Afrika-bulletin - Zentrum für Afrikastudien Basel

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Fr. 7.– / Euro 7.–
                                                                      September 2021
Fragen zur schweizerischen Entwicklungspolitik
                                                                                       afrika-bulletin

                                                                                        Nummer 183
Editorial

                                                                                                  Das vorliegende Afrika-Bulletin befasst sich für ein-
                                                                                              mal nicht mit Afrika, sondern mit der schweizerischen
                                                                                              Entwicklungspolitik. Ausgangspunkte waren die neuen
                                                                                              strategischen Instrumente des Bundesrates zur interna-
                                                                                              tionalen Zusammenarbeit sowie eine im Nachgang zur
                                                                                              Konzernverantwortungsinitiative (KVI) entstandene De-
                                                                                              batte über die Rolle der Nichtregierungsorganisationen.
                                                                                              Bekanntlich scheiterte die von einer breiten Koalition
                                                                                              zivilgesellschaftlicher und kirchlicher Organisationen
                                                                                              lancierte und getragene KVI – darunter auch das Afrika-
                                                                                              Komitee – am Ständemehr. Die einmalige Mobilisierung
                                                                                              rund um die KVI – erinnern wir uns an die überall sicht-
2
                                                            Barbara Müller ist langjähriges   baren orangen Fahnen –, hat rechtsbürgerliche Politiker:
                                                              Mitglied des Afrika-Komitees    innen auf den Plan gerufen. Wie Hans-Ulrich Stauffer in
                                                            und der KEESA. Die Ethnologin
                                                              ist Doktorandin am Zentrum      seinem Beitrag ausführt, fordern sie, dass den mit öf-
                                                          für Afrikastudien der Universität   fentlichen Mitteln unterstützten Entwicklungsorganisa-
                                                                            Basel. Kontakt:
                                                                                              tionen ein Maulkorb zu verordnen sei. Sie sollen sich in
                                                                      b.mueller@unibas.ch.
                                                                                              ihren Einsatzländern zwar für Demokratie einsetzen,
                                                                                              im eigenen Land dürfen sie sich jedoch nicht zu politi-
                                                                                              schen Fragen äussern. Die zentrale Bedeutung, die der
                                                                                              Aufklärungsarbeit über die Zusammenhänge zwischen
                                                                                              dem Leben, das wir in der Schweiz führen, und den Le-
                                                                                              bensumständen im globalen Süden zukommt, schil-
                                                                                              dert Kristina Lanz. Sie argumentiert, dass diese Organi-
                                                                                              sationen damit einen unerlässlichen Beitrag zur demo-
                                                                                              kratischen Meinungsbildung in der Schweiz leisten.
                                                                                              Herbert Schmid stellt die erstmals formulierte Afrika-
                                                                                              strategie des Bundes vor. Dabei legt er den Finger auf
                                                                                              Schwachstellen wie die mangelnde Kohärenz in der
     Impressum                                                                                schweizerischen Aussenpolitik (Entwicklung vs. wirt-
                                                                                              schaftliches Eigeninteresse) und die fehlende Nachhal-
                                                                                              tigkeit. Abschliessend stellt Elísio Macamo grundsätz-
    Ausgabe 183 | September 2021                                                              liche Fragen zur schweizerischen Strategie der inter-
    ISSN 1661-5603                                                                            nationalen Zusammenarbeit. Kann ein Land überhaupt
    Das «Afrika-Bulletin» erscheint vierteljährlich im 46. Jahrgang.                          von aussen entwickelt werden? Und kennt jemand die
    Herausgeber: Afrika-Komitee, Basel, und Zentrum für Afrikastudien Basel.
                                                                                              Hebel, die betätigt werden müssen, damit Entwicklung
    Redaktionskommission: Veit Arlt, Susy Greuter, Elísio Macamo,
    Barbara Müller und Hans-Ulrich Stauffer
                                                                                              erfolgt?
                                                                                                  Auch der letzte Beitrag behandelt schweizerisches
    Das Afrika-Komitee im Internet: www.afrikakomitee.ch
    Das Zentrum für Afrikastudien im Internet: www.zasb.unibas.ch                             Geschehen. Anlässlich des Todes von Mathieu Musey
    Redaktionssekretariat: Beatrice Felber Rochat                                             erinnert sich Ruedi Suter an eindrückliche Begegnun-
    Afrika-Komitee: Postfach 1072, 4001 Basel, Schweiz                                        gen mit dem kongolesischen Philosophen, der 1988
    Telefon: (+41) 61.691 62 93
                                                                                              zusammen mit seiner Familie trotz einer breiten Solida-
    E-Mail Redaktionelles: afrikabulletin@afrikakomitee.ch
    E-Mail Abonnemente und Bestellungen: info@afrikakomitee.ch                                ritätsbewegung mit Polizeigewalt ausgeschafft wurde.
    Postcheck-Konto: IBAN CH26 0900 0000 4001 77543                                               Ein unerfreulicher Nachtrag zur Konzernverantwor-
    Für Überweisungen aus dem Ausland:
                                                                                              tungsinitiative: Bei der Umsetzung des Gegenvorschlags
    in Euro: Postkonto, IBAN CH40 0900 0000 9139 8667 9                                       plant der Bundesrat Schlupflöcher für Grosskonzerne.
    (Bic SwiftCode: POFICHBEXXX; Swiss Post, PostFinance, CH-3000 Bern)                       Entgegen den vor der Abstimmung gemachten Zusiche-
    Mitarbeitende dieser Ausgabe: Elena Allendörfer, Veit Arlt (Red.), Pius Frey,             rungen bezüglich Kinderarbeit und Goldhandel sollen
    Elisa Fuchs, Susy Greuter (Red.), Kristina Lanz, Elísio Macamo (Red.), Barbara Müller
    (Red.), RJSC, Herbert Schmid, Hans-Ulrich Stauffer (Red.) und Ruedi Sutter
                                                                                              Selbstdeklarationen jetzt genügen, damit sich Konzer-
                                                                                              ne gesetzlichen Bestimmungen entziehen können. Wur-
    Druck: Rumzeis-Druck, Basel
                                                                                              den die Stimmbürger:innen vom Bundesrat hinters Licht
    Inserate: Gemäss Tarif 5/99, Beilagen auf Anfrage
    Jahresabonnement: Fr. 40.–/Euro 40.–                                                      geführt? Es gilt, weiterhin genau hinzusehen !
    Unterstützungsabonnement: Fr. 50.–/Euro 50.–                                                  Ein möglichst inklusiver Sprachgebrauch ist uns
    Im Mitgliederbeitrag von Fr. 60.–/Euro 60.– ist das Abonnement enthalten.
                                                                                              seit Langem ein Anliegen. Nach verschiedenen Phasen
    Redaktionsschluss Nummer 184: 30. September 2021                                          mit Binnen-I, respektive wechselnder Verwendung
    Schwerpunktthema: Sport
    Schwerpunktthemen der nächsten Ausgaben: Politische Ikonen, Unternehmertum,               weiblicher und männlicher Formen, gehen wir mit dem
    Humor, Binnenmigration, Mode                                                              vorliegenden Heft zum Gender-Doppelpunkt über. •
    Interessierte an einer Mitarbeit sind eingeladen, mit der Redaktion Kontakt
    aufzunehmen.                                                                                  Ich wünsche eine anregende Lektüre!
    Unser Titelbild: Die Konzernverantwortungsinitiative mobilisierte in besonderem
    Masse Organisationen der Zivilgesellschaft. Auch die Kirchen (im Bild die
    Pauluskirche in Bern im November 2020) setzten sich prominent für die Kampagne
                                                                                                 Barbara Müller
    ein und ernteten Kritik dafür (Bild: AnBuKu, Wikimedia).
Nichtregierungsorganisationen im Dilemma
    Bundesrat verlangt innenpolitische Abstinenz

   Nachdem hiesige Nichtregierungsorganisationen            keit, dabei insbesondere junge Menschen, über globa-
   (NGOs) einen grossen Erfolg mit der Konzernver-          le Herausforderungen aufzuklären und für die enge Ver-
                                                            knüpfung von Frieden, Sicherheit, nachhaltiger Entwick-

