"wir sind die gibb" GIBB INTERN - DAS MAGAZIN DER GEWERBLICH-INDUSTRIELLEN BERUFSSCHULE BERN / JUNI 2018

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"wir sind die gibb" GIBB INTERN - DAS MAGAZIN DER GEWERBLICH-INDUSTRIELLEN BERUFSSCHULE BERN / JUNI 2018
«wir sind die gibb»
GIBB INTERN – DAS MAGAZIN DER GEWERBLICH-INDUSTRIELLEN BERUFSSCHULE BERN / JUNI 2018
"wir sind die gibb" GIBB INTERN - DAS MAGAZIN DER GEWERBLICH-INDUSTRIELLEN BERUFSSCHULE BERN / JUNI 2018
«Wir sind die gibb» – die Fotografien von Ruben Ung
  folgen diesem Titelmotto. Die sieben Porträtierten haben
     das Editorial und die Schwerpunktartikel dieses Hefts
verfasst. Sie repräsentieren ihre Abteilung und gleichzeitig
        alle anderen Lernenden und Studierenden der gibb.

                        Lea Krieg
"wir sind die gibb" GIBB INTERN - DAS MAGAZIN DER GEWERBLICH-INDUSTRIELLEN BERUFSSCHULE BERN / JUNI 2018
GIBB INTERN / JUNI 2018 3

Editorial
Wir sind die gibb – persönliche Geschichten von Lernenden

Als grösste gewerblich-industrielle Berufsschule der Schweiz unterrichten wir junge,
ambitionierte Menschen und unterstützen sie darin, ihren Zielen einen Schritt näher zu kommen.
7000 Lernende erlernen einen von 61 Berufen, unterrichtet von 600 Lehrpersonen und unter-
teilt in sechs Abteilungen.
     Ich bin als lernende Kauffrau seit dem Sommer 2016 ein kleiner Teil dieser k­ antonalen
Institution. Schon zu Beginn wurde mir klar, wie der Hase läuft. Immer ist viel los und immer gibt es
etwas zu erledigen. Gerne vergleichen wir uns mit einem Bienenhaus: Lehrerinnen und Lehrer,
Schülerinnen und Schüler und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter surren durch die Gänge und gehen
ihren Arbeiten nach.
     Personen aus verschiedenen Berufswelten treffen aufeinander, Schülerinnen und Schüler
erweitern ihr Wissen und entwickeln sich beruflich und persönlich weiter. Dies macht die gibb für
mich zu einer sehr vielseitigen und interessanten Arbeit­geberin. Im Abteilungssekretariat,
in der Telefonzentrale wie auch in der Personal­administration lerne ich vielfältige Arbeitsplätze
kennen und kann mithelfen.
     Da ich selbst Lernende bin, weiss ich, dass die Berufsschule einem nicht immer Freude bereitet.
Nebst den Bewertungen im Betrieb wird verlangt, dass man Hausaufgaben erledigt und sich
auf tonnenweise Prüfungen vorbereitet. Daneben soll man sich zum Ausgleich natürlich noch sportlich
oder kreativ betätigen. Selbstverständlich dürfen auch Familie, Freunde und Freundinnen nicht zu
kurz kommen. Das normale Leben eben, welches sich neben allem anderen noch abspielt. All das
kann ganz schön viel werden.
     Manchmal fragt man sich, wie man mit all dem klarkommen soll? Wie bringt man als
ambitionierter Sportler alles unter einen Hut? Welche Prioritäten setzt man als begeisterter Musiker?
Wie bewältigt man die täglichen Herausforderungen als Autist?
     Die gibb versucht, die Lernenden zu unterstützen, ihnen die Ausbildung so a­ ngenehm wie möglich
zu gestalten und sie angemessen auf den Berufsalltag vor­zubereiten. Die Lernenden gehen ihre
eigenen Wege und bereiten sich auf die Z­ ukunft vor. Mit ihren persönlichen Geschichten lassen sie
uns in diesem Magazin in ihren Alltag blicken nach dem Motto: «Wir sind die gibb». In einem bunten
Reigen an Texten – vielfältig wie die gibb und ihre Lernenden eben sind – können wir daran teilhaben,
wie die Lernenden mit all den Freuden und Leiden umgehen und die von verschie­denen Seiten an sie
gestellten Erwartungen erfüllen.

Lea Krieg, lernende Kauffrau gibb, 2. LJ
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Inhalt                                     Gut zu wissen

   Gut zu wissen                           Projekt- und Themenwoche BMS
 4 Eine Reise durch Israel und Palästina   Eine Reise durch Israel und Palästina
   Flurina Pauli, Miriam Rädler, Nikola
   Vucic, Manuel Iseli, Svenja Jost
                                           Wie wäre es, sich für einmal nicht nur aus
 7 Fleissiges Schreiben am Business-Plan   den Medien über Israel und Palästina zu
   Kathy Gerber, Céline Schüpbach
                                           informieren, sondern sich vor Ort mit den
                                           Menschen und ihrer Lebensrealität aus­
   «Wir sind die gibb»
                                           einanderzusetzen? Eine BMS-Gruppe
 9 Wie ich
   Sarah Grandjean                         ­unter der Leitung von Melanie Spori und
                                            Silvia Krauer hat diese Projektwochenidee
10 Wer achtet schon auf die Steckdosen!
   Raphael Iseli                            Realität werden lassen. Mit Unterstützung
                                            der Abteilungs- und Schulleitung und
12 Ein Asperger Autist zu sein ist Segen
   und Fluch zugleich                       ­unter Berücksichtigung der EDA-Empfeh­
   Jonny Widmer                              lungen reisten sie Ende März eine Woche
13 Vom Glück, auf drei so empathische
                                             lang durch Israel und Palästina. Dabei
   und engagierte Wesen zu stossen           sind folgende Texte entstanden, die wir in
   Alena Bütikofer                           leicht gekürzter Form veröffentlichen.
16 Unser Lohn sind die Freudenschreie,
   die wir auf der Bühne hören
   Florian Badertscher
17 «Schauen Sie beim nächsten
   Theaterbesuch mal nach oben!»
   Leon Gian Bichsel
20 Miniaturen «Wir sind die gibb»
   Lernende

   Atem holen
32 Ein Abendessen in Frankreich
   Severin Beutler
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Die Reisegruppe in Jerusalem.

