Wohnen bei Kirchens FÜR MITARBEITENDE - EKKW

 
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Wohnen bei Kirchens FÜR MITARBEITENDE - EKKW
4–2017

                                                      FÜR MITARBEITENDE

                                  Wohnen bei Kirchens
                            ZU HAUSE
                            Wie wohnt es sich in
                            kirchlichen Gebäuden?

                            LUXUSGUT WOHNEN
                            Interview mit Diakonie-
                            chef Horst Rühl
Foto: medio.tv/Schauderna
Wohnen bei Kirchens FÜR MITARBEITENDE - EKKW
INHALT | EDITORIAL

Inhalt                                                      Liebe Leserinnen,
                                                            liebe Leser,
THEMA

                                                            I
                                                               st es schon soweit? Wollen die Leute

                                                                                                                                                               Foto: medio.tv/Schauderna
    4	Der Umweltpfarrer und seine                             jetzt mit Sack und Pack in die Kirchen
       tierischen Mitbewohner                                  einziehen, weil hier noch preisgünsti-
                                                            ger Wohnraum zu haben ist, den es an-
    5	Studentenwohnheim: Kommunikatives                    derswo nicht mehr gibt? Unser Titelbild,
       Wohnen im Marburger Vilmarhaus                       das Familie K. vor der Christuskirche in
    6	Neuanfang für Flüchtlinge:                           Kassel-Wilhelmshöhe zeigt, könnte die-
       Wohnen wie die Deutschen                             se Vermutung zulassen. Aber die Foto-
                                                            botschaft ist natürlich ein Fake, wie es
    7	Betreutes Wohnen:                                    neudeutsch heißt. Noch werden – zu-
       Den eigenen Lebensrhythmus finden                    mindest in Kurhessen-Waldeck – keine Kirchen zum Wohnen ver-
                                                            mietet, auch wenn die Lage auf dem Immobilienmarkt vor allen
    8	Wer wohnt eigentlich nebenan –
                                                            Dingen in den Städten immer angespannter wird.
       im Dorf und in der Stadt?
                                                                 Wohnraum wird knapper und teurer – da kann man schon auf
    10	Besuchsdienst Oberkaufungen kommt ins Haus          unkonventionelle Ideen kommen. So wie in Mönchengladbach,
            Diakoniestationen: Helfende Hände               wo man den Innenraum der Herz-Jesu-Kirche zu Sozialwohnun-
                                                            gen umgestaltet hat: 23 Einheiten entstanden in der 1.560 Qua-
    11	Luxusgut Wohnen                                     dratmeter großen katholischen Pfarrkirche, die als solche nicht
        Interview mit Diakoniechef Horst Rühl               mehr gebraucht wurde. Oder wie in Berlin-Reinickendorf, wo der
    24	Bruderhof Sannerz:                                  dortige evangelische Friedhofsverband 33.000 Quadratmeter Flä-
        Leben nach dem Vorbild der Urchristen               che, die eigentlich für Gräber vorgesehen waren, als Bauland für
                                                            Wohnhäuser freigab und verkaufte. Wohnen auf dem Friedhof?
                                                            Warum nicht!
                                                                 Man muss aber nicht gleich an Umnutzungen denken, wenn
LANDESKIRCHE                                                es um das Thema „Wohnen bei Kirchens” geht. Denn es gibt ja
                                                            schon eine große Zahl von Wohnimmobilien im Eigentum der
    12      Was bringt das neue Gesangbuch-Beiheft?         Kirche – man denke nur an die vielen Pfarrhäuser, Dienstwoh-
                                                            nungen, Wohnheime oder sonstigen kirchlichen Häuser. In dieser
    13      Frühjahrsynode tagte in Hofgeismar              blick-Ausgabe wollen wir einen Blick ins Innere riskieren – dorthin,
    14	100 Tage gibt's Kaffee wie bei Luther               wo es privat wird. Neugierig? Fangen Sie gleich auf Seite 3 an.
            Neuauflage des „Dirty Church Run”
                                                                                                                                         Lothar Simmank
    15	Evangelische Bank baut 100 Stellen ab                                                                                 Redakteur blick in die kirche
            „Kreuzspannung” in der Hanauer
            Johanneskirche
                                                            Schauen Sie in Ihre Zeitung ...
    16	Ausstellung: Reformation als Bildungsmotor
                                                                                                               Juni 2017

            Wettbewerbssieger „Alte Thesen neu gelesen”                                                                    • Frankfurter Rundschau (FR)
                                                                                                                              im Main-Kinzig-Kreis
    17      Reformationsjubiläum in Kurhessen-Waldeck (3)                                                                  • Fuldaer Zeitung (FZ)
    18      Von Personen                                                                                                   • Gelnhäuser Neue Zeitung (GNZ)
                                                                                                                           • Hanauer Anzeiger (HA)
                                                                                                                           • Hersfelder Zeitung (HZ)
                                                                                                                           • Hessische/Niedersächsische
SERVICE                                                                                                                       Allgemeine (HNA)
                                                                                                                           • Maintaler Tagesanzeiger
                                                                PFINGSTEN
                                                                Das unbekannte Fest: Was feiern

                                                                                                    Was glaubst du?
                                                                die Christen 50 Tage nach Ostern?

    20      Termine / Kirchenmusik                                                                                         • Oberhessische Presse (OP)
                                                                ICH GLAUBE AN ...
                                                                Bekenntnisse: An was man heute
                                                                noch glauben kann

                                                                                                                           • Südthüringer Zeitung (STZ)
                                                                Foto: akg-images

    22      Kirche im Radio
                                                            Am Samstag, 3. Juni,                                           • Waldeckische Landeszeitung
    23      Buchtipps                                       erscheint das blick in die                                        (WLZ)
                                                            kirche-magazin als Beilage in:                                 • Werra-Rundschau (WR)

2        blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2017
Wohnen bei Kirchens FÜR MITARBEITENDE - EKKW
UMFRAGE | IMPRESSUM

In welchem Wohnraum halten Sie sich am liebsten auf?

                               Foto: medio.tv/Schauderna

                                                                                    Foto: A. Recknagel

                                                                                                                                 Foto: privat

                                                                                                                                                                              Foto: medio.tv/Schauderna
 Definitiv in der Küche – nicht                             Das ist bei mir ganz klar die                 In der Ecke unter dem Wohn-            Der Raum ist hell und groß.
 weil ich eine so leidenschaft-                             Küche. Wir haben das Privi-                   zimmerfenster steht das alte           Hier essen wir zu zweit oder
 liche Köchin wäre, sondern sie                             leg, eine große Küche zu ha-                  grüne Sofa – ein Erbstück von          mit der ganzen Familie, er-
 ist für mich der Kommunika-                                ben, in der man auch essen                    den Schwiegereltern, schon et-         zählen mit Freunden, mit of-
 tionsort schlechthin. Schon                                kann. Dort steht ein großer                   was eingesessen und deshalb            fiziellen Gästen oder bis spät
 als Kind habe ich es geliebt,                              Tisch, an dem wir als Familie                 wunderbar gemütlich. Die               in die Puppen mit den gro-
 in der Küche zu sitzen, Mut-                               so oft wie möglich zusammen-                  Sonne lässt morgens die Far-           ßen Kindern. Da sind meine
 ter und Oma beim Kochen                                    sitzen und gemeinsam essen.                   be leuchten – sie scheint das          Lieblingspflanzen, Bilder und
 oder Backen zuzuschauen                                    Für uns stellt die Küche die                  Sofa genauso zu lieben wie             Kunstwerke aus allen Lebens-
 und über Gott und die Welt                                 Kommunikationszentrale der                    alle Familienmitglieder ein-           phasen. Wir sitzen auf dem
 zu sprechen. Bis heute ist die                             ganzen Wohnung dar. Hier                      schließlich Katze. Hier ist ein-       geerbten Biedermeiersofa aus
 Küche der Ort, wo sich meine                               wird sich ausgetauscht, und                   fach gut sein! Man kann le-            Kirschholz oder am selbstge-
 Familie versammelt, um unge-                               hier werden wirklich wichtige                 sen, reden, schweigen, in den          schreinerten Tisch. Es wird
 zwungen über wichtige und                                  Dinge besprochen. Als Familie                 Garten schauen, entspannen.            Klavier gespielt und Geige.
 unwichtige Themen zu spre-                                 treffen wir uns immer wieder                  Was die Sonne im Sommer be-            Ich lese die ZEIT oder schaue
 chen. Besonders die Freunde                                in der Küche – da hat man                     wirkt, schafft im Winter das           auf die Altstadt und das
 unserer Kinder und Besucher                                alles beisammen. Außerdem                     Prasseln des Feuers im Ofen.           Schloss. Im Sommer macht
 amüsieren sich über unsere                                 ist es in der Küche am gemüt-                 Wohlfühlatmosphäre! Die                man die Tür auf und ist im
 Postkartenwände: Wir haben                                 lichsten. Ich koche auch sehr                 Musikanlage mit Plattenspie-           Garten unter einer Weinlau-
 eine „Männerwand“ und eine                                 gern, wenn ich Zeit dazu ha-                  ler (!) ist das Tüpfelchen auf         be. Die Waschbären geben
 „Frauenwand“. Obwohl die                                   be, und das macht natürlich                   dem i. Hier bin ich am liebs-          Pfötchen. Das ist wirklich ein
 Küche nicht groß ist, ist sie                              dann auch Spaß.                               ten – gern allein, aber auch           living room – wie die Englän-
 Mittelpunkt unseres Hauses.                                                                              mit Familie und Freunden.              der zum Wohnzimmer sagen.

