2021 magazin(e) - frühling sommer printemps été - Epi Suisse

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2021 magazin(e) - frühling sommer printemps été - Epi Suisse
magazin(e)
                    Schweizerischer Verein für Epilepsie
                      Association suisse de l’Epilepsie
                    Associazione svizzera per l’Epilessia

2021
frühling · sommer
printemps · été
2021 magazin(e) - frühling sommer printemps été - Epi Suisse
E D I TO R IA L                                                                                                                INHALT / CONTENU

                                                                                                                               DEU TSC H

    Liebe Leserin, lieber Leser                                            Chère lectrice, cher lecteur,                         3 Engagement
                                                                                                                                       Jeder Mensch sollte wissen, was Epilepsie ist
    Für diese Ausgabe durfte ich einen jungen                              Pour cette édition, j’ai eu le privilège de
    Mann porträtieren, der seinen ersten Anfall                            dresser le portrait d’un jeune homme qui
    mit zehn Jahren hatte. Er hatte eine sehr                              a eu sa première crise à dix ans. Il a connu          4 Porträt – Lars Reinfried
    schwere Zeit in der Schule, wurde gemobbt                              une période très difficile à l’école, où il a été
                                                                                                                                       „Wenn ich die höchsten Berge bezwingen
    und ausgeschlossen. Doch Lars Reinfried                                harcelé et mis à l’écart. Mais Lars Reinfried
                                                                                                                                       kann, dann auch diese Krankheit“
    hat nie aufgegeben. Die Begegnung mit                                  n’a jamais abandonné. J’ai été très impres-
    dem 23-Jährigen hat mich tief beein-                                   sionnée par ma rencontre avec ce jeune
    druckt. Stets hat er seinen Kampfgeist und                             homme de 23 ans. Il a toujours gardé sa
    Optimismus behalten. Heute erklimmt er                                 combativité et son optimisme. Aujourd’hui,
    die höchsten Gipfel dieser Welt. Lesen Sie                             il escalade les plus hauts sommets du
    seine eindrückliche Geschichte.                                        monde. Lisez son histoire marquante.                  6 Fachartikel
    Kinder bekommen trotz Epilepsie? Ist das                               Avoir des enfants malgré l’épilepsie? Est-ce                „Epilepsie ist praktisch nie ein Grund,
    überhaupt möglich? Ja, ist es. „Epilepsie ist                          seulement possible? Oui, ça l’est. «L’épilepsie             auf Kinder zu verzichten.“
    praktisch nie ein Grund, auf Kinder zu ver-                            n’est pratiquement jamais une raison de
    zichten“, sagt die Neurologin Dr. med. Silke                           renoncer à avoir des enfants», explique Silke         8 Kinderwunsch
    Biethahn. Erfahren Sie im Interview mit der                            Biethahn, neurologue. Découvrez dans son                    Betroffene erzählen
    Ärztin, worauf Betroffene besonders achten                             interview à quoi les femmes atteintes d’épi-
    müssen, wenn sie schwanger werden                                      lepsie doivent être particulièrement atten-
    wollen, und ob das Anfallrisiko während                                tives lorsqu’elles veulent tomber enceintes         10		Mitgliederumfrage 2020
    einer Schwangerschaft steigt. Ausserdem                                et si le risque de crises augmente pendant la
    kommen drei betroffene Frauen und ein                                  grossesse. Nous donnons en outre la parole
    angehöriger Mann zu Wort. Wie war es                                   à deux femmes concernées l’un de leurs              11		Neues von Epi-Suisse
    für sie, trotz ihrer Krankheit schwanger zu                            compagnons. Comment ont-ils vécu cette                      Aktuelle Infobroschüren
    werden? Sie erzählen offen und ehrlich.                                grossesse en dépit de la maladie? Ils en
                                                                           parlent ouvertement et en toute franchise.
    Weiter erfahren Sie in dieser Ausgabe,                                                                                     12		Sozialberatung
    welche Veranstaltungen in diesem Jahr ge-                              Cette édition récapitule également les ma-
                                                                                                                                       Ich habe Epilepsie und bin 18 Jahre alt –
    plant sind, was die Sensibilisierungsaktion                            nifestations prévues cette année, présente
                                                                                                                                       kann ich den Führerausweis machen?
    „100 Millionen Schritte für die Welt, über                             la campagne de sensibilisation «100 millions
    6.9 Millionen für die Schweiz“ war und wie                             de pas pour le monde, plus de 6.9 millions
    sie endete.                                                            pour la Suisse» et précise comment elle s’est       13		Events 2021
                                                                           terminée.
    Ich wünsche Ihnen viel Spass
    beim Lesen.                                                            Je vous souhaite une agréable lecture!              E N FR A N Ç A I S

                                                                                                                               14 Portrait –
                                    Carole Bolliger
                                    Redakteurin / Rédactrice
                                                                                                                                  Lars Reinfried
                                                                                                                                       «Je me sentais comme une
                                                                                                                                       erreur qu’il faut corriger»

                                                 Mit freundlicher Unterstützung von                                            16 Article spécialisé
                                  Ces sociétés ont la gentillesse de soutenir les projets d’Epi-Suisse
                                                                                                                                       «L’épilepsie n’est pratiquement jamais une
                                                                                                                                       raison de renoncer à avoir des enfants»

                                                                                                                               19 Méli-mélo

                                                                                                                               20 Conseil social
                                                                                                                                       Permis de conduire et réduction
                                                                                                                                       de primes d'assurance-maladie

     IM PR E S S U M                                                                                                           22 Enquête 2020
     Herausgeber/Editeur                                        Redaktion/Rédaction             Layout/Concept/Réalisation        auprès des membres
     Epi-Suisse                                                 Carole Bolliger                 holiframes.ch, Zürich
     Schweizerischer Verein für Epilepsie
     Seefeldstrasse 84                                          Korrektorat/Correction          Produktion/Production
                                                                Helen Gysin, Anne Fournier      Stutz Medien AG, Wädenswil
     CH-8008 Zürich
                                                                                                Auflage/Tirage 1800 Ex.        23 Nouveautés
2
      © 2021 Epi-Suisse, Schweizerischer Verein für Epilepsie, Zürich
2021 magazin(e) - frühling sommer printemps été - Epi Suisse
ENGAG E ME NT

Jeder Mensch
sollte wissen,
was Epilepsie ist                                                                                                                        Meggie Kelmendi, 39 Jahre
                                                                                                                                   Aufgezeichnet von Carole Bolliger

„2011 wurde bei mir Epilepsie diagnostiziert.        meine eigene Betroffenheit durfte ich vieles       für Procap tätig sein. Diese Organisation unter-
Da stehst du mitten im Leben, bist am Arbeiten       sehen und lernen: wie es für mich war, meine       stützt viele Projekte, um über Beeinträchtigun-
und Studieren und ‚wusch‘ geht fast eine             Familie und mein Umfeld. Ich habe Gutes und        gen aufzuklären und den Menschen zu zeigen,
Welt unter. Auf der Suche nach Informationen         Schlechtes erleben dürfen. Und diese Erfahrun-     wie man bei einem Anfall ‚richtig‘ reagiert.
über diese Krankheit stiess ich online auf die       gen möchte ich mit anderen Betroffenen teilen      Denn die Öffentlichkeit muss besser aufgeklärt
Website von Epi-Suisse. Ausserdem sah ich in         und ihnen hoffentlich damit helfen.                sein über diese Krankheit und die Folgen.
den Spitälern Prospekte über die Patientenor-
ganisation. Wobei ich finde, dass diese leider       Seitdem wir die Selbsthilfegruppe in Biel          Betroffene und Angehörige brauchen mehr
nur so nebenbei dort rumliegen. Epi-Suisse half      gegründet haben, leite ich diese. Ich mache        Aufklärung, kein Fachchinesisch, sondern eine
mir damals, in Biel eine Selbsthilfegruppe zu        dies mit viel Freude und Engagement. Was ich       klare und verständliche Sprache und direkte
gründen. Die Organisation beantwortet Fragen,        damit erreichen möchte? Am liebsten, dass          Hilfe. Epi-Suisse wünsche ich, dass die Organi-
hilft, wo es geht, und ist immer für einen da,       jeder Mensch weiss, was Epilepsie ist und die      sation noch mehr Wertschätzung und Bekannt-
das ist unbezahlbar. Durch Epi-Suisse habe ich       Krankheit kennt. Dass die Menschen keine           heit in der Öffentlichkeit bekommt. Ich bin sehr
gemerkt, dass ich nicht alleine bin.                 Angst davor haben und Betroffenen gegenüber        froh, dass es Epi-Suisse gibt. Ich weiss, dass ich
                                                     offener sind. Ich versuche, mit meinem Engage-     jederzeit zu Epi-Suisse kommen kann und dass
Es ist mir ein grosses Anliegen, mich für Betrof-    ment diesem Ziel täglich einen Schritt näher zu    ich dort immer ernst genommen werde, das ist
fene und Angehörige einzusetzen. Denn durch          kommen. Durch Epi-Suisse darf ich nun auch         ein schönes Gefühl und dafür bin ich dankbar.“

