2/2020 Musica Sacra Iserlohn

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2/2020 Musica Sacra Iserlohn
2/2020
Sehr geehrte Damen und Herren,

das allgegenwärtige Corona-Virus hat auch auf das kirchenmusikalische Leben
einen gravierenden Einfluss; dies gilt in besonderer Weise für die zahlreichen
Gruppen, die nicht oder nur unter schwierigen Bedingungen proben können, was
sicherlich auch noch längere Zeit der Fall sein wird. Wir sind Ihnen allen dankbar,
wenn Sie Ihrem Chor und anderen Gruppen trotzdem die Treue halten.
Denken wir an die auf unserer Homepage veröffentlichte Video-Reihe „Musik
und Corona“, verdient die Kreativität, mit der zahlreiche Kirchenmusiker und Kir-
chenmusikerinnen in unseren Erzbistum versuchen, geistliches und spirituelles
Leben zu unterstützen, große Anerkennung. Wir laden Sie herzlich ein, diese
Präsentation einmal zu besuchen.
Den französischen Komponisten Gabriel Fauré, Charles Tournemire und Louis
Vierne, derer in diesem Jahr anlässlich des Geburts- bzw. Todestags in besonde-
rer Weise gedacht wird, ist unter der Rubrik „Im Blickpunkt“ ein grundlegender
Artikel gewidmet.
Alle Hinweise auf Konzerte etc. stehen natürlich unter Vorbehalt. Über die aktu-
ellen Entwicklungen informiert Sie unsere Homepage.
Wir wünschen Ihnen, dass Sie trotz der teilweise widrigen Umstände die Freude
am Mittun auf dem Feld der Kirchenmusik nicht verlieren, vor allem aber hoffen
wir, dass Sie und Ihre Lieben gesund bleiben.

Ihre
Thomas Dornseifer, Prälat            Prof. Dr. Paul Thissen
Leiter des Bereichs                  Referat Kirchenmusik
„Pastorale Dienste“
Im Blickpunkt                   2

Literaturhinweise               8

Berichte und Nachrichten        25

Weiterbildungsveranstaltungen   41

Termine                         42

Anschriften                     60
Im Blickpunkt                            ne gewisse Präsenz besitzt. Im Falle      ter Abhängigkeit von der Tatsache         tete sind; dies gilt im Hinblick auf
                                                         Viernes ist das Vergessen insofern        zu sehen, dass alle anderen bedeu-        Frankreich – Debussys Streichquar-
                                                         ein wenig erstaunlich, als sein Leben     tenden zeitgenössischen Komponis-         tett op. 10 (1893) verweigert sich ei-
                                          Paul Thissen   genügend Stoff bietet, aus dem He-        ten – Reger ausgenommen – nichts          ner harmonischen Zentrierung, und
Im Blickpunkt

                                                                                                                                                                                        Im Blickpunkt
                                                         roengeschichtsschreibung gewonnen         Bedeutendes für Orgel geschrieben         bereits ein Jahr später entstand das
                Komponistenjubiläen                      wird. Er erblindete früh, hatte mit ge-   haben, Organisten also zwangsläufig       ganz vom impressionistischen Kolorit
                Fauré – Tournemire –Vierne               scheiterten Beziehungen zu kämpfen,       auf Kompositionen Widor und Vier-         erfüllt Prélude à l´après-midi d´un fau-
                                                         wurde häufig von lebensmüden Pha-         nes zurückgreifen mussten, wenn sie       ne – und erst recht, wenn man über
                Von den Komponisten, die im Mittel-      sen gequält, hatte Schicksalsschläge      in Konzerten mit dem allgemeinen          die Grenzen Frankreichs hinaus blickt
                punkt der diesjährigen „Bildungsta-      wie den Tod zweier Kinder zu verar-       Musikleben in irgendeiner Weise mit-      und z. B. an Béla Bartok und Arnold
                ge für Kirchenmusik“ standen, muss       beiten und starb schließlich im Rah-      halten wollten. Und Faurés Musik ver-     Schönberg denkt.
                Charles Tournemire, der vor allem in     men eines Orgelkonzerts an der Orgel      dankt ihr Überleben – von der Gnade       Den drei Komponisten sind letztlich
                Organistenkreisen durch den zwi-         von Notre Dame, wo er seit 1900 als       der früheren Geburt einmal abgese-        nur zwei Eigenschaften gemeinsam,
                schen 1927 und 1932 entstandenen         titulaire amtierte. Erwähnenswert         hen – wohl nicht zuletzt, wenn man        nämlich die, dass sie Franzosen sind
                Zyklus L´Orgue mystique einen gewis-     ist in diesem Kontext sicherlich auch,    es einmal so sagen darf, ihrer Eleganz    und als Organisten wirkten, eine Tä-
                sen Bekanntheitsgrad erreicht hat-       dass Vierne am Pariser Conservatoire      und Schönheit, während die musi-          tigkeit, die aber nur für Tournemire
                te, als nahezu vollständig vergessen     als Assistent Widors und Alexandre        kalische Sprache Tournemires und          und Vierne tatsächlich auch Berufung
                gelten, wiewohl er zwischen 1900         Guilmants, dem Nachfolger Widors,         Viernes doch deutlich sperriger ist.      war, was allerdings nicht den Blick
                und 1924 acht in Ausdehnung und          wirkte. Nach 19 Jahren unbezahlter        Viernes Kompositionen zeigen zwar         dafür verstellen darf, dass Vierne
                Form unterschiedliche Symphonien         Unterrichtstätigkeit ging Vierne da-      wie die Tournemires Impressionismen       gleichermaßen wie Fauré kaum litur-
                schrieb, die in jeder Hinsicht die von   von aus, in der Nachfolge Guilmants       (z. B. Ganztonleiter und übermäßi-        gisch-geistliche Musik komponiert
                der romantischen Musikästhetik ge-       die Orgelprofessur zu erhalten, die       ge Akkorde), sind aber besonders in       haben, während die religiöse, ja ka-
                forderten Eigenschaften einer Sym-       schlussendlich allerdings mit Eugène      der späteren Phase von einer ausge-       tholische Dimension im Werk Tour-
                phonie erfüllen, nämlich expansive       Gigout besetzt wurde, was für Vierne      prägten Chromatik gekennzeichnet,         nemires sehr dominiert. Im Herbst
                Form, Vielfalt der Mittel und erhabe-    eine Enttäuschung bedeutete, die er       während Tournemire z. B. in den 12        1933 schrieb Messiaen an Tournemi-
                ne Ideen.                                Zeit seines Lebens nicht überwunden       Préludes-poèmes op. 58 für Klavier        re: „Wenn alle modernen Musiker so
                Louis Vierne (1870-1937), aus dessen     hat.                                      oder auch in den Sept Coral-poèmes        gläubig wären wie Sie, dann hätten
                Feder auch eine Symphonie, Klavier-      Wie bereits erwähnt, ist im Gegen-        d´orgue pour les sept paroles di Xrist    ihre Werke vielleicht nicht die Qua-
                musik, Kammermusik (wie bei Franck       satz zu dem Tournemires zumindest         op. 67 z. B. indische Skalen verwendet,   lität Ihrer Musik, aber sie hätten
                sind es Einzelwerke: Violinsonate,       das Orgelwerk Viernes bekannt ge-         die die Bildung von der allzuvertrau-     zumindest mehr Größe, mehr Le-
                Cellosonate, Klavierquintett sowie       blieben, was abhängig vom sym-            ten Klangwelt der Dur- und Molltona-      ben.“ Tournemires unveröffentlichte
                Streichquartett) und Lieder stam-        phonisch-repräsentativen Charakter        lität abweichende und ungewöhnli-         Memoiren enthalten einen auf 1937
                men, ist nur noch als Schöpfer von       der Kompositionen sein dürfte. Dass       che Akkordbildungen ermöglichen.          datierten Eintrag, in dem er Messia-
                Orgelwerken bekannt, während Fauré       es das Orgelœuvre Viernes ist, das        Letztlich aber muss man feststellen,      en einen Prahler schmähte, der die
                auch im heutigen Konzertleben ei-        überlebt hat, ist sicherlich in direk-    dass alle drei Protagonisten Verspä-      heiligsten Ideen ausbeute, und einen

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Antimusiker, der nach guten Anfän-        gegen Szientismus und Positivismus;       sam und zögernd sind, so beschwin-         Schwager Joséphin Péladan, dessen
                gen in eine Regression geraten sei.       zu nennen wären Ernest Héllo (1828-       gen euch doch bald ganz von selbst         lyrisches Drama Il poverello di Assisi
                Diese für den Choleriker Tournemire       1885), Léon Bloy (1846-1917), Charles     die Flügel, die schon Plato ahnte. Die     Tournemire vertont hat, reetabliert
                charakteristische Tirade wurde veran-     Péguy (1873-1914) und Paul Claudel        Liebe ist eine reife, fallende Frucht.     wurde – Tournemire war mit der
Im Blickpunkt