Sabine Kropf-Brandau (53),                                 Ralf Gebauer (51), Dekan im                   Marita Natt (62), Kassel,              Helmut Wöllenstein (61),
Pröpstin im Sprengel Hersfeld                              Kirchenkreis Schmalkalden                     Prälatin der Evangelischen             Propst im Sprengel Waldeck
                                                                                                         Kirche von Kurhessen-Waldeck           und Marburg

IMPRESSUM
 blick in die kirche erscheint sechsmal jährlich und                  Redaktion:                                                Anschrift:
 wird an haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen                    Lothar Simmank (Leitung)                                  Heinrich-Wimmer-Straße 4
 und Mitarbeiter der Landeskirche kostenlos verteilt.                 Telefon 0561 9307-127                                     34131 Kassel-Bad Wilhelmshöhe
                                                                      Olaf Dellit                                               redaktion@blick-in-die-kirche.de
 Direkt-Abonnement:                                                   Telefon 0561 9307-132                                     www.blick-in-die-kirche.de
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                                                                      Redaktionsbüro / Anzeigen:                                Gestaltung: Lothar Simmank
 Herausgeber:                                                         Andrea Langensiepen                                       Layout-Konzept: Liebchen+Liebchen, Frankfurt am Main
 Landeskirchenamt der Evangelischen                                   Telefon 0561 9307-152                                     Herstellung: Hesse GmbH, Fuldabrück
 Kirche von Kurhessen-Waldeck                                         Daniela Denzin                                            Auflage: 19.500 Exemplare
 Pfarrerin Petra Schwermann                                           Telefon 0561 9307-128
 Wilhelmshöher Allee 330                                              Fax     0561 9307-155                                     Mehr Informationen über die Evangelische Kirche
 34131 Kassel-Bad Wilhelmshöhe                                                                                                  von Kurhessen-Waldeck unter www.ekkw.de

                                                                                                                 blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2017                                         3
Wohnen bei Kirchens FÜR MITARBEITENDE - EKKW
THEMA

                                                                               Der Umweltpfarrer und seine
                                                                               tierischen Mitbewohner
                                                                               Zu Hause bei Uwe G. W. Hesse im Frankenberger Land

                                                                               die kirchliche Jugendarbeit kam er aber noch Fleischrassen wie das Limousin-Rind
                                                                               zur Theologie. Fünf Studien- und Arbeits- zu sehen sind. Auf der Weide oberhalb der
                                                                               jahre in Südafrika und Indien haben ihn Kirche trifft man aber nicht nur die kraft-
Fotos: medio.tv/Simmank

                                                                               geprägt. Überall in seiner Löhlbacher Woh- vollen Kühe und Bullen mit dem charakte-
                                                                               nung erinnern bunte Bilder und exotische ristischen roten Fell an, sondern auch noch
                                                                               Shiva-Figuren an diese Zeit.                  eine kleine Herde englischer Parkrinder,
                                                                                   Auffälliger allerdings sind andere deren weißes Fell in der nordhessischen
                                                                               Phänomene im Wohnzimmer des Fach- Landschaft strahlt: „Die galten bei den
                               Unzertrennlich: Pfarrer Uwe Hesse mit sei-      werkhauses: Im Vogelkäfig singt und flat- Druiden als heilige Tiere.”
                               nem Xoloitzcuintle – einem mexikanischen        tert ein gelber Finkenvogel. Schlangen            Ist die Tierzucht ein skurriles Hobby
                               Nackthund                                       kriechen durch Terrarien. Handtellergroße ihres Pfarrers, wie manche Rengershäuser
                                                                               Spinnen hocken unter Steinen. Und aus ei- Gemeindemitglieder mutmaßen? „Nein”,

                              D
                                       ie Zimmer im Pfarrhaus sind leer-       ner Box schaut ängstlich ein kleiner Hund. lächelt Hesse nachsichtig, „das ist mein
                                       geräumt, nur das Büro gibt es           „Ein mexikanischer Nackthund                             Lebenswerk.” Ihm, der einen Ruf
                                       noch: Pfarrer Uwe Hesse (55) ist        – faszinierendes Tier!”, sagt                                in der Szene hat, geht es um
                               von Rengershausen (Kirchenkreis Eder)           Pfarrer Hesse, nimmt                                            ein verändertes Bewusst-
                               nach Haina-Löhlbach gezogen – eine gu-          das zitternde Wesen                                               sein: Warum soll man
                               te halbe Autostunde entfernt. Trotz Orts-       auf den Arm und re-                                                nur altes Fachwerk in
                               wechsel bleibt er Pfarrer in den Gemein-        det freundlich in einer                                            den Dörfern erhalten,
                               den Rengershausen, Wangershausen und            fremden Sprache auf                                                nicht aber aussterben-
                               Hommershausen, wohnt aber seit Anfang           den Hund ein. „Die-                                                de Rassen? Aus Indien
                               des Jahres in seinem Elternhaus, um dort        sen südindischen Dia-                                             hat der Umweltpfarrer
                                                                                                                      Pfarrhaus in
                               die 89-jährige Mutter zu versorgen. Weil        lekt verstehen wir beide”,                                      viel hierzulande verschüt-
                                                                                                                     Rengershausen
                               Hesse mit jeweils halber Stelle Umweltbe-       erläutert Hesse dem stau-                                    tetes Wissen über die Schöp-
                               auftragter der Landeskirche und Gemein-         nenden Besucher.                                         fung mitgebracht.
                               depfarrer ist, geht das: Die Residenzpflicht                                                      Doch da läutet das Handy, und ein
                               wurde aufgehoben, das sanierungsbedürf-         Ortswechsel nach Rengershausen:               Bestatter will einen Beerdigungstermin
                               tige Pfarrhaus soll ohnehin demnächst ver-      Hier geht es um größere Tiere. Zusammen absprechen. Wenig später dreht sich ein
                               kauft werden.                                   mit dem Landwirt Hartmut Müller, der weiteres Gespräch um die bevorstehende
                                   Also: wohnen in Löhlbach, arbeiten in       auch seit 40 Jahren im Kirchenvorstand Konfirmation. Auch wenn das Pfarrhaus
                               Rengershausen – für Hesse eine „sinnvolle       mitarbeitet, hat Uwe Hesse den Verein nun leersteht, die Arbeit geht weiter, und
                               Konstellation“, auch wenn dies für ihn viel     „Rotes Höhenvieh alter Zuchtrichtung” der Pfarrer ist mitten im Leben seiner Ge-
                               Fahrerei bedeutet. „Aber die persönliche        mitsamt dem Archehof gegründet. Der meinde präsent. Nahezu jeden Tag ist
                               Energiebilanz stimmt”, betont der Umwelt-       hat sich das Ziel gesetzt, die vom Ausster- er in Rengershausen vor Ort, manchmal
                               pfarrer und verweist auf die vielen Eichen,     ben bedrohte Haustierrasse in ihrer alten sogar zweimal täglich. Hesses Perspekti-
                               Linden und Kirschbäume, die er seit Jahren      Genetik zu erhalten. Schon zu keltischer ve: „Wenn es nach mir geht, werde ich in
                               in seiner Heimatregion pflanzt. Als Junge       Zeit lebten diese widerstandsfähigen Rengershausen bis zu meinem Ruhestand
                               wollte er eigentlich Förster werden, über       Rinder in der Gegend, wo heute fast nur Pfarrer bleiben.“ l               Lothar Simmank

                          Indien-Liebhaber und Tierfreund: Hesse setzt sich für bedrohte Rassen ein – dazu gehören Englische Parkrinder, der Girlitz und Kärntner Brillenschafe

                               4      blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2017
Wohnen bei Kirchens FÜR MITARBEITENDE - EKKW
THEMA
Fotos: medio.tv/Simmank

Lorenz Butterweck, Lehramtsstudent und Wohnheimsprecher, fühlt sich seit acht Semestern wohl in seinem Biotop, dem Marburger Vilmarhaus

„Hier kann man sich nicht isolieren”
Kommunikatives Wohnen im evangelischen Studentenwohnheim Vilmarhaus in Marburg

