ALTSTADT bläddla Nr. 55 2021/22 - ES WAR EINMAL - Altstadtverein Fürth
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ALTSTADT bläddla 55 Altstadtverein Fürth, Altstadtviertel St. Michael Bürgervereinigung Fürth e.V. Nr. 2021/22 ES WAR EINMAL ... ES WIRD MAL SEIN ...
VORWORT LIEBE MITGLIEDER DES ALTSTADTVEREINS, RECHTSANWÄLTE PIEPER-SIEBEN UND KOLLEGEN LIEBE INTERESSIERTE LESER*INNEN! Ihre Rechtsanwaltskanzlei im Herzen der Fürther Altstadt Vor Ihnen liegt das neue ALTSTADTbläddla. Arbeitsrecht/Beamtenrecht, Familienrecht, Strafrecht, Sozialrecht, Zivilrecht, Mediation Das zweite Jahr der Pandemie ist fast überstanden denplatte am Dreiherrenbrunnen in der Schwabacher und wir können uns wieder auf unseren bewährten Straße wird ja doch meistens übersehen. Und wenn Altstadtweihnachtsmarkt freuen. Leider muss immer nicht fragt man sich: wer war Emilie Lehmus? Zu dan- noch aus Rücksicht auf Schutzmaßnahmen auf be- ken ist weiterhin Siggi Meiner, Mecan Kumbolu, Gun- stimmte Regeln geachtet und der Markt in reduzierter nar Förg, Ralph Stenzel, Hans-Otto Schmitz, Uschi Form durchgeführt werden. Dennoch lassen wir uns Steinkugler-Krüger, Rainer Ziegler und Thomas Wer- nicht entmutigen. Die vorweihnachtliche Stimmung ner für ihre Beiträge, die das Heft so bunt erscheinen soll in diesem Jahr wieder vom Waagplatz und der lassen. Neu und mit enthusiastischen Elan hat Heinz Waagstraße ausgehen. Dazu zählt für die Bürgerver- Müller die Anzeigen besorgt, auch dafür ein herzliches einigung auch die Herausgabe des Altstadtbläddlas. Dankeschön. Wir sind stolz, dass die Mitwirkung an der Gestaltung Das Altstadtbläddla ist das Jahresmagazin aus un- des Bläddlas nach wie vor ungebrochen ist und kön- serer Altstadt. Es schildert nicht nur die Vorgänge im nen daher wieder interessante Artikel vorstellen. Be- Verein, es möchte auch darauf hinweisen, dass Verän- sonders zu danken ist daher Stefan Bär und Christian derungen, Probleme oder neue Ideen in der Altstadt Schmidt-Scheer, die mit einer ausführlichen Geschich- präsent sind und die Bürgervereinigung ihre Daseins- te über das alte Amtshaus am Flussübergang die Ver- berechtigung nicht verloren hat. Im Gegenteil, der Zu- änderungen in unserer Altstadt aufzeigen. Danach wachs im Verein auch mit jüngeren Leuten ist nach wie wird uns Emilie Lehmus vorgestellt, die zu einem Zeit- vor da und im Vergleich mit anderen Vereinen kann punkt als von Emanzipation noch nichts zu hören war, sich unsere Arbeit sehen lassen. Darum wünschen wir zur Ärztin promovierte und damit neben dem neu er- allen, die das Heft durchblättern, viel Spaß beim Ent- richteten Denkmal auf dem Friedhof auch ein literari- decken. sches Denkmal erhält. Die eingelassene bronzene Bo- Ihr Redaktionsteam INHALT Jahresbericht des Vorstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Edith Konnerth Gert Pieper-Sieben Die Vokalrunde und das Jahr 2021 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Vom bambergischen Amtshaus zur Omnibushaltestelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Rechtsanwältin Rechtsanwalt Jahresbericht der AG Archäologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Fachanwältin für Arbeitsrecht Fachanwalt für Arbeitsrecht Emilie Lehmus – von der Pfarrerstochter zur ersten deutschen Medizinstudentin . . . . 16 Tätigkeitsschwerpunkt: Familienrecht Mediator (DAA) Feldpost „41“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Mehr als nur gute Nachbarn: FürthWiki und Altstadtverein . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 10 Jahre Kirchenführer St. Michael . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Wie die Altstadt zu dem wurde, was sie ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Ganz persönliche Gedanken, wie die Geschichte der Altstadt weitergehen könnte . . . . 30 Gedanken zur Altstadt von Fürth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Vorweihnachtliche Gedanken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 Königstraße 76 • 90762 Fürth Die Reichsministerialen von Hertingsberg und ihre Turmburg in Altenberg . . . . . . . . 34 Tel. 0911 74 08 34 - 0 • E-Mail: info@pieper-sieben.de • www.pieper-sieben.de Nr. 55 – 2021/22 Altstadtverein Fürth 3
JAHRESBERICHT Das Bauernmarkt Café, mittlerweile ein Treff für Jung und Alt, Vereinsmitglieder, Marktbesucher DES VORSTANDES 313 und jetzt auch für Musiker, wurde in den Som- mermonaten zum Superhit. Jeden Samstag wäh- rend des Bauernmarktes am Waagplatz öffneten wir wieder unsere Türen und boten gegen einen Spendenbeitrag Kaffee, Kuchen und Herzhaftes, je nach Wetter in oder vor unserer Freibank. Ver- suchen Sie es mal! Schauen Sie vorbei und genie- ßen Sie die schöne Atmosphäre, mit etwas Glück sogar mit musikalischer Unterhaltung. Dank der Familie Jesussek und der AG Mund- art ist ein tolles Projekt entstanden, in dem noch viel Potenzial steckt: der Mund-Art-omat. Ein Wa- Das Bauernmarkt Café ... renautomat am Waagplatz bietet keine Kaugum- mis an, sondern liefert Erklärungen für manche unbekannte Begriffe aus der Fürther Alltagsspra- che. Mundartworte vermitteln eine gemeinsa- me Identität und Erfahrung, lassen liebenswer- te Erinnerungen an Kindheit, Orte und Begeben- Eintritte Austritte Stand: 3.9.2021 heiten gefühlvoll aufleben. Die »ARGE Mundart« Eintritte Austritte Stand: 03.09.2021 im Altstadtverein Fürth hat sich an die Arbeit ge- Die Mitgliederentwicklung des Altstadtvereins seit 2008 macht, die speziellen färdderischen Ausdrücke zu sammeln. Sie hat Freunde befragt und Litera- tur gewälzt und so Hunderte von Begriffen zwi- schen Aamerla und zweggerd aufgelistet. Neben Liebe Leserinnen und Leser! noch heute gängigen wie Muckn oder Baggers fanden sie auch längst aus der Zeit gefallene wie Noch ein schwieriges Jahr für Vereine und ihre Mitglieder ist aschifdi oder Storzernerli, wenn auch Schreib- vergangen. Doch auch in diesem Jahr waren wir nicht untä- weisen und Erklärungen oft differieren. tig und wir haben einiges bewegt. Wir haben auch in diesem Jahr einiges an ei- genen Baustellen in unserer Freibank zu bewäl- Gleich nach der Absage der Altstadtweihnacht wurden 250 tigen. So mussten wir das Dach reparieren und Geschenkpakete „Altstadt für Dahamm“ mit würzigem Win- auch die Giebelwand hat einen Zimmermann auf zer-Glühwein, Butterzeug, Bratwärschd, Tee, Marmelade den Plan gerufen. Dass wir trotz weiterer Reno- und Rauschgoldengel zum Verkauf eingepackt und ein On- vierungen und des Gewinnausfalls aufgrund der line-Adventskalender mit Gedichten, Liedern, Fürther Ge- abgesagten Altstadt-Weihnacht 2020 nach wie schichten, Lesungen gefüllt. Die AG Weihnachtsmarkt hofft vor solide aufgestellt sind, ist gutem Haushalten jetzt auf einen Markt 2021. in den vergangenen Jahren zu verdanken. Neugewählter Vorstand, Beirat Die Mitgliederzahlen lassen auch 2021 die