Afrika-bulletin - Zentrum für Afrikastudien Basel
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Fr. 7.– / Euro 7.– September 2021 Fragen zur schweizerischen Entwicklungspolitik afrika-bulletin Nummer 183
Editorial Das vorliegende Afrika-Bulletin befasst sich für ein- mal nicht mit Afrika, sondern mit der schweizerischen Entwicklungspolitik. Ausgangspunkte waren die neuen strategischen Instrumente des Bundesrates zur interna- tionalen Zusammenarbeit sowie eine im Nachgang zur Konzernverantwortungsinitiative (KVI) entstandene De- batte über die Rolle der Nichtregierungsorganisationen. Bekanntlich scheiterte die von einer breiten Koalition zivilgesellschaftlicher und kirchlicher Organisationen lancierte und getragene KVI – darunter auch das Afrika- Komitee – am Ständemehr. Die einmalige Mobilisierung rund um die KVI – erinnern wir uns an die überall sicht- 2 Barbara Müller ist langjähriges baren orangen Fahnen –, hat rechtsbürgerliche Politiker: Mitglied des Afrika-Komitees innen auf den Plan gerufen. Wie Hans-Ulrich Stauffer in und der KEESA. Die Ethnologin ist Doktorandin am Zentrum seinem Beitrag ausführt, fordern sie, dass den mit öf- für Afrikastudien der Universität fentlichen Mitteln unterstützten Entwicklungsorganisa- Basel. Kontakt: tionen ein Maulkorb zu verordnen sei. Sie sollen sich in b.mueller@unibas.ch. ihren Einsatzländern zwar für Demokratie einsetzen, im eigenen Land dürfen sie sich jedoch nicht zu politi- schen Fragen äussern. Die zentrale Bedeutung, die der Aufklärungsarbeit über die Zusammenhänge zwischen dem Leben, das wir in der Schweiz führen, und den Le- bensumständen im globalen Süden zukommt, schil- dert Kristina Lanz. Sie argumentiert, dass diese Organi- sationen damit einen unerlässlichen Beitrag zur demo- kratischen Meinungsbildung in der Schweiz leisten. Herbert Schmid stellt die erstmals formulierte Afrika- strategie des Bundes vor. Dabei legt er den Finger auf Schwachstellen wie die mangelnde Kohärenz in der Impressum schweizerischen Aussenpolitik (Entwicklung vs. wirt- schaftliches Eigeninteresse) und die fehlende Nachhal- tigkeit. Abschliessend stellt Elísio Macamo grundsätz- Ausgabe 183 | September 2021 liche Fragen zur schweizerischen Strategie der inter- ISSN 1661-5603 nationalen Zusammenarbeit. Kann ein Land überhaupt Das «Afrika-Bulletin» erscheint vierteljährlich im 46. Jahrgang. von aussen entwickelt werden? Und kennt jemand die Herausgeber: Afrika-Komitee, Basel, und Zentrum für Afrikastudien Basel. Hebel, die betätigt werden müssen, damit Entwicklung Redaktionskommission: Veit Arlt, Susy Greuter, Elísio Macamo, Barbara Müller und Hans-Ulrich Stauffer erfolgt? Auch der letzte Beitrag behandelt schweizerisches Das Afrika-Komitee im Internet: www.afrikakomitee.ch Das Zentrum für Afrikastudien im Internet: www.zasb.unibas.ch Geschehen. Anlässlich des Todes von Mathieu Musey Redaktionssekretariat: Beatrice Felber Rochat erinnert sich Ruedi Suter an eindrückliche Begegnun- Afrika-Komitee: Postfach 1072, 4001 Basel, Schweiz gen mit dem kongolesischen Philosophen, der 1988 Telefon: (+41) 61.691 62 93 zusammen mit seiner Familie trotz einer breiten Solida- E-Mail Redaktionelles: afrikabulletin@afrikakomitee.ch E-Mail Abonnemente und Bestellungen: info@afrikakomitee.ch ritätsbewegung mit Polizeigewalt ausgeschafft wurde. Postcheck-Konto: IBAN CH26 0900 0000 4001 77543 Ein unerfreulicher Nachtrag zur Konzernverantwor- Für Überweisungen aus dem Ausland: tungsinitiative: Bei der Umsetzung des Gegenvorschlags in Euro: Postkonto, IBAN CH40 0900 0000 9139 8667 9 plant der Bundesrat Schlupflöcher für Grosskonzerne. (Bic SwiftCode: POFICHBEXXX; Swiss Post, PostFinance, CH-3000 Bern) Entgegen den vor der Abstimmung gemachten Zusiche- Mitarbeitende dieser Ausgabe: Elena Allendörfer, Veit Arlt (Red.), Pius Frey, rungen bezüglich Kinderarbeit und Goldhandel sollen Elisa Fuchs, Susy Greuter (Red.), Kristina Lanz, Elísio Macamo (Red.), Barbara Müller (Red.), RJSC, Herbert Schmid, Hans-Ulrich Stauffer (Red.) und Ruedi Sutter Selbstdeklarationen jetzt genügen, damit sich Konzer- ne gesetzlichen Bestimmungen entziehen können. Wur- Druck: Rumzeis-Druck, Basel den die Stimmbürger:innen vom Bundesrat hinters Licht Inserate: Gemäss Tarif 5/99, Beilagen auf Anfrage Jahresabonnement: Fr. 40.–/Euro 40.– geführt? Es gilt, weiterhin genau hinzusehen ! Unterstützungsabonnement: Fr. 50.–/Euro 50.– Ein möglichst inklusiver Sprachgebrauch ist uns Im Mitgliederbeitrag von Fr. 60.–/Euro 60.– ist das Abonnement enthalten. seit Langem ein Anliegen. Nach verschiedenen Phasen Redaktionsschluss Nummer 184: 30. September 2021 mit Binnen-I, respektive wechselnder Verwendung Schwerpunktthema: Sport Schwerpunktthemen der nächsten Ausgaben: Politische Ikonen, Unternehmertum, weiblicher und männlicher Formen, gehen wir mit dem Humor, Binnenmigration, Mode vorliegenden Heft zum Gender-Doppelpunkt über. • Interessierte an einer Mitarbeit sind eingeladen, mit der Redaktion Kontakt aufzunehmen. Ich wünsche eine anregende Lektüre! Unser Titelbild: Die Konzernverantwortungsinitiative mobilisierte in besonderem Masse Organisationen der Zivilgesellschaft. Auch die Kirchen (im Bild die Pauluskirche in Bern im November 2020) setzten sich prominent für die Kampagne Barbara Müller ein und ernteten Kritik dafür (Bild: AnBuKu, Wikimedia).