S
      prich, Freund, und tritt ein!” steht         Vilmar (1800–1868), einem streitbaren          Nicht nur er wurde gewählt, außerdem
      auf der Fußmatte – ein rätselhaftes          Marburger Theologieprofessor. Die drei         kürt jeder Flur einen Flursprecher. Bewer-
      Zitat aus dem Tolkien-Roman „Der             weißen Gebäude am Ortenberg stammen            ber für die Zimmer werden gemeinsam mit
Herr der Ringe”, von dem nur Eingeweih-            aus den 1960er-Jahren und bieten Platz         Heimleiter Heiko Manz und ESG-Pfarrerin
te wissen, was es bedeutet. Doch die elf           für 112 Studierende. Was architektonisch       Dorothée Schubert gefunden, auch der pä-
Quadratmeter große Studentenbude von               eher anpruchslos wirkt, hat es technisch       dagogische Mitarbeiter Mike Bodenstein
Lorenz Butterweck im Marburger Vilmar-             in sich: Seit 1999 betreibt das Wohnheim       gehört zum Auswahlgremium. Aber meis-
haus birgt keine Geheimnisse: Schreibtisch,        ein Blockheizkraftwerk und seit 2001 eine      tens gebe es in etwa so viele Bewerber wie
Stuhl, Bett und Einbauschrank – das war's.         Photovoltaikanlage.                            Plätze. Deren Konfession spielt übrigens
Nicht zu vergessen die grandiose Fenster-              Die Gemeinschaft im Zusammenleben          keine Rolle bei der Vergabe.
Aussicht auf das Landgrafenschloss. „Ich           wird großgeschrieben. Das liegt nicht nur          Was Lorenz Butterweck besonders
hab hier alles, was ich brauche”, sagt der         am benachbarten Hans-von-Soden-Haus,           schätzt? Die gute Lage in Uni-Nähe, das
22-Jährige, der sein bisheriges Uni-Dasein         in dem die Evangelische Studierendenge-        großzügige Parkgrundstück mit Stellplatz
komplett in dem evangelischen Studenten-           meinde (ESG) viele Angebote macht. Auch        fürs Auto – und natürlich die günstige
wohnheim verbracht hat: „Hier habe ich             im Vilmarhaus selbst laufen kommunikati-       Miete. 267,50 Euro zahlt der Student im
immer gern gewohnt.”                               ve Aktivitäten: Grillen, Fackelwanderungen     Monat – und da ist bereits alles drin, vom
    Das Vilmarhaus, das der Evangelischen          zum Spiegelslustturm oder das beliebte         Internetanschluss bis hin zur frischen Bett-
Kirche von Kurhessen-Waldeck gehört, ist           Pokal-Wettkampfturnier „Schlag den Flur”,      wäsche. Das eher bescheidene Rauman-
benannt nach August Friedrich Christian            bei dem in jedem Semester Flurmannschaf-       gebot des Zimmers wird pro Flur ergänzt
                                                   ten gegeneinander antreten. „Man kann          durch eine Küche, ein Wohnzimmer sowie
                                                   sich hier nicht isolieren”, sagt Lorenz But-   die gemeinschaftlichen Duschen, die sich
DAS VILMARHAUS
                                                   terweck und fügt wissend hinzu: „schon         jeweils ein Dutzend Bewohner teilen.
       Das landeskirchliche Vilmarhaus ist nach    aus baulichen Gründen”.                            Gibt es denn gar keine Probleme in
       dem Studentenwerk der bedeutendste              Das Wohnheim versteht sich als Treff-      diesem perfekten Studentenwohnheim?
       Betreiber eines Studierendenwohnheims in    punkt für Menschen mit verschiedens-           Doch die gibt es, lächelt Lorenz und angelt
       Marburg. Früher aßen in der Mensa täglich   ten kulturellen und konfessionellen Hin-       nach einer Tasse aus dem Geschirrschrank,
       400 Studierende, dann wurde die Einrich-    tergründen. Etwa ein Drittel von ihnen         in dem es ziemlich bunt gemischt zugeht.
       tung zum Wohnheim. Nach der heutigen
                                                   stammt aus anderen Ländern. Alle Akti-         Ein Dauerbrenner sei das Thema Sauber-
       Satzung muss die Mehrheit der Bewohner
                                                   vitäten in und um das Wohnheim laufen          keit in der Küche: „Manchmal muss man
       einer christlichen Kirche angehören.
       Kontakt: T 06421 969-222                    auf Initiative und unter Mitarbeit der Be-     sich eben erbarmen und selbst zur Spül-
       Geschäftsführer Heiko Manz                  wohner ab. Wohnheimsprecher Butterweck         bürste greifen.” l
          www.vilmarhaus.de                        spricht von „demokratischen Strukturen”.                                  Lothar Simmank

                                                                                  blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2017          5
Wohnen bei Kirchens FÜR MITARBEITENDE - EKKW
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                       Wohnen wie die Deutschen
                       Wie eine kurdische Flüchtlingsfamilie aus Aleppo den Neuanfang in Kassel schafft

                   D
                               as dreigeschossige Haus mit dem       mals Graf-Häseler-Kaserne) teilen sie sich         Komplett leer war die Wohnung im
                               gepflegten Vorgarten wirkt fast ein   mit dem Bruder ein winziges Zimmer mit         Brückenhof, als die Familie sie übernahm:
                               wenig verloren in der Hochhaus-       Gemeinschaftswaschräumen und -küche            weder Küche noch Stuhl oder Tisch, alles
                       siedlung im Brückenhof. Im ersten Ober-       auf dem Gang. Eine schwierige Situation        musste organisiert werden, vom Abfall-
                       geschoss liegt die Drei-Zimmer-Wohnung        für die junge Familie.                         behälter bis zur Zimmerlampe. „Die Ver-
                       von Familie Mustafa-Osso. Die 31-jährige          Auf dem kleinen Wohnzimmer-Couch-          mittlung der Wohnung war ein echter
                       Nahla Osso, ihr gleichaltriger Mann Per-      tisch liegt eine weiße Spitzen-Tischdecke.     Glücksfall. Ein ehrenamtlicher Mitarbeiter,
                       mand Mustafa und der zweijährige Murad        Die schwarze Couch, Schrank, Tisch und         der selbst Mieter bei der Wohnbaugesell-
                       wohnen seit rund einem Jahr hier. „Wir lie-   Stühle zieren das Wohnzimmer. Die 75           schaft ist, hat sich für die junge Familie
                       ben Kassel und diese Gegend: Es ist ruhig     Quadratmeter sind bescheiden, aber             stark gemacht. Die Möbel haben wir bei
                       und grün, die Menschen sind sehr freund-      freundlich eingerichtet. Im Kinderzim-         einer Haushaltsauflösung bekommen. Die
                       lich, und wir haben bereits einige Freunde    mer stehen ein Gitterbettchen, Schränke,       Vorbesitzerin, eine ältere Dame, war als
                       gefunden“, sagt Vater Permand. Die kur-       Schreibtisch und eine Kiste mit Spielzeug.     Kind selbst aus Schlesien geflüchtet und
                       dische Familie kommt aus dem syrischen        „Wir sind sehr dankbar, dass uns die Mit-      hatte großes Verständnis“, erzählt Renate
                       Aleppo. Aleppo – die umkämpfte Stadt im       arbeiter vom Café International der Mat-       Müller, die die Arbeitsgruppe Wohnen im
                       Norden Syrien, die Schreckensmeldungen        thäuskirche geholfen haben. Sie haben die      Café International der Matthäuskirche ko-
                       über die zerstörte Stadt reißen nicht ab.     Wohnung für uns gefunden und Möbel für         ordiniert.
                           Rückblick: Im Sommer 2015 ist Mu-         uns organisiert“, sagt Nahla, die in Syrien        Permand Mustafa besucht derzeit ei-
                       rad gerade einmal drei Monate alt, als        Archäologie studiert hat. Schwer vorstell-     nen Deutsch-Intensivkurs. Nahla bekommt
                       die Familie sich gemeinsam mit Permands       bar: Die junge Familie hatte nichts, die       Ende August das zweite Kind und ist in
                       Bruder auf den Weg nach Deutschland           Flucht ließ nur leichtes Gepäck zu, ein paar   Elternzeit. Der größte Wunsch der Familie:
                       begibt. Von Syrien in die Türkei, von dort    Kleidungsstücke, Papiere, Verpflegung.         „Wir möchten für unsere Kinder ein gutes
                       mit dem Schiff nach Griechenland, zu Fuß          Es schmerzt, alles zurückgelassen zu       Leben in Sicherheit und Frieden.“ l
                       durch Mazedonien, Serbien und Ungarn,         haben, die Wohnung in Aleppo, das Note-                               Mirjam Hagebölling
                       durch Österreich bis nach Deutschland.        book des gelernten Informatikers. „Wir ha-
                       20 Tage voller Ungewissheit, Strapazen,       ben es mit eigenen Augen gesehen, wir          Infos: Café Matthäus International,
                       Ängste und Sorgen. In der Kasseler Ge-        sind Zeitzeugen, wie alles kaputt gebombt      AG Wohnen, Am Fronhof 8, Kassel-Nieder-
                       meinschaftsunterkunft „Harmony“ (ehe-         wurde“, erzählt Permand.                       zwehren, Geöffnet: Mi 15–17 Uhr

                       Nahla Osso, ihr Mann Permand Mustafa und der zweijährige Murad wohnen in Kassel-Brückenhof „in Sicherheit und Frieden”
Foto: M. Hagebölling

   6                         blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2017
Wohnen bei Kirchens FÜR MITARBEITENDE - EKKW
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                                                                                                                                           Fotos: C. Lieberknecht
Anja Karsch und ihr Freund Frank Schmiedel freuen sich in ihrer gemütlichen Wohnumgebung besonders auf Urlaubstage und Wochenenden

In der Waldauer Wohngruppe
den eigenen Lebensrhythmus finden
Gemeinsam leben in Waldau: Baunataler Diakonie Kassel bietet betreutes Wohnen