                                                                                                                                                                                        Im Blickpunkt
                lasst durch ein Feuilleton Messiaens,     (1868-1955), die um eine Erneuerung       Aber was wollt ihr lieben, wenn ihr        Schwester der Ehefrau Péladans, mit
                das die Deutung nahe legte, er rech-      der Literatur unter explizit katholi-     an nichts glaubt? Unterdrückt die          Alice Taylor verheiratet. 1888 gründe-
                ne den älteren Komponisten bereits        schen Vorzeichen bemüht waren.            Religion und die Vernunft, und ihr         te Joséphin Paladin zusammen mit
                zu den Meistern der Vergangenheit.        Nicht vergessen werden sollte in die-     entwurzelt die Begeisterung. Ver-          Stanislas de Guaita (1861-1897), der
                Der Ausfall in den Memoiren, die          sem Zusammenhang auch Maurice             neinung schließt die Kunst aus, die        sich auch als Dichter betätigte, den
                Tournemire in seinen letzten Jahren       Maeterlinck, der u. a. Texte des flämi-   doch ihrem Wesen nach bejahend ist.        Ordre Kabbalistique de la Rose-Croix.
                in einem Zustand tiefer Verbitterung      schen Mystikers Jan van Ruysbroek         Jedes Kunstwerk ist eine Glaubens-         1890 überwarfen sie sich aus ideo-
                über die geringe Beachrung seiner         übersetzt hat.                            tat. [...] Kunst ist das Stammeln des      logischen Gründen . Als katholischer
                Werke verfasste, mag auch aus Neid        Von besonderer Bedeutung ist hier         Menschen, der aus dem irdischen            Mystiker verband Péladan mit der
                über Messiaens steile Komponisten-        sicherlich Héllo, der seine Leser auf-    Paradiese verjagt, nicht ins himm-         Gründung des Ordre de la Rose Croix
                Karriere resultieren. Charles-Arnould     fordert, in der Diskussion um die         lische Paradies gelangt ist und nun        Catholique et esthétique du Temple
                Tournemire wurde am 22. Januar            Relevanz des Christentums für das         die verlorene Schönheit immer noch         et du Graal im Jahr 1892 die Hoff-
                1870 in Bordeaux geboren und starb        Leben der Gegenwart Position zu           feiert oder schon feiert. Er ist gefal-    nung, Rosenkreuzertum und katholi-
                am 4. November 1939 in Arcachon.          beziehen. Die Entscheidung für eine       len; die Stätte der Schönheit ist ihm      sche Kirche zu verbinden. Der „Salon
                1898 wurde er als Nachfolger Gabri-       Nachfolge Christi war für ihn ein Akt     verschlossen; auf fremder Erde ent-        rose+croix“ übte auf zahlreiche in
                el Pirnés als titulaire an die Basilika   der Vernunft, und die Verneinung von      wirft aber der Verbannte eine Skizze       Paris lebende Intellektuelle eine gro-
                Sainte-Clotilde berufen, eine Position,   Glaube führt seines Erachtens nach        seines Vaterlandes. Vielleicht nimmt       ße Anziehungskraft aus und wurde
                die er bis zu seinem Tod inne hatte.      nicht nur zur Preisgabe von Religion,     die Kunst in der geistigen Ordnung         zum Treffpunkt von Bildenden Künst-
                Zudem unterrichtete er 1919 bis 1935      sondern auch aller künstlerischen         dieselbe Stelle ein wie die Hoffnung       lern, Literaten und Musikern. Zu den
                eine Kammermusikklasse am Pariser         Ausdrucksmöglichkeiten. „Die Kunst        in der moralischen. Die Kunst ist ein      Mitgliedern zählten u. a. auch Claude
                Conservatoire, für die er relativ viele   ist der Ausdruck der Idee durch ein       Ansatz, ein Versuch, ein Tasten; sie ist   Debussy und Erik Satie, der für das
                Werke schrieb.                            wahrnehmbares Zeichen. Sie findet         ein Handstreich, den der Mensch un-        Rosenkreuzer Orchester z. B. die Trois
                Tournemires Hauptwerk entsteht            aber ihren Ausdruck nur unter einer       ternimmt, um sein Ideal zu fangen;         Sonneries de la Rose+Croix schrieb.
                zeitgleich mit den wichtigsten litera-    Bedingung, und diese Bedingung ist        sie ist Ahnung und Erinnerung.“ (Welt      Später kehrte Péladan ganz in den
                rischen Repräsentanten des Renou-         die Liebe. Die Liebe ist das Leben der    ohne Gott, Leipzig 1938; OA: Philoso-      Schoß der katholischen Kirche zurück,
                veau catholique – einer katholische       Kunst. Sie geht aus der Erkenntnis        phie et Athéisme 1888). Insofern sei       wie übrigens auch der enorm wirk-
                Sammlungsbewegung vor allem               hervor. Um die Wahrheit zu lieben,        alle wahrhafte Kunst symbolisch und        mächtige symbolistische Dichter Paul
                von Schriftstellern und Philosophen,      muss man die Wahrheit sehen. Ihr          verweise auf eine Idee.                    Verlaine ­– „Musique avant toute cho-
                die sich gegen die gesellschaftlichen     schaut sie an, sie ist schön. Das Schö-   Darüber hinaus kam Tournemire              se“ war sein Motto –, dessen Gedich-
                Modernisierungstendenzen in der           ne ruft euch, ihr geht zu ihm hin, und    mit der Bewegung der Rosenkreu-            te sowohl von Tournemire als auch
                dritten Republik ebenso wenden wie        wenn auch eure Schritte noch lang-        zer in Berührung, die durch seinen         von Vierne und Fauré vertont wurden,

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und Joris-Karl Huysmans, dessen Ro-       kommentiert er mit den Worten:           Sulpice berufen. Einen bedeutenden        erlesenen Geschmacks der französi-
                man A rebours („Gegen alle“) einem        „Ich hatte das Gefühl, vom Donner        Einschnitt in seiner Laufbahn mar-        schen Salonkultur, wie sie in Marcel
                dekadenten Ästhetizismus huldigt,         gerührt, zu Boden geschmettert und       kierte das Jahr 1877. Auf Empfehlung      Proust À la recherche du temps perdu
                der schließlich in einer Hymne auf die    vernichtet zu werden [...] Ich liebte    von Saint-Saëns und Gounod wird           literarisch verewigt wurde (Fauré, den
Im Blickpunkt

                                                                                                                                                                                        Im Blickpunkt
                alte Kirchenmusik endet. In Michel        diesen Mann abgöttisch, der mir so       Fauré das Amt des maitre de chapel-       Proust bewunderte und mit dem er
                Houellebecqs Roman Unterwerfung,          ein herzliches Wohlwollen bezeugt,       le der Madeleine-Kirche übertragen,       befreundet war, gilt als Vorbild für die
                kommt Huysmans zu neuen Ehren,            der mich unterstützt und ermutigt,       nachdem der bisherige Amtsinhaber         Romanfigur des Komponisten Vin-
                ist der Protagonist, der Literaturwis-    der mir tiefe Liebe zur Musik eingege-   Théodore Dubois die von Saint-Saens       teuil).
                senschaftler François doch ein Huys-      ben und mich zu den größten Hoff-        aufgegebene Organistenstelle über-
                mans-Forscher.                            nungen angeregt hatte.“                  nahm. In den 80er Jahren reist Fauré
                Tournemire und Vierne ist wiederum        Gabriel Fauré (1845-1924) besuchte       mehrmals nach Deutschland, um
                gemeinsam, dass sie zu den letzten        ab dem 9. Lebensjahr bis 1865 die        Wagner-Aufführungen zu erleben.
                Schülern César Francks zählen, den        berühmte von Louis Niedermey-            Er bewunderte Wagner, hielt jedoch
                sie – einer wie der Andere – wie ei-      er gegründete École des musique          immer eine gewisse Distanz, so dass
                nen Heiligen verehrten, wobei Tour-       classique et religieuse, die – mit ei-   seine Musik weitgehend frei ist von
                nemire der Verfasser einer Monogra-       nem angegliederten Internat – der        Einflüssen Wagners – im Gegensatz
                phie zu Franck ist, wo er seinen Lehrer   Kirchenmusikerausbildung diente.         zu Vierne, in dessen Musik man nicht
                unter Paraphrasierung des Beginns         Nach dem Tod Niedermeyers war            selten einer durch die Tristan-Harmo-
                des Johannes-Ev. (1,10) als einen Mes-    es Camille Saint-Saëns, der die Kla-     nik gefärbten Atmosphäre begegnet.
                sias der Musik darstellt, den seine       vierklasse übernahm; der Unterricht      1896 konnte Fauré nicht nur die von
                Zeitgenossen nicht erkannt hätten.        entwickelte sich bald zu einer Art       Dubois aufgegebene Organistenstel-
                Für Fauré dagegen war Camille Saint-      Seminar, in der Saint-Saëns die vom      le an Madeleine antreten, sondern
                Saens das zentrale Vorbild. Allerdings    offiziellen Lehrplan ausgeschlosse-      zudem am Conservatoire die Kompo-
                unterhielt Fauré auch immer freund-       ne zeitgenössische deutsche Musik        sitionsklasse Jules Massenets über-
                schaftliche Beziehungen zu Franck         (Schumann, Liszt und Wagner) the-        nehmen, wo u. a. auch Maurice Ravel
                und seinem Kreis.                         matisierte. Nicht vergessen werden       sein Schüler wurde; 1905 avancierte
                Louis Vierne, der auch Geige, Brat-       darf, dass er zu den Gründungsmit-       Fauré in der Nachfolge Dubois zum
                sche und Klavier auf professionellem      gliedern der von Saint-Saëns und         Direktor. Dieses repräsentative Amt
                Niveau spielte, nahm zunächst (ab         Romain Bussine initiierten Société       gewährte ihm die Möglichkeit, auch
                1886) Privatunterricht bei Franck und     nationale de musique gehörte, die        die eher ungeliebte kirchenmusikali-
                trat, wie er in seinen Erinnerungen       sich in besonderer Weise der Etablie-    sche Tätigkeit aufzugeben. Basis für
                berichtet, 1890 in die Orgelklasse        rung eines Ars gallica verschrieben      den stetig sich ausbreitenden Ruhm
                Francks ein, zu dem er ein sehr enges     hatte. Im Oktober 1871 wurde Fauré       Faurés ist seine Präsenz als Pianist in
                persönliches Verhältnis entwickelt        (nach einigen anderen Organisten-        den Pariser Salons. Auch sein Kom-
                hatte. Die Nachricht vom Tod Francks      ämtern) an die Chororgel von Saint-      positionsstil galt als Inbegriff des