                                                                                                                        BUCHV ORS TE LLU NG

Eine Geschichte über
Freundschaft und Anderssein
Das Kinderbuch Elepsiquadrie erzählt die            fen wissen, bringen sie Theo ins Waldkran-
Geschichte vom Dachs Theodor, dem Wild-             kenhaus. Dort erfahren die drei Freunde vom
schwein Greta und dem Fuchs Willibald. Die          Arzt, Dr. Lurch, dass Theo an Epilepsie leidet.
drei Tiere leben im Sonnenwald und lieben es,       „Elepsiquadrie? – Das merk ich mir nie“, sagt
ihre Zeit draussen zu verbringen und Fuss-          darauf Theo. Die drei Freunde erfahren, was
ball zu spielen. Theodor ist der beste Torhüter     Epilepsie ist, und der Arzt erklärt ihnen, wie
überhaupt, doch eines Tages passiert etwas          sie bei einem nächsten Mal richtig reagieren
Unerwartetes: Theo fängt den Ball nicht, son-       können. Theo ist froh und dankbar, dass er         Das Kinderbuch „Elepsiquadrie“ geschrieben
dern liegt am Boden und schaut so anders als        seine Freunde an seiner Seite hat. Dr. Lurch       und illustriert mit Zeichnungen, Artwork und
sonst. Die Freunde wissen nicht, was mit ihm        bringt es auf den Punkt: „Was wirklich zählt       Fotos von Filzfiguren hat die Österreicherin Ka-
los ist, bis Theo nach zwei Minuten wieder bei      auf dieser Welt, ist, dass jemand da ist, der      thrin Reiter. Sie ist Mutter und selbstständige
sich ist und klagt, dass er hungrig und müde        einen hält, wenn man fällt.“                       Grafikdesignerin. Dies ist ihr erstes Kinderbuch.
sei. Da sich Greta und Willibald nicht zu hel-

Infos und Bestellung unter: www.farbregen.at · Das Buch ist auch in der Bibliothek von Epi-Suisse ausleihbar.

                                                                                                                                                                 3
2021 magazin(e) - frühling sommer printemps été - Epi Suisse
PO R T R ÄT

    „Wenn ich die höchsten Berge
    bezwingen kann, dann auch
    diese Krankheit“
    Lars Reinfried erklimmt die höchsten Gipfel dieser
    Welt. Doch den härtesten Kampf erlebte er in der
    Schule, als er wegen seiner Epilepsie gemobbt und
    zum Aussenseiter wurde. Der 23-Jährige ist heute
    als Epi-Coach bei Epi-Suisse aktiv und will anderen
    Betroffenen Mut machen.

    Text: Carole Bolliger · Foto: Reto Schlatter

        My.Epi-Coach
        Im Mai 2019 lancierte Epi-Suisse die Vernet-
        zungsplattform My.EpiCoach. Sie ermöglicht
        Betroffenen, Eltern und anderen Angehörigen,
        rasch und unkompliziert einen Gesprächspartner
        zu finden, um sich über die Krankheit auszutau-
        schen. Das Angebot stiess auf grosse Resonanz.
        Bis heute sind schon über 50 Epi-Coaches im
        Einsatz und eine grosse Zahl Betroffener und
        Eltern haben zugesagt, in Einzelfällen für einen
        Austausch zu Verfügung zu stehen. Infos und
        Anmeldung:

        www.myepicoach.ch, Telefon 043 488 68 80
        oder info@epi-suisse.ch

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A
        ls er zehn Jahre alt war, hatte er       seiner grossen Stütze und Vertrauensperson.        sagt der 23-Jährige. Und dieses Gefühl liess
        seinen ersten Anfall. „Ich sass mit      „Trotzdem fühlte ich mich total verloren“,         ihn nicht mehr los. Er wollte noch mehr, noch
        meiner Familie vor dem Fernseher,        sagt Lars Reinfried. Einmal in der Oberstufe       steiler, noch höher. So bestieg er bald darauf
wir haben Pizza gegessen, dann erinnere ich      passierte es und er hatte einen Anfall in der      in einer fünftägigen sogenannten Spaghetti-
mich an nichts mehr“, erzählt Lars Reinfried.    Schule. „Danach war ich total untendurch,          Tour zehn 4000er. „Während dieser Tour habe
Der junge Mann sitzt auf dem Sofa in sei-        niemand wollte mehr etwas mit mir zu tun           ich das Matterhorn jeden Tag gesehen und ich
nem Elternhaus im Kanton Glarus. Er will mit     haben“, erinnert er sich. Der gesellige junge      wusste, das ist das nächste Ziel“, erzählt Lars
seiner Geschichte an die Öffentlichkeit, um      Mann wurde ungewollt zum Einzelgänger.
anderen Mut zu machen, nicht aufzugeben.         „Ich fühlte mich wie ein Fehler, den man
In der Epi-Klinik in Zürich wurde ihm Epilep-    korrigieren muss.“
sie mit starken Anfällen diagnostiziert. „Die                                                                „DA OBEN WAR ICH
Anfälle dauerten etwa zehn Minuten, aber         Nach der harten Oberstufenzeit fing er eine                 EINFACH LEBENDIG“
für mich waren sie nie schlimm, da ich gar       Lehre als Koch an. Trotz seiner Anfälle und
nichts davon mitbekam“, sagt der 23-Jährige.     obwohl die Ärzte über seine Wahl nicht be-
Doch nach den Anfällen litt er: er schlief       geistert waren. Aber alles wollte er sich nicht
mindestens zwölf Stunden am Stück, war           von der Krankheit nehmen lassen. Er absol-         Reinfried, der mittlerweile seine Leidenschaft
körperlich ausgelaugt, an die zwei, drei Tage    vierte die Ausbildung, ging gerne in die Be-       auch zum Beruf gemacht hat und in einem
vor dem Anfall hatte er nur noch bruchhafte      rufsschule, wo er zum ersten Mal einen Leh-        Sportgeschäft, spezialisiert auf Bergsteigen
Erinnerungen.                                    rer hatte, der ihn förderte und unterstützte       und Klettern, arbeitet. Gesagt, getan. Mit sei-
                                                 und auf seine Bedürfnisse eingehen konnte.         nem Bergführer bestieg er den Berg und er-
                                                 Nach der Ausbildung ging er für drei Mona-         reichte den Gipfel, trotz verletztem Knie. „Ich
                                                 te nach England in einen Sprachaufenthalt.         stand da, auf diesem berühmten Berg, ganz
      „ICH FÜHLTE MICH WIE                       „Das war ein Neuanfang für mich, niemand           alleine, ein Wahnsinnsgefühl“, erzählt er. Sei-
      EIN FEHLER, DEN MAN                        kannte mich da oder meine Vorgeschichte, da        ne Augen leuchten wie Kinderaugen zu Weih-
       KORRIGIEREN MUSS“                         bin ich richtig aufgeblüht“, erzählt er. Es ge-    nachten.
                                                 fiel ihm so gut und er machte auch in der
                                                 Sprachschule so grosse Fortschritte, dass er       Es folgten weitere Berge und Gipfel in der
                                                 gleich nochmals drei Monate anhängte. Nach         Schweiz und dem nahen Ausland und eigent-
Obwohl er nie in der Schule einen Anfall         der Schule wollte er noch nicht nach Hause.        lich hätte er im vergangenen Sommer nach
hatte, fingen seine schulischen Leistungen       „Ich fühlte mich zum ersten Mal in meinem          Kirgistan und im Herbst nach Nepal reisen
erheblich an zu sinken. Durch viele Absen-       Leben so richtig frei und hatte meine Lebens-      wollen, um in Kirgistan verschiedene Gipfel
zen, weil er direkt nach einem Anfall nicht      freude wieder gefunden“, sagt er und strahlt       und in Nepal den Himlung Himal mit einer
zur Schule konnte. Er wurde vergesslich und      übers ganze Gesicht. So suchte und fand er         Höhe von 7126 Metern zu erklimmen. Beides
seine Mitschüler fanden ihn plötzlich „ko-       eine Stelle als Sushikoch und blieb insgesamt      musste abgesagt werden wegen Corona. Doch
misch“. Auch die Lehrer konnten nicht mit        1.5 Jahre in England. Er fing mit intensivem       Lars Reinfried lässt sich nicht aufhalten, weder
der Situation umgehen und setzten sich auch      Sport an, trainierte vier bis fünf Mal die Wo-     von Corona noch von der Epilepsie: „Im Ap-
nicht damit auseinander. Für sie war Lars        che mit einem Personaltrainer.                     ril versuche ich, den Elbrus, mit 5642 Metern
Reinfried einfach faul und wollte nicht. „Es                                                        der höchste Berg Europas und einer der Se-
war eine verdammt harte und schwierige Zeit      TRAUM VOM BERGSTEIGEN LIESS                        ven Summits, zu besteigen und im November
für mich“, sagt er und der Schmerz von da-       IHN NICHT LOS                                      geht’s nach Nepal, wo ich den Chulu Far-East
mals ist ihm auch heute noch anzumerken.                                                            (6038 m) erklimmen möchte“, erzählt Lars
Immer mehr wurde er von seinen Mitschülern       Irgendwann musste er zurück in die Schweiz.        Reinfried seine nächsten Pläne. Ein grosser
verstossen. „Ich habe mich mit aller Kraft da-   Aber er kam gerne nach Hause. „Ich konnte bei      Traum von ihm ist sicherlich auch, den Mount
gegen gestemmt, ich wollte diese Krankheit       null anfangen, ein gutes Gefühl.“ Lars Rein-       Everest zu besteigen, und das Ziel aller Ziele
nicht haben. Ich war wütend auf die anderen,     fried arbeitete kurze Zeit als Metzger, merkte     ist die Eiger-Nordwand. Unzählige Berge hat
auf mich, auf die Krankheit, auf die ganze       aber bald, dass das nicht der richtige Beruf für   der 23-Jährige schon erklommen und den
Welt.“ Der heute 23-Jährige fühlte sich allei-   ihn war. Er absolvierte die Handelsschule und      wohl wichtigsten Kampf gewonnen: seine
ne. „Niemand sonst hatte das, ich war für die    wechselte in einen Bürojob. Und sein grosser       Krankheit als Teil von sich zu akzeptieren. Seit
anderen einfach der Komische.“                   Traum vom Bergsteigen liess ihn nicht los. Im      fast 1.5 Jahren ist er mithilfe von Medikamen-
                                                 Mai 2019, nachdem er seit vielen Monaten           ten anfallsfrei. „Wenn ich die höchsten Berge
NEUANFANG IN ENGLAND                             ohne Anfall lebte und es ihm so gut ging wie       dieser Welt bezwingen kann, dann auch diese
                                                 nie, machte er Nägel mit Köpfen. Und er fing       Krankheit“, ist er überzeugt und es ist diesem
Als Ausgleich zu diesem Kampf, den er tag-       nicht langsam an, sondern ging sogleich steil.     jungen, sympathischen Mann zu wünschen.
täglich führte, wollte Lars Reinfried, der       Und zwar 4000 Meter hoch. Im Juni, nur einen
mittlerweile die Oberstufe besuchte, berg-       Monat, nachdem er sich entschied, sich seinen      Lars Reinfried ist auch als Epi-Coach (siehe
steigen und klettern. Doch die Ärzte rieten      Traum von nichts und niemandem nehmen zu           Kasten) aktiv und tauscht sich als solcher mit
ihm davon ab. „Ich fühlte mich von nieman-       lassen, auch nicht von der Epilepsie, bestieg er   anderen Betroffenen individuell aus. Dieses
dem verstanden.“ Seine Eltern waren für ihn      das Allalinhorn zum ersten Mal. „Das Gefühl,       Engagement ist ihm wichtig. „Ich will anderen
da und sein älterer Bruder, mit dem er schon     da zuoberst zu stehen, war unglaublich, unbe-      Mut machen und zeigen, dass man nie auf-
immer ein gutes Verhältnis hatte, wurde zu       schreiblich. Ich fühlte mich einfach lebendig“,    geben und an seinen Träumen festhalten soll.“