Nichtregierungsorganisationen im Dilemma Bundesrat verlangt innenpolitische Abstinenz Nachdem hiesige Nichtregierungsorganisationen keit, dabei insbesondere junge Menschen, über globa- (NGOs) einen grossen Erfolg mit der Konzernver- le Herausforderungen aufzuklären und für die enge Ver- knüpfung von Frieden, Sicherheit, nachhaltiger Entwick- Schwerpunktthema antwortungsinitiative verzeichneten, bindet der lung und Wohlstand zu sensibilisieren». Tempi passati Bund die politische Arbeit der Organisationen zu- – neu müsste nun ergänzt werden: «Dafür dürfen sie rück. Hans-Ulrich Stauffer beleuchtet eine wider- aber keine Bundesgelder verwenden». Oder vielleicht auch: «Diese Informationsarbeit darf jedoch überge- sprüchliche Haltung. ordneten Wirtschaftsinteressen nicht schaden». Also: «NGOs, informiert bitte auch in der Schweiz, das ist Vor den Sommerferien hat der deutsche Bundestag Euer Auftrag gemäss Richtlinie 2019, aber bezahlt das das Lieferkettengesetz verabschiedet, das in Deutsch- aus der eigenen Tasche»! land ansässige international tätige Konzerne zur Ein- Die weltweiten Herausforderungen sind enorm. Me- haltung von menschenrechtlichen Minimalstandards gatrends wie wachsende gesellschaftliche und wirt- 3 verpflichtet. Für Verstösse gegen Menschenrechte in der schaftliche Disparitäten, Klimawandel, Biodiversitäts- gesamten Lieferkette haften die in Deutschland ansäs- rückgang, Wasserknappheit und andere Herausforde- sigen Konzerne. Anders in der Schweiz. Die Konzern- rungen verändern die Grundlagen des Miteinanders. Mi- verantwortungsinitiative wurde zwar von einer knap- grationsströme, politische Erschütterung, regionale und pen Mehrheit der schweizerischen Bevölkerung ange- internationale Krisenherde sind die Folge. Dazu ist ei- nommen, scheiterte aber am Mehr der Kantone. Dabei niges zu sagen und Handeln tut not. hatten sich selbst namhafte international tätige Kon- zerne mit Sitz in der Schweiz für die Initiative einge- Die Hand die Euch füttert setzt. Aussenpolitisch positioniert sich der Bundesrat ger- Dem Volksentscheid war ein intensiver Abstim- ne als Brückenbauer, der Hand zu zukunftsweisenden mungskampf vorausgegangen. Zahlreiche Nichtregie- Lösungen bietet. Dabei kommen ihm die Aktivitäten von rungsorganisationen aus dem kirchlichen, entwicklungs- Nichtregierungsorganisationen sehr gelegen. «Der Mehr- politischen und sozial engagierten Umfeld setzten sich wert der Zusammenarbeit mit den hiesigen NGOs wird für ein Ja ein. Nachdem Meinungsumfragen eine Zustim- anerkannt. Dank ihrem Wissen und ihrer lokalen Ver- mung zur Initiative prognostiziert hatten, schrillten die ankerung sind Schweizer NGOs wichtige Akteure für Alarmglocken bei jenen, die jegliche Selbstverpflichtung die Umsetzung der Agenda 2030. Mit ihrer kompeten- ablehnen. Nachdem die politischen Argumente gegen ten und international geschätzten Arbeit tragen die die Initiative nicht mehr ausreichten, wurde die Finanz- Schweizer NGOs zum guten Ruf der Schweiz bei», schreibt keule hervorgeholt: Wer vom Bund Gelder bezieht, ha- Aussenminister Cassis in einem Schreiben vom 18. Fe- be sich politischer Stellungnahmen zu enthalten. Mit die- bruar 2021 als Antwort auf eine Eingabe von Vertre- sen Geldern dürften keine begleitenden politischen Stel- ter:innen der Zivilgesellschaft bezüglich des verhäng- lungnahmen finanziert werden. Wer sich nicht daran ten Maulkorbs. Im Klartext: NGOs, macht weiter eure halte, dem werde der Geldhahn zugedreht, und – gar Arbeit. Sie trägt zum Renommée der Schweiz bei und noch schlimmer – die Gelder müssten zurückerstattet hilft, den einen oder anderen internationalen Deal an werden. Land zu ziehen. Aber denkt daran: Die Hand, die euch Diese politische Forderung rechtsbürgerlicher Krei- füttert, sollt ihr nicht beissen! se wurde umgehend von der Direktion für Entwicklungs- Diese Entwicklung geht einher mit der immer enge- zusammenarbeit (DEZA) übernommen. Fortan ist klar: ren Anbindung der Entwicklungszusammenarbeit an Wer staatliche Gelder für Entwicklungsprojekte erhält, die Aussenhandelspolitik. Hilfe wird dort geleistet, wo hat zu politischen Fragen zu schweigen, seien es nun ein Rückfluss zu erwarten ist. Selbstverständlich kön- innen- oder aussenpolitische Themen. Gewünscht ist die nen NGOs auch anderswo äusserst sinnvolle, oft zeit- Durchführung eines netten Projekts, das vielleicht zur lich und personell aufwändige Entwicklungsprojekte Entwicklung beiträgt. Aber im Inland darüber zu infor- ohne dieses staatliche Korsett durchführen. Doch fi- mieren, dass es nicht darum geht, mehr zu geben, son- nanzielle Mittel gibt es dafür vom Bund keine. dern weniger zu nehmen, ist tabu. Kuschen oder opponieren? Eine entscheidende Fra- ge für die NGOs! • Unterschiedliche Ellen Wie gerne hat sich doch die Schweiz verschiedent- lich in der Förderung der Demokratie in autoritär regier- ten Staaten engagiert mit dem Ziel, die dortige Zivilge- sellschaft zu stärken. Für dieses Anliegen waren schwei- zerische und lokale NGOs unverzichtbare Transmissi- onsriemen. Doch in der Schweiz selbst wird nun die politische Arbeit von NGOs in der Zivilgesellschaft aus- gebremst. Geänderte politische Konstellationen und Kräfte- verhältnisse führen bekanntlich zu mancherlei Kurs- Hans-Ulrich Stauffer ist Rechtsanwalt wechseln. Noch vor zwei Jahren, 2019, hielt die DEZA in und Gründungsmitglied des Afrika- Komitees und seit 1976 Mitglied des ihren Richtlinien fest: «Eine wichtige Aufgabe der Redaktionskomitees des Afrika- Schweizer NGOs besteht darin, die Schweizer Öffentlich- Bulletins. Kontakt: stauffer@awg.ch.
Nach der Konzernverantwortungsinititiave Bürgerliche bremsen die Bildungsarbeit der NGOs Entwicklungsorganisationen sollen sich auf die Schweizer Politgeschichte zog eine breit abgestützte Projektarbeit konzentrieren und öffentliche Gel- Koalition aus 130 NGOs, zahlreichen Menschen aus kirch- lichen und wirtschaftlichen Kreisen, Parlamentarier:in- der nur noch im Ausland ausgeben, finden bür- nen aus allen politischen Parteien sowie Tausenden von gerliche Politiker:innen. Falsch, sagt Kristina Lanz Freiwilligen am gleichen Strick. Auch wenn die Initiati- von Alliance Sud, und weist auf die zentrale Rol- ve scheiterte, zeigte sie doch, was die Zivilgesellschaft und allen voran die NGOs erreichen können, wenn sie le der Bewusstseinsbildung im Inland hin. ihre Kräfte bündeln. Was eigentlich als positives Zeichen einer lebendigen Demokratie und einer interessierten Nichtregierungsorganisationen (NGOs) sensibilisie- Bevölkerung gedeutet werden könnte, scheint nicht al- ren die Bevölkerung für konkrete Entwicklungsproble- len zu passen. me und zeigen globale Zusammenhänge auf: Durch fun- 4 dierte Studien und Berichte informieren sie beispiels- Liberale wollen Politikverbot für NGOs weise über die Arbeitsbedingungen auf ghanaischen Schon bevor es zur Abstimmung kam, reichte Ruedi Kakaoplantagen, die lokalen Auswirkungen einer Gold- Noser (FDP-Ständerat und KVI-Gegner der ersten Stun- mine in Tanzania oder die Auswirkungen der Klimakri- de) eine Motion ein, mit der er den Bund beauftragte zu se in Mozambique. Sie zeigen dabei Zusammenhänge prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Steuerbefrei- auf zwischen unserem Leben – der Schokolade, die wir ung bei gemeinnützig tätigen Organisationen (sprich konsumieren; dem Goldhandel, der grösstenteils über NGOs), die sich politisch engagieren, noch gegeben seien die Schweiz läuft; den viel zu hohen CO2-Emissionen oder ob die Steuerbefreiung andernfalls aufzuheben der Schweiz – und den damit verbundenen Schicksalen sei. Der Ständerat hat in der letzten Sommersession die im globalen Süden. Gleichzeitig thematisieren sie, wel- Motion knapp angenommen: Anscheinend traut eine chen Beitrag die Entwicklungszusammenarbeit und die knappe Mehrheit der Kantonsvertreter:innen ihren Kan- Entwicklungspolitik zur Lösung dieser Probleme leisten. tonen nicht zu, dass sie ihre Hausaufgaben machen kön- nen. Dies