Eine Wand voller bunter Zeichen
Eine mächtige Wand erstreckt sich über
759 Kilometer durch das Land. Sie führt
über Hügel, durch Täler und lässt nichts
und niemanden vorbei. Standhaft wie ein
Berg und unüberwindbar wie die Sicher-
heitswalle eines Gefängnisses. Sie trennt
Strassenseiten, Dörfer, ja sogar Famili-
en. Kein Grundstück ist vor ihr ­sicher,
keine Plantage wird von ihr verschont.
Sie besteht kaum aus geraden Linien,
sondern aus Kurven und schlangenför­
migen Bewegungen.
Laufend wird sie verlängert, weiterge-
baut und erneuert. Teilweise ist sie aus
Stahlbetonplatten gebaut und ragt bis zu
acht Meter in die Höhe. Darüber befindet     ist rau, grob und kalt. Sie strahlt kaum    Begründet wird ihre Existenz mit dem
sich ein kleiner Zaun, der mit Strom         etwas anderes als Hass aus und ist zu       Schlagwort «Sicherheit». Sie ist ein
­geladen ist, teilweise auch Stacheldraht.   einem Symbol für die Ungerechtigkeiten      ­Konfliktpunkt zwischen zwei Religionen
 An einigen Orten besteht nur ein Zaun,      in diesem Land geworden.                     und zwei Völkern. Sie nimmt Freiheit,
 der ihre Rolle übernimmt und die Grenze     Man kann viele Anzeichen von Rebellion       schenkt anderen die gewünschte Sicher-
 weiterzieht. Auch er wird bald durch rie-   an den mattgrauen Flächen sehen.             heit und trennt sogar diejenigen, die
 sige Massen von Beton ersetzt werden.       ­Unzählige Graffitis mit politischen Aus-    nicht getrennt werden wollen.
 In regelmässigen Abständen ragen             sagen zieren sie. Es sind farbige darun-    Es ist die Mauer zwischen Israel und
 Wachtürme in die Höhe, die einen weiten      ter, aber auch einfache Kunst mit einer     ­Palästina.
 Überblick ermöglichen. Die ganze Mauer       starken Aussage. Genau diese Kunst hat
 hat kleine Risse und Löcher und wirkt        ein grosses Aufsehen in der Welt erregt    Flurina Pauli
 porös. Sie wird von Wind und Wetter          und viele Reisende kommen heute hier-
 nicht verschont und trägt deshalb viele      her, um die Werke zu sehen. Durch die
 Zeichen der Abnutzung. Ihre Oberfläche       Graffitis ist die hässliche und gehasste
                                              Mauer zu einer bunten, aus­sagestarken
                                              Wand geworden, die zeigt, dass die
                                              ­Bevölkerung nicht so schnell aufgibt.
                                               Manche hassen sie, manche l­ ieben sie.
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Interview with Mirvate, Mother of our            even if I think there was serious war I         Überwachungsturm des Militärs, welcher
Palestinian Host Family in Bethlehem             would not change my opinion. I grew up          wie ein allessehendes Auge auf die
How does the education system work               here and I don’t know anything else than        ­Siedlung schielt. Der massive Schlüssel
in this region and do your children have         Palestine. I would feel uneasy some-             auf dem Torbogen ist ein Symbol dafür,
good possibilities for the future?               where else.                                      dass die von den Israelis vertriebenen
  Actually very good, my daughter wants to       What do you think about all the different        Palästinenser noch immer die Schlüssel
  be a tourguide and my son is now study-        forms of religion in Jerusalem?                  ihrer ehemaligen Häuser aufbewahren.
  ing to become an accountant. The gover-        We are all just humans, we should all live       Häuser, die heute fast alle nicht mehr
  ment wants that the children educate           in peace with each other.                        existieren. So hat sich diese Siedlung,
  themselves but the problem is that they                                                         die es seit 1950 gibt und anfänglich aus
  cannot find a job afterwards. Further-         Miriam Rädler, Nikola Vucic                      Zelten bestand, zu einem Quartier ent­
  more, the Palestinian children can only                                                         wickelt, in dem bereits die nächsten
  attend a Palestinian school not like the                                                        ­Generationen aufgezogen worden sind.
  Israeli children who can go to schools         Ein neues Zuhause                                 Ein ganz normaler Tag im Aida Flüchtling-
  on both sides.                                 Auf den ersten Blick könnte man meinen,           scamp, in dem ungefähr 5500 geflüch­
  What do you think about the                    man befinde sich in einer normalen                tete ihr neues «Zuhause» gefunden
Palestinian-Israeli conflict?                    ­palästinensischen Siedlung. Eng anein-        ­haben.
It will never end. In my opinion, the best        andergebaute, eher rudimentäre, maxi-
soulution for the conflict are two states,        mal drei Stockwerke hohe Betonhäuser.         Manuel Iseli
Palestine and Israel. It is only the gover-       Viele der Häuser sind nicht fertiggebaut
ments which are arguing and fighting              oder beschädigt. Die rauen Betonfas­
each other. The people who live here,             saden sind teilweise durch bunte Male-        Mit den Jeeps durch die Judäische Wüste
they don’t care where you are from.               reien verziert worden. Viele von ihnen        Nur vage nehme ich durch meine müden
They could live in peace with everybody.          scheinen aber schon sehr alt zu sein,         Augen die Umrisse des Wüstencamps
But I have to admit if Palestine had its          die Farbe blättert langsam ab. Aus den        wahr, höre dumpf die flüchtigen Gesprä-
own state, it would be hard for Palestine         ­schmalen Gassen hört man Geschrei und        che. Die Luft ist kühl, aber angenehm
to build up the infrastructure for exam-           Lachen spielender Kinder. Über ihren         frisch von der Nacht. Ich ziehe den Reiss-
ple water for everyone, the streets or             Köpfen hängen zusammengebastelte             verschluss meiner Jacke weiter nach
­airports for tourists like you.                   Stromkabel, die die Häuser mit Elektrizi-    oben und laufe meinen Freunden hinter-
 Do you realize the war in your daily life?        tät versorgen.                               her. Das einzige Geräusch neben dem
 We are living here in area A which is             Die Strassen, auf denen die Kinder spie-     Knirschen von Schuhen auf Sand und
 ­under Palestinian control but safe. I can-       len, sind löchrig und uneben. Sie sind so    Steinen ist das Brummen von Motoren.
  not really feel the war in my daily life.        schmal, dass an einigen Stellen sogar        Unser Tourguide Yamen läuft auf uns zu
  For instance I can go to the market and          die Durchfahrt mit einem Auto schwierig      und drückt uns seine mitgebrachten
  do my duties. The only thing where I can         wird. Diese Strassen sind sehr lebendig.     Wasserflaschen in die Hand, dann winkt
  notice the war is when I want to travel          Viele, vor allem junge Menschen, sind        er uns zu den Guides weiter. Der Duft
  somewhere further. There are a lot of            unterwegs, sprechen miteinander,             von Benzin steigt mir in die Nase. Ein
  checkpoints and I cannot pass without            ­spielen Fussball, betreiben ein kleines     halbes Dutzend weisser und weinroter
  valid papers.                                     Geschäft oder schauen einfach nur zu.       Jeeps wartet auf uns, ihre grellen Flut-
  Are you afraid of the military?                   Aus einer kleinen Gasse biegt ein altes     lichter durchbrechen die Dunkelheit und
  Yes, I am expecially scared when I am in          Auto auf die belebte Strasse. Sofort hält   zwingen uns die Augen zuzukneifen. An
  Area C (Israeli control), they can shoot at       der Fahrer an. Es werden Hände geschüt-     den Flanken sind sie mit einem silbernen
  you no doubt. That’s why I almost never           telt und Menschen gegrüsst. Nach einem      Symbol gekennzeichnet; einem grossen
  go far away from my home.                         kurzen Schwatz auf Arabisch fährt der       Stern mit einem Totenkopf in der Mitte
  Have you ever imagined to leave the               Fahrer weiter.                              und dem Schriftzug «It’s a free nation».
  country?                                          Am Eingang des Dorfes steht ein grosser     Schweigsam hocken wir nebeneinander,
  No! I cannot imagine to live in another           Torbogen aus Metall. Auf dem Bogen          jeder in seine Gedanken versunken und
  country. Surely, I would like to visit other      liegt ein ungefähr vier Meter langer        damit beschäftigt, langsam wach zu wer-
  countries for some weeks like you guys            Schlüssel, ebenfalls aus bereits etwas      den. Selbst Yamen ist für seine Verhält-
  do. But my home is here in Palestine and          verrostetem Metall. Blickt man durch        nisse erstaunlich still und spricht nur hie
                                                    das Tor, kann man die hohe Betonmauer       und da ein paar arabische Worte zu
                                                    sehen, die in diesem Fall die Palästinen-   ­seinem Freund. Ich halte mich an den
                                                    ser von ihren eigenen Leuten trennt.
                                                    ­Direkt bei der Mauer steht ein hoher
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                                                                                                 Entrepreneurseminar
                                                                                                 Fleissiges Schreiben am Business-Plan