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2021 magazin(e) - frühling sommer printemps été - Epi Suisse
FAC HA R T I KE L

    „Epilepsie ist praktisch
    nie ein Grund, auf Kinder
    zu verzichten“
    Die Ängste einer Betroffenen vor einer Schwanger- und Mutterschaft sind oft grösser als
    die Gefahren. Trotzdem gibt es einige Punkte, worauf Frauen mit Epilepsie achten müs-
    sen, wenn sie schwanger werden möchten. Dr. med. Silke Biethahn, Nerologin FMH, sagt,
    welche dies sind und was betroffene Mütter besonders brauchen, wenn das Kind da ist.

    Interview: Carole Bolliger

    WAS SIND DIE GRÖSSTEN HERAUSFORDERUNGEN, WENN EINE BE-                  so hoch wie möglich sein – gerade generalisierte Anfälle können in
    TROFFENE SCHWANGER WERDEN MÖCHTE?  Frauen mit Epilep-                  der Schwangerschaft mit einer Gefährdung von Mutter und Kind ein-
    sie werden weniger häufig schwanger als Frauen ohne Epilepsie.          hergehen. Auch sollte bei Planung einer Schwangerschaft mit einer
    Dies hat verschiedene Gründe: Zum einen besteht die Angst, dass         Folsäureprophylaxe begonnen werden, die ebenfalls das Risiko einer
    man aufgrund der Epilepsie der Rolle als Mutter nicht gewachsen         Fehlbildung in der Schwangerschaft senkt.
    ist. Zum anderen befürchten viele Patientinnen, dass die Medika-
    tion in der Schwangerschaft ihrem Baby schaden würde oder dass          IST EPILEPSIE EIN GRUND, AUF KINDER ZU VERZICHTEN?  Epilepsie
    sie die Epilepsie vererben würden. Weiter kann das sexuelle Ver-        ist praktisch nie ein Grund, auf Kinder zu verzichten.
    langen durch manche Epilepsiemedikamente vermindert werden.
    Die Fruchtbarkeit allgemein ist gemäss neueren Studien wohl kaum        WAS SIND DIE SCHWIERIGKEITEN WÄHREND EINER SCHWANGER-
    vermindert. Es gibt allerdings einzelne Medikamente, die Verände-       SCHAFT? WAS SIND DIE RISIKOFAKTOREN?  In der Schwangerschaft
    rungen auslösen können, die die Fruchtbarkeit mindern.                  muss die medikamentöse Therapie besonders genau eingehalten wer-
                                                                            den. Ziel ist es, die Medikamente so einzustellen, dass das ungeborene
    WORAUF MUSS EINE FRAU MIT EPILEPSIE ACHTEN, WENN SIE                    Kind so wenig wie möglich dadurch gefährdet ist, gleichzeitig aber
    SCHWANGER WERDEN WILL? WAS IST WICHTIG?  Wichtig ist, dass             auch Anfälle vermieden werden. Erschwerend ist dabei, dass sich in der
    man das Thema frühzeitig mit seinem Neurologen bespricht. Es ist        Schwangerschaft viele Medikamentenspiegel verändern.
    wichtig, dass ein Schwangerschaftswunsch bei der medikamentösen
    Einstellung berücksichtigt wird. Es gibt Medikamente, die tatsächlich   STEIGT DAS ANFALLRISIKO WÄHREND EINER SCHWANGERSCHAFT?
    ein klar erhöhtes Risiko haben, dem Baby zu schaden, in erster Linie     70 Prozent der Schwangeren mit Epilepsie stellen gar keine Ver-
    ist hier der Wirkstoff Valproat zu nennen. Es gibt jedoch auch einige   änderungen ihrer Epilepsie fest, etwa 15 Prozent registrieren eine
    Medikamente, bei deren Einnahme die Gefahr einer Fehlbildung nur        Besserung, und bei den restlichen 15 Prozent kommt es zu einer Ver-
    minimal erhöht ist. Gleichzeitig muss die Wirksamkeit der Medikation    schlechterung. Um das Risiko einer Verschlechterung zu reduzieren,
                                                                            ist es wichtig, die Medikamentenspiegel regelmässig zu kontrollieren.

                                                                            WELCHE RISIKEN FÜR DAS KIND BESTEHEN BEI EINER EPILEPSIE
       Für Fachpersonen                                                     DER MUTTER?  Epileptische Anfälle können zu einem Sauerstoff-
                                                                            mangel führen, der Mutter und Kind schaden kann, vermutlich
                                                                            mehr, als die Epilepsiemedikamente. Ausserdem besteht die Gefahr
       EURAP ist das internationale Register für Schwangerschaften          einer fetalen Blutung, einer Fehlgeburt oder sogar Totgeburt. Beim
       unter Einnahme von Antikonvulsiva (European Registry of Antiepi-     anfallsbedingten Sturz einer Schwangeren kann es zu Gebärmutter-
       leptic Drugs and Pregnancy). GynäkologInnen (oder NeurologIn-        verletzungen, Plazentablutungen oder einer vorzeitigen Plazenta-
       nen) sollten dieses Register jeweils führen, wenn sie Schwangere     lösung kommen. Ganz falsch wäre es also, aus Angst vor der un-
       mit Antiepileptika begleiten. Es dient dazu, Nebenwirkungen und      erwünschten Medikamentenwirkung die Behandlung während der
       Folgen von Medikamenten auf die Schwangerschaft besser zu            Schwangerschaft plötzlich zu unterbrechen.
       erfassen, zu dokumentieren und zu erkennen:
                                                                            KÖNNEN DIE MEDIKAMENTE DAS UNGEBORENE KIND BEEINTRÄCH-
       www.eurapinternational.org
                                                                            TIGEN, IHM SCHADEN?  Ja, Medikamente gegen Epilepsie können
                                                                            zu Fehlbildungen führen, auch ist das Risiko einer Fehlgeburt leicht
       Das International Bureau for Epilepsy IBE führte eine Umfrage in     erhöht. Insgesamt kommen jedoch etwa 95 Prozent der Kinder von
       Europa durch, wie gut Frauen mit Epilepsie im gebärfähigen Alter     Müttern mit Epilepsie gesund zur Welt, im Vergleich von etwa 98
       über die Risiken einer Schwangerschaft informiert sind und wie       Prozent der Kinder von Müttern ohne Epilepsie. Grundsätzlich ist
       verständlich diese Informationen sind. Mehr Infos:                   das Risiko einer Fehlbildung durch folgende Faktoren zu reduzieren:
                                                                            je weniger Wirkstoffarten eingenommen werden desto besser; die
       www.ibe-epilepsy.org/