obwohl der Bundesrat in seiner rechtlich fun- dierten Antwort die bewährte Rechtspraxis und kanto- nale Kompetenz hervorhebt und die Tatsache legiti- miert, dass sich bei «steuerbefreiten Organisationen auch Schnittstellen zu politischen Themen ergeben». Der Bundesrat hält zudem fest, dass «die materielle oder ideelle Unterstützung von Initiativen oder Refe- renden einer Steuerbefreiung grundsätzlich nicht ent- gegenstehe». Nach der KVI-Abstimmung gab es noch weitere par- lamentarische Vorstösse, die allesamt die politische Rol- le der NGOs in Frage stellten. So verlangt etwa National- rätin Elisabeth Schneider-Schneiter (CVP) vom Bundes- rat einen Bericht zur Frage, welche NGO-Tätigkeiten mit welchen Mitteln auf Basis welcher gesetzlichen Grund- lage finanziert werden, und welche politischen Vertre- ter:innen in den Steuerungsorganen Einsitz nehmen. Begründet wird ihr Vorstoss damit, dass sich «Entwick- lungshilfeorganisationen immer mehr mit entwicklungs- politischen Forderungen im Inland, statt mit konkreter Entwicklungshilfe im Ausland beschäftigen». Eine Mo- tion von Nationalrat Hans-Peter Portmann (FDP) ver- langt vom Bundesrat die Überprüfung der staatlichen Die orangen Fahnen der Unterstützungen an Projekte der internationalen Zusam- Kampagne prägten das menarbeit von NGOs, die sich an politischen Kampag- Ortsbild und zeugten von der grossen Unterstützung Diese wichtige Sensibilisierungsarbeit stellen nun nen beteiligt haben. (Bild: Konzernverant- verschiedene bürgerliche Politiker:innen in Frage, nicht Eine kritische Diskussion über die politische Rolle wortungsinitiative, weil ihnen das Schicksal des globalen Südens beson- von wirtschaftsnahen Verbänden und Think-Tanks, die www.konzern-initiative.ch). ders am Herzen liegen würde, sondern weil sie nach als nicht-staatliche Akteure eigentlich ebenfalls zu den der Konzernverantwortungsinitiative (KVI) − die im No- NGOs gehören, soll mit diesen Vorstössen anscheinend vember 2020 an der Urne eine Volksmehrheit erreichte vermieden werden. Es ist darum ausdrücklich nur von aber am Ständemehr scheiterte − einen Machtverlust NGOs im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit die befürchten und den NGOs einen Maulkorb verpassen Rede. Nur: Die politische Arbeit der NGOs mit Geldern wollen. Noch selten hat eine Volksinitiative für so viel der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit Furore gesorgt wie die KVI. Schon Monate, gar Jahre vor (DEZA) war schon immer vertraglich ausgeschlossen. Es der Abstimmung stand sie immer wieder in den Schlag- ist sinnvoll, dass der Bund keine Steuergelder in politi- zeilen und war auch dank der orangen Fahnen und der sche Kampagnen stecken will – ein generelles Politik- vielfältigen Aktivitäten zahlreicher Lokalkomitees bei verbot für NGOs, die Bundesgelder erhalten, wäre aber der Bevölkerung sehr präsent. Zum ersten Mal in der absurd und höchst problematisch.
Demokratie lebt von Meinungsvielfalt Sensibilisierung und Bildung zu Themen der nach- Unsere Demokratie lebt davon, dass verschiedene haltigen Entwicklung (inklusive der Entwicklungszu- Akteur:innen ihre Expertise, Meinungen und Anliegen sammenarbeit) sind zentrale Komponenten der Agen- Schwerpunktthema in die politische Debatte einbringen. Neben verschie- da 2030 für nachhaltige Entwicklung, die auch die denen Wirtschaftsakteur:innen und anderen zivilgesell- Schweiz unterzeichnet hat. Die Agenda 2030 mit ihren schaftlichen Gruppierungen (wie etwa den Gewerkschaf- 17 Zielen (Sustainable Development Goals, SDGs) rich- ten oder dem Afrika-Komitee) leisten auch die am Ge- tet sich an alle Länder, nicht nur an die Entwicklungs- meinwohl ausgerichteten NGOs einen Beitrag zur de- länder. Sie beinhaltet einen Paradigmenwechsel in der mokratischen Debatte in unserem Land. Im Gegensatz internationalen Zusammenarbeit, indem sie dazu auf- zu Repräsentant:innen der Wirtschaft, die in der Regel fordert, sämtliche Politikbereiche nachhaltig zu gestal- für ihre Eigeninteressen lobbyieren, setzen sich diese ten und dabei auch die globalen Verflechtungen zu be- NGOs gemäss ihrem Mandat für gemeinnützige Umwelt- rücksichtigen. Die Sensibilisierungs- und Bildungsar- oder soziale Anliegen ein. Finanziert wird der politische beit ist unerlässlich für die Erreichung der Ziele: SDG 4 5 Einsatz aus Mitgliedschaftsbeiträgen sowie aus für spe- verlangt beispielsweise von allen Ländern bis 2030, zifische politische Zwecke gespendeten Geldern. dass alle Lernenden die notwendigen Kenntnisse und Während verschiedene bürgerliche Politiker:innen Qualifikationen zur Förderung nachhaltiger Entwick- in den Verwaltungsräten der Privatwirtschaft sitzen, lung erwerben. Dies beinhaltet die Bildung in Bezug auf sich immer wieder auf Lobbyveranstaltungen der Wirt- Menschenrechte, nachhaltige Lebensweisen, Geschlech- schaftsverbände zeigen und sich häufig vehement ge- tergleichstellung, eine Kultur des Friedens und der Ge- gen grössere Transparenz bei den Parteispenden weh- waltlosigkeit, Weltbürgerschaft und die Wertschätzung Kristina Lanz ist Fachver- antwortliche für Ent- ren (da dann wohl gewisse Verbindungen noch offen- kultureller Vielfalt sowie den Beitrag der Kultur zur nach- wicklungspolitik bei Alliance sichtlicher würden), sollen nun bei den NGOs in der Ent- haltigen Entwicklung. Sud, dem gemeinsamen wicklungszusammenarbeit eventuelle politische Verbin- Die aktuellen politischen Diskussionen beeinträch- entwicklungspolitischen Think-and-Do-Tank der sechs dungen und Interessensvertretungen genau durchleuch- tigen eine verantwortungsvolle und transparente Kom- Schweizer Entwicklungs- tet werden. Gleichzeitig scheinen sich dieselben Politi- munikation über die internationale Zusammenarbeit und organisationen Swissaid, ker:innen, die diesen NGOs einen politischen Maulkorb die Agenda 2030. Der Bund und das Parlament täten Fastenopfer, Brot für alle, Helvetas, Caritas und Heks. verpassen wollen, nicht daran zu stören, dass andere gut daran, mit den NGOs auch im Inland zu kooperieren, Kontakt: kristina.lanz@ Akteur:innen und Verbände, die von staatlichen Sub- statt sie für ihr politisches Engagement zu bestrafen.• alliancesud.ch. ventionen und weiteren öffentlichen Beiträgen profitie- ren, ebenfalls Informationskampagnen lancieren und sich in Abstimmungskämpfe einmischen. Ein generelles «Politikverbot» für NGOs, welche Bun- desgelder erhalten, würde wohl viele kritische Stim- men zum Verstummen bringen und die Übermacht der Wirtschaftslobbyist:innen festigen. Auch wenn einige bürgerliche Politiker:innen sich dies wünschen mögen, wäre es für ein Land, das gerne seine Demokratie, Welt- offenheit und humanitäre Tradition betont, eine Bank- rotterklärung. Gleichzeitig müsste man bei einem Poli- tikverbot für NGOs konsequenterweise auch alle ande- ren staatlichen Beiträge und Subventionen dahingeh- end untersuchen, ob deren Empfänger:innen politisch aktiv sind, und auch diese staatlichen Beiträge gegebe- nenfalls streichen. Das wäre wohl kaum im Interesse der betreffenden Politiker:innen. Bildungsarbeit für Agenda 2030 zentral Im Anschluss an die KVI-Abstimmung hat wohl aus parteipolitischer «Solidarität» auch das Eidgenössische Department für auswärtige Angelegenheiten die Inland- arbeit der Zivilgesellschaft torpediert. So verkündete die DEZA (vermutlich auf Druck des Departementsvor- stehers Ignazio Cassis, wie Noser und Portmann Mit- glied der FDP) im Dezember äusserst kurzfristig, dass sie per sofort die Bildungs- und Sensibilisierungsarbeit der NGOs im Inland nicht mehr mitfinanzieren könne. Dieser Entscheid kam umso überraschender, als die DEZA erst ein Jahr zuvor neue Richtlinien zur Zusam- menarbeit mit den NGOs verabschiedet hatte, die un- ter anderem festhalten, dass eine wichtige Aufgabe der Schweizer NGOs darin besteht, die Schweizer Öffent- lichkeit über die globalen Zusammenhänge zu infor- mieren (vgl. Zitat aus den Richtlinien im Beitrag von Hans-Ulrich Stauffer auf Seite 3).