                                                                                                                                Schwerpunktthema
   antwortungsinitiative verzeichneten, bindet der          lung und Wohlstand zu sensibilisieren». Tempi passati
   Bund die politische Arbeit der Organisationen zu-        – neu müsste nun ergänzt werden: «Dafür dürfen sie
   rück. Hans-Ulrich Stauffer beleuchtet eine wider-        aber keine Bundesgelder verwenden». Oder vielleicht
                                                            auch: «Diese Informationsarbeit darf jedoch überge-
   sprüchliche Haltung.                                     ordneten Wirtschaftsinteressen nicht schaden». Also:
                                                            «NGOs, informiert bitte auch in der Schweiz, das ist
    Vor den Sommerferien hat der deutsche Bundestag         Euer Auftrag gemäss Richtlinie 2019, aber bezahlt das
das Lieferkettengesetz verabschiedet, das in Deutsch-       aus der eigenen Tasche»!
land ansässige international tätige Konzerne zur Ein-           Die weltweiten Herausforderungen sind enorm. Me-
haltung von menschenrechtlichen Minimalstandards            gatrends wie wachsende gesellschaftliche und wirt-              3
verpflichtet. Für Verstösse gegen Menschenrechte in der     schaftliche Disparitäten, Klimawandel, Biodiversitäts-
gesamten Lieferkette haften die in Deutschland ansäs-       rückgang, Wasserknappheit und andere Herausforde-
sigen Konzerne. Anders in der Schweiz. Die Konzern-         rungen verändern die Grundlagen des Miteinanders. Mi-
verantwortungsinitiative wurde zwar von einer knap-         grationsströme, politische Erschütterung, regionale und
pen Mehrheit der schweizerischen Bevölkerung ange-          internationale Krisenherde sind die Folge. Dazu ist ei-
nommen, scheiterte aber am Mehr der Kantone. Dabei          niges zu sagen und Handeln tut not.
hatten sich selbst namhafte international tätige Kon-
zerne mit Sitz in der Schweiz für die Initiative einge-          Die Hand die Euch füttert
setzt.                                                           Aussenpolitisch positioniert sich der Bundesrat ger-
    Dem Volksentscheid war ein intensiver Abstim-           ne als Brückenbauer, der Hand zu zukunftsweisenden
mungskampf vorausgegangen. Zahlreiche Nichtregie-           Lösungen bietet. Dabei kommen ihm die Aktivitäten von
rungsorganisationen aus dem kirchlichen, entwicklungs-      Nichtregierungsorganisationen sehr gelegen. «Der Mehr-
politischen und sozial engagierten Umfeld setzten sich      wert der Zusammenarbeit mit den hiesigen NGOs wird
für ein Ja ein. Nachdem Meinungsumfragen eine Zustim-       anerkannt. Dank ihrem Wissen und ihrer lokalen Ver-
mung zur Initiative prognostiziert hatten, schrillten die   ankerung sind Schweizer NGOs wichtige Akteure für
Alarmglocken bei jenen, die jegliche Selbstverpflichtung    die Umsetzung der Agenda 2030. Mit ihrer kompeten-
ablehnen. Nachdem die politischen Argumente gegen           ten und international geschätzten Arbeit tragen die
die Initiative nicht mehr ausreichten, wurde die Finanz-    Schweizer NGOs zum guten Ruf der Schweiz bei», schreibt
keule hervorgeholt: Wer vom Bund Gelder bezieht, ha-        Aussenminister Cassis in einem Schreiben vom 18. Fe-
be sich politischer Stellungnahmen zu enthalten. Mit die-   bruar 2021 als Antwort auf eine Eingabe von Vertre-
sen Geldern dürften keine begleitenden politischen Stel-    ter:innen der Zivilgesellschaft bezüglich des verhäng-
lungnahmen finanziert werden. Wer sich nicht daran          ten Maulkorbs. Im Klartext: NGOs, macht weiter eure
halte, dem werde der Geldhahn zugedreht, und – gar          Arbeit. Sie trägt zum Renommée der Schweiz bei und
noch schlimmer – die Gelder müssten zurückerstattet         hilft, den einen oder anderen internationalen Deal an
werden.                                                     Land zu ziehen. Aber denkt daran: Die Hand, die euch
    Diese politische Forderung rechtsbürgerlicher Krei-     füttert, sollt ihr nicht beissen!
se wurde umgehend von der Direktion für Entwicklungs-            Diese Entwicklung geht einher mit der immer enge-
zusammenarbeit (DEZA) übernommen. Fortan ist klar:          ren Anbindung der Entwicklungszusammenarbeit an
Wer staatliche Gelder für Entwicklungsprojekte erhält,      die Aussenhandelspolitik. Hilfe wird dort geleistet, wo
hat zu politischen Fragen zu schweigen, seien es nun        ein Rückfluss zu erwarten ist. Selbstverständlich kön-
innen- oder aussenpolitische Themen. Gewünscht ist die      nen NGOs auch anderswo äusserst sinnvolle, oft zeit-
Durchführung eines netten Projekts, das vielleicht zur      lich und personell aufwändige Entwicklungsprojekte
Entwicklung beiträgt. Aber im Inland darüber zu infor-      ohne dieses staatliche Korsett durchführen. Doch fi-
mieren, dass es nicht darum geht, mehr zu geben, son-       nanzielle Mittel gibt es dafür vom Bund keine.
dern weniger zu nehmen, ist tabu.                                Kuschen oder opponieren? Eine entscheidende Fra-
                                                            ge für die NGOs!                                      •
     Unterschiedliche Ellen
     Wie gerne hat sich doch die Schweiz verschiedent-
lich in der Förderung der Demokratie in autoritär regier-
ten Staaten engagiert mit dem Ziel, die dortige Zivilge-
sellschaft zu stärken. Für dieses Anliegen waren schwei-
zerische und lokale NGOs unverzichtbare Transmissi-
onsriemen. Doch in der Schweiz selbst wird nun die
politische Arbeit von NGOs in der Zivilgesellschaft aus-
gebremst.
     Geänderte politische Konstellationen und Kräfte-
verhältnisse führen bekanntlich zu mancherlei Kurs-                                 Hans-Ulrich Stauffer ist Rechtsanwalt
wechseln. Noch vor zwei Jahren, 2019, hielt die DEZA in                             und Gründungsmitglied des Afrika-
                                                                                    Komitees und seit 1976 Mitglied des
ihren Richtlinien fest: «Eine wichtige Aufgabe der
                                                                                    Redaktionskomitees des Afrika-
Schweizer NGOs besteht darin, die Schweizer Öffentlich-                             Bulletins. Kontakt: stauffer@awg.ch.
Nach der Konzernverantwortungsinititiave
                                  Bürgerliche bremsen die Bildungsarbeit der NGOs

