesellschaft nicht länger bereit, sich auf weitere „Energiewende-Experimente“ einzulassen.
Mehr als die Summe ihrer Teile: die Resilienzstrategie 17 3 Mehr als die Summe ihrer Teile: die Resilienzstrategie Zwar sind bestimmte Entwicklungen, die die genannten Maßnahmentypen fokus- für das Energiesystem bedrohlich werden siert als das internationale Modell.15 Ihre könnten, absehbar. Die Einzelereignisse vier Handlungsfelder ergänzen sich und und ihre Abfolge, für die vier mögliche bauen aufeinander auf. Allerdings ist es Entwicklungen beispielhaft skizziert wur- möglich, einzelnen der vier Handlungsfel- den, sind es aber nicht. Hinzu kommt die der ein stärkeres und anderen ein weniger Gefährdung durch die genannten „schwar- starkes Gewicht beizumessen. zen Schwäne“. Überraschende, neue und unterschätzte Ereignisse hebeln Präventi Risiken und Schwachstellen onsmaßnahmen aus, die auf spezielle Be- identifizieren: Idealerweise sollen Be- lastungen zugeschnitten sind. lastungen für die Energieversorgung schon neutralisiert werden, bevor sie sich Im Folgenden geht es daher nicht da- auswirken können. Außer technischen Be- rum, bestimmten Risiken mit einer auf sie lastungen können das auch Faktoren wie zugeschnittenen Strategie oder gar punk- unzureichende Investitionen in die Infra- tuellen Gegenmaßnahmen beizukommen – struktur sein. Dazu gehört, sie zu identifi- das wäre klassisches Risikomanagement. zieren und ihre potenziellen Auswirkun- Eine Resilienzstrategie ist nicht auf erwart- gen auf das Energiesystem zu untersuchen bare externe Belastungen fokussiert. Ihr (Risikoanalyse). Des Weiteren müssen Ziel ist es vielmehr, das System so robust Schwachstellen im System identifiziert zu gestalten, dass es seine Funktionsfähig- werden (Vulnerabilitätsanalyse). Daten keit erhalten oder – egal was passiert – so aus dem Monitoring des Energiesystems schnell wie möglich wiederherstellen kann. und den Dokumentationen vergangener Sie trägt dazu bei, mit unterschiedlichsten Krisen können dazu beitragen, Simula- Belastungen umzugehen, auch mit unter- tionsmethoden zu verbessern. Aus den schätzten („graue Schwäne“) und schwer Ergebnissen können wirksame Präventi- prognostizierbaren und überraschenden vmaßnahmen und neue Vorgaben für die („schwarze Schwäne“).14 Planung von Energieinfrastrukturen abge- leitet werden. Die im Folgenden skizzierte Resili- enzstrategie unterscheidet sich vom Ab- Das System robust und vorsor- lauf des Verhaltens resilienter Systeme, gend gestalten: Belastungen sollen die der in internationaler Literatur beschrie- Funktion des Systems nur minimal beein- ben wird. Sie wurde für diese Stellung- trächtigen. Redundanz, also das Vorhal- nahme entwickelt und ist stärker auf die ten von mehr Betriebsmitteln als für den Handlungsspielräume der Akteure und Normalbetrieb notwendig, oder andere 14 Auch daher ist im Folgenden die Rede von „schwarzen 15 Dieser Ablauf besteht ebenfalls aus vier Feldern, Schwänen“ und nicht von „Dragon Kings“. Der Fokus die sich allerdings auf das System und nicht auf die dieses alternativen Konzepts, das der Physiker und systemgestaltenden Akteure beziehen. Die Felder Risikoforscher Didier Sornette entwickelt hat, liegt heißen „Absorbing“, „Recovering“, „Adapting Through mehr auf den unwahrscheinlichen Ereignissen und Self-organization and Learning“ und „Transforming Methoden, sie näherungsweise zu prognostizieren into a Different System by Altering Structures, Func- (vgl. zum Beispiel Sornette 2009). tions and Feedback Loops“ (Kröger/Sansavini 2016).