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2021 magazin(e) - frühling sommer printemps été - Epi Suisse
Online-Veranstaltung
   Dr. med. Silke Biethahn ist Fachärztin für Neurologie in der Hirslan-
   den Klinik Aarau sowie im Neurozentrum Aarau. Am 27. April 2021
   referiert sie am Online-Anlass von Epi-Suisse und der Schweizeri-
   schen Epilepsie-Liga zum Thema „Epi und Hormone“. Sie gibt einen
   Überblick über die wichtigsten Aspekte rund um dieses Thema. Den
   Zoom-Link erhalten Interessierte unter:

   www.epi-suisse.ch/veranstaltungen

Menge des Wirkstoffs sollte so gering wie möglich sein; es ist besser,     Betreuung des Kindes erfolgen kann. Auch empfehle ich, die Entbin-
zwei bis drei Mal täglich eine kleine Menge des Wirkstoffs einzu-          dung in einem Zentrum vorzunehmen, wo nach der Geburt im Not-
nehmen, als einmal täglich eine entsprechend grosse Menge; wenn            fall auch eine intensivmedizinische Versorgung für Kinder möglich
irgend möglich, sollte eine Behandlung mit dem Wirkstoff Valpro-           ist, also in einem Spital mit Kinderklinik und Neonatologie.
at vermieden werden; es sollte insbesondere im ersten Drittel der
Schwangerschaft neben einer ausgewogenen Ernährung eine höher-             IST DAS BABY ERST MAL DA, GIBT ES VIELE SCHLAFLOSE NÄCHTE –
dosierte Gabe von Folsäure erfolgen.                                       WAS GIFT IST FÜR BETROFFENE, DIE REGELMÄSSIG SCHLAF BRAU-
                                                                           CHEN. WAS RATEN SIE? WORAUF SOLL MAN ACHTEN?  Grundsätz-
IST EPILEPSIE VERERBBAR? WIE HOCH IST DAS RISIKO EINER VER-                lich ist es wichtig, dass in diesen Situationen der Vater des Kindes
ERBUNG?  Es gibt seltene erbliche Epilepsien, in der Regel ist keine      unterstützt. Es ist zu empfehlen, dass die Mutter Milch abpumpt,
klare Vererbbarkeit vorhanden. Insgesamt ist das Risiko, dass ein Kind     die der Vater dann nachts mit dem Schoppen geben kann, damit die
von einer Frau mit Epilepsie ebenfalls an Epilepsie erkrankt, etwa zwei    Mutter ein paar Stunden am Stück schlafen kann.
bis fünf Prozent, im Vergleich von etwa einem Prozent bei Kindern von
Müttern ohne Epilepsie.                                                    Je nach Medikament rate ich auch teilweise dazu, die Dosis des Me-
                                                                           dikamentes in den ersten Monaten nach der Entbindung etwas höher
                                                                           zu lassen, um das Risiko epileptischer Anfälle zu senken.

       „IN DER SCHWANGERSCHAFT MUSS DIE                                    Dann gibt es auch noch pragmatische Aspekte: So sollte eine Mutter
                                                                           mit Epilepsie (je nach Anfallsart) ihr Kind nicht allein auf einem
       MEDIKAMENTÖSE THERAPIE BESONDERS                                    hohen Wickeltisch wickeln, sondern eher auf dem Boden – wenn die
           GENAU EINGEHALTEN WERDEN“                                       Mutter in so einer Situation einen Anfall hat, ist die Gefahr gross,
                                                                           dass das Kind unbeaufsichtigt vom Wickeltisch fällt. Auch bietet
                                                                           es sich an, das Kind in einer Trage zu haben, wenn man umher-
                                                                           geht, damit einem das Kind bei einem Anfall nicht aus den Armen
WAS, WENN DER WUNSCH SO GROSS IST UND EIN PAAR UNBEDINGT                   fällt. „Umkehrbremsen“ am Kinderwagen, Bremsen, die man drücken
EIN KIND WILL – GEGEN JEDEN ÄRZTLICHEN RAT? WAS RATEN SIE                  muss, damit der Wagen fährt, der Wagen stoppt, wenn man diese
DIESEM PAAR?  Die Situation, dass man von einem Kinderwunsch              loslässt, sind auch zu empfehlen.
klar abraten muss, ist sicher ausgesprochen selten. Hingegen gibt es
Umstände, in denen eine Schwangerschaft neurologisch und frauen-           WENN NICHT DIE FRAU, SONDERN DER MANN BETROFFEN IST, IST
ärztlich besonders eng begleitet werden muss. Dies gilt insbeson-          ES FÜR DAS PAAR DANN SCHWIERIGER, SCHWANGER ZU WERDEN?
dere für Frauen mit häufigen Anfällen und mit einer komplizierten           Bei Männern mit Epilepsie kommt es in der Tat vor allem in Ab-
Behandlung mit mehreren, teilweise hochdosierten Medikamenten.             hängigkeit von der Medikation etwas gehäuft zu vermindertem Ver-
Ganz besonders diesen Frauen rate ich, dass sie in einer Klinik für        langen nach Geschlechtsverkehr, verminderter Potenz oder etwas
Geburtshilfe betreut werden, die mittels eines speziellen Ultraschalls     verminderter Fruchtbarkeit. Die Verordnung erektionsverstärkender
auch schon im Mutterleib zum Beispiel Fehlbildungen des Herzens            Mittel wie Sildenafil (Viagra®) oder ähnlichen Präparaten an Männer
erkennen können. So kann frühzeitig entschieden werden, welche             mit Epilepsie wird in der Regel als unproblematisch eingeschätzt, es
Behandlungsmöglichkeiten bestehen, ob die Eltern einen Schwan-             gibt keinen klaren Hinweis darauf, dass es darunter zu vermehrten
gerschaftsabbruch in Betracht ziehen oder wie die spätere optimale         Anfällen kommt.

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    Eltern erzählen
    von ihrem Weg
    zum Kind
    Wie gehen betroffene Frauen mit dem                                        Christine Leu, 38
    Thema Kinderwunsch um? Wir haben drei                                      Jahre, ist Mutter eines
    Mütter und einen Vater gefragt, wie es für                                 10-jährigen Sohnes.
    sie war.                                                                   Sie hat Epilepsie mit
                                                                               fokalen Anfällen und
                                                                               Aura seit ihrem 6. Al-
                                                                               tersjahr. Heute hat sie
                                                                               stressbedingt noch
                                                                               etwa zwei Anfälle pro
                                                                               Jahr.

                                                                               „Mutter zu sein,
                                                                               habe ich nie bereut“

                                                                               „Mir wurde von meinem Umfeld und auch den Ärzten immer gesagt,
                                                                               dass es nicht verständlich wäre, wenn ich mit meiner Krankheit ein Kind
    Marisa Grob ist                                                            hätte. Deshalb war das lange kein Thema für uns. Mein Mann und ich
    26 Jahre alt. Seit                                                         haben eine Weltreise gemacht und da kam der Wunsch nach einem Kind
                                                                               immer mehr auf. Als wir zurück waren, haben wir uns mit dem Thema
    15 Jahren hat sie                                                          befasst und mein Gynäkologe sagte mir, dass ich auch mit Medikamen-
    Epilepsie mit Ab-                                                          ten schwanger werden könne. Meine Neurologen waren nicht so begeis-
                                                                               tert. Ein Epi-Medikament musste ich absetzen. Ich wurde sehr schnell
    senzen, etwa alle                                                          schwanger und in der ersten Hälfte meiner Schwangerschaft war alles
    zwei bis drei Wo-                                                          gut, danach hatte ich einen oder zwei Anfälle pro Monat. Ich hatte aber
                                                                               nie Angst, ich war immer davon überzeugt, dass alles gut kommt. Gegen
    chen, manchmal                                                             Ende der Schwangerschaft wurde es etwas schwieriger, weil ich nicht
    mehrere hinterein-                                                         mehr gut schlafen konnte und Schlaf doch sehr wichtig ist für mich.
    ander.                                                                     Dann hatte ich auch mehrere Anfälle im Schlaf. Mein Mann hatte Angst,
                                                                               dass ich und das Kind zu wenig Luft bekommen.