Zur schweizerischen Aussenpolitik Die neue Afrikastrategie Im Januar 2021 hat der Bundesrat zum ersten Mal sierte Entwicklungszusammenarbeit soll zu Armuts- eine Afrikastrategie, genauer eine Strategie für reduktion und nachhaltiger Entwicklung beitragen. Subsahara-Afrika, verabschiedet. Sie ist gültig für • Nachhaltigkeit den Zeitraum 2021 bis 2024. Der nachfolgende Ar- Die Umsetzung der globalen Nachhaltigkeitsagenda, tikel von Herbert Schmid vermittelt einen Über- der Agenda 2030, wird als Priorität für die Strategie gesetzt. Das aussenpolitische Engagement der blick über die Strategie und gibt eine Einschät- Schweiz für die Bekämpfung des Klimawandels und zung aus zivilgesellschaftlicher Sicht. für den Umweltschutz soll verstärkt werden. • Digitalisierung Die Afrikastrategie basiert auf der Aussenpolitischen Angesichts der zunehmenden Bedeutung der Digi- 6 Strategie (APS) der Schweiz, die seit 2020 in Kraft ist. talisierung will die Schweiz ihr Profil in der Digital- Diese formuliert den übergeordneten Rahmen der aussenpolitik ausbauen. Genf soll als ein globales schweizerischen Aussenpolitik. Es ist daher sinnvoll, de- Zentrum für die Gestaltung der digitalen Gouver- ren thematische Schwerpunkte kurz in Erinnerung zu nanz und anderer Zukunftsthemen gestärkt wer- rufen: den. Das Profil der Schweiz und ihre Kompetenzen an der Schnittstelle von Diplomatie, Technologie und Wissenschaft werden gezielt im Sinne der Wis- Die Strategie ist frei verfügbar. senschaftsdiplomatie weiterentwickelt. Der Inhalt der Afrikastrategie Wie soll nun die Aussenpolitische Strategie im Falle Afrikas umgesetzt werden? Die Afrikastrategie formu- liert davon abgeleitet die Schwerpunkte, die geografi- schen Regionen und die Themenbereiche für die ein- zelnen Regionen. Die Schwerpunkte stimmen mit den- jenigen der APS überein. Die Strategie soll prioritär in Gebieten zum Einsatz kommen, in denen die schweizerische Entwicklungszu- sammenarbeit seit langem tätig ist. — Der Sahel (insbesondere die Staaten am südlichen Rand der Sahara) — Das Horn von Afrika (das Gebiet des östlichen Afri- kas um Kenya und Äthiopien) — Die Region der grossen Seen (von Ostkongo bis Tan- zania/Mozambique) — Dazu kommt die Kategorie der sogenannten wirt- schaftlichen Löwinnen (darunter fallen die wirtschaft- lichen Schwergewichte Südafrika, Nigeria, Côte d’Ivoire, Ghana, Senegal, Kenya, Äthiopien, Ango- la, sowie der Kleinstaat Ruanda). Die Aussenpolitik wird sich in den Regionen auf eine Reihe von Themenbereichen konzentrieren, beispiels- • Frieden und Sicherheit weise: Weltpolitisch sind Tendenzen zu weiterer Polarisie- — Sahel: Friedensförderung, humanitäres Engagement, rung festzustellen. Die Schweiz kann mit ihren Gu- irreguläre Migration, politische Transition, Basis- ten Diensten und dem friedenspolitischen Know- versorgung (v.a. Gesundheit und Bildung), Wasser how weiterhin wichtige Beiträge zu Vermittlungen und Landwirtschaft leisten. Dafür werden insbesondere die Kandidatur — Horn von Afrika: Friedensförderung, irreguläre Mi- für, respektive die Mitgliedschaft im UNO-Sicher- gration, politische Transition, Basisversorgung (v.a. heitsrat in den Jahren 2023 bis 2024 als erfolgsver- Gesundheit und Bildung), wirtschaftliche Rahmen- sprechendes Instrument angesehen. bedingungen, Klimawandel — Grosse Seen: Friedensförderung, Rechtstaatlichkeit, • Wohlstand Grundrechte, Gouvernanz und Grundversorgung, Die APS geht davon aus, dass das internationale Um- wirtschaftliche Zusammenarbeit, Rohstoffbereich feld für die Schweizer Wirtschaft anspruchsvoller — «Löwinnen»: Wirtschaftliche Bedingungen, Handels- wird. Das Engagement für gute Rahmenbedingun- und Investitionsmöglichkeiten, verantwortungsvol- gen und Marktzugang ist zentral, in Europa und glo- le Unternehmensführung und Korruption, digitale bal. Die Konsolidierung des bilateralen Wegs mit der Transformation und das Potenzial der jungen Gene- EU soll dabei im Vordergrund stehen. Eine fokus- ration
— Vertiefung der Zusammenarbeit mit zahlreichen Re- gionalorganisationen In finanzieller Hinsicht macht die Strategie keine Aussagen. Als Annäherung lassen sich die Angaben der Botschaft zur Weiterführung der internationalen Zusam- menarbeit 2021 bis 2024 heranziehen. Diese sieht vor, dass 55 Prozent (1,59 Milliarden Franken) der bilatera- len Mittel des Rahmenkredits Entwicklungszusammen- arbeit in Subsahara-Afrika eingesetzt werden. Im vor- angehenden Rahmenkredit lag Afrikas Anteil ungefähr bei 45 Prozent. Diese Konzentration auf den afrikani- schen Kontinent ist sinnvoll. Im Gegenzug werden Pro- gramme in Lateinamerika und Ostasien abgeschlossen. Einschätzung aus zivilgesellschaftlicher Sicht Mit der Afrikastrategie verfügt die schweizerische Aussenpolitik erstmals über einen ausformulierten stra- tegischen Rahmen für ihr Engagement auf dem afrika- nischen Kontinent. Das ist positiv zu werten. Es be- steht damit ein Rahmenwerk, das auf seine Konsistenz und die Durchführung überprüft werden kann, auch wenn die Vorgaben allgemein gehalten sind. Die Afri- kastrategie gibt zudem eine erhöhte Konzentration der Besonders interessiert Zusammenarbeit mit dem afrikanischen Kontinent vor, ist der Bund an den als Löwinnen bezeichneten die globalpolitisch notwendig ist. Staaten (Bild: Afrika- Viele positive Auswirkungen von Entwicklungsbe- Strategie des Bundes). mühungen werden durch mangelnde politische Kohä- renz behindert. Man denke an die schweizerische Land- Zusammenarbeitsstrategien kommen heute nicht wirtschaftspolitik oder an die Rolle der Schweiz als ei- mehr um das Thema Migration herum. IZA kann einen ner der grössten Vermögensverwalter der Welt, der für Beitrag leisten zur Thematik, allerdings nur, wenn sie die Steuerflucht aus Afrika weiterhin eine Rolle spielt. global gedacht wird. Es ist ein Irrtum zu glauben, die Mit dem «Asset Recovery Programme» oder der Unter- Schweiz könne mit Programmen in bestimmten Ländern stützung im Steuerbereich wurden zwar Resultate er- die Migration aus eben diesen Ländern verhindern. Noch zielt, weitere Anstrengungen sind aber notwendig, um wirklichkeitsfremder wäre eine «Migrationskonditio- diese kontraproduktiven Mechanismen abzubauen. nalität», durch die die Zusammenarbeit an Leistungen In Bezug auf nachhaltige Entwicklung ist die Strate- im Migrationsbereich gekoppelt würde. Die Afrikastra- gie wenig gehaltvoll. Es fehlen Verpflichtungen, die für tegie spricht sich erfreulicherweise klar dagegen aus. eine nachhaltige Entwicklung Afrikas notwendig wä- Die Schweiz war nie eine Kolonialmacht, das betont ren. Dass die Herausforderungen durch die Klimakrise die Strategie an mehreren Stellen. Dadurch geniesse und durch den Verlust an Biodiversität enorm sind, ist sie Vertrauen. Das trifft im politisch-historischen Sinne ein Gemeinplatz geworden. Afrika verursacht aber heu- zu und soll auch eingesetzt