Wir spielen wieder! Konzerte in der Wiener Staatsoper Abschied: Dominique Meyer im Gespräch Ausblick: Die Spielzeit 2020/2021 - PROLOG JUNI 2020 | ...

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P R O L O G J U N I 2 0 2 0 | N° 239

                    Die Wiener Staatsoper im Juni 2020

Wir spielen wieder! Konzerte in der Wiener Staatsoper
            Abschied: Dominique Meyer im Gespräch        GENERALSPONSOREN

                     Ausblick: Die Spielzeit 2020/2021
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Die einzigartige Don Pasquale-Produktion
der Staatsopern-AK-Tournee quer durch
Österreich! Mit: Edita Gruberova, Luigi Alva,
Oskar Czerwenka, Hans Helm

     Erhältlich im Arcadia Opera Shop,
im ausgewählten Fachhandel und unter
              www.wiener-staatsoper.at
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Inhalt
 Vorwort
 Dominique Meyer                                                                                                 2
 Oper zum Lesen, Hören, Schauen
 Neuerscheinungen zum Saisonschluss                                                                              4
 Es geht wieder los!
 Reichhaltiges Konzertprogramm im Juni                                                                           5
 Mir ist die Ehre widerfahren …
 Abschied Dominique Meyer                                                                                        6
 Der Herr der Zahlen
 Kaufmännischer Geschäftsführer Thomas Platzer                                                             12
 Au revoir, Manuel Legris                                                                                  14
 Das Geheimnis des Kreativen
 Ein Zoom-Gespräch im Corona-Alltag                                                                        16
 Balletturaufführungen an der Wiener Staatsoper                                                            18
 Ashley Taylor – Den Tanz im „Fokus“                                                                       19
 „Man muss sich das Publikum imaginieren“
 Der Ö1-Klassik-Radio-Guru Michael Blees                                                                   20
 Kunst in der Krise II                                                                                     22
 Ioan Holender zum 85. Geburtstag                                                                          25
 Das Staatsopernorchester
 Geigerin Olesya Kurylyak                                                                                  26
 Ausblick auf die Spielzeit 2020/2021                                                                      28
 Daten und Fakten                                                                                          31
 Spielplan                                                                                                 34
IMPRESSUM
Wiener Staatsoper – Direktion Dominique Meyer
Saison 2019/2020, Prolog Juni 2020
Redaktion: Andreas Láng, Oliver Láng, Oliver Peter Graber, Iris Frey
Grafik: Irene Neubert, Veronika Grabietz
Bildnachweise: Nicolas Meyer (Cover), Andreas Jakwerth (S. 1, 3, 5), Michael Pöhn (S. 6, 12, 16, 32),
Ashley Taylor (S. 14, 19), Theatermuseum, Wien (S. 18), Lois Lammerhuber (S. 21), Florian Lechner (S. 25)
S. 22-24: Nikolaus Karlinsky (Eröd), Brescia/Amisano © Teatro alla Scala (Stoyanova), Priska Ketterer (Staud),
Marco Borggreve (Altinoglu), Nikolaus Karlinsky (Kirchschlager)
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Sehr geehrte Besucherinnen und Besucher,
liebes Publikum!

Diese zehn Jahre sind so schnell vergangen: 3.800      – Die wirtschaftlichen Ergebnisse waren gut: die
Aufführungen, 122 Operntitel, 57 verschiedene          Auslastungsrate ist gestiegen und erreichte sowohl
Komponisten, ein erweitertes Ballettprogramm.          in der Oper als auch im Ballett mehr als 99%, der
In den letzten zehn Jahren ist vieles passiert:        Kartenverkauf ist von 28 Millionen Euro im Jahr
– Die Zahl der Neuproduktionen wurde von vier          2010 auf 37,5 Millionen Euro im Jahr 2019 gestie-
auf sechs pro Jahr erhöht.                             gen, und wir werden trotz der Corona-Krise un-
– Die Probenbedingungen wurden verbessert: von         seren Nachfolgern 15 Millionen Euro an Reserven
90 auf 110 Orchesterproben, längere Probenzeiten       hinterlassen.
für Repertoireaufführungen, Bau einer neuen Pro-       Vor allem hatten wir das Vergnügen, viele große
bebühne im Arsenal.                                    Dirigenten zu begrüßen (Christian Thielemann,
– Mit der neuen Ernennung von „Ersten Solotän-         Franz Welser-Möst, Simon Rattle, Zubin Mehta,
zerinnen“ bzw. „Ersten Solotänzern“ und einer          Semyon Bychkov, Daniel Harding, Gustavo Duda-
besseren Organisation der Karriereentwicklung in-      mel, Riccardo Muti (der uns nach Tokio begleitete
nerhalb des Corps de ballet, konnte eine neue und      und im Mai zurückkehren sollte), Peter Schnei-
brillante Generation von Ersten Solisten entstehen.    der, Evelino Pidò, Simone Young, Marco Armiliato,
Die Programmgestaltung von Manuel Legris hat es        Adam, Fischer, Valery Gergiev, …) sowie die besten
ermöglicht, die meisten der großen Ballettklassiker    Vertreter der jungen Generation (Andris Nelsons,
in hochwertigen Produktionen wieder aufleben zu        Tugan Sokhiev, Alain Altinoglu, Yannick Nézet-Sé-
lassen, aber auch das Beste des zeitgenössischen       guin, Tomáš Hanus, Tomáš Netopil, Antonello Ma-
Schaffens zu begrüßen. Parallel dazu sind zahlrei-     nacorda, Susanna Mälkki, Axel Kober, Jakub Hru°ša,
che neue Sänger ins Ensemble bekommen. Viele           Speranza Scappucci, Giampaolo Bisanti …) und
von ihnen machen jetzt Weltkarriere.                   einige große Spezialisten der Alten Musik: Willi-
– Sowohl die Opern- als auch Balletttourneen wur-      am Christie, Marc Minkowski, Christophe Rousset,
den vervielfacht.                                      Ivor Bolton, Emmanuelle Haïm …
– Neue Technologien wurde ins Haus gebracht:           Es kamen zahlreiche Regisseure aus der ganzen
Installation von Bildschirmen unter den Arkaden,       Welt und aus den unterschiedlichen. Manchmal
Entwicklung des Streamings, das für 350 Über-          diskutiert – wie es sich gehört –, manchmal um-
tragungen in High Definition sorgt und die erste       stritten, manchmal geliebt. Es bleiben schöne Er-
weltweite Ausstrahlung in 4K ermöglichte, Schaf-       innerungen: Cardillac (Sven-Eric Bechtolf), Les
fung des Untertitelsystems mit acht Sprachen via       Troyens, Ariodante und Tristan und Isolde, (David
der für jeden Zuschauer installierten Tablets, Digi-   McVicar), Don Pasquale und Midsummer Night’s
talisierung der Partituren, die nun den Versand des    Dream (Irina Brook), Pelléas et Mélisande und
gesamten Materials an die Sänger ohne Portokos-        Fanciulla del West (Marco Arturo Marelli), der
ten ermöglicht, Einsatz der Tablets von den Inspi-     Janáček-Zyklus (André Engel, Peter Stein, Peter
zienten, Modernisierung der Ton- und Videoinstal-      Konwitschny, Otto Schenks Rückkehr – eine Stern-
lation, Wechsel der Beleuchtung im Großen Haus         stunde!), die schichte Ästhetik von Christof Loy in
auf LED, usw. …                                        Alceste. Ich würde auch gerne zwei Produktionen
– Die historischen Teile des Hauses (Schwind-Log-      erwähnen, die hier nicht gut angekommen sind,
gia, Schwindfoyer, Eingangsbereich …) wurden re-       die ich aber sehr mag: Le nozze di Figaro von
stauriert und erscheinen wieder in ihrer ursprüng-     Jean-Louis Martinoty (beste Produktion des Jahres
lichen Pracht.                                         in Paris, verrissen in Wien) und La traviata (Jean-