Vorstandschaft Spenden, die uns helfen die satzungsgemä- und Kassenprüfer hoffnungsvoll in die Zukunft blicken. Wie 2020 können wir ßen Ziele des Altstadtvereins, die Verschöne- entgegen den landesweiten Trends auf einen Zuwachs der rung, Wiederbelebung und Gesundung des Alt- Mitgliederzahlen schauen. stadtviertels St. Michael, die Förderung von Kul- Der Vorstand und seine Beiratsmitglieder wurden in der tur, die Geschichtsforschung und die Denkmal- diesjährigen Jahreshauptversammlung neu gewählt. Er- pflege in Fürth weiter zu fördern, sind aber im- freulicherweise bleibt uns die bisherige Besetzung nahe- mer hilfreich. zu vollständig erhalten und wurde einstimmig wiederge- Der Mund-Art-omat ... wählt. Nur Dr. Christofer Hornstein, der im letzten Jahr aus Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern ein Zeitgründen aus dem Beirat ausschied, wurde durch Heinz erfreulicheres Jahr 2022 und hoffe, dass wir im Müller von unserem neuen Rollenspiel-Grüppchen ersetzt, nächsten Jahr wieder fleißig an unseren Ver- von dem wir bald mehr berichten. Die reichhaltigen Tätig- einszielen arbeiten und feiern dürfen. Altstadt keiten unserer Arbeitsgruppe Archäologie und unserer Vo- für kalrunde können Sie auf unserer Internetseite nachlesen: DER ALTSTADTVEREIN – Dahamm www.altstadtverein-fuerth.de OFFEN FÜR ALLE 4 Altstadtverein Fürth Nr. 55 – 2021/22 Nr. 55 – 2021/22 Altstadtverein Fürth 5
DIE VOKALRUNDE UND DAS JAHR 2021 Mitte Juni Ich gehe in die Gustavstraße, setze mich, bestelle einen Kaffee und öffne meinen Laptop. Voller En- thusiasmus setze ich ein grobes Probegerüst für kommende Woche auf. Einige Arrangements sind bereits geschrieben, einige existieren nur in meinem Kopf. Doch bevor es an das Notenschreiben 2021 kam dann die gute Nachricht. Unter Einhaltung vieler Hygiene- vorschriften durfte wieder geprobt geht, lehne ich mich zurück und entspanne, bei viel Koffein, unter dem bewölkten Fürther Himmel. Es ist werden. Die Freude war zwar groß Juni und die Sonne ist noch im Homeoffice. und wir wollten auch sofort wieder starten, nur wussten wir nicht, wo. Un- Ich denke an die letzten Monate, die, zugegeben, ganz schön an mir gezehrt haben. Wie so viele andere ser bisheriger Probeort, die Freibank, kam Chöre auch, hatten wir versucht, während des Lockdowns im Winter online zu proben. Zuvor konnte ich nicht in Frage, da der Abstand untereinander dort diese Form des Unterrichts erfolgreich boykottieren. Zu wichtig war mir der persönliche, physische nicht eingehalten werden konnte. Ohne Unterstützung wären wir Kontakt zu den gut 30 Sängern und Sängerinnen. Doch gar nicht zu proben war auf Dauer ein- an diesem Problem wohl – wie leider so viele andere Chöre auch – gescheitert. fach keine Option, darum ließ ich mich eines Besseren belehren. Anfangs waren die Tref- Der Altstadtverein und sein erster Vorstand, Siggi Meiner, ließen sich jedoch nicht lange bitten und fen über Zoom noch befremdlich. fanden innerhalb kürzester Zeit nicht nur eine Lösung, sondern eine Großartige noch dazu. Unter vol- Während ich die jeweiligen Stimmen vorsang, konnten die Sänger und lem Einsatz konnte Siggi den überwältigenden Festsaal des Grünen Baumes in Fürth für den Chor re- Sängerinnen zu Hause mitsingen. Dabei mussten deren Mikrofone al- servieren. Wer die wirklich beeindruckenden Räumlichkeiten dort nicht kennt, kann gerne in den sozi- lerdings ausgeschaltet bleiben, damit die Latenz keinen Endlos- alen Netzwerken mal ein bisschen „rumstöbern“, oder einfach auf ein Bier und ein Schäuferle einkeh- kanon verzerrter Stimmen lieferte. ren. Es lohnt sich allemal. Die Ironie war kaum zu übersehen – eine Chorlei- Die koffeingeladenen Arrangements im Gepäck, freute ich mich also auf die erste Präsenzprobe terin, die ihren Chor stummschaltete ... und das – wie sich herausstellte – vollkommen zu Recht. Der Anblick des Saals, der bis ganz hinten mit Und trotzdem. Am Ende waren wir froh, Sängern und Sängerinnen gefüllt war, führte einem vor Augen, was man so sehr vermisst hatte. Was über diese, doch ganz passable, Übergangs- für ein Gefühl. lösung. Denn was ich bei all den den Vorbehal- Seitdem üben, proben und arbeiten wir, denn ja, es gibt uns noch und ja, wir haben große Ziele. ten nicht bedacht hatte, war, was einen guten Dazu gehört u. a. die Aufführung unseres gewaltigen „Queen-medleys“, dem bisher umfangreichsten Chor noch ausmachte. Neben dem Gesang, Stück der Vokalrunde. Noch ist zwar nicht absehbar, wann wir wieder auf einer Bühne stehen dürfen, sind das auch die Gespräche davor und da- aber bis dahin, sind uns die Wiese und das Kopfsteinpflaster auch ganz recht. nach, das warme Miteinander und ein kleines „wie gehts dir?“ am Rande. Wo man uns finden kann? Und das geht online eben auch. Euphori- Natürlich auf Facebook und Instagram, auf der Seite des Altstadtvereins und und und … Vielleicht sche Begrüßungen in die Kamera, manchmal treffen wir uns auch im Park, spontan, auf ein kurzes Guerilla-Konzertchen. Und bis dahin verbleiben mit winkenden Händen und manchmal nur mit wir mit einem Lächeln, viel Optimismus und einem Versprechen: „We will rock you!“ Tapete und Wandschrank. Eines hatten wir alle gemeinsam – das Lächeln auf dem Gesicht. Mercan Kumbolu, Chorleitung Vokalrunde – Altstadtverein Fürth 6 Altstadtverein Fürth Nr. 55 – 2021/22 Nr. 55 – 2021/22 Altstadtverein Fürth 7
VOM BAMBERGISCHEN AMTSHAUS (ÄLTERES VOR 1683) ZUR OMNIBUSHALTESTELLE Das ehemals alte Bambergische Amtshaus nach 1900 (Königstraße 6, alte Haus-Nr. 21 von 1792) Die Metzgerei Bäuerlein vor (links) und nach dem 2. Weltkrieg (oben) In dem Donationsbrief Konrad des Frommen vom 2. gischen Geleitsamt[6] nach dem Dreißigjährigen Krieg, Februar 1303 heißt es „So haben wir auch gemacht und dass auch die Bamberger einem gesteigerten Reprä- geschaffet, wo ein Domprobtey ist, daß der einen Amt- sentationsbedürfnis Rechnung trugen und einen Das Bambergische Amtshaus mann setzen soll, der sein Pfleger sei.“ [1] Als der Flecken Neubau ihres Amtssitzes in Fürth am oberen Grünen als Metzgerei bis zum Untergang Fürth Größenordnungen angenommen hatte, dass Markt bzw. dem Beginn der Bauernstraße seit 1681 er- im Zweiten Weltkrieg der bambergisch-dompropsteilichen Verwaltung eine stellten (heute NORMA). 1683 kam es dann zur Verle- angemessene Präsenz vor Ort im Sinne dieser Schen- gung, das alte Amtshaus war überflüssig und wurde Seit 1895 war das ehemalige Amtshaus im Eigen- kungsurkunde angeraten schien, errichtete sie an der verkauft. tum der Familie Bäuerlein. Aus dem Metzger- Unteren Frankfurter Straße, nahe der Brücke über die meister war nun ein Charcutier geworden. Ne- Rednitz, als Dienstsitz des Amtmanns ein Amtshaus. Der bambergische Amtssitz als Privathaus ben dem Metzgermeister und seiner Familie führ- te Schmittners Adress- und Geschäftshandbuch Das bambergisch-dompropsteiliche Gottlieb Wunschel gibt in seinem „Alt-Fürth“ [7] von Fürth 1895 noch 14 weitere Familien als Be- als ersten bekannten Eigentümer wohner der Königstraße 6 über drei Stockwerke Amtshaus • Agidy Gelan, einen Weißgerber an.