                                  Entwicklungsorganisationen sollen sich auf die          Schweizer Politgeschichte zog eine breit abgestützte
                                  Projektarbeit konzentrieren und öffentliche Gel-        Koalition aus 130 NGOs, zahlreichen Menschen aus kirch-
                                                                                          lichen und wirtschaftlichen Kreisen, Parlamentarier:in-
                                  der nur noch im Ausland ausgeben, finden bür-           nen aus allen politischen Parteien sowie Tausenden von
                                  gerliche Politiker:innen. Falsch, sagt Kristina Lanz    Freiwilligen am gleichen Strick. Auch wenn die Initiati-
                                  von Alliance Sud, und weist auf die zentrale Rol-       ve scheiterte, zeigte sie doch, was die Zivilgesellschaft
                                                                                          und allen voran die NGOs erreichen können, wenn sie
                                  le der Bewusstseinsbildung im Inland hin.               ihre Kräfte bündeln. Was eigentlich als positives Zeichen
                                                                                          einer lebendigen Demokratie und einer interessierten
                                   Nichtregierungsorganisationen (NGOs) sensibilisie-     Bevölkerung gedeutet werden könnte, scheint nicht al-
                               ren die Bevölkerung für konkrete Entwicklungsproble-       len zu passen.
                               me und zeigen globale Zusammenhänge auf: Durch fun-
 4
                               dierte Studien und Berichte informieren sie beispiels-          Liberale wollen Politikverbot für NGOs
                               weise über die Arbeitsbedingungen auf ghanaischen               Schon bevor es zur Abstimmung kam, reichte Ruedi
                               Kakaoplantagen, die lokalen Auswirkungen einer Gold-       Noser (FDP-Ständerat und KVI-Gegner der ersten Stun-
                               mine in Tanzania oder die Auswirkungen der Klimakri-       de) eine Motion ein, mit der er den Bund beauftragte zu
                               se in Mozambique. Sie zeigen dabei Zusammenhänge           prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Steuerbefrei-
                               auf zwischen unserem Leben – der Schokolade, die wir       ung bei gemeinnützig tätigen Organisationen (sprich
                               konsumieren; dem Goldhandel, der grösstenteils über        NGOs), die sich politisch engagieren, noch gegeben seien
                               die Schweiz läuft; den viel zu hohen CO2-Emissionen        oder ob die Steuerbefreiung andernfalls aufzuheben
                               der Schweiz – und den damit verbundenen Schicksalen        sei. Der Ständerat hat in der letzten Sommersession die
                               im globalen Süden. Gleichzeitig thematisieren sie, wel-    Motion knapp angenommen: Anscheinend traut eine
                               chen Beitrag die Entwicklungszusammenarbeit und die        knappe Mehrheit der Kantonsvertreter:innen ihren Kan-
                               Entwicklungspolitik zur Lösung dieser Probleme leisten.    tonen nicht zu, dass sie ihre Hausaufgaben machen kön-
                                                                                          nen. Dies obwohl der Bundesrat in seiner rechtlich fun-
                                                                                          dierten Antwort die bewährte Rechtspraxis und kanto-
                                                                                          nale Kompetenz hervorhebt und die Tatsache legiti-
                                                                                          miert, dass sich bei «steuerbefreiten Organisationen
                                                                                          auch Schnittstellen zu politischen Themen ergeben».
                                                                                          Der Bundesrat hält zudem fest, dass «die materielle
                                                                                          oder ideelle Unterstützung von Initiativen oder Refe-
                                                                                          renden einer Steuerbefreiung grundsätzlich nicht ent-
                                                                                          gegenstehe».
                                                                                               Nach der KVI-Abstimmung gab es noch weitere par-
                                                                                          lamentarische Vorstösse, die allesamt die politische Rol-
                                                                                          le der NGOs in Frage stellten. So verlangt etwa National-
                                                                                          rätin Elisabeth Schneider-Schneiter (CVP) vom Bundes-
                                                                                          rat einen Bericht zur Frage, welche NGO-Tätigkeiten mit
                                                                                          welchen Mitteln auf Basis welcher gesetzlichen Grund-
                                                                                          lage finanziert werden, und welche politischen Vertre-
                                                                                          ter:innen in den Steuerungsorganen Einsitz nehmen.
                                                                                          Begründet wird ihr Vorstoss damit, dass sich «Entwick-
                                                                                          lungshilfeorganisationen immer mehr mit entwicklungs-
                                                                                          politischen Forderungen im Inland, statt mit konkreter
                                                                                          Entwicklungshilfe im Ausland beschäftigen». Eine Mo-
                                                                                          tion von Nationalrat Hans-Peter Portmann (FDP) ver-
                                                                                          langt vom Bundesrat die Überprüfung der staatlichen
    Die orangen Fahnen der                                                                Unterstützungen an Projekte der internationalen Zusam-
     Kampagne prägten das                                                                 menarbeit von NGOs, die sich an politischen Kampag-
  Ortsbild und zeugten von
 der grossen Unterstützung         Diese wichtige Sensibilisierungsarbeit stellen nun     nen beteiligt haben.
      (Bild: Konzernverant-    verschiedene bürgerliche Politiker:innen in Frage, nicht        Eine kritische Diskussion über die politische Rolle
         wortungsinitiative,
                               weil ihnen das Schicksal des globalen Südens beson-        von wirtschaftsnahen Verbänden und Think-Tanks, die
www.konzern-initiative.ch).
                               ders am Herzen liegen würde, sondern weil sie nach         als nicht-staatliche Akteure eigentlich ebenfalls zu den
                               der Konzernverantwortungsinitiative (KVI) − die im No-     NGOs gehören, soll mit diesen Vorstössen anscheinend
                               vember 2020 an der Urne eine Volksmehrheit erreichte       vermieden werden. Es ist darum ausdrücklich nur von
                               aber am Ständemehr scheiterte − einen Machtverlust         NGOs im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit die
                               befürchten und den NGOs einen Maulkorb verpassen           Rede. Nur: Die politische Arbeit der NGOs mit Geldern
                               wollen. Noch selten hat eine Volksinitiative für so viel   der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit
                               Furore gesorgt wie die KVI. Schon Monate, gar Jahre vor    (DEZA) war schon immer vertraglich ausgeschlossen. Es
                               der Abstimmung stand sie immer wieder in den Schlag-       ist sinnvoll, dass der Bund keine Steuergelder in politi-
                               zeilen und war auch dank der orangen Fahnen und der        sche Kampagnen stecken will – ein generelles Politik-
                               vielfältigen Aktivitäten zahlreicher Lokalkomitees bei     verbot für NGOs, die Bundesgelder erhalten, wäre aber
                               der Bevölkerung sehr präsent. Zum ersten Mal in der        absurd und höchst problematisch.
Demokratie lebt von Meinungsvielfalt                       Sensibilisierung und Bildung zu Themen der nach-
     Unsere Demokratie lebt davon, dass verschiedene        haltigen Entwicklung (inklusive der Entwicklungszu-
Akteur:innen ihre Expertise, Meinungen und Anliegen         sammenarbeit) sind zentrale Komponenten der Agen-

                                                                                                                                                        Schwerpunktthema
in die politische Debatte einbringen. Neben verschie-       da 2030 für nachhaltige Entwicklung, die auch die
denen Wirtschaftsakteur:innen und anderen zivilgesell-      Schweiz unterzeichnet hat. Die Agenda 2030 mit ihren
schaftlichen Gruppierungen (wie etwa den Gewerkschaf-       17 Zielen (Sustainable Development Goals, SDGs) rich-
ten oder dem Afrika-Komitee) leisten auch die am Ge-        tet sich an alle Länder, nicht nur an die Entwicklungs-
meinwohl ausgerichteten NGOs einen Beitrag zur de-          länder. Sie beinhaltet einen Paradigmenwechsel in der
mokratischen Debatte in unserem Land. Im Gegensatz          internationalen Zusammenarbeit, indem sie dazu auf-
zu Repräsentant:innen der Wirtschaft, die in der Regel      fordert, sämtliche Politikbereiche nachhaltig zu gestal-
für ihre Eigeninteressen lobbyieren, setzen sich diese      ten und dabei auch die globalen Verflechtungen zu be-
NGOs gemäss ihrem Mandat für gemeinnützige Umwelt-          rücksichtigen. Die Sensibilisierungs- und Bildungsar-
oder soziale Anliegen ein. Finanziert wird der politische   beit ist unerlässlich für die Erreichung der Ziele: SDG 4                               5
Einsatz aus Mitgliedschaftsbeiträgen sowie aus für spe-     verlangt beispielsweise von allen Ländern bis 2030,
zifische politische Zwecke gespendeten Geldern.             dass alle Lernenden die notwendigen Kenntnisse und
     Während verschiedene bürgerliche Politiker:innen       Qualifikationen zur Förderung nachhaltiger Entwick-
in den Verwaltungsräten der Privatwirtschaft sitzen,        lung erwerben. Dies beinhaltet die Bildung in Bezug auf
sich immer wieder auf Lobbyveranstaltungen der Wirt-        Menschenrechte, nachhaltige Lebensweisen, Geschlech-
schaftsverbände zeigen und sich häufig vehement ge-         tergleichstellung, eine Kultur des Friedens und der Ge-
gen grössere Transparenz bei den Parteispenden weh-         waltlosigkeit, Weltbürgerschaft und die Wertschätzung         Kristina Lanz ist Fachver-
                                                                                                                          antwortliche für Ent-
ren (da dann wohl gewisse Verbindungen noch offen-          kultureller Vielfalt sowie den Beitrag der Kultur zur nach-
                                                                                                                          wicklungspolitik bei Alliance
sichtlicher würden), sollen nun bei den NGOs in der Ent-    haltigen Entwicklung.                                         Sud, dem gemeinsamen
wicklungszusammenarbeit eventuelle politische Verbin-           Die aktuellen politischen Diskussionen beeinträch-        entwicklungspolitischen
                                                                                                                          Think-and-Do-Tank der sechs
dungen und Interessensvertretungen genau durchleuch-        tigen eine verantwortungsvolle und transparente Kom-          Schweizer Entwicklungs-
tet werden. Gleichzeitig scheinen sich dieselben Politi-    munikation über die internationale Zusammenarbeit und         organisationen Swissaid,
ker:innen, die diesen NGOs einen politischen Maulkorb       die Agenda 2030. Der Bund und das Parlament täten             Fastenopfer, Brot für alle,
                                                                                                                          Helvetas, Caritas und Heks.
verpassen wollen, nicht daran zu stören, dass andere        gut daran, mit den NGOs auch im Inland zu kooperieren,        Kontakt: kristina.lanz@
Akteur:innen und Verbände, die von staatlichen Sub-         statt sie für ihr politisches Engagement zu bestrafen.•      alliancesud.ch.
ventionen und weiteren öffentlichen Beiträgen profitie-
ren, ebenfalls Informationskampagnen lancieren und
sich in Abstimmungskämpfe einmischen.
     Ein generelles «Politikverbot» für NGOs, welche Bun-
desgelder erhalten, würde wohl viele kritische Stim-
men zum Verstummen bringen und die Übermacht der
Wirtschaftslobbyist:innen festigen. Auch wenn einige
bürgerliche Politiker:innen sich dies wünschen mögen,
wäre es für ein Land, das gerne seine Demokratie, Welt-
offenheit und humanitäre Tradition betont, eine Bank-
rotterklärung. Gleichzeitig müsste man bei einem Poli-
tikverbot für NGOs konsequenterweise auch alle ande-
ren staatlichen Beiträge und Subventionen dahingeh-
end untersuchen, ob deren Empfänger:innen politisch
aktiv sind, und auch diese staatlichen Beiträge gegebe-
nenfalls streichen. Das wäre wohl kaum im Interesse
der betreffenden Politiker:innen.