2   N° 239   www.wiener-staatso per.at
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VORWORT

François Sivadier). Es gab oft Diskussionen und          merer, Benedikt Kobel, Dan Paul Dumitrescu, So-
unterschiedliche Meinungen. Aber es hat mich nie         rin Coliban, Wolfgang Bankl, Clemens Unterreiner
wirklich gestört, weil die Kriterien, nach denen         und all die anderen. Ich bin für ihre Hilfe, ihre
entschieden wird, ob es einem gefällt oder nicht,        Treue zur Staatsoper und ihr Engagement unend-
sehr unterschiedlich sind. Letztlich sind das Ge-        lich dankbar. Ich möchte auch allen Mitarbeitern
schmacksfragen. In diesen zehn Jahren haben uns          des Theaters meinen Dank aussprechen, dem Or-
alle großen Sängerinnen und Sänger der Welt ihre         chester, das uns so viel Freude bereitet hat, dem
Kunst angeboten. Ich will sie nicht beim Namen           Chor, dessen Arbeit allzu oft unterschätztz wird
nennen, es sind zu viele. Aber wir werden uns an         (45 aus­wendig interpretierte Opern pro Saison in 6
ihre Auftritte erinnern: Anna Netrebko und Elı̄na        Sprachen!), dem Ballett, das im Laufe der Jahre so
Garanča in Anna Bolena, dieselbe Anna Netrebko          große Fortschritte gemacht hat. Ich werde nie die
in ihrer ersten Tatjana-Vorstellung oder als unver-      Brüderlichkeit der Kollegen in der Technik verges-
gessliche Leonora im Troubadour; an die zahlrei-         sen, die Qualität ihrer Arbeit, ihr Engagement und
chen Rollendebüts von Nina Stemme (in Elektra,           ihre Bereitschaft alle Probleme zu lösen.
La fanciulla del West, als Kundry und Färberin,          Diesen Wunsch, alle Probleme zu lösen, habe ich
…), an Piotr Beczała (sein allererster und unver-        auch in jedem einzelnen Büro gefunden. Obwohl
gesslicher Cavaradossi), an die Zugaben von Jonas        meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Arbeit
Kaufmann in der Tosca (!), an die von Beczała in         überlastet waren, waren sie jederzeit engagiert. Ich
derselben Tosca, oder die von Juan Diego Flórez          werde ihre Unterstützung, ihre Loyalität und die
im Liebestrank oder La Fille du régiment, an die         schöne Zusammenarbeit nicht vergessen.
Monologe der Marschallin von Renée Fleming               Heute verabschiede ich mich auch von Ihnen, lie-
oder Anja Harteros … So viele wunder­bare Erin-          be Freunde und liebes Publikum. Ich habe immer
nerungen. Und dann war da noch das Aufblühen             geglaubt, dass das Publikum ein wichtiger Bestand-
so vieler neuer Sänger, wie Benjamin Bernheim,           teil des Theaters ist. Dies gilt umso mehr hier in
Lise Davidsen, Andreas Schager, Sonya Yoncheva,          Wien. Wo sonst auf der Welt findet man noch eine
Olga Peretyatko und viele andere, und schließ-           solche Begeisterung, eine solche Freude, in die
lich, was noch eine größere Freude war, die Pfle-        Oper zu gehen und immer wieder zurückzukeh-
ge und Entwicklung des festen Sängerensembles            ren? Wo sonst findet man ein Theater, in dem der
der Staatsoper. Ich habe es so gemacht, wie man          Applaus so lange dauert, in dem die Künstler be-
einen Garten pflegt, indem ich sorgfältig nach jun-      kannt sind, anerkannt und mit so viel Wärme emp-
gen Trieben gesucht habe, versucht habe, sie zum         fangen werden? Dessen bin ich mir bewusst und es
Wachsen zu bringen, und auch versucht habe, eine         berührt mich sehr. Es war mir eine Ehre und eine
Symbiose mit den älteren Trieben herzustellen.           immense Freude, für eine solche Gemeinschaft,
Ich freue mich zu sehen, dass viele von ihnen eine       für ein solches Theater, für diese Stadt und dieses
brillante internationale Karriere gemacht haben:         Land zu arbeiten, die immer in meinem Herzen
Adam Plachetka, Benjamin Bruns, Aida Garifullina,        bleiben und denen ich treu bleiben werde. Natür-
Anita Hartig, Valentina Narforniţă, Chen Reiss, Olga   lich ist nicht alles perfekt gewesen und das ist mir
Beszmertna, Maria Nazarova, Andrea Carroll usw.          bewusst. Aber wir haben stets und immer unser
Ebenfalls nennenswert sind die Sänger die uns            Bestes gegeben.
schon mehrere Jahre begleiten: Herwig Pecoraro,          Nehmet meinen Dank!
der verstorbene Alfred Šramek, Hans Peter Kam-           			Ihr Dominique Meyer

                                                                        www.wiener-staatsoper.at   N° 239   3
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OPER ZUM LESEN,
                                HÖREN, SCHAUEN
                                Zum Saisonschluss präsentiert die Wiener Staatsoper
                                eine Reihe von Neuerscheinungen

                                CHRONIK DER WIENER STAATSOPER
                                           150 JAHRE HAUS AM RING
                                                                    A    ls Nachtrag zum Jubiläumsjahr 2019 erscheint
                                                                          eine Chronik der Wiener Staatsoper, in der
                                                                    die Geschichte des Hauses am Ring erzählt wird.
                                                                                                                            in den späten 1920er-Jahren Ähnliches, führte es
                                                                                                                            aber nicht aus) sorgte für eine Öffnung des Hauses
                                                                                                                            und bot dem Publikum auch außerhalb des Wie-
                                                                    In dem reich bebilderten Band werden Jahr für           ner Einzugsgebiets die Möglichkeit, die Staatsoper
                                                                    Jahr die Ereignisse im und um das Haus aufbe-           live zu erleben. Die Besetzung dieser Tournee-
CHRONIK DER WIENER STAATSOPER

                                                                    reitet, wichtige Produktionen und Informationen         produktion war hinreißend: unter anderem Edita
                                                                    zum Haus kommen ebenso zur Sprache wie das              Gruberova, Luigi Alva, Oskar Czerwenka, Hans
                                                                    künstlerische Geschehen an sich, die Inszenie-          Helm! Im Sommer erscheint erstmals eine DVD
                                                                    rungsgeschichte und das Wirken prominenter In-          dieser Produktion – ein Stück federleicht servier-
                                                                    terpretinnen und Interpreten. Ein Band, der auf         ter Operngeschichte!
                                                                    eine historische, spannende Reise in eines der
                                                                    wichtigsten Opernhäuser der Welt mitnimmt und           Auch im Bereich der Kinderoper sind in den letzten
                                                                    zu Entdeckungen einlädt.                                Jahren eine Vielzahl an Produktionen auf DVD er-
                                                                                                                            schienen. Diese Reihe wird nun durch gleich zwei
                                                                    Anlässlich des Direktionswechsels präsentiert die       Neuerscheinungen von Uraufführungsproduktio­
                                 MIR IST
                                 DIE EHRE                           Wiener Staatsoper das Buch Mir ist die Ehre             nen fortgesetzt: Persinette und Was ist los bei den
                                 WIDERFAHREN…

                                                                    wider­fahren …, in der die Dekade der Direktion         Enakos? Das erstgenannte Werk kam im Dezem-
                                 Die Direktion Dominique Meyer

                                                                    Dominique Meyer beleuchtet wird. Neben Statisti-        ber 2019 am Großen Haus zur Uraufführung: Ba-
                                                                    ken und Daten zu den vergangenen Jahren bietet          sierend auf der bekannten Rapunzel-Geschichte
                                                                    der Band zahlreiche Essays und Interviews seiner        erzählt der Komponist Albin Fries die Geschichte
                                                                    Weggefährten, die aus ihrem jeweils persönlichen        des im Turm gefangenen Mäd-
                                                                    Blickwinkel die Direktion bzw. wichtige künstleri-      chens neu, kleidet die Handlung
                                                                    sche Ereignisse ausleuchten. Nicht fehlen darf na-      in ein spätromantisches Klangge-
                                                                    türlich ein umfangreicher Fototeil, der einen Streif-   wand. Dazu gibt es eine animati-
                                                                    zug durch Aufführungen der letzten Jahre bietet.        onsverspielte Inszenierung von
                                                                                                                            Matthias von Stegmann, die mit-
                                                                                        Legendär ist die von ORF aufge-     tels Videotechnik für fantasievoll
                                                                                        zeichnete Don Pasquale-Produk-      wechsende Räume sorgt.
                                                                                        tion aus 1977, die im Rahmen
                                                                                        der AK-Tournee der Staatsoper                          Ein knappes Jahr zuvor, im Jän-
                                                                                        quer durch Österreich entstan-                         ner 2019, kam in der AGRANA
                                                                                        den ist: In zahlreichen Orten                          STUDIOBÜHNE | WALFISCH-
                                                                                        zwischen Krems und Hollabrunn                          GASSE eine Uraufführung von
                                                                    traten Künstlerinnen und Künstler des Hauses in                            Elisabeth Naske heraus: Was ist
                                                                    einer liebenswert inszenierten Produktion dieser                           los bei den Enakos? In dieser
                                                                    Donizetti-Oper auf. Dabei kamen Volkshäuser,                               kurzweiligen Kinder­ oper wird
                                                                    Stadtsäle und Stadttheater als Spielorte ebenso         die Geschichte eines kugelig-kuscheligen Volks er-
                                                                    zum Einsatz wie Kongresshäuser. Gesungen wurde          zählt, das sich aus einer gleichgeschalteten Wohl-
                                                                    auf Deutsch. Dieses von Direktor Egon Seefehlner        fühl-Gesellschaft in eine aufgeklärte, individuell
                                                                    initiierte Projekt (Clemens Krauss plante übrigens      geprägte Gemeinschaft entwickelt.