werden. Die Schweiz tut te als Kontinent gerade mal drei Prozent des weltwei- aber gut daran, sich dafür nicht allzu sehr auf die Schul- ten CO2-Ausstosses (www.ourworldindata.org, 2021). ter zu klopfen. Es waren nicht nur Staaten, die sich an Grossverbraucher wie die USA oder die EU dagegen 26 Kolonial- und Sklavenhandel mit unmenschlichen Prak- bzw. 33 Prozent. Historisch gesehen ist der Anteil Afri- tiken bereichert haben. Davon profitierten auch Schwei- kas mit etwas mehr als einem Prozent noch geringer. zer Bürger:innen oder Unternehmen. Dessen ist man Afrika hat zur Erhitzung des Weltklimas praktisch nicht sich auch in Afrika bewusst. Quellen beigetragen. Da wäre eine wesentlich grosszügigere Un- Afrika ist weiterhin mit beachtlichen Herausforde- Die aussenpolitische terstützung angebracht. Afrika trägt die Folgen genau- rungen konfrontiert, die nur in einem offenen Dialog Strategie, die Afrika-Strategie und deren Ankündigung sind so stark wie der Rest der Welt – oder stärker. Es geht aber gemeistert werden können. • auf folgenden Webseiten zu nicht nur um die finanziellen Aspekte. Mit der Agenda finden: 2030 und dem Pariser Klimaabkommen hat sich die — https://www.eda.admin.ch/ Schweiz zu internationalen Abkommen verpflichtet, die eda/de/home/aussenpolitik/ kohärente Massnahmen auf zahlreichen Gebieten, auch strategien/geografische- strategien.html#afrika im eigenen Land, vorsehen. Da bleibt die Strategie sehr — vage. Und ein dritter Aspekt ist nicht zu vernachlässi- https://www.eda.admin.ch/ gen: Wenn die Entwicklung Afrikas rasch voranschrei- eda/de/home/aussenpolitik/ strategien/aussenpolitische ten soll, wird zusätzlicher Energiebedarf entstehen. Die- strategie.html ser darf nicht von CO2-belasteten Brennstoffen gedeckt — werden, sondern benötigt Transformationen und tech- https://www.admin.ch/gov/ Herbert Schmid war Koordinator für Entwicklungsprojekte der de/start/dokumentation/ nische und politische Unterstützung, um eine möglichst DEZA in Mozambique, Südafrika, Nord-Mazedonien und Kuba. medienmitteilungen. fossilfreie Entwicklung zu verwirklichen. Kontakt: herbert.schmid@solnet.ch. msg-id-78145.html
Die Strategie des Bundes zur internationalen Eine Frage der Perspektive Mit seinem Kommentar zur Strategie des Bundes nicht erschiessen – er tut sein Bestes!». Es ist müssig, nimmt Elísio Macamo aus kritischer Sicht einen Geberländer ständig für die Probleme der Entwicklung zu kritisieren – sie tun ihr Bestes. Doch es würde hel- Perspektivenwechsel vor, der es erlaubt, einige fen, wenn sie Entwicklungspolitik nicht unter der An- grundsätzliche Fragen zur internationalen Zusam- nahme konzipieren würden, dass sie Entwicklung her- menarbeit (IZA) und zur Entwicklungspolitik zu beiführen wird. Das wird sie nicht. Und selbst wenn doch, wird das Ergebnis von einem Faktorenmix ab- stellen. hängig sein, der die Erkenntnis bestätigen wird, dass die Angelegenheit komplex ist. Wir wissen zwar eini- «Die IZA-Strategie ist ein aussenpolitisches Werk- ges darüber, wie sich einzelne Komponenten verhal- zeug der Schweiz, um gestützt auf die Bundesverfas- ten, doch Entwicklung als Ganzes lässt sich schwer be- sung weltweit Not und Armut zu lindern, die Einhaltung schreiben. 8 der Menschenrechte zu verbessern, Demokratie zu för- Entwicklung hat kein brauchbares Gedächtnis, auf dern und die Umwelt zu schonen.» So kündigt der Bund das wir zurückgreifen könnten, um zu verstehen, wie seine neue IZA-Botschaft an. Doch die Vorstellung, dass andere es geschafft haben. Die Art und Weise, wie Län- diese Strategie Not und Armut lindern, die Einhaltung der sich entwickelt haben, lässt sich nicht so leicht mit der Menschenrechte verbessern, Demokratie fördern dem heutigen normativen Diskurs von Entwicklung in und die Umwelt schonen kann, stimmt nicht so ganz. Einklang bringen. Europäer:innen wanderten aus – meist Es fehlt das kleine Wort «helfen». Die IZA-Strategie kann illegal. Sie hielten Menschenrechte nicht ein, verübten helfen, all diese ehrgeizigen Ziele zu erreichen – oder Terror und führten Kriege gegen jene, die ihre Länder auch nicht! und ihren Besitz verteidigten. Sie verfolgten eine Poli- Entwicklung ist Aufgabe der Betroffenen. Wenn so- tik der globalen Enteignung. Nur durch Kampf konnten genannte Entwicklungsländer in ihren Bemühungen die betroffenen Länder ihre Unabhängigkeit wiederer- scheitern, dann scheitern sie selbst. Wenn sie erfolg- langen. reich sind, dann gebührt ihnen der Applaus dafür. In- Die Schweiz, wie wir sie heute kennen, ist nicht das ternationale Hilfe ist nur subsidiär – deshalb wird sie Ergebnis eines gradlinigen geschichtlichen Prozesses. eben auch als «Hilfe» bezeichnet. Allerdings kann sie Der Zufall war darin genauso präsent wie der Fleiss. auch stören. Das ist vor allem dann der Fall, wenn sie Aber Entwicklungspolitik ist immer auch Ergebnis von sich anmasst, selbst Entwicklung herbeiführen zu kön- Aushandlungsprozessen. Zur aktuellen Botschaft äus- nen. Denn das geht eigentlich nicht. Internationale Hil- serten sich die Kantone, viele Verbände und zivilgesell- fe stellt zwar Mittel bereit und kann durch Strukturpoli- schaftliche Organisation. Wir dürfen annehmen, dass sie tik die Bedingungen erheblich verbessern, doch unsere sich nicht auf die Suche nach einer aus technischer Per- Welt ist nach wie vor so verfasst, dass Unterentwick- spektive besseren Entwicklungspolitik machten. Sie tru- lung funktional für die Reproduktion des Reichtums gen Erwartungen an die Politik des Bundes heran. Die der Reichen ist. daraus entstandene Botschaft ist folglich primär Aus- druck dieses Aushandlungsprozesses und nicht einer Ein anhaltendes Bemühen Entwicklungspolitik mit der die Schweiz helfen würde, In Sachen Entwicklung gilt der gleiche Appel wie in die Welt zu entwickeln. Allein die vier thematischen den Saloons des Wilden Westen: «Bitte den Pianisten Schwerpunkte verraten dieses Problemfeld. Archivbestand des Afrika-Komitees Seit seiner Gründung 1973 sammelt das Afri- Projektkosten sind mit 20 000 Franken veran- ka-Komitee Informationsmaterial zum südlichen schlagt. Vom Swisslos-Fonds des Kantons Basel- Afrika. Das Archiv umfasst sowohl Dokumente Stadt sind 7000 Franken zugesagt; weitere 6000 von afrikanischen Befreiungsorganisationen wie Franken sind dem Afrika-Komitee bereits als auch von Solidaritätsbewegungen in der Schweiz. Spenden zugeflossen. Bei vielen handelt es sich um historisch einmalige Wir bitten unsere Leser:innen, durch eine Spen- Schriftstücke und Bilder, die namentlich die Befrei- de das Archiv-Projekt zu unterstützen. Besten ungskämpfe in Angola, Mozambique, Guinea-Bis- Dank.• sau, Kapverde, Zimbabwe, Südafrika, Äthiopien/ Eritrea und Westsahara dokumentieren. Das Afrika-Komitee will dieses wertvolle Ar- chiv erhalten und Forschenden zugänglich machen. Deshalb wird es wissenschaftlich erschlossen. Die