                                                                                                 Zu dem Entrepreneurseminar «Der Weg
                                                                                                 zum eigenen Unternehmen» werden seit
                                                                                                 acht Jahren an der gibb leistungsstarke
                                                                                                 Lernende im zweiten Lehrjahr mit einem
                                                                                                 attraktiven Angebot eingeladen. Sie
                                                                                                 ­erhalten einen Überblick über den Grün-
                                                                                                  dungsprozess eines Unternehmens – von
                                                                                                  der Idee bis zur Implementierung eines
                                                                                                  Geschäftskonzeptes. Dieses Jahr fand
                                                                                                  das Seminar mit 54 Teilnehmenden aus
                                                                                                  der GDL, der BMS und erstmals auch aus
                                                                                                  der MTB statt. Die Inhalte sind in Zusam-
                                                                                                  menarbeit mit der Uni Fribourg und
                                                                                                  St. Gallen entstanden. Eine Teilnehmerin
Vordersitzen fest und beobachte die sich        überwältigt von der Schönheit der Natur.          berichtet von ihrem ersten Eindruck.
langsam erhellende Wüstenszenerie.              «Yalla Yalla!» Yamen lotst uns zu den
Die steinige Strasse rüttelt uns kräftig        Jeeps zurück, die uns Richtung Jericho           Kathy Gerber,
durch und gerade als ich denke, dass            bringen sollen. «Who wants to sit on the         Leiterin Entrepreneurseminar
mein eigenes Auto in dieser Umgebung            loading space?», fragt er mit breitem
herzlich fehl am Platz wäre, hält unser         Grinsen in die Runde. Den Rest des
Fahrer auf einen steilen Hügel zu. Ich          ­Morgens verbringen die Guides damit             Der Weg ins eigene Unternehmen
rechne mit einer Links- oder Rechts­kurve,       uns zu zeigen, dass die Wüste nicht nur          Selbstverständlich war die Freude gross,
aber stattdessen schaltet er in e­ inen klei-    eine wunderschöne Landschaft ist,                als ich meine Einladung für dieses
neren Gang, drückt aufs Gaspedal und             ­sondern auch ein Vergnügungspark.               ­Seminar erhalten hatte. So ging ich am
überquert den Hügel mit einer solchen             Mit den Ereignissen dieses Morgens voll-         ersten Tag voller Erwartung an die gibb
Selbstverständlichkeit, die ­einen das            gepumpt, stehen wir nebeneinander                in Bern.
Hobby dieser Männer leicht e­ rraten lässt.       ­hinten auf dem Jeep. In unseren Köpfen          Die Kursleiter waren sehr freundlich und
Einen Moment lang sieht man durch die              ist alles, was ausserhalb der Wüste liegt,      starteten sofort mit uns ins Thema
Frontscheibe nur noch den blassen                  komplett in den Hintergrund gedrängt.           ­Unternehmensgründung. Nie hätte ich
­Morgenhimmel, dann rüttelt es kräftig,            Der kräftige Fahrtwind sprüht uns Sand           gedacht, dass ich in einer so kurzen Zeit
 Metall reibt auf Stein, und wir sind auf          ins Gesicht, sodass die Zähne knirschen,         so viele neue Sachen lernen werde. Mein
 der anderen Seite des Hügels. Die Augen           wenn man den Mund bewegt. Einige von             Kopf füllte sich mit Themen wie Marke-
 des Fahrers widerspiegeln sein amüsier-           uns waren klug und haben wie die                 ting, Finanzen und Alleinstellungsmerk-
 tes Grinsen, als er unsere begeisterten           ­Guides Tücher oder ein Shirt um den             malen. Obwohl es ganz anders war als
 Gesichter im Rückspiegel sieht und wir             Kopf gewickelt. Wir fahren weiter und hie       der normale Schulunterricht, konnten sie
 wie kleine Kinder betteln, das nochmals            und da macht einer der Jeeps wieder             es natürlich nicht lassen, uns auch dort
 zu tun. Jetzt bin ich hellwach.                    ­einen Abstecher und verschwindet kurz          mit nervigen Arbeitsblättern zu über­
 Gerade rechtzeitig erreichen wir unser              im Niemandsland. Es tut gut, hier zu sein      fallen. Doch zu meinem Erstaunen waren
 Ziel, den Rand einer Klippe mit atem­               und schlicht und einfach den Moment            sogar diese spannend und ich konnte so
 beraubender Sicht auf das Tote Meer. Die            zu geniessen. Wenn wir ehrlich sind,           einiges lernen. Nachdem ich eine Idee
 Sonne hat bereits ihre ersten Strahlen              machen wir das doch viel zu selten.            für mein Unternehmen gefunden habe,
 hinter den weit entfernten Bergen her-                                                             schreibe ich fleissig an meinem Business-
 vorgestreckt und nun kommen wir in             Svenja Jost                                         Plan.
 den Genuss, ihren Aufgang über dieser                                                              Wer weiss, vielleicht ist mein Unterneh-
 Kulisse zu bestaunen. Für diesen Anblick                                                           men schon in einem Jahr ein weltweiter
 würde sogar ich jeden Morgen so früh                                                               Erfolg, und wenn nicht, habe ich auf
 aufstehen. Und auch, weil bereits der                                                              ­jeden Fall trotzdem viel für mich dazu
 Weg hierhin ein kleines Abenteuer war.                                                          ­gelernt.
 Hier sitzen wir also, am Rande des
 ­A bhangs, in Gespräche vertieft und                                                            Céline Schüpbach, Fleischfachfrau, 2. LJ
"wir sind die gibb" GIBB INTERN - DAS MAGAZIN DER GEWERBLICH-INDUSTRIELLEN BERUFSSCHULE BERN / JUNI 2018
8 GIBB INTERN / JUNI 2018                     «Wir sind die gibb»

                             Sarah Grandjean
"wir sind die gibb" GIBB INTERN - DAS MAGAZIN DER GEWERBLICH-INDUSTRIELLEN BERUFSSCHULE BERN / JUNI 2018
«Wir sind die gibb»                                                                                   GIBB INTERN / JUNI 2018 9

«Wir sind die gibb»

Wie ich
                                                                   wenn wir beide genug Geld hätten, nächstes oder über-
                                                                  nächstes Jahr, und wenn alle wären wie ich, würde nie je-
                                                                  mand etwas des Geldes wegen nicht tun. Wir würden wild
                                                                  campieren, auf dem Gaskocher Nudeln kochen und an den
                                                                  Stränden entlang oder durch die Berge wandern, anstatt
Sarah Grandjean, Grafikerin, 4. LJ, BM 1 Ausrichtung Gestaltung   Museen und Nationalparks zu besuchen. Wir hätten keine
und Kunst (ARTE), BMS                                             CDs dabei, nur ein rauschendes Radio, vielleicht keine
                                                                  ­Klimaanlage und eine kaputte Heizung, wir hätten Woll­
                                                                   decken im Gepäck, eine Gitarre und unsere Stimmen und
                                                                   all die zusammenhangslosen Liedfetzen, die sich in zwan-
                                                                   zig Jahren Leben in unseren Köpfen drehen und zu denen
Ihre ersten kurzen Geschichten hat Sarah Grandjean                 uns weder der Anfang noch das Ende einfallen würde, nur
von rechts nach links geschrieben. Heute schreibt                  dieser eine Fetzen in Endlosschleife.
sie vor allem Kurzgeschichten und macht regelmässig                      Wir würden das schmutzige Geschirr nach draussen in
bei Schreibwerkstätten und Wettbewerben mit. Beim                  den Regen stellen, die Türen schliessen und nahe beieinan-
­«Jungautorenwettbewerb RSGI» und beim «Hattinger                  derliegen. Ich würde fragen, warum zurück in die Schweiz,
 Förderpreis für Junge Literatur» landete sie auf                  wozu arbeiten, wozu eine Wohnung, eine Krankenversiche-
 dem ersten Platz. Wenn sie die Lehre abgeschlossen                rung, einen 6-Uhr-Wecker und einen wöchentlichen Bow­
 und wieder mehr Zeit fürs Schreiben hat, möchte                   ling­abend, wozu und warum nicht für immer das, und ich
 sie sich an ein grösseres Projekt wagen.                          bin einfach glücklich.
                                                                         Wir würden näher zusammenrücken, der Regen auf
                                                                   dem Blechdach ein Trommelwirbel. Am nächsten Morgen
Nieselregen und Nebel vor den Scheiben, die warme Fens-            würden wir feststellen, dass einer von uns das Feuerzeug
terbank unter mir und eine Tasse mit kalt gewordenem Tee           draussen vergessen hat, und zwei Wochen später würden
in meinen Händen.                                                  wir zurück in die Schweiz fahren, trotz allem.
     Wenn alle wären wie ich, würde jeder Schlechtwetter-                Mein Blick hängt da, wo man an guten Tagen die Alpen
samstag so aussehen. Niemand würde sich die Kapuze über            sehen kann. Eine weisse Wand jetzt, behaglich und trostlos
den Kopf ziehen und zum Auto eilen, mit rastlos zuckenden          zugleich. Unvorstellbar, dass dahinter der Wald liegt, die
Scheibenwischern in die Stadt fahren, ins Kino oder in ein         ersten Hügel der Voralpen, die Berge, dahinter eine fremde
italienisches Restaurant, zu einem Filmabend mit Freunden          Sprache, fremde Menschen mit fremden Träumen und ir-
oder einem Clubabend mit Fremden.                                  gendwann das Meer.
     Unten auf der Strasse Scheinwerferlicht, unscharf                   Wenn alle wären wie ich, hätten alle einen VW-Bus für
durch den Nebel, und einen Moment lang glaube ich, gleich          den Norden und ein Fahrrad für den Süden. Für die Pinien-
würde Milos gelber Mini auftauchen, aber er ist es nicht.          wälder, Atlantikküsten und staubtrockenen Hochebenen,
     Wenn alle wären wie ich, hätte niemand einen gelben           ein Zelt auf dem Gepäckträger gegen den Regen und Insek-
Mini und auch sonst kein Auto, ausser vielleicht einem al-         tenspray gegen die Mücken.
ten VW-Bus für Reisen in den Norden. Ja, das schon. Nor-                 Ein Fahrrad auch für alle anderen Tage, die ich nicht
wegen, die Fjorde, Milo hatte die Schultern gezuckt und           weit weg, sondern an jenem Ort verbringe, den ich mal
gesagt, Norwegen sei teuer. Aber die Fjorde – vielleicht,         dankbar, mal angewidert mein Zuhause nenne. Um zur
"wir sind die gibb" GIBB INTERN - DAS MAGAZIN DER GEWERBLICH-INDUSTRIELLEN BERUFSSCHULE BERN / JUNI 2018
10 GIBB INTERN / JUNI 2018                                                                                       «Wir sind die gibb»