                6                                                                                                                                                                   7
Literaturhinweise                        Konzerte, das gesamte Repertoire des
                                                             nächtlichen Stundengebets zum Fest
                                                                                                       Nicht nur in Anbetracht des o. a. Zi-      einem Text, sondern mit einer ins-
                                                                                                       tats mag man sich wundern, dass            trumentalen Sinfonia, danach sind
                                                             Johannes des Täufers über die ganze       angesichts einer riesigen und unüber-      „Kommt, eilet und laufet“ die ersten
                    Noten                                    lange Nacht gesungen wurde, und           schaubaren Fülle von Passionsverto-        werkbezeichnenden Worte. Und ge-
                                                             der Abschluss mit dem „Te Deum“ in        nungen und weiteren Kompositionen          rade dieses Laufen der Jünger, der so
Literaturhinweise

                                                                                                                                                                                            Literaturhinweise
                    Chor                                     der Laudes mit der aufgehenden Son-       im Kontext der österlichen Bußzeit         genannte Osterlauf, ist bereits früh
                    Das Osteroratorium - eine unterre-       ne erlebt werden konnte.                  (wie der Sequenz „Stabat mater“,           (ausgehend von den mittelalterlichen
                    präsentierte Gattung?                    Klage, Schmerz, Verwirrung, Nichter-      Lamentationsvertonungen oder der           Osterspielen) in das volkstümliche
                    Einige Überlegungen und Darstellun-      kennen, Ermattung und Unglauben           Evangelienkompilation der „Sieben          Brauchtum eingedrungen.
                    gen zur Vertonung der                    sind die menschlichen Vorboten und        Worte“, letztere war bis ins 20. Jahr-     Der österliche Jubel selbst drückt sich
                    Ostergeschichte                          Begleiterscheinungen der Osterge-         hundert besonders in Frankreich            zuerst maßgeblich im Halleluja aus,
                                                             schichte, das Geschehen am frühen         überaus beliebt) die Zahl der oratori-     das schon nach einer Aussage des
                    „Der Sonnenaufgang ist der Ursprung      Ostermorgen beim Aufgang der Son-         schen Vertonungen des Geschehens           Kirchenvaters Hieronymus (+314) be-
                    des singenden und lobenden Men-          ne hat viele Facetten, und man kann       am Ostermorgen doch recht über-            reits den Kindern gelehrt wurde, um
                    schen“ - dieses Zitat des verstorbenen   es sich vorstellen, dass im Übergang      schaubar bleibt.                           es ihren Verwandten vorzutragen und
                    Münsteraner Domvikars und Dom-           der Nacht zum Tag im Sonnenauf-           Man darf die oratorische Reper-            sogar von den Bauern bei der Arbeit
                    organisten Dr. Hans Ossing (1930         gang der Ursprung des kultisch be-        toirekenntnis selbst ausprobieren:         gesungen wurde. Bereits um 384 ist
                    - 2014), der es wiederum aus einer       wussten Menschen liegt und dieses         „Jauchzet, frohlocket“ kennt man           das Aufstellen einer Osterkerze nach-
                    Theologievorlesung seiner Studien-       Erwachen ihm die Stimme löst und          (Bach: Weihnachtsoratorium), von           weisbar, ebenfalls im 4. Jahrhundert
                    zeit aufgegriffen hatte, klingt nach,    zum Singen bringt.                        der Existenz der Johannespassion           tauchen Vorformen des „Exultet“
                    wenn es um österliche Musik geht.        Im „Corona-Jahr“ 2020 sind die öf-        und der Matthäuspassion aus der            auf (in Anlehnung an den jüdischen
                    Das genannte Zitat wurde seinerzeit      fentlichen Feiern der Osternacht we-      Feder des Thomaskantors hat man            Beraka-Lichtritus zum Entzünden der
                    nach recht kurzer Nacht bei einer        gen der Virus-Pandemie ausgefallen,       mindestens gehört oder gelesen und         Sabbathkerzen). Im gregorianischen
                    frühmorgendlichen Laudes anlässlich      auch für alle Chorsingenden war das       bekommt vielleicht sogar die eine          Repertoire finden sich österliche Mys-
                    eines Treffens von überregionalen        Erlebnis der Feier mit ihrer einzigar-    oder andere Textstelle zusammen            terienspiele, die in Erweiterung des
                    Kirchenmusikern aus NRW erwähnt          tigen Dramaturgie von Dunkel zum          („Und siehe da, der Vorhang im Tem-        Tropus „Quem quaeritis“ szenisch
                    und klang in den Ohren und situativ      Licht somit nicht auf die gewohnte        pel zerriss…“, „Wenn ich einmal soll       aufgeführt wurden und später u. a.
                    mit den müden Stimmen der Anwe-          Weise erfahrbar. Vielen, nicht nur        scheiden“, „Wir setzen uns mit Trä-        auch den Osterlauf der beiden Jünger
                    senden zunächst wenig nachvollzieh-      geübten und gewohnten Kirchgän-           nen nieder…“) - aber wie fängt das         und weitere Elemente enthielten. Aus
                    bar. Sinnlich erfahrbar wurde es aber    gern oder liturgisch Sozialisierten hat   Osteroratorium an? Keine Sorge, das        der szenischen Darstellung dieses an-
                    vielleicht eher nach dem Singen und      das sehr sehnlich gefehlt, wie auch       wissen viele nicht und es ist kein allzu   tiphonalen Gesangs entwickelte sich
                    Wachen in der romanischen Kirche         bereits vorher schon der Ausfall der      großer Bildungsmangel, denn dieses         ab dem 10. Jahrhundert über ganz
                    St. Maria im Kapitol in Köln anläss-     Passionskonzerte, die ebenfalls einen     Werk ist nie so bekannt geworden           Europa (St. Gallen, Winchester, Maas-
                    lich der ersten „Romanischen Nacht“,     festen Platz im kirchlichen wie im so-    wie die vorgenannten oratorischen          tricht, Mainz, Muri, Blois, Palermo
                    in der, unterteilt durch verschiedene    ziokulturellen Leben einnehmen.           Werke. Es beginnt übrigens nicht mit       u.v.a.) durch die Inszenierung dieser

                    8                                                                                                                                                                  9
Osterspiele (die erst später von den      als These so stehen bleiben, sich eher      zu können. Auch die künstlerische         Antonio Scandello: Auferstehungs-
                    bekannteren Passionsspielen abge-         noch dadurch verstärkt wissen, dass         Auseinandersetzung mit Leid und           historie
                    löst wurden) die Urzelle des mittelal-    viele Loblieder gerade angesichts von       Schmerz wie in der Leidensgeschichte      Besetzung: Evangelist (T), Soliloquen-
                    terlichen Theaters. Prozessionen mit      Trauer und Leid entstanden sind: Phi-       führt von der Passio zur emotional        ten SSAATB, Chor SSATB
                    Tanz fanden vermutlich zuerst in der      lipp Nicolai veröffentlicht z. B. 1599 im   sinnfälligen Compassio, die dann wie      Carus-Verlag, Partitur CV 2.008, 36
Literaturhinweise