[8] verteilt auf.[17] Die genauen Ursprünge sowie das Baudatum sind bis- • 1723: Johann Meßelhäußer, Müller und Melber • 1895 Johann Andreas Bäuerlein, Metzger her nicht eruiert, doch gehen Vermutungen zur Bau- (Mehlhändler) meister zeit anhand der massiven Grundmauern ins frühe 17. • 1751: Johann Leonhard Rulein • 1935 Stefan Bäuerlein, Metzgermeister Jahrhundert, evtl. sogar ins frühe 16. Jahrhundert zu- • 1772: Matthäus Steeger [9] rück.[2] Der Amtmann übte in Fürth die niedere Ge- • 1786: Matthäus Steeger, Sohn Das Straßenniveau wurde in der unteren König richtsbarkeit aus.[3] Die solide Bauweise des Amtsitzes • 1788: Matthäus Meyer straße im näheren Umfeld der Brücke – vermut- könnte eventuell die Ursache sein, dass dieser Ver- • 1799: Maria Meyer, verwitwete Besitzerin, die wie- lich schon mit dem Bau der Maxbrücke – ange- wüstungen – sonderlich im Dreißigjährigen Krieg – ei- der verheiratet Helmreich heißt[10] hoben. Die entsprechenden Dammarbeiten soll- nigermaßen überstand. Zumindest eigneten sich die • 1817: Peter Helmreich, Melber ten wohl auch die häufigen Hochwasser zurück- massiven Grundmauern Wiedererrichtungen und Re- • 1846: J. G. Helmreich, Spezereihändler [11] halten. Der Effekt war aber, dass die Häuser (u.a. paraturmaßnahmen darauf auszuführen. • 1859: Johann Georg Helmreich, Spezereihändler [12] Königstraße 2, Königstraße 4, Königstraße 6) tie- Im Parterre des Hauses befanden sich die Arrest- • 1867: Friedrich Kohler, Metzgermeister fer zu liegen kamen. In der Königstraße 6 muss- zellen mit den Kettenringen an der Wand, die bis ins • 1890: Friedrich und Anna Schneider, Privatiersehe- te man z.B. von der Eingangstüre aus zwei Stufen 20. Jahrhundert zu sehen waren und unzweifelhaft leute[13] nach unten treten[18]. auf den dompröpstischen Kerker in Fürth hinwiesen.[4] • 1891: Friedrich Schneider, Metzgermeister [14] Bis 1683 wurden die amtlichen Verhandlungen • 1893: Johann Ullrich Habel, Metzgermeister [15] noch in diesem Haus vorgenommen.[5] Offensichtlich • 1895: Johann Andreas Bäuerlein, Metzgermeister [16] Maxbrücke und untere Königstraße; rot markiert das bewirkten u.a. die Baumaßnahmen am brandenbur- ehemalige bambergische Amtshaus 8 Altstadtverein Fürth Nr. 55 – 2021/22 Nr. 55 – 2021/22 Altstadtverein Fürth 9
Im Zweiten Welt- Wiederaufbau der Königstraße 6 nach Der Abriss des wiederaufgebauten krieg wurde das Haus dem Zweiten Weltkrieg Gebäudes Königstraße 6 Königstraße 6 am 21. Februar 1945, nachmit- • Gunda Bäuerlein und Leonhard Bär Die große Flächensanierung des Gänsbergs tags 16.30 Uhr, ein Op- In den Jahren 1948/49 wurde das Haus Königstraße 6 er- berührte schließlich auch die Königstraße. Le- fer der alliierten Luftan- neut aufgebaut. Jedoch verlangten die Auflagen der Stadt onhard Bär konnte sich nicht damit abfinden, griffe. Das Haus wurde to- Fürth, den Neubau um etwa fünf bis sechs Meter von der dass sein Haus – nach dem Bombenschäden tal zerstört und damit ging Königstraße aus einzurücken. Damit sollte die Engstelle in im Krieg mühsam in den Jahren 1948/49 neu das alte, ehemalige bam- diesem Bereich der Königstraße endgültig beseitigt wer- errichtet – diesen Plänen geopfert werden bergisch-dompröpstische den. Hintergrund war wohl, eine zweispurige Straßenbahn- sollte. Entsprechend hartnäckig verliefen die Amtshaus endgültig unter. führung bis zur Endhaltestelle „Billinganlage“ zu ermögli- Verkaufsverhandlungen für dieses Gebäude Die Kinder Gertrud Bäu- chen. Bis dahin endete die Zweispurigkeit der Straßenbahn und zogen sich über Jahre hin. erlein und Frieder Schild- nämlich am „Grünen Markt“ und führte bis zur Maxbrücke Das Haus Königstraße 6 trotzte als Letz- knecht konnten aus dem einspurig weiter; um nach der Brücke bis zur Billinganlage tes dem Abriss. Rundherum wurden die Häu- Luftschutzkeller Königstra- wieder zweispurig weiter zu führen. ser abgerissen, doch die Königstraße 6 stand ße 17 die Straße beobach- Der eingerückte Neubau der Königstraße 6 kam daher noch. Die Fürther Nachrichten berichteten ten, ein mit im Luftschutz- Wiederaufbau der Königstraße 6 in den Jahren 1948/49 auch teilweise auf den Grund der ehemaligen Wirtschaft darüber und stellten dabei den Kontrast zur raum befindliches Kind rief „Schwarzer Bock“ (vgl. Wunschelplan oben) in der Rednitz- Neubebauung heraus.[21] Dreieinhalb Jahre plötzlich: „Das Bäuerleins straße 1 zu stehen. Der „Schwarze Bock“ war dem Flieger- später konnten die Fürther Nachrichten end- – Haus ist getroffen“. Die angriff vom 21. Februar 1945 ebenfalls zum Opfer gefallen. lich Vollzug melden. Der Metzgermeister Bär Kinder stiegen die Notaus- 1949 heiratete der Poppenreuther Leonhard Bär die wollte den Abriss seines Lebenswerkes nicht stieg-Leiter hinauf und sa- Metzgerstochter Gertrud Bäuerlein. Der Hobbymaler Fritz erleben. Vier Wochen bevor es tatsächlich so hen noch wie das Geleits- Kleemann, der ebenfalls aus Poppenreuth stammte[19], weit war, starb er dann. In der Ausgabe vom haus zusammenbrach. schenkte dem Brautpaar zur Hochzeit ein selbstgemaltes 4. August 1982 machte die Zeitung mit einem Fünfzig Jahre später setz- Bild mit dem alten „Bambergischen Amtshaus“ als Reminis- Abrissbild auf und schrieb unter der Über- ten sich beide hin und zenz. schrift: (siehe nächste Seite) zeichneten den Grundriss Der Metzgereibetrieb wurde am 16. Februar 1974 einge- des Hauses und die Raum- stellt.[20] Dies mochte bereits unter dem Eindruck entstan- aufteilung. Es waren fast den sein, dass die Stadt Fürth das Haus unbedingt kaufen identische Pläne die da- wollte, um die Stadthalle zu bauen. Nach knapp 25 Jahren bei herauskamen. Als einzi- Metzgereibetrieb im Neubau nach dem Zweiten Weltkrieg ges Überbleibsel des Bom- wurde das Haus zum reinen Wohnhaus umgestaltet. benangriffs blieb das An- Königstraße 6 vom Gensberg schlagsbrett der Haustüre Metzgerei Bäuerlein/Bär abriss betrachtet übrig, das noch an das alte Amtshaus erinnert. Das ba- rocke Brett weist Schnit- zereien auf (Puttenköpfe, Früchte und Blumen) und ist in Eiche gearbeitet. Die im rückwärtigen Bereich der Königstra- ße 6 angebaute Gaststät- te „Schwarzer Bock“ in der Rednitzstraße 1 war eben- falls ein Opfer des gleichen Fliegerangriffs vom 21. Fe- bruar 1945 geworden. Es wurde zusammen mit den Resten der Königstraße 6 abgetragen. Königstraße 6; Gemälde Fritz Kleemann 1949 10 Altstadtverein Fürth Nr. 55 – 2021/22 Nr. 55 – 2021/22 Altstadtverein Fürth 11