A­ rbeit zu fahren und danach runter an den Fluss. Alle wür-
 den im Fluss schwimmen, sogar Milo, der Angst hat vor der       Wer achtet schon
 Strömung, den Strudeln und Schleusen, sogar er, denn
 wenn alle wären wie ich, dann wäre auch Milo wie ich.           auf die Steckdosen!
       Der Nebel lichtet sich ein wenig, sodass ich einen Teil
 des Waldes sehen kann und den roten Traktor, der seit Mo-
 naten zwischen Feld und Wald steht und von dem niemand
 weiss, wem er gehört.                                           Raphael Iseli, Elektroinstallateur, 2. LJ, IET
       Wenn Milo wäre wie ich, hätte er mir nie gesagt, er
 habe versehentlich einen meiner Texte gelesen, dass dieser
 vergessen im Kopierer gelegen und er nur habe schauen
 wollen, wem er gehöre. Ein wunderbarer Text, so überra-
 schend, so ehrlich, und es tue ihm leid, dass er ihn gelesen    Im April 2016 erhalte ich ein Mail aus Iowa. Der Coach des
 habe.                                                           Southwestern Community College bietet mir ein Leichtath-
       Er hätte mich nie entwaffnet mit seinem Lächeln, hätte    letik-Stipendium an. Als mich das Mail erreicht, bin ich ge-
 mich nie dazu gebracht, alle Waffen fallen zu lassen und        rade im Austauschjahr in Bellevue, Nebraska. An der Belle-
 mich ihm schutzlos zu öffnen.                                   vue West High-School profitiere ich von der intensiven
       Wenn alle und auch Milo wären wie ich, hätten wir nie     Sportförderung, die US-Schulen betreiben. Im Herbst davor
 nächtelang geredet, nie am Fluss gelegen und nach dem           war ich im Cross-Country-Team, im Winter ging es mit
 hässlichsten Badeanzug gesucht, hätte er mir nie vom Ufer       Schwimmen weiter und im Frühjahr entdeckte ich die Mit-
 aus zugewinkt, während ich mich rücklings von der Strö-         teldistanz (800 Meter-Rennen). Als Teil des Schulteams
 mung tragen liess. Ich hätte nie Zigaretten gedreht, die er     reiste ich an Wettkämpfe und sammelte unvergessliche Ein-
 dann rauchte, hätte mich nie neben ihn gesetzt, wenn er         drücke. In den USA habe ich gemerkt, dass ich mich für den
 Gitarre übte, und erfundene Texte zu seinen Akkorden ge-        Sport begeistern kann und mich gerne mit anderen messe.
 sungen, bis seine Genervtheit in Belustigung übergegangen            Wie soll ich mich nun entscheiden? Nach Iowa gehen
 war. Wir hätten nie gemeinsam geweint, nachdem ein              oder zurück in die Schweiz fliegen, um wie geplant meine
 Freund von ihm sich erhängt hatte, hätten nie diesen selt-      Lehre als Elektroinstallateur zu beginnen? Wie man leicht
 samen Schwebezustand zwischen Freundschaft und Liebe            nachrechnen kann, habe ich mich für den Lehrbeginn ent-
 durchbrochen. Wir wären nie nebeneinander aufgewacht,           schieden. Ich habe es nicht bereut.
 hätten nie über Geld und Norwegen und das Zusammenzie-
 hen gestritten.
       Wenn alle wären wie ich, hätten wir uns nie kennenge-     Kleiner Betrieb, vielseitige Arbeit
  lernt, weil wir nur warten würden. Warten, wie ich es auch     Heute bin ich im zweiten Lehrjahr einer sehr vielfältigen
 jetzt tue, warten auf Milo, weil er gesagt hatte, vielleicht    Lehre. Mein Lehrbetrieb ist die Marti elektrische Anlagen
 würde er noch vorbeikommen.                                     AG in Jegenstorf, ein überschaubarer Betrieb mit rund 10
       Ich stehe auf, Tee schwappt aus der Tasse auf den Bo-     Mitarbeitenden. Drei davon sind Lernende. Als kleiner Be-
  den. Wenn alle wären wie ich, gäbe es keine Böden, nicht       trieb sind wir vor allem am Bau oder Umbau von Einfamili-
 einmal Häuser. Es gäbe keine VW-Busse und keine Fahr­           enhäusern beteiligt. Bereits im ersten Lehrjahr konnte ich
 räder und keine Landkarten. Es gäbe nur stapelweise uto-        beim Planen von Solaranlagen dabei sein; das ist ein Ar-
 pische, halb durchdachte Texte, absichtlich im Kopierer ver-    beitsfeld, das mich interessiert und für mich den Beruf des
 gessen, damit irgendwer irgendwann sie lesen würde, und         Elektroinstallateurs attraktiv macht.
 weil alle wären wie ich, würde nie jemand etwas dazu                 An meinem Beruf schätze ich den Kundenkontakt, die
 ­sagen, sie nur lesen und zurücklegen und warten, noch          Arbeiten im Service, daneben auch die Breite der techni-
  mehr warten, auf dass andere das tun, wozu sie selbst zu       schen Aufgaben vom Solar- bis zum Netzstrombereich. Wir
  feige sind.                                                    sind die Ersten und die Letzten, die beim Bauen dabei sind,
       Ich schütte den Rest Tee in die Spüle, ziehe Jacke und    begleiten die Häuser also durch alle Phasen der Entste-
  Schuhe an und beginne, nach dem Schlüssel für mein Fahr-       hung, bis sie abgabefertig sind. Doch anders als bei einem
  radschloss zu suchen. Alle würden alles verlieren, andau-      Maurer oder Maler sieht man am Schluss leider kaum etwas
  ernd, die Welt wäre ein einziges Chaos – das Geräusch ei-      von unserer Arbeit. Wer achtet schon auf die Steckdosen!
  nes Motors, es klingelt, Milos Gesicht und das Knistern        Aber natürlich ist den Kunden bewusst, wie wichtig unsere
  unserer Regenjacken, als wir einander umarmen.                 Hintergrundarbeit ist. Und uns ist bewusst, dass wir viel
       «Wolltest du weg?»                                        Verantwortung für die Sicherheit einer Elektroanlage haben.
       «Ich habe nachgedacht», sage ich, schaue ihm in die
  Augen. «Wenn alle gleich wären, wenn alle wären wie ich,
  zum Beispiel. Es wäre schrecklich, wir würden alle in einer    Planen für die Zeit danach
  Traumwelt leben und Dinge wie Teetassen und Regenjacken        Auf den Beruf bin ich durch meinen Vater, der eine Elektro-
  wären nie erfunden worden.»                                    nikerausbildung gemacht hat, und meinen Bruder gestos­
       Nieselregen und Nebel vor den Scheiben und meine          sen, und er gefällt mir immer noch gut. Für die Zeit nach der
  kalten Hände in Milos warmen: «Und ich bin froh, dass es       Lehre habe ich schon Pläne. Ich möchte die BMS machen
  dich nur ein einziges Mal gibt.»                               und eventuell ein Fachhochschulstudium im Bereich Wirt-
«Wir sind die gibb»                   GIBB INTERN / JUNI 2018 11

                       Raphael Iseli
12 GIBB INTERN / JUNI 2018                                                                                 «Wir sind die gibb»