                                                                                                                                                                                              Literaturhinweise
                    Matutin der Osternacht, später im         „Freudenspiegel des ewigen Lebens“          z. B. in Bachs Johannespassion („Herr,    Seiten, 19,95 €
                    Rahmen der Ostervesper statt, und         sein bekanntes Kirchenlied „Wie             unser Herrscher“, „Der Held aus Juda
                    möglicherweise sind die Labyrinthe in     schön leuchtet der Morgenstern“ in-         siegt mit Macht“, „Ich will dich prei-    Der aus Bergamo stammende Anto-
                    berühmten Kathedralen wie Chartres        mitten einer Pestepidemie in Unna,          sen ewiglich“) nicht sentimentaler        nio Scandello (1517 - 1580) liefert als
                    oder Amiens auch zu diesen Umzü-          auch das bekannte Kirchenlied „Nun          Selbstzweck bleibt, sondern die Trans-    Hofkapellmeister in Dresden - nun-
                    gen genutzt worden bzw. könnten           danket alle Gott“ (1636 von Martin          formation des Leidens und Sterbens        mehr zum protestantischen Glauben
                    damit in Zusammenhang gebracht            Rinckart in Leipzig veröffentlicht)         im christlichen Sinne der Auferste-       konvertiert - ein frühes Beispiel einer
                    werden. Und mit der Weise „Christ         wurde inmitten einer Pest- und Hun-         hung deutet und weiterentwickelt          solchen Historien-Komposition. Um
                    ist erstanden“ ist ein noch heute         gerepoche verfasst, Georg Friedrich         und somit eine dritte Ebene einfügt,      1573 komponiert er nach einer 1530 er-
                    verbreitetes Beispiel eines frühen        Händel komponiert das „Halleluja“           die möglicherweise mutmaßlich auf         stellten textlichen Vorlage von Johan-
                    vorreformatorischen deutschen Kir-        in seinem Oratorium „The Messiah“           den ersten Blick in den musikalischen     nes Bugenhagen (1485 - 1558), einem
                    chengesangs in den Gesangbüchern          in einer dunklen Zeit seines Lebens         Ostergeschichten fehlt, sofern sie        Freund, Beichtvater und Wegbegleiter
                    zu finden.                                nach Misserfolgen und Schulden als          nicht mit der Passion als Basis in Ver-   Luthers, eine Auferstehungshistorie
                    Die Tradition ist also reich und hat,     Opernkomponist, Gustav Mahler               bindung gebracht werden.                  nach den vier Evangelisten („Öster-
                    mehr als das Weihnachtsfest, älteste      streicht in seinem Exemplar des „Te         Gleichwohl gibt es nicht zahllose,        liche Freude der siegreichen und tri-
                    Ursprünge. Auch die Dramaturgie des       Deum“ Anton Bruckners (kompo-               aber doch einige bedeutende Beispie-      umphierenden Auferstehung unseres
                    Ostergeschehens mit dem erwähn-           niert nach einer für den u. a. unter        le zur Vertonung des Ostergesche-         Herrn und Heilandes Jesu Christi“).
                    ten Osterlauf, der Emmausgeschichte       Zwangsvorstellungen leidenden Kom-          hens, die im 16. und 17. Jahrhundert      Dabei verzichtet Scandello auf Instru-
                    und dem Geschehen am Grab (letzte-        ponisten „als Dankgesang für so viel        noch als „Historia“ bezeichnet wur-       mente, auch der Evangelientext wird
                    res von Patrick Roth als aufschlussrei-   überstandene Leiden in Wien“ - Zitat        den und eine frühe Form des Oratori-      unbegleitet im liturgischen Rezitati-
                    che Schilderung eines Bibliodramas        Bruckner) den Zusatz „für Chor, Solo-       ums darstellen.                           onston gesungen. Die Soliloquenten
                    zum Johannesevangelium dargestellt        stimmen, Orchester und Orgel“ und                              Johannes Krutmann      treten mehrstimmig als Gruppen auf,
                    in „Magdalena am Grab“, 2003) dürf-       ersetzt ihn handschriftlich durch „für                                                so dass eine Abwechslung der motet-
                    te dankbare Grundlagen für eine ab-       Engelszungen, Gottselige, gequälte                                                    tischen Sätze vom Bicinium bis zur
                    wechslungsreiche Vertonung bieten.        Herzen und feuergeläuterte Seelen“.                                                   Fünfstimmigkeit entsteht. Diese Kom-
                    Die Frage, warum der Affekt des Lei-      Die Mystik des Ostergeschehens er-                                                    position behielt ihren Modellcharak-
                    dens und der Passion offensichtlich       weckte mit den mittelalterlichen Os-                                                  ter über viele Jahrzehnte und wurde
                    viele Künstler mehr inspiriert als das    terspielen offensichtlich den Wunsch,                                                 noch bis in die Amtszeit von Heinrich
                    Ostergeschehen, muss an dieser Stel-      das Geschilderte mit sinnfälligen Ri-                                                 Schütz regelmäßig aufgeführt.
                    le offen bleiben, darf aber zunächst      ten sehen, begreifen und darstellen

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Heinrich Schütz:                         derts zu verleugnen, verknüpft er den     Thomas Selle: Historia der                ordnung verfasste, die bis 1699 ihre
                    Auferstehungshistorie SWV 50             artifiziellen Motettenstil mit der neu-   Auferstehung                              Gültigkeit behielt und damit auch für
                    Besetzung: Evangelist (T), Soliloquen-   en dramatischen Wortausdeutung            Besetzung: Soliloquenten, achtstim-       Selle gültig war. Anders als seine Vor-
                    ten, achtstimmiger Doppelchor, vier      und Gestaltung nach römisch-italie-       miges Ensemble oder Chor, 2 Violi-        gänger vertont Selle auch den bei Bu-
                    Gamben, Basso continuo                   nischem Stil. Fast wie ein Archaismus     nen, 4 Gamben, Basso continuo             genhagen folgenden Bericht bis zur
Literaturhinweise

                                                                                                                                                                                           Literaturhinweise
                    Carus-Verlag: Partitur CV 20.050/00,     wirkt die Verwendung des dorischen                                                  Himmelfahrt. Von Schütz übernimmt
                    72 Seiten, 27,00 €, Studienpartitur      anmutenden Lektionstons des Evan-         1641 wurde der aus Sachsen stam-          er die Besetzung mit vier Gamben zur
                    20.050/07 19,80 €, Chorpartitur 4,95     gelisten oder die Übernahme von           mende und im Thomanerchor unter           Begleitung der Evangelienreziative,
                    € (Staffelpreise), Stimmenset CV         Scandellos Bicinienbesetzung bei den      Johann Hermann Schein ausgebil-           fügt aber bei den Jesusworten und
                    20.050/09 26,00 €                        Worten einer einzigen Person. Schütz      dete Thomas Selle (1599 - 1663) städ-     anderen Soliloquenten noch zwei Vi-
                                                             - ganz Praktiker - äußert sich in ei-     tischer Kantor und Musikdirektor in       olinen hinzu, wie er es vorher bereits
                    Gut eine Generation später greift        nem ausführlichen Vorwort zu den          Hamburg. Er entwarf dort eine Neu-        bei den Passionsvertonungen prak-
                    Heinrich Schütz noch einmal auf den      musikalischen und dramaturgischen         organisation der Kirchenmusik (teil-      tizierte. Die Vertonung des Evange-
                    nun fast 100 Jahre alten Text von Bu-    Aufführungsmodalitäten. So schlägt        weise nach dem Leipziger Vorbild),        listenparts löst sich deutlich von der
                    genhagen zurück, was sowohl die Ver-     er vor, dass die zweite Stimme bei den    die bis zur Amtszeit von Carl Philipp     Praxis eines Lektionstons zugunsten
                    breitung und Beliebtheit dieser mehr-    genannten Bicinien auch entfallen         Emanuel Bach und damit etwa 150           einer selbständigeren und individuel-
                    fach verlegten Evangelienkompilation     kann, dass beim Evangelienbericht         Jahre ihre Gültigkeit behielt. Die Tat-   leren Darstellung im Sinne eines mo-
                    als auch die Autorität und Wertschät-    „zum besseren effect“ vier Gamben         sache, dass Selle seinerzeit zu den       dernen, affektbetonten Stils.
                    zung seines Verfassers bezeugt. Im       hinzutreten können und dass diese         berühmtesten und gebildetsten Per-        Acht Vokalstimmen und sechs Instru-
                    Jahr 1623 komponiert der 38-jährige      Instrumente und die Orgel bei Liege-      sönlichkeiten der Hansestadt zählte,      mentalstimmen plus Basso continuo
                    Schütz als ein späterer Nachfolger       tönen Verzierungen spielen sollten        seine aus einer musikalischen Blüte-      ergeben ein in den Ecksätzen kraft-
                    Scandellos im Amt des Dresdner Hof-      oder ein Chor getrennt aufgestellt        zeit stammenden Werke heute aber          vollen, blockartig deklamierenden
                    kapellmeisters seine „Historia der       oder sogar verdeckt singen könne.         fast vergessen sind, mag darauf zu-       Satz, wie er wiederum auch in den
                    fröhlichen und siegreichen Auferste-     Die vollendete Wortvertonung orien-       rückzuführen sein, dass diese ebenso      Passionsvertonungen (es ist übrigens
                    hung unseres einigen Erlösers und        tiert sich in den Chören am alten Mo-     großartigen wie meist großbesetzten       Selle, der in seiner Johannespassion
                    Seligmachers Jesu Christi“. Trotz der    tettenstil, der jedoch mit modernen       Werke seinerzeit nicht im Druck er-       zum ersten Mal Intermedien in einer
                    erkennbaren Anlehnung an die Kom-        Elementen wie z. B. des stile concitato   schienen. Selles mindestens regionale     oratorischen Passion einfügt) und
                    position seines Vorgängers bedient       (schnelle, aufgeregte syllabische Ton-    Bedeutung in der damaligen Zeit ist       Geistlichen Konzerten anzutreffen ist
                    er sich hier jedoch eines neuen Stils,   repetitionen) bereichert und affekt-      dahingegen kaum zu überschätzen.          und mit lebendigen, affektbetonten
                    nicht zuletzt durch die Verwendung       voll aufgeladen wird. Den Abschluss       Um das Jahr 1645 komponierte Selle        Soloabschnitten abwechseln.
                    von Instrumenten entsteht hiermit        bildet ein achtstimmiger Doppelchor,      die „Historia der Auferstehung“ und       Ungeachtet der Konfessionsunter-
                    die erste oratorische Vertonung im       zu dem die Evangelistenstimme als         greift dabei noch einmal - fast eine      schiede mag man hier fast von einem
                    deutschen Sprachraum.                    neunte Stimme hinzutritt mit dem          Generation nach Schütz - zurück auf       Venedig an der Elbe sprechen, und die
                    Typisch für Schütz ist der Stildualis-   Ruf „Victoria“, in den das ganze En-      den Text Bugenhagens, der 1529 als        Kirchenmusikkultur Hamburgs sollte
                    mus: ohne das Erbe des 16. Jahrhun-      semble zum Schluss einstimmt.             Hamburger Reformator eine Kirchen-        auch unter Selles Nachfolgern (Chris-