Zusammenarbeit Innenpolitische Ziele Die Botschaft will menschenwürdige Arbeitsplätze vor Ort schaffen. Das ist kein schlechtes Ziel, zu dessen Schwerpunktthema Erreichung die Konzernverantwortungsinitiative hätte beitragen können. Aber soll die Schweiz das überhaupt? Ist es nicht Aufgabe der unterstützten Regierungen und Länder zu bestimmen, was menschenwürdige Ar- beitsplätze sind, wie und wann sie geschaffen werden sollen, und welche Hilfe sie dazu benötigen? Der zweite thematische Schwerpunkt ist weniger problematisch, da es sich beim Kampf gegen den Klima- wandel um ein sehr allgemeines Ziel handelt. Doch fragt sich, wie genau dieses Ziel mit der Entwicklungszusam- 9 menarbeit vereinbart werden soll. Soll es als Kriterium für die Vergabe von Geldern dienen? Besteht ein Be- Bild: www.leadvilletoday.com. wusstsein dafür, dass die Erfüllung solcher Kriterien der Entwicklung nicht unbedingt förderlich sind? Das soll kein Freipass für Umweltverschmutzung sein, son- gewaltsame Konflikte abzuwehren. Schliesslich wissen dern lediglich eine Erinnerung daran, dass niemand über wir auch, wie wichtig die Auswanderung für die Ent- den Algorithmus der Entwicklung verfügt und dement- wicklung Europas war. sprechend niemand weiss, was passiert, wenn wir et- Am vierten thematischen Schwerpunkt, dem Enga- was noch nie Dagewesenes versuchen. Geberländer gement für Rechtsstaatlichkeit, ist an sich nichts aus- wissen nicht, wie Entwicklung unter Beachtung von zusetzen, auch wenn er nach einer stärkeren Regulie- Umweltbestimmungen erfolgt, ihre Handlungsanwei- rung in der Schweiz verlangt. Schliesslich leidet zum sungen basieren vielmehr auf schon erfolgter Entwick- Beispiel Mozambique unter der Last unbezahlbarer lung. Schulden, die mit starker Unterstützung einer Schwei- Die IZA-Botschaft nennt als dritten thematischen zer Bank zustande gekommen sind. Schwerpunkt die Reduktion der Ursachen von Flucht und Fazit: die IZA-Botschaft geht so in Ordnung. Es ist irregulärer Migration. Dieser Schwerpunkt entspricht eine Frage der Perspektive. Jedes Geberland braucht dem Motto «Aussenpolitik ist Innenpolitik». So gese- eine Entwicklungspolitik, und im Grunde spielt deren hen, gibt es aus der Sicht eines «Betroffenen» aus Afri- Qualität keine grosse Rolle. Afrika entwickeln wird sie ka wenig zu meckern. Aber wenn Entwicklung etwas ohnehin nicht, denn Afrika kann sich nur selbst entwi- sein soll, das auch die Betroffenen als solche definie- ckeln. • ren, dann dürfen wir uns über dieses Ziel wundern. Vielleicht ist Migration aus Sicht der Entwicklungslän- der keine schlechte Idee. Wir wissen, wie wichtig die Überweisungen der Migrant:innen sind. Wir wissen auch, wie gerade die Auswanderung von jungen Men- Elísio Macamo ist Soziologe und Professor für Afrikastudien an der schen dazu beiträgt, sozialen Dampf abzulassen und Universität Basel. Kontakt: elisio.macamo@unibas.ch. Steuerbefreiung für Spenden an das Afrika-Komitee Spenden an das Afrika-Komitee sind steuer- Jetzt mit TWINT spenden: befreit. Der Spendenbetrag kann vom Einkom- • QR-Code mit der TWINT-App scannen men abgezogen werden. Seit Jahrzehnten geniesst • Betrag eingeben und Adresse das Afrika-Komitee diese von der kantonalen • Betrag und Spende bestätigen Steuerverwaltung Basel-Stadt gewährte Steuerbe- freiung, der auch andere Kantonen folgen. Gerne stellen wir Ihnen eine Spendenbescheinigung zuhanden der Steuerverwaltung aus. Spenden bitte auf Postkonto 40-17754-3 IBAN CH26 0900 0000 4001 7754 3
Afrika in Kürze Uganda und Tanzania Cabo Verde Öl-Ressourcen und Pipeline-Bau Zusammenbruch des Tourismus Ende 2020 wurde mit einer Stabi- Die grossen Erdöl-Lagerstätten Dass die Pandemie Feriendestina- lisierung zum Frühjahr 2021 gerechnet beim Albertsee in Uganda sind seit tionen trifft, ist bekannt. Von den und der internationale Flugverkehr, langem bekannt. Erst 2020 schlossen Kapverdischen Inseln liegen – einmalig namentlich über den Jahreswechsel, Total und die staatliche chinesische für einen afrikanischen Staat – detail- wieder aufgenommen. Doch ein neuer CNOOC einen Vertrag zur gemeinsa- lierte Zahlen vor, die vom nationalen Ausbruch machte diese Pläne zunichte. men Ausbeutung dieser Ressourcen ab. Institut für Statistik erhoben wurden. Zwei Umstände werden dafür verant- Das mag an der kontinuierlich wach- Seit 2009 ist die kapverdische Wirt- wortlich gemacht: Im April herrschte 10 senden Wirtschaft in vielen afrikani- schaft stetig gewachsen, 2018 waren Wahlkampf für die Parlamentswahlen. schen Staaten liegen: Wie auch in Asien es 4,5, 2019 5,7 Prozent. Doch mit der Ohne Schutzmassnahmen wurden lassen diese auf gute Absatzchancen Pandemie schrumpfte das Bruttoin- Massenveranstaltungen durchgeführt – hoffen, wohingegen für Europa und landprodukt um ganze 14,8 Prozent, mit verheerenden Folgen. Zudem zeigt Nordamerika aufgrund der verpflich- also um gut ein Sechstel. Der Ertrag sich rückblickend, dass die verord- tenden Pariser Erklärungen eine stark aus dem Handel schrumpfte um neten Öffnungsbeschränkungen für sinkende Nachfrage vorausgesagt 21 Prozent, aus dem Transport um 33, Läden, Bars und Restaurants nicht wird. von Dienstleistungen um 24 und im eingehalten wurden. Viel zu spät wird Die 1450 Kilometer landeinwärts Gastgewerbe um 70 Prozent. In der diese Disziplinlosigkeit geahndet. Im liegenden Lagerstätten liefern ein sehr Hotellerie verloren 2020 über vier Mai 2021 sind insgesamt 635 Bars und schweres, zähes Öl, das für den Fünftel der Beschäftigten ihre Stelle, Läden für kürzere oder längere Zeit Transport erhitzt werden muss. Um es nahezu zwei Drittel aller Hotelbetriebe polizeilich geschlossen worden, alleine in den tansanischen Hafen zu leiten, waren am Jahresende geschlossen. auf der Insel Boavista 225 Betriebe und ist dementsprechend eine beheizte Der Tourismus trägt rund ein Viertel in Praia deren 164. Cabo Verde geriet Pipeline geplant, deren erstes Viertel zum nationalen Einkommen bei. in einen neuen, zweiten Lockdown. quer durch Uganda und die weiteren Auch Anfang 2021 sieht die Lage Damit war das Unheil angerichtet. drei durch Tanzania führen. Die katastrophal aus: Im ersten Quartal Heute muss damit gerechnet werden, notwendigen Verträge sind bereits von 2021 empfingen die Hotels des dass auch die wichtige Sommersaison beiden Regierungen unterzeichnet. Archipels 12 098 Gäste, ein Rückgang 2021 wegfällt. Mit dramatischen Knackpunkt wird aber die Finanzie- von 93,6 Prozent im Vergleich zu Folgen. Auf den auf Tourismus rung: 263 Organisationen der inter- 189 110 Gästen im gleichen Zeitraum ausgerichteten Inseln Sal und Boavista nationalen und auch der afrikanischen des Jahres 2020. Die Zahl der Über- ist die Mehrheit der Menschen heute Zivilgesellschaft richteten einen nachtungen sank in dieser Periode auf ohne Arbeit und damit auch ohne kollektiven Protest gegen die Ausbeu- 28 912, verglichen