schaft anschliessen. Mein Lehrmeister unterstützt mich               Denn was bringt mir der Traumberuf, wenn man nur un-
sehr; jedes Jahr nimmt er sich Zeit und geht mit uns Lernen-    sympathische Menschen um sich hat? Oder was nützen mir
den ein paar Tage fürs Lernen auf die Alp. Er ist auch damit    die besten Mitarbeiter, wenn die Arbeit, die man jeden Tag
einverstanden, dass ich am Samstag regelmässig einem            machen muss, einfach zum Davonlaufen ist? NEIN, für mich
Kollegen helfe, der spezielle Metallbau-Aufträge ausführt,      muss beides ausgeglichen sein!
Sonnenschutzvorrichtungen und Pergolas baut. Ich lerne               Und genau diese Ausgeglichenheit, zwischen tollen
da schweissen und kann in ein anderes Berufsfeld hinein-        Mitarbeitern/Chefs und Arbeit, habe ich in meinem Lehrbe-
schauen.                                                        trieb gefunden.
     An Berufsschultagen freue ich mich besonders auf die            Ein weiterer Grund für diese Vielfalt von Schnupperleh-
gleichaltrigen Kollegen und den Sportunterricht. Da in mei-     ren ist sicherlich auch, dass ich ein Asperger Autist bin. In
nem Beruf viel Grundwissen nötig ist und man Eigenverant-       der Gesellschaft wird das eher als geistige Behinderung/
wortung übernehmen muss, ist mir auch die Berufskunde           Krankheit aufgefasst. Aber ein Asperger Autist ist nicht
wichtig. Wenn ich einen Wunsch äussern dürfte, dann wäre        krank, nur anders. Wir haben Gefühle, Bedürfnisse und
das ein noch stärkerer Einbezug aktueller Themen in den         Wünsche wie jeder Nicht-Autist auch, obwohl wir diese eher
ABU-Unterricht (zum Beispiel zum Thema Medien) und In-          schlecht deuten und ausdrücken können.
formationen über neue Berufsfelder und spezifische Wei-              Als ich noch klein war, ist mir schon aufgefallen, dass
terbildungsmöglichkeiten. Sonst bin ich mit der Schule sehr     ich anders als die anderen war und nicht in die «gesell-
zufrieden, besonders auch mit der Mensa und unserem             schaftlichen Rahmenbedingungen» reinpasste.
schönen Pausenplatz, dem Lorrainepärkli.                             Die Schule war bis in die 6. Klasse die Hölle für mich.
     Nur manchmal schaue ich mir die Überbleibsel meiner        Beleidigungen, Mobbing und körperliche Gewalt standen
USA-Zeit an, die Auszeichnungen, Mappen voller Trainings-       an der Tagesordnung. Was sich alles andere als positiv auf
dokumente, Wettkampfresultate und Bilder. Dann kommt            das Selbstwertgefühl auswirkte.
etwas Wehmut auf. War eine schöne Zeit!                              Erst im Sommer 2016 hatte man per Zufall herausge-
                                                                funden, dass ich ein Asperger Autist bin. Was mir sehr vie-
                                                                le Fragen beantwortete, warum ich bin, wie ich bin. Diese
                                                                Diagnose hat mir sehr geholfen, mich selbst besser zu ver-
                                                                stehen und mich zu akzeptieren, wie ich bin.
                                                                     Ein Asperger Autist zu sein ist Segen und Fluch zu-

Ein Asperger Autist                                             gleich. Ich habe je nachdem ein hervorragendes Gedächt-
                                                                nis, bis jetzt musste ich für die Tests in der Berufsschule

zu sein ist Segen und                                           kaum bis nie lernen und mein 1. Semesterzeugnis habe ich
                                                                mit 5x 6er und 1x 5,5 abgeschlossen. Worauf ich sehr stolz

Fluch zugleich                                                  bin. Hingegen: einfache Alltagsaufträge kann ich mir
                                                                manchmal kaum merken. Gesichtsausdrücke und Körper-
                                                                sprache deuten oder Ironie von ernst Gemeintem zu unter-
                                                                scheiden, ist für mich enorm schwer bis unmöglich.
                                                                     Aber jetzt, nach all den Umständen, habe ich einen
Jonny Widmer, Metallbaupraktiker, 1. LJ, AVK                    hervorragenden Lehrbetrieb gefunden und mein Lehrmeis-
                                                                ter ist einfach nur toll, menschlich wie auch fachlich.
                                                                     Mein Lehrbetrieb hat mir sogar die Stapler- und Hebe-
                                                                bühnen-Prüfung ermöglicht. Wovon ich von beiden den
                                                                Ausweis besitze.
Mein Name ist Jonny Widmer, geboren am 08.05.1996 und                Bei der Arbeit gehören Geländer, Rahmenkonstruktio-
ich habe das Glück, meine Lehre als Metallbaupraktiker          nen, Konsolen und Träger Schweissen zu meinen Hauptauf-
EBA bei der Firma «Gerber macht’s» in Grosshöchstetten          gaben. Auch kleinere Arbeiten mit verschiedenen Blechen
machen zu dürfen.                                               gehören dazu.
     In meiner Freizeit beschäftige ich mich meistens mit            Am allerliebsten schweisse ich grössere Konstruktio-
folgenden Dingen: gamen, Musik hören, Filme schauen, Re-        nen, brenne Stahlteile mit der Autogenbrennanlage aus und
cherchen über historische militärische Ereignisse, Key-         transportiere Güter mit dem Stapler.
board spielen, Air Soft, Armbrust und Gewehr schiessen.              In späterer Zukunft würde ich sehr gerne das Schmiede­
     Der Weg zu meiner Lehre war ein sehr steiniger und         handwerk erlernen und noch weitere Prüfungen und Kurse
schwerer, mit extrem vielen Hindernissen. Kurz gesagt,          absolvieren wie: Kran, Lastwagen, Auto und Schweiss-­
habe ich 28 Schnupperlehren in 24 verschiedenen Berufsgat-      Prüfung.
tungen absolviert, bis ich zu meiner jetzigen Lehrstelle kam.
     Wie es dazu kam? Nun, ich bin der Meinung, einfach
eine Lehre zu machen, damit man sie gemacht hat, ist ab-
solut dumm! Für mich war während meiner Berufswahlzeit
schon klar, dass mir die Arbeit zu mindestens 50% gefallen
muss und dass das menschliche Miteinander das A und
O ist.
«Wir sind die gibb»                                                                               GIBB INTERN / JUNI 2018 13

Vom Glück, auf drei                                            Momente der Überforderung
                                                               Nun, vier Jahre nach diesem Entschluss, blicke ich auf eine

so empathische                                                 ereignisreiche, anstrengende, aber nicht zuletzt auch schö-
                                                               ne Lehrzeit zurück, die mich in diversen Hinsichten an mei-

und engagierte Wesen                                           ne Grenzen gehen liess. Oft war der Spagat zwischen Zwei-
                                                               undvierzigstunden-Wochen, Haushaltsführung und

zu stossen                                                     Privatleben nur schwer zu bewältigen – manchmal auch gar
                                                               nicht. Wer behauptet, er könne Privat- und Berufsleben
                                                               strikt trennen, ist meiner Meinung nach sowieso entweder
                                                               ein Lügner oder ein Eisblock. Doch all die Momente der
                                                               Überforderung der letzten paar Jahre, waren sie auch noch
Alena Bütikofer, Cal, 4. LJ., MTB                              so überwältigend, haben mich geistig wachsen lassen.
                                                               Ganz abgesehen von dem eingetrichterten Prüfungswissen
                                                               hat mich die Zeitspanne über meine Lehre hinweg nicht nur
                                                               auf einer intellektuellen, sondern vor allem auf der menta-
                                                               len Ebene geprägt. Zum ersten Mal in meinem Leben kam
Wer mir auf der Strasse begegnet und mein Angesicht nur        ich körperlich und psychisch zugleich an meine Grenzen –
mit einem flüchtigen Blick streift, würde wahrscheinlich       und bewies mir dadurch selber immer wieder aufs Neue,
nicht auf den Gedanken kommen, den Weg gerade mit einer        dass ich imstande bin, jede erforderliche Hürde zu meis-
beruflich hoch ambitionierten jungen Frau gekreuzt zu ha-      tern, auch wenn dies nicht immer im ersten Anlauf gelingt
ben. Zu dunkel sind die Ringe unter den Augen, zu verwu-       und zum Teil mit Mühen, Zweifeln und einer Menge Umwe-
schelt das Haar mit den zotteligen Dreadlocks, die hie und     ge verbunden ist.
da hervorblitzen, und zu grell leuchten die Festivalbänder,
die in allen Regenbogenfarben und Variationen praktisch
den ganzen rechten Unterarm tapezieren.                        «Ach komm, du schaffst das»
                                                               Umso dankbarer bin ich für all die wunderbaren Menschen,
                                                               die mich auf meinem Weg bisher begleitet, gestärkt, ge-
Gründe für die gibb                                            stützt – und immer wieder aufgefangen haben, wenn es
Ja, ich würde sagen, auf die meisten Menschen mache ich        gerade mal wieder nicht ganz rund lief. Leute, die einem
weder einen besonders seriösen noch einen ausserordent-        Steine in den Weg legen, wird es immer geben. Oft sind die-
lich ehrgeizigen ersten Eindruck. Wer mich aber nur ein        se Individuen ja nicht einmal bewusst bösartig, sondern
bisschen näher kennen lernt, merkt schnell, dass hinter der    schlichtweg zu egozentrisch, um die Konsequenzen ihres
lockeren Hippie-Fassade ein sehr zielstrebiges und schon       Handels gescheit abzuschätzen. In meinem bisherigen
fast zwanghaft perfektionistisches Wesen steckt. Ich habe      ­Leben habe ich leider die Erfahrung gemacht, dass der
ziemlich hohe Ansprüche an mein Umfeld, die höchsten            Grossteil der Bevölkerung zu oben genannter Gattung
stelle ich jedoch ohne Zweifel schon immer an mich selber.      Mensch gehört. Wie ich also das Glück haben konnte, mit
Dies ist mitunter einer der Gründe, der mich auf meinem         meinem Berufskundelehrer Daniel Bertschy, meiner Allge-
(karrieretechnischen) Weg an die Gewerblich-Industrielle        meinbildungslehrkraft Irène Roten und meinem Kursleiter
Berufsschule Bern geführt hat.                                  René Mundl, die ich in diesem Text alle aufgrund ihres aus­
     Aufgrund familiärer Umstände war ich schon relativ         serordentlichen und langjährigen Einsatzes für die Lernen-
früh gezwungen, meinen Alltag selber zu organisieren, und       den namentlich erwähnen möchte, auf drei so empathische
führte mit sechzehn Jahren bereits meinen ersten eigenen        und engagierte Wesen zu stossen, ist mir bis heute schlei-
Haushalt. In dieser Zeit erschien mir eine Berufslehre als      erhaft. Doch nicht nur sie, sondern auch meine Klassen-
einer der realistischsten Wege, um eine solide Ausgangsla-      und Arbeitskollegen haben mich über so manche Tiefen
ge für mein berufliches Ziel, einen Beruf, der den aktiven      hinwegkommen lassen. Sei dies ein «Ach komm, DU
Umgang mit Medien wie z. B. im Journalismus, in Werbea-         schaffst das doch locker!», das dir in einem Moment von
genturen etc. beinhaltet, zu schaffen und mit dem ange-         tiefsten Selbstzweifeln von einem Mitschüler entgegen-
strebten EFZ-Abschluss in Richtung Berufsmatur/Studium          kommt, oder ein Mitarbeiter, der dich einfach mal in den
zu steuern. Für die Lehre als Carrossierin Lackiererei ent-     Arm nimmt, weil er dir ansieht, dass du wohl gleich in nia-
schloss ich mich, da ich auf Grund meines Zieles, später ein    garaartige Tränenflüsse ausbrechen wirst. Ich kann es nur
Studium in der Fachrichtung Kunst zu absolvieren, einen         wiederholen: Ich bin dankbar!
Lehr-Beruf wählen wollte, der mir eine gewisse gestalteri-
sche Grundlage mit auf den Weg geben und mir gleichzeitig
einen kleinen Einblick in die handwerkliche Ausführung der     Optimistisch in die Zukunft
Arbeit mit Formen und Farben gewähren würde. Gesagt, ge-       Vor knapp zwei Wochen habe ich nun das Ergebnis meiner
tan! Mit meinem Lehrstart 2014 bei der Schölly AG in Mün-      Berufsmatura-Aufnahmeprüfung, die ich anfangs März ab-
chenbuchsee nahm ich den ersten ernsthaften Schritt mei-       gelegt hatte, erhalten. Da ich auf Grund meiner ungenügen-
ner beruflichen Karriere in Angriff.                           den Fachnote in Mathematik, die zu meinem Pech doppelt
                                                               gewertet wurde, leider nur den gestalterischen Teil der Auf-
                                                               nahmeprüfung bestanden habe und im restlichen, separat
14 GIBB INTERN / JUNI 2018                  «Wir sind die gibb»