„Platz für den Stadthallenhof: Einzelnachweise 1. zitiert nach Fronmüllerchronik, 1887, S. 727 Wo Neues entstehen soll, muß Altes weichen. In die- 2. Fronmüller betont das unbekannte Erbauungsdatum, Fron- sen Tagen wird das Haus in der Königstraße 6 dem müllerchronik, 1887, S. 107; das Fürther Tagblatt vom 4. Ap- Platzanspruch der Stadthalle weichen. Das letzte ril 1934 mutmaßt unter der Überschrift „Ein Alt-Fürther Ker- Haus zur Maxbrücke hin, ein Nachkriegsbau ehemals ker?“, dass einerseits die Ausmaße der Sandsteinquader in mit Wohnungen und Geschäften, wurde von der Stadt den Grundmauern, sowie Katasterverzeichnisse und chronis- tische Schätzungen (hier leider nicht näher angegeben) auf in langwierigen Verhandlungen erworben. Noch gera- ein mindestens vierhundertjähriges, wenn nicht gar fünfhun- de rechtzeitig konnten alle Mieter umgesiedelt wer- dertjähriges Alter schließen lassen. Ähnlich der Fürther Anzei- den, um den Bautermin des neuen Prunkhaus nicht ger vom 18. Juli 1935 (No. 165) zu gefährden. Die freiwerdende Fläche wird etwa zur 3. Barbara Ohm: Fürth - Geschichte der Stadt (Buch), 2007, Sei- Hälfte für den Anliegerhof der Stadthalle genutzt. te 44 4. vgl. dazu Fronmüller, der sich auf Egers Taschenbuch S. 181 be- Der Rest wird in die Außenanlagen einbezogen und ruft Fronmüllerchronik, 1887, S. 107 mit Verweis auf Anmer- mit Grün und Blütenpracht versehen. Im Bereich der Der ungefähre Standort des ersten und damit älteren kung 321 (diese auf Seite 693) ebenso diverse Zeitungsartikel Bushaltestelle wird der Gehsteig einen kleinen Teil der dompröpstisch-bambergischen Amtshauses in Fürth wie: Fürther Tagblatt vom 4. April 1934, Fürther Anzeiger vom ehemaligen Hausfläche beanspruchen.“ (rot markiert) 18. Juli 1935 5. Fronmüllerchronik ebenda 6. In seinem Reisetagebuch von 1791 beschreibt Johann Michael Füssel das Geleitsamt wie folgt: „Es gehört zu demselben ein besonderes herrschaftliches Gebäude...“; Johann Michael Füs- Der Abriss vom Nachfolgebau des Bamberger Amtshauses sel: „Unser Tagbuch: oder, Erfahrungen und Bemerkungen ei- nes Hofmeisters und seiner Zöglinge auf einer Reise durch ei- nen grossen Theil des Fränkischen Kreises nach Carlsbad und durch Bayern und Passau nach Linz“, Band 3, Palm, 1791, S. 11 7. Gottlieb Wunschel: Alt-Fürth, 1940, Abschnitt zu Königstraße 8. Gottlieb Wunschel gibt als ältesten Eintrag im Salbuch 1723 auf Seite 194 an: „ein großes Wohnhauß unten am Eckh ge- gen die Bruckhn“ 9. Gottlieb Wunschel zitiert „Albigs Chronik“: Das dompropstei- liche Amtshauß war ehehin bei der untern Brücke, der jetzige Besitzer heißet Steger“ 10. Fürther Einwohnerbuch, 1799 11. Adressbuch der Stadt Fürth, 1846 12. Adressbuch der Stadt Fürth, 1859 13. Adressbuch der Stadt Fürth, 1890 14. Schmittners Adreß- und Geschäftshandbuch von Fürth, 1891; hier taucht er allerdings schon als Privatier auf 15. Schmittners Adreß- und Geschäftshandbuch von Fürth, 1893 16. Schmittners Adreß- und Geschäftshandbuch von Fürth, 1895 Die Stadthalle verdrängt die Königstraße 6 Die Stadthalle als Aussichtsplattform für den Abriss 17. Schmittners Adreß- und Geschäftshandbuch von Fürth, 1895 führt neben der Familie des Johann Bäuerlein, Metzgermeister, Hausbesitzer p; noch Bauer Karl, Spezereihändler p; Schmidt Johann, Güterlader 1; Ruppert Johann Heinrich, Fabrikarbei- ter 1; Dietsch Johann, Kutscher 1; Stöckl Alois,Glasschleifer 1; Schneider Friedrich, Privatier 2; Rheingruber Johann Georg Karl, Agent 2; Übelhardt Magdalena, Witwe 2; Engel Chris- toph, Cartonagenarbeiter 2; Wirth Johann Konrad, Schreiber- gehilfe 3; Betz Magdalena, Schreinerwitwe 3; Wendel Franz, Tüncher 3; Krügel Sabine, Witwe 3; Greul Christina, Witwe 3; Die Zahlen beziehen sich auf das Stockwerk. 18. Dies gilt nur für das alte Gebäude „Bambergisches Amts- haus“. Beim Wiederaufbau 1948/49 nach dem Zweiten Welt- krieg wurde auch der Bau Königstraße 6 angehoben. 19. Fritz Kleemann wohnte dann laut „Adress- und Handelsbuch der Stadt Fürth“ von 1956 in der Rednitzstraße 15 und wurde als Handelsvertretung geführt 20.Die Gewerbeabmeldung erfolgte von Gunda Bäuerlein. Der Betrieb bestand also nach der Kriegsunterbrechung wieder seit dem 1. April 1949. Gleichzeitig wurde auch die Filiale in der Albrecht-Dürer-Straße 2 aufgegeben. Die halb abgerissene Königstraße 6 Die heutige Bushaltestelle 21. „Versunkenes `Charcutier´-Idyll“ mit der hinweisenden Leit- überschrift: „Starke Kontraste zwischen damals und heute in der Unteren Königstraße der Altstadt“ in: Fürther Nachrich- ten vom 6. März 1979 12 Altstadtverein Fürth Nr. 55 – 2021/22 Nr. 55 – 2021/22 Altstadtverein Fürth 13
JAHRESBERICHT DER AG ARCHÄOLOGIE 2021 Die Arbeitsgruppe war aufgrund der Pandemie nicht sehr aktiv im Berichtszeitraum. Im Frühjahr hatten wir eine Studentin im Archäologenkeller, die ihrer Bache- lor-Arbeit über die frühe Gartenkultur Fürths schrei ben wollte und sich für unsere Funde des Lochner- schen Gartenhauses interessiert hat. Wir konnten mit einigen Dokumentationsunterlagen weiter helfen und sie hat Fotos von den wichtigsten Funden gemacht. Ihre Absicht war, ein dreidimensional begehbares Gar- tenmodell digital zu rekonstruieren. Auch der Journalist Josch Reuter hat uns im Keller Abb. 2 aufgesucht, um Techiken bei der Archivierung auszu- tauschen. Er betreut zur Zeit mit seiner Lebensgefähr- Der Tag des offenen Denkmals (12.9.2021) war für tin Frau Nina Daebel die Sammlung des Pisendel-Mu- die Arbeitgruppe und damit auch für den Verein ein seums in Cadolzburg, die mit immer wieder mit neu voller Erfolg. Mit vier Stationen im Schulhof der Pfis- an sie gerichteten Anforderungen in der Archivierung terschule und einer im Keller haben wir versucht die der Museumsschätze vor große Probleme gestellt ist. Besucher in die moderne Archäologie einzuführen. Eine Einführung in unsere digitale Archivierung hat die Zwei Stationen waren der Experimentellen Archäolo- Diskussion sehr belebt. gie gewidmet mit Weben und Drechseln, eine Station Am 28. August haben wir mit Hilfe des Georadars diente der Vorführung des Georadars mit den Ergeb- ein Profil am Kapellenruhdenkmal gemessen (Abb. 1), nissen der letzten Zeit, eine Station hat den Fundkom- das sich von Nordwest nach Südost erstreckt hat. Die- plex Gustavstraße 37 vorgestellt und Techniken der se Maßnahme wurde notwendig, weil immer noch Keramikrestaurierung vorgeführt und in unserem Kel- nicht klar ist, ob oder was sich unter dem Denkmal di- ler konnten sich die Besucher von der digitalen Erfas- rekt befindet. Wir haben dabei die Struktur, die west- sung unserer Funde aufklären lassen. Dazu gab es ein lich vom Feldweg durch die Geomagnetik bekannt ist, Computerspiel, in dem jeder selbst Fundkisten des Ar- wieder entdecken können und festgestellt, dass auch chivs digital öffen und die Funde begutachten konn- unter dem Denkmal eine starke Reflexion im Radar- te (Abb. 2). bild erscheint. Eine weitere Untersuchung wird zei- Zur Vervollständigung eines Aufsatzes, der im Alt- gen, ob es sich dabei um eine bauliche Struktur oder stadtbläddla erscheint, gab es eine Begehung der Res- gemeinsam.fair handeln verdichtetes Aufschüttungsmaterial handelt, das in te der Turmburg in Oberasbach-Altenberg (Abb. 3). diesem Bereich eingebracht wurde, um das Denkmal Die versteckt liegende ehemalige Burganlage hatte hochwasserfrei zu halten. einmal einen Wassergraben, der durch Bauarbeiten Die Welt zu Gast in Fürth! nun völlig verschwunden ist. Die Untersuchung hat Abb. 3 gezeigt, dass Altenberg ein interessantes Pflaster für Entdecken Sie ökofaire archäologische Funde ist, die von der Altsteinzeit über weitere vorgeschichtliche Perioden bis ins Mittelalter Mode, Accessories, reichen. Kunsthandwerk und Thomas Werner faire Feinkost im Herzen der Fürther Altstadt. Abb. 1 Mo.-Fr. 10.00-19.00 Uhr Sa. 10.00-16.00 Uhr Gustavstr. 31 • 90762 Fürth www.welthaus-fuerth.de 14 Altstadtverein Fürth Nr. 55 – 2021/22 Nr. 55 – 2021/22 Altstadtverein Fürth 15