H
        eute ist ein Urlaubstag. Ein Schild im Eingangsbereich des bys zu fördern. Für den freien Tag hat jeder eigene Pläne: Anja
        Hauses „Baunatal” auf dem Gelände der Gustav-Heine- Karsch freut sich. Ihr Freund Frank Schmiedel ist da, um sie ab-
        mann-Wohnanlage (GHW) in Kassel-Waldau weist darauf zuholen. Gemeinsam mit anderen wollen sie in den Kickerraum
extra hin. Die Bewohnerinnen und Bewohner können deshalb et- auf dem Gelände der GHW gehen. Anschließend möchten sie das
was länger schlafen. „Frühstü-                                                                          Wochenende gemeinsam in
cken kann heute jeder, wann                                                                             seiner Wohnung verbringen.
er möchte“, sagt Josef Kulik.                                                                               Walter Scharf lebt schon
Er ist einer von vier Betreuern,                                                                        lange hier. Bereits als junger
welche die Menschen im Haus                                                                             Mann zog er in die GHW
zusammen mit FSJ-lern und                                                                               ein – und ist heute überall
Praktikanten begleiten.                                                                                 gut bekannt. Gerne geht
    Die elf Bewohnerinnen                                                                               er in Waldau spazieren,
und Bewohner im Haus sind                                                                               bei jedem Wetter, wie er la-
zwischen 25 und 75 Jahre alt.                                                                           chend betont. „Wenn es reg-
Einige gehen zur Arbeit, andere                                                                         net, nehme ich eben einen
sind bereits in Rente und besu-                                                                         Schirm mit!“
chen die tagestrukturierenden                                                                               T h o m a s H e n n e b e rg
Angebote im benachbarten                                                                                freut sich an seinem freien
Haus Schmalkalden. Jeder hat Passen (fast) zusammen aufs Sofa: Thomas, Claudia, Walter und Marita Tag auf einen leckeren Cap-
ein eigenes Zimmer, zudem gibt                                                                         puccino zum Frühstück. Da-
es eine große Wohnküche. Hier findet das gemeinsame Leben nach geht er frisch gestärkt einkaufen. „Am Wochenende besuche
statt, wird gekocht, gegessen und zusammengesessen. An dem ich das Café Schnuckewerk“, berichtet er. Die Bewohner leben
großen Tisch können Dinge geklärt und auch mal Streitigkeiten gerne hier in Waldau, einige besuchen oft sonntags die Kirche
geschlichtet werden.                                               und mögen auch besonders die Feiern und Feste im Stadtteil. Ein
    „Die Entfaltung der Bewohnerinnen und Bewohner liegt uns Höhepunkt im Jahr ist für alle die „Waldauer Entenkirmes“, vor
besonders am Herzen“, erklärt Josef Kulik. „Sie sollen sie selber allen Dingen für Walter Scharf, der selbst beim Festumzug für die
sein können.“ Dazu gehört auch, individuelle Interessen und Hob- Einrichtung mitläuft. l                       Claudia Lieberknecht

                                                                             blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2017         7
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Nachbarschaft auf dem Dorf pflegen:                                                                                                              Wer
                                                                                                                                   WOHNT
Mit einem Schwätzchen                                                                                                                eigentlich

auf der Bank fängt's an                                                                                                              nebenan?

M
           an sieht ja niemanden mehr auf    chen. Der erste Schritt für die Projekt-Mit-   INFOS IM INTERNET
           der Straße. Keiner da zum Re-     macher war, das eigene Dorf einmal mit
           den ...” So beginnt es oft, das   anderen Augen anzusehen. Wo sind schö-          Die Fachstelle Zweite Lebenshälfte
                                                                                             gehört zum Referat Erwachsenenbildung
Nachdenken über Nachbarschaft im Dorf.       ne Plätze, was ist nicht barrierefrei, was
                                                                                             des Landeskirchenamts der Evangeli-
Pfarrerin Annegret Zander arbeitet in der    könnte das Miteinander fördern? Annegret
                                                                                             schen Kirche von Kurhessen-Waldeck. Die
Fachstelle Zweite Lebenshälfte und ist be-   Zander berichtet: „Meist genügt es, wenn        Aktiv-Phase des Projekts „DorfMOOC” ist
ruflich seit 13 Jahren mit dem Älterwerden   man ganz klein anfängt.”                        abgeschlossen. Weiterhin im Internet zu
und den demografischen Entwicklungen                                                         finden sind aber Videos zum Projekt und
befasst. Gemeinsam mit Kollege Andreas            Zum Beispiel mit einer Bank. Die           auch das Begleitheft zum Herunterladen.
Wiesner sammelt sie Ideen für gelingende     lädt zum Treffen und Verweilen ein, ist ein     Gezeigt wird unter anderem eine Wohnbe-
Nachbarschaft für Jung und Alt, in Stadt     Symbol für Nachbarschaft. Konkret heißt         ratung und die Dorfschmiede Freienseen
und Land. Im vergangenen Jahr hat sie mit    das: Nachbarn schaffen eine Bank an – im        wird vorgestellt, ein neuer Dorfmittelpunkt
Kollegen aus Hessen und Nassau im In-        Fall von Manuela Vollmann eine „Baumel-         mit Laden, Tagespflege und barrierefreien
ternet einen Kurs zum Thema entwickelt:      bank”, die Kinder der Tagesstätte bunt          Wohnungen.
„Unser Dorf: Wir bleiben hier!” DorfMOOC     bemalt hatten. Diese Bank steht immer              fachstelle-zweite-lebenshaelfte.de
nannte sich das (Massive Open Online         montags um 11 Uhr an einem anderen                 unser-dorf-mooc.de
Course – ein kostenloser Online-Kurs).       Ort. Infos dazu stehen im Gemeindebrief.
     Mit Videos, Aufgaben und Diskussio-          Bereits beim ersten Treffen an der         Das Projekt „Sorgende Gemeinde
                                                                                             werden” der Evangelischen Arbeitsge-
nen in Foren sowie Dorferkundungen und       Bank kamen sieben Leute zusammen, ei-
                                                                                             meinschaft für Altenarbeit in der EKD
Live-Treffen ging man diesen Fragen nach:    ner brachte Kaffee mit. „Von Hof zu Hof”
                                                                                             beschäftigt sich mit der Frage: Wie sind
Wie können wir Nachbarschaft für alle Ge-    soll die Bank nun wandern und demnächst
                                                                                             örtliche Lebensräume zu gestalten, damit
nerationen ausbauen? Wie können Alte         im Garten einer 80-Jährigen landen, die         ältere Menschen möglichst lange ein
zu Hause in Würde wohnen bleiben, älter      kaum mehr das Haus verlassen kann und           selbstständiges Leben in den eigenen vier
werden und auch hier sterben?                sich freut, auf diese Weise besucht zu wer-     Wänden führen und am gesellschaftlichen
     Denn es gibt Klagen – auch von Jün-     den. Und die MOOC-Teilnehmer? Manuela           Leben teilhaben können? Arbeitsmateria-
geren. „Das Dorf wird oft vergessen”, sagt   Vollmann sagt: „Wir wissen jetzt, dass es in    lien zu diesem Thema können kostenfrei
Manuela Vollmann, eine der Teilnehmerin-     vielen Orten ganz genauso wie bei uns zu-       bestellt werden.
nen. „Wir sind abgeschnitten.” Leute wan-    geht. Und dass viele Ehrenamtliche nach            www.ekd.de/eafa
dern ab, Läden machen dicht. Und dann        Hilfe für die Dörfer suchen.” l
die Sache mit dem fehlenden Schwätz-                                Anne-Kathrin Stöber

                                                                                                                   Zeichnung: Reinhild Kassing

8     blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2017
Wohnen bei Kirchens FÜR MITARBEITENDE - EKKW
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Nachbarschaft in der Stadt entdecken:
Überall kommunikative Menschen,
die auf Kontakte warten

Das Online-Nachbarschafts-Netzwerk www.nebenan.de wirbt für gute Kontakte im realen Leben: „Verbinde dich mit deinen Nachbarn.”