                    12                                                                                                                                                                13
toph Bernhard, Joachim Gersten-          Arien mit großbesetztem Orchester.      Arnold Melchior (oder auch Matthi-       21,20 €, Klavierauszug CV 31.249/03
                    büttel, Georg Philipp Telemann, Carl     Im Stil und in der Charakterisierung    as) Brunckhorst (um 1670 - 1725) war     13,95 €, Chorpartitur CV 31.249/05
                    Philipp Emanuel Bach) über Genera-       der auftretenden Personen ist dieses    als Stadtorganist in Celle und ab 1720   3,40 € (Staffelpreise), Stimmenset
                    tionen unvermindert auf höchstem         frühe virtuose Meisterwerk weniger      als Hoforganist in Hannover tätig,       (komplettes Orchestermaterial) CV
                    Niveau erhalten bleiben.                 als Oratorium angelegt, sondern ori-    damit an zwei ansehnlichen musika-       31.249/19 135,00 €
Literaturhinweise

                                                                                                                                                                                         Literaturhinweise
                                                             entiert sich deutlich an den Gegeben-   lischen Zentren. Von ihm ist neben
                    Georg Friedrich Händel: La Resurrezi-    heiten der italienischen Barockoper.    einer Weihnachtsgeschichte auch die      Von den drei von Bach selbst so be-
                    one HWV 47                               Händel wollte seinerzeit nicht als      Vertonung einer Ostergeschichte mit      zeichneten Oratorien zu Weihnach-
                    Bärenreiter Verlag, Partitur BA 4096,    Oratorienkomponist reüssieren, son-     dem originalen Titel „Partitur auff      ten, Ostern und Himmelfahrt ist das
                    193,00 €, Klavierauszug BA 4096-         dern musste wohl oder übel mit sei-     Ostern“ aus dem Jahr 1720 überlie-       Osteroratorium das am wenigsten
                    90, 32,95 €, Aufführungsmaterial BA      nem ersten Beispiel dieser Gattung      fert, die den Evangelientext nach dem    bekannte. Im Gegensatz zu beiden
                    4096-72 (leihweise)                      eben diese Form wählen, weil Opern-     Markusevangelium und damit nicht         anderen Oratorien wird auf eine Re-
                                                             aufführungen in Rom kirchlicherseits    mehr eine Evangelienharmonie ver-        zitation von Bibeltexten durch einen
                    1708 komponierte der erst 23-jährige     unerwünscht waren. Die endgültige       wendet. In Form eines hochbarocken       Evangelisten ebenso wie auf Chorä-
                    Georg Friedrich Händel (1685 - 1759)     Fassung des lange in Vergessenheit      Oratoriums wechseln frei gedichtete      le komplett verzichtet. Dahingegen
                    das Osteroratorium „La Resurrezio-       versunkenen Frühwerks wurde erst        Arien, Chöre und Instrumentalsätze       werden die solistischen Stimmlagen
                    ne“ in Rom, wo es unter Leitung von      1960 wieder bekannt, als Rudolf         mit dem durchlaufenden Evangelien-       als die biblischen Personen Petrus,
                    Arcangelo Corelli mit ungewöhnli-        Ewerhart in der Santini-Bibliothek in   bericht ab. Brunckhorst zeigt sich da-   Johannes, Maria Jacobi und Maria
                    chem Aufwand an Dekoration und           Münster Händels eigene Kopie des        bei als gediegener Komponist, der be-    Magdalena und somit als Träger der
                    Bühnenaufbau, üppiger und promi-         Dirigentenexemplar auffinden und        sonders in der dreiteiligen Arienform    inhaltlichen und musikalischen Dra-
                    nenter musikalischer Besetzung und       damit eine verbürgte Fassung dieser     zwar bei weitem nicht so spektaku-       maturgie erkennbar. Das Libretto Pi-
                    mit entsprechend großem Erfolg an        geistlichen Oper verifizieren konnte.   läre und virtuose Ergebnisse wie z. B.   canders schildert das Geschehen des
                    zwei Tagen nacheinander aufgeführt                                               Händel liefert, aber doch klangvolle     Ostermorgens und reflektiert das Ge-
                    wurde. Fünf Personen (Engel, Luzifer,    Arnold Melchior Brunckhorst: Oster-     Arien vorlegt, die Chöre sind schlicht   schehene im Hinblick auf die Bedeu-
                    Maria Magdalena, Maria (die Frau des     geschichte nach Markus                  und schwungvoll, damit auch von          tung für den gläubigen Christen.
                    Kleophas) und der Jünger Johannes)       für Soli SATB, vierstimmigen Chor,      weniger ambitionierten Chören gut        Am 1. April 1725 wurde dieses Oratori-
                    sind im italienischsprachigen Libretto   Trompete, Streicher und Basso con-      realisierbar.                            um, das in seiner Ausdehnung nicht
                    von Carlo Sigismondo Capece vertre-      tinuo                                                                            die längeren Kantaten übertrifft,
                    ten, das bereits mit großem Impetus      Carus Verlag, CV 10.012/00 Partitur     Johann Sebastian Bach: Osterorato-       zum ersten Mal aufgeführt. Bereits
                    auf eine dramatische Entwicklung         (40 Seiten) 10,95 €, Chorpartitur CV    rium „Kommt, eilet und laufet“ BWV       vorher, im Februar des gleichen Jah-
                    abzielt. Ein Evangelientext ist nicht    10.012/05 2,20 (ab 40 Expl. 1,98 €),    249                                      res, erklang die weltliche Fassung als
                    vorgesehen, ebenso nur wenige Chor-      komplettes Orchestermaterial CV         Besetzung: Soli SATB, Chor SATB, Or-     Pastoralkantate anlässlich des Ge-
                    stellen, dafür aber eine Fülle (derer    10.012/19 37,00 €                       chester und Basso continuo               burtstages für Herzog Christian von
                    insgesamt 20) rasanter wie inniger,                                              Carus Verlag, CV 31.249/00 Partitur,     Sachsen-Weißenberg. Wie bei den
                    überaus klang- und wirkungsvoller                                                49,00 €, Studienpartitur CV 31.249/07    Kantaten des Weihnachtsoratoriums

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und bei anderen Werken entstand          der Gedanke einer defizitären Zweit-        ganter Stil wirkt lyrisch empfindsam,     (Berlin), Gottfried August Homilius
                    aus der Parodie wenig später ein ei-     verwendung entstehen würde, son-            feinsinnig instrumentiert in den Ari-     (Dresden) und Carl Philipp Emanuel
                    genständiges Werk, das danach noch       dern mit jeder Bearbeitung wieder           en, zupackend in den dankbaren Chö-       Bach (Hamburg) vertont.
                    dreimal von Bach aufgeführt wurde        das Wunder eines originäres Werkes          ren. Keine Spur von Konservativität,
                    und bei jeder Aufführung in typisch      mit eigenem ästhetischem und spiri-         Zurückhaltung oder gar von Schwa-
Literaturhinweise