mit 1 102 883 im Einkommen. Nun werden die Bewoh- tung der Lagerstätten und insbeson- ersten Quartal 2020 (– 97,4 Prozent). ner:innen dieser beiden Inseln prioritär dere auch gegen die Pipeline an 25 Zu Beginn der Pandemie sah die geimpft, um vom Tourismus zu retten, Bankhäuser weltweit. Neben (sehr) Lage noch hoffnungsvoll aus. Dabei was noch zu retten ist. Bis Ende 2021 wenigen Arbeitsplätzen für die spielte die geografische Situation eine soll zudem die ganze in Betracht Einheimischen und Tantiemen für die wichtige Rolle: Schon im März 2020 fallende Bevölkerung von Cabo Verde Regierungen würde das Vorhaben wurde der internationale Luftverkehr durchgeimpft sein, was etwa 360 000 zwangsweise die Bevölkerung durch wie auch der Verkehr zwischen den Personen entspricht. • Enteignungen stark belasten, die Inseln eingestellt. So konnte vermieden Gewässer rund um die Ölfelder und werden, dass das Virus durch Reisende entlang der Pipeline gefährden und weiterverbreitet wurde. Doch die schwere Eingriffe in die an der Route Sommersaison 2020 war verloren. Auf liegenden Naturschutzgebiete nach mehreren Inseln, darunter den beiden sich ziehen – ganz abgesehen von den touristischen Hotspots Sal und 34 Millionen Tonnen CO2-Ausstoss Boavista, konnte die Zahl der infizier- jährlich, welche für den Bau berechnet ten Personen auf niedrigem Niveau wurden. stabil gehalten werden, jedoch stieg Offensichtlich hatte diese Aktion dann die Zahl in den Ballungszentren einigen Erfolg – Barclays und Credit Praia (Insel Santiago) und Mindelo Suisse nahmen offiziell Abstand von (Insel São Vicente) stark an. einer Finanzierung des Projektes. Auch die südafrikanische Standard Bank, welche die Exploration mitfinanzierte, will ein Gutachten abwarten, während der Widerstand weltweit wächst. Ob ein Misserfolg die Bereitschaft zur Finanzierung ökologischer Energie- quellen erhöhen würde? •
Zimbabwe Eritrea Afrika in Kürze Nahende Wahlen Kaliabbau in Colluli Dabei bieten sich in der Danakil-Wüste Das Wahljahr 2023 prägt bereits Kali – auch Potassium genannt – Sonne und Wind an, für deren Nutz- heute die Politik in Zimbabwe. Zwei ist ein wichtiges Düngemittel. Die barmachung Colluli mit einer in Verfassungsänderungen zielen darauf Vorkommen sind weltweit auf wenige Schottland ansässigen Firma zusam- ab, die Stellung des Staatsoberhauptes Lagerstätten verteilt. Gegenüber menarbeitet. Bedeutungsvoll ist auszubauen. Genau solch weitgehende Europas grösstem Kaliproduzenten – auch die Geothermie. Colluli liegt am Vollmachten hatte die 2013 in einer Belarus – laufen aufgrund der auto- ostafrikanischen Rift-Grabenbruch. Volksabstimmung angenommene kratischen Gewaltherrschaft unter Sondierungen haben ergeben, dass 11 Verfassung eingeschränkt. Die erste Lukaschenko Diskussionen über Heisswasser mit einer Temperatur von Verfassungsänderung passierte das Exportsanktionen. 2022 wird mit 250 bis 300 Grad nutzbar gemacht Parlament im Mai. Sie gibt dem Eritrea ein neuer Kali-Exporteur auf werden kann. Ein weiteres Problem Staatsoberhaupt u.a. das Recht, dem Weltmarkt aktiv. Nach rund stellt mitten in der Wüste die Süsswass- Richter:innen ohne öffentliche Anhö- zwanzigjähriger Projektierungs- und serversorgung dar. Für die Wasser- rung zu ernennen und ihre Amtszeit Entwicklungsarbeit wird in der versorgung wird in Zusammenarbeit über das Pensionierungsalter hinaus zu Danakil-Depression die Colluli-Minen- mit einer südafrikanischen Firma verlängern. Noch nicht verabschiedet gesellschaft mit dem Abbau beginnen. Meereswasser aus dem Roten Meer ist der «Patriotic Act», der Strafen für Die Gesellschaft ist ein Joint-Venture durch eine Umkehr-Osmose entsalzt Personen vorsieht, welche dem zwischen dem eritreischen Staat und und nach Colluli geleitet. Ansehen Zimbabwes schaden und der australischen Minengesellschaft Nächstes Jahr soll der Abbau Kontakte zu ausländischen Regierun- Dankali. Beide halten je 50 Prozent der beginnen. In einer ersten Phase sollen gen pflegen. Er zielt klar auf Kriti- Aktien. rund 470 000 Tonnen Kalium per Jahr ker:innen der Regierung. Im April Gegenüber anderen Kaliförderern abgebaut werden, die bis zur Fertig- beschloss das Kabinett sodann die hat Colluli den Vorteil, dass das stellung des Hafens von Anfile noch Einführung eines «National Youth Kalisalz direkt an der Oberfäche liegt über das weiter entfernte Massawa Training Program». Bereits 2001 hatte und damit im Tagebau gewonnen verschifft werden müssen. Der Abbau die damalige Regierung einen «Natio- werden kann. In Russland muss Kali in kann später bis auf rund 950 000 nal Youth Service» eingeführt, dessen 800 Meter Tiefe im Bergbau abgebaut Tonnen jährlich gesteigert werden. Die Angehörige bald als Terrortrupps werden, in Kanada sind es 900 bis Vorkommen sollen für 200 Jahre gegen Oppositionelle Furcht und 1100 Meter, in Grossbritannien 1400 reichen. Für Eritrea wird Colluli nach Schrecken verbreiteten. Verständlicher- bis 1500 Meter Tiefe. Zudem liegt der Bisha-Mine (Gold, Kupfer, Eisenerz) weise wird jetzt Ähnliches befürchtet. Colluli verkehrstechnisch günstig. Bis der zweite grosse Entwicklungstreiber. Der ZANU-PF ist es gelungen, die zum Verschiffungsort Anfile, einem am Der Gewinn wird zwischen Eritrea und Opposition mit juristischen Mitteln Roten Meer in Bau befindlichen Hafen, der Danakali-Gesellschaft aufgeteilt, weitgehend auszuschalten. Ein Gericht sind es nur 75 Kilometer. zudem wird der Gewinnanteil von hat die Machtübernahme von Nelson Trotzdem: Es bleiben viele Heraus- Danakali mit rund 40 Prozent besteu- Chamisa nach dem Tod von Opposi- forderungen, namentlich im Energie- ert. Noch offen ist, ob die auf der tionsführer Tsvangirai in der MDC-A für sektor. Colluli liegt fernab von Energie- äthiopischen Seite der Danakil-Depres- statutenwidrig erklärt und das erzeugern, weshalb nach neuen sion liegende Kalistätte ebenfalls gesamte Eigentum der Partei einer Lösungen gesucht werden musste. angestochen wird, und ob der Export rivalisierenden Fraktion übertragen. von dort auf dem kürzesten Weg über Ausserdem wurde die Wahl von MDC-A Eritrea erfolgen würde, was aufgrund Parlamentarier:innen für ungültig der mittlerweile eingetretenen erklärt. Auf diese Weise war es für die Entspannung im Verhältnis zwischen ZANU-PF ein Leichtes, sich die erfor- Eritrea und Äthiopien durchaus derliche Zweidrittelsmehrheit für denkbar ist. • die Verfassungsänderung zu sichern. Die rivalisierende Fraktion verdankt ihre Position und die ihr jetzt zuflies- senden Mittel der Regierungspartei. Sie beisst die Hand nicht, die sie füttert. Einige Parlamentarier:innen der MDC-A haben sich zu einem Seitenwechsel entschlossen, um ihre Position zu halten. Die desolate Situation der Opposition hat zu einer Schwächung der ganzen Zivilgesellschaft geführt. • Zusammengestellt von Susy Greuter, Barbara Müller und Hans-Ulrich Stauffer.