                                                                    4   N° 239   www.wiener-staatso per.at
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OPER

ES GEHT WIEDER LOS!
Die Wiener Staatsoper präsentiert im Juni
ein reichhaltiges Konzertprogramm

W      ochenlang musste der Theaterbetrieb auf-
       grund der Corona-Krise auch in Österreich
pausieren, ab nun können Vorstellungen – unter
                                                      PROGRAMM

                                                       8. Juni Liederabend Günther Groissböck
bestimmten Auflagen – wieder stattfinden. Zwar         9. Juni Ensemblekonzert
nur vor einem sehr kleinen Publikum von maxi-
                                                      10. Juni Kammermusik
mal 100 Personen, doch immerhin erklingt endlich
                                                               der Wiener Philharmoniker
wieder Musik in der Staatsoper, endlich erwacht
das Haus am Ring wieder zum Leben. Schwer zu          11. Juni Liederabend KS Tomasz Konieczny
entscheiden, wem der Kulturbetrieb mehr gefehlt       12. Juni Ensemblekonzert
hat, den Zuschauern oder den Künstlerinnen und
                                                      15. Juni Liederabend KS Camilla Nylund
Künstlern, die zum Schweigen verurteilt waren …
Entsprechend groß ist hier auch die Begeisterung,     16. Juni Ensemblekonzert
wieder vor den Vorhang treten und gemeinsam           18. Juni Liederabend KS Michael Schade
musizieren zu können.
                                                      19. Juni Ensemblekonzert

Geplant sind eine Reihe von klavierbegleiteten Lie-   20. Juni Liederabend KS Juan Diego Flórez
der- und Arienabenden vor dem Eisernen Vorhang,       22. Juni Ensemblekonzert
die einerseits von internationalen Gästen, ande-
                                                      24. Juni Ensemblekonzert
rerseits von Ensemblemitgliedern des Hauses ge-
staltet werden. Zusätzlich spielen die Wiener Phil-   25. Juni Liederabend
harmoniker Kammermusik (dieses Konzert war                     KS Krassimira Stoyanova
ursprünglich im Mahler-Saal geplant, finden nun       28. Juni Galakonzert des jungen Ensembles
aber im Großen Haus statt). Als Abschluss wird
am 28. Juni das geplante Galakonzert des jungen
Ensembles stattfinden. Dabei treten all jene Sän-     Alle Konzerte bis auf das Galakonzert finden um
gerinnen und Sänger auf, die in der Direktion von     19.30 Uhr statt; das Galakonzert beginnt um 19.00 Uhr.
Dominique Meyer eine besondere Rolle spielten         Das genaue Programm der Abende sowie Besetzun-
und – zumindest zeitweilig – im Ensemble waren:       gen finden Sie unter www.wiener-staatsoper.at.
ein musikalischer Rückblick, der mit Orchester        Karten sind ab dem 3. Juni an den Kassen sowie
stattfindet.                                          online erhältlich.

                                                                     www.wiener-staatsoper.at    N° 239   5
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MIR IST DIE EHRE
WIDERFAHREN …

                                                                                  Dominique Meyer

   Z  ehn Jahre lang war Dominique Meyer Direktor
      der Wiener Staatsoper, ab Sommer 2020 über-
   nimmt Bogdan Roščić die Leitung des Hauses am
                                                      Ring, Meyer wechselt als Generalintendant an die
                                                      Mailänder Scala. Im Abschiedsinterview blickt er
                                                      auf seine Dekade zurück.

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INTERVIEW

Wann immer eine neue Funktion, vor allem eine             und die Opern von Janáček führten dazu, dass
Leitungsfunktion, angetreten wird, existieren Er-         die Besucherzahlen, was das Zeitgenössische be-
wartungshaltungen, Ideen, Vorstellungen. Wenn             trifft, gut waren. Schließlich die Ensemble-Pfle-
Sie nun Ihre Überlegungen zur Wiener Staatsoper           ge, die enorm wichtig ist: Mein Fehler war, dass
aus dem Jahr Ihrer Bestellung mit jenen von heute         ich anfangs sagte, dass wir ein Mozart-Ensemble
vergleichen: Wo liegen die Überlappungen?                 entwickeln werden. Da dachten viele, dass das
  Dominique Meyer: Deckungsgleich ist die An-             von heute auf morgen passiert. Aber natürlich
  sicht, dass es damals einen Bedarf an besseren          braucht so etwas viel Zeit.
  Probebedingungen gab. Das war ein Projekt, das
  wir sofort in Angriff nahmen und es wurde im Lau-     Der verstorbene Musikkritiker Franz Endler mein-
  fe der Jahre vieles verbessert. Bis hin zur Errich-   te einst, dass ein Kritiker ein Jäger ist, der die Guten
  tung einer neuen Probebühne im Arsenal oder zu        hegt – und die Schwachen mitunter abschießt. Was
  veränderten Kollektivverträgen. Dazu kam, dass        ist ein Direktor? Ein Gärtner? Ein Familienvater?
  etliches aus dem Repertoire sowohl szenisch als          Dominique Meyer: Ich fand es stets am Span-
  auch musikalisch als auch technisch neu aufbe-           nendsten, ein Potenzial zu entdecken. Wenn Sie
  reitet wurde. Ich erwähne stellvertretend nur die        einem Sänger beim Vorsingen zuhören, wissen
  Rückkehr von Otto Schenk, der manche seiner              Sie ja nicht viel über ihn: Ob er verlässlich ist,
  Produktionen aufgefrischt hat. Eine zweite Idee,         intelligent, fleißig, kollegial? Man hört nur eine
  die mir damals wie heute wesentlich schien und           Stimme. Wenn man ihn engagiert, muss man ihn
  scheint, ist die Fortentwicklung der Technologie         oder sie in der Entwicklung begleiten, ich habe
  im Haus. Das hat mit kleinen Dingen angefangen           viele Stunden in meinem Büro mit Gesprächen
  – mit den großen Bildschirmen statt den Foto-            verbracht: Manchen geht einiges zu schnell, ande-
  kästen unter den Arkaden, dann kam das Strea-            ren zu langsam, manche haben Angst, haben eine
  ming-System, es folgten die neuen Untertitel-Tab-        falsche Selbstsicht, dann wieder gesundheitliche
  lets, die inzwischen die Libretti in acht Sprachen       oder persönliche Probleme. Es sind oft junge
  anbieten, später die neue Beleuchtung des Saales         Leute, die von der Hochschule kommen, mitun-
  mit LED-Licht, zuletzt die Digitalisierung von No-       ter unerfahren sind. Ganz ähnlich ist es übrigens       Sendetermine
  ten. Am Rande sei der zweifache Relaunch der             bei Tänzerinnen und Tänzern, wie oft sitzt man als      zu und mit
  Webseite erwähnt, die Einführung neuer sozi-             Direktor um acht Uhr in der Früh im Büro, um ein-       Dominique Meyer:
  aler Medien wie Instagram und Facebook. Drit-            fach zu sprechen. Ein bisschen also eine Pater Fa-
  tens: Es kam zur Erweiterung des Repertoires,            milias-Situation. Man ist Gärtner, Familienvater, Di-   28. Juni, 15.05 | Ö1
  einerseits in Richtung Barock, andererseits in die       plomat, Psychologe, Krankenschwester, Betreuer.         10 Jahre
  Moderne. In diesem Punkt würde ich heute aller-                                                                  Staatsopern-Direktion
  dings anders vorgehen. Ich wollte zuerst das 20.      Wie gelingt es in diesem ungewöhnlichen Betrieb,           Dominique Meyer –
  Jahrhundert ergänzen und erneuern (z.B. Cardil-       in dem jeden Tag eine unvorhergesehene Sache               Ein Rückblick
  lac, Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny, dem       passiert, sich gut vorzubereiten und abzusichern?          mit Michael Blees
  Janáček-Zyklus) und mich dann den zeitgenössi-         Dominique Meyer: Das ist eine Sache der Zeit
  schen Opern zuwenden. Schnell kam der Vor-              und der Erfahrung. Am Anfang meiner Karriere             28. Juni, 9.30 | ORF 2
  wurf, dass die Staatsoper keine zeitgenössische         war für mich jede Absage eine mittlere Katastro-         Ein Blick zurück
  Musik spielt. Das war zwar ohnehin für die zweite       phe, aber dann begriff ich, dass man das anders          mit Liebe
  Hälfte meiner Amtszeit geplant, aber würde ich          sehen muss: Es gibt hier eine tolle Mannschaft,          Dominique Meyer an
  heute neu anfangen, kämen die zeitgenössischen          ein wunderbares Betriebsbüro, eine außeror-              der Wiener Staatsoper
  Opern gleich zu Beginn. Obwohl dieses Annä-             dentliche Situation, dass vieles durch das Ensem-
  hern an die Gegenwart auch einen Vorteil hat-           ble gecovert ist. Für die Rollen, die keine Zweit-       30. Juni, 11.00 | radio-
  te: Wir konnten manchen an der Hand nehmen              besetzung am Haus haben, muss man jene im                klassik
  und nach und nach an die zeitgenössische Mu-            Auge behalten, die notfalls einspringen könnten.         Mélange mit
  sik heranführen. Das Ergebnis jedenfalls ist gut:       Meistens sind diese spontanen Umbesetzungssi-            Dominique Meyer
  Klassiker der Moderne wie Wozzeck oder Lulu             tuationen schnell und ohne großen Nervenver-             Der Abschied