    „Ich bin die, die sich Sorgen macht“                                       Als unser Sohn auf der Welt war, habe ich wieder angefangen, Medika-
                                                                               mente zu nehmen. Die erste Zeit war sehr schwierig, weil ich zu wenig
    „Ich bin noch keine Mutter. Wenn möglich, möchte ich später aber           Schlaf hatte. Dann hat mein Mann die Nachtschichten übernommen
    sehr gerne Kinder haben. Ich bin verlobt und mein zukünftiger Mann         und ich kam wieder zu genügend Schlaf. Als unser Sohn zwei Jahre alt
    möchte auch sehr gerne Kinder haben. Wir haben uns noch nicht gross        war, war es besonders schwierig für mich. Er forderte viel, ich hatte häu-
    mit dem Thema Schwangerschaft und Epilepsie auseinandergesetzt             fig Anfälle, auch tagsüber, was vorher nie vorkam. Er war im Laufgitter
    oder mit dem Arzt gesprochen, aber ich selber mache mir grosse Sor-        und ich hatte neben ihm Anfälle. Das war natürlich nicht schön. Als er
    gen, dass in der Schwangerschaft oder später, wenn das Kind geboren        dann in die Kita kam, wurde es etwas besser. Bis vor zwei Jahren war
    ist, dem Kind etwas passiert, wenn ich eine Absenz habe. Da ich bei        es ein purer Stress, ich hatte viele Anfälle, musste die Medikamente in
    einer Absenz den Körper nicht ganz unter Kontrolle habe, mache ich         höchster Dosis nehmen und hatte Selbstmordgedanken. Trotzdem habe
    mir Sorgen, dass ich das Kind fallen lassen könnte und es sich verletzt.   ich die Entscheidung, ein Kind zu bekommen, nie bereut. Mein Mann
    Ebenfalls mache ich mir Sorgen, dass das Kind eventuell auch Epilep-       hat von Anfang an gesagt, dass wenn wir Eltern werden, wir sicher nur
    sie bekommt, da es vererbbar ist.                                          ein Kind bekommen. Ich hätte es schön gefunden, ein Geschwisterchen
                                                                               für unseren Sohn zu haben, aber es ist schon vernünftiger so. Mit mei-
    Der Wunsch, Mutter zu werden, ist sehr gross, aber zurzeit sind meine      nem Sohn rede ich ganz offen über meine Krankheit, für ihn ist es ganz
    Ängste noch grösser. Trotzdem bin ich sehr optimistisch, dass es einen     normal, dass ich Medikamente nehme und zum Beispiel nicht mit ihm in
    Weg geben wird und wir trotz meiner Epilepsie Eltern werden können.        den Europapark kann. Er hat auch schon Anfälle von mir miterlebt und
    Unser Umfeld steht hinter uns und unterstützt uns, das weiss ich.“         fand das eher lustig als beängstigend.“

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2021 magazin(e) - frühling sommer printemps été - Epi Suisse
RETO MACHT DAS
                                                                                                           FANTASTISCH. ER HAT AUCH
                                                                                                             SCHON ANFÄLLE VON MIR
                                                                                                           MITERLEBT UND WEISS, WIE
                                                                                                            ZU REAGIEREN UND DAMIT
                                                                                                           UMZUGEHEN IST. DASS ER IN
                                                                                                           DEN NÄCHTEN FÜR UNSEREN
                                                                                                             SOHN AUFSTEHT, IST FÜR
                                                                                                            IHN SELBSTVERSTÄNDLICH.
                                                                                                               ICH BIN SEHR FROH.“
                                                                                                                         Jeannette Wiss

Jeannette Wiss (41 Jahre) und Reto Lampart                                     den Anfall gut überstanden hatte. Die Neurologin vermutete, dass mein
(45) haben zusammen einen 4-jährigen                                           Medikament, aufgrund des steigenden Östrogenspiegels in der Schwanger-
                                                                               schaft zu diesem Zeitpunkt zu niedrig dosiert war.
Sohn. Jeannette Wiss ist von Epilepsie be-
troffen. Sie hatte grosse Krampfanfälle. Seit                                  Als unser Sohn Niall 1.5 Jahre alt war, erlitt ich einen weiteren Anfall.
                                                                               Am frühen Morgen, geweckt durch sein Weinen, wurde alles zu viel. Es
ein paar Jahren ist sie mit Medikamenten                                       war eine anstrengende Woche bei der Arbeit und zugleich eine intensive
anfallsfrei. Jeannette Wiss ist Mitarbeiterin                                  Betreuungszeit, da Niall zahnte und jede Nacht nahezu ununterbrochen
                                                                               vor Schmerzen schrie. Mein Mann und ich hatten bereits von Anfang an
von Epi-Suisse.                                                                vereinbart, dass er sich um die Nachtschichten kümmern wird. In dieser
                                                                               Woche konnte ich jedoch das intensive und laute Weinen unseres Sohnes
                                                                               nicht ausblenden. Und dies, obwohl ich wusste, dass Niall bei Reto in den
„Der Vater kümmert sich                                                        besten Händen war. Ein geregelter Schlafrhythmus war einfach nicht mög-
um die Nachtschichten“                                                         lich und ich hatte diesen epileptischen Anfall.

Jeannette Wiss: „Eine Familie zu gründen, war für uns lange kein The-          Reto Lampart: „Jeannette hat ihre epileptischen Anfälle durch die Me-
ma. Das hatte aber nichts mit meiner Krankheit zu tun. Als ich dann 36         dikamente unter Kontrolle. Ich hatte somit nie Angst oder irgendwelche
Jahre alt war, wurde der Wunsch stärker. Meine Epilepsie-Medikamen-            Bedenken bezüglich gemeinsamer Kinder. Trotz der Hektik des Alltags
te waren mit einer Schwangerschaft gut verträglich. Ich hatte auch eine        mit einem kleinen Kind ist es wichtig, die Medikamente konsequent ein-
gute Ärztin, die uns sehr ausführlich über das Thema Schwangerschaft           zunehmen. Ich hatte manchmal Sorgen, dass Jeannette dies vergessen
und Antiepileptika aufgeklärt hat. So musste ich häufiger zu Kontrollen        könnte. Mit einer Pillenbox hat man jederzeit einen guten Überblick –
bei meiner Gynäkologin. Bis auf die vermehrten Arztbesuche hat mich die        und, es gibt sie auch in «schön». Die ersten beiden Jahre mit Niall waren
Epilepsie in meiner Schwangerschaft nicht beeinträchtigt. Meine Gynä-          sehr anstrengend. Er war viel krank, benötigte täglich seine Medikamente
kologin und meine Neurologin haben sich regelmässig ausgetauscht. Ich          und wir mussten täglich mehrmals mit ihm inhalieren. Natürlich konzen-
war in besten Händen. In der 28. Woche bestand bei einer Routineunter-         trierten wir uns während dieser Zeit stark auf das Wohlergehen unseres
suchung plötzlich der Verdacht auf eine Schwangerschaftsvergiftung und         Sohnes, trotzdem darf man sich selbst nicht vergessen oder vernachläs-
ich musste für detaillierte Abklärungen ins Spital. Ab diesem Zeitpunkt,       sigen.
respektive wenige Stunden nach Spitaleintritt, verlief alles sehr, sehr viel
schneller als eigentlich geplant. Unser Glitzerstern erblickte noch während    Für Jeannette ist es sehr wichtig, auf den Schlaf zu achten, und sie braucht
meines ersten Tages im Spital das Licht der Welt.                              einen geregelten Schlafrhythmus. Für mich war es daher selbstverständ-
                                                                               lich, dass ich die Nachtschichten übernommen habe. Der kurze Anfall in
Während der Schwangerschaft erlitt ich einen einzigen Anfall, obwohl ich       der Schwangerschaft hat uns deutlich vor Augen geführt, wie wichtig es
bereits jahrelang anfallsfrei war. Für uns sowie auch für meine Neurologin     ist, konsequent auf den Schlafrhythmus und die Einnahme der Medika-
war dies jedoch unerklärlich, da dieser Anfall untypisch verlief. Es pas-      mente zu achten.
sierte am Abend, dauerte weniger als eine Minute, die Zuckungen waren
kaum wahrnehmbar und ich war unmittelbar danach wieder ansprechbar.            Nach aussen hin scheint alles ‚normal‘ und auch wir vergessen die Epilepsie
Eine anschliessende Kontrolle bei der Gynäkologin zeigte, dass unser Baby      fast.“

                                                                                                                                                              9
2021 magazin(e) - frühling sommer printemps été - Epi Suisse
MI TG L IE D E R U M FRA G E