                              Jonny Widmer
«Wir sind die gibb»   GIBB INTERN / JUNI 2018 15

                          Alena Bütikofer
16 GIBB INTERN / JUNI 2018                                                                                  «Wir sind die gibb»

 gewerteten Prüfungsteil, durchgefallen bin, werde ich als     rend andere auf dem Rasen kicken oder in der Halle turnen,
 nächstes nach dem Lehrabschluss im August ein Praktikum       befinden wir uns im Luftschutzkeller der Gemeinde und
 in der Medienbranche absolvieren, das Grundvorausset-         spielen uns die Finger wund. Ihr fragt euch jetzt sicher, was
 zung für meinen angestrebten Studiengang (Multimedia          das heisst: Wir sind eine Hard-Rock-Band.
 Production an der HKB) ist und parallel dazu den EA-Kurs            Schon von klein auf hat sich keiner von uns mit Techno
 der gibb für einen prüfungsfreien BM-Eintritt im Jahr 2019    oder Hip-Hop wohl gefühlt. Wir wollten etwas erschaffen,
 absolvieren, den ich, wenn möglich, mit dem Erwerben der      etwas bewegen und haben uns alle zusammen im Rock wie-
 Sprachdiplome «DELF» und «Advanced» kombinieren wer-          dergefunden.
 de, um mich so gut wie möglich auf die bevorstehende                Die Band wurde im Jahre 2014 von mir und dem dama-
­Maturitäts-/Studienzeit vorzubereiten.                         ligen Bassisten Tom Zürcher gegründet, der aber nach zwei
      Auch wenn noch ein langer und teils steiniger Pfad vor    Jahren rausgeworfen werden musste.
 mir liegt, schaue ich die meiste Zeit recht optimistisch in         Bis vor 2 Jahren gab es einige Wechsel, von da an blieb
 die Zukunft. Denn wo ein Wille ist, ist immer auch ein Weg,   die Besetzung aber immer gleich. Luca Gfeller am Bass,
 und falls der gewählte zu scheitern droht, ist ja allgemein   ­Severin Held an der Rhythmusgitarre, Tobias Gerber an den
 bekannt, dass es noch viele andere gibt, die ebenfalls nach    Drums und ich an der Leadgitarre und Stimme. Lücu, Seve
 Rom führen.                                                    und ich haben alle zusammen die Oberstufe besucht. Töbu,
                                                                der ein Jahr jünger ist als wir, ging in einer anderen Gemein-
                                                                de zur Schule. Wir sind alle zwischen 18–20 Jahre alt und
                                                                machen dieses Jahr mit Ausnahme von Töbu unseren Lehr-
                                                                abschluss.

Unser Lohn sind die                                            30 Gigs und der Lehrabschluss

Freudenschreie, die wir                                        Es passte wie die Faust aufs Auge, dass wir alle die gleichen
                                                               Interessen pflegten. Wir wollten Musik machen und die alte

auf der Bühne hören                                            Musik wieder neu aufblühen lassen. Wir nahmen die ganz
                                                               alten Klassiker hervor: Guns’n’Roses, Chuck Berry, Bon
                                                               Jovi, Lynyrd Skynyrd, aber am meisten hat uns der Sound
                                                               der legendären Blues-Rockband AC/DC geprägt. Unser Mu-
                                                               sikstil wird von den Leuten oft als «fadägradä Rock» be-
                              Florian Badertscher,             zeichnet und kommt beim Publikum sehr gut an.
                              Fleischfachmann, 3. LJ, GDL           Schon bald kamen die ersten eigenen Songs zur Welt,
                                                               die vom Publikum auch sehr gut aufgenommen wurden.
                                                                    2014 spielten wir im Jahr gegen die 5 Gigs, heute sind
                                                               es bis zu 30 und es werden jedes Jahr mehr! Da wir dieses
                                                               Jahr fast alle unseren Lehrabschluss erfolgreich abschlies­
                                                               sen wollen, mussten wir die Musik in der letzten Zeit etwas
                                                               zurückfahren und uns voll auf die Lehre konzentrieren.
                                                               Nach der LAP geht’s aber gleich wieder mit Vollgas los.
                                                                    Was uns in dieser Zeit sehr weit gebracht hat, ist, dass
                                                               wir noch blutjunge Teenager sind und die Leute etwas ganz
Ich bin Florian «Flopsi» Badertscher und besuche jeden         anderes als solchen Rock erwarten, wenn sie uns auf die
Mittwoch die gibb. Ich bin ein Fleischfachmann im 3. Lehr-     Bühne kommen sehen. Dies wird von der Tatsache begleitet,
jahr und komme aus Lützelflüh im Emmental. Lützelfüh ist       dass es heute in der Schweiz kaum noch eine so junge Band
ein kleines Dorf in der Nähe von Burgdorf.                     gibt, die diese Musik noch (oder wieder) so praktiziert.
     Neben meinem heutzutage etwas aussergewöhnlichen
Beruf pflege ich auch ein spezielles Hobby. Gerade in der
heutigen Zeit sind mein Hobby und mein Lebensstil sehr         Mit Rock’n’Roll im Herzen ans Konzert
wenig vertreten. Für mich gibt es in meinem Leben keine        Etwa 2–3 Mal in der Woche sind wir auf der Bühne. Meist
grössere Leidenschaft, als dies so zu leben und durchzu-       im Kanton Bern, im Emmental, jedoch auch im Wallis, ­Aar-
ziehen, auch wenn ich dafür manche Opfer bringen muss.         gau, Solothurn und Luzern. Unser Weg hat uns bis jetzt in
Lasst euch überraschen und mich euch erzählen, wie sich        diverse Locations wie das Bierhübeli Bern, die Biker­party in
das Leben einer jungen Rockband namens «ROCK-OUT» im           Sumiswald oder das Icerock Festival im Emmental geführt.
21. Jahrhundert gestaltet. Viel Spass.                              Es gibt nichts Schöneres, als mit den Jungs an einem
                                                               sonnigen Samstagnachmittag im Bus voller Vorfreude und
                                                               Rock’n’Roll im Herzen an ein Konzert zu fahren. Dahinter
We Only Live For Rock’n’Roll                                   steckt aber immer ein Haufen Arbeit. Das Volk sieht uns im-
Die meisten Jugendlichen heutzutage üben meist die glei-       mer nur auf der Bühne. Dies ist jedoch nur ein Bruchteil der
chen 08/15-Hobbys aus wie überall auf der Welt: Fussball,      Zeit, die wir in die Musik investieren. Proben, Sitzungen,
Eishockey, Unihockey, Volleyball, Reiten. Nicht wir. Wäh-      allgemeine Probleme und auch körperliche Arbeit gehören
«Wir sind die gibb»                                                                                    GIBB INTERN / JUNI 2018 17

                                                                «Schauen Sie beim
zu unserem Alltag. Wenn man es nicht von ganzem Herzen
will, macht man es als solche Band nicht lange.