                                                                        www.wiener-staatsoper.at     N° 239   7
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schleiß gelaufen. Das ist auch das Schöne an der      eine Besetzung, die ein bestimmtes Werk gera-
    Staatsoper, dass man hier in Ruhe arbeiten kann.      dezu fordert. Dann gibt es Grundbausteine des
                                                          Repertoires, Mozart, Strauss, Wagner. Das ist
Zur Frage des Verkaufen-Müssens: Wie „populis-            aber noch nicht alles: Wenn man die Geschichte
tisch“ soll man als Staatsoperm-Direktor sein, wie        des Wiener Repertoires studiert, sieht man, dass
weit hat man seinem Publikum entgegenzukom-               die Staatsoper in Wahrheit eine sehr italienische
men?                                                      Oper ist, viel italienischer als deutsch. Es gibt
   Dominique Meyer: Ich gehöre zu jenen, die Re-          kein vergleichbares Haus in Italien, an dem so
   spekt vor dem Publikum haben. Ich kannte das           viele entsprechende Stücke zu erleben sind wie
   Publikum in Lausanne, in Paris – und ich kenne         hier. All das muss in einen Spielplan einfließen,
   es in Wien. Viele Zuseher sogar persönlich. Nicht      und bevor ich hierherkam, studierte ich das sehr
   wenige von jenen, die in die Vorstellung gehen,        genau. Natürlich gönnt man sich auch Wünsche,
   sind gebildet und haben großes Wissen. Man             doch in erster Linie hat man als Direktor eine
   sollte nie so eingebildet sein und sagen: Das sind     Verantwortung, und weder das Haus, noch das
   Leute, die glauben zu wissen, aber letztlich kei-      Publikum sind ein Spielzeug. Die Staatsoper ist
   ne Ahnung haben. Denn das stimmt nicht. Ganz           eine österreichische Nationalinstitution, für die
   im Gegenteil! Das Publikum kennt sich aus! Di-         man arbeiten darf.
   rektoren müssen freilich Kenntnisse haben, die
   darüber hinausgehen, das ist klar. Weil sie vieles   Wer ist eigentlich der nächste Partner des Opern-
   gehört haben, weil sie reisen und sich den gan-      direktors? Gibt es einen? Oder ist man als Direktor
   zen Tag mit Fachfragen beschäftigen. Ich habe        einsam?
   mein ganzes Wissen aus Leidenschaft gewon-             Dominique Meyer: Ich habe mich jedenfalls nie
   nen, viel gehört, viel erlebt. Ich habe Konzerte,      einsam gefühlt. Der nächste Partner war für mich
   Opern programmiert und ich kenne das Reper-            Thomas Platzer, der kaufmännische Leiter. Und
   toire. Manchmal kann es also die Aufgabe des Di-       die Menschen, die jeden Tag mit mir gearbeitet
   rektors sein, die Zuschauer in eine Richtung zu        haben, Studienleiter, Oberspielleiterin, Betriebs-
   führen, an die sie vielleicht nicht gedacht haben.     direktorin. Oder in der Momentaufnahme: Der
   Man kann ihnen etwas zeigen, was sie vielleicht        nächste Partner ist immer der, der mir hilft, das
   nicht kennen. Was ich aber nicht glaube ist, dass      nächste Problem zu lösen. Was mich aber immer
   ein Direktor einen besseren Geschmack als das          begeistert hat war, dass man in einem Haus wie
   Publikum hat. Denn, seien wir ehrlich: Sehr vie-       der Staatsoper mit so vielen unterschiedlichen
   les ist eine persönliche Vorliebe, die nicht nur       Menschen zu tun hat, und sie alle die Begeis-
   von Mensch zu Mensch, sondern auch von Land            terung teilen. Alle gehörten zu diesem Kosmos
   zu Land sehr verschieden sein kann.                    Staatsoper, und es ist schön, sie alle zu kennen.

Einer ihrer Vorgänger, Egon Seefehlner, meinte,         Das Repertoire umfasste in den letzten zehn Jah-
dass man als Direktor einfach nur jene Stücke           ren, die Kinderoper eingerechnet, über 120 Werke.
als Premiere ansetzen muss, die man selber gerne        Inwiefern verfolgten Sie damit eine bewusste Stra-
hat. Und schon steht der Spielplan.                     tegie der Verbreiterung des Angebots?
  Dominique Meyer: Das finde ich nicht. Ich habe          Dominique Meyer: Manchmal entsteht der Ein-
  viele Stücke gespielt, die ich persönlich gar nicht     druck, dass das Repertoire der Wiener Staatsoper
  so sehr mag. An der Wiener Staatsoper geht es           eine gegebene Größe ist, eine Einheit, die ir-
  ja um das Interesse des Hauses: Man muss un-            gendwann vom Himmel gefallen ist. Wenn man
  terschiedliche Stücke planen, die einen aus-            sich aber ein wenig mit der historischen Dimen-
  gewogenen Spielplan ergeben, dazu kommen                sion beschäftigt, dann merkt man, dass dem gar
  die technischen Gegebenheiten des Hauses,               nicht so ist. Es gab Moden. Es gab Tendenzen.
  die Kollektivverträge. Manche Stücke füllen             Es gab Lücken. Das Repertoire ist etwas Lebendi-
  die Kassen, andere nicht. Manchmal ergibt sich          ges, Sich-Entwickelndes, das manchmal in diese,

8     N° 239   www.wiener-staatso per.at
INTERVIEW

  dann wieder in jene Richtung verläuft, mitunter        Also keine schlechten Erfahrungen?
  wächst oder auch schrumpft. Mir war es wichtig,          Dominique Meyer: Es gibt drei Kreise. Num-
  jedes Jahr zumindest eine Oper zu bringen, die           mer eins: das Haus. Da war alles wunderbar,
  hier am Haus noch nicht erklungen ist – alleine          die Liebe der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
  schon dieses Vorhaben verändert die Struktur             zum Musiktheater, das Engagement, die Fähig-
  des Repertoires. Dazu kamen einige Stücke, die           keiten zur Zusammenarbeit, die Begeisterung,
  lange nicht mehr gespielt worden waren, aber für         die Kompetenz… Ich fühlte mich immer wohl
  ein solchen Haus sehr wichtig sind. Und schließ-         und war glücklich. Nummer zwei: das Publikum.
  lich Werke, die man vielleicht nicht regelmäßig          Auch da machte ich gute Erfahrungen. Anfangs
  spielen kann, aber dann und wann an einem                dachte ich, vielleicht heißt es: „Der Franzose“
  so außerordentlichen Haus auftauchen sollten,            oder „Der Ausländer“. Das habe ich in zehn Jah-
  zum Beispiel Les Troyens oder Věc Makropulos.           ren genau fünfmal gehört – und davon zweimal
                                                           von derselben Person, das war also absolut kein
Die Funktion des Wiener Operndirektors ist kli-            Thema. Das ist ein Vorurteil, dass die Wiener so
scheebelastet. Man spricht immer wieder von Stol-          sind. Ich wurde sehr positiv empfangen, gut be-
persteinen in Form von Intrigen und Neid. Dieses           handelt. Aber es gibt eine dritte Ebene, das sind
Klischee war Ihnen bekannt, bevor Sie antraten?            „Fachleute“, die rund um die Oper kreisen, und
  Dominique Meyer: Man warnte mich in höchs-               manche von ihnen glauben, sich alles erlauben
  tem Maße. Viele Dirigenten zum Beispiel sagten:          zu dürfen, sie glauben, dass ihr Geschmack der
  „Geh nicht!“ Und alle Fragen, die man mir an-            beste und einzig wahre ist, und sie glauben, eine
  fangs gestellt hat, gingen in diese Richtung. Kol-       Entscheidungsgewalt zu besitzen. Diese Leute
  legen blickten mich mitleidig an, so wie einen,          sitzen bei Abendessen, in Klubs und halten sich
  der an einer tödlichen Krankheit leidet. Da dach-        für Meinungsmacher, verfolgen aber rein persön-
  te ich mir: „ Jetzt musst du Abstand gewinnen            liche Ziele. Und da wird wirklich intrigiert. Wobei
  und dich mit konkreten Zahlen beschäftigen, um           ich denke, dass der Einfluss dieser Gruppe we-
  aus dieser seltsamen Stimmung und den Vorher-            niger und weniger wird, auch wenn sie es nicht
  sagen wieder heraus zu finden“. Freilich, wenn           wahrhaben wollen. Also, unterm Strich muss ich
  man aus dem Ausland nach Wien kommt, merkt               sagen, dass man es als Operndirektor in Wien
  man sofort, dass hier vieles anders ist als in ande-     sehr sehr gut hat. Es gibt eine Liebe des Publi-
  ren großen Städten. Ein Beispiel: Als ich in Paris       kums zum Haus, eine Liebe der Künstlerinnen
  Direktor war, veranstaltete ich jedes Jahr eine          und Künstler zum Haus, es gibt offene Herzen
  Pressekonferenz und gab zwei Interviews – das            und offene Ohren. Wenn man bedenkt, wie hef-
  war’s! Mehr nicht! Denn in Paris hofft die Presse,       tig in der Vergangenheit Operndirektoren atta-
  dass ein Direktor nichts sagt, weil die Zeitungen        ckiert wurden, bis hin zu ihrem Tod, dann muss
  ohnehin zu wenig Platz haben. In Wien hofft die          man sagen: Dieses Gift ist heute kaum mehr da.
  Presse, dass ein Direktor sich zu Wort meldet –          Mit mir wurde jedenfalls gut umgegangen.
  zu den unterschiedlichsten Themen. Man kann
  auch nicht unerkannt spazieren gehen, sondern          Premieren bereitet ein Haus sechs Wochen vor,
  wird angesprochen – kein Tag in den letzten            das Repertoire kann nicht so ausführlich geprobt
  zehn Jahren, an denen das nicht passiert wäre.         werden. Wie gingen Sie damit um, dass nicht jeder
  Die Leute sind immer freundlich, immer inter-          Abend eine Premiere sein kann?
  essiert, aber man steht unter Beobachtung. Das           Dominique Meyer: Mein Credo war stets, dass
  ist etwas, an das ich mich erst gewöhnen musste.         die Leistung, die man dem Zuschauer, der Geld
  Nun aber etwas ganz Wichtiges: Das hat nichts            an der Kassa lässt, bietet, immer stimmen muss.
  mit der Person zu tun, sondern nur mit dem Amt           Sagen wir, die Staatsoper spielt sechs Opernpre-
  des Operndirektors. Die Menschen waren nicht             mieren, dann bleiben immer noch ungefähr 220
  an Dominique Meyer interessiert, sondern am              Abende Repertoire. Die müssen gut sein – und
  Direktor. Das darf man nicht verwechseln.                sie sind es auch, denn das Haus ist hier sehr