    Bildungsarbeit für Agenda 2030 zentral
    Im Anschluss an die KVI-Abstimmung hat wohl aus
parteipolitischer «Solidarität» auch das Eidgenössische
Department für auswärtige Angelegenheiten die Inland-
arbeit der Zivilgesellschaft torpediert. So verkündete
die DEZA (vermutlich auf Druck des Departementsvor-
stehers Ignazio Cassis, wie Noser und Portmann Mit-
glied der FDP) im Dezember äusserst kurzfristig, dass
sie per sofort die Bildungs- und Sensibilisierungsarbeit
der NGOs im Inland nicht mehr mitfinanzieren könne.
Dieser Entscheid kam umso überraschender, als die
DEZA erst ein Jahr zuvor neue Richtlinien zur Zusam-
menarbeit mit den NGOs verabschiedet hatte, die un-
ter anderem festhalten, dass eine wichtige Aufgabe der
Schweizer NGOs darin besteht, die Schweizer Öffent-
lichkeit über die globalen Zusammenhänge zu infor-
mieren (vgl. Zitat aus den Richtlinien im Beitrag von
Hans-Ulrich Stauffer auf Seite 3).
Zur schweizerischen Aussenpolitik
                            Die neue Afrikastrategie

                            Im Januar 2021 hat der Bundesrat zum ersten Mal             sierte Entwicklungszusammenarbeit soll zu Armuts-
                            eine Afrikastrategie, genauer eine Strategie für            reduktion und nachhaltiger Entwicklung beitragen.

                            Subsahara-Afrika, verabschiedet. Sie ist gültig für     •   Nachhaltigkeit
                            den Zeitraum 2021 bis 2024. Der nachfolgende Ar-            Die Umsetzung der globalen Nachhaltigkeitsagenda,
                            tikel von Herbert Schmid vermittelt einen Über-             der Agenda 2030, wird als Priorität für die Strategie
                                                                                        gesetzt. Das aussenpolitische Engagement der
                            blick über die Strategie und gibt eine Einschät-            Schweiz für die Bekämpfung des Klimawandels und
                            zung aus zivilgesellschaftlicher Sicht.                     für den Umweltschutz soll verstärkt werden.

                                                                                    •   Digitalisierung
                            Die Afrikastrategie basiert auf der Aussenpolitischen       Angesichts der zunehmenden Bedeutung der Digi-
6
                        Strategie (APS) der Schweiz, die seit 2020 in Kraft ist.        talisierung will die Schweiz ihr Profil in der Digital-
                        Diese formuliert den übergeordneten Rahmen der                  aussenpolitik ausbauen. Genf soll als ein globales
                        schweizerischen Aussenpolitik. Es ist daher sinnvoll, de-       Zentrum für die Gestaltung der digitalen Gouver-
                        ren thematische Schwerpunkte kurz in Erinnerung zu              nanz und anderer Zukunftsthemen gestärkt wer-
                        rufen:                                                          den. Das Profil der Schweiz und ihre Kompetenzen
                                                                                        an der Schnittstelle von Diplomatie, Technologie
                                                                                        und Wissenschaft werden gezielt im Sinne der Wis-
    Die Strategie ist
     frei verfügbar.                                                                    senschaftsdiplomatie weiterentwickelt.

                                                                                         Der Inhalt der Afrikastrategie
                                                                                         Wie soll nun die Aussenpolitische Strategie im Falle
                                                                                    Afrikas umgesetzt werden? Die Afrikastrategie formu-
                                                                                    liert davon abgeleitet die Schwerpunkte, die geografi-
                                                                                    schen Regionen und die Themenbereiche für die ein-
                                                                                    zelnen Regionen. Die Schwerpunkte stimmen mit den-
                                                                                    jenigen der APS überein.
                                                                                         Die Strategie soll prioritär in Gebieten zum Einsatz
                                                                                    kommen, in denen die schweizerische Entwicklungszu-
                                                                                    sammenarbeit seit langem tätig ist.

                                                                                    — Der Sahel (insbesondere die Staaten am südlichen
                                                                                      Rand der Sahara)
                                                                                    — Das Horn von Afrika (das Gebiet des östlichen Afri-
                                                                                      kas um Kenya und Äthiopien)
                                                                                    — Die Region der grossen Seen (von Ostkongo bis Tan-
                                                                                      zania/Mozambique)
                                                                                    — Dazu kommt die Kategorie der sogenannten wirt-
                                                                                      schaftlichen Löwinnen (darunter fallen die wirtschaft-
                                                                                      lichen Schwergewichte Südafrika, Nigeria, Côte
                                                                                      d’Ivoire, Ghana, Senegal, Kenya, Äthiopien, Ango-
                                                                                      la, sowie der Kleinstaat Ruanda).

                                                                                        Die Aussenpolitik wird sich in den Regionen auf eine
                                                                                    Reihe von Themenbereichen konzentrieren, beispiels-
                        •   Frieden und Sicherheit                                  weise:
                            Weltpolitisch sind Tendenzen zu weiterer Polarisie-     — Sahel: Friedensförderung, humanitäres Engagement,
                            rung festzustellen. Die Schweiz kann mit ihren Gu-          irreguläre Migration, politische Transition, Basis-
                            ten Diensten und dem friedenspolitischen Know-              versorgung (v.a. Gesundheit und Bildung), Wasser
                            how weiterhin wichtige Beiträge zu Vermittlungen            und Landwirtschaft
                            leisten. Dafür werden insbesondere die Kandidatur       — Horn von Afrika: Friedensförderung, irreguläre Mi-
                            für, respektive die Mitgliedschaft im UNO-Sicher-           gration, politische Transition, Basisversorgung (v.a.
                            heitsrat in den Jahren 2023 bis 2024 als erfolgsver-        Gesundheit und Bildung), wirtschaftliche Rahmen-
                            sprechendes Instrument angesehen.                           bedingungen, Klimawandel
                                                                                    — Grosse Seen: Friedensförderung, Rechtstaatlichkeit,
                        •   Wohlstand                                                   Grundrechte, Gouvernanz und Grundversorgung,
                            Die APS geht davon aus, dass das internationale Um-         wirtschaftliche Zusammenarbeit, Rohstoffbereich
                            feld für die Schweizer Wirtschaft anspruchsvoller       — «Löwinnen»: Wirtschaftliche Bedingungen, Handels-
                            wird. Das Engagement für gute Rahmenbedingun-               und Investitionsmöglichkeiten, verantwortungsvol-
                            gen und Marktzugang ist zentral, in Europa und glo-         le Unternehmensführung und Korruption, digitale
                            bal. Die Konsolidierung des bilateralen Wegs mit der        Transformation und das Potenzial der jungen Gene-
                            EU soll dabei im Vordergrund stehen. Eine fokus-            ration
— Vertiefung der Zusammenarbeit mit zahlreichen Re-
  gionalorganisationen

    In finanzieller Hinsicht macht die Strategie keine
Aussagen. Als Annäherung lassen sich die Angaben der
Botschaft zur Weiterführung der internationalen Zusam-
menarbeit 2021 bis 2024 heranziehen. Diese sieht vor,
dass 55 Prozent (1,59 Milliarden Franken) der bilatera-
len Mittel des Rahmenkredits Entwicklungszusammen-
arbeit in Subsahara-Afrika eingesetzt werden. Im vor-
angehenden Rahmenkredit lag Afrikas Anteil ungefähr
bei 45 Prozent. Diese Konzentration auf den afrikani-
schen Kontinent ist sinnvoll. Im Gegenzug werden Pro-
gramme in Lateinamerika und Ostasien abgeschlossen.