Mathieu Musey – eine unverarbeitete Tragödie Bittere Erfahrungen eines afrikanischen Intellektuellen mit d Der Fall des kongolesischen Philosophen Mathieu Musey hat in den 1980er-Jahren dem Ansehen der Schweiz massiv geschadet. Seine brutale Ausschaffung mitsamt der Familie nach Kongo-Kinshasa unter Bundesrätin Elisabeth Kopp ist bis heute nicht geklärt. Jetzt ist Mathieu Musey im Alter von 80 Jahren verstorben. Ein Rückblick von Ruedi Suter. Etwas war mir klar, an diesem fahlen Novembertag Weissen» hätten machen können. Stattdessen verhalf im Jahr 1987: Die Schweizer Bundespolizei durfte mir ihm Rom zur vielleicht wichtigsten Erkenntnis seines keinesfalls folgen, auf dieser Autofahrt nach «Irgend- Lebens: «Wenn doch Italiener, Belgier und Franzosen wo». So verhielt ich mich wie in einem Überwachungs- ihre Herkunft verteidigen, warum soll dann nicht auch staat – misstrauisch und heimlich. Entsprechend for- ich auf meine afrikanische Identität stolz sein können? 12 mulierte ich später auch die Reportage, die in verschie- Erst seither fühle ich mich als vollwertiger Mensch und denen Tageszeitungen erschien. «Irgendwo» lag in der – als Afrikaner.» Schweiz und symbolisierte eine Stadt, ein Dorf oder 1970 kam der Vielbegabte in die Schweiz. Was dann? einen Weiler, wo sich die Familie Musey aus Zaire seit Unvollständige Aufzählung: Doktortitel der Philoso- acht Monaten versteckt hielt. phie an der Universität Freiburg i. Ü. (1974), Arbeiten zu Wo genau, wusste auch ich nicht – die Verbindungs- Claude Lévi-Strauss, Michel Foucault, Platon; Lehrer für leute, ehrbare Schweizer:innen, handelten vorsichtig, Musik und Sprachen, Organist, Vatikan-Rundfunk-Mit- so als lebten sie in einer Diktatur. Der Untergrund, die arbeiter, Gymnasiallehrer in Bulle, Gastprofessor an den letzte Zuflucht im Land, durfte nicht gefährdet werden. Universitäten Bern und Freiburg i. Br. sowie Professor So wurden mir, nach monatelangem Warten, als einzi- für mathematische Logik an der Nationaluniversität von gem Journalisten lediglich die Koordinaten eines gehei- Zaire. Dort lehrte er die abendländische Philosophie, in men Treffpunkts nahe von «Irgendwo» mitgeteilt – im Europa vermittelte er so pionierhaft wie mutig die afri- Jura, wo mir der seit 17 Jahren in der Schweiz lebende kanischen Denkweisen. und zur Ausschaffung ausgeschriebene Gesuchte Rede und Antwort stehen sollte. Der Weitsichtige Afrikaner sein – daraus machte Mathieu Musey Nina Eloki nie einen Hehl. Und daraus resultierte auch die besondere Qualität seiner Aussagen. Wenn er z. B. seinen Hörer:innen Unterschiede zwischen der europäischen und der afrikanischen Wahrnehmung auseinandersetz- te. Da zögerte er nicht, von der europäischen zur afri- kanischen Logik zu wechseln: «Ich glaube an die Ge- dankenübertragung. Warum auch nicht? Wenn in Zaire einer meiner Verwandten krank wird, erfahre ich dies im Traum. Als Afrikaner stehe ich mit den Toten in Ver- bindung. Ich habe auch schon mit meinen Eltern ge- sprochen. Das mögen Europäer als Spinnerei abtun – für uns Afrikaner ist es Realität.» Der eigenwillige Gelehrte aus dem heutigen Kongo- Kinshasa eroberte die Herzen, indem er seine Vorle- sungen zu unvergesslichen, zwischenkulturellen Begeg- nungen machte. So auch in Basel, wo Musey an Uni- verstität und Volkshochschule über «afrikanische Phi- losophie» sprach und wir uns, beide im selben Land ge- boren, kennenlernten. Und wo ihm vier bekannte Do- zent:innen des Philosophischen Seminars den Rücken stärkten, überzeugt, dass die «lebensbedrohenden Pro- bleme dieser Welt nur auf der Basis der Gemeinsam- Der kongolesische keit» und der von Karl Jaspers geforderten Weltphilo- Philosoph Mathieu Musey sophie gelöst werden könnten. Nina Eloki verstarb am 15. Februar 2021 (Bild: Der Vielbegabte Anton Hügli, Arnold Künzli, Annemarie Pieper und Ruedi Suter 1987). Mathieu Musey Nina Eloki war eine so einnehmen- Hans-Peter Schreiber waren überzeugt, dass Menschen de wie vielseitige Persönlichkeit. Seinem scharfen, von wie Mathieu Musey «dringend» notwendig seien, um Jesuiten gedrillten Denkvermögen war schwer beizu- eine «zwischenmenschliche Verständigung über natio- kommen, seiner Warmherzigkeit kaum zu widerstehen. nale und kontinentale Grenzen hinweg» sicherzustel- 1940 in Balibi südlich von Kinshasa geboren, lernte der len: «Menschen, die auf dem Boden des Prinzips der Hu- aus einfachen Verhältnissen stammende Missionsschü- manität imstande sind, Brücken zu schlagen, Missver- ler Französisch, Griechisch, Lateinisch und Holländisch. ständnisse auszuräumen, Vermittlungs- und Versöh- 13 Sprachen soll er insgesamt gelernt haben. So auch nungsstrategien im Dienst der Mitmenschlichkeit und Italienisch während seiner Theologiestudien in Italien, Solidarität zu entwickeln», hielten sie in der «Basler die ihn mental endgültig zu einem «schwarzhäutigen Zeitung» fest.
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