                                                                                                                                                                                              Literaturhinweise
                    Bach‘scher Manier nicht einfach über-    tuellem Charakter bestaunt werden           nengesang, den der seinerzeit be-         Gottfried August Homilius:
                    nommen, sondern individuell verän-       kann.                                       deutende Philosoph, Übersetzer und        Frohlocket und preiset den herr-
                    dert und überarbeitet wurde.                                                         Literat Ramler in einem Brief (zwei       schenden Sieger
                    Kennzeichnend ist die prägnante          Georg Philipp Telemann:                     Monate vor Aufführung des Werkes)         Oratorium auf Ostern HoWV 1.11
                    instrumentale Eröffnung mit tri-         Die Auferstehung und Himmelfahrt            etwas despektierlich annahm: „…ich        Besetzung: SSATB, Chor SATB, Orches-
                    umphalem Gestus samt Trompeten           Jesu TWV 6:6                                habe ein feyerliches Versprechen von      ter und Basso continuo
                    und Pauken. Nach einem elegisch-         Besetzung: Solo SATB, Chor SATB, Or-        mir gegeben auf Ostern etwas fertig       Renaissance-Musikverlag, Wetterberg
                    klagenden instrumentalen Mittel-         chester und Basso continuo                  zu machen, woran sich ein alter Mu-       7, 24819 Haale
                    teil wird - jetzt zusammen mit dem       Bärenreiter Verlag, Partitur (Leinen)       sikus todtsingen will. Herr Telemann,     Partitur (117 Seiten)
                    Chor - der schwungvolle Dreiertakt       BA 5851 178,00 €; Partitur (kartoniert)     ein Greis von 78 Jahren, will seinen      M-50065-531-2, 49,50 €, Klavierauszug
                    wieder aufgegriffen, so dass sich eine   BA 5851-02, 49,95 € Klavierauszug BA        Schwanengesang singen, und dazu           M-50193-032-6,
                    komplette Konzertform ergibt. Im fol-    5851-90, 29,95 €; Aufführungsmaterial       soll ich ihm die Worte vorsprechen.“      10,50 €, Chorpartitur M-50065-532-
                    genden bemerkenswerten Rezitativ         BA 5851-72 leihweise                        Allein, mit dem „todtsingen“ ließ sich    9, 3,60 €, Harmoniestimmen (2 Fl, 2
                    dialogisieren alle vier Solostimmen,                                                 Telemann noch etwas Zeit, denn es         Ob, 3 Trp, Pk) M-50065-533-6, 9,80 €,
                    es folgen Arien, die im Ausdruck und     Im April 1760 kam mit der Vertonung         folgten noch einige kreative Jahre        Streicherstimmen einzeln, 3,60 €, Vc/
                    der Instrumentation von einem recht      des Librettos „Die Auferstehung und         und ebensolche Werke, die die immer       Kb 5,80 €
                    modernen, fast empfindsamen und          Himmelfahrt Jesu“ von Karl Wilhelm          wieder erstaunliche Schaffenskraft
                    oft kontemplativen Charakter geprägt     Ramler (1725 - 1798) durch den Ham-         und Erfindungsgabe sowie die stilisti-    Gottfried August Homilius (1714 -
                    sind.                                    burger Musikdirektor Georg Philipp          sche Wandlungsfähigkeit Telemanns         1785) gilt als Schüler Bachs, sein Stil
                    Den Abschluss bildet ein jubelnder       Telemann (1681 - 1767) ein neues            bezeugen.                                 ist bereits von liedhaften frühklassi-
                    Chor mit wiederum prächtiger Inst-       Oratorium an die Öffentlichkeit, das                                                  schen Elementen geprägt. Er wirkte
                    rumentalbesetzung, der in einem di-      im beinahe unüberschaubar großen            Die Textvorlage Ramlers, der seiner-      als Organist an der Frauenkirche und
                    rekten und beinahe abrupten Schluss      Werk Telemanns dennoch zu den               zeit als der „deutsche Horaz“ be-         als Kantor an der Kreuzkirche in Dres-
                    ein ebenso wirkungs- wie kraftvol-       späten Glanzlichtern gezählt werden         zeichnet wurde (von ihm stammten          den, später als Musikdirektor für die
                    les Überraschungsende findet. Wie        darf. Immerhin nunmehr 79 Jahre alt,        bereits erfolgreiche vorherige Libretti   drei Hauptkirchen in Dresden und
                    immer trifft Bach mit untrüglicher       zeigt sich der Komponist hier auch          wie z. B. „Der Tod Jesu“ und „Die Hir-    stand als „der wohl jetzt ausgemach-
                    Sicherheit die richtigen und ange-       nach fast 40 Hamburger Dienstjah-           ten bey der Krippe von Bethlehem“)        te beste Kirchenkomponist“ seiner
                    messenen formalen und komposito-         ren und enormer Aufgabenfülle als           wurde in der Folge mehrfach von           Zeit bis ins 19. Jahrhundert in höchs-
                    rischen Entscheidungen, so dass auch     von seiner Erfindungsgabe frisch, in-       Komponisten wie Johann Christoph          tem Ansehen.
                    bei dieser Parodie niemals auch nur      spiriert, vital und jugendlich, sein ele-   Friedrich Bach (Bückeburg, die Musik      1767 komponierte Homilius sein Os-
                                                                                                         ist nicht erhalten), Friedrich Agricola   teroratorium in empfindsamen Stil,
                    16                                                                                                                                                                   17
der mitten in der Zeit des ästheti-      direktors in Hamburg und trat die        Bezug auf die biblische Handlung,         innerhalb dieses Sujets ausübten.
                    schen Wandels bereits Elemente der       Stelle 1768 an, um sich dann kompo-      die in den Arien ihre lyrische Betrach-   Besonders in der spätbarocken und
                    Frühklassik enthält und auf Kanta-       sitorisch verstärkt der Kirchenmusik     tung und Kontemplation erfahren           frühklassischen Zeit scheinen die
                    bilität der Linien sowie Natürlichkeit   zuzuwenden. Bei der Komposition          und von prächtigen Chören wie z. B.       opernhaft dramatischen und innig
                    des Ausdrucks abzielt und so eine        seines Oster- und Himmelfahrt-Ora-       in der großangelegten Schlussfuge         kontemplativen Elemente der Hand-
Literaturhinweise

                                                                                                                                                                                            Literaturhinweise
                    Rührung des Gemüts evoziert, ohne        toriums im Jahr 1774 wählt er diejeni-   mit elaborierter Polyphonie ergänzt       lung eine besondere Attraktivität ent-
                    jedoch auf dramatische Verdichtung       ge Libretto-Vorlage, die Telemann sich   und überhöht werden. Die formale          faltet zu haben. Die neue stilistische
                    zu verzichten. Bei den Solistenparti-    von Ramler hatte anfertigen lassen       und musikalische Vielfalt sowie die       Ausrichtung der Empfindsamkeit mit
                    en ist eine klare Personenzuweisung      und die nun zum meist vertonten          detaillierte Feinheit dieses meister-     ihrem gefälligen Parlando-Konversa-
                    erkennbar (3 Marien SSA, Engel B).       Osteroratoriumstext seiner Epoche        haften Oratoriums ist als idealtypisch    tionston erreicht trotz zunehmender
                    Die Vertonung ist opernhaft, drama-      wird. Finden sich in der Nachfolge Te-   im Sinne aufklärerischer Tendenzen        dramatischer Aufladung und nicht
                    tisch und musikalisch deskriptiv - hat   lemanns wie bereits o. a. etliche Kom-   zu bezeichnen und hinterließ seine        abzusprechender Beherrschung der
                    sich Mozart, der 1789 auf Ostern in      ponisten, die das Ostergeschehen mit     Spuren bis in spätere Generationen,       kompositorischen Mittel jedoch nur
                    Dresden war, möglicherweise in ei-       Ramlers Worten vertonen, beflügelt       es inspirierte und überzeugte noch        selten die spirituelle Dichte und Tie-
                    ner Zauberflötenszene (Auftritt der      CPE Bachs Komposition wiederum           Haydn und Beethoven.                      fe, die bei Schütz und Bach zu finden
                    drei Knaben) vom zweiten Terzett der     Komponisten wie Johann Adolf Schei-                                                ist. Dennoch sind im Repertoire der
                    drei Marien von Homilius inspirieren     be, Georg Josef Vogler und Carl Fried-   Zusammenfassung:                          Ostermusiken sicher noch viele loh-
                    lassen? Die Chöre deklamieren homo-      rich Zelter, sich mit diesem Sujet zu    Zweifellos gibt es im überlieferten       nenswerte Entdeckungen möglich,
                    phon, die dramaturgische Handlung        beschäftigen.                            Werkbestand an Osteroratorien ein         sinnvoll und lohnenswert.
                    ist klar an der Handlung des Osterge-                                             gewisses Defizit, was vor allem im                           Johannes Krutmann
                    schehens orientiert.                     CPE Bach hielt sein Oratorium selbst     Vergleich mit den Passionsverto-
                                                             für eines seiner besten Werke, 1787      nungen auffällt. Wenn diese Musik
                                                             erschien es bei Breitkopf und Här-       auch bei weitem nicht jene Präsenz        Orgel
                    Carl Philipp Emanuel Bach: Die Auf-      tel im Druck. Wolfgang Amadé Mo-         im Konzertleben einnimmt wie die
                    erstehung und Himmelfahrt Jesu Wq        zart, der ihm große Bewunderung          Passionen, existiert gleichwohl ein       César Franck - L’Organiste
                    240                                      entgegenbrachte („Er ist der Vater,      reichhaltiges Repertoire an Ostermu-      (Orgelbearbeitung)
                    Besetzung: Soli STB, Chor SATB, Or-      wir sind die Bubn. Wer von uns was       sik - auch an Oratorien, vielmehr aber    Drei Bände
                    chester und Basso continuo               Rechts kann, hats von ihm gelernt.“),    noch an verschiedensten Formen wie        Butz-Verlag (je 16,00 €)
                    Verlag Kunzelmann, Partitur 49,00 €,     dirigiert 1788 in Wien drei Auffüh-      Oster-Dialogen, Sequenzvertonun-
                    Klavierauszug 29,00 €, Chorpartitur      rungen dieses Oratoriums. Gemäß          gen, geistlichen Konzerten und vor al-    César Franck gilt als der Vater der
                    9,40 €                                   der textlichen Vorlage findet man im     lem an Kantaten. Mit den Libretti von     französisch-symphonischen Or-
                                                             Gegensatz zu Homilius keine epische      Bugenhagen und Ramler liegen zwei         gelschule und als einer der bedeu-
                    Nach dem Tod seines Taufpaten Ge-        Reihenfolge und keine zuweisbare         Textvorlagen vor, die über Jahrzehn-      tendsten Orgelkomponisten aller
                    org Philipp Telemann bewarb sich         Rollenverteilung von biblischen Per-     te eine Inspiration für bedeutende        Zeiten. Seine großen Orgelwerke
                    Carl Philipp Emanuel Bach (1714 -        sonen mehr, auch Choräle entfallen.      Komponisten und damit eine bemer-         bleiben jedoch vermehrt, allein auf-
                    1788) um die Nachfolge des Musik-        Stattdessen nehmen die Rezitative        kenswerte Konstanz und Sukzession
                    18                                                                                                                                                                 19
grund ihrer Länge und Schwierigkeit,       gleich sie doch sehr anspruchsvoll ist     der Pedalgebrauch sehr reduziert. Mit      CD‘s
                    den Berufsmusikern vorbehalten.            – hier Erwähnung finden soll. Nach         der Überarbeitung erhielt jedes Stück
                    In seinem Todesjahr komponierte            klassischer Vorstellung des bekann-        ferner eine weitere Bezeichnung: Ro-       Heinrich Ignaz Franz von Biber:
                    Franck eine Sammlung mit dem Ti-           ten Themas folgen 13 Variationen           manze, Legende, Meditation… - daher        Fidicinum Sacro-Profanum (1682)
                    tel „L’Organiste“. Diese Stücke waren      die sämtliche Stilistiken (Duo, Trio,      die zusätzliche Bezeichnung „Cha-          12 Sonaten für Streicher und Basso
Literaturhinweise