    Einschätzung aus zivilgesellschaftlicher Sicht
    Mit der Afrikastrategie verfügt die schweizerische
Aussenpolitik erstmals über einen ausformulierten stra-
tegischen Rahmen für ihr Engagement auf dem afrika-
nischen Kontinent. Das ist positiv zu werten. Es be-
steht damit ein Rahmenwerk, das auf seine Konsistenz
und die Durchführung überprüft werden kann, auch
wenn die Vorgaben allgemein gehalten sind. Die Afri-
kastrategie gibt zudem eine erhöhte Konzentration der                                                                       Besonders interessiert
Zusammenarbeit mit dem afrikanischen Kontinent vor,                                                                         ist der Bund an den
                                                                                                                            als Löwinnen bezeichneten
die globalpolitisch notwendig ist.                                                                                          Staaten (Bild: Afrika-
    Viele positive Auswirkungen von Entwicklungsbe-                                                                         Strategie des Bundes).
mühungen werden durch mangelnde politische Kohä-
renz behindert. Man denke an die schweizerische Land-             Zusammenarbeitsstrategien kommen heute nicht
wirtschaftspolitik oder an die Rolle der Schweiz als ei-      mehr um das Thema Migration herum. IZA kann einen
ner der grössten Vermögensverwalter der Welt, der für         Beitrag leisten zur Thematik, allerdings nur, wenn sie
die Steuerflucht aus Afrika weiterhin eine Rolle spielt.      global gedacht wird. Es ist ein Irrtum zu glauben, die
Mit dem «Asset Recovery Programme» oder der Unter-            Schweiz könne mit Programmen in bestimmten Ländern
stützung im Steuerbereich wurden zwar Resultate er-           die Migration aus eben diesen Ländern verhindern. Noch
zielt, weitere Anstrengungen sind aber notwendig, um          wirklichkeitsfremder wäre eine «Migrationskonditio-
diese kontraproduktiven Mechanismen abzubauen.                nalität», durch die die Zusammenarbeit an Leistungen
    In Bezug auf nachhaltige Entwicklung ist die Strate-      im Migrationsbereich gekoppelt würde. Die Afrikastra-
gie wenig gehaltvoll. Es fehlen Verpflichtungen, die für      tegie spricht sich erfreulicherweise klar dagegen aus.
eine nachhaltige Entwicklung Afrikas notwendig wä-                Die Schweiz war nie eine Kolonialmacht, das betont
ren. Dass die Herausforderungen durch die Klimakrise          die Strategie an mehreren Stellen. Dadurch geniesse
und durch den Verlust an Biodiversität enorm sind, ist        sie Vertrauen. Das trifft im politisch-historischen Sinne
ein Gemeinplatz geworden. Afrika verursacht aber heu-         zu und soll auch eingesetzt werden. Die Schweiz tut
te als Kontinent gerade mal drei Prozent des weltwei-         aber gut daran, sich dafür nicht allzu sehr auf die Schul-
ten CO2-Ausstosses (www.ourworldindata.org, 2021).            ter zu klopfen. Es waren nicht nur Staaten, die sich an
Grossverbraucher wie die USA oder die EU dagegen 26           Kolonial- und Sklavenhandel mit unmenschlichen Prak-
bzw. 33 Prozent. Historisch gesehen ist der Anteil Afri-      tiken bereichert haben. Davon profitierten auch Schwei-
kas mit etwas mehr als einem Prozent noch geringer.           zer Bürger:innen oder Unternehmen. Dessen ist man
Afrika hat zur Erhitzung des Weltklimas praktisch nicht       sich auch in Afrika bewusst.
                                                                                                                            Quellen
beigetragen. Da wäre eine wesentlich grosszügigere Un-            Afrika ist weiterhin mit beachtlichen Herausforde-        Die aussenpolitische
terstützung angebracht. Afrika trägt die Folgen genau-        rungen konfrontiert, die nur in einem offenen Dialog          Strategie, die Afrika-Strategie
                                                                                                                            und deren Ankündigung sind
so stark wie der Rest der Welt – oder stärker. Es geht aber   gemeistert werden können.                              •     auf folgenden Webseiten zu
nicht nur um die finanziellen Aspekte. Mit der Agenda                                                                       finden:
2030 und dem Pariser Klimaabkommen hat sich die                                                                             —
                                                                                                                            https://www.eda.admin.ch/
Schweiz zu internationalen Abkommen verpflichtet, die                                                                       eda/de/home/aussenpolitik/
kohärente Massnahmen auf zahlreichen Gebieten, auch                                                                         strategien/geografische-
                                                                                                                            strategien.html#afrika
im eigenen Land, vorsehen. Da bleibt die Strategie sehr
                                                                                                                            —
vage. Und ein dritter Aspekt ist nicht zu vernachlässi-                                                                     https://www.eda.admin.ch/
gen: Wenn die Entwicklung Afrikas rasch voranschrei-                                                                        eda/de/home/aussenpolitik/
                                                                                                                            strategien/aussenpolitische
ten soll, wird zusätzlicher Energiebedarf entstehen. Die-                                                                   strategie.html
ser darf nicht von CO2-belasteten Brennstoffen gedeckt                                                                      —
werden, sondern benötigt Transformationen und tech-                                                                         https://www.admin.ch/gov/
                                                              Herbert Schmid war Koordinator für Entwicklungsprojekte der   de/start/dokumentation/
nische und politische Unterstützung, um eine möglichst        DEZA in Mozambique, Südafrika, Nord-Mazedonien und Kuba.      medienmitteilungen.
fossilfreie Entwicklung zu verwirklichen.                     Kontakt: herbert.schmid@solnet.ch.                            msg-id-78145.html
Die Strategie des Bundes zur internationalen
       Eine Frage der Perspektive

       Mit seinem Kommentar zur Strategie des Bundes            nicht erschiessen – er tut sein Bestes!». Es ist müssig,
       nimmt Elísio Macamo aus kritischer Sicht einen           Geberländer ständig für die Probleme der Entwicklung
                                                                zu kritisieren – sie tun ihr Bestes. Doch es würde hel-
       Perspektivenwechsel vor, der es erlaubt, einige          fen, wenn sie Entwicklungspolitik nicht unter der An-
       grundsätzliche Fragen zur internationalen Zusam-         nahme konzipieren würden, dass sie Entwicklung her-
       menarbeit (IZA) und zur Entwicklungspolitik zu           beiführen wird. Das wird sie nicht. Und selbst wenn
                                                                doch, wird das Ergebnis von einem Faktorenmix ab-
       stellen.                                                 hängig sein, der die Erkenntnis bestätigen wird, dass
                                                                die Angelegenheit komplex ist. Wir wissen zwar eini-
         «Die IZA-Strategie ist ein aussenpolitisches Werk-     ges darüber, wie sich einzelne Komponenten verhal-
    zeug der Schweiz, um gestützt auf die Bundesverfas-         ten, doch Entwicklung als Ganzes lässt sich schwer be-
    sung weltweit Not und Armut zu lindern, die Einhaltung      schreiben.
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    der Menschenrechte zu verbessern, Demokratie zu för-             Entwicklung hat kein brauchbares Gedächtnis, auf
    dern und die Umwelt zu schonen.» So kündigt der Bund        das wir zurückgreifen könnten, um zu verstehen, wie
    seine neue IZA-Botschaft an. Doch die Vorstellung, dass     andere es geschafft haben. Die Art und Weise, wie Län-
    diese Strategie Not und Armut lindern, die Einhaltung       der sich entwickelt haben, lässt sich nicht so leicht mit
    der Menschenrechte verbessern, Demokratie fördern           dem heutigen normativen Diskurs von Entwicklung in
    und die Umwelt schonen kann, stimmt nicht so ganz.          Einklang bringen. Europäer:innen wanderten aus – meist
    Es fehlt das kleine Wort «helfen». Die IZA-Strategie kann   illegal. Sie hielten Menschenrechte nicht ein, verübten
    helfen, all diese ehrgeizigen Ziele zu erreichen – oder     Terror und führten Kriege gegen jene, die ihre Länder
    auch nicht!                                                 und ihren Besitz verteidigten. Sie verfolgten eine Poli-
         Entwicklung ist Aufgabe der Betroffenen. Wenn so-      tik der globalen Enteignung. Nur durch Kampf konnten
    genannte Entwicklungsländer in ihren Bemühungen             die betroffenen Länder ihre Unabhängigkeit wiederer-
    scheitern, dann scheitern sie selbst. Wenn sie erfolg-      langen.
    reich sind, dann gebührt ihnen der Applaus dafür. In-            Die Schweiz, wie wir sie heute kennen, ist nicht das
    ternationale Hilfe ist nur subsidiär – deshalb wird sie     Ergebnis eines gradlinigen geschichtlichen Prozesses.
    eben auch als «Hilfe» bezeichnet. Allerdings kann sie       Der Zufall war darin genauso präsent wie der Fleiss.
    auch stören. Das ist vor allem dann der Fall, wenn sie      Aber Entwicklungspolitik ist immer auch Ergebnis von
    sich anmasst, selbst Entwicklung herbeiführen zu kön-       Aushandlungsprozessen. Zur aktuellen Botschaft äus-
    nen. Denn das geht eigentlich nicht. Internationale Hil-    serten sich die Kantone, viele Verbände und zivilgesell-
    fe stellt zwar Mittel bereit und kann durch Strukturpoli-   schaftliche Organisation. Wir dürfen annehmen, dass sie
    tik die Bedingungen erheblich verbessern, doch unsere       sich nicht auf die Suche nach einer aus technischer Per-
    Welt ist nach wie vor so verfasst, dass Unterentwick-       spektive besseren Entwicklungspolitik machten. Sie tru-
    lung funktional für die Reproduktion des Reichtums          gen Erwartungen an die Politik des Bundes heran. Die
    der Reichen ist.                                            daraus entstandene Botschaft ist folglich primär Aus-
                                                                druck dieses Aushandlungsprozesses und nicht einer
       Ein anhaltendes Bemühen                                  Entwicklungspolitik mit der die Schweiz helfen würde,
       In Sachen Entwicklung gilt der gleiche Appel wie in      die Welt zu entwickeln. Allein die vier thematischen
    den Saloons des Wilden Westen: «Bitte den Pianisten         Schwerpunkte verraten dieses Problemfeld.