M
          itten im Frühstück piept Julias       werden ganze Städte, sondern nur Quar-          ihr gleich klar: „Wir wollen nicht nur digi-
          Handy. „Hihi”, grinst sie, als sie    tiere, also echte „Nachbarschaften” zusam-      tale Kontakt haben, sondern echte Leute
          draufguckt. „Jetzt wird dringend      mengefasst. Man kann tauschen, leihen,          kennenlernen.” Spontan luden sie und ihr
eine Bohrmaschine gesucht. Und die Ku-          schenken, kaufen, Veranstaltungen anbie-        Mann zu einem Treffen abends von acht
chenform ist schon weg.” Julia, eine junge      ten, Sportbegeisterte suchen oder sich zum      bis zehn in einer „soliden Eckkneipe” ein.
Berufstätige aus Kassel, lebt noch nicht        Hundesitten zur Verfügung stellen.              Und – unglaublich – bereits beim ersten
lange in der Stadt und hat vor allem we-                                                        Mal kamen zehn Nachbarn unterschiedli-
nig Zeit. Häufig ist sie beruflich in anderen                                                   chen Alters, und alle hatten Lust, sich zu
Städten und Ländern unterwegs. Kennt                »Wir wollten nicht nur                      unterhalten. Inzwischen besteht ein fester
tausend Leute – aber kaum Nachbarn in              digitale Kontakte haben,                     Kreis aus bis zu zwölf Personen, immer wie-
der Straße. Darum hatte sie sich vor Kur-            sondern echte Leute                        der kommen neue dazu. Ein Opernsänger,
zem beim Online-Nachbarschafts-Netzwerk                 kennenlernen.«                          der nur für eine Spielzeit in der Stadt ist.
nebenan.de angemeldet, für das mit Zettel                                                       Menschen, die in einer Fernbeziehung le-
im Briefkasten geworben wurde. Das Netz-                                                        ben und vor Ort Austausch suchen. Ruth
werk, 2015 in Berlin gegründet, bringt seit-        So eine Plattform kann in Großstädten       Langen begeistert das alles: „Es braucht so
her in vielen deutschen Städten Menschen        eine echte Hilfe sein. Zwar gibt es Face-       wenig: einen öffentlichen Ort, eine Zeit.”
zusammen – wie etliche andere dieser Art.       book und Co. sowie Stadt- und Stadtteil-        Eine Literaturgruppe ist als Ableger ent-
Auch bei Julia rauschen die Nachrichten         netzwerke. Aber hier ist man sich nicht so      standen, und es gibt private Gitarrenkon-
von „um die Ecke” nun dauernd herein. Sie       nah wie bei nebenan.de: nämlich direkt          zerte im Wohnzimmer eines anderen Mit-
ist gespannt darauf, wen sie demnächst          nebenan. Diese Erfahrung hat auch Ruth          glieds. Waren einige ihrer alten Freunde
kennenlernen wird, wenn sie das erste Mal       Langen gemacht. Die 67-jährige Kunsthis-        zunächst erstaunt, so hat Ruth Langen sie
etwas ausleiht. Denn eins ist sicher: Der-      torikerin lebt in Frankfurt, hatte aber lange   längst überzeugt. „Das sind nicht alles ein-
oder diejenige ist garantiert jemand aus        Zeit außerhalb verbracht. Als sie mit ihrem     same Seelen, sondern sehr kommunikative
ihrem Kiez.                                     Mann in die alte Heimat zurückzog, waren        Menschen!”
    Wer sich bei nebenan.de anmeldet,           viele Freunde und Nachbarn nicht mehr               Dem Netzwerk nebenan.de wurde der
muss seinen Personalausweis einscannen          dort. „Wir haben es vermisst, Bekannte hier     Titel „Ausgezeichneter Ort im Land der Ide-
und damit nachweisen, dass er tatsäch-          um die Ecke zu haben”, sagt sie. Als sie        en 2016” der Bundesregierung verliehen.
lich in dieser Nachbarschaft lebt. Niemals      auf nebenan.de aufmerksam wurde, war            l		                    Anne-Kathrin Stöber

                                                                                blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2017          9
Wohnen bei Kirchens FÜR MITARBEITENDE - EKKW
THEMA

                                                                   Zeit haben, zuhören, fröhlich sein
                                                                   Der Besuchsdienst Oberkaufungen kommt ins Haus
                                                                   sie tragen wie ihre zehn Kolleginnen und        40 bis 83 Jahre alt sind die Mitarbeiterin-
                                                                   ein Kollege dazu bei, dass dank ihres eh-       nen, die meisten schon seit vielen Jahren
                                                                   renamtlichen Einsatzes viele Menschen im        dabei und mittlerweile befreundet. Eng
                                                                   Ort nicht einsam sein müssen. Etwa einmal       ist ihr Dienst mit der Nachbarschaftshilfe
                                                                   wöchentlich besucht jeder seine „Betreu-        der lokalen Gemeinde verbunden, alle ken-

                     B
                           rötchen und Wurstplatte, Saft und       ten”, und zwar, das betont die Leiterin der     nen sich – so fängt das Netz viele auf. Am
Foto: A. K. Stöber

                           Kaffee – großes Frühstück im Famili-    Gruppe, Marianne Sell, „meist bis zum To-       wichtigsten ist den Ehrenamtlichen aber
                           enzentrum: Die Mitarbeitenden vom       de.” Die ehemalige Leiterin der Bahnhofs-       eins: „Die Freude ist auf beiden Seiten. Die
                     Besuchsdienst treffen sich alle vier Wochen   mission, seit 2002 für den Besuchsdienst        Menschen sind so dankbar, wenn man Zeit
                     zum Austausch (Foto). Christa ist Pflege-     verantwortlich, spricht von ihrer Aufgabe       für sie hat. Sie strahlen schon, wenn wir ins
                     oma für einen kleinen Jungen, dessen El-      mit großer Begeisterung. „Es sind Kleinig-      Haus kommen.” l Anne-Kathrin Stöber
                     tern sich getrennt haben. Gustl hat viele     keiten, die helfen”, sagt sie. Man gibt Zeit,
                     Jahre lang ihre einsame Nachbarin be-         hört zu, lernt einander kennen, tauscht         Infos:
                     sucht und tut das nun weiter, seit die Da-    sich aus und begleitet die Menschen zu          Kirchenvorstände und Interessenten für
                     me im Pflegeheim ist. Erika kümmert sich      Hause oder später im Altenheim, bei             den Besuchsdienst werden informiert,
                     um eine 54-jährige Mutter, die an Multi-      Krankheit und Demenz. Stirbt einer der          beim Aufbau des Dienstes unterstützt
                     pler Sklerose erkrankt ist – aus den regel-   Betreuten, stützen sich die Mitarbeiter ge-     und bekommen Materialien und Fortbil-
                     mäßigen Besuchen ist längst Freundschaft      genseitig in der Trauer.                        dung beim Besuchsdienst EKKW,
                     entstanden.                                       Nicht um Pflege oder Haushaltshilfe         Doris Noack, T 0561 9378 389,
                         Alle drei Frauen gehören zum Team         geht es beim Besuchsdienst, sondern da-         doris.noack@ekkw.de
                     des Besuchsdienstes der Evangelischen         rum, „nicht allein zu sein, Fröhlichkeit zu     Besuchsdienst in Oberkaufungen:
                     Kirchengemeinde Oberkaufungen – und           verbreiten”, wie es eine Dame formuliert.       T 05605 3237, Marianne Sell

                     Helfende Hände

                                                                                                                                                              Foto: Diakoniestationen KS
                     Zu Hause wohnen bleiben – mithilfe der Diakoniestationen

                     S
                           o lange wie möglich in den eigenen      Der größte Teil des Dienstes wird über die
                           vier Wänden bleiben” – das wün-         Pflegekasse finanziert, allerdings gibt es
                           schen sich viele alte und pflegebe-     auch Privatkunden; Vorrang haben aber
                     dürftige Menschen. In Kassel werden sie       immer die Pflegefälle – und die Warteliste
                     dabei seit etwa zehn Jahren unterstützt       ist lang.
                     von den Diakoniestationen mit dem Pro-             In Kassel werden derzeit etwa 300                        Sylvia Martin (56)
                     gramm für Hilfen im Alltag, wie die Leite-    Kunden betreut. Sylvia Martin besucht sie            ist Leiterin der „Helfenden Hände”
                     rin der Abteilung „Helfende Hände”, Sylvia    am Anfang und schätzt ein: „Wer passt da                 der Diakoniestationen Kassel
                     Martin, erläutert.                            hin von uns?” Sie sucht geeignete Mitar-
                         Unterstützung durch die helfenden         beiterinnen aus, denn erfahrungsgemäß           Chemie stimmt. Wir sind zu Gast bei den
                     Hände der etwa 30 fest angestellten Mit-      sind „Vertrauen und Empathie” ebenso            Kunden – und wenn die Menschen mit-
                     arbeiterinnen erfahren zum Beispiel alte,     wichtig wie Professionalität der Helferin-      arbeiten wollen, dann freut uns das. Wir
                     an Demenz oder anderweitig erkrankte          nen. Diese haben sich als „Alltagsbegleite-     wollen niemanden zur Unselbstständigkeit
                     Menschen, die nicht mehr allein einkaufen,    rinnen” ausbilden lassen. Wichtig sei, dass     verführen.” l       Anne-Kathrin Stöber
                     putzen, waschen, kochen können. Viele der     sie auf Menschen eingehen können – oft
                     Kunden haben ohnehin einen Pflegegrad         sind die Helferinnen, die ein- bis mehrmals     Infos:
                     und werden von den Diakoniestationen          wöchentlich zum Einsatz kommen, der ein-        Diakoniestationen der Evangelischen Kir-
                     versorgt, sodass sie auf diesem Weg von       zige Kontakt der hochbetagten Menschen.         che in Kassel, Helfende Hände, Hafenstra-
                     der Möglichkeit zur ergänzenden Alltags-           „Diese Generation hat unglaublich viel     ße 13, 34125 Kassel, T 05 61 88007–12
                     hilfe erfahren. Andere hören über die         im Leben geschafft.” Es falle im Alter nicht    Auch in Baunatal und Fuldabrück gibt es
                     kommunale „Beratungsstelle Älterwer-          leicht, Hilfe anzunehmen, betont Martin.        „Helfende Hände”.
                     den” oder die Kirchengemeinde davon.          „Darum ist es besonders wichtig, dass die                www.diakoniestationen-kassel.de