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stark! Die große Mehrheit der Repertoirevorstel-      bessern, politische Meinungen verbreiten kann?
  lungen ist viel besser als an anderen Häusern.          Dominique Meyer: Ja, natürlich! Theater kann
  Ich habe hier Salome, den Ring, Elektra und             das! Es gibt stets eine Interaktion zwischen Ge-
  anderes auf einem Niveau gehört, das man an-            sellschaft und den Institutionen, die auf den
  derswo kaum hört, nicht einmal bei Premieren.           Menschen, auf die Menschen einwirken. Das ist
  Und das nicht nur bei Strauss und Wagner. Wenn          ein Grundaspekt des Theaters. Wobei man natür-
  man am Abend in die Loge geht und eine gut              lich nicht einfach naiv sagen kann: Kultur macht
  aufgestellte Besetzung den Barbier von Sevilla          einen Menschen prinzipiell besser. Dafür gibt
  spielt, kann man Großartiges erleben. Selbst wir,       es zu viele Gegenbeispiele, die zeigen, wie sehr
  die viel gehört haben, sitzen da und sind, wie je-      Kunst missbraucht wurde. Auch die Nazis sind in
  der andere Opernliebhaber, einfach verzaubert.          die Oper gegangen. Und dann wiederum wurde
  Es kann natürlich vieles schiefgehen, das ist klar.     Kultur als Selbstdarstellung verwendet, die Ge-
  Aber auch eine Premiere kann Schwächen ha-              schichte ist voll von diesen Beispielen. Es kommt
  ben, alleine schon, weil der Druck, der sich an         also auch auf den Einsatz von Kunst an. Ich bin
  einem solchen Abend aufbaut, so groß ist.               aber überzeugt, dass eine gebildete Gesellschaft
                                                          eine bessere ist, und die Oper an einem Kreu-
Nach welchen Kriterien haben Sie Inszenierun-             zungspunkt so vieler Genres und Gebiete liegt,
gen und Regisseure ausgewählt?                            ja geradezu die zentrale Kreuzung ist. Daher
  Dominique Meyer: Meine Idee war immer, dass             kann Musiktheater den Geist für so vieles öffnen
  die Inszenierungsarbeit international ist. Es soll      und kann so inspirierend und befruchtend sein.
  nicht nur eine Sicht auf die Oper geben. Ich woll-      Das Interesse für Geschichte, für Gesellschaft,
  te Regisseure aus vielen Ländern, viele Stile, ich      für Politik, für Psychologie, für Mythologie, für
  wollte es bewusst mischen. Für mich muss der            Kunstgeschichte, für so viel anderes – all das
  Horizont der Wiener Staatsoper sein: London,            kann die Oper wecken. Manchmal beleuchtet
  Berlin, Paris, Mailand, New York.                       ein Stück die Geschichte, manchmal beleuchtet
                                                          ein Stück die Gegenwart, aber immer beleuchtet
Darf man sich als Direktor Zweifel erlauben? In           sie uns und unser Zusammenleben. Daraus kann
puncto Barockoper haben zum Beispiel viele ge-            man, wenn man guten Willens ist, etwas lernen.
sagt: Das wird nicht funktionieren! Gab es einen          Ich möchte freilich gerne, dass die Kultur die
Moment des Zweifels? Der Letzte, der hier Barock          Welt verbessert – wir sind aber immer wieder ge-
gespielt hat, war Karajan, aber mit großem, ro-           zwungen, die Grenzen der Wunscherfüllung zu
mantischem Orchester.                                     erkennen.
  Dominique Meyer: Ich habe oft Zweifel – aber
  nicht in diesem Punkt, denn da hatte ich zu viel      Letzte Frage: Wenn Sie sich von Ihren verstorbenen
  Erfahrung, um nicht zu wissen, dass es klappen        Vorgängern einen Direktor als Gesprächspartner
  wird. Denn wo liegt der Unterschied, ob Frau          wünschen dürften – wer wäre es? Und worüber
  Harteros ein Mozart-Rezitativ mit Cembalo-Be-         würden Sie sprechen?
  gleitung singt oder eines von Händel? Akustisch         Dominique Meyer: In meinem Zimmer hängen
  ist es das gleiche! Ich holte ein Barockensemble,       zwei Bilder: eines von Richard Strauss und ei-
  das nicht zu klein ist und einen Dirigenten – Marc      nes von Gustav Mahler. Ersteren schätze ich als
  Minkowski – der es deftig mag. Und ich setzte ein       Komponisten, seinen Spielplanideen, wie er sie
  Stück an, dass zumindest als Name gut bekannt           Karl Böhm übermittelt hat, möchte ich allerdings
  ist: Alcina. Dazu international wichtige Sängerin-      nicht folgen. Zweiteren schätze ich als Kompo-
  nen und Sänger. Seien wir ehrlich – eine Alcina         nisten und als Direktor, mit ihm würde ich mich
  mit Anja Harteros: da kann nicht viel schiefgehen.      gerne unterhalten. Und worüber? Das bleibt un-
                                                          ser Amtsgeheimnis!
Empfinden Sie Theater als eine große, gesell-                                                    Láng-Láng
schaftspolitische Werte-Maschine, die die Welt ver-