                                                                                                                                                                                               Literaturhinweise
                    zum Gebrauch in der Liturgie und für       Scherzo, Meditation, Toccatina, Pedal-     rakterstücke“. Harmonisch tief in der      continuo
                    das Harmonium bestimmt. Natür-             solo u.a.) berücksichtigen. Die musi-      deutschen Romantik verwurzelt, sind        Georg Muffat: Toccata duodecima
                    lich wurden die Werke auch auf der         kalische Gestaltung ist passend zur        die Werke eine willkommene Berei-          Harmonie universelle
                    Orgel gespielt, was aber aufgrund          Textgrundlage: die Freude ist in jeder     cherung für nicht zu schwere und ge-       Leitung: Florian Deuter und Monica
                    der besonderen Notation für das Har-       der einzelnen Variationen zu spüren.       bräuchliche Literatur dieser Zeit.         Waisman
                    monium (z.B. viele Oktaven) immer          Gekrönt wird diese gut 18-minütige                              Sebastian Freitag     Francesco Corti (Orgel)
                    einer gewissen Einrichtung für die         Komposition durch eine fünfstim-                                                      Label: ACCENT note 1 music ACC
                    Orgel bedurfte. Diese Einrichtung hat      mige Fuge über „Seid umschlungen,                                                     24357 (19,99 €)
                    Martin Böcker nun vorgenommen              Millionen“ (ebenfalls aus dem 4. Satz      Best loved Melodies - Band 4
                    und den kompletten Zyklus in drei          der 9. Sinfonie) kombiniert mit dem        Butz Verlag                                Endlich, möchte man beim Hören
                    Bänden (nach Tonarten geordnet)            Kontrapunkt „Ode an die Freude“.           BU 2956 (Ausgabe mit Pedal)                dieser Aufnahme ausrufen, und zwar
                    herausgegeben. Hinsichtlich Schwie-                               Sebastian Freitag   BU 2957 (Ausgabe ohne Pedal)               mehrfach, denn hier überbieten sich
                    rigkeitsgrad und Länge (in der Regel                                                                                             die musikalischen Entdeckungen in
                    2-3 Notenseiten) sehr überschaubar,                                                   Wie bereits die Bände 1-3 der Reihe        vielerlei Hinsicht.
                    eröffnen diese Stücke auch dem ne-         Josef Renner jun.                          „Best loved Melodies“, so ist auch
                    benamtlichen Organisten die Mög-           12 Präludien op. 67 (Charakterstücke)      Band 4 in einer Ausgabe mit Pedal,         Doch der Reihe nach: In dem kleinen
                    lichkeit, in die Tonsprache eines César    3 Hefte                                    sowie in einer manualiter Ausgabe          Eifeldorf Niederehe befindet sich in
                    Franck einzutauchen.                       Musik Edition Récit, 8,00 €/Heft           herausgebracht worden. Inhalt: Vi-         der ehemaligen Klosterkirche eine
                                           Sebastian Freitag                                              valdi (Der Frühling), Schumann (Träu-      exquisite historische Orgel mit 12
                                                               Band 11 – 13 der Reihe „Bayerische         merei), Fauré (Pie Jesu), Smetana (Die     Registern, die 1715 von Balthasar Kö-
                                                               Orgelmusik zwischen Romantik und           Moldau), Händel (Hornpipe), Mozart         nig (1756 in Menden gestorben und
                    Harald Feller (*1951)                      Moderne“ bringen die vergriffene           („Alleluja“ aus Exultate jubilate), Hän-   begraben, sein Grab ist leider nicht
                    Beethoven-Variationen                      Sammlung der 12 Präludien op. 67           del (Ich weiß, dass mein Erlöser lebt),    erhalten) gebaut und 1998 von Orgel-
                    Variationen und Fuge über die „Ode         des ehemaligen Regensburger Dom-           Mendelssohn (Hochzeitsmarsch),             bau Fasen restauriert wurde. Dieses
                    an die Freude“                             organisten Josef Renner neu heraus.        Gershwin (Themen aus: Rhapsody in          Instrument und diesen Raum haben
                    Edition Schott ED 23165, 18,00 €           Ursprünglich für Orgel oder Harmo-         Blue)                                      sich die international besetzten Mu-
                                                               nium komponiert überarbeitete Ren-         Eine besondere Anmerkung verdient          siker von „Harmonie universelle“ um
                    Passend zum Beethoven-Jahr bringt          ner sein Werk im Laufe der Jahre und       der Hochzeitsmarsch von Mendels-           Florian Deuter und Monica Waisman
                    Prof. Harald Feller (Hochschule für        gab es später als op.67 nur für Orgel      sohn, der in dieser Ausgabe in seiner      ausgesucht, um 12 Sonaten des Salz-
                    Musik in München) eine eindrucksvol-       heraus. Weiterhin sind die Präludien       Langfassung wiedergegeben ist!             burger Dom- und Hofkapellmeisters
                    le Komposition heraus, die – wenn-         aber auf zwei Systemen notiert und                                Sebastian Freitag
                    20                                                                                                                                                                    21
Heinrich Ignaz Franz Biber (1644 -        die wieder jäh unterbrochen wird im         sen sein, wenn die Komponisten sei-      bedeutenden Salzburger Zeitgenos-
                    1704) einzuspielen.                       Stil einer commedia dell’arte, dass es      nerzeit selbst in die Tasten gegriffen   sen und musikalischen Protagonisten
                                                              eine Freude ist.                            haben, mag sich der Hörende fragen       Biber und Muffat mit dieser Referenz-
                    Zudem ist eine Toccata von Georg          Dieser ebenso kurzweilige wie wir-          - immerhin gibt es Überlieferungen       aufnahme jedenfalls grandiose, ideal-
                    Muffat (1653-1704), der zeitgleich mit    kungsvolle, nie aber oberflächliche         von Continuoregistrierungen u. a.        typische Deutungen. Begeisternd und
Literaturhinweise