                                       Mitgliederumfrage 2020

     Die Meinung der Mitglieder      Print oder Postversand?                      Projekte:
     ist Epi-Suisse sehr wichtig.                                                 Psychologische Beglei-
                                     Epi-Suisse wollte von den Mitgliedern
     Aus diesem Grund haben wir      wissen, ob sie den Versand verschiede-       tung und My.EpiCoach
     2020 eine Mitgliederumfrage     ner Publikationen wie zum Beispiel dem
                                     Jahresprogramm, dem Magazin oder all-        In der Beratung wird Epi-Suisse häuft mit
     verschickt. Mit einem Rück-     gemeinen Mitgliederinformationen als         Anfragen nach psychologischer Beglei-
     lauf von über 20 Prozent der    Print und Postversand oder per E-Mail        tung zur Bewältigung der Krankheit kon-
                                     bevorzugen. Das Ergebnis ist ziemlich        frontiert. Dank der Rückmeldung einzel-
     Fragebogen dürfen wir auf       deutlich mit 65 Prozent für E-Mail und       ner Umfrageteilnehmer konnte nun eine
     überdurchschnittlich aktive     35 Prozent für Print. Die Zeichen stehen     Anzahl Kontakte von Psychologen und
                                     deutlich auf elektronischen Versand. Bis     Psychologinnen ermittelt werden, die von
     und interessierte Mitglieder
                                     auf die Mitgliederrechnung und das Ma-       Epi-Suisse weitervermittelt werden kön-
     zählen, was uns ausgespro-      gazin wünscht sich die Mehrheit der Mit-     nen.
     chen freut und motiviert, un-   glieder einen elektronischen Versand statt
                                     gedruckte Produkte in der Post zu finden.    Das Projekt My.EpiCoach ist erst seit
     sere Arbeit im Sinne unserer    Wir werden nun prüfen, inwieweit wir         2019 aktiv. Die Antworten in der Umfra-
     Mitglieder fortzuführen. Der    diesem wachsenden Bedürfnis in der Zu-       ge machten deutlich, dass dieses Projekt
                                     kunft gerecht werden können.                 einen grossen Rückhalt geniesst. Zahlrei-
     Vergleich Deutschschweiz                                                     che Mitglieder haben sich bereit erklärt,
     und Romandie zeigt, dass                                                     sich künftig als Epi-Coach zu engagieren
                                                                                  und eine noch grössere Zahlt zeigte die
     der Rücklauf in der Welsch-     Online-Veranstaltungen
                                                                                  Bereitschaft, dass wir sie in Einzelfällen
     schweiz mit 25 Prozent sogar                                                 anfragen dürfen, wenn Ratsuchende nach
                                     Online-Veranstaltungen sind wegen der        einem Austausch mit anderen Betroffe-
     noch deutlicher ausfiel. Wir    Corona-Krise in aller Munde. Auch unter      nen oder Eltern suchen.
     konnten sehr viele Erkennt-     den Mitgliedern von Epi-Suisse spüren
                                     wir wachsendes, wenn auch noch verhal-
     nisse aus der Auswertung
                                     tenes Interesse. Veranstaltungen vor Ort
     ziehen.                         ermöglichen Kontakte und Gespräche un-
                                     ter Teilnehmenden, die eine Online-Teil-
                                     nahme niemals ersetzen kann. Deshalb
     Hier die Auswertungen:          werden physische Veranstaltungen wei-
                                     terhin ein gewichtiger Bestandteil unseres
                                     Programms sein.

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SAMME LS U RI U M

Neues von Epi-Suisse

Neuste Broschüre                                                              Für Menschen
                                                                                             mit Epilepsie
                                                                                                             Schulalltag
„Erwachsene und Epi-
                                               3                                                             mit Epilepsie
                                                    ERWACHS
lepsie“ erschienen                                           ENE
                                                    UND EPILEP
                                                               SIE
                                                                                                             bewältigen
                                                   Epilepsie vers
                                                                 tehen –
                                                   mit der Kran
                                                                kheit leben

„Erwachsene und Epilepsie“ – so heisst die                                                                   Die sehr beliebte Broschüre, die sich mit dem
neuste Broschüre der vierteiligen Reihe                                                                      Thema Schule und Epilepsie auseinander-                            E PILE P SIE N
                                                                                                                                                                               im Sc hu la
                                                                                                                                                                                           llt ag
von Epi-Guide. Sie ist auf Deutsch und                                                                       setzt, wurde stark überarbeitet und ist unter
Französisch erhältlich.                                                                                      dem neuen Titel „Epilepsien im Schulalltag“
                                                                                                             erschienen.
Epilepsien fordern Betroffene und Ange-
hörige in jedem Lebensalter und jeder Lebensphase auf ganz                                                   In der komplett überarbeiteten Version „Epilepsien im
eigene Weise. „Mit dieser Broschüre möchten wir ihnen einen prak-                                            Schulalltag“ werden die neuen Begebenheiten in der Schule stärker
tischen Ratgeber an die Hand geben, der sie im Alltag unterstützen                                           gewichtet. An dieser sind heute neben den Lehrpersonen weitere
soll“, erklärt Dominique Meier, Geschäftsführerin von Epi-Suisse.                                            Fachpersonen engagiert, zum Beispiel HeilpädagogInnen, Schul-
Dabei wird nicht allein auf die medizinischen Aspekte der Krankheit                                          sozialarbeiterInnen, schulische und soziale Betreuungspersonen.
fokussiert, sondern versucht, die Folgen im Alltagsleben nach-                                               Diese Publikation informiert umfassend über die Auswirkungen von
zuzeichnen. Betroffene mit einer Neudiagnose werden ebenso                                                   Epilepsien im Schulalltag. Lehrpersonen sollen mit der Broschüre
angesprochen wie Menschen, die schon seit Jahren mit Epilepsie                                               in ihrer Arbeit unterstützt und der Dialog mit allen beteiligten
leben. „Neben den medizinischen Grundlagen sprechen wir die                                                  Personen soll gefördert werden. Diese Broschüre richtet sich haupt-
Bewältigung der Krankheit im Alltag an, beleuchten die Sicht der                                             sächlich an Lehrpersonen, aber auch an Eltern von schulpflichtigen
Angehörigen und gehen auf das grosse Thema „Arbeit und Epilep-                                               Kindern mit Epilepsie.
sie“ ein“, so Meier. Ein eigenes Kapitel bildet das Thema „Sprechen
über Epilepsie“, wo sich die Tabus und Vorurteile, die rund um die                                           „Epilepsien im Schulalltag“ ist für 8.50 Franken auch auf
Krankheit kolportiert werden, stark auswirken. Die Broschüre wird                                            Französisch und Italienisch erhältlich. Bezug und Infos:
abgerundet von Tipps und Empfehlungen für den Alltag.                                                        www.epi-suisse.ch/infomaterial

Die Broschüre „Erwachsene und Epilepsie“ kann kostenlos
bezogen werden unter: www.epi-suisse.ch/infomaterial. Weiter
in der vierteiligen Serie von Epi-Guide sind bereits erschienen:
„Kinder mit Epilepsie“ und „Jugendliche und Epilepsie“. Auch sie
sind kostenlos erhältlich.
                                                                                                                                                        2021

Veranstaltungen 2021 – online und vor Ort

Viele Veranstaltungen mussten letztes Jahr aufgrund der Pandemie abge-                                       Wurden die Ferienwochen für Kinder
sagt werden oder sie wurden auf dieses Jahr verschoben. Einige Anlässe                                       und Jugendliche bisher vor allem nach
konnten aber trotzdem stattfinden, einfach als Online-Veranstaltun-                                          Alter angeboten, so haben die Verant-       V ER A N STA
gen. Dies wird sich sicherlich auch noch ins erste Halbjahr 2021 weiter                                      wortlichen auf dieses Jahr nachjustiert     M AN IFESTA  LT U N G EN
                                                                                                                                                        Schwe izeriscTI O NS
                                                                                                                                                                      her Verein

ziehen. „Das gibt auch jenen eine Chance auf eine Teilnahme, denen                                           und neupositioniert. „Wir versuchen,
                                                                                                                                                        Association              für Epilepsie
                                                                                                                                                                    suisse de l'Épile
                                                                                                                                                                                      psie

sonst der Weg an einen Veranstaltungsort zu weit ist“, sagt Geschäfts-                                       die unterschiedlichen Stärken der
führerin Dominique Meier. Auch wenn sich das Team von Epi-Suisse die                                         Kinder in den Ferienwochen besser zu
Stimmung und Atmosphäre von Veranstaltungen vor Ort zurückwün-                                               berücksichtigen“, erklärt Dominique Meier. So könne man für stärker
sche, ist Meier überzeugt, dass auch in fernerer Zukunft Online-Anlässe                                      betroffene Kinder und Jugendliche ein angepasstes Programm ermög-
zur Normalität zählen würden. Eine gute Mischung aus Online- und                                             lichen und besser auf die individuellen Bedürfnisse eingehen. Dank in-
Vor-Ort-Veranstaltungen ist das Ziel.                                                                        tensiver Betreuung sind so in der Erlebniswoche in Stalden auch stärker
                                                                                                             beeinträchtigte Kinder gut aufgehoben. Weniger beeinträchtigte Kinder
Neben den fünf beliebten Ferienwochen – Sportcamp, Adventureweek,                                            und Jugendliche kommen in der Adventureweek auf ihre Kosten.
Erlebniswoche, Wander- und Plauschwoche sowie der Bauernhofwoche –
bietet Epi-Suisse in diesem Jahr auch noch zwei Weekends an. Einmal für                                      Mehr Infos zu allen Veranstaltungen, Ausflügen und Ferienwochen
Erwachsene und einmal für Jugendliche und junge Erwachsene. Letzeres                                         finden Sie in dieser Ausgabe auf Seite 11 oder im Jahresprogramm
findet heuer zum ersten Mal statt und kommt einer grossen Nachfrage                                          unter: www.epi-suisse.ch/veranstaltungen
nach diesem Angebot nach.