        Archivbestand des Afrika-Komitees

          Seit seiner Gründung 1973 sammelt das Afri-           Projektkosten sind mit 20 000 Franken veran-
      ka-Komitee Informationsmaterial zum südlichen             schlagt. Vom Swisslos-Fonds des Kantons Basel-
      Afrika. Das Archiv umfasst sowohl Dokumente               Stadt sind 7000 Franken zugesagt; weitere 6000
      von afrikanischen Befreiungsorganisationen wie            Franken sind dem Afrika-Komitee bereits als
      auch von Solidaritätsbewegungen in der Schweiz.           Spenden zugeflossen.
      Bei vielen handelt es sich um historisch einmalige           Wir bitten unsere Leser:innen, durch eine Spen-
      Schriftstücke und Bilder, die namentlich die Befrei-      de das Archiv-Projekt zu unterstützen. Besten
      ungskämpfe in Angola, Mozambique, Guinea-Bis-             Dank.•
      sau, Kapverde, Zimbabwe, Südafrika, Äthiopien/
      Eritrea und Westsahara dokumentieren.
          Das Afrika-Komitee will dieses wertvolle Ar-
      chiv erhalten und Forschenden zugänglich machen.
      Deshalb wird es wissenschaftlich erschlossen. Die
Zusammenarbeit

       Innenpolitische Ziele
       Die Botschaft will menschenwürdige Arbeitsplätze
   vor Ort schaffen. Das ist kein schlechtes Ziel, zu dessen

                                                                                                                                                                 Schwerpunktthema
   Erreichung die Konzernverantwortungsinitiative hätte
   beitragen können. Aber soll die Schweiz das überhaupt?
   Ist es nicht Aufgabe der unterstützten Regierungen
   und Länder zu bestimmen, was menschenwürdige Ar-
   beitsplätze sind, wie und wann sie geschaffen werden
   sollen, und welche Hilfe sie dazu benötigen?
       Der zweite thematische Schwerpunkt ist weniger
   problematisch, da es sich beim Kampf gegen den Klima-
   wandel um ein sehr allgemeines Ziel handelt. Doch fragt
   sich, wie genau dieses Ziel mit der Entwicklungszusam-                                                                                                    9
   menarbeit vereinbart werden soll. Soll es als Kriterium
   für die Vergabe von Geldern dienen? Besteht ein Be-                                                                              Bild: www.leadvilletoday.com.
   wusstsein dafür, dass die Erfüllung solcher Kriterien
   der Entwicklung nicht unbedingt förderlich sind? Das
   soll kein Freipass für Umweltverschmutzung sein, son-       gewaltsame Konflikte abzuwehren. Schliesslich wissen
   dern lediglich eine Erinnerung daran, dass niemand über     wir auch, wie wichtig die Auswanderung für die Ent-
   den Algorithmus der Entwicklung verfügt und dement-         wicklung Europas war.
   sprechend niemand weiss, was passiert, wenn wir et-             Am vierten thematischen Schwerpunkt, dem Enga-
   was noch nie Dagewesenes versuchen. Geberländer             gement für Rechtsstaatlichkeit, ist an sich nichts aus-
   wissen nicht, wie Entwicklung unter Beachtung von           zusetzen, auch wenn er nach einer stärkeren Regulie-
   Umweltbestimmungen erfolgt, ihre Handlungsanwei-            rung in der Schweiz verlangt. Schliesslich leidet zum
   sungen basieren vielmehr auf schon erfolgter Entwick-       Beispiel Mozambique unter der Last unbezahlbarer
   lung.                                                       Schulden, die mit starker Unterstützung einer Schwei-
       Die IZA-Botschaft nennt als dritten thematischen        zer Bank zustande gekommen sind.
   Schwerpunkt die Reduktion der Ursachen von Flucht und           Fazit: die IZA-Botschaft geht so in Ordnung. Es ist
   irregulärer Migration. Dieser Schwerpunkt entspricht        eine Frage der Perspektive. Jedes Geberland braucht
   dem Motto «Aussenpolitik ist Innenpolitik». So gese-        eine Entwicklungspolitik, und im Grunde spielt deren
   hen, gibt es aus der Sicht eines «Betroffenen» aus Afri-    Qualität keine grosse Rolle. Afrika entwickeln wird sie
   ka wenig zu meckern. Aber wenn Entwicklung etwas            ohnehin nicht, denn Afrika kann sich nur selbst entwi-
   sein soll, das auch die Betroffenen als solche definie-     ckeln.                                               •
   ren, dann dürfen wir uns über dieses Ziel wundern.
   Vielleicht ist Migration aus Sicht der Entwicklungslän-
   der keine schlechte Idee. Wir wissen, wie wichtig die
   Überweisungen der Migrant:innen sind. Wir wissen
   auch, wie gerade die Auswanderung von jungen Men-           Elísio Macamo ist Soziologe und Professor für Afrikastudien an der
   schen dazu beiträgt, sozialen Dampf abzulassen und          Universität Basel. Kontakt: elisio.macamo@unibas.ch.

       Steuerbefreiung für Spenden an das Afrika-Komitee

          Spenden an das Afrika-Komitee sind steuer-           Jetzt mit TWINT spenden:
      befreit. Der Spendenbetrag kann vom Einkom-              • QR-Code mit der TWINT-App scannen
      men abgezogen werden. Seit Jahrzehnten geniesst          • Betrag eingeben und Adresse
      das Afrika-Komitee diese von der kantonalen              • Betrag und Spende bestätigen
      Steuerverwaltung Basel-Stadt gewährte Steuerbe-
      freiung, der auch andere Kantonen folgen. Gerne
      stellen wir Ihnen eine Spendenbescheinigung
      zuhanden der Steuerverwaltung aus.

          Spenden bitte auf
          Postkonto 40-17754-3
          IBAN CH26 0900 0000 4001 7754 3
Afrika in Kürze