10    N° 239   www.wiener-staatsoper.at
OPER

EIN WENIG OPERNSTATISTIK …

I  n der Direktionsdekade Dominique Meyers wur-
   den, inklusive Kinderoper, 57 Komponistinnen
und Komponisten gespielt, es erklangen 122 un-
                                                        Der Freischütz (Weber), 11. Juni 2018
                                                        Les Troyens (Berlioz), 14. Oktober 2018
                                                        Lucia di Lammermoor (Donizetti), 9. Februar 2019
terschiedliche Opernwerke. Es gab 53 Opernpre-          Die Frau ohne Schatten (Strauss), 25. Mai 2019
mieren, darunter zwölf Erstaufführungen an der          Otello (Verdi), 20. Juni 2019
Wiener Staatsoper, eine konzertante Premiere und        A Midsummer Night’s Dream (Britten), 2. Okt. 2019
zwei Uraufführungen. Dazu zehn Kinderopern-
premieren – alles Ur- bzw. Erstaufführungen – an        ERSTAUFFÜHRUNGEN
unterschiedlichen Spielstätten, unter anderem im        AN DER WIENER STAATSOPER
Großen Haus. Der meistgespielte Opernkompo-             Alcina (Händel), 14. November 2010
nist war Giuseppe Verdi mit knapp 400 Abenden,          Anna Bolena (Donizetti), 2. April 2011
die meistgespielte Oper war Tosca von Giacomo           Aus einem Totenhaus (Janáček), 11. Dez. 2011
Puccini mit über 80 Aufführungen.                       Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny (Weill),
                                                        24. Jänner 2012
OPERNPREMIEREN                                          Adriana Lecouvreur (Cilèa), 16. Februar 2014
Lucrezia Borgia (Donizetti), konzertant, 2. Okt. 2010   Das schlaue Füchslein (Janáček), 18. Juni 2014
Cardillac (Hindemith), 17. Oktober 2010                 The Tempest (Adès), 14. Juni 2015
Don Giovanni (Mozart), 11. Dezember 2010                Věc Makropulos (Janáček), 13. Dezember 2015
Le nozze di Figaro (Mozart), 16. Februar 2011           Tri sestri (Eötvös), 6. März 2016
Kátja Kabanová (Janáček), 17. Juni 2011                Ariodante (Händel), 24. Februar 2018
La traviata (Verdi), 9. Oktober 2011                    Orest (Trojahn), 31. März 2019
La clemenza di Tito (Mozart), 17. Mai 2012              Fidelio Urfassung (Beethoven), 1. Februar 2020
Don Carlo (Verdi), 16. Juni 2012
Alceste (Gluck), 12. November 2012                      URAUFFÜHRUNGEN IM GROSSEN HAUS
Ariadne auf Naxos (Strauss), 19. Dezember 2012          Fatima (Doderer), 23. Dezember 2015 (Kinderoper)
La cenerentola (Rossini), 26. Jänner 2013               Die Weiden (Staud/Grünbein), 8. Dezember 2018
Tristan und Isolde (Wagner), 13. Juni 2013              Orlando (Neuwirth), 8. Dezember 2019
La fanciulla del West (Puccini), 5. Oktober 2013        Persinette (Fries), 21. Dezember 2019 (Kinderoper)
Die Zauberflöte (Mozart), 17. November 2013
Rusalka (Dvořák), 26. Jänner 2014                      KINDEROPERNPREMIEREN (A1-Kinderopernzelt /
Lohengrin (Wagner), 12. April 2014                      AGRANA STUDIOBÜHNE WALFISCHGASSE)
Idomeneo (Mozart), 5. Oktober 2014                      Die Feen (Floros / Wagner), 3. März 2012
Chowanschtschina (Mussorgski), 15. Nov. 2014            (Erstaufführung)
Rigoletto (Verdi), 20. Dezember 2014                    Pollicino (Henze), 28. April 2013
Elektra (Strauss), 29. März 2015                        (Erstaufführung)
Don Pasquale (Donizetti), 26. April 2015                Das Städtchen Drumherum (Naske), 26. Okt. 2013
Macbeth (Verdi), 4. Oktober 2015                        (Uraufführung)
Hänsel und Gretel (Humperdinck), 19. Nov. 2015          Undine (Lortzing / Schulze), 18. April 2015
Turandot (Puccini), 28. April 2016                      (Erstaufführung)
Armide (Gluck), 16. Oktober 2016                        Patchwork (Schulze), 29. Jänner 2017
Falstaff (Verdi), 4. Dezember 2016                      (Uraufführung)
Il trovatore (Verdi), 5. Februar 2017                   Cinderella (Deutscher), 28. Jänner 2018
Parsifal (Wagner), 30. März 2017                        (Erstaufführung)
Pelléas et Mélisande (Debussy), 18. Juni 2017           Die arabische Prinzessin (Arriaga), 12. Nov. 2018
Der Spieler (Prokofjew), 4. Oktober 2017                (Erstaufführung)
Lulu, 3. Akt (Berg), 3. Dezember 2017                   Was ist los bei den Enakos? (Naske), 26. Jänner 2019
Dantons Tod (Einem), 24. März 2018                      (Uraufführung)
Samson et Dalila (Saint-Saëns), 12. Mai 2018

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Thomas Platzer

DER HERR DER ZAHLEN
                 I m Jahr 1981 trat Thomas Platzer in die Öster­
                   reichischen Bundestheater ein, seit fast 21 Jah-
                 ren ist er der kaufmännische Leiter der Wiener
                                                                            gibt es immer beide Aspekte: das Geld und die
                                                                            künstlerische Qualität. Im Ideal­fall stimmt bei-
                                                                            des und die Seelen freuen sich gleicher­maßen.
                 Staatsoper. Mit Ende der Direktion Dominique
                 Meyer tritt er in den Ruhestand – Zeit für einen Blick   Viele Künstler wurden in ihren Beruf gleichsam
                 hinter die wirtschaftlichen Kulissen des Hauses.         hineingeboren und fühlten sich der Musik von
                                                                          Anfang an verbunden. War es bei Ihnen bezüglich
                 Wenn Sie sich als kaufmännischer Direktor in             des Wirtschaftlichen, des Zahlenwesens ebenso?
                 eine beliebige Vorstellung setzen: Können Sie den          Thomas Platzer: Schwierige Frage. In meiner Ju-
                 Abend genießen? Oder läuft bei Ihnen automa-               gend fand ich Mathematik stets sehr spannend.
                 tisch ein Taxameter mit, der die Kosten anzeigt?           Das Tüfteln an komplexen Fragestellungen, das
                    Thomas Platzer: Ich gebe zu, dass es mir in den         Lösen von Wahrscheinlichkeitsrechnungen oder
                    ersten beiden Jahren als kaufmännischer Leiter          komplizierten Gleichungen mit mehreren Unbe-
                    der Staatsoper genauso gegangen ist und ich in          kannten zog mich eindeutig an. Insofern würde
                    Gedanken immer bei den Kosten war. Ich sah              ich sagen, dass es schon so etwas wie eine Vor-
                    nicht Sängerinnen und Sänger auf der Bühne,             liebe für die Welt der Zahlen gibt. Das hat sich
                    sondern nur das Geld herumlaufen. Besonders             quer durch mein Leben gezogen. Als zum Beispiel
                    in puncto Kostüme: Da rechnete ich laufend mit,         das Computerzeitalter anbrach, eröffnete sich für
                    so und so lange sieht man das Kostüm, so und            mich ein neues, herausforderndes Feld, das ich
                    so viel hat es gekostet. Das ist natürlich so etwas     zum Teil im Selbststudium beackerte. Ich weiß
                    wie eine Berufskrankheit. Aber es legte sich zum        noch, wie ich mir ein umfangreiches Excel-Buch
                    Glück schnell und seit langem genieße ich Vor-          kaufte und es auf der Suche nach Anwendungs-
                    stellungen ebenso wie jeder andere. Wenn ich zu-        möglichkeiten für meinen Beruf durcharbeitete.
                    sätzlich weiß, dass die wirtschaftliche Auslastung
                    stimmt – dann freue ich mich natürlich doppelt.       Weil Sie das Selbststudium erwähnten: Was am
                                                                          Beruf des kaufmännischen Geschäftsführers eines
                 Welche Freude überwiegt in einem solchen Fall?           Opernhauses ist tatsächlich lehrbar, was kann
                 Jene über einen künstlerischen oder den finanzi-         man nur aus der Erfahrung erwerben?
                 ellen Erfolg?                                              Thomas Platzer: Ich denke, ich bin diesbezüg-
                    Thomas Platzer: Da wohnen zwei Seelen in mei-           lich ein Unikat und werde es auch bleiben, denn
                    ner Brust, denn für einen kaufmännischen Leiter         mein Werdegang ist ja nicht alltäglich. Ich traf