                                                                nächsten Theaterbesuch
     Die meisten Leute denken, dass die harte Arbeit mit der
Gage bezahlt wird, die man bei jedem Konzert zur Genüge
erhält. Dem ist aber nicht so. Man wird nicht reich, im Ge-
genteil, man zahlt in den Anfängen vielfach noch drauf. Die     mal nach oben!»
Gage ist einfach eine kleine Entschädigung, die die Band
als finanzielle Unterstützung vom Veranstalter erhält. Doch
über das lohnt es sich nicht zu reden, denn wer es nur we-
gen Geld macht, muss sofort damit aufhören. Unser Lohn          Leon Gian Bichsel, Gebäudetechnikplaner Lüftung, 4. LJ, BAU
ist es nicht, dass wir am Schluss die Gage einkassieren,        Interview: Sabine Beyeler
nein. Unser Lohn sind die Gesichter der Menschen, die wir
mit unserer Musik in ihre Jugendzeit zurückversetzen kön-
nen. Es sind die Freudenschreie, die wir auf der Bühne hö-
ren, das Tosen der Menge, das Gefühl, wenn unter deinen         gibb intern: Was für eine Ausbildung machen Sie?
Füssen der Boden vibriert, das Rampenlicht, das dir den         Leon Bichsel: Ich lerne Gebäudetechnikplaner Lüftung und
letzten Schweiss aus den Poren treibt, das unbeschreibli-       stehe kurz vor dem Abschluss meiner Lehre. Ich mache mei-
che Gefühl im Bauch, wenn deine hart erarbeitete Leiden-        ne Ausbildung bei der Gruner Roschi AG in Köniz. Wir sind
schaft mit Ruhm, Applaus und Fortschritten erwidert wird,       dort rund 60 Leute, die Firma gehört aber zu einer grossen
und am Schluss schlicht und einfach die Geschichten, die        Kette. Mir gefällts im Lehrbetrieb, es herrscht ein familiäres
jedes Mal wieder aufs Neue geschrieben werden.                  Arbeitsklima, ich fühle mich dort wohl.

                                                                Haben Sie ein Lieblingswerkzeug?
Eine Portion Tradition                                          Besonders gerne mag ich das Lasermessgerät. Das Ding hat
Wir spielen diese Musik für uns und für unsere Zuhörer,         mich schon immer fasziniert, vielleicht auch weil es diesen
denn ohne sie gäbe es uns gar nicht! Auch an dieser Stelle      roten Punkt durch alle möglichen Räume jagen kann. Ich
ist es wieder einmal an der Zeit, Danke zu sagen und den        wüsste schon gern, wie so etwas physikalisch möglich ist.
Hut vor unseren treuen Zuhörern zu ziehen. Ihr seid unsere      Auf jeden Fall benutzen wir es ständig.
Versicherung.
     Diesen Sommer kommt auch schon unser zweites Al-           Wie sind Sie zu diesem Berufswunsch gekommen?
bum raus, das wir zurzeit gerade aufnehmen. Es trägt den        Oder hat der Beruf eher Sie gefunden?
Titel «Loud Hard And Dirty». Dies ist unser Motto. Auf dem      Mir gefällt der Beruf – man kann aber auch sagen, dass die
Album sind 9 Songs. 8 eigene und 1 Coversong. Es wird ab        Wahl kein Zufall war. Mein Grossvater hat vor über 60 Jah-
Ende Juni erhältlich sein.                                      ren eine Bautechnik-Firma gegründet, in der mein Vater
     Neben unserem Rocksound werden wir immer mehr              ebenfalls aktiv ist. Je nachdem werde ich auf diesem Job für
wegen unserem Markenzeichen bekannt. Wir kombinieren            immer bleiben, aber vielleicht entwickelt sich auch irgend-
unsere Rockmusik seit einiger Zeit mit der Schweizer Lan-       wann noch etwas anders.
destracht, dem Edelweisshemd. Dies erscheint manchen
auf den ersten Blick ungewöhnlich, ist aber ein wichtiger       Welche Eigenschaften mögen Sie an sich?
Teil von uns geworden und kommt beim Volk sehr gut an.          Ich bin ein glücklicher Mensch, lache gerne, bin hilfsbereit
Es hinterlässt beim Zuhörer einen bleibenden Eindruck und       und höre mir gerne andere Meinungen an. Ich halte aber auch
verkörpert gleichzeitig unsere Liebe zum Emmental und der       an meiner Meinung fest. Zu sich zu stehen, finde ich wichtig.
Heimat. Wir werden auf Grund dessen viel angesprochen,
ob wir nationalsozialistisch veranlagt sind. Dies ist aber      Wo und wie können Sie diese Eigenschaften beruflich
nicht so. Wir gehen unseren Weg eher an der Politik vorbei,     nutzen?
weil wir schlicht und einfach nur Musik machen wollen und       Die Hilfsbereitschaft ist wichtig, wenn man im Team arbei-
die Leute begeistern. Und damit hat Politik leider nicht viel   tet, und ich arbeite lieber in Teams als allein. Dass ich eine
zu tun. Dies heisst jedoch nicht, dass man nicht trotzdem       Meinung habe und diese klar äussere, ist im Gespräch mit
stolz auf seine Heimat sein kann.                               Architekten und Bauherren wichtig. Man muss auch mal da-
                                                                gegenhalten können, um bei Bauprojekten auf gute gemein-
                                                                same Lösungen zu kommen.

                                                                Hat der Lehrbetrieb Sie darin unterstützt, diese
                                                                Kompetenz aufzubauen?
                                                                Ja! Es beginnt im ersten Lehrjahr damit, dass man bei vielen
                                                                Gesprächen dabei sein darf, genau zuhört, nachfragt und
                                                                die Körpersprache beobachten lernt. Ich merkte zum Bei-
                                                                spiel, dass nicht nur wichtig ist, was man sagt, sondern
                                                                auch, wie man seine Sache vertritt, wie man beim Diskutie-
                                                                ren sitzt und steht.
18 GIBB INTERN / JUNI 2018            «Wir sind die gibb»

                              Leon Gian Bichsel
«Wir sind die gibb»                                                                              GIBB INTERN / JUNI 2018 19

Haben Sie weitere Stärken, die Sie im Beruf und auch in        Wenn Sie die Macht hätten, per sofort etwas an der
der Berufsschule nutzen können?                                Schule einzuführen oder zu ändern: Was fällt Ihnen da
Ich finde, dass ich eine planerische Begabung und ein gu-      spontan ein?
tes Vorstellungsvermögen habe. Mir liegt es, mir eine Auf-     Mehr Frauen in der Klasse. Und auf die Berufskunde bezo-
gabe zuerst im Kopf zurechtzulegen, Konzeptarbeit zu ma-       gen: möglichst aktuelle Lehrmittel, denn in unserer Bran-
chen. Das Stillsitzen hingegen mag ich nicht so, im Büro       che verändern sich die Normen und technischen Bedingun-
und in der Schule ist das eine Herausforderung. Ich bin        gen ständig.
«zablig», bin gern in Bewegung. Jetzt am Ende der Ausbil-
dung bin ich oft auf der Baustelle, das gefällt mir.           Welches Bauprojekt, das Sie mit Ihrer Lehrfirma ausge­
                                                               führt haben, hat Sie besonders beeindruckt?
Heisst das, Sie suchen in der Freizeit bewusst den             Ganz klar der Umbau des Stadttheaters. Das war etwas
Ausgleich? Machen Sie Sport?                                   ganz Besonderes, weil es ein altes Gebäude ist, das unter
Früher habe ich das intensiv getan, insbesondere Fussball      Denkmalschutz steht. Bei der Planung der neuen Lüftung
gespielt und Kickboxen betrieben. Momentan bin ich durch       musste man viele Schwierigkeiten bewältigen; zum Beispiel
die Lehre und die Schule ausgelastet – aber nachher will       sollten die Zuschauer in den oberen Geschossen nichts von
ich wieder mehr hinaus an die Sonne.                           der Zu- und Abluft merken. Wir haben also die Luftzufuhr
     Eine kleine Oase ist für mich der Garten beim Viktoria-   unter die Stuhlreihen verlegt, die Abluft entweicht über
Schulhaus. Die Sitzbank beim grossen Baum ist ein Lieb-        Schlitze, die rund um das Deckengemälde verlegt wurden.
lingsort von mir.                                              Schauen Sie beim nächsten Theaterbesuch mal nach oben!