18 Mehr als die Summe ihrer Teile: die Resilienzstrategie Risiken und Schwachstellen Das System robust und identifizieren vorsorgend gestalten Ausfälle überbrücken und Lernende und adaptive Systemdienstleistung Systeme aufbauen wiederherstellen Abbildung 1: Resilienzstrategie. Eigene Darstellung. Formen von Puffern wie Speicher oder Ausfälle überbrücken und Reparaturtrupps können Schwachstel- Systemleistung wiederherstellen: len beseitigen. Vorhandene Technik kann Um Schäden durch einen Energieausfall durch alternative Lösungen ergänzt und lokal zu begrenzen und die Funktionen damit das System diversifiziert werden. des Systems so schnell wie möglich wie- Dabei sollen auch Schwachstellen identi- derherzustellen, müssen Bevölkerung und fiziert werden, die bislang nicht belastet Unternehmen gut informiert und bei der wurden und auch noch nicht zu Ausfällen Selbsthilfe unterstützt werden. Dazu die- geführt haben. Durch Analyse, Diversi- nen Notfallpläne und regelmäßige Übun- tät, Redundanz und eine möglichst offene gen, die Zivilschutzorganisationen wie das und nachjustierbare Gestaltung kann das Technische Hilfswerk organisieren kön- Energiesystem robuster gemacht werden. nen. Die kritischsten Folgen haben lang Das gilt besonders, wenn neue Techno- anhaltende Stromausfälle, aber auch das logien zum Einsatz kommen oder bisher Unterbrechen der Wärme- und Kraftstoff- unabhängige Infrastrukturen miteinander versorgung ist problematisch. Wenn das verknüpft werden. Bei der intelligenten Energiesystem dezentraler wird, müssen Kopplung von Sektoren (Strom, Wärme, auch die Möglichkeiten zur Notfallversor- Mobilität) ist eine maximale Flexibilität bei gung und zum Wiederaufbau der Versor- gleichzeitiger Minimierung gegenseitiger gung dezentral angelegt sein. Hier können Abhängigkeiten das Ziel. auch mobile Erzeuger eine Lösung sein, etwa Aggregate, die mit synthetischen Treibstoffen betrieben werden können. Bereits bestehende dezentrale Strukturen wie lokale Strom- oder Wärmenetze müs- sen möglicherweise angepasst werden, da- mit sie das System stabilisieren und/oder nach Ausfällen zu dessen Wiederherstel- lung beitragen können.
Mehr als die Summe ihrer Teile: die Resilienzstrategie 19 Lernende und adaptive Systeme aufbauen: Ziel sollte sein, sowohl aus ein- getretenen als auch aus vermiedenen Kata- strophen zu lernen und dadurch das System anpassungsfähig zu halten. Entscheidend ist dabei nicht, dass die Struktur oder be- stimmte Elemente des Energiesystems – etwa Wärmenetze oder Kohlekraftwerke – erhalten bleiben, sondern die Dienstleis- tungen, die das System bereitstellt – in diesen Fällen Wärme und Strom. Hierfür müssen Störfälle und überstandene Krisen dokumentiert (Wissensspeicher) und sys- tematisch ausgewertet (Lösungsspeicher) werden, sodass sie als Grundlage für Plan- spiele und Notfallszenarien verwendet wer- den können. Auf diese Weise können auch Sicherheitsstandards regelmäßig überarbei- tet werden. Welche Belastungen in Zukunft auf das Energiesystem zukommen können, ist unsicher. Es ist daher wichtig, dass die beteiligten Akteure improvisieren können. Ferner sind technische und organisato rische Strukturen regelmäßigen Stresstests zu unterziehen, bei denen Simulationen zum Einsatz kommen können. Zuletzt müssen die gesellschaftliche Akzeptanz für eine langfristige Transfor- mation des Energiesystems und das Be- wusstsein, dass es zu Störungen und Aus- fällen kommen kann, gefördert werden. Schließlich können Widerstand der Be- völkerung und soziale Unruhen das Wie- derherstellen der Energieversorgung nach Ausfällen beträchtlich verlangsamen.