                     10    blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2017
THEMA

Luxusgut Wohnen
Interview mit Diakonie-
Chef Horst Rühl                                     »Als Diakonie Hessen
                                                  setzen wir uns dafür ein,

                                                                                                                                                Foto: Diakonie Hessen
?   Armut spaltet die Gesellschaft, ha-
    ben Sie mit Bezug auf den neuen
„Armuts- und Reichtumsbericht“ der
                                                    dass allen Menschen
                                                 bezahlbarer Wohnraum zur
Bundesregierung gesagt. Gilt das auch
                                                  Verfügung stehen kann.«
für das Wohnen?                                                                             Pfarrer Horst Rühl (59) ist Vorstandsvorsitzender
    Horst Rühl: Ja, eindeutig. Hessenweit                                                   der Diakonie Hessen – Diakonisches Werk in
gibt es einen prognostizierten Fehlbedarf                                                   Hessen und Nassau und Kurhessen-Waldeck e.V.
von rund 440.000 Wohnungen, die bis                                                         Der Verband und seine Mitgliedseinrichtungen
zum Jahr 2040 benötigt werden. Der Neu-                                                     beschäftigen rund 39.000 Mitarbeitende
bau von Wohnungen deckt nicht mal an-
nähernd den aktuellen Bedarf. Wir gehen            Die Zahl der Wohnungsnotfälle steigt     der unter Berücksichtigung der Bezahlbar-
davon aus, dass sich dieser Zustand auch       auch in Hessen. Wohnen ist ein Grundbe-      keit. Bezahlbar heißt, dass die Miete einer
noch auf das nächste Jahrzehnt erstreckt.      dürfnis und ein Grundrecht. Wohnen darf      Wohnung inklusive Nebenkosten nicht
    Eine Spaltung der Gesellschaft ent-        nicht weiter zum Luxusgut verkommen,         mehr als 35 bis 40 Prozent des jeweiligen
steht zwischen denen, die sich den not-        Menschen jegliche Perspektive nehmen         Nettoeinkommens betragen sollte.
wendigen Wohnraum leisten können, und          und sie in die Wohnungslosigkeit treiben.        Auch das Land kann preisgünstigen
denen, die das eben nicht können bzw.          Bei erwarteten ständigen Steuerüberschüs-    Wohnraum durch hierfür zur Verfügung
schon längst vom Wohnungsmarkt ausge-          sen in den kommenden Jahren müssen           gestellte Landesmittel fördern.
schlossen sind. Insbesondere die Mieten        Bund, Länder und Gemeinden hier einen
sind in den letzten zwanzig Jahren über-
durchschnittlich gestiegen. Gerade für die
Haushalte mit geringem Einkommen be-
                                               Schwerpunkt setzen. Wohnungsnot in ei-
                                               nem reichen Land darf nicht sein. Als Di-
                                               akonie Hessen setzen wir uns dafür ein,
                                                                                            ?   Wie würden Sie die Standards für
                                                                                                gutes Wohnen definieren?
                                                                                                Rühl: Damit die Warmmiete nicht 35
deutet das eine gestiegene Belastung.          dass allen Menschen bezahlbarer Wohn-        bis 40 Prozent des Nettoeinkommens über-
    Die Fachleute der Diakonie Hessen be-      raum zur Verfügung stehen kann.              steigt, dürfen die Nebenkosten nicht explo-
obachten mit Sorge, dass sich bestimmte                                                     dieren. Dazu muss die Gebäudesubstanz in
Stadtteile ausschließlich zu Vierteln für
Gut- und Besserverdienende entwickeln.
Wir treten für ein inklusives Gemeinwesen
                                               ?   Die Diakonie Hessen fordert bezahl-
                                                   baren Wohnraum. Wo soll der her-
                                               kommen?
                                                                                            Ordnung sein. Nachhaltiges, energieeffizi-
                                                                                            entes Bauen ist notwendig – ebenfalls ein
                                                                                            Kriterium für guten Wohnstandard.
ein, das die Teilhabe aller gesellschaftli-        Rühl: Öffentliche Immobilien- und            Auch die Lage ist wichtig: Die Men-
chen Gruppen am Leben im Blick behält.         Grundstückseigentümer müssen hier in die     schen brauchen eine gute Infrastruktur,
                                               Pflicht genommen werden. Dazu zählen         die es ihnen ermöglicht, Wege zur Arbeit,

?    Wenn man die gestiegenen Mieten
     und Kaufpreise für Immobilien in
Frankfurt betrachtet, scheint es nicht
                                               Kommunen, Bund und im Übrigen auch
                                               Kirchengemeinden. In die Pflicht nehmen
                                               bedeutet, dass Grundstücke oder Immobi-
                                                                                            zum Einkauf, zum Arzt, zur Schule oder Ki-
                                                                                            ta auch ohne eigenes Fahrzeug bewältigen
                                                                                            zu können. Das bedeutet entweder Wohn-
übertrieben, vom „Luxusgut Wohnen“             lien nicht automatisch an den Meistbieten-   raum in der Nähe solcher Angebote oder
zu sprechen. Stellen Sie ähnliche Ten-         den vergeben werden.                         ein gut ausgebautes Netz öffentlicher Ver-
denzen auch in anderen hessischen                  Die Freigabe von Grundstücken zum        kehrsmittel. Gerade die ländlichen Regio-
Regionen fest?                                 Wohnungsbau sollte zum Beispiel an           nen benötigen ein öffentliches Verkehrswe-
     Rühl: Überall dort, wo Arbeit perspek-    die Bedingung gekoppelt werden, dass         genetz. Wohnkonzepte, die wir präferieren,
tivisch vorhanden ist, also in den Ballungs-   mindestens 30 bis 35 Prozent des neu         wirken Ausgrenzung, Vereinsamung und
zentren, den kreisfreien Städten und Ober-     geschaffenen Wohnraums entsprechend          Immobilität entgegen.
zentren, ist Wohnraum ein Luxusgut. Auch       den Standards für preisgünstigen Wohn-           Deshalb gilt last, but not least: Zum
wenn das Rhein-Main-Gebiet mit Frankfurt,      raum angeboten wird. Öffentliche Grund-      guten Wohnen gehört ein funktionieren-
Darmstadt und Wiesbaden die Liste an-          stückseigentümer sollten sich als sozial-    des, ein gelebtes, inklusives Gemeinwesen,
führt, ziehen Städte wie Kassel, Marburg       politische Akteure verstehen und zu einer    das die Teilhabe aller ermöglicht. Hierzu
und Gießen deutlich nach. In all diesen Re-    sozialen Stadtentwicklung beitragen; das     können und wollen Diakonie und Kirche
gionen fehlt bezahlbarer Wohnraum, und         kann auch durch Genossenschaftsmodelle       als zentrale zivilgesellschaftliche Akteure
die Schere zwischen Bedarf und Angebot         geschehen oder durch Modelle generatio-      einiges beitragen. l
klafft mehr und mehr auseinander.              nenübergreifenden Wohnens – auch wie-                           Fragen: Lothar Simmank

                                                                             blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2017         11
LANDESKIRCHE

Gesangbuch-Beiheft: „Nicht jeder findet
alles gut, aber jeder wird etwas finden”
E  ein Beiheft zum Gesangbuch, das
   EGplus, erscheint in diesem Jahr. Im
Interview erklären Landeskirchenmusikdi-
rektor Uwe Maibaum und Pfarrer Dr. Oli-
ver Schmalz, was es damit auf sich hat.

?    Im Gesangbuch stehen 650 Lieder,
    jetzt kommt noch mal ein Beiheft
mit 164 Liedern. Wird das nicht zu viel?
Uwe Maibaum: Überhaupt nicht. Ein gro-
ßer Teil der Lieder der neuen Sammlung
wird schon in den Gemeinden gesungen,
allerdings häufig von kopierten Zetteln. Das
soll zukünftig aus einem gemeinsamen Lie-

                                                                                                                                             Foto: medio.tv/Dellit
derbuch geschehen können. Und dann gibt
es einen Teil, wo wir kräftigen Bedarf haben
– neue Themen haben sich aufgetan. Bei
Trauungen, bei Passionsliedern, mit einer
Popliturgie und einer Kinderliturgie bei-      Sie freuen sich auf das Beiheft EGplus: Landeskirchenmusikdirektor Uwe Maibaum (links)
spielsweise wurde nachgearbeitet, neue         und Pfarrer Dr. Oliver Schmalz
Lieder sind entwickelt und gefunden wor-
den. Die sollen gesungen werden.               choralähnlicher Melodien über verschiede-      sailing“ etwa drückt aus: Ich segele in eine
Dr. Oliver Schmalz: In den Gemeinden           ne Formen der Popularmusik wie Balladen,       Weite hinein – all das können auch Versu-
sind viele Lied-Kopien und andere Lieder-      Sakro-Pop, Gospel bis hin zu in evangelika-    che sein, von Gott zu sprechen.
bücher unterwegs, weil sich das Liedgut        len Gemeinden gesungenen Formen wie
in den 22 Jahren seit Erscheinen des Ge-
sangbuchs weiterentwickelt hat. Darauf
reagieren wir mit dem EGplus.
                                               Christliche Popularmusik und Lobpreislie-
                                               dern. Nicht jeder findet da alles gut, aber
                                               jeder wird etwas für sich finden – das ist
                                                                                              ?   Eingeführt wird das Buch bei den
                                                                                                 Landeskirchenmusiktagen in Mar-
                                                                                              burg (8.–10. September). Warum sollte
                                               die schöne Geschichte dieses Buches.           man dorthin reisen?