EMILIE LEHMUS VON DER PFARRERSTOCHTER behalten“, beschrieb Franziska Tiburtius als 80-jährige in ihren Memoiren das Ereig- Deutschland, der Assistentinnen aufnahm und an seiner Klinik ausbildete.12 ZUR ERSTEN DEUTSCHEN MEDIZINSTUDENTIN nis.7 Gemeinsam mit Franziska Tiburtius Nach neun Semestern beendete durfte sich Emilie Lehmus 1876 in Ber- Emilie ihr Studium mit der Promoti- lin mit behördlicher Duldung mit ei- on8 „summa cum laude“. Diese Aus- ner Privatpraxis für Frauen und Kin- Am 30. August 2019 wurde am Fürther Zentralfriedhof die erste approbierte und promovierte Zahnärztin zeichnung wurde in den zehn davor der niederlassen, deren Türschild sie eine Gedenkstätte für die Ärztin und erste deutsche Deutschlands). Auf einer gemeinsamen „Spreewald- liegenden Jahren an der Züricher als „Dr. med. der Universität Zürich“ Medizinstudentin Emilie Lehmus der Öffentlichkeit wasserfahrt“ reifte in ihr der Entschluss, Medizin zu Universität nur sechs männlichen auswies. Aufgrund ihres Geschlech- übergeben. Das Datum markierte gleichzeitig den 178. studieren – gewissermaßen aus der Laune eines Au- Prüflingen zuteil. Dieser Umstand tes wurde die Arbeit der beiden Ärz- Geburtstag der zu Ehrenden, die am 30. August 1841 genblickes5. Von ihrem Vater – dem Michelspfarrer war vielen Zeitungen 1874 eine Mel- tinnen seitens der Politik nicht aner- im Fürther Pfarrhof von St. Michael das Licht der Welt Friedrich Theodor Eduard Lehmus2 wurde dies nicht dung wert, wie z.B. der Kölner Zei- kannt. Man stellte sie ohne Ansehen erblickte. Obgleich Emilie Lehmus schon seit 2007 mit als Schrulle abgetan sondern Emilie von ihm darauf- tung, dem Münchener Boten, dem Ihrer Ausbildung lediglich auf die Ebe- einer Bodenplatte am „Ehrenweg“ der Fürther Fuß- hin in Latein unterrichtet. Schweinfurter Anzeiger und natürlich ne von Badern und Heilpraktikern. gängerzone geehrt wurde, war doch ihr letzter Ruhe- In Deutschland selbst durfte sie damals nicht stu- auch den Fürther Neuesten Nachrich- So eröffneten sie am 18. Juni 1878 die ort allgemein nicht mehr bekannt. Vermutlich lag dies dieren. So immatrikulierte sie sich 1870 im schweize- ten und dem Tagblatt: „Fräulein Emilie Leh- erste Poliklinik weiblicher Ärzte für Frau- daran, dass ihr letzter Wohnort in Gräfenberg / Land- rischen Zürich zu Studienzwecken. Zürich entwickel- mus aus Fürth, die erste deutsche Dame, die en und Kinder in der Alten Schönhauser Stra- kreis Forchheim in der Fränkischen Schweiz gewesen te sich in jener Zeit als ein Zentrum internationaler in Zürich Medizin studiert, machte daselbst in vori- ße 23/24.13 Die Praxisräume, eine Erdgeschosswoh- war. Dort starb sie am 17. Oktober 1932 91-jährig, wur- weiblicher Studentenschaft.6 Die Besonderheit in Zü- ger Woche ihr Examen und erhielt das Prädikat ausge- nung im Hinterhof, wurden ihnen vom Brauereibesit- de aber auf dem Fürther Hauptfriedhof beerdigt1. rich lag für Studentinnen darin, dass sie keinerlei Bil- zeichnet. Es ist dieser Grad in den letzten zehn Jahren zer Bötzow kostenlos überlassen14. Die Behandlungen Die Begräbnisstät- dungsnachweise vorlegen mussten, lediglich ein „Sit- nur sechs männlichen Examinanden zuteil geworden.“9 der Patientinnen führten die Frauen meist zum Selbst- te in Fürth war aller- tenzeugnis“. In vielen Ländern Europas hatten Frau- Zu Zeiten Emilie Lehmus‘ lachte der deutsche kostenpreis aus. Wie das Amtsblatt für die Königli- dings schon seit Jah- en ja keine Möglichkeit, das Abitur abzulegen und sich Reichstag über weibliche Ärzte, und sie selbst klagte chen Bezirksämter Forchheim und Ebermannstadt ren aufgelassen und damit an einer Universität zu bewerben. über die Berliner Ärzteschaft. „Am gehässigsten war vom 31. Juli. 1877 ausweist, bestand „der Arbeitslohn zuletzt nur noch über Hier in Zürich lernte sie auch ihre Kommilitonin, Virchow“. Der gleiche Virchow trat unter Protest aus der beiden Ärztinnen nur in der Bereicherung Ihrer Er- die Archivfunktion des Franziska Tiburtius, die Schwägerin von ihrer Berliner dem Kuratorium des Victoria-Lyzeums zu dem Augen- fahrungen, die sie auf diesem Wege sammeln, und in städtischen Grabbu- Bekanntschaft Henriette, beim Studium kennen. Als blick aus, als Emilie Lehmus‘ Freundin Franziska Tibur- dem freudigen Bewußtsein, so manches Weh lindern ches zu eruieren. Über dann im Jahr 1870 die zwei jungen Frauen in Zürich ei- tius mit der Leitung eines Kurses für Gesundheitspfle- und so vielfach Hilfe bringen zu können.“ dieser originalen Grab- nen Hörsaal betraten, erhob sich „ein wüster Lärm, ge an der Schule beauftragt wurde10. Siehe: stätte wurde nun das Memorial „Emilie Lehmus“ – un- Schreien, Johlen, Pfeifen“. „Da hieß es ruhiges Blut Noch am Ende des 19. Jahrhunderts wurde die terstützt durch DGGG-Mitglieder (Deutsche Gesell- „natürliche Bestimmung“ der Frau in Ehe und Mutter- schaft für Gynäkologie und Geburtshilfe) – errichtet. schaft gesehen. „Wenn es als Axiom gelten muß, daß Emilie Lehmus wurde als Tochter von Pfarrer Fried- die Bestimmung der Frau die Ehe sein muß, so tritt an rich Theodor Eduard Lehmus2 und seiner Frau Caroli- uns die Frage heran, ob durch das Studium der Medizin ne als dritte von sechs Töchtern geboren. Dank der die zur Ehe nötigen Eigenschaften der Frau nicht geschä- fortschrittlichen Einstellung der Eltern erhielt sie - wie digt werden. Die echte Weiblichkeit wird, wenn sie nicht auch ihre Schwestern - eine Berufsausbildung. In Paris durch jenes anstrengende konkrete Studium ganz zu setzte sie ihren Schulbesuch für Sprachstudien fort. Grunde geht, doch beschädigt.“11a Zurück in Fürth war sie als Lehrerin an einer höheren Selbst viele liberale Professoren postulierten letzt- Töchterschule tätig, was darauf schließen lässt, dass endlich die Überlegenheit des männlichen Geistes: sie in Paris das Lehrerinnenexamen absolviert hat3. „Prinzipiell also bin ich nicht gegen die Zulassung weibli- 1866 taucht die damals 24-jährige Emilie zum ers- cher Studenten, ich würde aber nur solche zulassen, die ten Mal namentlich in einem Bericht des Königl.