         Uganda und Tanzania                       Cabo Verde

         Öl-Ressourcen und Pipeline-Bau            Zusammenbruch des Tourismus                Ende 2020 wurde mit einer Stabi-
         Die grossen Erdöl-Lagerstätten            Dass die Pandemie Feriendestina-      lisierung zum Frühjahr 2021 gerechnet
     beim Albertsee in Uganda sind seit        tionen trifft, ist bekannt. Von den       und der internationale Flugverkehr,
     langem bekannt. Erst 2020 schlossen       Kapverdischen Inseln liegen – einmalig    namentlich über den Jahreswechsel,
     Total und die staatliche chinesische      für einen afrikanischen Staat – detail-   wieder aufgenommen. Doch ein neuer
     CNOOC einen Vertrag zur gemeinsa-         lierte Zahlen vor, die vom nationalen     Ausbruch machte diese Pläne zunichte.
     men Ausbeutung dieser Ressourcen ab.      Institut für Statistik erhoben wurden.    Zwei Umstände werden dafür verant-
     Das mag an der kontinuierlich wach-       Seit 2009 ist die kapverdische Wirt-      wortlich gemacht: Im April herrschte
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     senden Wirtschaft in vielen afrikani-     schaft stetig gewachsen, 2018 waren       Wahlkampf für die Parlamentswahlen.
     schen Staaten liegen: Wie auch in Asien   es 4,5, 2019 5,7 Prozent. Doch mit der    Ohne Schutzmassnahmen wurden
     lassen diese auf gute Absatzchancen       Pandemie schrumpfte das Bruttoin-         Massenveranstaltungen durchgeführt –
     hoffen, wohingegen für Europa und         landprodukt um ganze 14,8 Prozent,        mit verheerenden Folgen. Zudem zeigt
     Nordamerika aufgrund der verpflich-       also um gut ein Sechstel. Der Ertrag      sich rückblickend, dass die verord-
     tenden Pariser Erklärungen eine stark     aus dem Handel schrumpfte um              neten Öffnungsbeschränkungen für
     sinkende Nachfrage vorausgesagt           21 Prozent, aus dem Transport um 33,      Läden, Bars und Restaurants nicht
     wird.                                     von Dienstleistungen um 24 und im         eingehalten wurden. Viel zu spät wird
         Die 1450 Kilometer landeinwärts       Gastgewerbe um 70 Prozent. In der         diese Disziplinlosigkeit geahndet. Im
     liegenden Lagerstätten liefern ein sehr   Hotellerie verloren 2020 über vier        Mai 2021 sind insgesamt 635 Bars und
     schweres, zähes Öl, das für den           Fünftel der Beschäftigten ihre Stelle,    Läden für kürzere oder längere Zeit
     Transport erhitzt werden muss. Um es      nahezu zwei Drittel aller Hotelbetriebe   polizeilich geschlossen worden, alleine
     in den tansanischen Hafen zu leiten,      waren am Jahresende geschlossen.          auf der Insel Boavista 225 Betriebe und
     ist dementsprechend eine beheizte         Der Tourismus trägt rund ein Viertel      in Praia deren 164. Cabo Verde geriet
     Pipeline geplant, deren erstes Viertel    zum nationalen Einkommen bei.             in einen neuen, zweiten Lockdown.
     quer durch Uganda und die weiteren            Auch Anfang 2021 sieht die Lage            Damit war das Unheil angerichtet.
     drei durch Tanzania führen. Die           katastrophal aus: Im ersten Quartal       Heute muss damit gerechnet werden,
     notwendigen Verträge sind bereits von     2021 empfingen die Hotels des             dass auch die wichtige Sommersaison
     beiden Regierungen unterzeichnet.         Archipels 12 098 Gäste, ein Rückgang      2021 wegfällt. Mit dramatischen
         Knackpunkt wird aber die Finanzie-    von 93,6 Prozent im Vergleich zu          Folgen. Auf den auf Tourismus
     rung: 263 Organisationen der inter-       189 110 Gästen im gleichen Zeitraum       ausgerichteten Inseln Sal und Boavista
     nationalen und auch der afrikanischen     des Jahres 2020. Die Zahl der Über-       ist die Mehrheit der Menschen heute
     Zivilgesellschaft richteten einen         nachtungen sank in dieser Periode auf     ohne Arbeit und damit auch ohne
     kollektiven Protest gegen die Ausbeu-     28 912, verglichen mit 1 102 883 im       Einkommen. Nun werden die Bewoh-
     tung der Lagerstätten und insbeson-       ersten Quartal 2020 (– 97,4 Prozent).     ner:innen dieser beiden Inseln prioritär
     dere auch gegen die Pipeline an 25            Zu Beginn der Pandemie sah die        geimpft, um vom Tourismus zu retten,
     Bankhäuser weltweit. Neben (sehr)         Lage noch hoffnungsvoll aus. Dabei        was noch zu retten ist. Bis Ende 2021
     wenigen Arbeitsplätzen für die            spielte die geografische Situation eine   soll zudem die ganze in Betracht
     Einheimischen und Tantiemen für die       wichtige Rolle: Schon im März 2020        fallende Bevölkerung von Cabo Verde
     Regierungen würde das Vorhaben            wurde der internationale Luftverkehr      durchgeimpft sein, was etwa 360 000
     zwangsweise die Bevölkerung durch         wie auch der Verkehr zwischen den         Personen entspricht. •
     Enteignungen stark belasten, die          Inseln eingestellt. So konnte vermieden
     Gewässer rund um die Ölfelder und         werden, dass das Virus durch Reisende
     entlang der Pipeline gefährden und        weiterverbreitet wurde. Doch die
     schwere Eingriffe in die an der Route     Sommersaison 2020 war verloren. Auf
     liegenden Naturschutzgebiete nach         mehreren Inseln, darunter den beiden
     sich ziehen – ganz abgesehen von den      touristischen Hotspots Sal und
     34 Millionen Tonnen CO2-Ausstoss          Boavista, konnte die Zahl der infizier-
     jährlich, welche für den Bau berechnet    ten Personen auf niedrigem Niveau
     wurden.                                   stabil gehalten werden, jedoch stieg
         Offensichtlich hatte diese Aktion     dann die Zahl in den Ballungszentren
     einigen Erfolg – Barclays und Credit      Praia (Insel Santiago) und Mindelo
     Suisse nahmen offiziell Abstand von       (Insel São Vicente) stark an.
     einer Finanzierung des Projektes. Auch
     die südafrikanische Standard Bank,
     welche die Exploration mitfinanzierte,
     will ein Gutachten abwarten, während
     der Widerstand weltweit wächst. Ob
     ein Misserfolg die Bereitschaft zur
     Finanzierung ökologischer Energie-
     quellen erhöhen würde? •
Zimbabwe                                   Eritrea

                                                                                                                                   Afrika in Kürze
    Nahende Wahlen                              Kaliabbau in Colluli                   Dabei bieten sich in der Danakil-Wüste
    Das Wahljahr 2023 prägt bereits             Kali – auch Potassium genannt –        Sonne und Wind an, für deren Nutz-
heute die Politik in Zimbabwe. Zwei        ist ein wichtiges Düngemittel. Die          barmachung Colluli mit einer in
Verfassungsänderungen zielen darauf        Vorkommen sind weltweit auf wenige          Schottland ansässigen Firma zusam-
ab, die Stellung des Staatsoberhauptes     Lagerstätten verteilt. Gegenüber            menarbeitet. Bedeutungsvoll ist
auszubauen. Genau solch weitgehende        Europas grösstem Kaliproduzenten –          auch die Geothermie. Colluli liegt am
Vollmachten hatte die 2013 in einer        Belarus – laufen aufgrund der auto-         ostafrikanischen Rift-Grabenbruch.
Volksabstimmung angenommene                kratischen Gewaltherrschaft unter           Sondierungen haben ergeben, dass
                                                                                                                                  11
Verfassung eingeschränkt. Die erste        Lukaschenko Diskussionen über               Heisswasser mit einer Temperatur von
Verfassungsänderung passierte das          Exportsanktionen. 2022 wird mit             250 bis 300 Grad nutzbar gemacht
Parlament im Mai. Sie gibt dem             Eritrea ein neuer Kali-Exporteur auf        werden kann. Ein weiteres Problem
Staatsoberhaupt u.a. das Recht,            dem Weltmarkt aktiv. Nach rund              stellt mitten in der Wüste die Süsswass-
Richter:innen ohne öffentliche Anhö-       zwanzigjähriger Projektierungs- und         serversorgung dar. Für die Wasser-
rung zu ernennen und ihre Amtszeit         Entwicklungsarbeit wird in der              versorgung wird in Zusammenarbeit
über das Pensionierungsalter hinaus zu     Danakil-Depression die Colluli-Minen-       mit einer südafrikanischen Firma
verlängern. Noch nicht verabschiedet       gesellschaft mit dem Abbau beginnen.        Meereswasser aus dem Roten Meer
ist der «Patriotic Act», der Strafen für   Die Gesellschaft ist ein Joint-Venture      durch eine Umkehr-Osmose entsalzt
Personen vorsieht, welche dem              zwischen dem eritreischen Staat und         und nach Colluli geleitet.
Ansehen Zimbabwes schaden und              der australischen Minengesellschaft             Nächstes Jahr soll der Abbau
Kontakte zu ausländischen Regierun-        Dankali. Beide halten je 50 Prozent der     beginnen. In einer ersten Phase sollen
gen pflegen. Er zielt klar auf Kriti-      Aktien.                                     rund 470 000 Tonnen Kalium per Jahr
ker:innen der Regierung. Im April               Gegenüber anderen Kaliförderern        abgebaut werden, die bis zur Fertig-
beschloss das Kabinett sodann die          hat Colluli den Vorteil, dass das           stellung des Hafens von Anfile noch
Einführung eines «National Youth           Kalisalz direkt an der Oberfäche liegt      über das weiter entfernte Massawa
Training Program». Bereits 2001 hatte      und damit im Tagebau gewonnen               verschifft werden müssen. Der Abbau
die damalige Regierung einen «Natio-       werden kann. In Russland muss Kali in       kann später bis auf rund 950 000
nal Youth Service» eingeführt, dessen      800 Meter Tiefe im Bergbau abgebaut         Tonnen jährlich gesteigert werden. Die
Angehörige bald als Terrortrupps           werden, in Kanada sind es 900 bis           Vorkommen sollen für 200 Jahre
gegen Oppositionelle Furcht und            1100 Meter, in Grossbritannien 1400         reichen. Für Eritrea wird Colluli nach
Schrecken verbreiteten. Verständlicher-    bis 1500 Meter Tiefe. Zudem liegt           der Bisha-Mine (Gold, Kupfer, Eisenerz)
weise wird jetzt Ähnliches befürchtet.     Colluli verkehrstechnisch günstig. Bis      der zweite grosse Entwicklungstreiber.
    Der ZANU-PF ist es gelungen, die       zum Verschiffungsort Anfile, einem am       Der Gewinn wird zwischen Eritrea und
Opposition mit juristischen Mitteln        Roten Meer in Bau befindlichen Hafen,       der Danakali-Gesellschaft aufgeteilt,
weitgehend auszuschalten. Ein Gericht      sind es nur 75 Kilometer.                   zudem wird der Gewinnanteil von
hat die Machtübernahme von Nelson               Trotzdem: Es bleiben viele Heraus-     Danakali mit rund 40 Prozent besteu-
Chamisa nach dem Tod von Opposi-           forderungen, namentlich im Energie-         ert. Noch offen ist, ob die auf der
tionsführer Tsvangirai in der MDC-A für    sektor. Colluli liegt fernab von Energie-   äthiopischen Seite der Danakil-Depres-
statutenwidrig erklärt und das             erzeugern, weshalb nach neuen               sion liegende Kalistätte ebenfalls
gesamte Eigentum der Partei einer          Lösungen gesucht werden musste.             angestochen wird, und ob der Export
rivalisierenden Fraktion übertragen.                                                   von dort auf dem kürzesten Weg über
Ausserdem wurde die Wahl von MDC-A                                                     Eritrea erfolgen würde, was aufgrund
Parlamentarier:innen für ungültig                                                      der mittlerweile eingetretenen
erklärt. Auf diese Weise war es für die                                                Entspannung im Verhältnis zwischen
ZANU-PF ein Leichtes, sich die erfor-                                                  Eritrea und Äthiopien durchaus
derliche Zweidrittelsmehrheit für                                                      denkbar ist. •
die Verfassungsänderung zu sichern.
Die rivalisierende Fraktion verdankt
ihre Position und die ihr jetzt zuflies-
senden Mittel der Regierungspartei. Sie
beisst die Hand nicht, die sie füttert.
Einige Parlamentarier:innen der MDC-A
haben sich zu einem Seitenwechsel
entschlossen, um ihre Position zu
halten. Die desolate Situation der
Opposition hat zu einer Schwächung
der ganzen Zivilgesellschaft geführt. •