                 12    N° 239   www.wiener-staatsoper.at
INTERVIEW

  am Beginn meiner Laufbahn auf einen echten              meiner knapp 21 Jahre mit ihrer Auslastung ver-
  Visionär, den damaligen Leiter der Hauptab-             zeichnet ist, man kann also auf Knopfdruck nach-
  teilung Rechnungswesen, Erich Lutz, der mich            schauen, wie der Abend X, der Abend Y oder alle
  neun Jahre vor seiner Pensionierung auswählte           Aufführungen eines Titels wirtschaftlich ausgese-
  und meinte: „Sie üben ab nun hintereinander             hen haben. Daraus lässt sich viel herauslesen.
  alle Positionen in allen Sachabteilungen aus und
  werden danach mein Nachfolger“. Das war eine          Aber wovon hängt die Auslastung ab? Gibt es Stü-
  wunderbare Sache. Denn so lernte ich genau,           cke, die sich von selbst verkaufen?
  was wo wie zu tun ist und kenne vieles aus ers-         Thomas Platzer: Natürlich gibt es Operntitel,
  ter Hand. Das kann kein Studium vermitteln, so-         wie die Zauberflöte oder Traviata, die praktisch
  viel Praxis gibt es nur – in der Praxis und vieles      immer gut gehen. Viele erstaunt es, dass Richard
  kann man sich nur selbst mit eiserner Disziplin         Strauss – bis auf den Rosenkavalier – eher schwie-
  beibringen. Natürlich, es braucht eine Anleitung,       rig im Verkauf ist. In solchen Fällen wirkt sich die
  aber den Kurs „Kaufmännische Leitung Wiener             Besetzung sehr stark aus, wenn man zugkräftige
  Staatsoper“ – den kann es nie geben.                    Namen hat, läuft auch Capriccio gut. Natürlich
                                                          kann es eine Rolle spielen, wie oft man einen
Meistens gibt es einen Bereich, für den man beson-        Abend spielt. Viermal eine gute und beliebte Pro-
ders brennt. In Ihrem Fall ist es der Kartenvertrieb?     duktion wie Cardillac ist kein Problem, achtmal
  Thomas Platzer: Nein, es ist und bleibt das Bud-        wird rein auslastungstechnisch zu viel sein. Es
  get im Gesamten. Eine komplexe Materie! Es war          kann natürlich Ausnahmen geben, La Fille du
  immer schon mein Steckenpferd, das Budget               régiment etwa lief 2007 zehnmal hintereinander
  punktgenau zu berechnen und abzubilden. Wo-             ausverkauft oder die Entführung aus dem Serail
  bei der Kartenvertrieb seine spannenden Seiten          im Jahr 2006 ebenso zehnmal ausverkauft – aber
  hat: Wie bekomme ich selbst unter schwierigen           das hatte auch mit dem Mozartjahr zu tun. Es gibt
  Umständen eine gute Auslastung hin?                     Werke, die weniger bekannt sind, wie zum Bei-
                                                          spiel La Juive und vom Publikum dennoch sehr
Zum Beispiel?                                             gut angenommen wurden. Es sind einfach zahl-
  Thomas Platzer: Am Aschermittwoch, wenn alle            reiche Faktoren, die eine Auslastung bestimmen.
  zum Heringsschmaus gehen und nicht ins Thea-
  ter kommen. An diesem Tag ist die Nachfrage           Muss der kaufmännische Leiter aufgrund der Vor-
  nach Opernkarten nachweislich geringer.               sicht, zu der er gesetzlich verpflichtet ist, im Kultur-
                                                        betrieb immer ein wenig der Spielverderber sein?
Hätten Sie rein aus Ihrer Erfahrung bei einem be-          Thomas Platzer: Ich hatte als Geschäftsführer
liebigen Spielplanentwurf Dominique Meyers auf             nur zwei Direktoren, Ioan Holender und Domi-
den ersten Blick sagen können: Dieses oder jenes           nique Meyer, und beide waren auch aus kauf-
Projekt – das wird auslastungstechnisch schwierig?         männischer Sicht sehr gut! Weil sie beide nicht
   Thomas Platzer: Um ehrlich zu sein: Da Domi-            nur künstlerisch, sondern auch wirtschaftlich
   nique Meyer immer einen sehr guten Spielplan            dachten und darauf achteten, dass das Geld
   gemacht und die wirtschaftliche Situation mitge-        nicht einfach so ausgegeben wird. Und weil sie
   dacht hat, waren solche Warnungen nicht nötig.          Spielpläne erstellten, die entsprechend zugkräf-
   Natürlich gibt es Abende, die besser gehen und an-      tig waren. Und die Ergebnisse gaben ihnen recht!
   dere, die etwas zäher im Verkauf sind. Das gleicht
   sich im Laufe einer Spielzeit aus. Vieles kann ich   In Ihren gut 20 Jahren haben Sie – geschätzt –
   aus meiner Erfahrung im Vornherein abschätzen,       zwölf Millionen Karten verkauft…
   aber den Ehrgeiz, die jeweilige Auslastung einer       Thomas Platzer: … was vor allem eines zeigt: Das
   zukünftigen Vorstellung präzise vorhersagen zu         Publikum in Wien ist fantastisch! Interessiert, treu
   können, habe ich nicht. Es gibt da etwas Besseres:     und begeisterungsfähig. Einfach fantastisch!
   Ich besitze eine Tabelle, in der jede Aufführung                             Das Gespräch führte Oliver Láng

                                                                      www.wiener-staatsoper.at     N° 239   13
AU REVOIR, MANUEL LEGRIS
                G     eboren in Paris, erhielt Manuel Legris an der
                      Ballettschule der dortigen Oper seine Aus-
                bildung und wurde im Anschluss 1980 an das Bal-
                                                                       selbst als Tänzer mitwirkte, wurde rasch zu einer
                                                                       „Wiener Tradition“.
                                                                       Aus der choreographischen Feder Nurejews zeig-
                lett der Pariser Oper engagiert. Sechs Jahre später    te das Wiener Staatsballett unter der Leitung von
                wurde er vom damaligen Ballettdirektor der Pariser     Legris Don Quixote (Premiere am 28. Februar
                Oper, Rudolf Nurejew, zum Danseur Étoile ernannt.      2011), Der Nussknacker (P.: 7. Oktober 2012),
                Legris tanzte die großen Partien des klassischen und   Schwanensee (P.: 16. März 2014) und Raymonda
                modernen Repertoires und trat in zahlreichen Ur-       (Wiederaufnahme am 22. Dezember 2016) sowie
                aufführungen hervor. Weltweit absolvierte er Gast-     Ausschnitte (zum Teil gesamte Akte) aus sieben
                spiele mit den renommiertesten Ballettkompanien        weiteren Balletten bzw. Fassungsvarianten der hier
                sowie mit seinem eigenen Ensemble „Manuel Legris       bereits genannten Abendfüller.
                et ses Étoiles“. Im Mai 2009 gab er seine Abschieds-   Onegin (Choreographie: John Cranko), Marie An-
                vorstellung als Danseur Étoile der Pariser Oper,       toinette (2 Fassungen, Ch.: Patrick de Bana), Die
                seither ist er als Gastsolist an diesem Haus sowie     Fledermaus (Ch.: Roland Petit), Max und Moritz
                an anderen Bühnen in Europa, Asien und Amerika         (Ch.: Ferenc Barbay, Michael Kropf), Le Concours
                aufgetreten. Häufig führte ihn sein Weg nach Wien,     (Ch.: Maurice Béjart), Ballett: Carmen (Ch.: Davide
                wo er am 27. Jänner 1985 in der Rolle des Béranger     Bombana), Giselle (Ch.: Elena Tschernischova),
                in Rudolf Nurejews Raymonda debütierte.                La Sylphide (Ch.: Pierre Lacotte), Dornröschen
                Ein Vierteljahrhundert später sollte das Haus am       (Ch.: Peter Wright), Anna Karenina (Ch.: Boris
                Ring komplett zu seinem Lebensmittelpunkt wer-         Eifman), Romeo und Julia (Ch.: Cranko), Blaubarts
Manuel Legris   den: Mit 1. September 2010 übernahm Manuel             Geheimnis (Ch.: Stephan Thoss), Manon (Ch.: Ken-
                Legris die Direktion des nunmehr unter dem Na-         neth MacMillan), Ein Sommernachtstraum (Ch.:
                men „Wiener Staatsballett“ firmierenden Ensembles      Jorma Elo), Ein Reigen (Ch.: Ashley Page), Mayer-
                sowie die künstlerischere Leitung der Ballettakade-    ling (Ch.: MacMillan), Giselle Rouge (Ch.: Eifman),
                mie der Wiener Staatsoper.                             La Fille mal gardée (Ch.: Frederick Ashton),
                In seiner ersten Spielzeit als Direktor des Wiener     Die Schneekönigin (Ch.: Michael Corder),
                Staatsballetts präsentierte er die ungewöhnlich        Cendrillon (Ch.: Thierry Malandain), Roméo et
                hohe Anzahl von insgesamt acht Premieren in bei-       Juliette (Ch.: Bombana), Peer Gynt (Ch.: Edward
                den Häusern – Wiener Staatsoper und Volksoper          Clug), Coppélia (Ch.: Lacotte) und Peter Pan (Ch.:
                Wien. Von Beginn an verriet seine Auswahl dabei        Vesna Orlic) unterstreichen – alle in diesem Artikel
                spezifische Schwerpunkte, die das Jahrzehnt seiner     vorgenommenen Reihungen erfolgen chrono­
                Wiener Amtszeit ebenso durchgehend wie charak-         logisch und mit verkürzten Angaben zur Choreog-
                teristisch prägen sollten: ein besonderes Interesse    raphie – die von Manuel Legris geübte Pflege des
                an der Neoklassik, das sich v.a. in zahlreichen, den   abendfüllenden Handlungsballetts.
                Choreographen George Balanchine, Jerome Rob-           Dabei steuerte er in Wien auch eigene choreogra-
                bins und John Neumeier gewidmeten Produktio-           phische Beiträge zur Gattung bei: Am 20. März 2016
                nen manifestierte, die Pflege der Ballettfassungen     gelangte seine erste abendfüllende Choreographie Le
                wie des Erbes von Rudolf Nurejew sowie des abend-      Corsaire in der Wiener Staatsoper zur Uraufführung,
                füllenden Handlungsballetts im Allgemeinen, eine       am 10. November 2018 folgte ebendort – als Ko-
                grundsätzliche Orientierung am Modell „Ballett der     produktion mit dem Teatro alla Scala – Sylvia. An
                Pariser Oper“ und die Vergabe von Auftragschoreo-      kürzeren Choreographien von Manuel Legris waren –
                graphien.                                              ebenfalls als Uraufführungen – Donizetti Pas de deux
                Besonders die seinem Mentor gewidmete Nurejew          (P.: 29. Jänner 2011, Volksoper Wien), Ausschnitte
                Gala, die jährlich den Saisonschluss in der Wiener     aus Die Bajadere (P.: 27. April 2013, Volksoper Wien)
                Staatsoper bildete und bei der Manuel Legris 2011,     sowie die 2018 in Japan uraufgeführte Zusammen-
                2012, 2013, 2014, 2015, 2016, 2018 und 2019 auch       stellung Nureyev Celebration zu sehen.