Damit sind wir beim Schulhaus und bei Ihren Erfahrun­          Ein Blick in Ihre Zukunft: Wo sehen Sie sich in zehn
gen mit der Berufsschule angelangt. Was werden Sie von         Jahren?
den vier Jahren mitnehmen?                                     Ein Wunschtraum wäre eine Pilotenausbildung. Realisti-
Ich finde das Viktoria-Schulhaus – auch aus baufachlicher      scher ist es, zuerst einmal die Rekrutenschule zu machen
Sicht – sehr angenehm. Besonders die Mediathek, in der         und in Australien mein Englisch zu verbessern. Gut mög-
wir uns gerade befinden, ist ein offener, heller Raum, der     lich, dass ich in zehn Jahren im Familienbetrieb arbeite,
ein ideales Raumklima hat. In den Klassenzimmern ist es        vielleicht eine Abteilung leite.
etwas wärmer, dafür sind sie gut ausgestattet. Ein guter Ort
ist auch die Migros-Mensa. Man kann da gut und preisgüns-      Welche Art von Gebäude würden Sie gern einmal
tig essen.                                                     bautechnisch mitplanen?
     Ebenso wichtig sind natürlich die Leute. Die Lehrperso-   Ein Eishockey-Stadion! Ich stelle es mir besonders an-
nen empfinde ich als freundlich, hilfsbereit und offen. Ich    spruchsvoll vor, eine Lüftungsanlage für eine geschlossene
bin früh von zuhause ausgezogen und habe allein gewohnt;       Halle zu bauen, in der sich so viele Leute aufhalten.
dass meine ABU-Lehrerin sich für meine private Situation
interessiert und mir zugehört hat, war eine gute Erfahrung
für mich.
20 GIBB INTERN / JUNI 2018                                                                                           «Wir sind die gibb»

Miniaturen                                    Berufes. Von der ersten Idee bis zur          zwei jährlichen Pfadilager. Daneben
                                              ­endgültigen Ausführung ist man immer         spiele ich einmal wöchentlich Tennis im

«Wir sind die
                                               dabei.                                       Tennisclub Dählhölzli.
                                               Die Lehre hat auch ihren Tribut gefordert.

gibb»
                                               Ich musste mit dem Fussball aufhören,
                                               weil ich einfach keine Zeit mehr dafür
                                               habe und weil mein Arbeitsweg relativ        Fabienne Braun, OPT 8b, MTB
                                               lang ist. Aber ich habe ja immer noch
                                               meine Familie und Kollegen, mit denen        Where do I stand in life?
                                               ich einen Grossteil meiner Freizeitakti­     Sometimes I feel like I’m on top of my
                                               vitäten teile. Ich bereue die Entschei-      life. Like, I’m actually good at the things
                                               dung, diese Lehre zu beginnen, nicht.        I do. I feel confident with what I am and
                                               Für mich ist sie definitiv ein perfekter     what I know.
                                               Start in die Berufswelt.                     But more often than not, I don’t. I feel
                                                                                            like I haven’t come anywhere so far.
                                                                                            There is still so much I have and want to
Joel Luca Blaser, Zeichner EFZ                                                              learn. I also just realized there are quite
Fachrichtung Ingenieurbau, 3. LJ, BAU         Silvan Oertle, Elektroinstallateur EFZ,       some people my age in politics, travel-
                                              2. LJ, IET                                    ling the world or pursuing other dreams.
Ein perfekter Start                                                                         And I’m here asking myself, what the
Noch ein gutes Jahr – dann ist das Fun-       Motiviert und munter                          heck I’m doing with my life. I don’t know
dament für meine berufliche Karriere          Ich wohne mit meiner Familie in Wabern.       what I want. I roughly even know myself.
­gelegt. Im Sommer beginnt das letzte         Mein jüngerer Bruder Marius besucht           But do I have to know it already?
 Lehrjahr und damit der Endspurt und der      momentan das berufsvorbereitende              Everyone you meet knows something you
 LAP-Stress. Die Zeit vom Unterrichts­        Schuljahr in der Didac Bern. Ich bin          don’t but no one knows everything. ­
 thema «Berufswahl» bis heute ging wie        19 Jahre alt und habe die Schweizer           For me, this puts things back into per-
 im Fluge vorbei. Dennoch werde ich nie       Staatsbürgerschaft.                           spective. Life means progress. You can
 meinen ersten Arbeitstag vergessen.          Ich arbeite bei der Firma Gfeller Elektro     never be perfect at life. That’s exactly
 ­Alles war neu; eine gesunde Nervosität      AG in Hinterkappelen BE. Das ist ein eher     what makes it beautiful. There will
  hatte ich auch.                             grösserer Betrieb. Die Mitarbeitenden         ­always be something you can improve
                                              tragen rötliche Arbeitskleider, die sehr       on. Just remember this: It’s about the
                                              auffällig sind; man erkennt sie sofort an      journey, not the destination. I hope I’ll
                                              ihrem Logo. Ich bin im zweiten von vier        never stop learning!
                                              Lehrjahren. Wichtig in meiner Ausbildung
                                              ist ein guter Berufsabschluss, ein gutes
                                              Arbeitsumfeld zu haben und eine exakte,
                                              sorgfältige Arbeit zu erbringen.
                                              Meine Stärken liegen in der Pünktlichkeit
In der Lehre als Zeichner kann ich so         und Zuverlässigkeit. Ich bin immer
richtig in mir aufgehen. Konzentriertes       ­motiviert, zufrieden und munter. Hin­
Arbeiten unter ständigem Zeitdruck,            gegen habe ich manchmal Mühe mit
Teamfähigkeit, aber auch Probleme auf          der Arbeitsgeschwindigkeit und dem
eigene Faust zu lösen gehören zu meinen        technischen Verständnis.
grössten Stärken. All das konnte ich in        In seiner Freizeit beschäftige ich mich
den vergangenen Jahren stetig verbes-          mit der Pfadi Falkenstein Köniz. Seit        Silvana Anken, Fachfrau Information und
sern und meine Arbeitsweise wurde effi-        neun Jahren bin ich Mitglied in der Pfadi.   Dokumentation, 2. LJ, GDL
zienter. Das wohl Spannendste an die-          Nach sieben Jahren absolvierte ich ein
sem Beruf ist für mich, dass nichts gleich     Jugend- und Sportkurs und wurde zum          Schüler*innen auf dem Weg der
ist. Ich bin hauptsächlich im Hochbau          diplomierten Jugend- und Sportleiter. In     ­Berufswahl unterstützen
­tätig. All die Häuser, welche ich gezeich-    der Pfadi stehen spielerische Aktivitäten     Mein Name ist Silvana Anken, ich bin
 net habe, sind zwar zum Teil ähnlich,         in der Natur im Vordergrund.                  17 Jahre alt und wohne mit meiner Fami-
 aber nie genau gleich, darum ist es wich-     Was mir besonders gut gefällt, sind die       lie im Wylergut, in Bern. Im Sommer
 tig, immer bei der Sache zu sein. Nicht                                                     2016 habe ich meine Ausbildung zur
 nur die Abwechslung fasziniert mich am                                                      Fachfrau Information und Dokumenta­
 Beruf, sondern auch die Karriereaussich-                                                    tion im Schweizerischen Bundesarchiv
 ten. Der Beruf bietet viele Möglichkeiten,                                                  begonnen. Die Ausbildung dauert drei
 um sich später weiterzubilden. Für mich                                                     Jahre und kann in Archiven, Bibliotheken
 steht schon fest, dass ich Richtung Bau-                                                    oder Dokumentationsstellen absolviert
 ingenieur gehen werde. Mich fasziniert                                                      werden. Während einer Arbeitswoche
 einfach das Abwechslungsreiche dieses                                                       verbringe ich normalerweise zwei Tage in
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