                                                                                                                                                                                             Literaturhinweise
                    Biber am Salzburger Dom tätig war,        Gestus wird unterstützt durch ein           auch von Bach, bei denen schon ein-      lehrreich, auch und besonders für Or-
                    in der Mitte des Programms dieser         Continuospiel, das es - wiederum            mal ein Fagott 16‘ in der linken Hand    gelinteressierte und Tastentätige.
                    CD enthalten. Unter den Händen des        endlich - einmal wagt, eine größere         empfohlen wird. Das ist heute aus                          Johannes Krutmann
                    italienischen Organisten Francesco        Orgel als eine Truhenorgel einzu-           der Mode gekommen und die Auf-
                    Corti wirkt die Toccata duodecima         setzen und mitunter auch mehr als           führungspraxis ist oft zu pragma-
                    aus dem ebenfalls in Salzburg 1690        nur einen mageren Achtfußklang im           tisch - was anhand von notwendigen       Amelie Held „Début“
                    veröffentlichen „Apparatus musico-        Sinne von „nur nicht stören“ (wie es        schnellen Ergebnissen bei Konzert-       Klais-Orgel in der Abteikirche
                    organisticus“ von Georg Muffat            doch so oft im Generalbassunterricht        proben, Vermeidung von Intonati-         Himmerod
                    unakademisch, lebendig, abwechs-          in den letzten Jahrzehnten gelehrt          onsproblemen bei hochliegenden
                                                                                                                                                   Edition Hera
                    lungsreich artikuliert und registriert,   und praktiziert worden ist) zu ver-         Mixtur- oder Aliquotklängen mit den
                    das rheinisch-frankophile Kolorit         wenden. Und so bringt sich die Orgel        Streichern u. a. sogar auch nachzu-
                                                                                                                                                   Großartiges hat die erst 24-jährige
                    der mittlerweile ältesten Orgel aus       mutig und nachhaltig ein in den Ge-         vollziehen ist.
                                                                                                                                                   Amelie Held hier geleistet! Gleich bei
                    Rheinland-Pfalz passt hervorragend        samtklang, prägt ihn, bereichert ihn,
                                                                                                                                                   Ihrer ersten CD-Aufnahme handelt es
                    zu dieser Musik.                          lässt es blühen - oder vergehen, und        Dass es funktionieren kann und wie
                                                                                                                                                   sich um einen Live-Mittschnitt eines
                                                              begleitet dort, wo es passt, nicht nur      bereichernd dann das Ergebnis ist,
                                                                                                                                                   Konzertes an der großen Klais-Orgel
                    Die Werke Bibers sind extrovertiert,      passiv, sondern greift bisweilen kraft-     das ist auf dieser CD zu erleben. Bi-
                                                                                                                                                   in der Abteikirche Himmerod. Ihr
                    virtuos, affektvoll, expressiv, kont-     voll und energisch ins Geschehen ein,       bers Musik ist grandios, Königs Orgel
                                                                                                                                                   Spiel ist makellos, ihre Technik atem-
                    rastreich - und in diesem Sinne ein       indem die Partitur und eben die Mu-         ist klangprächtig und die Ausführen-
                                                                                                                                                   beraubend und auch musikalisch sind
                    idealtypisches Abbild des Barock,         sik gespielt wird, nicht nur die Ziffern,   den kennen keine Grenzen von Aus-
                                                                                                                                                   die Stücke bis ins Detail ausgearbei-
                    dennoch - vielleicht mit Ausnahme         eben je nach musikalischem Kontext          druck und Spielfreude. In Anlehnung
                                                                                                                                                   tet. Und das bei einer Programmaus-
                    seiner Rosenkranzsonaten und der          mal mehr, mal weniger, und wie es           an das von Beethoven über Bach
                                                                                                                                                   wahl, die man in dieser Kombination
                    anonym überlieferten Missa Salibur-       sich gehört auch die einstimmigen           mündlich überlieferte Diktum („Nicht
                                                                                                                                                   wohl so gut wie gar nicht antrifft. Der
                    gensis - eher unbekannt und selten        Linien, wenn der Bass schweigt.             Bach, sondern Meer sollte er heißen“)
                                                                                                                                                   Orgelmusikkenner freut sich über
                    zu hören. Deuter und sein Ensemble        Dass dies alles mit großer Verve und        möchte man sagen: „Nicht Biber, son-
                                                                                                                                                   Klassiker: die Passacaglia von Bach
                    zelebrieren diese Musik auf eine Art,     ebensolcher Freiheit geschieht, dabei       dern Wal müsste er heißen“, aber das
                                                                                                                                                   oder das Carillon de Westminster
                    die vom ersten Ton an aufhorchen,         aber auf jegliche Mätzchen verzich-         wäre angesichts der Ernsthaftigkeit
                                                                                                                                                   von Vierne. Der Pianist findet Orgel-
                    vielmehr aufschrecken lässt: kein         tet wird, verrät die musikalische und       des Unternehmens doch zu platt,
                                                                                                                                                   bearbeitungen von Liszt und Chopin.
                    Affekt ist mittelmäßig, die Kontraste     stilistische Sicherheit der Ausführen-      und der Salzburger Meister schreibt
                                                                                                                                                   Die Krönung des Programms: Die
                    steigern sich bis in rotzig-rhetorische   den. Sehr mitreißend und erkenntnis-        sich ja ohnehin ohne „e“; in Deuter
                                                                                                                                                   Carmen-Fantaise von George Bizet in
                    Eruptionen, die melodischen Linien        reich ist es, dies anzuhören.               und seinem Ensemble erfahren die
                                                                                                                                                   einer Bearbeitung von Edwin Lemare.
                    entfalten sodann eine edle Anmut,         Könnte es so oder so ähnlich gewe-
                    22                                                                                                                                                                 23
Die Orgel als großes Orchester – hier
                    wird einmal mehr deutlich, wie ef-
                                                              volle Punktzahl und ist für jeden Or-
                                                              gelmusikhörer im CD-Regal eine Be-
                                                                                                       Berichte und Nachrichten
                    fektvoll eine Orgel heutzutage durch-     reicherung!
                    aus genutzt werden kann.                                       Sebastian Freitag
                                                                                                       Aus dem Erzbistum                        genmerk galt im Besonderen dem in
                                                                                                                                                Deutschland weitgehend zu Unrecht
                    Amelie Held, die zur Zeit ihr Solis-                                                                                        ignorierten Kammermusikschaffen
                                                                                                       Bildungstage Kirchenmusik 2020
Literaturhinweise

                    tenstudium in der Orgelklasse von

                                                                                                                                                                                         Berichte und Nachrichten
                                                                                                       Vers la lumière - Ins Licht              Viernes und den nahezu völlig verges-
                    Ludger Lohmann absolviert, schreibt                                                                                         senen Symphonien Tournemires. An-
                    im Vorwort: Um den speziellen Wün-                                                 Musik von Fauré, Tournemire und
                                                                                                                                                hand von Klangbeispielen, Quellenzi-
                    schen des Veranstalters nach einem                                                 Vierne                                   taten und biographischen Aspekten
                    „nicht (zu) akademischen Konzert-                                                                                           traten die Künstlerpersönlichkeiten
                    programm“ gerecht zu werden und                                                    Anlässlich des 175. Geburtstags Fau-     aus den stoischen Lettern ihres Na-
                    trotzdem sowohl die Vielseitigkeit                                                 rés und des 150. Tournemires und         mens plastisch hervor.
                    des Instrumentes als auch die der                                                  Viernes hatte Referatsleiter Prof. Dr.
                    Orgelmusik im Allgemeinen hervor-                                                  Thissen zu einer Entdeckungsreise        Der Verfasser dieser Zeilen hielt die
                    zuheben, habe ich ein Programm                                                     in das musikalische Schaffen dieser      Chorproben und konnte mit den, auf
                    konzipiert, das ein breites Publikum                                               Komponisten, abseits des vorder-         alle Stimmgruppen gleichmäßig ver-
                    anspricht und nicht nur „geübte“ Hö-                                               gründigen Orgelrepertoires, einge-       teilten, leistungsfähigen Stimmen
                    rer.                                                                               laden. 55 Interessierte folgten unter    in kurzer Zeit Stücke verschiedener
                    Diesen Anspruch erfüllt die CD oh-                                                 diesen Vorzeichen von Donnerstag         Besetzungen und Schwierigkeits-
                    ne jeglichen Abstrich! Kompositi-                                                  2. Januar bis Samstag 5. Januar im       grade erarbeiten. Darunter waren
                    onen von Bach, Mozart, Karg-Elert,                                                 IN VIA-Hotel Paderborn seiner Einla-     gleichstimmigen Werke Faurés zu 2-3
                    Liszt (Der heilige Franziskus), Vierne,                                            dung und sahen sich einer Mischung       Stimmen (Messe basse, Ave verum,
                    Chopin und Bizet zeigen zahlreiche                                                 aus Vorträgen, Chorproben und ei-        Ave Maria, Vielle chanson) sowie
                    Klangfarben und die weit gefächerte                                                nem hochkarätigen Konzert in der         vierstimmige Sätze Viernes (Tantum
                    musikalische Bandbreite, die auf der                                               Kaiserpfalz gegenüber.                   ergo und das Kyrie aus seiner Messe
                    Klais-Orgel dargestellt werden kann.                                                                                        solennelle). Dank der unkomplizier-
                    Und als Bonus obendrauf: In der CD-                                                Die Dekanatskirchenmusiker Tobias        ten Kontakte DKM Sebastian Freitags
                    Box ist zusätzlich eine DVD enthal-                                                Leschke und Dr. Christian Vorbeck        zu Dom und Dom-Orgel war spontan
                    ten, sodass – was bei Orgelkonzerten                                               spannten die Bögen Ihrer Erläuterun-     eine auswärtige Probe im Hochchor
                    oft (zurecht) bemängelt wird – man                                                 gen von der Verortung der Kompo-         mit der kathedralesken Orgelanlage
                    Amelie Held bei ihrem Spiel zusehen                                                nisten-Trias im Pariser Musikleben       unter seinen Händen möglich.
                    kann. Auch hier sind die Kamerafüh-                                                um 1900 bis hin zur Entwicklung des
                    rungen und Einstellungen hervorra-                                                 Orgelbaus nebst der hieraus resultie-    Den künstlerischen Höhepunkt mar-
                    gend und vielseitig.                                                               renden Wechselwirkungen mit dem          kierte das Konzert in der gut besuch-
                    In allem erhält diese CD-Aufnahme                                                  Oeuvre Viernes. Prof. Thissens Au-       ten Kaiserpfalz am Freitagabend: Je

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