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BALLETT

Bereits genannte Werke eingerechnet, kam es wäh-         liche Entlein (Ch.: Kaydanovskiy), Tausendund-
rend seiner Direktionszeit zu 28 choreographi-           eine Nacht (Ch.: Orlic), The Second Detail (Ch.:
schen Uraufführungen von de Bana, Legris, Boris          Forsythe), Contra Clockwise Witness (Ch.: Horec-
Nebyla, András Lukács, Orlic, Susanne Kirnbauer,         na), Études (Ch.: Lander), Vaslaw (Ch.: Neumeier),
Andrey Kaydanovskiy, Eno Peci, Natalia Horecna,          Allegro Brillante (Ch.: Balanchine), Vier letzte Lie-
Page, Daniel Proietto, Bombana und Pontus Lid-           der (Ch.: van Dantzig), Mozart à 2 und Don Juan
berg in der Wiener Staatsoper und Volksoper Wien         (beide Ch.: Malandain), Verklungene Feste und
bzw. auf Gastspielen – drei weitere konnten wegen        Josephs Legende (beide Ch.: Neumeier, die Josephs
der Covid-19 bedingten Schließung nicht mehr re-         Legende dabei in der Hamburger Neufassung von
alisiert werden. Dazu kommen Uraufführungen bei          2008), Adagio Hammerklavier (Ch.: van Manen),
den Eröffnungen des Wiener Opernballs, der Neu-          Cacti (Ch.: Ekman), Fool’s Paradise (Ch.: Wheel-
jahrskonzerte der Wiener Philharmoniker und den          don), The Four Seasons (Ch.: Robbins), Symphonie
Veranstaltungen der Ballettakademie in der Wiener        in C (Ch.: Balanchine), Murmuration (Ch.: Liang),
Staatsoper wie andernorts, deren künstlerische Lei-      Blanc (Ch.: Proietto), Le Pavillon d’Armide und
tung Manuel Legris schließlich nur bis zum Ende          Le Sacre (beide Ch.: Neumeier), Petruschka
der Spielzeit 2018/2019 innehatte.                       (Ch.: Peci), Movements to Stravinsky (Ch.: Lukács),
Von 42 ChoreographInnen kamen erstmals Werke             Der Feuervogel (Ch.: Kaydanovskiy), Concerto
zur Aufführung beim Wiener Staatsballett: Twyla          (Ch.: MacMillan), EDEN|EDEN (Ch.: McGregor),
Tharp, de Bana, Jiří Bubeníček, Paul Lightfoot und     Marguerite and Armand (Ch.: Ashton), Artifact
Sol León, Marco Goecke, Legris, Lacotte, Arthur          Suite (Ch.: Forsythe), Trois Gnossiennes (Ch.: van
Saint-Léon, Jacques Garnier, José Martínez, Nils         Manen), Psalmensymphonie (Ch.: Kylián), Between
Christe, Serge Lifar, Orlic, Thoss, David Dawson,        Dogs and Wolves (Ch.: Lidberg) und White Dark-
Helen Pickett, Jean-Christophe Maillot, Kirnbauer,       ness (Ch.: Duato) über die Bühne.
Kaydanovskiy, Peci, Agrippina Waganowa, Horec-           Als besondere „Klammer“ seines Wirkens in Wien
na, Page, Malandain, Alexander Ekman, Attila Bakó,       sei das Ballett Jewels von Balanchine genannt, des-
Trevor Hayden, Joseph Lazzini, Bigonzetti, Christo-      sen Teil Rubies am 24. Oktober 2010 bei der ers-
pher Wheeldon, Corder, Philippe Kratz, Edwaard           ten Premiere seiner Direktionszeit in der Wiener
Liang, Angelin Preljocaj, Proietto, Liam Scarlett,       Staatsoper zu sehen war und das am 2. November
Wayne McGregor, Clug, Pjotr Gussew, Pontus Lid-          2019 ebendort die letzte abendfüllende Premiere
berg und Nacho Duato.                                    seiner Amtszeit bildete.
An einaktigen Werken gingen unter Legris The-            Gastspiele führten das Wiener Staatsballett unter
ma und Variationen (Ch.: Balanchine), Variati-           der Leitung von Manuel Legris nach Versailles und
onen über ein Thema von Haydn (Ch.: Tharp),              Monte Carlo (2011), Japan (2012 und 2018), Bel-
The Vertiginous Thrill of Exactitude (Ch.: For-          grad und Paris (2013), in den Oman (2014), nach
sythe), Le Souffle de l’esprit (Ch.: Bubeníček),        Tampere und Granada (2015), St. Petersburg (2015,
Glow – Stop (Ch.: Elo), Skew-Whiff (Ch.: Lightfoot,      2016 und 2019), Madrid (2017) und Brünn (2018).
León), Bella Figura (Ch.: Kylián), Glass Pieces,         Darüber hinaus entstanden DVD- bzw. Blu-ray-Pro-
In the Night und The Concert (alle drei Ch.: Robbins),   duktionen von Der Nussknacker, Schwanensee,
Stravinsky Violin Concerto (Ch.: Balanchine),            Don Quixote und Le Corsaire; Peer Gynt und Syl-
Suite en Blanc (Ch.: Lifar), Before Nightfall            via wurden für das TV aufgezeichnet.
(Ch.: Christe), L’Arlésienne (Ch.: Petit), Nachmittag    2018 zum Ehrenmitglied der Wiener Staatsoper er-
eines Fauns (Ch.: Nebyla), Bolero (Ch.: Lukács),         nannt, ist Manuel Legris seit Februar dieses Jahres
Carmina Burana (Ch.: Orlic), Bach Suite III (Ch.:        designierter Ballettdirektor der Mailänder Scala –
Neumeier), A Million Kisses to my Skin (Ch.: Daw-        mit Ende der Spielzeit 2019/2020 endet seine Funk-
son), Eventide (Ch.: Pickett), Windspiele (Ch.: de       tionsperiode im Haus am Ring.
Bana), Vers un Pays Sage (Ch.: Maillot), Das häss-                                         Oliver Peter Graber

                                                                      www.wiener-staatsoper.at    N° 239   15
DAS GEHEIMNIS
DES KREATIVEN                                            Ein Zoom-Gespräch
                                                         im Corona-Alltag

                 KS Wolfgang Bankl als übernachtiger,
                 alkoholisierter Graf Waldner in Sven-
                                                         D      er 18. Mai 2020 stellte in der jüngeren Chro-
                                                                nik der Wiener Staatsoper gewissermaßen ei-
                                                         nen Markstein dar: Ab diesem Tag durften wieder –
                 Eric Bechtolfs Arabella-Inszenierung
                                                         freilich mit dem notwendigen Sicherheitsabstand –
                                                         zumindest Proben, genauer Einzelstimmproben
                                                         abgehalten werden. In den Corona-Wochen da-
                                                         vor hatte man im unwirklich leer gewordenen
                                                         Staatsoperngebäude kaum jemanden antreffen
                                                         können, am allerwenigsten Künstler. Gespräche
                                                         beispielsweise mit Sängern waren daher, sollten
                                                         sie von Angesicht zu Angesicht stattfinden, nur
                                                         über eine der mittlerweile ungeheuer populär
                                                         gewordenen Videokonferenz-Optionen wie Sky-
                                                         pe oder Zoom möglich. Ein netter Nebeneffekt
                                                         dieser Kommunikationsform war jedoch die Mög-
                                                         lichkeit, einen Blick in das Wohn- oder Arbeitszim-
                                                         mer des Gegenübers zu erhaschen. So konnte ich
                                                         etwa während einer Plauderei mit Kammersänger
                                                         Wolfgang Bankl eine große Abbildung von Johann
                                                         Sebastian Bach im Hintergrund ausmachen. Nicht
                                                         unbedingt der typische Komponist, den man als
                                                         Säulenheiligen im Heim eines beliebten Opernsän-
                                                         gers vermuten würde. Oder doch? Nun, für Wolf-
                                                         gang Bankl ist Bach schlicht und einfach der Größ-
                                                         te unter den Größten, der Gottvater der Musik
                                                         sozusagen, der erklärte Liebling seit dem Beginn
                                                         seines Gesangsstudiums, einer der ob seiner ge-
                                                         nial-raffinierten Harmonie-Wunderwelten und de-
                                                         ren Auflösungen jeden Hörer und Interpreten vor
                                                         Ehrfurcht zunächst stumm werden lässt. Dass Bach
                                                         keine Oper geschrieben hat, stört Bankl daher kein
                                                         bisschen. Ein anderes Komponisten-Porträt war,
                                                         zumindest in dem durch den Zoom-Blick erfass-
                                                         baren Raumausschnitt zwar nicht auszumachen,
                                                         aber Bankl nannte mit Mozart sehr bald einen wei-
                                                         teren seiner lebenslangen Favoriten. Nicht nur,
                                                         dass das berühmte Menuett aus dem Schluss des
                                                         ersten Don Giovanni-Aktes in Form der Kennme-
                                                         lodie der Salzburger Festspielübertragungen seine
                                                         früheste Erinnerung an klassische Musik darstellt,
                                                         es ist vor allem dieses „keine einzige Note, keine
                                                         einzige Phrase hätte man besser hinkriegen kön-
                                                         nen, als sie von Mozart jeweils gesetzt wurde“, die

   16   N° 239    www.wiener-staatsoper.at
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