                                                                                                                                                                                                    11
SO Z I A L B E R AT U N G

     Ich habe Epilepsie und bin
     18 Jahre alt – kann ich den
     Führerausweis machen?

     Fragen zum Führen von Kraftfahrzeugen gehören in der Regel zu den Hauptanliegen
     der Patientinnen und Patienten. Bezüglich der Fahreignung liegen Richtlinien von der
     Verkehrskommission der Schweizerischen Epilepsie-Liga vor. Die letzten Änderungen
     dieser Richtlinien wurden im November 2019 veröffentlicht.

     Generell können Epilepsiebetroffene, die seit             weise für Nutzfahrzeuge unterliegen strengeren
     mindestens einem Jahr anfallsfrei sind, einen             Bedingungen: Die Fahrkarenz kann hier bis zu 5
     Personenwagen oder ein Motorrad lenken. Eine              Jahre betragen.
     Verkürzung dieser Frist ist möglich, wenn Anfälle
     ausschliesslich schlafgebunden oder im Zusam-             Generell wird Personen mit bestehender Epilepsie
     menhang mit einem vermeidbaren auslösenden                von Berufen abgeraten, die einen Führerausweis
     Faktor auftreten. Kommt es plötzlich wieder zu            der Kategorien C, C1, BPT, D und D1 voraussetzen.
     einem Anfall nach mindestens 3-jähriger Anfalls-          Wer bei der erstmaligen Manifestation der Epi-
     freiheit und bei bekanntem klinischem Verlauf,            lepsie bereits einen solchen Beruf ausübt, sollte
     beträgt die Fahrkarenz 3 Monate (isoliertes pro-          sich an die Sozialberatung von Epi-Suisse wen-             Neue Sozialberaterin
     voziertes Anfallsrezidiv) bzw. 6 Monate (isoliertes       den, um sich über die Unterstützungsmöglich-               bei Epi-Suisse
     unprovoziertes Anfallsrezidiv). Voraussetzung ist         keiten während der Fahrkarenz oder über einen
     jedoch eine neurologische Abklärung. Nach ei-             Berufswechsel zu informieren.                              Anfang Oktober 2020 hat Nina Wie-
     nem erstmaligen epileptischen Anfall gilt in Ab-                                                                     derkehr ihre Arbeit bei Epi-Suisse auf-
     hängigkeit von mehreren Kriterien (Behandlung,            Leider gibt es bei fehlender Fahreignung keine             genommen. Sie bringt über 16 Jahre
     neurologische Beurteilung, provozierter oder un-          spezifische Unterstützung bei der Bewältigung              Berufserfahrung im Sozial- und Ge-
     provozierter Anfall) eine Fahrkarenz von 3 Mona-          des plötzlichen Führerausweisentzugs, zum Bei-             sundheitswesen mit, davon über 10 als
     ten bis zu einem Jahr.                                    spiel Arbeitswege oder generell Berufstätigkeit.           Sozialarbeiterin. Nina Wiederkehr ist
                                                               Schon eine kurze Fahrkarenz kann grosse Pro-               Sozialarbeiterin FH und verantwortlich
     In jedem Fall sind Sie verpflichtet, alle Anfälle Ih-     bleme bereiten. Kontaktieren Sie uns einfach und           für die Sozialberatung von Epi-Suisse
     rem Neurologen oder Ihrer Neurologin zu melden.           schildern Sie uns Ihre Probleme, wir sind Ihnen            und berät Klientinnen und Klienten
                                                               gerne bei der Suche nach einer Lösung behilflich.          (Erwachsene und Eltern betroffener
     Für die anderen Führerausweiskategorien gelten                                                                       Kinder) in Fragen rund um die sozialen
     davon abweichende Bestimmungen. Führeraus-                                                                           Folgen der Epilepsie.

                                                             100 Millionen Schritte für die Welt,
                                                             über 6.9 Millionen für die Schweiz
                                                             Weltweit sind 50 Millionen Menschen von Epilepsie betroffen – davon rund 80’000 in der Schweiz.
                                                             Gemeinsam mit dem International Bureau for Epilepsy führte Epi-Suisse vom 4. Januar bis zum 8.
                                                             Februar 2021, dem internationalen Tag der Epilepsie, eine Sensibilisierungsaktion durch. Damit woll-
                                                             te Epi-Suisse Schritt für Schritt mehr Bewusstsein für diese häufige und doch zu wenig bekannte
                                                             neurologische Krankheit schaffen.

                                                             Die Kampagne war ein grosser Erfolg und regte über 150 Frauen, Männer und Kinder zum Mitlaufen
                                                             an. So erzielten die Schweizerinnen und Schweizer bis zum 8. Februar 6'918'942 Schritte im Rah-
                                                             men dieser Aktion. Epi-Suisse freut sich über die vielen Frauen, Männer und Kinder, die mitgemacht
                                                             haben, und bedankt sich bei ihnen für ihre unermüdliche Mitwirkung.

12
EPI- SUISSE A G E ND A

                                                       Events 2021

Events                                                                       Ferienwochen
April                                                                        April
Online-Anlass: Epilepsie und Hormone                                         Sportcamp (13 bis 22 Jahre), Klosters, GR
27. April 2021                                                               10.-17. April 2021

Mai                                                                          Juli
Generalversammlung Epi-Suisse, Bern                                          Adventureweek (13 bis 22 Jahre), Stalden, OW
22. Mai 2021                                                                 31. Juli - 7. August 2021

Juni                                                                         August
Famoses-Kurs: Familienalltag mit Epilepsie, Basel                            Erlebniswoche (8 bis 15 Jahre), Stalden, OW
4.-5. Juni 2021                                                              7.-14. August 2021
Workshop Selbst handeln: Die eigene Stärke fördern, Olten
                                                                             September
12.-13. Juni 2021
                                                                             Wander- und Plauschwoche (Erwachsene), Alt St. Johann, SG
Juli                                                                         11.-18. September 2021
Crashkurs (2): Was ist Epilepsie?, Zürich
                                                                             Oktober
2. Juli 2021
                                                                             Bauernhofwoche (8 bis 15 Jahre), Hallau, SH
September                                                                    9.-16. Oktober 2021
Patiententag Bern: Alltag und Epilepsiechirurgie, Bern
4. September 2021
Crashkurs (3): Was ist Epilepsie?, Zürich
                                                                             Freizeit und Ausflüge
10. September 2021
                                                                             Mai
Oktober                                                                      Familienausflug in den Tierpark, Arth-Goldau, SZ
Workshop: Schreiben über Epilepsie, Zürich                                   29. Mai 2021
8. und 22. Oktober 2021
Elterntag: Ablösung und Loslassen, Zürich                                    Juli
30. Oktober 2021                                                             Plausch-Weekend für Erwachsene, Neuenburg, NE
                                                                             5.-6. Juni 2021
November
Online-Anlass: Epilepsie und ADHS                                            September
13. November 2021                                                            Weekend für junge Erwachsene, Morschach, SZ
Patiententag: Älter werden mit Epilepsie, Zürich                             3.-5. September 2021
27. November 2021                                                            Dezember
                                                                             Ausflug auf den Weihnachtsmarkt in Einsiedeln, SZ
                                                                             4. Dezember 2021

Infos & Anmeldung
                                                                                                                2021

Zu allen Veranstaltungen finden Sie detaillierte Informationen über die Referenten, das Programm, die Anreise
und allfällige Teilnahmebedingungen auf unserer Website unter www.epi-suisse.ch/veranstaltungen
Anmeldungen online unter www.epi-suisse.ch, telefonisch unter 043 488 68 80 oder                                VE RA NS TA
                                                                                                                            LT UN GE
per Mail über info@epi-suisse.ch                                                                                M AN IFE STAT IO NS N
                                                                                                                Schweizerisch
                                                                                                                Association
                                                                                                                              er Verein für
                                                                                                                                             Epilepsie
                                                                                                                            suisse de l'Épilep
                                                                                                                                               sie