?   Ich muss eine Wissenslücke offen-
   baren: Ich dachte, „Maria durch ein
Dornwald ging“ stünde schon im Ge-
                                               Schmalz: Die Buntheit zeigt sich auch in
                                               den Zielgruppen: Wir haben ganz bewusst
                                               viele Lieder aufgenommen, die man mit
                                                                                              Maibaum: Weil man dort das gesamte
                                                                                              Spektrum dieses Buches erleben wird; in
                                                                                              Gottesdiensten, in Konzerten, in Work-
sangbuch, das stimmt nicht. Werden             Kindern oder mit Jugendlichen singen           shops und auf offenen Bühnen – mit un-
durch das Beiheft Lücken gefüllt?              kann. Und die Vielfalt ist auch in der Theo-   terschiedlichen Stilelementen: mit Gospel-
Maibaum: Bei einigen Liedern staunt man,       logie erkennbar.                               chören, Bands, Blechbläsern. Und weil das
dass sie noch fehlten, zum Beispiel auch                                                      Wir sind – die klangreiche und farbenrei-
„Von guten Mächten“ in der Siegfried-
Fietz-Fassung. Das kam in das EG damals
beispielsweise nicht hinein. Wir haben in-
                                               ?   Könnten Sie ein Beispiel nennen?
                                                   Schmalz: Ein Beispiel sind die erwähn-
                                               ten Lobpreis-Lieder. Und es gibt Trauungs-
                                                                                              che Evangelische Kirche von Kurhessen-
                                                                                              Waldeck. l
                                                                                                                      Fragen: Olaf Dellit
zwischen eine strategische Umorientierung      lieder, die auch mit einem eher impliziten
in der Liedauswahl. Es geht nicht um eine      religiösen Bezug auskommen. Mit ihnen          EG-PLUS
„kirchenmusikalische Missionierung“, bei       kann man Menschen ganz anders errei-
der wir als kirchliche Mitarbeiter einen be-   chen, weil es theologisch vielleicht nicht      Das Beiheft EGplus wird in einer
                                                                                               Gemeinde- und einer Buchhandels-Aus-
stimmten musikalischen Stil durchsetzen        ganz so dick aufgetragen wirkt.
                                                                                               gabe erscheinen. Die Gemeinde-Ausgabe
wollen, sondern wir möchten klangbar
                                                                                               kostet 6,50 Euro. Das Beiheft hat 300
machen, wie farbig evangelische Kirchen-
musik ist und verkündigt.                      ?   Bei Beerdigungen wird oft „Tears in
                                                  heaven“ von Eric Clapton gespielt.
                                               Solche Songs stehen jetzt im EGplus.
                                                                                               Seiten. Vorbestellungen über:
                                                                                               Evangelischer Medienverband Kassel,
                                                                                               Heinrich-Wimmer-Straße 4,

? Es kommen viele Stile vor, etwa Pop-
  musik und Gospel. Was noch?
Maibaum: Das geht von Neu-Textierungen
                                               Schmalz: Es gibt viele Lieder wie „Tears
                                               in heaven“, die man im religiösen Sinn in-
                                               terpretieren kann, aber nicht muss. „I am
                                                                                               34131 Kassel, T 0561 34224,
                                                                                               E-Mail: emv@ekkw.de
                                                                                                   www.ekkw.de/emv

12     blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2017
LANDESKIRCHE

Landessynode beschließt Pfarrstellen-
budgets und Kirchenkreisfusionen

M
          it einem Beschluss, die vielerorts
          bereits erfolgten Kirchenkreisfu-
          sionen weiter voranzutreiben,
ist die Synode der Evangelischen Kirche
von Kurhessen-Waldeck (EKKW) am 26.
April in Hofgeismar zu Ende gegangen.
Innerhalb einer bis 2015 dauernden Frei-
willigenphase hatten sich bereits 13 Kir-
chenkreise neu strukturiert, in weiteren
fünf Regionen besteht allerdings noch
Handlungsbedarf. Die noch ausstehenden
Fusionen sollen nun bis 2020 umgesetzt

                                                                                                                                                 Fotos: medio.tv/Schauderna
werden.
    Am Dienstag hatte die Synode zudem
einstimmig die Einführung von sogenann-
ten Pfarrstellenbudgets beschlossen. Da-
durch erhalten die einzelnen Kirchenkreise
der Landeskirche für die Versorgung ihrer
Gemeinden ein bestimmtes Stellenkontin-        Die Frühjahrssynode der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck tagte vom 24.–26. April 2017
gent zugewiesen, das sie innerhalb ihres
Gebietes aufteilen können. Durch diese er-
folgte Kompetenzverlagerung werden Ver-        Kirchenkreis Schwalm-Eder                     Bischof kritisiert
antwortlichkeiten von der zentralen Ebene      mit Melsungen, Fritzlar-                      Abschiebepraxis
auf die mittlere Ebene der Kirchenkreise
                                               Homberg und Ziegenhain
verlagert. Die derzeit 20 Kirchenkreise der                                                  Bischof Martin Hein
EKKW haben somit künftig größere Mög-          Mit großer Mehrheit wurde die Fusion          (Foto) hat auf der Sy-
lichkeiten, über die Zuordnung der vor-        von weiteren Kirchenkreisen beschlossen.      node die Abschiebe-
handenen Pfarrstellen an die einzelnen         Innerhalb einer bis 2015 dauernden Frei-      praxis in Deutschland
Kirchengemeinden zu entscheiden.               willigenphase hatten sich bereits 13 Kir-     kritisiert. In Syrien,
                                               chenkreise neu strukturiert, in weiteren      dem Irak und in Af-
Umdenken in der                                fünf Regionen bestand allerdings noch         ghanistan gebe es für
Personalplanung                                Handlungsbedarf. Längere Diskussionen         die Abgeschobenen weder Sicherheit noch
                                               löste lediglich der vorgeschlagene Zusam-     eine Zukunftsperspektive. Der Staat wol-
Prälatin Marita Natt                           menschluss der Kirchenkreise Melsungen,       le mit den Abschiebungen, obwohl deren
(Foto) mahnte in ih-                           Fritzlar-Homberg und Ziegenhain aus. Die      Zahl letztlich klein sei, ein Exempel statu-
rem Personalbericht                            Synode entschied sich schließlich für eine    ieren und sich handlungsfähig zeigen. Es
ein grundlegendes                              solche Fusion, die bis 2020 umgesetzt wer-    gebe aber genügend andere Möglichkei-
Umdenken in der Per-                           den soll. In dem neu geschaffenen Kirchen-    ten, Handlungsfähigkeit zu demonstrieren.
sonalplanung an. So                            kreis Schwalm-Eder soll es mit Hinblick auf   In Deutschland habe sich der politische
müsse der Begriff der                          seine Größe drei Dekanatssitze geben. Mit     Wind in der Flüchtlingsfrage unbegreiflich
Dienstgemeinschaft neu gefüllt und zu ei-      nach derzeitigem Stand 79 Pfarrstellen        schnell gedreht, so der Bischof.
nem gemeinsamen Dienst am Evangelium           liegt der noch zu bildende Kirchenkreis           Gegenwärtig gebe die Lage in Ägyp-
in multiprofessionellen Teams entwickelt       deutlich über dem Korridor von 25 bis         ten Anlass zur Besorgnis. Die koptischen
werden. Pfarrer sollten demnach von ihrer      40 Pfarrstellen, der ansonsten als Größe      Christen würden unterdrückt und müssten
Verpflichtung zu einer „Totalkompetenz”        für einen Kirchenkreis vorgesehen ist. Der    um ihr Leben fürchten. Hier müsse alles
entlastet werden. Diakone, Gemeinderefe-       landeskirchliche Umstrukturierungsprozess     politisch Mögliche getan werden, damit
renten, Kirchenmusiker sowie Küster und        soll spätestens auf der Frühjahrssynode       den Christen im Land sowie in den ande-
Verwaltungskräfte müssten die theologi-        2019 mit einem Kirchengesetz, das die Fu-     ren Ländern des Orients Sicherheit und die
sche Dimension ihres Berufes neu entde-        sion der noch ausstehenden fünf Regionen      Freiheit ihres Glaubens garantiert werde,
cken. l				epd                                 regelt, seinen Abschluss finden. l            forderte Hein. l			                     epd

                                                                              blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2017        13
LANDESKIRCHE

                    100 Tage gibt's Kaffee wie bei Luther
                    Café auf Zeit an der Lutherkirche während der documenta (10. Juni bis 17. September)

                    A
                             us ihrem Büro blickt Felicitas Be-    waren schnell oder sind bereits gefunden,