-Bayr. alle Vor-Examina mit Nr. 1 absolviert haben. Das würde Amtsblattes in Rothenburg ob der Tauber auf. Ver- dann ein ganz brauchbares Studentenmaterial liefern, mutlich war sie dort zu Besuch bei den Großeltern, indem zu erwarten stünde, daß diese Damen durch Fleiß denn die Familie Lehmus besetzte seit mehreren Ge- den Vorsprung ausglichen, welchen das männliche Ge- nerationen in Rothenburg die Pfarrstelle, so auch der schlecht durch überlegene geistige Initiative vor ihnen Großvater. – In dem Königl.-Bayr. Amtsblatt rief Emi- voraus hätte.“11b lie unter dem Eindruck der kurz zuvor geschlagenen Emilie Lehmus hoffte in diesem Zeitgeist vergeb- Umso mehr erfuhren die beiden Freundinnen ei- Schlacht von Königgrätz (dem heutigen Hradec Králo- lich, in Deutschland mit ihrem Doktortitel zum Staats- nen großen Zulauf von ihrer Patientenschaft. In ihrer vé) zwischen Preußen und Österreichern zu Spenden examen zugelassen zu werden. 1875 ging sie deswe- Poliklinik, der späteren „Klinik weiblicher Ärzte e.V.“, von Geld und Verbandszeug für die verwundeten Sol- gen für einige Monate an die Universitäts-Entbin- behandelten sie von 1878 bis 1896 um die 20.000 Pati- daten auf.4 dungsanstalt nach Prag, im Anschluss an die König- enten, obwohl nur zweimal wöchentlich Sprechstun- 1870 besuchte die 29-jährige Emilie Lehmus eine ih- liche Entbindungsanstalt und Frauenklinik nach Dres- den abgehalten wurden15. Es war auch eine kleine Pfle- rer verheirateten Schwestern in Berlin und lernte da- den. Dort war sie bei dem Gynäkologen Prof. Franz geanstalt mit angeschlossen, in der u.a. kleine opera- bei Henriette Hirschfeld-Tiburtius kennen (übrigens von Winckel tätig, dem damals einzigen Professor in tive Eingriffe vorgenommen werden konnten. Diese 16 Altstadtverein Fürth Nr. 55 – 2021/22 Nr. 55 – 2021/22 Altstadtverein Fürth 17
4. siehe Amts- und Anzeigenblatt für die Stadt und das Königl. Be- te verbracht hatte. Auch von dort engagierte sie sich zirksamt Rothenburg vom 25. Juli 1866, Seite 4 weiter und beteiligte sich 1908 an der Gründung der 5. Michaela Holdenried (Hg.): Geschriebenes Leben, Autobiogra- Vereinigung weiblicher Ärzte in Berlin mit einer Spen- phik von Frauen, 1995, S. 232 de von 16.000 RM21. 6. hier immatrikulierten sich im späten 19. Jahrhundert so promi- nente Frauen wie Ricarda Huch, Rosa Luxemburg, Anita Aug- In Gräfenberg starb Emilie Lehmus am 17. Oktober spurg, Lou Andreas Salomé. 1932 im Alter von 91 Jahren. Eine deutsche Approbation 7. Zitiert nach Sonntagsblatt vom 28.08.2019 hat sie nie bekommen. Beerdigt wurde sie am Fürther 8. Emilie Lehmus: Die Erkrankung der Macula lutea bei progressi- Friedhof. Für ihre Beerdigung hatte sie verfügt, sie sol- ver Myopie; Inaugural-Dissertation an der medizinischen Fakul- le als Armenleiche von dem für den Wochendienst zu- tät Zürich, 1875 – online verfügbar: https://books.google.de/bo oks?id=zftlAAAAcAAJ&printsec=frontcover&dq=Lehmus&hl= ständigen Pfarrer von St. Martin bestattet werden. Es de&sa=X&ved=0ahUKEwjg38_Jz4jfAhXno4sKHe8_DvAQ6AEI Gedenktafel an der ehemaligen Praxis traf damals den Stadtvikar von St. Martin, Georg Kuhr, NzAD#v=onepage&q=Lehmus&f=false dessen Großvater Johann Georg Kuhr ein direkter Vet- 9. Als Depeschenmeldung wurde die Nachricht jeweils text- wurden dank der Unterstützung des Berliner Frauen- ter der Verstorbenen war 22. An ihrem Grab durfte kei- gleich abgedruckt. Siehe z.B.: Fürther Neueste Nachrichten vereins für arme Frauen kostenlos angeboten16. Aller- ne Predigt gehalten werden. Sie hatte als Text ledig- für Stadt und Land (Fürther Abendzeitung) 27.12.1874 – on- line verfügbar: https://digipress.digitalesammlungen.de/view/ dings soll auch die ehemalige Kronprinzessin Victoria lich die Schriftstelle von der Auferstehung der Toten bsb11175524_00597_u001/2?cq=Emilie%20Lehmus ebenso: Mün- Patientin gewesen sein17. Gemeinsam mit Franziska Ti- am Jüngsten Tag verfügt: 1. Thess: 4, 13 – 1823. chener Bote für Stadt und Land 25.12.1874 Weilheimer Tagblatt burtius war Emilie Lehmus von 1878 bis 1885 im „Sa- Weitere Angaben zu Emilie Lehmus in Agnes Bluhm: für Stadt und Land 29.12.1874 Ingolstädter Zeitung (Neue Ingol- nitätsverein für Lehrerinnen“ aktiv tätig, und ab 1889 Dr. med. Emilie Lehmus. Zur Vollendung des 90. Lebens- städter Zeitung) 27.12.1874 Schweinfurter Anzeiger 29.12.1874 im „Kaufmännischen und gewerblichen Hilfsverein für jahres am 30. August 1931 in: Die Ärztin. 7. Jg. 1931, Nr. 8 10. Vgl. Susanne Dettmer, Gabriele Kaszmarszyk, Astrid Bühren „Karriereplanung von Ärztinnen“ – in Kooperation mit der Bun- weibliche Angestellte“18. und Agnes Bluhm: Ein Gedenktag der deutschen Medi- desärztekammer, 2006, Seite 15 15 Jahre lang blieben Lehmus und Tiburtius die ein- zinerinnen. in: Die Ärztin. 17. Jg. 1941, Nr. 8 11. 11a)Prof. Dr. med. Georg Lewin, Direktor der Klinik für Syphilis zigen Ärztinnen in Berlin, bis Frauen der zweiten Ge- Christian Schmidt-Scheer an der Königl. Charité Berlin, zitiert nach Michaela Holdenried neration – die ebenfalls in Zürich studiert hatten – sich (Hg.): Geschriebenes Leben, Autobiographik von Frauen, 1995, der Arbeit an der Poliklinik anschlossen19. Um die Jahr- Anmerkungen S. 241 11b) Prof. Dr. med. von Rindfleisch, Direktor des patholo- gischen Instituts der Universität Würzburg, zitiert nach Micha- hundertwende im Alter von 60 Jahren musste Leh- 1. Dies dürfte in einer tiefen familiären Verbundenheit mit der Stadt Fürth begründet liegen, wo auch ihre beiden Eltern be- ela Holdenried (Hg.): Geschriebenes Leben, Autobiographik von mus ihre Praxistätigkeit aus gesundheitlichen Grün- Frauen, 1995, S. 241 graben sind. den aufgeben. Ihre Kollegin konstatierte „Grippep- 12. Siehe dazu: „Ärztinnen im Kaiserreich – Geschichte der Charité“ 2. Friedrich Theodor Eduard Lehmus (geb. 28. Februar 1806 in neumonie“20. Lehmus verließ Berlin, dessen Klima ihr Rothenburg, gest. 15. März 1890 in Fürth) war Pfarrer und Kir- zu Emilie Lehmus - online verfügbar: https://geschichte.charite. nicht mehr behagen wollte und nahm ihren Wohn- chenrat in Fürth. Er machte sich in Fürth einen Namen mit ver- de/aeik/biografie.php?ID=AEIK00016 13. An dem Haus Alte Schönhauser Straße 23, in dem sie am 18. Juni sitz in München. Dort schloss sie sich mit ihren zwei schiedenen diakonischen Aktivitäten. So gründete er am 14. August 1837 die „Kinderbewahranstalt“, einen der ersten Kin- 1878 die Poliklinik weiblicher Ärzte für unbemittelte Frauen und Schwestern (verw. Caroline Braun und Marie Lehmus) Kinder eröffnet hatten, wurde am 18. Juni 2006 eine Gedenkta- dergärten in Deutschland. Außerdem gründete er das Caroli- zu einem gemeinsamen Haushalt zusammen. Nach fel in