20 Maßnahmen 4 Maßnahmen Um das Energiesystem resilient zu gestal- und stärker treffen als etwa Knappheiten ten, sind zehn Maßnahmentypen wich- von Treibstoffen. Und auch hier gilt: Ohne tig; oft sind deren Grundlage – vor allem Strom fallen selbst die Zapfsäulen an den internationale – Kooperationen. Einige Tankstellen aus. Überschneidungen in Kauf nehmend, können sie den vier Handlungsfeldern Um die Funktionsfähigkeit des der Resilienzstrategie zugeordnet werden. Systems zu gewährleisten, sind inter- Wie diese wurden die zehn Maßnahmen- nationale und sektorübergreifende typen für diese Stellungnahme entwickelt. Kooperationen unerlässlich. Schon Einige davon sind eher geeignet, mittel- heute wird im Stromsystem auf europä- und langfristig Verwundbarkeiten des ischer Ebene zusammengearbeitet, etwa Systems zu reduzieren, andere sind darauf um die Funktionsfähigkeit auch in Krisen- ausgerichtet, kurzfristigen Störungen oder fällen zu sichern.16 Eine wichtige Maßnah- Schocks zu begegnen (siehe Abbildung 2). me, um die Stromversorgung aufrechtzu- Für viele der genannten Maßnahmen wer- erhalten, ist der europaweite Ausbau der den Kosten anfallen. Wie hoch sie im Ein- Übertragungs- und Verteilnetze.17 Koope- zelnen ausfallen, wurde allerdings nicht ration auf europäischer Ebene ist auch bei berechnet und wird daher im Folgenden Gefährdungen von außerhalb der eigenen auch nicht beziffert. Landesgrenzen sinnvoll. Der intensive Austausch der Sicherheitsbehörden senkt Der Schwerpunkt der hier beschrie- das Risiko durch im Ausland vorbereitete benen Maßnahmen liegt auf dem Strom- Sabotage deutscher Infrastruktur. sektor. Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen ist es sehr wahrscheinlich, dass in Die Sicherung der Rohstoffver- den nächsten Jahrzehnten die Bedeu- sorgung, gleich ob für Energie- oder tung des Stroms zunehmen wird, da die metallische Rohstoffe, ist eine privat- Sektoren Wärme und Mobilität in großen wirtschaftliche Aufgabe. Staatlicherseits Teilen elektrifiziert werden. Zum anderen kann Rohstoffbezug flankierend durch ist die Stromversorgung die zentrale Inf- internationale Abkommen abgesichert rastruktur schlechthin: Vom Strom sind werden. Durch verstärkte Kooperation weitere Infrastrukturen direkt abhängig, (zum Beispiel durch eine gemeinsame etwa die Wasserversorgung oder die Te- Versorgungs- und Reservepolitik) lassen lekommunikation. Hier spielen Wechsel- sich im Krisenfall Ausgleiche herstellen, wirkungen zwischen den Systemen eine wichtige Rolle: So kann es funktionieren- de Kommunikationsnetze und Informati- 16 Die europäischen Netzbetreiber kooperieren im ENT�� - SO-E Verbund (European Network of Transmission onstechnik – die wiederum Strom brau- System Operators for Electricity) in zentralen Fragen der Standardisierung und Sicherheit. chen – erfordern, um das Stromnetz nach 17 Im Rahmen des von der EU getragenen Großprojekts einem Ausfall wiederherzustellen. Aus e-Highway2050 wurde detailliert untersucht, welche langfristigen Veränderungen dem europäischen diesen Gründen würden großflächige und Stromsystem bevorstehen. Insbesondere wurde andauernde Stromausfälle die modernen betrachtet, wie Energiesicherheit bei zunehmender Dekarbonisierung aufrechterhalten werden kann: Gesellschaften sehr viel unmittelbarer e-highway2050.eu/
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