                                                                                                                                                         13
PO R T R A I T

     «Je me sentais                                           S
                                                                    a première crise est survenue lorsqu’il
                                                                    avait dix ans. «Nous étions assis en
                                                                    famille devant la télé, nous mangions
                                                              une pizza. Ensuite, je ne me souviens plus de

     comme une erreur
                                                              rien», raconte Lars Reinfried. Le jeune homme
                                                              est assis sur le canapé de la maison de ses
                                                              parents, dans le canton de Glaris. Il veut

     qu’il faut corriger»
                                                              rendre son histoire publique pour encourager
                                                              les autres à ne pas baisser les bras. Son dia-
                                                              gnostic d’épilepsie avec des crises sévères a
                                                              été posé par la clinique spécialisée de Zurich.
                                                              «Les crises duraient une dizaine de minutes,
                                                              mais elles n’étaient jamais pénibles pour moi,
                                                              puisque je n’en avais aucune conscience»,
     Il escalade les plus hauts sommets du monde. Mais        explique le jeune homme de 23 ans. C’est
     c’est à l’école qu’il a livré sa plus grande bataille,   ensuite qu’il souffrait: il dormait au moins
                                                              douze heures d’affilée, était physiquement
     lorsque son épilepsie lui a valu d’être harcelé et       épuisé et n’avait plus que des souvenirs épars
     mis à l’écart. Lars Reinfried est aujourd’hui Epi-       des deux ou trois jours précédant la crise.
     coach chez Epi-Suisse et veut encourager d’autres        Bien qu’il n’ait pas eu de crise à l’école à
     personnes atteintes d’épilepsie.                         cette époque, ses résultats scolaires ont
                                                              commencé à dégringoler, du fait de ses
     Texte: Carole Bolliger, photos: Reto Schlatter           nombreuses absences, parce qu’il ne pou-
                                                              vait pas retourner en cours juste après une
                                                              crise. Il est devenu distrait et ses camarades
                                                              de classe se sont mis à le trouver «bizarre».
                                                              Ses enseignants non plus n’ont pas su gérer
                                                              la situation et ne s’y sont pas intéressés. À
                                                              leurs yeux, Lars Reinfried était simplement
                                                              paresseux et n’avait pas envie de travailler.
                                                              «Ça a été une période sacrément difficile et
                                                              pénible pour moi», dit-il, et sa souffrance de
                                                              l’époque transparaît encore aujourd’hui. Ses
                                                              camarades l’excluaient de plus en plus. «Je
                                                              me suis rebellé de toutes mes forces, je ne
                                                              voulais pas avoir cette maladie. J’étais en
                                                              colère contre les autres, contre moi-même,
                                                              contre la maladie, contre le monde entier.»
                                                              Le jeune homme se sentait seul. «Personne
                                                              d’autre n’avait ça, pour le reste des élèves,
                                                              j’étais juste le gars bizarre.»

14
My.Epi-Coach

                                                                                                  Epi-Suisse a lancé la plateforme de mise en
                                                                                                  réseau My.EpiCoach en mai 2019. Elle permet
                                                                                                  aux personnes atteintes d’épilepsie, aux parents
                                                                                                  et à d’autres proches de trouver rapidement et
                                                                                                  facilement un interlocuteur avec lequel échanger
                                                                                                  au sujet de la maladie. L’offre a rencontré un
                                                                                                  grand succès. A ce jour, plus de 50 Epi-coaches
                                                                                                  sont déjà en activité et un grand nombre de
                                                                                                  personnes atteintes d’épilepsie et de parents a
                                                                                                  accepté de se mettre ponctuellement à disposition
                                                                                                  pour des échanges. Informations et inscription:

                                                                                                  www.myepicoach.ch
                                                                                                  téléphone 043 488 68 80 ou
                                                                                                  info@epi-suisse.ch

Pour équilibrer cette lutte quotidienne, Lars      Angleterre pendant un an et demi au total. Il       sitôt dit, aussitôt fait. Avec son guide, il s’est
Reinfried, alors à l’école secondaire, voulait     a commencé un entraînement sportif intensif         attaqué à la montagne et l’a vaincue, malgré
se lancer dans l’alpinisme et l’escalade. Ses      à raison de quatre à cinq séances par semaine       une blessure au genou. «J’étais là, tout seul,
médecins le lui ont déconseillé. «J’avais l’im-    avec un coach personnel.                            sur ce sommet mythique, c’était un sentiment
pression d’être incompris de tous.» Ses pa-                                                            grandiose», se souvient-il, avec les yeux bril-
rents le soutenaient et son frère aîné, avec       A un moment donné, il a dû rentrer en Suisse,       lants d’un enfant à Noël.
qui il s’était toujours bien entendu, est de-      mais il l’a fait avec plaisir. «Je pouvais repar-
venu son roc et son confident. «Mais ça ne         tir de zéro, c’était agréable.» Lars Reinfried a    UN RÊVE D’ALPINISME VIVACE
m’empêchait pas de me sentir complètement          alors travaillé quelque temps comme boucher
perdu», explique-t-il. Ce qu’il redoutait s’est    et s’est rapidement aperçu que ce n’était pas       D’autres montagnes et crêtes ont suivi en
produit: il a eu une crise en classe à l’école     un métier pour lui. Il a fréquenté une école de     Suisse et dans les pays voisins. Il avait d’ail-
secondaire. «Après ça, j’étais complètement        commerce puis trouvé un emploi de bureau.           leurs prévu de se rendre au Kirghizistan l’été
grillé, plus personne ne voulait avoir quoi        Son grand rêve d’alpinisme le taraudait tou-        dernier pour y escalader plusieurs sommets,
que ce soit à faire avec moi», se souvient-il.     jours. En mai 2019, après de nombreux mois          puis au Népal à l’automne pour une ascen-
A son corps défendant, le jeune homme so-          sans crise et en meilleure forme que jamais, il     sion de l’Himlung Himal (7126 mètres). Les
ciable est devenu un solitaire. «Je me sentais     l’a réalisé. Et il n’a pas commencé en douceur,     deux projets ont dû être annulés à cause de
comme une erreur qu’il faut corriger.»             s’attaquant d’emblée à une ascension raide et       la pandémie. Mais rien n’arrête Lars Rein-
                                                   à un sommet de 4000 mètres. En juin, un mois        fried, pas plus le coronavirus que l’épilep-
NOUVEAU DÉPART EN ANGLETERRE                       à peine après avoir décidé qui rien ni per-         sie: «En avril, je tenterai de vaincre le mont
                                                   sonne, pas même l’épilepsie, ne le priverait de     Elbrouz, la plus haute montagne d’Europe
Après cette période difficile, il a entamé un      son rêve, il a gravi l’Allalinhorn pour la pre-     (5642 mètres) et l’un des Sept Sommets, et
apprentissage de cuisinier. Malgré ses crises      mière fois. «Etre tout là-haut m’a procuré une      en novembre, je pars au Népal, où j’aimerais
et en dépit du fait que son choix n’enchantait     sensation incroyable, indescriptible. Je me         escalader le Chulu Far East (6038 mètres).»
pas les médecins. Mais il refusait que la ma-      sentais tout simplement vivant», raconte le         L’un de ses grands rêves est l’ascension de
ladie lui prenne tout. Il a donc suivi la forma-   jeune homme. Et ce sentiment l’a rendu accro.       l’Everest et son objectif suprême, la face nord
tion. Il aimait fréquenter l’école profession-     Il voulait se mesurer à d’autres cimes, encore      de l’Eiger. Le sympathique jeune homme de
nelle où, pour la première fois, un professeur     plus hautes, encore plus raides. C’est ainsi que    23 ans a déjà escaladé d’innombrables mon-
l’a encouragé et épaulé et a tenu compte de                                                            tagnes et sans doute remporté sa bataille la
ses besoins. Après son apprentissage, il est                                                           plus importante: accepter que sa maladie fait
parti trois mois en Angleterre pour un séjour                                                          partie de lui. Grâce à ses médicaments, il n’a
                                                         «JE POUVAIS REPARTIR DE
linguistique. «Ça a été un nouveau départ                                                              plus eu de crises depuis près d’un an et demi.
pour moi. Personne ne me connaissait, n’était            ZÉRO, C’ÉTAIT AGRÉABLE»                       Il est convaincu que s’il peut gravir les plus
au courant de mon passé et je me suis vrai-                                                            hauts sommets de ce monde, il peut vaincre
ment épanoui», raconte-t-il. Il s’est tellement                                                        la maladie. Et c’est ce qu’on lui souhaite.
plu là-bas et a tant progressé à l’école de lan-   peu de temps après, il a enchaîné dix sommets
gues qu’il a enchaîné trois mois supplémen-        de 4000 mètres lors d’un «Spaghetti Tour» de        Lars Reinfried est également Epi-coach (voir
taires. Ceux-ci achevés, il n’avait toujours       cinq jours. «Je voyais chaque jour le Cervin        encadré) et, en tant que tel, dialogue avec
pas envie de rentrer. «Pour la première fois de    pendant cette traversée et je savais que ce se-     d’autres personnes atteintes d’épilepsie. Cet
ma vie, je me sentais vraiment libre et j’avais    rait l’objectif suivant», raconte Lars Reinfried,   engagement lui tient à cœur: «Je veux en-
retrouvé ma joie de vivre», se souvient-il et      qui a entre-temps transformé sa passion en          courager les autres et leur montrer qu’il ne
son visage est radieux. Il a donc cherché et       métier et travaille dans un magasin de sport        faut jamais baisser les bras mais croire en ses
trouvé un emploi de chef sushi et est resté en     spécialisé dans l’alpinisme et l’escalade. Aus-     rêves.»

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