Erinnerung an Emilie Lehmus und Franziska Tiburtius ange- nenstift, in dem Witwen und Jungfrauen, die das 50. Lebens- dem Tode der beiden siedelte sie endgültig zu ihrer jahr überschritten hatten, Aufnahme fanden. Auf seine Anre- bracht. (evtl. Bild). Über den Zulauf siehe auch „Correspondenz- jüngsten Schwester nach Gräfenberg in die fränkische gung und unter seiner Leitung wurde ein Armen- und Kran- Blatt für Schweizer Ärzte“, Band 7, Jahrgang VII, 1877, Seite 659 14. Wie es mittels einer etwas unkonventionellen Zahnbehandlung Schweiz um, wo sie bereits zuvor die Sommermona- kenverein für die Kirchengemeinde Fürth ins Leben gerufen. In den Kriegen 1866 und 1870 wirkte Friedrich Theodor Edu- durch die befreundete Henriette Hirschfeld-Tiburtius zu der kos- ard Lehmus als Vorstand der evangelischen Felddiakonie und tenlosen Raumüberlassung kam siehe: Michaela Holdenried (Hg.): nahm Verwundete und Kranke im Pfarrhaus auf. Dafür erhielt Geschriebenes Leben, Autobiographik von Frauen, 1995, S. 239 er von Ludwig II. 1871 das Verdienstkreuz und vom deutschen 15. Siehe dazu: „Ärztinnen im Kaiserreich – Geschichte der Charité“ Kaiser 1873 den preußischen Kronenorden. zu Emilie Lehmus – online verfügbar: https://geschichte.charite. 3. „Ärztinnen im Kaiserreich – Geschichte der Charité“ gibt im de/aeik/biografie.php?ID=AEIK00016 online-Auftritt zu Emilie Lehmus (https://geschichte.cha- 16. Ebenda 17. Michaela Holdenried (Hg.): Geschriebenes Leben, Autobiogra- Irish Cottage Pub rite.de/aeik/biografie.php?ID=AEIK00016) fälschlicherwei- se dazu ein „Marienstift“ an, das es aber in Fürth nie gege- phik von Frauen, 1995, S. 242 ben hat. Bekannt sind hier das „Vereinigte Heberlein’sche 18. Siehe dazu: „Ärztinnen im Kaiserreich – Geschichte der Charité“ und Arnstein’sche Institut“ (vgl. Walter Ley: Das Vereinigte zu Emilie Lehmus – online verfügbar: https://geschichte.charite. Heberlein’sche und Arnstein’sche Institut. In: Fürther Heimat- de/aeik/biografie.php?ID=AEIK00016 Öffnungszeiten: 19. Dazu gehörten Agnes Bluhm, Pauline Ploetz, Anna Kuhnow, Ag- blätter, 1992/4, S.112 – 124), eine Fürther Privatschule für jüdi- nes Hacker. Unter dem Einfluss der „zweiten Generation“ ver- So.-Do. 17 Uhr bis 1 Uhr sche Mädchen, das von 1848 – 1907 bestand und einige na- änderte sich die „Klinik weiblicher Ärzte“ zu einer gynäkologi- Fr., Sa. 17 Uhr bis 2 Uhr mentlich nicht bekannte private Einrichtungen (so erwähnt die Fronmüllerchronik für das Jahr 1883, dass ein Magistrats- schen Spezialklinik. Vgl. dazu: Susanne Dettmer, Gabriele Kas- beschluss das Projekt eines städtischen Mädchen-Institu- zmarszyk, Astrid Bühren „Karriereplanung von Ärztinnen“ – in Inhaber: John Farley tes noch verwarf. Die beiden Direktoren Metz und Heerwa- Kooperation mit der Bundesärztekammer, 2006, Seite 17. Waagstraße 1 20.Siehe: Agnes Bluhm: Ein Gedenktag der deutschen Medizinerin- gen vereinigten daraufhin ihre Institute zu einer nach Jahres- 90762 Fürth nen. in: Die Ärztin. 17. Jg. 1941, Nr. 8 Anm. 12 Seite 338. kursen geordnete höhere Töchterschule. Die Mädchenschule 21. Emilie Lehmus auf Kulturring Berlin-Mitte – online verfügbar: ht- Tel. 0911 9764102 am Fürther Kirchenplatz wird man schlechterdings als „höhe- tps://www.kulturring.org/konkret/frauen-persoenlichkeiten/in- info@irish-cottage-pub.com re Mädchenschule“ bezeichnen können und das Mädchen-Ly- Eingelassene Bodenplatte in der Schwabacher Straße zeum, heute Helene-Lange-Gymnasium, wurde erst 1907 er- dex.php?frauenpersoenlichkeiten=wissenschaft/bildung&id=149 www.irish-cottage-pub.com richtet. 22. Biographisches zu Emilie Lehmus aus Familienstammbuch 23. siehe dazu Grabbuch-Archiv Friedhof Fürth 18 Altstadtverein Fürth Nr. 55 – 2021/22 Nr. 55 – 2021/22 Altstadtverein Fürth 19
1 FELDPOST „41“ Das braune Kuvert im Din A5 Format stammt aus dem Nachlass meiner Tante Käthe Konrad. In den vergan- genen Jahrzehnten hatte ich den Briefumschlag mit seinem Inhalt an Feldpostkarten aus dem zweiten Weltkrieg völlig vergessen. Jetzt kam er beim Sortie- ren von Unterlagen wieder zum Vorschein. Die einfa- chen, aus festem Papier gefertigten Feldpostkarten haben als Motiv Szenen aus Schraffurzeichnungen, wahrscheinlich Tusche. Die besseren, farbigen Kar- ten sind ebenfalls nur gezeichnet, aber auf Karton ge- druckt. Beide Ausführungen zeigen neben Landschaf- ten auch Wehrmachtsoldaten. Das Verschicken von Feldpostkarten war für den Absender an strenge Re- geln gebunden. So mussten diese zum offenen Ver- sand freigegeben sein. Weder der Truppenteil noch der genaue Dienstgrad durfte vermerkt werden. Eine der Feldpostkarten erzählt allerdings eine ganz tragi- sche Geschichte. Sie wurde lt. Poststempel am 18. De- zember 1941 von Willy Konrad, dem Sohn meiner Tan- te, an seine Eltern adressiert. Der erst 22-jährige Fah- nenjunker Feldwebel Wilhelm Konrad starb im Kampf 2 am 20. Dezember 1941 gegen 12.50 Uhr an den Fol- 4 gen einer schweren Kopfverletzung durch einen Gra- 1 = Ein Weihnachtsmotiv. natsplitter. Seine Todesnachricht an die Angehörigen 2 = Ein Landser mit seinem Gewehr „Karabiner 98“. 7 kam per Feldpost … 3 = Immer wieder Wehrmachtsoldaten. Gunnar Förg 4 + 5 = Tuschezeichnungen 6 3 6 = Solche Weihnachtsmotive sollten dem Krieg wohl seinen Schrecken nehmen? 7 = Abgestempelt am 18. Dezember 1941. 5 8 = Strenge Auflagen für die Soldaten. 9 = Eine typische Nazipropaganda! 8 9 20 Altstadtverein Fürth Nr. 55 – 2021/22 Nr. 55 – 2021/22 Altstadtverein Fürth 21
D en meisten Fürtherinnen und Fürthern hafte oder veraltete Angaben ausbessern, jede(r) ist Das klappte stets reibungslos, aber das Unterschlüp- wiki-Team, welches zudem selbst als eingetragener im Alter von 9 bis 99 Jahren dürfte das zum Ergänzen bestehender und zum Verfassen neu- fen bei Freunden erinnert ein wenig an das Basteln in Verein organisiert ist. Da wir uns aber nicht nur der Online-Stadtlexikon »FürthWiki« ein Be- er Artikel berechtigt: Das FürthWiki ist ein Produkt der Kindertagen am heimischen Küchentisch: Man muss Wikipedia-Software bedienen, sondern die Förde- griff sein: So wie die »große Schwester« kollektiven »Schwarmintelligenz«, und je mehr Men- nach getaner Arbeit immer alles wieder aufräumen rung des Freien Wissens für alle auf unsere Fahnen ge- Wikipedia das Wissen der Welt abbildet, schen sich aktiv mit einbringen, desto besser wird und und verstauen, kann nichts liegenlassen, muss für die schrieben haben, erfüllten wir von vorneherein sämt- so werden im FürthWiki Fakten über un- bleibt das Endprodukt. Wer immer also etwas bes- nächsten Nutzer Grundstellung herstellen... liche Voraussetzungen für eine finanzielle Förderung sere Stadt zusammengetragen und der interessierten ser weiß, ist beileibe kein ungeliebter »Besserwisser«, Daher kam bei uns irgendwann der Wunsch nach durch WMDE. Öffentlichkeit frei zugänglich gemacht. In