                                                                                                                                                              Foto: medio..tv/Dellit
                             cker-Kasper genau auf den Turm        sagt die Initiatorin. Aber auch Geld wird –
                             der Lutherkirche. Und immer wie-      trotz des Ehrenamts – gebraucht, etwa für
                    der tat es der Leiterin des Seniorenreferats   Schürzen und Shirts und die Gesundheits-
                    im Kirchenkreis Kassel leid, dass sich darin   schulung der Helfer. Hier kommt die Evan-
                    kein Café mehr befand. Das soll sich nun       gelische Bank mit ihrem Crowdfunding ins
                    ändern – zumindest für 100 Tage.               Spiel. Per Internet sammeln Projektleiter
                        So lange dauert bekanntlich die do-        Spenden, die von der Bank mit fünf Euro
                    cumenta, die weltweit wichtigste Aus-          je Einzelspende aufgestockt werden. 22
                    stellung zeitgenössischer Kunst. Und die       Projekte seien auf diese Art bereits finan-
                    Lutherkirche liegt auf dem Weg vieler do-      ziert worden, sagte Albrecht Weisker von
                    cumenta-Gäste, wenn sie in die Nordstadt       der EB.
                    unterwegs sind. Unter der Abkürzung LuZ             Becker-Kasper freut sich auch über die
                    (Luthercafé auf Zeit) soll es also vor und     gute Kooperation mit den „Fliegenden
                    im Kirchturm wieder ein gastronomisches        Köchen“, die den Lutherturm gepachtet
                    Angebot geben mit einer „kleinen, fei-         haben, aber nicht tagsüber nutzen. Man
                    nen Speisekarte“, wie Becker-Kasper sagt:      arbeite gut zusammen. Das Ziel von LuZ
                    Flammkuchen, Omas Blechkuchen, Waf-            ist klar: „Wir möchten bei der documen-
                    feln, Spezialitäten der Region und anderes.    ta eine gastgebende Kirche sein“, sagt
                        Unterstützung gibt es von den Mitar-       Becker-Kasper. So soll es am Lutherturm
                    beitern von „Kirche unterwegs“, die schon      nicht nur Speis und Trank, sondern auch           Auf einen Kaffee: Albrecht Weisker (Evange-
                    häufiger Cafés auf Zeit geplant haben.         Stille, Spiele und Spirituralität geben.          lische Bank) und Felicitas Becker-Kaspar (Se-
                    Vor allem aber werden Ehrenamtliche                 Geöffnet ist täglich von 11 bis 18 Uhr       niorenreferat) vor der Kasseler Lutherkirche
                    gebraucht, insgesamt 50 – die ersten 30        (außer dienstags ). l               Olaf Dellit                 www.zusammen-gutes-tun.de

                    Dirty Church Run: Durch Matsch und Dreck rennen

                    A
                              m 25. Juni findet der Dirty Church Run der Kirchenge-         bildungshilfe, dem Verein freuNde e. V. und dem Förderkreis für
                              meinde Beiseförth-Malsfeld (Kirchenkreis Melsungen)           Jugendarbeit in der Kirchengemeinde. „Der ganze Lauf ist in das
                              zum zweiten Mal statt. Es handelt sich um einen Mud-          Gemeindefest unserer Kirchengemeinde eingebettet”, so Pfarrer
                    Run, der über den Sportplatz, durch die Fulda, über Hänge, durch        Henning Reinhardt. Das heißt: Es ist für Essen und Getränke ge-
                    den Wald und durch das Dorf führt. Verschiedene Hindernisse             sorgt, ebenso für ein Kinderprogramm. Außerdem gibt es auch
                    müssen dabei bewältigt werden. Starten kann man als Einzelläu-          einen Kinderlauf, zu dem man sich aber nicht vorher anmelden
                    fer, als Staffel oder als Team.                                         muss. Um 10 Uhr geht es mit einem Gottesdienst auf dem örtli-
                         Maximal 500 Läufer machen mit. Die Startgelder kommen              chen Sportplatz los. l
                    in voller Höhe drei gemeinnützigen Projekten zugute: Der Aus-                           Anmeldung und Infos: www.dirtychurchrun.de
Fotos: Sonja Böse

                    14     blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2017
LANDESKIRCHE

Evangelische
Bank baut                                      „Kreuzspannung” in der
100 Stellen ab                                 Hanauer Johanneskirche
                                               Aus einem gefällten Nussbaum entstand ein Kunstwerk für die Kirche

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        ie Evangelische Bank (EB) will bis        st das ein Kreuz? Bei näherem Betrachten des Holzstücks an der Wand scheint es
        2021 rund 100 Stellen abbauen.            eindeutig: Ja, es ist ein Baumkreuz – so eigenwillig, wie die Natur und mensch-
        Wie Vorstandsvorsitzender Thomas          liches Gestalten es hervorgebracht haben. Der Bildhauer Klaus Simon (Krefeld)
Katzenmayer mitteilte, sei für die Betrof-     hat einen Baum, der vor der Hanauer Johanneskirche stand und gefällt werden
fenen ein umfangreicher Sozialplan in en-      musste, in Kunstobjekte für das neue Gemeindehaus verwandelt. Zwei Werke sind
ger Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat         entstanden – auf dem Boden und an der Wand: Einen Teil des Stammes hat der
in Arbeit. Danach könnten theoretisch 85       Künstler aufgerichtet, er neigt sich wie zum Gespräch und hält dem Redner seine
Beschäftigte in Altersteilzeit gehen. Grund    Oberseite hin. Für Pfarrerin Margit Zahn eine einladenden Geste, hier zu stehen und
des Stellenabbaus sei die Umstellung auf       die Hände abzulegen. Das Werk an der Wand macht die Spuren seiner Geschichte
die Digitalisierung sowie schwierige Rah-      sichtbar: Die Metallseile, die den Baum gestützt haben, hat sich das Holz wie eine
menbedingungen, die der Bank zu schaf-         Art Querbalken einverleibt. „Kreuzspannung” nennt der Künstler das.
fen machten.
    Belastend sei vor allem die anhaltende
Negativzinsphase. Da die Bank die 0,4 Pro-
zent Negativzinsen nicht an ihre Kunden
weitergebe, entstünden hier jährlich Kos-
ten von rund zwei Millionen Euro. Auch die
zunehmenden Regularien behinderten das
Geschäft. „Das ist eine toxische Konstella-
tion”, sagte Katzenmayer. Hinzu komme,
dass sich das Kundenverhalten durch die

                                                                                                                                          Fotos: Johanneskirche Hanau
Digitalisierung deutlich geändert habe.
    Trotz der widrigen Umstände sei das
Jahr 2016 für die Bank erfolgreich gewe-
sen, sagte Katzenmayer. Die Bilanzsumme
habe leicht auf 7,1 Milliarden Euro zuge-
legt, der Jahresüberschuss sei ebenfalls
leicht auf 10,1 Millionen Euro gestiegen.      Jahrzehntelang stand der Baum vor der Kirche, jetzt bildet sein Holz ein Kunstwerk
Ziel der Bank sei es, das gewinnbringende
Kreditgeschäft weiter auszubauen.                  Die holzspendende „Kaukasische Flügelnuss” hat das Leben an der Johannes-
    Im Rahmen der Umstellung auf die Er-       kirche begleitet. Kurz nach dem Bau der Kirche war der Baum in den 60er-Jahren
fordernisse des digitalen Zeitalters werde     gepflanzt worden und wuchs zu beachtlicher Größe heran. In seinem Schatten fei-
in Kassel eine Direktbank innerhalb der EB     erten Gemeindemitglieder, Kinder kletterten so hoch wie möglich auf seine Äste.
entstehen, erläuterte Katzenmayer. Diese       Wie alles, was lebt, war der Baum manchem ausgesetzt und musste sich gegen
werde sich vor allem um das Privatkun-         Krankheiten behaupten. Immer wieder wurde er behandelt und abgesichert. Starke
dengeschäft kümmern, das zentralisiert         Metallseile hielten die Äste zusammen – bis der Baum doch gefällt werden musste.
werden soll. Die regionale Nähe für die            Die Entstehung
institutionellen Kunden durch die Filialen     des Kunstwerks hat                                        Ein Baum prägt die
bleibe für die Bank weiterhin wichtig, al-     eine Jury der Evan-                                       Atmosphäre des Ortes:
lerdings werde es hier weniger Personal        gelischen Kirche von                                      Pfarrerin Margit Zahn
geben. Derzeit betreut die EB neben ihren      Kurhessen-Waldeck be-                                     und der Künstler Klaus
19.000 institutionellen Kunden auch rund       gleitet. Mitglieder der                                   Simon im Gemeindesaal
                                                                                                         der Johanneskirche
72.000 Privatkunden an 14 Standorten.          Stadtkirchengemeinde
                                                                                                         nach dem Gottesdienst
    Bei der Evangelischen Bank arbeiten        und des Beirats „Kunst
                                                                                                         zur Vorstellung des
derzeit rund 486 Beschäftigte, mehr als        und Kirche” haben ge-                                     Kunstwerks, dessen
                                                                                                                                         Foto: L. Simmank

die Hälfte davon in Kassel. Sie teilen sich    meinsam beraten und                                       Anschaffung von der
358 Vollzeit- und 114 Teilzeitstellen. Hinzu   den Auftrag erteilt. l                                    Landeskirche gefördert
kommen noch 16 Auszubildende. l epd                  Lothar Simmank                                      wurde

                                                                            blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 4–2017        15
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