                                                                                       Zusammengestellt von Susy Greuter,
                                                                                       Barbara Müller und Hans-Ulrich Stauffer.
Mathieu Musey – eine unverarbeitete Tragödie
                                  Bittere Erfahrungen eines afrikanischen Intellektuellen mit d

                                 Der Fall des kongolesischen Philosophen Mathieu Musey hat in den 1980er-Jahren dem Ansehen der
                                 Schweiz massiv geschadet. Seine brutale Ausschaffung mitsamt der Familie nach Kongo-Kinshasa unter
                                 Bundesrätin Elisabeth Kopp ist bis heute nicht geklärt. Jetzt ist Mathieu Musey im Alter von 80 Jahren
                                 verstorben. Ein Rückblick von Ruedi Suter.

                                  Etwas war mir klar, an diesem fahlen Novembertag       Weissen» hätten machen können. Stattdessen verhalf
                              im Jahr 1987: Die Schweizer Bundespolizei durfte mir       ihm Rom zur vielleicht wichtigsten Erkenntnis seines
                              keinesfalls folgen, auf dieser Autofahrt nach «Irgend-     Lebens: «Wenn doch Italiener, Belgier und Franzosen
                              wo». So verhielt ich mich wie in einem Überwachungs-       ihre Herkunft verteidigen, warum soll dann nicht auch
                              staat – misstrauisch und heimlich. Entsprechend for-       ich auf meine afrikanische Identität stolz sein können?
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                              mulierte ich später auch die Reportage, die in verschie-   Erst seither fühle ich mich als vollwertiger Mensch und
                              denen Tageszeitungen erschien. «Irgendwo» lag in der       – als Afrikaner.»
                              Schweiz und symbolisierte eine Stadt, ein Dorf oder            1970 kam der Vielbegabte in die Schweiz. Was dann?
                              einen Weiler, wo sich die Familie Musey aus Zaire seit     Unvollständige Aufzählung: Doktortitel der Philoso-
                              acht Monaten versteckt hielt.                              phie an der Universität Freiburg i. Ü. (1974), Arbeiten zu
                                  Wo genau, wusste auch ich nicht – die Verbindungs-     Claude Lévi-Strauss, Michel Foucault, Platon; Lehrer für
                              leute, ehrbare Schweizer:innen, handelten vorsichtig,      Musik und Sprachen, Organist, Vatikan-Rundfunk-Mit-
                              so als lebten sie in einer Diktatur. Der Untergrund, die   arbeiter, Gymnasiallehrer in Bulle, Gastprofessor an den
                              letzte Zuflucht im Land, durfte nicht gefährdet werden.    Universitäten Bern und Freiburg i. Br. sowie Professor
                              So wurden mir, nach monatelangem Warten, als einzi-        für mathematische Logik an der Nationaluniversität von
                              gem Journalisten lediglich die Koordinaten eines gehei-    Zaire. Dort lehrte er die abendländische Philosophie, in
                              men Treffpunkts nahe von «Irgendwo» mitgeteilt – im        Europa vermittelte er so pionierhaft wie mutig die afri-
                              Jura, wo mir der seit 17 Jahren in der Schweiz lebende     kanischen Denkweisen.
                              und zur Ausschaffung ausgeschriebene Gesuchte Rede
                              und Antwort stehen sollte.                                     Der Weitsichtige
                                                                                             Afrikaner sein – daraus machte Mathieu Musey Nina
                                                                                         Eloki nie einen Hehl. Und daraus resultierte auch die
                                                                                         besondere Qualität seiner Aussagen. Wenn er z. B. seinen
                                                                                         Hörer:innen Unterschiede zwischen der europäischen
                                                                                         und der afrikanischen Wahrnehmung auseinandersetz-
                                                                                         te. Da zögerte er nicht, von der europäischen zur afri-
                                                                                         kanischen Logik zu wechseln: «Ich glaube an die Ge-
                                                                                         dankenübertragung. Warum auch nicht? Wenn in Zaire
                                                                                         einer meiner Verwandten krank wird, erfahre ich dies
                                                                                         im Traum. Als Afrikaner stehe ich mit den Toten in Ver-
                                                                                         bindung. Ich habe auch schon mit meinen Eltern ge-
                                                                                         sprochen. Das mögen Europäer als Spinnerei abtun –
                                                                                         für uns Afrikaner ist es Realität.»
                                                                                             Der eigenwillige Gelehrte aus dem heutigen Kongo-
                                                                                         Kinshasa eroberte die Herzen, indem er seine Vorle-
                                                                                         sungen zu unvergesslichen, zwischenkulturellen Begeg-
                                                                                         nungen machte. So auch in Basel, wo Musey an Uni-
                                                                                         verstität und Volkshochschule über «afrikanische Phi-
                                                                                         losophie» sprach und wir uns, beide im selben Land ge-
                                                                                         boren, kennenlernten. Und wo ihm vier bekannte Do-
                                                                                         zent:innen des Philosophischen Seminars den Rücken
                                                                                         stärkten, überzeugt, dass die «lebensbedrohenden Pro-
                                                                                         bleme dieser Welt nur auf der Basis der Gemeinsam-
         Der kongolesische                                                               keit» und der von Karl Jaspers geforderten Weltphilo-
 Philosoph Mathieu Musey                                                                 sophie gelöst werden könnten.
   Nina Eloki verstarb am
    15. Februar 2021 (Bild:        Der Vielbegabte                                           Anton Hügli, Arnold Künzli, Annemarie Pieper und
         Ruedi Suter 1987).        Mathieu Musey Nina Eloki war eine so einnehmen-       Hans-Peter Schreiber waren überzeugt, dass Menschen
                              de wie vielseitige Persönlichkeit. Seinem scharfen, von    wie Mathieu Musey «dringend» notwendig seien, um
                              Jesuiten gedrillten Denkvermögen war schwer beizu-         eine «zwischenmenschliche Verständigung über natio-
                              kommen, seiner Warmherzigkeit kaum zu widerstehen.         nale und kontinentale Grenzen hinweg» sicherzustel-
                              1940 in Balibi südlich von Kinshasa geboren, lernte der    len: «Menschen, die auf dem Boden des Prinzips der Hu-
                              aus einfachen Verhältnissen stammende Missionsschü-        manität imstande sind, Brücken zu schlagen, Missver-
                              ler Französisch, Griechisch, Lateinisch und Holländisch.   ständnisse auszuräumen, Vermittlungs- und Versöh-
                              13 Sprachen soll er insgesamt gelernt haben. So auch       nungsstrategien im Dienst der Mitmenschlichkeit und
                              Italienisch während seiner Theologiestudien in Italien,    Solidarität zu entwickeln», hielten sie in der «Basler
                              die ihn mental endgültig zu einem «schwarzhäutigen         Zeitung» fest.
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