der großen sondern uns im Gegenteil als Korrekturinstanz hoch- einem eigenen »Hauptquartier« auf, welches uns ohne Der Rest war Fleißarbeit: Kontakte herstellen, Kon- Enzyklopädie wie willkommen! Nachfragen und Terminabstimmungen rund um die zepte erarbeiten, Anträge schreiben, Aufgaben iden- in der kleinen sind Das im Jahr es ausschließlich 2007 von den bei- ehrenamtliche den Freunden Fe- Autorinnen und lix Geismann und Autoren, die in ih- rer Freizeit am vir- tuellen Gemein- MEHR ALS NUR Mark Muzen- hardt gegründe- te Nachschlage- schaftswerk ar- beiten und es um GUTE NACHBARN: werk wurde anno 2012 in die Trä- Texte, Bilder und gerschaft eines audiovisuelle Me- dien bereichern. FÜRTHWIKI UND neu gegründeten Förder ver eines Mit Stand Sep- überführt. Dieser tember 2021 sind im FürthWiki ALTSTADTVEREIN stellt die notwen- digen Ressourcen schon gut 10000 zum dauerhaften Die lange aufgeschobene Eröffnungsfeier des Sichten eines fotografischen Nachlasses von gut 150 Artikel und knapp Betrieb der Wis- FürthWiiki-Ladens Alben 23000 Medien sensdatenbank vorhanden und bereit und küm- Uhr zur Verfügung steht. Ein verwegener Gedanke tifizieren und team-intern verteilen, warten und hof- abrufbar, Tendenz weiterhin stark steigend. In der er- mert sich um Mitgliederwerbung, Öffentlichkeitsar- und zunächst ein Wunschtraum jenseits jeder Chan- fen... Als wir dann schließlich die Förderung geneh- weiterten Tradition der früheren Stadtchronisten ste- beit und Kooperationen mit Dritten, damit sich die ce auf Realisierung, liegen doch die Jahreseinnahmen migt und grünes Licht signalisiert bekamen, ging die hend, bewahrt das FürthWiki historische Fakten und »Lieferanten« von Inhalten möglichst wenig mit dem des Vereins (aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden) im Suche nach einem geeigneten Standort los. Klar war gegenwärtige Umstände, ja mitunter sogar zukünfti- Drumherum beschäftigen müssen, sondern sich auf niedrigen vierstelligen Bereich. Damit wäre keine ei- von vorneherein, daß wir keine normale »Geschäfts- ge Entwicklungen (z.B. in Form von Artikeln über ge- das Schreiben und Bebildern von Artikeln fokussieren gene Niederlassung zu finanzieren, schon gar nicht in stelle« suchten, sondern einen attraktiven »Raum der plante Bauprojekte) für die Nachwelt und vor dem Ver- können. An dieser Stelle sei hervorgehoben, dass eine halbwegs attraktiver, zentraler Innenstadtlage. Begegnung« mit gut sichtbarer Außen- und Werbewir- gessen. Relevant und festhaltenswert ist alles, was Mitgliedschaft im Förderverein FürthWiki e. V. keines- Wir machten uns daher im Jahr 2017 auf die Su- kung. Ein Ladenlokal in einer schwach frequentierten mit der Stadt Fürth zu tun hat. Der Landkreis bleibt wegs Voraussetzung für die inhaltliche Mitarbeit ist. che nach einem Sponsor, der uns einen eigenen Treff- Nebenstraße war daher nie eine Option. schon aus Kapazitätsgründen außen vor (und die Ost- Das Verfassen von Beiträgen, das Hochladen und punkt und Arbeitsraum zur Verfügung stellt, ohne Die Corona-Pandemie kam dann dazwischen und vorstadt... natürlich sowieso)... Verschlagworten von Fotos, das Einbinden von Videos uns dadurch in (gefühlte oder echte) Abhängigkeiten verzögerte das Projekt erheblich, verhalf uns aber Das stete Wachstum unserer Bestände bringt frei- und Tonaufnahmen: All das (und mehr) kann von je- zu bringen und damit unsere Neutralität zu gefähr- letztlich nach allerlei Irrungen und Wirrungen zu dem lich auch Probleme mit sich, die im analogen Zeital- dem Gerät mit Internetzugang aus geleistet werden, den. Fündig wurden wir bei Wikimedia Deutschland wunderschönen und optimal gelegenen Standort in ter so nicht existierten: Während früher niemand vom am heimischen Schreibtisch ebenso wie im ICE oder e. V. (WMDE), dem deutschen Ableger der Wikimedia der Gustavstraße 12. Der sich in vielfacher Hinsicht als Brockhaus im Bücherregal verlangt hätte, dass sich im Hotelzimmer. Die Aufbauarbeit an unserer Enzyk- Foundation, deren bekanntestes Förderprojekt das Glücksfall erwiesen hat: Hier kommen tagtäglich viele dessen gedruckte Inhalte von Geisterhand und quasi lopädie ist nicht an die physische Präsenz gebunden, Weltlexikon Wikipedia ist. Passantinnen und Passanten vorbei, die uns und un- über Nacht aktualisieren, erwarten Kritikerinnen und was fantastische Möglichkeiten der effizienten Zeit- WMDE fördert ehrenamtliches Engagement auf sere Mission wahrnehmen, die Auslage studieren, das Kritiker des virtuellen Pendants zuweilen genau das: nutzung und der Kooperation mit anderen Aktiven er- dem Gebiet des »Freien Wissens« auf vielfältige Wei- wechselnde »Fundstück des Monats« im Schaufens- Der eine merkt an, dass der Direktor seines ehemali- öffnet. Dennoch ist und bleibt der Mensch ein soziales se, unter anderem durch das Finanzieren sogenann- ter bewundern. Hier fühlen sich auch unsere Aktiven gen Gymnasiums doch schon seit Jahren ein anderer Wesen, und gelegentliche Zusammenkünfte der Mit- ter »Community Spaces«, die von ehrenamtlichen wohl, hier kommt man gerne hin. sei, die andere hat irgendwo eine falsche Jahreszahl machenden sind weiterhin das »Salz in der Suppe«. Wissensarbeiterinnen und -arbeitern in eigener Regie Messbar ist der Erfolg zudem durch steigende Be- gefunden, der dritte beklagt überholte Öffnungszei- Lange Zeit beschränkte sich das soziale Miteinan- betrieben und bespielt werden. Mit eigenen Räumen sucherzahlen in unseren wöchentlichen Sprechstun- ten in der Vorstellung seiner... Lieblingskneipe... der auf monatliche Arbeitstreffen des »harten Kerns« ausgestattete Wikipedia-Gruppen existierten vorher den, durch vorbeigebrachte Buchspenden, durch uns Aber so ist das halt mit Daten, Zahlen, Fakten: Man- der FürthWiki-Macherinnen und -macher an wech- schon in Berlin, Hamburg, Hannover, Köln und Mün- zur Auswertung übergebene Nachlässe von Fürther che, ja ausnehmend viele von ihnen neigen dazu, über selnden Orten öffentlichen oder privaten Charakters. chen. Der FürthWiki-Laden ist jetzt der jüngste und Amateurfotografen. Das vermehrte Eingehen von kurz oder lang zu veralten. Mehr oder weniger drin- Mehrere Jahre lang tagten wir dann als gern gesehe- vorerst letzte geförderte »öffentliche Raum« sowie Aufnahmeanträgen in den Förderverein ist ein wei- gender Aktualisierungsbedarf besteht fast allerorten. ne Gäste am jeweils ersten Mittwoch eines Monats der erste, bei dem nicht eine Gruppe von Wikipedia- terer guter Indikator für unseren Erfolgskurs. Neue Das Positive daran: Jede(r) kann, darf und soll fehler- in der Freibank des Altstadtvereins am Waagplatz. Aktiven unterstützt wird, sondern explizit ein Stadt- Aktive – also Autorinnen und Autoren – konnten wir 22 Altstadtverein Fürth Nr. 55 – 2021/22 Nr. 55 – 2021/22 Altstadtverein Fürth 23
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